Kohlendioxid-Betäubung beim Schwein – gibt es eine tierschutz

Machold, U. (2015) Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54, Nr. 208, 87-94
Kohlendioxid-Betäubung beim Schwein – gibt es eine tierschutzgerechtere Gasbetäubung?
U. Machold
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Zusammenfassung
Der Tierschutz ist auf Grund der zunehmenden Sensibilität des Verbrauchers sowohl bei der
Haltung als auch bei der Schlachtung ein sehr aktuelles Thema. Die Kohlendioxidbetäubung
als ein gängiges Betäubungsverfahren in der Praxis steht auf Grund der aversiven Wirkung
bei Schweinen in der bewusst wahrgenommenen Einleitungsphase stark in der Diskussion!
Gibt es eine tierschutzgerechtere Gasbetäubung für Schweine? Verhaltensuntersuchungen
mehrerer Autoren zeigten, dass inerte Edelgase wie z. B. Argon deutlich schonender und
nicht aversiv für die Tiere sind. Dies konnte auch in Praxisversuchen mit Argon, ArgonMischungen und einem zweistufigen Verfahren mit Argon zur Einleitung und CO2 zur Narkosevertiefung, bestätigt werden. Stickstoff ist auf Grund seiner vergleichbaren Dichte zu Luft
schwer in Gruben zu halten. Dies kann durch Mischungen mit CO2 in Konzentrationen von
15, 20 und 30 Vol. % verbessert werden, wobei der Tierschutz-Aspekt hier nicht überzeugen
konnte. Bei allen Gemischen und auch bei Argon war die Fleischqualität, im Gegensatz zur
Betäubung mit Helium, unzureichend. Helium war auch tierschutzgerechter in der Einleitungsphase der Betäubung. Nachteilig ist, dass auf Grund der geringen Dichte des Gases
eine neue Technik benötigt wird.
Schlüsselwörter
Tierschutz – Betäubung – Schweine – CO2 – Edelgase (Argon,
Helium) – Stickstoff
Einleitung und Problemstellung
sichtigung der besseren Fleischqualität
geht die Tendenz mehr und mehr zur
Gasbetäubung. Aber auch diese Betäubungsform wird aus Sicht des Tierschutzes vielfach kontrovers diskutiert.
Die Schleimhaut reizende und die
atemstimulierende Wirkung (subjektives Erstickungsgefühl) von Kohlendioxid (CO2) ist in der Kritik.
Der Tierschutz steht zunehmend im Inte-
resse des Verbrauchers. Nicht nur bei
der Haltung unser landwirtschaftlichen
Nutztiere, sondern auch bei der
Schlachttierbetäubung ist der Tierschutz ein viel diskutiertes Thema.
Derzeitig werden bei der Schweineschlachtung die Kohlendioxid- (CO2)
und die Elektrobetäubung routinemäßig zur Ruhigstellung und Herbeiführung der Bewusstlosigkeit vor dem
Blutentzug eingesetzt. Mit steigenden
Schlachtzahlen und unter Berück-
Gibt es tierschutzgerechtere Gasbetäubungsverfahren?
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Nachfolgend sollen kurz die gesetzlichen
Vorgaben, der aktuelle Stand der Technik
bei der industriellen Betäubung von
Schweinen mit Gas dargestellt und mögliche tierschutzgerechtere Verfahren diskutiert werden.
Stand der Technik
Der Ist-Stand der Betäubungstechnik ist
v. a. mit Blick auf die Umsetzung tierschutzgerechter Gasbetäubungsverfahren
in der Praxis von Bedeutung.
Die Anwendung der Gase erfolgt in Gruben. Hier sind derzeitig sogenannte „DipLift“-Anlagen mit (nur) einer Gondel oder
„Paternoster“-Anlagen mit mehreren Gondeln im Einsatz. Eine tierschutzgerechte
Optimierung hat hier bereits im Zutrieb
stattgefunden. So werden bei den „Backloader-Anlagen“ der Firma Butina oder
modifizierten Systemen anderer Anbieter
die Tiere artgerecht in Gruppen mit pneumatischen Treibhilfen schonend in die Betäubungsgondel getrieben. Dies dient zur
deutlichen Stressminimierung bei den
Schlachttieren.
