Geschichte - Grundwissen 7. Jahrgangsstufe
Europa und das Reich im Mittelalter
800 Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom
1077 Höhepunkt des Investiturstreites: Bußleistung Heinrichs IV. vor dem Papst in Canossa
1453 Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen
2. So gliederte sich die mittelalterliche Gesellschaft
Bis zur Französischen Revolution 1789 war Europas Gesellschaft in Stände mit verschiedenen Rechten und Pflichten
unterteilt. Die strenge und verbindliche Rangordnung galt als
gottgegeben. Die Mitglieder der einzelnen Stände suchten sich
auch durch äußere Kennzeichen (Kleidung) voneinander sichtbar
zu unterscheiden. Gegenüber dem Landesherrn beanspruchten
die Vertreter der Stände ein Mitspracherecht. Ständeversammlungen und Landtage sind Vorläufer heutiger Volksvertretungen.
1. Sie herrschten im Heiligen Römischen Reich
An der Spitze des Reiches stand der König. Die Wurzeln des
Königtums liegen in der Vorstellung eines besonderen Königsheils bzw. einer göttlichen Abstammung (Gottesgnadentum). Im
frühen Mittelalter wurde der König von einer adligen Führungsschicht gewählt, auch wenn die Wahl oft nur die Weitergabe des
Titels an einen Erben bestätigte. Durch die Thronfolge eines Verwandten entstanden Dynastien. Könige herrschten im frühen
Mittelalter zunächst über eine bestimmte Gruppe von Menschen
(Personenverband) und erst später über ein Gebiet (! Territorialstaat).
Ein König gewann durch die Kaiserkrönung zusätzliches Ansehen. Der Begriff Kaiser leitet sich ab vom Namen Caesar, der
Bestandteil des Titels der Herrscher des Römischen Reiches seit
Augustus war. Mit der Kaiserkrönung Karls des Großen 800
begründete sich das abendländische Kaisertum, das das weströmische Reich erneuerte und in Konkurrenz zum byzantinischen Kaisertum stand. Im (Heiligen Römischen) Reich konnte dort Kaiser
werden, wer zum deutschen König gewählt worden war. Der
Kaiser war der Repräsentant der christlichen Völkergemeinschaft,
die er schützte. Das Recht, einen Kaiser zu krönen, blieb bis ins
Spätmittelalter den Päpsten in Rom vorbehalten. Seit 1562 war
Frankfurt Wahl- und Krönungsort.
Kaiser: Höchster weltlicher Herrschertitel.
König: Inhaber der höchsten staatlichen Gewalt in
einer Monarchie.
Wichtige Königsfamilien im Reich:
- Karolinger (8./9. Jh.): Karl der Große beherrschte große
Teile Europas. Er war sehr gebildet, mühte sich um eine
Wiederbelebung der Antike und einen Aufschwung der
Künste. Seine Enkel teilten das Reich auf in Westfranken,
Mittelreich und Ostfranken. Aus Westfranken entwickelte
sich Frankreich, aus Ostfranken zunächst das Heilige
Römische Reich, dann Deutschland.
- Ottonen und Salier (10./11. Jh.): Otto I. der Große nahm
sich Karl den Großen zum Vorbild und erneuerte 962 das
Kaisertum. Mit seiner Kaiserkrönung wurde das Kaisertum
auf das (Heilige Römische) Reich übertragen.
- Staufer (12./13. Jh.): Bedeutend waren Friedrich I. Barbarossa (1152-1190) und Friedrich II. (1215-1250). Barbarossa festigte das staufische Königtum im Reich, indem er
Konflikte mit der Familie der Welfen und den oberitalienischen Städten austrug. Friedrich II. interessierte sich für
Künste und Wissenschaften und versammelte Gelehrte und
Dichter an seinem Hof.
a) Der erste Stand (der Lehrstand): die Geistlichen
An der Spitze der Geistlichen (des Klerus) im Reich standen die
Erzbischöfe und Bischöfe. Zum Klerus zählten auch die Priester
sowie Mönche und Nonnen (! Grundwissen Jahrgangsstufe 6).
Sie alle verbreiteten das Christentum und prägten damit die
Entwicklung Europas. Der Stand der Kleriker lebte ehelos; das
bedeutete auch, dass keiner von ihnen seinen Besitz und sein
Amt vererben konnte.
Kirche und Politik arbeiteten seit den Frankenkönigen eng
zusammen. Die Könige bemühten sich später sogar noch stärker,
die Kirche in den Dienst des Reiches zu stellen (Reichskirche).
