Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208, 87-94 Kohlendioxid-Betäubung beim Schwein – gibt es eine tierschutzgerechtere Gasbetäubung? U. Machold Hochschule Weihenstephan-Triesdorf Zusammenfassung Der Tierschutz ist auf Grund der zunehmenden Sensibilität des Verbrauchers sowohl bei der Haltung als auch bei der Schlachtung ein sehr aktuelles Thema. Die Kohlendioxidbetäubung als ein gängiges Betäubungsverfahren in der Praxis steht auf Grund der aversiven Wirkung bei Schweinen in der bewusst wahrgenommenen Einleitungsphase stark in der Diskussion! Gibt es eine tierschutzgerechtere Gasbetäubung für Schweine? Verhaltensuntersuchungen mehrerer Autoren zeigten, dass inerte Edelgase wie z. B. Argon deutlich schonender und nicht aversiv für die Tiere sind. Dies konnte auch in Praxisversuchen mit Argon, ArgonMischungen und einem zweistufigen Verfahren mit Argon zur Einleitung und CO2 zur Narkosevertiefung, bestätigt werden. Stickstoff ist auf Grund seiner vergleichbaren Dichte zu Luft schwer in Gruben zu halten. Dies kann durch Mischungen mit CO2 in Konzentrationen von 15, 20 und 30 Vol. % verbessert werden, wobei der Tierschutz-Aspekt hier nicht überzeugen konnte. Bei allen Gemischen und auch bei Argon war die Fleischqualität, im Gegensatz zur Betäubung mit Helium, unzureichend. Helium war auch tierschutzgerechter in der Einleitungsphase der Betäubung. Nachteilig ist, dass auf Grund der geringen Dichte des Gases eine neue Technik benötigt wird. Schlüsselwörter Tierschutz – Betäubung – Schweine – CO2 – Edelgase (Argon, Helium) – Stickstoff Einleitung und Problemstellung sichtigung der besseren Fleischqualität geht die Tendenz mehr und mehr zur Gasbetäubung. Aber auch diese Betäubungsform wird aus Sicht des Tierschutzes vielfach kontrovers diskutiert. Die Schleimhaut reizende und die atemstimulierende Wirkung (subjektives Erstickungsgefühl) von Kohlendioxid (CO2) ist in der Kritik. Der Tierschutz steht zunehmend im Inte- resse des Verbrauchers. Nicht nur bei der Haltung unser landwirtschaftlichen Nutztiere, sondern auch bei der Schlachttierbetäubung ist der Tierschutz ein viel diskutiertes Thema. Derzeitig werden bei der Schweineschlachtung die Kohlendioxid- (CO2) und die Elektrobetäubung routinemäßig zur Ruhigstellung und Herbeiführung der Bewusstlosigkeit vor dem Blutentzug eingesetzt. Mit steigenden Schlachtzahlen und unter Berück- Gibt es tierschutzgerechtere Gasbetäubungsverfahren? 87 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 Nachfolgend sollen kurz die gesetzlichen Vorgaben, der aktuelle Stand der Technik bei der industriellen Betäubung von Schweinen mit Gas dargestellt und mögliche tierschutzgerechtere Verfahren diskutiert werden. Stand der Technik Der Ist-Stand der Betäubungstechnik ist v. a. mit Blick auf die Umsetzung tierschutzgerechter Gasbetäubungsverfahren in der Praxis von Bedeutung. Die Anwendung der Gase erfolgt in Gruben. Hier sind derzeitig sogenannte „DipLift“-Anlagen mit (nur) einer Gondel oder „Paternoster“-Anlagen mit mehreren Gondeln im Einsatz. Eine tierschutzgerechte Optimierung hat hier bereits im Zutrieb stattgefunden. So werden bei den „Backloader-Anlagen“ der Firma Butina oder modifizierten Systemen anderer Anbieter die Tiere artgerecht in Gruppen mit pneumatischen Treibhilfen schonend in die Betäubungsgondel getrieben. Dies dient zur deutlichen Stressminimierung bei den Schlachttieren. Rechtsgrundlage und Vorgaben Die VERORDNUNG (EG) Nr. 1099/2009 DES RATES vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung erlaubt