Rechtsgrundlage und Vorgaben
Die VERORDNUNG (EG) Nr. 1099/2009
DES RATES vom 24. September 2009 über
den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der
Tötung erlaubt für die Betäubung von
Schlachtschweinen den penetrierenden
Bolzenschuss, die Elektro- sowie die Gasbetäubung. Neben CO2 können auch
Edelgase wie z. B. Argon allein oder in
Form von Gasgemischen mit CO2 eingesetzt werden. Nähere nationale Regelungen zur Betäubung finden sich in der Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder
Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates „Tierschutz-Schlachtverordnung“ vom 20. Dezember 2012.
Die rechtlichen Vorgaben hinsichtlich Verweildauer (> 100 Sekunden) und Gaskonzentration (> 80 % CO2) werden in der
Praxis zumeist deutlich übertroffen.
Kohlendioxid (CO2) und Edelgase –
Betäubungswirkung
Wird CO2 zur Betäubung von Schweinen
eingesetzt, so muss die zulässige Konzentration mindestens 80 % über eine Zeit
von 100 Sekunden betragen. Zur Beurteilung der Betäubungsqualität sind Schlüsselparameter wie Kohlendioxidkonzentration, Dauer der Exposition, Höchstdauer
zwischen Betäubung und Entblutungsschnitt (in Sekunden), Gasqualität, Gastemperatur und die Rest-Sauerstoffkonzentration bei Edelgasen festgelegt.
Die Temperatur des Gases muss optimiert
sein, da es bei starken Temperaturschwankungen zum Beispiel zu Verbrennungen oder zum Frieren der Tiere kommen kann. Der Unternehmer muss zudem
durch regelmäßige Kontrollen der Schweine sicherstellen, dass diese keine Anzeichen von Wahrnehmung oder Empfindung
zwischen dem Ende des Betäubungsvorgangs und dem Eintritt des Todes zeigen.
Die ordnungsgemäße Betäubung wird zusätzlich durch eine kontinuierliche Messung und Aufzeichnung der Gaskonzentration und der Expositionsdauer überwacht.
Das zur Betäubung eingesetzte CO2 führt
in der Einleitungsphase zu stark atemstimulierender Wirkung mit Hyperventilation, ausgeprägter Atemnot (RAJ et al.,
1990; HARTUNG et al., 2002) und Erstickungsgefühl. Dies beruht auf einen Anstieg von CO2 in der Atemluft der Schweine, der wiederum durch Anregung spezifischer Chemosensoren zur massiven Steigerung der Atemfrequenz führt (NATTIE,
1999). Die Betäubungswirkung des CO2
beruht auf dem Absenken des pH-Wertes
der Cerebrospinalflüssigkeit im zentralen
Nervensystem (EISELE et al., 1967). Zudem wirkt das Gas auf die Schleimhäute
reizend. Beides führt vor Eintritt der Bewusstlosigkeit zu deutlichen Abwehrreaktionen der Schweine u. a. mit Lautäußerungen, Zurückdrängen, Kopfschütteln,
Maulatmung, Sprüngen in die Luft, Fluchtversuchen. Diese Aversionen konnten in
mehreren Verhaltensstudien zur CO2Betäubung nachgewiesen werden (CANTIENI, 1977; RAJ und GREGORY, 1995).
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oder Kohlendioxid (90 Vol. % CO2) zunächst paarweise und in der Wiederholung
einzeln betäubt. Die Tiere wurden an die
technischen Gegebenheiten gewöhnt und
haben dann an vier aufeinanderfolgenden
Tagen in einen mit Argon, Luft, CO2 bzw.
Luft gefüllten Plexiglaskasten verbracht.
Das Verhalten der Tiere wurde bei Gaskontakt und bei Argon sowie CO2 bis zum
Verlust des Stehvermögens bzw. des Bewusstseins beobachtet und dokumentiert.