Sie setzten Männer ihres Vertrauens als Bischöfe und Äbte ein
und übertrugen ihnen wichtige Ämter und große Besitzungen,
sodass diese neben den geistlichen Aufgaben die weltlichen
eines Fürsten erfüllten. Im Gegenzug waren die Bischöfe und
Äbte zu Diensten und Heeresfolge im Reich verpflichtet. Die
Reichskirche wurde auf diese Weise zur wichtigsten Stütze des
Königtums und bildete ein Gegengewicht zu den Herzögen, die
sich gegen die zentrale Reichsgewalt auflehnten. Im 11./12. Jh.
trug der ! Investiturstreit zum Zerfall dieses Systems bei.
- Habsburger: Die Herzöge von Österreich stellten erstmals
1273 und seit 1438 fast ununterbrochen bis zum Ende des
Heiligen Römischen Reiches 1806 den „römischen“ (tatsächlich: deutschen) König bzw. Kaiser. Danach waren sie
Kaiser von Österreich. Mächtigster Habsburger war Kaiser
Karl V. (erste Hälfte 16. Jh.). Er herrschte über das Heilige
Römische Reich, Deutschland und Italien eingeschlossen,
sowie Spanien und die spanischen Kolonien in Amerika.
Das oströmische Kaisertum erlosch bald nach 1453, der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Deren Eroberungen
konnten erst 1683 vor Wien gestoppt werden.
Das Reich hatte keine Hauptstadt; der König reiste zunächst von
Pfalz zu Pfalz (Reisekönig), später regierte er von der wichtigsten
Stadt seines Familienbesitzes aus. In den einzelnen Gebieten oder
Städten herrschten Bischöfe und Adelige, deren Besitzrechte zersplittert und deren Besitzungen weit zerstreut waren. Seit dem 12.
Jh. versuchte der Adel, Besitzungen und Herrschaftsrechte zusammenzufassen und ein geschlossenes Territorium aufzubauen.
In diesem standen nun alle Einwohner allein unter der Gewalt des
Landesherrn (z. B. ! Herzog, Graf), der seine Regierung durch
eine einheitliche Verwaltungs- und Gerichtsorganisation wirksam
verstärkte. Die Landesherren waren allerdings auf die Zustimmung der ! Stände angewiesen, um Kriege und Hofhaltung bezahlen zu können. Sie versammelten daher die Ständevertreter auf
Landtagen und gaben ihnen Mitspracherechte, versuchten aber,
diese Mitsprache so gering wie möglich zu halten. Die Bildung
der Territorialstaaten führte zur Schwächung des Königtums und
löste seit dem 15. Jh. allmählich den Personenverbandstaat ab.
Territorialstaat (Landesherrschaft) (lat. territorium: Gebiet): Bezeichnung für ein Herrschaftsgebiet
(Territorium), über das ein Landesherr ohne Einmischung eines anderen Herrn regierte.
Mächtige Könige und Fürsten setzten immer wieder Freunde als
Bischöfe oder Äbte ein (Investitur). Diesen großen Einfluss von
Adeligen auf die Kirche wollten die Vertreter der Kirchenreform
nicht länger dulden. Sie forderten Freiheit für die Kirche, kein
Laie sollte das letzte Wort in Belangen der Kirche haben. Das
war der Kern des so genannten Investiturstreites, der die religiösen und politischen Grundlagen des Mittelalters erschütterte
und ein Machtkampf um die ! Reichskirche war. Papst Gregor
VII. und Kaiser Heinrich IV. setzten sich 1076 gegenseitig ab
und bannten sich. Heinrich IV. leistete 1077 in Canossa Buße,
um vom Bann gelöst zu werden. Ein Kompromiss konnte erst
1122 mit dem Wormser Konkordat erreicht werden. Der Papst
sollte künftig Bischöfen und Äbten die geistlichen Würden verleihen, der König die weltlichen Herrschaftsrechte. Dies war der
erste Schritt zur Trennung von geistlicher und weltlicher Macht,
was eine Besonderheit Europas ist.
Ständewesen: Herkunft und Abstammung (Geburt) gliederten die
mittelalterliche Gesellschaft in drei Stände, nämlich Klerus, Adel,
Bauern (und später Bürger), sowie in Menschen außerhalb der
Ständegesellschaft (sozial Verachtete: z. B. Henker, Spielleute, Dirnen) sowie Juden.
