«Wir müssen keinen Aktionär zufriedenstellen»

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«Wir müssen
keinen Aktionär
zufriedenstellen»
SERGIO BORTOLIN, GESCHÄFTSFÜHRER DER ASGA PENSIONSKASSE,
ÜBER DIE VORTEILE EINER GENOSSENSCHAFT, DIE HERAUSFORDERUNG
DER TIEFEN ZINSEN, DEN SELEKTIONSPROZESS BEI NEUKUNDEN
UND DIE ZUKUNFT DER BERUFLICHEN VORSORGE.
INTERVIEW KURT SPECK | FOTOS GERRY NITSCH
Niedrige Zinsen sind schon seit längerem
Realität. Mit der Einführung von Negativ­
zinsen hat die Nationalbank den Abwärts­
trend noch verschärft. Beunruhigt Sie das?
Sergio Bortolin: Die Negativzinsen allein bereiten uns keine schlaflosen Nächte. Das ist
einfach ein unliebsamer Kostenfaktor. Die
tiefen Zinsen bei allen Nominalwerten sind
hingegen für sämtliche Pensionskassen eine
grosse Herausforderung. Das wirkt sich nicht
nur im Moment, sondern auf lange Frist aus.
Wie reagieren Sie darauf?
Die erodierenden Zinsen sind kein kurzzeitiges Phänomen. Bereits seit den 90-er Jahren
des letzten Jahrhunderts beobachten wir einen Zinstrend, der nur in eine Richtung geht:
nach unten. Die Asga hat nach der Finanzkrise ihre Lehren gezogen und im Portfolio
gezielt Umschichtungen vorgenommen. Als
Folge der sinkenden Zinsen haben wir seit
2011 den Obligationenanteil um über 10
Prozent vermindert. Dafür wurde eine Allokation mit Dach-Hedge-Fund aufgebaut.
Ist mit diesen alternativen Anlagen nicht
ein höheres Risiko verbunden?
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Nicht unbedingt. Die Frage ist, wie man mit
Hedge Funds umgeht. Natürlich ist eine
Bundesobligation mit einem Coupon von 3
Prozent ein mündelsicheres Papier. Aber
heute ist eine solche Staatsobligation mit einer Nullverzinsung keineswegs risikoarm.
Wir arbeiten mit 17 Hedge Fund Managern,
die drei verschiedene Strategien verfolgen.
Dazu gehören Global-Macro, Equity-Long/
Short- und Rohstoff-Strategien. Die DachFonds bestehen aus insgesamt rund 300 Single Hedge Funds. Eine darauf spezialisierte
Gesellschaft macht für uns die Due Diligence bei den einzelnen Fondsmanagern.
Wir achten strikt auf eine breite Diversifikation. Kein Hedge Fund hält mehr als 1 Prozent unseres Vermögens. Damit senken wir
das Risiko und die Volatilität lag im letzten
Jahr unter 3 Prozent.
Müssen sich die Vorsorgeeinrichtungen
auf eine längere Phase mit niedrigen
Zinsen einstellen oder gibt es bei der Asga
auch ein Szenario mit einem baldigen
Zinsanstieg?
Bei unserer letzten Asset-Liability-Studie basierten wir auf drei verschiedenen Perspekti-
ven. Das Basis-Szenario, mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent, geht von
japanischen Verhältnissen aus, mit längerfristig tiefen Zinsen. Beim Best-Case-Szenario, moderatem Wachstum und langsam
steigenden Zinsen sehen wir eine Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent. Schliesslich
gibt es, gestützt auf die andauernde Geldschwemme durch die Notenbanken, noch
ein Hyperinflations-Szenario, das wir mit
10 Prozent aber als wenig wahrscheinlich
einstufen.
Sie haben die Altersguthaben im letzten
Jahr mit 4 Prozent deutlich über dem
Mindestzins von 1,75 Prozent verzinst.
Wie ist das möglich?