Trotz eines narkotischen Effektes des CO2
(EISELE et al., 1967; van der WAL, 1971;
WERNBERG, 1979), sind die beschriebenen aversiven Reaktionen der Schweine aus Tierschutzsicht nicht zu akzeptieren, daher wird bereits seit langem nach
praxistauglichen Alternativen gesucht.
Nutzbare Betäubungsgase sind z. B.
Edelgase wie Argon, aber auch Xenon
und Helium sowie Stickstoff. Diese sind
geruchs- und geschmacklos, reaktionsträge, d. h. inert und haben keine reizende
Wirkung. Dies wird als positiver Aspekt für
den Einsatz von Argon als Alternative zur
CO2-Betäubung beschrieben (GREGORY,
1995; LAMBOOIJ et al., 1999; RAJ, 1999).
Unter atmosphärischem Druck besitzt von
den Edelgasen nur Xenon (BRACKEN et
al., 1956; KENNEDY et al. 1992), das bereits in der Humanmedizin als sehr teuer
bezeichnet wird, narkotische Wirkungen.
Die Bewusstlosigkeit wird bei den Edelgasen ähnlich wie bei Stickstoff (N2) durch
Sauerstoffmangel (Hypoxie) herbeigeführt
(HANSEN et al. 1991; HERIN et al., 1978).
Humanmedizinische Erfahrungen mit Bewusstseinsverlust infolge von Hypoxie
(v. a. Tauchermedizin) zeigten Persönlichkeitsänderungen, Euphorie, Halluzinationen, Rauschzustand und Bewusstseinsverlust, aber weder negatives Empfinden
noch Erinnerung (BENNETT, 1975). Verhaltensstudien mit Schweinen bestätigten
das Fehlen von aversiven Reaktionen bei
einer Betäubung mit 90 Vol. % Argon (RAJ
und GREGORY, 1995).
MACHOLD et al. (2003 a) konnten die feh-
lenden Abwehrreaktionen bei Kontakt mit
der Argon-Atmosphäre bestätigen und
auch belegen, dass keinerlei Erinnerungen
an den Gaskontakt bei Wiederholung des
Vorganges mit Luft vorlagen. Deutliche
Abwehrreaktionen wie Zurückdrängen,
nach oben Strecken des Kopfes und weites Aufreißen des Maules waren dagegen
bei Eintritt in das CO2 (90 Vol. %) zu beobachten.
Die Erinnerung an das negative Erlebnis
der CO2-Atmosphäre war vorhanden. Dies
zeigte das „Abwehr“-Verhalten am Folgetag bei Eintritt in die Luft.
Die Ergebnisse bestätigten die Aussagen
von RAJ und GREGORY (1995), dass Argon schonender ist und im Vergleich zu
CO2 keine Abwehrreaktionen bei der Einleitung der Betäubung hervorruft.
Varianten der Argon-Betäubung
Nach Absicherung der fehlenden Aversion
auf Argon in der bewusst wahrgenommenen Einleitungsphase der Betäubung testeten MACHOLD et al. (2003 b) mehrere
Betäubungsvarianten unter Laborbedingungen. Als tierschutzgerechte Alternative
erwies sich der Einsatz von 95 Vol. % Argon über 180 Sekunden (n = 12 Schweine). Zur Optimierung der Praxistauglichkeit wurden Schweine in zwei Stufen, zunächst mit Argon (95 Vol. %) für 50 - 70
Sekunden und im Anschluss mittels CO2
(> 90 Vol. %) über 90 - 120 Sekunden, betäubt (zweistufiges System n = 36 Tiere).
Geprüft wurden das Verhalten und der Betäubungsverlauf. U. a. wurden Abwehrreaktion, Verlust des Stehvermögens, Exzitation und die Betäubungstiefe mittels
Argon ist mit einem vergleichbaren Molekulargewicht wie CO2 schwerer als Luft
und auch als Stickstoff (N2), was den Einsatz in einer Grube bei annähernd konstanter Gaskonzentration ermöglicht.