Reichskirche: Die Gesamtheit der hohen geistlichen Würdenträger
im Reich (Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Äbtissinnen), die Regierungsgeschäfte wahrnahmen.
Investiturstreit (von lat. investire: bekleiden): Streit von Papst und
Kaiser im 11./12. Jh. darum, wer Bischöfe und Äbte einsetzen durfte.
Hintergrund waren die Bemühungen um eine Kirchenreform, die den
Einfluss weltlicher Herrscher auf die Kirche zurückdrängen wollte
(„Freiheit für die Kirche!“). Der Investiturstreit erreichte seinen
Höhepunkt mit dem Bußgang Heinrichs IV. vor dem Papst in
Canossa 1077.
b) Der zweite Stand (der Wehrstand): die Welt des Adels
c) Der dritte Stand (der Nährstand): das Leben als Bauer
Die Adligen genossen ein hohes Ansehen in der Gesellschaft,
besaßen Steuer- und andere Freiheiten sowie Vorrechte auf die
wichtigsten Ämter. Sie dienten dem König (! Lehenswesen)
und verlangten ihrerseits von ihren Abhängigen Abgaben (!
Grundherrschaft). Zum Adel zählte man durch Geburt (Geburtsadel) oder Dienst im Auftrag des Königs (Dienst- oder
Amtsadel). Zum Hochadel gehörten die Herzöge und Grafen,
zum niederen Adel die Ritter und Ministerialen (Dienstmannen).
Adel (althochdeutsch edili: die Edelsten): Bezeichnung
für die Gruppe mächtiger Familien, die im Mittelalter
durch ihre Abstammung und durch Grundbesitz besondere Rechte gegenüber der übrigen Bevölkerung
beanspruchte.
Das Wort Herzog ist germanischen Ursprungs und bezeichnet
den hohen Adeligen, der in der Schlacht vor dem „Heer zog“.
Seit dem 7. Jh. schafften es die Heerführer, ihre führende
Stellung innerhalb ihrer Stämme auch im Frieden beizubehalten
und an ihre Nachfahren zu vererben. So wurden sie in ihrem
Streben nach Macht häufig zu Rivalen des Königs, blieben ihm
aber zur Heeresfolge verpflichtet. Seit Ende des 12. Jh. wurde
aus dem Stammesherzog ein Territorialherzog (Landesherr).
Herzog: Bei den Germanen der oberste gewählte
Heerführer eines Stammes.
Ein Graf hingegen wurde ursprünglich vom König zur Verwaltung eines kleineren Gebietes eingesetzt.
Aus dem Hochadel, den Herzögen, wichtigsten Grafen und
Bischöfen, entstammten die Kurfürsten. Das Wort Kur bedeutet „Wahl“. Sieben Fürsten bekamen durch die Goldene
Bulle 1356 das alleinige Privileg, den König zu wählen. Mit
„Bulle“ wurde im Mittelalter ein rundes Metallsiegel bezeichnet,
seit dem 13. Jh. auch die gesiegelte Urkunde selbst. Die sieben
Kurfürsten waren die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier,
der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von
Sachsen und der Markgraf von Brandenburg. Im 17. Jh. kamen
zwei weitere hinzu: der Herzog von Bayern und der Herzog von
Braunschweig-Hannover.
Kurfürsten: Die Fürsten, die nach der ! Goldenen
Bulle den König und Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches „küren“ (wählen) durften.
Seit dem 8. Jh. bildete sich ein eigener Kriegerstand aus Reiterkriegern heraus, der zum niederen Adel aufstieg: die Ritter.
Neben Kenntnissen im Kampf entwickelten die Ritter auch
Ideale wie Schutz der Schwachen, Treue zu Gott und König,
Tapferkeit und faires Verhalten im Kampf. Auch das höfliche
Benehmen Damen gegenüber gehörte zur Ritterpflicht. Die
höfischen Umgangsformen schlugen sich u. a. in Ritterromanen
und Minnesang (Liebesdichtung des Mittelalters) nieder. Die
Ritter trainierten in Turnieren Kampfesweisen, ernteten dabei
Ruhm, Geld und Ehre oder verschuldeten sich bei Niederlagen.