Wir haben einen hohen Deckungsgrad. Als
Gemeinschaftseinrichtung sind wir daran
interessiert, die Guthaben möglichst zeitnah
unter den Aktiven zu verteilen. Mit unserem
neuen Beteiligungsmodell gibt es künftig je
nach Deckungsgrad einen bestimmten Zins.
Die Asga will unabhängig von der gesetzlichen Mindestverzinsung eine ansprechende
Zielrendite erreichen, die beim Basis-Szenario mit durchschnittlich 3,5 Prozent pro •
«Wer über Jahre
hinweg eine gute
Performance
liefert, der hat
auch seinen
Preis», hält Sergio
Bortolin fest.
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Jahr veranschlagt ist. Die Beteiligten sollen daran im Durchschnitt mit 2,75 Prozent
partizipieren. Die zuletzt ausgeschütteten 4
Prozent orientierten sich am damaligen Deckungsgrad von 119 Prozent.
In der Tendenz sinkt aber der Ertrag des
«dritten Beitragszahlers». Sind Ihre
Annahmen nicht etwas gar optimistisch?
Die Schlüsselgrösse ist der Deckungsgrad.
Wenn dieser Eckwert unter 113 Prozent
sinkt, verteilen wir nur noch den Mindestzins.
Die alternativen Anlagen wurden bei der
Asga bereits verstärkt. Gibt es im heutigen
Kapitalmarktumfeld auch einen Trend zu
mehr Aktien und Immobilien?
Ja. Unser Ziel ist ein Anteil am Portfolio von
etwa je einem Viertel bei Obligationen, Aktien, Immobilien und alternativen Anlagen.
Die inländischen Immobilien sollen jedoch
einen Anteil von 16 Prozent nicht überschreiten. Der Rest wird in ausländischen
Liegenschaften investiert.
Gewinnen ausländische Investments
an Gewicht?
Leider trifft das zu. Wenn sich im Inland
keine genügende Rendite erzielen lässt und
das Anlageuniversum beschränkt ist, muss
man sich ins Ausland begeben. In unserem
Fall sind nebst dem Euro rund 3 Milliarden
in US-Dollar investiert.
Erfolgt das mit einer vollständigen
Währungsabsicherung?
Nein, lediglich mit rund 80 Prozent. Der Euro
ist fast komplett abgesichert, während dies
beim Dollar nur teilweise geschieht.
Kommt den Kosten im schwierigen
Umfeld eine erhöhte Bedeutung zu?
Bei den Kapitalanlagen müssen die Kosten
für uns in einem vernünftigen Verhältnis
zum Ertrag stehen. Bei den alternativen Anlagen sind die Kosten höher als bei den konventionellen Investments. Das stört uns
nicht, solange die Performance netto stimmt.
Zudem schätzen wir trotz der höheren Kosten von alternativen Anlagen deren Nutzen.
Braucht es bei den Vermögens­
verwaltungskosten für alternative
Anlagen mehr Regulierung?
Wir setzen uns für eine absolute Kostentransparenz ein. Bei Hedge Funds arbeitet
man in einem internationalen Umfeld, der
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Markt bestimmt die Preise. Deshalb ist es
falsch, wenn nun eine Plafonierung der Total
Expense Ratio (TER) bei den alternativen
Anlagen zur Diskussion steht. Der Regulator
würde bei einer solchen Maximalgebühr in
den Prozess der Asset Allocation eingreifen,
ohne dabei die Verantwortung zu übernehmen. Ein solches Kostendach ist völlig verfehlt und mündet in eine Überregulierung.
Entwickeln Sammelstiftungen,
die bei der Akquisition von Kunden
in einem Konkurrenzkampf stehen,
ein besonderes Kostenbewusstsein?
Durchaus. Bei uns ist kein Kunde verpflichtet
zu bleiben. Wenn er unzufrieden ist, kann er
die Pensionskasse wechseln. Da unterscheiden wir uns wesentlich von einer firmeneigenen Stiftung oder der Vorsorgeeinrichtung
eines Verbandes. Zur Vertrauensbildung
braucht es eine hohe Transparenz gegenüber unseren Destinatären.
Sind weitere Kostensenkungen absehbar?