für die Betäubung von Schlachtschweinen den penetrierenden Bolzenschuss, die Elektro- sowie die Gasbetäubung. Neben CO2 können auch Edelgase wie z. B. Argon allein oder in Form von Gasgemischen mit CO2 eingesetzt werden. Nähere nationale Regelungen zur Betäubung finden sich in der Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates „Tierschutz-Schlachtverordnung“ vom 20. Dezember 2012. Die rechtlichen Vorgaben hinsichtlich Verweildauer (> 100 Sekunden) und Gaskonzentration (> 80 % CO2) werden in der Praxis zumeist deutlich übertroffen. Kohlendioxid (CO2) und Edelgase – Betäubungswirkung Wird CO2 zur Betäubung von Schweinen eingesetzt, so muss die zulässige Konzentration mindestens 80 % über eine Zeit von 100 Sekunden betragen. Zur Beurteilung der Betäubungsqualität sind Schlüsselparameter wie Kohlendioxidkonzentration, Dauer der Exposition, Höchstdauer zwischen Betäubung und Entblutungsschnitt (in Sekunden), Gasqualität, Gastemperatur und die Rest-Sauerstoffkonzentration bei Edelgasen festgelegt. Die Temperatur des Gases muss optimiert sein, da es bei starken Temperaturschwankungen zum Beispiel zu Verbrennungen oder zum Frieren der Tiere kommen kann. Der Unternehmer muss zudem durch regelmäßige Kontrollen der Schweine sicherstellen, dass diese keine Anzeichen von Wahrnehmung oder Empfindung zwischen dem Ende des Betäubungsvorgangs und dem Eintritt des Todes zeigen. Die ordnungsgemäße Betäubung wird zusätzlich durch eine kontinuierliche Messung und Aufzeichnung der Gaskonzentration und der Expositionsdauer überwacht. Das zur Betäubung eingesetzte CO2 führt in der Einleitungsphase zu stark atemstimulierender Wirkung mit Hyperventilation, ausgeprägter Atemnot (RAJ et al., 1990; HARTUNG et al., 2002) und Erstickungsgefühl. Dies beruht auf einen Anstieg von CO2 in der Atemluft der Schweine, der wiederum durch Anregung spezifischer Chemosensoren zur massiven Steigerung der Atemfrequenz führt (NATTIE, 1999). Die Betäubungswirkung des CO2 beruht auf dem Absenken des pH-Wertes der Cerebrospinalflüssigkeit im zentralen Nervensystem (EISELE et al., 1967). Zudem wirkt das Gas auf die Schleimhäute reizend. Beides führt vor Eintritt der Bewusstlosigkeit zu deutlichen Abwehrreaktionen der Schweine u. a. mit Lautäußerungen, Zurückdrängen, Kopfschütteln, Maulatmung, Sprüngen in die Luft, Fluchtversuchen. Diese Aversionen konnten in mehreren Verhaltensstudien zur CO2Betäubung nachgewiesen werden (CANTIENI, 1977; RAJ und GREGORY, 1995). 88 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 oder Kohlendioxid (90 Vol. % CO2) zunächst paarweise und in der Wiederholung einzeln betäubt. Die Tiere wurden an die technischen Gegebenheiten gewöhnt und haben dann an vier aufeinanderfolgenden Tagen in einen mit Argon, Luft, CO2 bzw. Luft gefüllten Plexiglaskasten verbracht. Das Verhalten der Tiere wurde bei Gaskontakt und bei Argon sowie CO2 bis zum Verlust des Stehvermögens bzw. des Bewusstseins beobachtet und dokumentiert. Trotz eines narkotischen Effektes des CO2 (EISELE et al., 1967; van der WAL, 1971; WERNBERG, 1979), sind die beschriebenen aversiven Reaktionen der Schweine aus Tierschutzsicht nicht zu akzeptieren, daher wird bereits seit langem nach praxistauglichen Alternativen gesucht. Nutzbare Betäubungsgase sind z. B. Edelgase wie Argon, aber auch Xenon und Helium sowie Stickstoff. Diese sind geruchs- und geschmacklos, reaktionsträge, d. h. inert und haben keine reizende Wirkung. Dies wird als positiver Aspekt für den Einsatz von Argon als Alternative zur CO2-Betäubung beschrieben (GREGORY, 1995; LAMBOOIJ et al., 1999; RAJ, 1999). Unter atmosphärischem Druck besitzt von den Edelgasen nur Xenon (BRACKEN et al., 1956; KENNEDY et al. 1992), das bereits in der Humanmedizin als sehr teuer bezeichnet wird, narkotische Wirkungen. Die Bewusstlosigkeit wird bei den Edelgasen ähnlich wie bei Stickstoff (N2) durch Sauerstoffmangel (Hypoxie) herbeigeführt (HANSEN et al. 1991; HERIN et al., 1978). Humanmedizinische Erfahrungen mit Bewusstseinsverlust infolge von Hypoxie (v. a. Tauchermedizin) zeigten Persönlichkeitsänderungen, Euphorie, Halluzinationen, Rauschzustand und Bewusstseinsverlust, aber weder negatives Empfinden noch Erinnerung (BENNETT, 1975). Verhaltensstudien mit Schweinen bestätigten das Fehlen von aversiven Reaktionen bei einer Betäubung mit 90 Vol. % Argon (RAJ und GREGORY, 1995). MACHOLD et al. (2003 a) konnten die feh- lenden Abwehrreaktionen bei Kontakt mit der Argon-Atmosphäre bestätigen und auch belegen, dass keinerlei Erinnerungen an den Gaskontakt bei Wiederholung des Vorganges mit Luft vorlagen. Deutliche Abwehrreaktionen wie Zurückdrängen, nach oben Strecken des Kopfes und weites Aufreißen des Maules waren dagegen bei Eintritt in das CO2 (90 Vol. %) zu beobachten. Die Erinnerung an das negative Erlebnis der CO2-Atmosphäre war vorhanden. Dies zeigte das „Abwehr“-Verhalten am Folgetag bei Eintritt in die Luft. Die Ergebnisse bestätigten die Aussagen von RAJ und GREGORY (1995), dass Argon schonender ist und im Vergleich zu CO2 keine Abwehrreaktionen bei der Einleitung der Betäubung hervorruft. Varianten der Argon-Betäubung Nach Absicherung der fehlenden Aversion auf Argon in der bewusst wahrgenommenen Einleitungsphase der Betäubung testeten MACHOLD et al. (2003 b) mehrere Betäubungsvarianten unter Laborbedingungen. Als tierschutzgerechte Alternative erwies sich der Einsatz von 95 Vol. % Argon über 180 Sekunden (n = 12 Schweine). Zur Optimierung der Praxistauglichkeit wurden Schweine in zwei Stufen, zunächst mit Argon (95 Vol. %) für 50 - 70 Sekunden und im Anschluss mittels CO2 (> 90 Vol. %) über 90 - 120 Sekunden, betäubt (zweistufiges System n = 36 Tiere). Geprüft wurden das Verhalten und der Betäubungsverlauf. U. a. wurden Abwehrreaktion, Verlust des Stehvermögens, Exzitation und die Betäubungstiefe mittels Argon ist mit einem vergleichbaren Molekulargewicht wie CO2 schwerer als Luft und auch als Stickstoff (N2), was den Einsatz in einer Grube bei annähernd konstanter Gaskonzentration ermöglicht. Verhaltensstudie CO2 und Argon Mit Hilfe einer Verhaltensstudie stellten MACHOLD et al. (2003 a) das Verhalten von Schweinen bei Gaskontakt mit CO2 im Vergleich zu Argon dar. Jeweils sechs Schweine der regional üblichen Gebrauchskreuzung (Landrasse mit Pietrain und/oder Edelschwein) wurden nach vorhergehendem Training mit technischem Argon in einer Konzentration von 95 % 89 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 Nach erfolgreicher Testung im Labor schloss sich die Umsetzung unter Praxisbedingungen an. MACHOLD et al. (2003 b) prüften die in Tabelle 1 aufgeführten Betäubungsvarianten in einer konventionellen Schlachtanlage mit PaternosterSystem. Die Schweine wurden mit Kohlendioxid (CO2), technischem Argon bzw. Argon-Mischungen in der Betäubungsgrube betäubt. Um ein schnellstmögliches Erreichen der maximalen Konzentration zu gewährleisten, wurde nur jede zweite Gondel mit zwei Schweinen gefüllt. Zur Testung des zweistufigen Systems wurde eine Hilfskonstruktion aus Holz mit Edelstahldeckel im Bereich des Auswurfes aufgestellt und mit