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LANDKREIS-MOSAIK
KJ 11/2015
Kommunale Familie muss Unterbringung, Logistik der Versorgung, Betreibung und Wachschutz gemeinsam meistern
Asyl: Weiteres Spitzengespräch des Landrates mit Bürgermeistern
und den Fraktionsvorsitzenden des Kreistages
Die den sächsischen Landkreisen zugewiesene Anzahl von Asylbewerbern
wird deutlich steigen.
Das geht aus der Übersicht der Landesdirektion Chemnitz vom 9. November
zur landesinternen Verteilung hervor.
„Schon ab Mitte November steigt die
Zahl von wöchentlich 49 Personen auf
durchschnittlich 147 Personen und
Mitte Dezember sowie Januar auf wöchentlich 196 Personen“, informierte
der Landrat die Fraktionsvorsitzenden
des Kreistages und die Bürgermeister.
Die nächsten zwei Monate wird man
demnach so viele Menschen aufnehmen
müssen wie bisher insgesamt. Das heißt
für die kommunale Familie nicht nur
die wichtige Frage der Unterbringung,
sondern auch die gesamte Logistik der
Versorgung, Betreibung, Wachschutz
etc. bereitzustellen. Dabei ist der Land-
kreis mit seinen Kommunen im Gesetzesvollzug, appellierte der Landrat an
alle Bürgermeister mitzuhelfen.
Die Turnhallen der Schulen sind zunächst nicht im Blick, machte der Landrat deutlich. Er möchte den vollen Schulbetrieb auch weiterhin gewährleisten.
In erster Linie gilt es jedoch weitere
Unterkünfte zu akquirieren. „Trocken,
warm, satt“ heißt die zu lösende Aufgabe. Gesucht werden weiterhin Wohnungen und verstärkt leerstehende Gewerbeimmobilien und beheizbare Hallen. „Alle Optionen werden aufgerufen“, bat der Landrat die Bürgermeister
um Unterstützung, geeignete Kapazitäten zu finden.
Keil blieb nicht nur bei der Bitte, sondern bedankte sich auch für das bisher
Geleistete. „Das Konzept der dezentralen Unterbringung ging bisher auf“, ver-
wies er auf Plauen, das mit den beiden
Wohnheimen, rund 270 Wohnungen
und der Erstaufnahmeeinrichtung die
meisten Kapazitäten zur Verfügung
stellt. „Wir müssen zusammenstehen
und Mut machen“, warb OB Ralf Oberdorfer für ein abgestimmtes und geschlossenes Handeln.
Mit den anwesenden Dezernenten und
der Beigeordneten wurde deutlich, dass
in der Kreisverwaltung viele Bereiche
involviert sind, die Aufgaben beherrschbar zu organisieren. Auch die als Puffer
seit September ausgewiesene Kapazität
an Notunterkünften schmilzt mit den
neuen Zahlen und muss ebenso hochgefahren werden.
Mit der Unterbringungskapazität ist auch
das Personal zu klären. Schon jetzt hat
der Landkreis befristet und unbefristet
zusätzliche Stellen besetzen müssen. Die
Bürgermeister wurden heute ebenfalls
gebeten, Mitarbeiter befristet abzustellen,
u. a. für die Beurteilung des Brandschutzes bei anzumietenden Immobilien, für
die Bearbeitung in der Ausländerbehörde, in der Kasse sowie Pädagogen
oder Erzieher in der Betreuung.
Hinzu kommt die gesonderte Unterbringung und Betreuung von minderjährigen Flüchtlingen (Uma), die eines besonderen Schutzes bedürfen. Hier hat
die Verwaltung bisher 103 Vorgänge bearbeitet und aktuell 61 junge Männer
unter 18 Jahren sind in verschiedenen
Kinder- und Jugendeinrichtungen untergebracht. Auch hier ist im nächsten
Jahr eine Kapazität von 117 Plätzen zu
stemmen, bei einem Betreuungsschlüssel von einem Sozialarbeiter für 25
Umas.
Bei all den Aufgaben wurde auch die
Einem, dem man es nicht sagt, der
glaubt ein Lehrlingswohnheim oder eine
Jugendherberge zu betreten. Im Treppenaufgang hängt eine Pinnwand mit
Fotos von geselligen Runden, es gibt
einen Reinigungsplan und junge Menschen in den Fluren. Die einen hören
Musik, andere Lesen oder sitzen zusammen und erzählen.