Bei den Vermögensverwaltungskosten gibt
es noch Optimierungspotenzial. Mit unseren
Hedge Fund Managern stehen wir in ständigen Gesprächen über die Gebührenhöhe. Allerdings muss man auch sehen: Wer über
Jahre hinweg eine gute Performance liefert,
der hat auch seinen Preis. Bei den Verwaltungskosten sind wir mit den ausgewiesenen
180 Franken pro versicherter Person ziemlich am unteren Ende angelangt. Um dieses
tiefe Niveau zu halten, sind wir auf ein ständiges Wachstum bei den Versichertenbeständen und Prozessoptimierungen angewiesen.
ZUR PERSON
DER SPEZIALIST
Sergio Bortolin (54) ist Geschäftsführer
der Asga Pensionskasse, der grössten
unabhängigen Gemeinschafts-Vorsorgeeinrichtung der Schweiz mit über
10 000 Mitgliedfirmen und rund 83 000
Versicherten. Er startete seine Karriere
vor dreissig Jahren bei der Lebensversicherung Winterthur, heute Axa-Winterthur, wo der Spezialist für die berufliche
Vorsorge verschiedene Führungsfunktionen im In- und Ausland bekleidete.
Danach wechselte er als Mitglied der
Geschäftsleitung Schweiz zu Swiss Life,
wo ihm der Bereich Grosskunden und
Partner übertragen wurde.
Die Asga operiert als Genossenschaft.
Welche Vorteile bringt das den Kunden?
Jeder Franken bleibt bei einer Genossenschaft im System. Die Mitarbeitenden der
Asga sind selbst Teil dieser Vorsorgeeinrichtung. Was unsere Interessen sind, gilt auch
für alle anderen Mitglieder der Genossenschaft. Zudem zeigen die tiefen Kosten, dass
wir äusserst effizient arbeiten und nebenbei
keinen Aktionär zufriedenstellen müssen.
Die Lebensversicherer sind mit ihren
Vollversicherungsmodellen gewichtige
Konkurrenten von Sammelstiftungen.
Nun treten gewisse Anbieter dieser
Garantie­lösungen bei der Neuaufnahme
von Kunden auf die Bremse. Bewirkt das für
Sie eine stärkere Nachfrage aus dem Kreis
der kleinen und mittleren Unternehmen?
Ja, das spüren wir. Wenn die Versicherer ihre
Kunden vom Vollversicherungsmodell auf
die teilautonomen Lösungen verschieben
wollen, ist das natürlich Wasser auf unsere
Mühlen. Dies ist seit über einem halben
Jahrhundert unser angestammtes Betätigungsfeld.
Nehmen Sie jedes KMU auf,
auch wenn der Betrieb mehr Rentner
als Erwerbstätige hat?
Nein, wir sind sehr selektiv. Die Asga ist den
Mitgliedern gegenüber verpflichtet, die gesunde Struktur der Kasse zu erhalten.
Wir zeichnen kein Neugeschäft, wenn die
Firma eine Belegschaft mit einem Anteil von
mehr als zwanzig Prozent über 55-Jährigen
aufweist.
Welche Rolle spielt
die Kundenzufriedenheit?
Sie ist für uns sehr wichtig. Wir sind selber
ein KMU und kommunizieren entsprechend
mit unseren Kunden auf Augenhöhe.
Würden Sie für die freie Wahl der
Pensionskasse durch die Versicherten
eintreten?
Absolut nicht. Zu den gewichtigsten Werten
der 2. Säule gehört die Sozialpartnerschaft
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Wird die berufliche Vorsorge individualisiert, geht dies verloren. Der Arbeitgeber
hätte in diesem Fall kein Interesse, mehr als
die minimalen Leistungen zu erfüllen.
Jetzt entscheidet das Unternehmen.
Nach welchen Kriterien bestimmt es
die eigene Vorsorgeeinrichtung?
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Sergio Bortolin:
«Als Gemeinschaftseinrichtung sind wir
daran interessiert,
die Guthaben
möglichst zeitnah
unter den Aktiven
zu verteilen.»