Verhaltensstudie CO2 und Argon
Mit Hilfe einer Verhaltensstudie stellten
MACHOLD et al. (2003 a) das Verhalten
von Schweinen bei Gaskontakt mit CO2 im
Vergleich zu Argon dar. Jeweils sechs
Schweine der regional üblichen Gebrauchskreuzung (Landrasse mit Pietrain
und/oder Edelschwein) wurden nach vorhergehendem Training mit technischem
Argon in einer Konzentration von 95 %
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Nach erfolgreicher Testung im Labor
schloss sich die Umsetzung unter Praxisbedingungen an. MACHOLD et al. (2003 b)
prüften die in Tabelle 1 aufgeführten Betäubungsvarianten in einer konventionellen Schlachtanlage mit PaternosterSystem. Die Schweine wurden mit Kohlendioxid (CO2), technischem Argon bzw.
Argon-Mischungen in der Betäubungsgrube betäubt. Um ein schnellstmögliches Erreichen der maximalen Konzentration zu
gewährleisten, wurde nur jede zweite
Gondel mit zwei Schweinen gefüllt. Zur
Testung des zweistufigen Systems wurde
eine Hilfskonstruktion aus Holz mit Edelstahldeckel im Bereich des Auswurfes
aufgestellt und mit CO2 befüllt.
Reflexprüfung (Corneal-, Lid- sowie
Schmerzreflexe) erfasst. Die Stressbelastung wurde durch Bestimmung des Katecholamingehaltes im Stichblut (Adrenalin
und Noradrenalin) ermittelt.
Eine ausreichende Narkosetiefe konnte
bei einer Gesamtbetäubungszeit von 180
Sekunden gewährleistet werden. Aufenthaltszeiten von 60 Sekunden im Argon
(95 %) und 120 Sekunden im CO2 (90 %)
erwiesen sich als praktikabel und stellten
für mindestens 120 Sekunden nach Verlassen der Gasatmosphäre eine Wahrnehmung- oder Empfindungslosigkeit für
eine tierschutzgerechte Entblutung sicher.
Tab. 1: Betäubungsvarianten des Praxisversuches und Tierschutzbewertung
Quelle: modifiziert nach MACHOLD (2003c)
Sowohl im Zutrieb wie auch bei der Einleitung der Betäubung mit Argon und während der Betäubung verhielten sich die
Schweine sehr ruhig, dagegen kam es
beim erstem Gaskontakt mit CO2 zu deutlichen Abwehrreaktionen. Bei dem eingesetzten Argon-Stickstoff (N2)-Gemisch
zeigten sich die Schweine während des
Absenkens in die Gasatmosphäre und
beim eigentlichen Betäubungsvorgang
sichtbar ruhiger als bei CO2. Nachteilig
war, dass die Tiere bei der Betäubung mit
dem Argon-N2-Gemisch im Vergleich zu
CO2 und Argon wesentlich stärkere Exzitationen hatten (MACHOLD et al., 2003b).
Die Katecholamingehalte (Adrenalin und
Noradrenalin) waren bei reiner ArgonBetäubung verglichen zu CO2 und der
zweistufigen Betäubung (60 Sekunden Argon/60 Sekunden CO2) signifikant am
niedrigsten.
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Dichte 1,20 kg/m³) nicht verbleibt. Man hat
nun versucht, die Stabilität des Gases
durch Beimischung von Argon oder von
bis zu 30 % CO2 zu verbessern. Bis zu
dieser Konzentration soll CO2 keine aversiven Reaktionen hervorrufen.
Grundsätzlich muss davon ausgegangen
werden, dass Betäubungszeiten von über
180 Sekunden in 95 % Argon und Gesamtzeiten von 100 Sekunden und mehr
im zweistufigem System für eine ausreichend tiefe Betäubung nötig sind (MACHOLD et al., 2003b). Das StickstoffArgon-Gemisch erwies sich auf Grund
seiner erschwerten Handhabung für eine
tierschutzgerechte Betäubung in der Praxis als ungeeignet.
Ein spanisches Team um DALMAU et al.
(2010a) untersuchte die in Tabelle 2 dargestellten Gase bzw. Mischungen auf Eignung und Stabilität in der Betäubungsgrube einer Dip-Lift-Anlage.