Die Aufnahme in den Ritterstand fand nach Jahren der Lehre als
Page und Knappe statt. Die Ritter errichteten sich Burgen als
ihre Wohnsitze. Die Burgen waren auch Herrschaftszentren,
Wirtschaftshöfe, Verwaltungssitze und Wehranlagen. Vor allem
sollten die Burgen die Macht eines Ritters zeigen und sein
Ansehen vermehren. Höhepunkt der ritterlichen Kultur stellte
die Zeit der Staufer dar. Veränderungen in Kriegstechnik, Wirtschaft und Gesellschaft führten im 14. Jh. zum Bedeutungsverlust des Rittertums: Sie verarmten oder stellten sich in den
Dienst der Landesherren.
Ritter (mittelhochdeutsch rîter: Reiter): Im Mittelalter
zu Pferde und in voller Rüstung kämpfender Berufskrieger.
Die Kreuzritter folgten einem Aufruf des Papstes 1095, das
Heilige Grab in Jerusalem dauerhaft von der Herrschaft der
Muslime zu befreien. Der Name wird von dem Kreuz abgeleitet,
mit dem sich die Teilnehmer kennzeichneten. In die sieben
Kreuzzüge zogen neben Rittern auch andere Gläubige, da sie
den Kreuzzug als bewaffnete Pilgerfahrt auffassten, für die sie
Erlass ihrer Sünden und den Weg ins Paradies erwarteten. Ihr
Ziel erreichten die Kreuzritter nicht, der Kontakt mit der islamischen Welt brachte aber neue Kenntnisse und Gedanken nach
Europa. Der Begriff Kreuzzug umfasst auch die Kriege, zu
denen die Kirche im Mittelalter gegen Heiden oder Ketzer aufrief. Während der Kreuzzüge entstanden auch die Ritterorden.
Aus diesen entwickelten sich die heutigen sozialen Orden, z. B.
Malteser und Johanniter.
Kreuzzüge: Kriegszüge abendländischer Kreuzritter
zwischen 1096 und 1291 zur Befreiung des Heiligen
Landes von der Herrschaft des Islams.
Goldene Bulle: bedeutendstes Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches, das die Stellung der !
Kurfürsten und die deutsche Königswahl regelte.
Über 80 Prozent der Menschen lebte auf dem Lande und von
dem Lande. Reichtum wurde in Grundbesitz angelegt, denn so
erhoffte man sich eine sichere Ernährung. Ernteausfälle durch
Krieg oder schlechtes Wetter führten zu Hungersnöten und
Krisen. Geschwächte Menschen starben auch schneller an
Krankheiten, z. B. um 1350 an der großen europäischen Pestwelle, die ganze Landstriche auslöschte.
Nach Tradition aus Zeiten der Völkerwanderung gehörte alles
Land, alle Vorrechte und Ämter dem König. Er verlieh sie als
Lehensherr an seine Gefolgsleute (Lehensleute/Vasallen).
Unter einem Vasallen versteht man einen freien Mann, der sich
freiwillig unter die Herrschaft eines anderen begab. Vasall und
Lehensherr standen in einem Treueverhältnis, der Vasall leistete
lebenslange Gefolgschaft und Waffendienst, der Lehensherr versprach Schutz. Die Vasallen des Königs (Kronvasallen) konnten
ihrerseits Vasallen haben (Untervasallen). Mit der Zeit wurde es
üblich, dass der Sohn eines Vasallen dessen Lehen erbte. Dadurch fühlte sich der Erbe als Herr des eigentlich geliehenen
Landes (Landesherren) und erlangte eine starke Machtposition
gegenüber dem König. Die Macht des Königs war auch dadurch
geschwächt, dass die Untervasallen dem Kronvasallen und nicht
dem König selbst verbunden waren.
Lehenswesen: besondere Form der Herrschaft, die das Zusammenleben der Menschen im Mittelalter regelte und die Grundlage der
politisch-gesellschaftlichen Ordnung bildete.
Der König stattete nicht nur Vasallen mit Ländern und Rechten
aus, sondern auch Klöster und Städte. Sie alle übergaben als
Grundherren Land an Bauern zur Bewirtschaftung und gewährten Schutz. Ein Einzelner konnte das Land nicht bearbeiten,
die Familie musste helfen. War ein Bauernkind alt genug,
verfügte oft der Grundherr seine Heirat und übertrug ihm eine
neue Hufe. So kam es zu der typisch europäischen Kleinfamilie
aus Eltern und Kindern, während Großeltern oder Tanten/Onkel
in anderen Haushalten lebten.
