Gespräch zwischen Text und Performance

Gespräch zwischen Text und Performance
Der Text sieht eine Aufführung seiner selbst und ist erfreut. Er spiegelt sich in ihr, ist fast ein
bisschen geschmeichelt. Sie gefällt ihm und er möchte sie kennenlernen. Die Performance
weiß weder von seiner Existenz, noch von seiner Anwesenheit an diesem Abend. Nach der
Vorstellung geht er auf sie zu. Als sie ihn anblickt, ist sie irritiert und weiß nicht so recht, was
sie von ihm denken soll.
Text: Hallo Performance! Sehr erfreut, darf ich mich vorstellen? Ich bin der Text.
Performance: Ähm, hallo Text. Ja, also wie du offensichtlich schon weißt: Ich bin die
Performance. Oder besser gesagt, ich bin eine Performance.
Text: Aber nicht so bescheiden! Du warst fabelhaft. Ich habe mich richtig wiedererkannt.
Performance: Was meinst du mit wiedererkannt? Ich habe dich nicht gekannt, ich kann dich
nicht erkennen und du mich nicht wieder.
Text: Ich wollte nicht an deiner Selbstständigkeit zweifeln. Das würde ich niemals tun. Du
bist absolut einzigartig.
Performance: Ja, das denke ich auch. Dafür brauche ich jedoch nicht deine Anerkennung. Und
du? Wer bist du? Du hast mich gesehen und schon glaubst du mich zu kennen.
Text: Ich wollte mich für die schöne Aufführung erkenntlich zeigen.
Performance: Gut. Ich möchte aber auch etwas über dich erfahren.
Text: Ja, also ich bin eine Performance.
Performance: Hmm, also auch. Ohne an dem Gesagten zweifeln zu wollen, sehe ich einen
Text vor mir.
Text: Das ist richtig. Gut erkannt. Aber im Grunde bin ich eine Performance.
Performance: Vorher hättest du mich gerne von dir abgeleitet gesehen. Nun gibst du zu, nicht
ohne mich zu sein. Du bist ja lustig! Im Übrigen bin ich auch ein Text. Wir brauchen also
nicht länger über Verkennung diskutieren.
Text: Ja zugegeben, kennen müssten wir uns erst lernen. Oder besser noch: lieben. Schließlich
könnten wir uns gegenseitig ganz gut brauchen! So Seite an Seite als des anderen Ergänzung.
Ist das nicht ein schöner Gedanke?
Performance: Also wenn sich unsere Beziehung darin erschöpfen sollte … Ich jedenfalls habe
mir Liebe anders vorgestellt! Wozu sollte ich einen Text brauchen, der an mir zieht, wenn ich
selbst schon Text bin?
Text: Du hast Recht. Warum sollte ich eine Performance lieben, wenn ich selbst Performance
bin? Und wenn mich die Selbstliebe vollauf beschäftigt, wer liebt dann dich?
Performance: Zugegeben, im Akt der Aufführung bin ich du, erscheinst du in mir. Jedoch sind
wir nicht vereinigt von Beginn an. Dies gebe ich dir zu bedenken.
Text: Du sprichst von einer Trennung?
Performance: Ich möchte nur sagen, du warst nicht schon ich vor mir. Deshalb können wir
uns nur kennenlernen bevor du mich sahst. Vielleicht sollten wir etwas trinken gehen, und du
über dich und ich dir über mich erzählen.
Text: Das verstehe ich nicht. Wie soll ich dich erkennen, bevor es dich gibt? Und sage nicht,
das wird nicht mein Problem sein.
Performance: Genau das werde ich dir sagen und eines mehr: Solange du nicht anfängst, für
dich selbst zu denken, wird es mich in deiner Phantasie immer schon geben, lange bevor wir
uns getroffen haben.
Text: Ich möchte mir dich nicht erwünschen. Und will nicht, dass du für mich erscheinst. Ich
wünschte wir könnten einen Ort vereinbaren, an dem du dich zu erkennen gibst. Ich will nur
wissen, wo ich auf dich warten soll.
Performance: Den Ort kann ich dir sagen. Es wird jener sein, an dem du noch Performance
warst und ich noch Text gewesen sein werde.
Text: Einverstanden. Dann wirst du auf mich warten, und ich werde mich in dir wiederfinden.
Lilo Nein, überarbeitete Version, 2009