26 Snowactive Februar 2016 Lindsey Vonn des Telemarks Zwei Athletinnen – beide erfolgreich – eine weltberühmt, die andere kaum bekannt. Lindsey Vonn und Amélie Reymond, die Weltbeste im Telemark, die es nur in Ausnahmefällen nicht auf das Podest schafft. Amélie Reymond ganz locker zwischen den Gemäuern vom Schloss Tourbillon in Sitten. Februar 2016 Snowactive 27 Amélie Reymond, die Königin des Telemarks, trennen Welten zwischen Ich bin immer positiv eingestellt, Telemark und mir macht mein Sport und auch alles andere sehr viel Spass. alpinem Rennsport. 28 Snowactive Februar 2016 Fotos: Erik Vogelsang, B&S / Keystone / Swiss-Ski Amélie Reymond (links) vs. Lindsey Vonn im friedlich sportlichen Duell: Das Schweizer Telemark-Talent war in ihrer bisherigen Karriere 133 Mal auf dem Podest, während das sympathische US-Girl im Alpinen 118 Mal auf dem Treppchen stand. «Sie ist die Lindsey Vonn des Telemarks.» So ein Satz haut natürlich rein. Zumal wenn er von der Schweizer Sportinformation kommt, einer Agentur, die nicht gerade für ihre blumige Sprache oder gar Übertreibungen berühmt ist. Grund genug auf jeden Fall, nach Sion zu fahren, um diese Amélie Reymond zu treffen. Genau um sie geht es nämlich beim genannten Vergleich. Und wie fällt der aus? Hier eine charmante, einnehmende Frau mit langen Haaren, die alle Konkurrentinnen in Grund und Boden fährt, Rekord um Rekord jagt, Siege und Medaillen sammelt wie andere Kaffeerahmdeckeli. Auf der anderen Seite: Lindsey Vonn. Was sagt Amélie Reymond selbst zum Vergleich? Zunächst lächelt sie, dann sagt sie: «Wir fahren den gleichen Typ Ski.» Das wärs dann auch schon an Gemeinsamkeiten, in allen anderen Bereichen – Bekanntheit, Bezahlung, Medienpräsenz – trennen die beiden Frauen Welten. Die Welten halt, die zwischen Telemark und alpinem Rennsport liegen. Keine olympische Disziplin Wagen wir an dieser Stelle einmal ein Gedankenexperiment und tun so, als seien die Alpinen nicht Teil der olympischen Spiele. Wer wäre in diesem Fall Lindsey Vonn? Wären ihre Eltern von Minnesota extra ins Schneeparadies Vail gezogen, damit die Tochter später einmal ein paar Weltcuprennen gewinnt? Wo würde der US-Skiverband die Mittel hernehmen? Wie wären sich eine vor allem in Europa bekannte Skifahrerin und eine Golflegende wie Tiger Woods über den Weg gelaufen, wenn da nicht dieses olympische Abfahrtsgold von Vancouver mit ihm Spiel wäre? «Ich werde sicher nicht mehr bei Olympia starten können», sagt Amélie an diesem Dezembertag in Sion. 2018 ist Telemark nicht im Programm, und das sei die letzte Möglichkeit. Das Bestreben sei natürlich immer da gewesen. Für eine Sportart wie Telemark würden olympische Weihen alles ändern. Bei den zweiten olympischen Jugend-Winterspielen 2016 in Lillehammer ist Telemark immerhin als Demonstrationssportart eingeladen, Amélie Reymond freut sich auf dieses «Heimspiel» ihrer Disziplin, aber ob es für die offizielle Aufnahme ins olympische Programm für 2022 reicht, da ist sie sich nicht so sicher. Dankbar und ohne Neid Ohne Olympia fehlt einer Sportart viel: Zuschauer, Medienpräsenz, Sponsoren. Die Schweizer Mediendatenbank umfasst alle Artikel, die jemals hierzulande in allen Presseerzeugnissen verfasst wurden. Wer die Stichworte «Amélie» und «Reymond» eingibt, findet bei «Blick» und «Neue Zürcher Zeitung» exakt gleiche viele Einträge – nämlich null. Immerhin hat sich der «Tages-Anzeiger» achtmal mit Februar 2016 Snowactive 29 der erfolgreichsten Schweizer Sportlerin befasst. Das hat auch seine Vorteile, zum Beispiel für Journalisten. Es war kein Problem, den Termin für das Treffen mit Amélie Reymond zu finden. Und für den Fotografen hatte sie so viel Zeit, dass Lindsey Vonn im gleichen Zeitraum vermutlich zehn Fototermine durchgepeitscht hätte. Was aber mit Abstand am meisten gefällt beim Gespräch mit Amélie Reymond: Sie verspürt keinerlei Neid, weder auf Vonn noch auf die Kollegen und Kolleginnen bei Swiss-Ski, die mit einem deutlich höheren Budget ausgestattet sind (also alle). 