Im Praxisversuch wurden bei allen Betäubungsvarianten mit Argon Blutpunkte in
der Muskulatur gefunden (TROEGER und
MOJE, 2003).
DALMAU et al. (2010 a) belegten, dass die
Stickstoff-Mischungen mit einem Anteil
von 90 % N2 und mehr sehr schlecht in der
Grube zu halten sind. Die Zielvorgabe von
98 % N2 in der Grube wurde nie erreicht.
Die Befüllung wurde bei 94 % N2 abgebrochen. Die geforderte Gaskonzentration
konnte bei Argon und Argon-Mischungen
schneller erreicht werden als bei N2Mischungen. Grundsätzlich wurde aber bei
beiden Varianten mehr Gas-Volumen als
bei CO2 benötigt. Nach DALMAU et al.
(2010a) erwiesen sich die ArgonMischungen als stabiler und waren leichter
konstant zu halten.
Stickstoff-CO2-Mischungen
Zu den inerten Gasen gehört auch Stickstoff. Dieser ist mit 78 % der Hauptbestandteil der Luft und ist somit kostengünstig und in großen Mengen verfügbar.
Die Handhabung dieses Gases ist problematisch, da Stickstoff in den industriell
üblichen Betäubungsanlagen auf Grund
seines vergleichbaren Molekulargewichtes
(N2: 28; Dichte 1,25 kg/m³) mit Luft (28,95;
Tab. 2: Gas und Gasmischungen aus Argon, Stickstoff (N2) und CO2
Treatment
Gas percentages
Relative density*
90AR
90% argon by volume in atmospheric air
1.24
85AR15C
85% argon and 15 % CO2 by volume in atmospheric air
1.40
70AR30C
70% argon and 30% CO2
1.42
98N
98%nitrogen by volume in atmospheric air
0.97
92N8C
92% nitrogen and 8% CO2 by volume in atmospheric air
1.01
90N10C
90% nitrogen and 10% CO2 by volume in atmospheric air
1.02
85N15C
85% nitrogen and 15% CO2 by volume in atmospheric air
1.05
80N20C
80% nitrogen and 20% CO2 by volume in atmospheric air
1.08
70N30C
70% nitrogen and 30% CO2 by volume in atmospheric air
1.13
90C
90% CO2 by volume in atmospheric air
1.35
* At 27°C and I atm (based on EFSA 2004)
Quelle: DALMAU et al. (2010a)
Verhalten der Schweine bei einer Betäubung mit 90 Vol. % Ar bzw. mit Mischungen
aus 70 Vol. % N2 und 30 Vol. % CO2, 80
Anschließend untersuchten DALMAU et al.
(2010b) im Verhaltensversuch sowie
LLONCH et al. (2012) in der Praxis das
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Dagegen konnten auch MACHTOLF et al.
(2013) deutliche Abwehrreaktionen wie Zurückdrängen, Atemnot mit Hyperventilation,
Fluchtversuche zum Teil mit Lautäußerungen bei der CO2-Betäubung beobachten.
Vol. % N2 und 25 Vol. % CO2 sowie 85 Vol.
% N2 und 15 Vol. % CO2.
Die Schweine zeigen bei den Mischungen
aus CO2 und Stickstoff mehr Aversionen als
bei Argon, aber weniger als bei einer derzeit
üblichen Betäubung mit 90 Vol. % CO2.
Weniger Exzitationen konnten bei einer Betäubung mit 80 Vol. % N2 und 20 Vol. %
CO2 im Vergleich zu den anderen Mischungen mit CO2 nachgewiesen werden. Als
problematisch war auch bei LLONCH et al.
(2012) die Fleischqualität zu sehen. Bei 25
% der Schweine (n = 68) traten Blutpunkte
in der Muskulatur auf und der pH-Wert 45
Minuten p. m. sank mit zunehmenden N2Anteil deutlich schneller.
Lautes Schreien der Schweine bei Gaskontakt interpretierten MACHTOLF et al. (2013)
als intensive psychische Belastung die
durch Angst aber auch durch Schmerzen
hervorgerufen werden kann. Die Stresshormone lagen nach einer HeliumBetäubung in höchst signifikant geringerer
Konzentration vor (p < 0,001).