Die Bauern waren als Hörige zu Abgaben und Frondiensten
verpflichtet, sie waren auch in persönlicher Hinsicht vom Grundherrn abhängig. Der Grundherr hatte die niedere Gerichtsbarkeit,
konnte also die Hörigen bei Vergehen verurteilen, außer wenn es
sich um ein Verbrechen handelte, auf das die Todesstrafe stehen
konnte.
Die Grundherrschaft formte die Wirtschaft und Gesellschaft
Europas über Jahrhunderte, in Deutschland bis 1800.
Im Laufe des Mittelalters wuchs die Bevölkerung an, die
Landesherren mühten sich um eine dichtere Besiedelung und
Fruchtbarmachung des Landes (Landesausbau). Auch die von
Slawen dünn besiedelten Gebiete östlich der Elbe und Saale
wurden durch deutschsprachige Bauern erschlossen, meist sogar
oft auf Bitten slawischer Fürsten. Diese Ostsiedlung vollzog
sich weithin friedlich durch die Arbeit von Bauern und Handwerkern. Sie war allerdings auch mit Eroberungskriegen deutscher Fürsten und des Deutschen Ordens verknüpft.
Ostsiedlung: eine vom 12. bis zum 14. Jh. währende abendländische
Siedlungsbewegung im ostmittel- und osteuropäischen Raum.
d) Der dritte Stand (der Stand von Handel und Gewerbe):
das Leben als Bürger
Europa auf dem Weg in die Neuzeit
Die ersten Städte des Mittelalters haben sich in der Nachfolge
römischer Kastelle, um bedeutende Klöster oder Bischofssitze
herum, am Fuß von Burgen, an Land- oder Wasserstraßen oder
an Lagerstätten für Bodenschätze (z. B. Salz oder Metall) entwickelt. Später gründeten weltliche und geistliche Herren
weitere Städte. Um Einwohner zu gewinnen, gewährten sie in
den Gründungsurkunden ihren ! Bürgern besondere Rechte
und Freiheiten (Privilegien), z. B. einen Markt abzuhalten,
Zölle zu kassieren, eine Währung einzuführen, sich mit einer
Mauer zu schützen und sich selbst zu verwalten. Die Bürger
zahlten im Gegenzug Steuern und Abgaben.
Stadt: eine größere Siedlung mit Stadtrecht, das das 1492 Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus
Leben der Bürger untereinander sowie ihre Beziehun- 1517 Beginn der Reformation
gen zum Stadtherrn regelte. Seine Grundlage bildeten
1618-48 Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede
die vom Stadtherrn verliehenen Markt- und Befestigungsrechte.
1. Was ist neu in der Neuzeit?
Im 11. und 12. Jh. gründeten die deutschen Könige Städte auf
eigenem Land. Diese errangen im Laufe der Zeit die Selbstverwaltung, denn der König überließ die Regelung der städtischen
Angelegenheiten der bürgerlichen Oberschicht. Die Reichsstädte waren dafür dem König zu Abgaben und Diensten
verpflichtet. Reichsstädte waren z. B. Augsburg, Nürnberg,
Regensburg, Frankfurt am Main und Hamburg. Ihre besondere
Stellung verloren sie erst beim Untergang des Heiligen
Römischen Reiches 1806.
Reichsstadt: Städte, die auf Königs- oder Reichsgut
lagen und dem König bzw. Kaiser unmittelbar unterstanden (reichsunmittelbare Städte).
Die meisten Städte zählten damals nur um die 200 Menschen.
Das Bürgerrecht beruhte im Mittelalter auf städtischem Grundbesitz und war erblich. Kein Bürgerrecht hatten Gesellen, Gesinde, Arme und Juden. Die Frauen genossen das Bürgerrecht
der Männer, hatten jedoch keinen Sitz im Stadtrat, da sie keine
politischen Rechte innehatten. Die Macht besaßen zunächst die
reichen Kaufmannsfamilien, ab dem 14./15. Jh. z. T. auch die
Zünfte der Handwerker, den Berufsverbänden der Gewerbe.
Bürger: Alle freien Einwohner einer Stadt, die das
Bürgerrecht besaßen und damit am politischen und
sozialen Leben der Stadt teilnehmen durften.
Der Name Ghetto stammt von einer Insel in Venedig, die 1516
von der Stadtverwaltung zum einzigen Wohnort der jüdischen
Gemeinde bestimmt wurde. Judenviertel gab es bereits in der
Spätantike. Im 12. Jh. wurde von der
der Kirche die räumliche Trennung
von Juden und Christen beschlossen.