133 000 Franken hat der Verband im Geschäftsjahr 2014/15 insgesamt für Telemark ausgegeben, das ist halb so viel wie für die nordische Kombination. Für einen WM-Titel erhält Amélie Reymond 5000 Franken, dafür legen Verband und Sponsoren zusammen. «Im Winter», sagt Amélie Reymond, «kann ich von meinem Sport leben.» Daneben arbeitet sie beim kantonalen Gesundheitsamt, «das macht sehr viel Spass». Ein Spiel aus Balance und Koordination Amélie Reymond, geboren 1987, kommt aus einer sportbegeisterten Familie, sie war eine begabte Geräteturnerin, auf Alpinski schaffte sie es bis in den Regionalkader, mehr sei nicht dringelegen. Eine Trainerin brachte Telemarkski mit, seither ist die Leidenschaft ungebrochen. Reymond liebt das Spiel mit der Balance und Koordination, die Abwechslung auf den Strecken, die mehrere Disziplinen auf einem Kurs umfassen: Skifahren, Langlaufen, Sprung. Wenn Skispringer Simon Ammann mit dem Telemark bei der Landung Mühe bekundet, verfolgt Amélie Reymond das mit grossem Interesse, sie macht sich Gedanken über sein Schuhwerk (ganz anders als ihres), über sein Tempo bei der Landung (durchaus vergleichbar), und sie lacht bei der Bemerkung, dass in der Schweiz mehr Leute beim Thema «Telemark» ans Skispringen denken als an den eigentlichen Sport Telemark. Doch kommen wir zurück zum Vergleich zwischen Reymond und Vonn. Und da hat die Schweizerin einen klaren Vorteil: sie war noch nie schwer verletzt. An der mangelnden Konkurrenz kann das nicht liegen, auch bei Reymond geht es immer wieder mal um ein paar Hundertstel, «ich darf mir nicht den kleinsten Fehler erlauben», sagt sie. Ist die Technik im Telemark dafür verantwortlich? «Das kann ich mir gut vorstellen», sagt Amélie Reymond, der Körper sei mehr in Bewegung als beim alpinen Fahren. Bevor sie aber in einer Werbekampagne für den gesunden Telemark landet, sagt sie: «Das ist aber nur eine Vermutung, dafür müsste man sich die Sache schon genauer anschauen und untersuchen.» Das Studium der Bewegungswissenschaften an der ETH Zürich hat Spuren hinterlassen, und da ist ja auch das Beispiel der Teamkollegin, die sich bei der Landung nach einem Sprung das Kreuzband riss. Es ist längst dunkel in Sion, Amélie Reymond hat viel erzählt von ihrer Leidenschaft, dem Telemark. Von ihrer Begeisterung für die Natur, ihrem Verzicht auf einen Mentaltrainer, «ich bin immer positiv eingestellt, mir macht mein Sport und auch alles andere sehr viel Spass». Sollen wir hier wieder Linsey Vonn ins Spiel bringen, die an Depressionen leidet, die ein hässliches Ende ihrer Ehe mit Thomas Vonn hinter sich hat, sich nach Jahren des Schweigens mit dem Vater erst wieder aussöhnen musste? Bei allen Welten, die Vonn und Reymond trennen, eines haben die beiden Frauen gemeinsam (neben dem Charme): beide sind schlicht und einfach glücklich, wenn sie auf ihren Ski stehen, die Hänge hinuntersausen. AbfahrtsOlympiasieger Dominique Gisin hat einmal gesagt, es sei gut, den Ehrgeiz zu haben, die Beste der Welt in etwas zu sein. Ob das beim Skifahren sei oder im Coiffeurberuf, das sei absolut nebensächlich. Amélie Reymond gefällt diese Aussage sehr. Sie ist die beste Telemark-Rennläuferin überhaupt. Und das will sie bleiben, solange sie fährt und so lange es Spass Christian Andiel macht. Zahlen im Vergleich Stand 31. Dezember 2015 Lindsey Vonn Amélie Reymond Google 593 000 in 0,48 Sekunden 4340 in 0,50 Sekunden Follower Twitter 402 000 nicht dabei Follower Facebook 1,1 Millionen 1050 Weltcup 352 Starts 118 Podestplätze 71 Siege 143 Starts 133 Podestplätze 99 Siege Seit 2008: 6 von 8 Gesamt-Weltcups 19 von 24 Einzelweltcups WM 15 Starts 15 Podestplätze 8 Siege 30 19 Starts 6 Podestplätze 2 Siege Snowactive Februar 2016
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