CO2 befüllt. Reflexprüfung (Corneal-, Lid- sowie Schmerzreflexe) erfasst. Die Stressbelastung wurde durch Bestimmung des Katecholamingehaltes im Stichblut (Adrenalin und Noradrenalin) ermittelt. Eine ausreichende Narkosetiefe konnte bei einer Gesamtbetäubungszeit von 180 Sekunden gewährleistet werden. Aufenthaltszeiten von 60 Sekunden im Argon (95 %) und 120 Sekunden im CO2 (90 %) erwiesen sich als praktikabel und stellten für mindestens 120 Sekunden nach Verlassen der Gasatmosphäre eine Wahrnehmung- oder Empfindungslosigkeit für eine tierschutzgerechte Entblutung sicher. Tab. 1: Betäubungsvarianten des Praxisversuches und Tierschutzbewertung Quelle: modifiziert nach MACHOLD (2003c) Sowohl im Zutrieb wie auch bei der Einleitung der Betäubung mit Argon und während der Betäubung verhielten sich die Schweine sehr ruhig, dagegen kam es beim erstem Gaskontakt mit CO2 zu deutlichen Abwehrreaktionen. Bei dem eingesetzten Argon-Stickstoff (N2)-Gemisch zeigten sich die Schweine während des Absenkens in die Gasatmosphäre und beim eigentlichen Betäubungsvorgang sichtbar ruhiger als bei CO2. Nachteilig war, dass die Tiere bei der Betäubung mit dem Argon-N2-Gemisch im Vergleich zu CO2 und Argon wesentlich stärkere Exzitationen hatten (MACHOLD et al., 2003b). Die Katecholamingehalte (Adrenalin und Noradrenalin) waren bei reiner ArgonBetäubung verglichen zu CO2 und der zweistufigen Betäubung (60 Sekunden Argon/60 Sekunden CO2) signifikant am niedrigsten. 90 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 Dichte 1,20 kg/m³) nicht verbleibt. Man hat nun versucht, die Stabilität des Gases durch Beimischung von Argon oder von bis zu 30 % CO2 zu verbessern. Bis zu dieser Konzentration soll CO2 keine aversiven Reaktionen hervorrufen. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass Betäubungszeiten von über 180 Sekunden in 95 % Argon und Gesamtzeiten von 100 Sekunden und mehr im zweistufigem System für eine ausreichend tiefe Betäubung nötig sind (MACHOLD et al., 2003b). Das StickstoffArgon-Gemisch erwies sich auf Grund seiner erschwerten Handhabung für eine tierschutzgerechte Betäubung in der Praxis als ungeeignet. Ein spanisches Team um DALMAU et al. (2010a) untersuchte die in Tabelle 2 dargestellten Gase bzw. Mischungen auf Eignung und Stabilität in der Betäubungsgrube einer Dip-Lift-Anlage. Im Praxisversuch wurden bei allen Betäubungsvarianten mit Argon Blutpunkte in der Muskulatur gefunden (TROEGER und MOJE, 2003). DALMAU et al. (2010 a) belegten, dass die Stickstoff-Mischungen mit einem Anteil von 90 % N2 und mehr sehr schlecht in der Grube zu halten sind. Die Zielvorgabe von 98 % N2 in der Grube wurde nie erreicht. Die Befüllung wurde bei 94 % N2 abgebrochen. Die geforderte Gaskonzentration konnte bei Argon und Argon-Mischungen schneller erreicht werden als bei N2Mischungen. Grundsätzlich wurde aber bei beiden Varianten mehr Gas-Volumen als bei CO2 benötigt. Nach DALMAU et al. (2010a) erwiesen sich die ArgonMischungen als stabiler und waren leichter konstant zu halten. Stickstoff-CO2-Mischungen Zu den inerten Gasen gehört auch Stickstoff. Dieser ist mit 78 % der Hauptbestandteil der Luft und ist somit kostengünstig und in großen Mengen verfügbar. Die Handhabung dieses Gases ist problematisch, da Stickstoff in den industriell üblichen Betäubungsanlagen auf Grund seines vergleichbaren Molekulargewichtes (N2: 28; Dichte 1,25 kg/m³) mit Luft (28,95; Tab. 2: Gas und Gasmischungen aus Argon, Stickstoff (N2) und CO2 Treatment Gas percentages Relative density* 90AR 90% argon by