Sie wurde zunächst kaum befolgt.
Das erste Ghetto im Heiligen Römischen Reich entstand 1462 in Frankfurt am Main, weitere gab es z. B. in
Köln, Worms und Regensburg.
G(h)etto: Bezeichnung für ein von anderen Stadtteilen
abgetrenntes Wohngebiet der Juden.
Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ist durch eine Vielfalt von
Entwicklungen gekennzeichnet, die im Verlauf einiger Jahrzehnte
(etwa 1450 bis 1500) die meisten Lebensbereiche und das Denken vor
allem der gebildeten europäischen Menschen grundlegend veränderten:
! Renaissance, ! Humanismus, der Buchdruck und andere revolutionäre Erfindungen, die Entdeckung Amerikas und die Eroberung unbekannter Erdteile, Veränderungen in der Wirtschaft (Gewinnstreben),
im Glauben (Reformation) sowie in der Kunst.
Neuzeit: In der europäischen Geschichte die Zeit ab etwa
1500, die das Mittelalter ablöst.
Im 15. Jh. wandten sich viele Menschen in den norditalienischen
Städten der griechisch-römischen Vergangenheit zu. Dort suchten sie
die Vorbilder für ihr Leben und trennten sich von der kirchlich-religiösen Bevormundung des Mittelalters, das ihnen als finster und
barbarisch erschien. Der einzelne Mensch rückte in den Mittelpunkt des
Interesses, er sollte seine Fähigkeiten entfalten und durch eigenständiges Denken und Beobachten die Natur erkennen. Maler, Bildhauer, Dichter, Philosophen, Wissenschaftler verbreiteten diese neuen
Gedanken in Europa. Renaissance ist der Epochenbegriff für die Zeit
des Übergangs vom Mittelalter zur ! Neuzeit.
Renaissance (frz.: Wiedergeburt): Kunst- und Kulturepoche
vom 14. bis zum 16. Jh., in der antike Kunst und Denkweise
neu entdeckt wurden. Diese brachten eine Veränderung des
Welt- und Menschenbildes mit sich.
Künstler und Gelehrte beschäftigten sich mit antiken Werken, suchten
nach den unverfälschten Quellen der antiken Bildung, die nun für alle
Bereiche des menschlichen Lebens als vorbildlich galt, und machten
den Menschen zum Ausgangspunkt und Maß des Denkens und Handelns. Diese Bewegung wird Humanismus genannt.
Humanismus (lat. humanus: menschlich): Geisteshaltung, die
ab dem 14. Jh. für eine umfassende Bildung des Menschen
eintrat. Wissenschaft und Kunst der Antike waren für die
Humanisten Ausgangspunkt ihrer Vorstellungen und Lehren.
1492 suchte Christoph Kolumbus im Auftrag der spanischen Krone
eine Westweg nach Indien. Als er an Land ging, dachte er, er habe
Indien erreicht, und nannte die Bevölkerung dort Indianer. Tatsächlich
hatte er einen bis dahin unbekannten Kontinent entdeckt, der später die
Bezeichnung Amerika bekam.
1492 Landung von Christoph Kolumbus in Amerika; das
Zeitalter der Entdeckungen folgte.
2. Reformation und Dreißigjähriger Krieg
Im Heiligen Römischen Reich machte vor allem Martin Luther
(1483-1546) von sich reden. Er veröffentlichte 1517 seine 95
Thesen über den Ablass in Wittenberg, bestritt später die
Führungsrolle des Papstes und klagte verschiedene Missstände in
der Kirche an. Der Konflikt zwischen Luther und der katholischen Kirche führte zur Reformation (Auflösung der kirchlichen
Einheit des Abendlandes). Luther machte die Bibel zur alleinigen Grundlage des Glaubens, übersetzte das Neue Testament
vollständig ins Deutsche und verbreitete die Übersetzung im
neuen Buchdruck. Luthers Auftreten und sein Freiheitsgedanke
stießen bei der bäuerlichen Bevölkerung auf Zustimmung, denn
die Abhängigkeit vom Grundherrn hatte große soziale Probleme
geschaffen. 1524/25 kam es v. a. im Südwesten des Reichs zu
Aufständen, die aber niedergeschlagen wurden. Im Trienter
Konzil (1545-1563) formulierte die katholische Kirche eine
Gegenposition, doch die Einheit der lateinischen Christenheit
war verloren.