Im ehemaligen Internat des Beruflichen
Schulzentrums Rodewisch, das seit
Mitte Oktober Unterkunft für unbegleitete minderjährige Ausländer ist, ist wieder Leben eingezogen. 20 Jugendliche
im Alter von 14 bis 17 Jahren aus Afghanistan, Syrien, Somalia und Pakistan
sind hier untergebracht und betrachten
das Wohnheim schon ein wenig als ihr
neues Zuhause. Denn viele von ihnen
haben ihr echtes Zuhause verlassen, besser gesagt, verlassen müssen. Beigeordnete Anneliese Ring erinnerte an die im
Eiltempo zu treffende Entscheidung und
bedankte sich beim BSZ, der Stadt Rodewisch für das Verständnis und die Un-
terstützung und bei der kreislichen SBW
für die Zusage zur Betreibung.
Vielleicht sind es nur die wenigen
Worte, die sie vorerst in Deutsch sprechen können. Doch „Perspektivlosigkeit“ und „null Chance“ sind am häufigsten zu hören, wenn die Teenager von
ihrer verlassenen Heimat, deren Städte
nahezu alle von Krieg und Zerstörung
gekennzeichnet sind, sprechen. „Ihr Interesse Deutsch zu lernen ist jedenfalls
groß“, bescheinigt Christine Eichbaum
ihren Schützlingen. Täglich sitzen sie
fünf Unterrichtsstunden über Büchern
und Schreibblock und büffeln Deutsch
im Kurs, den die Volkshochschule direkt
im Internat anbietet. Ein zweiter Kurs
beginnt noch im November, berichten
Annett Weidner, die Geschäftsführerin
SBW Vogtlandkreis gemeinnützigen
GmbH und die Wohnheimleiterin Linda
Seifert. Sie haben die Betreuung der
minderjährigen Ausländer übernommen, die hier ohne Begleitung ihrer Eltern im Vogtland ankommen.
Neben dem Lernen, organisieren die Ju- Abend wird gemeinsam gekocht und ende hat sich bereits eine Familie angendlichen zusammen mit den Betreu- eine warme Mahlzeit zubereitet, weil gemeldet, die mit den Jungs einen Spielern ihren Alltag nahezu selbst. Am das in den Ländern so üblich ist, sagt nachmittag veranstalten will.
Im Wohnheim für minderjährige Ausländer in Rodewisch ist Leben eingezogen
Frage der Finanzierung laut. Es geht
nicht um die Pauschale für Asylleistungen, sondern um die Erstattung aller –
sprich auch der Verwaltungs- und aller
Nebenkosten. „Die Zahlen werden erfasst“, fordert der Landrat weiterhin eine
vollständige Deckung der Ausgaben.
„Ebenso erwarten wir ein konsequentes
Handeln in Sachen Abschiebung“, hieß
es weiterhin bei der für den Vogtlandkreis zu Buche stehenden Zahl von vier
Fällen.
Landrat und Bürgermeister vereinbarten
sich, in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin
die Lage sachlich darzustellen, vor welchen Herausforderungen Landkreis und
Kommunen stehen.
Weitere Infos finden Sie unter
www.vogtlandkreis.de/asyl
Start in einen neuen Alltag: Flüchtlinge kümmern sich um alles selbst
Wissenswert:
Betreuer und Dolmetscher Abdullah Mustafa (l.) bespricht mit den Jugendlichen
den Reinigungsplan für die kommenden Tage.
Foto: Landratsamt
Vogtland Kultur GmbH engagiert sich
Treffpunkt für Deutsch-Kurse und für „Konzerte der Begegnung“
die Wohnheimleiterin. Toiletten und
Zimmer reinigen sie ebenso selbst wie
ihre Wäsche, auch wenn dafür ein straffer Plan her muss, schließlich will ja alles erst einmal gelernt sein. Für die Freizeit, die sie gerne mit Fußball oder Volleyball verbringen, braucht es noch einige Beschäftigungsmöglichkeiten zusätzlich, die man schrittweise anschaffen will. Zurzeit gibt es im Heim neben
einigen Brettspielen nicht viel, so Annett Weidner. Vielleicht haben auch Vereine, Jugendeinrichtungen und Privatpersonen Lust und Interesse mit den Jugendlichen Zeit zu verbringen. Sie können sich im Wohnheim melden, ergänzt
die Wohnheimleiterin. Für das Wochen-
Die kreisliche SBW ist tätig in der
Alten- und Behindertenpflege in Jößnitz und Kauschwitz. Die Betreibung
des Internates ist Neuland. Die erforderliche Betriebserlaubnis ist auf
24 Plätze ausgelegt. Damit werden
zwei Etagen bewohnt.