volume in atmospheric air 1.24 85AR15C 85% argon and 15 % CO2 by volume in atmospheric air 1.40 70AR30C 70% argon and 30% CO2 1.42 98N 98%nitrogen by volume in atmospheric air 0.97 92N8C 92% nitrogen and 8% CO2 by volume in atmospheric air 1.01 90N10C 90% nitrogen and 10% CO2 by volume in atmospheric air 1.02 85N15C 85% nitrogen and 15% CO2 by volume in atmospheric air 1.05 80N20C 80% nitrogen and 20% CO2 by volume in atmospheric air 1.08 70N30C 70% nitrogen and 30% CO2 by volume in atmospheric air 1.13 90C 90% CO2 by volume in atmospheric air 1.35 * At 27°C and I atm (based on EFSA 2004) Quelle: DALMAU et al. (2010a) Verhalten der Schweine bei einer Betäubung mit 90 Vol. % Ar bzw. mit Mischungen aus 70 Vol. % N2 und 30 Vol. % CO2, 80 Anschließend untersuchten DALMAU et al. (2010b) im Verhaltensversuch sowie LLONCH et al. (2012) in der Praxis das 91 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 Dagegen konnten auch MACHTOLF et al. (2013) deutliche Abwehrreaktionen wie Zurückdrängen, Atemnot mit Hyperventilation, Fluchtversuche zum Teil mit Lautäußerungen bei der CO2-Betäubung beobachten. Vol. % N2 und 25 Vol. % CO2 sowie 85 Vol. % N2 und 15 Vol. % CO2. Die Schweine zeigen bei den Mischungen aus CO2 und Stickstoff mehr Aversionen als bei Argon, aber weniger als bei einer derzeit üblichen Betäubung mit 90 Vol. % CO2. Weniger Exzitationen konnten bei einer Betäubung mit 80 Vol. % N2 und 20 Vol. % CO2 im Vergleich zu den anderen Mischungen mit CO2 nachgewiesen werden. Als problematisch war auch bei LLONCH et al. (2012) die Fleischqualität zu sehen. Bei 25 % der Schweine (n = 68) traten Blutpunkte in der Muskulatur auf und der pH-Wert 45 Minuten p. m. sank mit zunehmenden N2Anteil deutlich schneller. Lautes Schreien der Schweine bei Gaskontakt interpretierten MACHTOLF et al. (2013) als intensive psychische Belastung die durch Angst aber auch durch Schmerzen hervorgerufen werden kann. Die Stresshormone lagen nach einer HeliumBetäubung in höchst signifikant geringerer Konzentration vor (p < 0,001). Schlussfolgerungen und Ausblick In den vorliegenden Versuchen konnte gezeigt werden, dass eine Einleitungsphase der Gasbetäubung mit Kohlendioxid mehr Abwehrreaktionen verursacht und für die Tiere aversiver ist als die Betäubung mit Argon, Argon-Stickstoff-Mischungen, Stickstoff-CO2-Mischungen oder Helium. Helium Bei neueren Untersuchungen von MACHTOLF et al. (2013) wurden Schweine mit Helium betäubt. Da dieses Edelgas (Helium: 0,18 kg/m³ Dichte) deutlich leichter als Luft (1,20 kg/m³ Dichte) ist, muss mit einer Art Glocke gearbeitet werden. Ein unten offener Acrylglaskasten wurde mit Helium (Ballongas) gefüllt und über einen Tierkäfig mit dem zu betäubenden Schwein gestülpt. Die Tiere wurden mit 98,5 Vol. % Helium bei 1,5 Vol. %. Restluft und einer Verweildauer von 180 Sekunden betäubt. MACHTOLF et al. (2003) verglichen dieses Verfahren hinsichtlich Tierschutz mit der CO2- Betäubung (90 Vol. % CO2) in einer kommerziell genutzten Dip-Lift-Anlage der Firma Butina (3,5 m tiefe Grube; max. 3 Schweine je Gondel). Es wurden jeweils 40 Schweine betäubt und das Verhalten der Tiere bei Gaskontakt wie Zurückdrängen, Hyperventilation mit nach oben Strecken des Kopfes, Maul-atmung und Atemnot sowie Fluchtversuche mit Sprüngen in der Gondel und evtl. Vokalisation beobachtet. Die Betäubungstiefe wurde mittels Reflexprüfung überwacht. Messungen des Schallpegels zur Ermittlung der Lautstärke bei Lautäußerung wurden durchgeführt und die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin im Stichblut bestimmt. Für eine ausreichende Narkosedauer, das heißt keine Wahrnehmung und Empfindung bis zur Entblutung, ist mit 180 Sekunden eine deutlich längere Expositionsdauer mit Argon, Stickstoff-Argon-Gemisch bzw. Helium nötig. Zudem ist das Stickstoff-ArgonGemisch auf Grund seines Molekulargewichtes - vergleichbar mit Luft - schlecht in den kommerziell eingesetzten Gruben zu halten. Dies trifft auch für die Stickstoff-CO2Mischungen zu, die zudem hinsichtlich Ihrer Abwehrreaktionen zwischen Argon und CO2 einzuordnen sind. Bei allen Gemischen sowie auch bei Argon treten vermehrt Exzitationen auf. Hier wird ein direkter Zusammenhang mit der schlechteren Fleischqualität (Blutpunkte in der Muskulatur) diskutiert. Positive Effekte sowohl aus Sicht des Tierschutzes als auch bezüglich der Fleischqualität konnten bei der Betäubung mit Helium ermittelt werden. Nachteilig ist, dass Helium leichter als Luft ist. Für die HeliumBetäubung wäre somit eine komplett neue Anlage nach dem Prinzip einer Glocke, die über die Tiere gestülpt wird, nötig. Auch sind die ungünstigen ökonomischen Aspekte bei der Heliumbetäubung kritisch zu werten. Die Mastschweine zeigten bei den Untersuchungen von MACHTOLF et al. (2013) kein Abwehrverhalten bei Gaskontakt und die Reflexe waren bis zur Entblutung negativ. 92 Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208 Hansen, N. E., Creutzberg, A., Simonsen, H. B. (1991): Euthanasia of mink (Mustela vison) by means of carbon dioxide (CO2), carbon monoxide (CO) and nitrogen (N2). British veterinary journal Jg. 147, 140146 Die Betäubung mit Argon ist hinsichtlich des Tierschutzes insbesondere in der bewusst wahrgenommenen Einleitungsphase den genannten Mischungen und insbesondere der CO2-Betäubung überlegen! Hartung, J., Nowak, B.,Waltmann, K. H., Ellerbrock, S. (2002): CO2 stunning of slaughter pigs: Effects on EEG, catecholamines and clinical reflexes. Deutsche Tierärztliche Wochenschrift, 70 9, 135-139 Zur Optimierung der Argon-Betäubung wurden die positiven Eigenschaften des Argons in der Einleitungsphase mit denen des CO2 (Narkosetiefe und Handhabung) genutzt. Eine Gesamtbetäubungszeit von 100 Sekunden erwies sich hier als ausreichend. Kritisch zu sehen ist, dass die derzeit verfügbaren Anlagen für die Anwendung des zweistufigen Systems mit Argon und CO2 weniger geeignet sind und auch die in Praxisversuchen ermittelte Fleischqualität noch nicht zufriedenstellend ist. Herin, R. A., Hall, P., Fitch, J. W. 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(1999): Behavioural responses during exposure of broiler chickens to different gas mixtures. Applied animal behaviour science, Jg. 62, Nr. 2-3, 255-265 Llonch, P., Rodriguez, P., Gispert, M., Dalmau, A., Manteca, X., Velarde, A. (2012): Stunning pigs with nitrogen and carbon dioxide mixtures: effects on animal welfare and meat quality. Anima, 6: 4, 668-675 Machold, U., Troeger, K., Moje, M. (2003 a): Betäubung von Schweinen mit Kohlendioxid (CO2) bzw. Argon, Vergleichende Verhaltensstudie und Bestimmung humoraler Stressparameter, Fleischwirtschaft, 83, Nr. 9, 139-142 Literatur Machold, U., Troeger, K., Moje, M. (2003 b): Gasbetäubung von Schweinen, Ein Vergleich von Kohlendioxid, Argon, einer Stickstoff-Argon-Mischung und Argon/Kohlendioxid (2-stufig) unter Tierschutzaspekten, Fleischwirtschaft 83, Nr. 10, 109-114 Bennett, P. B. (1975): Inert gas narcosis. In: The physiology and medicine of diving and compressedair work / ed. by P. B. 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