3. Frankreich und England setzten neue Maßstäbe
Martin Luther: deutscher Reformator. Seine Lehre
wollte die Bibel (das Wort Gottes) zur Grundlage des
Glaubens und der Glaubenslehre machen (innere Kritik)
und die sittlichen Schwächen der Kirche zu beseitigen
(äußere Kritik).
1517 Beginn der Reformation (lat. reformatio:
Wiederherstellung): ! Martin Luther veröffentlichte
seine Thesen mit Kritik an Missständen in der Kirche.
Das Bemühen um eine Glaubensreform führte schließlich zur Spaltung der Kirche in katholisches Glaubensbekenntnis und protestantische Richtungen.
Zudem trat das Reich Gebiete an Schweden und Frankreich ab,
die Schweiz und die Niederlande schieden aus dem Reich aus.
Seit dem ! Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) führten die absolutistisch regierenden Herrscher stehende Heere ein. Innenpolitisch benutzten die Monarchen sie, um Aufstände niederzuschlagen und die
Staatsgewalt zu zentralisieren. Damit wurden sie zu wichtigen innenund außenpolitischen Machtinstrumenten.
Absolutismus (lat. absolutus: losgelöst): Herrschaftsform im
17. und 18. Jh., in der die Fürsten ihre Stellung von Gott
ableiteten („Gottesgnadentum“) und „losgelöst“ von den
Gesetzen regierten.
Merkantilismus (lat. mercator: Kaufmann): Die staatlich
gelenkte Wirtschaftsform des ! Absolutismus.
Eine bessere Verwaltung des Landes wollten die absolutistischen Herrscher durch die Ausbildung von Spezialisten erreichen. Zur Ausbildung
dieser Beamten wurden höhere Schulen errichtet; dagegen bekam der
Adel, der bisher diese Aufgabe wahrnahm, eine neue Rolle beim prunkvollen Leben am Hof des Königs.
In der Folgezeit wurde Europa durchzogen durch heftigen Streit
zwischen Befürwortern Luthers, anderen Reformatoren und der
Papstkirche. Jede Seite versuchte auch mit Gewalt die Oberhand
zu gewinnen. Im Heiligen Römischen Reich gelang zunächst
ohne Krieg ein Ausgleich 1555 zwischen protestantischen und
katholischen Fürsten. Doch hingen auch die Fürsten unterschiedlichen Richtungen an und versuchten jeweils auf Kosten eines
anderen an Macht zu gewinnen.
Blutiger Höhepunkt des Machtkampfes war der Dreißigjährige
Krieg (1618-1648): In ihm kämpften Reichsfürsten gegeneinander (z. B. die Wittelsbacher in Oberbayern gegen die in der
Pfalz). Auch ausländische Mächte schalteten sich auf der katholischen Seite der Papst und Spanien ein, und auf evangelischer
Böhmen, Dänemark, Schweden und das katholische Frankreich.
Nach dreißig Jahren Kämpfen, Plünderungen, Vernichtungen,
Krankheiten, Hungersnöten hatte das Reich ein Drittel seiner Bevölkerung verloren und war ausgeblutet, ohne dass es zu einer
endgültigen Entscheidung gekommen wäre. Das Reich blieb
konfessionell gespalten.
In Münster verhandelte der Kaiser mit Frankreich und den
katholischen Reichständen, in Osnabrück mit den Schweden und
den protestantischen Reichsständen (Westfälischer Friede).
Ergebnisse waren die Gleichberechtigung zwischen Katholiken,
Lutheranern und Calvinisten, das Recht der Untertanen, ihr Bekenntnis frei zu wählen, das Recht der Landesfürsten, über
Bündnisse weitgehend selbständig zu entscheiden, und die
Beschränkung der Macht des Kaisers durch den Reichstag.
Das Schwergewicht der Politik verlagerte sich so vom Reich auf
die ! Territorialstaaten.
Die absolutistisch regierenden Fürsten fühlten sich nur Gott und ihrem
Gewissen verantwortlich (Absolutismus). Der Monarch wollte oberster
Gesetzgeber und oberster Richter sein und die uneingeschränkte und
ungeteilte Herrschaftsgewalt (Souveränität) besitzen. Als Vorbild galt
der französische König Ludwig XIV., der in seinem neuen Schloss in
Versailles prunkvoll und ausschweifend luxuriös lebte. Zu Stützen
seiner Macht entwickelte dieser das stehende Heer (Berufsarmee), die
Beamtenschaft, den ! Merkantilismus und den Einfluss auf die
Kirche seines Landes.