Drei syrische Mitarbeiter hat die
SBW vermittelt über das Jobcenter
anstellen können. Sie sind unverzichtbar für die Betreuung. Im Übergang hat das LRA neun Mitarbeiter
befristet abgestellt. In Kauschwitz
plant die SBW eine Erweiterung für
15 traumatisierte Jugendliche mit
besonderem Betreuungsbedarf. In
Rodewisch betreibt die Diakonie
noch eine weitere Einrichtung mit
15 Jugendlichen.
Wohnheim BSZ Rodewisch:
28 Wohnheimplätze wurden in Rodewisch für die Internatsschüler gefunden und eingerichtet.
Hilfe und Unterstützung gefragt:
„Die Jugendlichen sollen sich in Rodewisch wohlfühlen und wir wollen
den Bürgern Ängste nehmen“, so
Bürgermeisterin Kerstin Schöniger.
Sie ist zur Unterstützung mit den
Vereinen im Gespräch.
Für den Winter wird noch dringend
Kleidung benötigt.
Hilfe nimmt das Wohnheim unter
03744 3517665 entgegen.
Ordnungsamt begleicht keine
Rechnungen von Diebstählen
Viele Vogtländer wollen sich engagieren. Auf der Suche nach geeigneten Räumen für Deutsch-Kurse fanden Initiatoren
die Unterstützung von Geschäftsführer Jens Pfretzschner. Seit Oktober finden im Neuberinhaus Deutsch-Lehrgänge für
Asylbewerber statt, die in Reichenbach leben. Sie werden ehrenamtlich unterrichtet – von Schülern bis zum Professor.
„Das Allerwichtigste sind die Sprache und die Verständigung miteinander“, so Pfretzschner. Der Wille und die Bereitschaft
auf beiden Seiten ist groß und die Lernbereitschaft enorm, äußern sich die Mitstreiter begeistert. Auch ein spontanes
„Konzert der Begegnung“ fand im Neuberinhaus statt. Eine Gruppe aus Sarajevo auf der Durchreise nach Schweden
nutzte den zusätzlichen Auftrittsort. Spontan kamen via facebook Asylsuchende zusammen, freut sich Pfretzschner auch
über Gespräche vor und nach dem Konzert und hofft, dass weitere Begegnungen in den Einrichtungen der Kultur GmbH
möglich sein werden.
Foto: Vogtland Kultur GmbH
„Asylanten klauen wie die Raben“,
„Randale in Supermarkt“, Tunesier
klaut Parfüm und Schokolade“…, die
sozialen Netzwerke quellen über von
derartigen Meldungen über Flüchtlinge
und Asylsuchende. Viele posten dies
ungeprüft weiter oder tolerieren sie.
Das hartnäckige Gerücht: „Wonach Supermärkte und Geschäfte Diebstähle
durch Asylanten nicht der Polizei melden, sondern die Rechnung an das
Landratsamt schicken sollen und diese
dann vom Amt beglichen wird“, ist ein
weiteres Gerücht und entspricht in kei-
nem Fall der Tatsache.
Wie die Polizeidirektion Zwickau bestätigt, wird jeder angezeigte Diebstahl
zur Strafanzeige gebracht. Es ist ebenso
ein Gerücht, dass das Landratsamt
Rechnungen, Schäden oder gar Verluste
begleichen würde. Auch dazu kommt
aus der Kreisverwaltung ein klares Dementi. Es gibt ebenfalls keine Anweisung der Kreisbehörde, Diebstähle, die
eventuell durch Asylsuchende oder
Flüchtlinge verübt werden, nicht zur
Anzeige zu bringen, stellt das Ordnungsamt der Landkreisverwaltung klar.