In diesem Bereich wird bereits viel kommuniziert. Bei der Asga wird jeder Rentner mit
15 Prozent aus den Guthaben der Aktiven
querfinanziert.
Wo sehen Sie bei der individuellen
Kommunikation zwischen
Pensionskasse und Versicherten noch
ein Verbesserungspotenzial?
Jede Kasse hat ihre eigenen Kommunikationsmechanismen. Die Asga verfügt über
eine Website mit sämtlichen wichtigen
Kennzahlen, wie Performance und Deckungsgrad oder das Abstimmungsverhalten bei den Generalversammlungen.
Kann der Versicherte via Smartphone
oder Tablet auch zeitnah
seinen Vermögensstand abrufen?
Ein solches Angebot prüfen wir derzeit. Es
stellt sich allerdings die Frage, ob für diesen
Zugriff auch ein grosses Interesse besteht.
Die Pensionskassenlösungen sind stark auf
einen Stichtag orientiert.
«Zur Vertrauensbildung braucht es eine hohe
Transparenz gegenüber den Destinatären.»
Sergio Bortolin, Geschäftsführer der Asga Pensionskasse
Bei den grossen Firmen stützt sich der paritätisch zusammengesetzte Stiftungsrat im
Auswahlprozess auf einen breiten Fächer an
Beurteilungskriterien. Bei kleineren Unternehmen können in einzelnen Fällen auch
Nebengeschäfte für den Vertragsabschluss
entscheidend sein.
Im Nachgang zur Abstimmung über
eine Absenkung des Umwandlungssatzes,
die vom Volk verworfen wurde, gab
es Kritik, die Pensionskassen hätten ihre
Versicherten ungenügend informiert.
Gibt es Nachholbedarf?
Die versicherungstechnischen Realitäten
werden zu stark politisiert. Es ist eine Tatsa-
che, dass die Bevölkerung immer älter wird
und der an einen Umwandlungssatz von 6,8
Prozent gekoppelte Zins von 4,5 Prozent im
heutigen Kapitalmarktumfeld nicht mehr zu
erreichen ist. Da gilt es, einen Mechanismus
zur automatischen Anpassung einzubauen,
wie ihn beispielsweise Schweden und Dänemark bereits kennen.
Ein negativer Aspekt ist die Querfinanzie­
rung von den Erwerbstätigen zu den
Rentnern, die insgesamt auf jährlich bis
zu 3,5 Milliarden Franken geschätzt wird.
Könnten die Pensionskassen mit einer
konsequenten Offenlegung dieser Zahlen
einen Beitrag leisten?
Im überobligatorischen Bereich lässt der
Gesetzgeber flexiblere Vorsorgemodelle
zu. Wie gross ist die Nachfrage nach
individuellen Lösungen für Kader und
Spezialisten?
Das ist eine Nische. Bei der Asga kämen 2,3
Prozent des Versichertenbestandes für eine
solche Lösung in Frage. Entsprechend verzichten wir auf diese sogenannten 1-e Pläne
und überlassen dieses Geschäft den darauf
spezialisierten Firmen.
In der 2. Säule gibt es noch immer gegen
2000 Vorsorgeeinrichtungen. Schreitet
die Konsolidierung bei anhaltend tiefen
Zinsen rascher voran?
Das ist absehbar. Die Asset Allokation gestaltet sich im heutigen Umfeld wesentlich
schwieriger als noch vor zehn Jahren. Derart
anspruchsvolle Investitionsprozesse kann
eine kleinere Kasse allein gar nicht mehr
bewältigen. Die Bildung von effizienten
Anlageportfolios wird noch herausfordernder, wenn der Regulator zusätzlich ein
Kostendach bei den alternativen Anlagen
einführt.
Wie viele Kassen haben wir
bis im Jahr 2020 noch?
Jährlich dürften zwischen 20 bis 30 Vorsorgeeinrichtungen verschwinden, aber am
Schluss werden immer noch gegen 1000
Pensionskassen bestehen.
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