Dreißigjähriger Krieg (1618-1648): zunächst ein
Krieg um Glaubensfragen, dann ein großer und langer
europäischen Machtkampf: Einerseits wollten protestantische Fürsten ihre Unabhängigkeit gegenüber dem
Kaiser durchsetzen, zum anderen kämpften die Länder
zunehmend um ihre Machtstellung in Europa.
Westfälischer Friede: Bezeichnung für die 1648 in
Münster und Osnabrück abgeschlossenen Friedensverträge, die den ! Dreißigjährigen Krieg mit religiösen und politischen Kompromissen beendeten.
Um die vielen Mittel für das aufwändige Hofleben, die Beamten und
die Berufssoldaten aufzubringen, musste durch intensiven Handel
möglichst viel Geld ins Land kommen und möglichst wenig das Land
verlassen. Die Regierung erhöhte daher die Ausfuhr von Fertigwaren
und erschwerte durch hohe Zölle die Einfuhr ausländischer Produkte.
Durch eigene Kolonien kam man an billige Rohstoffe. Die Regierung
förderte Unternehmer und qualifizierte Arbeiter, die in den neuen
Manufakturen Waren produzierten. Im Inland beseitigte der Staat
Handels- und Gewerbeschranken. Diese Wirtschaftspolitik hieß Merkantilismus. In Frankreich blieb Colberts Bemühen, den Staat durch
eine blühende Wirtschaft zu stärken, auf die Dauer erfolglos. Ludwig
XIV. verbrauchte mehr Geld, als Colbert beschaffen konnte.
Auch außenpolitisch wollte Ludwig XIV. seine Macht und dadurch
seinen Ruhm vermehren. Er versuchte in zahlreichen Kriegen gegen
seine Nachbarn die Vorherrschaft (Hegemonie) in Europa zu erlangen.
Allerdings führte seine Außenpolitik zum Prinzip des Mächtegleichgewichts in Europa (Gleichgewichtspolitik). Die „balance of power“
strebt eine gleichmäßige Verteilung der Macht auf mehrere Festlandstaaten Europas an.
Im Zuge dieser Politik wurde jeweils die schwächere Staatengruppe
gegenüber den stärkeren Mächten unterstützt. England, dessen Interessen auf den Weltmeeren lag, übernahm dabei die Rolle eines Schiedsrichters.
In England entwickelte sich eine Alternative zum ! Absolutismus.
Hier wurde die Herrschaft des Königs durch Rechtstexte von Verfassungsrang (Verfassung: Konstitution) eingeschränkt. Diese Verfassung legt eine Mitwirkung der Volksvertretung bei der Gesetzgebung
und Staatsführung fest. Der zunächst noch ziemlich starke Einfluss des
Königs wurde im Laufe der Entwicklung zugunsten des Parlaments
zurückgedrängt. So kann England heute als „parlamentarische Monarchie“ oder „konstitutionelle Monarchie“ bezeichnet werden.
Das englische Parlament entwickelte sich aus den Beratungen am
königlichen Hof. Unter König Johann „Ohneland“ erstarkte das Parlament. Im 14. Jh. teilte es sich in das Oberhaus mit Vertretern des Hochadels und die hohe Geistlichkeit (House of Lords) und in das Unterhaus
mit gewählten Vertretern einzelner Grafschaften (House of Commons).
In den Revolutionen des 17. Jh. besiegte das Parlament die Könige und
vereitelte ihre Versuche, den ! Absolutismus in England einzuführen.
Hegemoniestreben: Streben nach Vormacht eines Staates
gegenüber anderen Staaten, die sich auf Überlegenheit in
Politik, Wirtschaft oder Militär stützt.
Gleichgewichtspolitik (engl. balance of power): Außenpolitisches Ziel der europäischen Großmächte, vor allem Englands, seit dem ! Westfälischen Frieden, um das ! Hegemoniestreben eines Staates auf dem Kontinent zu verhindern.
Konstitutionelle Monarchie: Regierungsform, in der die
absolute Macht des Königs durch eine Verfassung begrenzt
wird.
Parlament (frz. parler: reden): Versammlung der Stände Adel
und Geistlichkeit und später auch Vertreter der Städte, die den
König berieten. Später erhielten sie das Recht, bei der Regierung mitzubestimmen.