Schlussfolgerungen und Ausblick
In den vorliegenden Versuchen konnte gezeigt werden, dass eine Einleitungsphase
der Gasbetäubung mit Kohlendioxid mehr
Abwehrreaktionen verursacht und für die
Tiere aversiver ist als die Betäubung mit Argon, Argon-Stickstoff-Mischungen, Stickstoff-CO2-Mischungen oder Helium.
Helium
Bei
neueren
Untersuchungen
von
MACHTOLF et al. (2013) wurden Schweine
mit Helium betäubt. Da dieses Edelgas (Helium: 0,18 kg/m³ Dichte) deutlich leichter als
Luft (1,20 kg/m³ Dichte) ist, muss mit einer
Art Glocke gearbeitet werden. Ein unten offener Acrylglaskasten wurde mit Helium
(Ballongas) gefüllt und über einen Tierkäfig
mit dem zu betäubenden Schwein gestülpt.
Die Tiere wurden mit 98,5 Vol. % Helium bei
1,5 Vol. %. Restluft und einer Verweildauer
von 180 Sekunden betäubt. MACHTOLF et
al. (2003) verglichen dieses Verfahren hinsichtlich Tierschutz mit der CO2- Betäubung
(90 Vol. % CO2) in einer kommerziell genutzten Dip-Lift-Anlage der Firma Butina
(3,5 m tiefe Grube; max. 3 Schweine je
Gondel). Es wurden jeweils 40 Schweine
betäubt und das Verhalten der Tiere bei
Gaskontakt wie Zurückdrängen, Hyperventilation mit nach oben Strecken des Kopfes,
Maul-atmung und Atemnot sowie Fluchtversuche mit Sprüngen in der Gondel und evtl.
Vokalisation beobachtet. Die Betäubungstiefe wurde mittels Reflexprüfung überwacht. Messungen des Schallpegels zur
Ermittlung der Lautstärke bei Lautäußerung
wurden durchgeführt und die Katecholamine
Adrenalin und Noradrenalin im Stichblut bestimmt.
Für eine ausreichende Narkosedauer, das
heißt keine Wahrnehmung und Empfindung
bis zur Entblutung, ist mit 180 Sekunden eine deutlich längere Expositionsdauer mit
Argon, Stickstoff-Argon-Gemisch bzw. Helium nötig. Zudem ist das Stickstoff-ArgonGemisch auf Grund seines Molekulargewichtes - vergleichbar mit Luft - schlecht in
den kommerziell eingesetzten Gruben zu
halten. Dies trifft auch für die Stickstoff-CO2Mischungen zu, die zudem hinsichtlich Ihrer
Abwehrreaktionen zwischen Argon und CO2
einzuordnen sind. Bei allen Gemischen sowie auch bei Argon treten vermehrt Exzitationen auf. Hier wird ein direkter Zusammenhang mit der schlechteren Fleischqualität
(Blutpunkte in der Muskulatur) diskutiert.
Positive Effekte sowohl aus Sicht des Tierschutzes als auch bezüglich der Fleischqualität konnten bei der Betäubung mit Helium
ermittelt werden. Nachteilig ist, dass Helium
leichter als Luft ist. Für die HeliumBetäubung wäre somit eine komplett neue
Anlage nach dem Prinzip einer Glocke, die
über die Tiere gestülpt wird, nötig. Auch
sind die ungünstigen ökonomischen Aspekte bei der Heliumbetäubung kritisch zu werten.
Die Mastschweine zeigten bei den Untersuchungen von MACHTOLF et al. (2013) kein
Abwehrverhalten bei Gaskontakt und die
Reflexe waren bis zur Entblutung negativ.
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Die Betäubung mit Argon ist hinsichtlich des
Tierschutzes insbesondere in der bewusst
wahrgenommenen Einleitungsphase den
genannten Mischungen und insbesondere
der CO2-Betäubung überlegen!
Hartung, J., Nowak, B.,Waltmann, K. H., Ellerbrock,
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Zur Optimierung der Argon-Betäubung wurden die positiven Eigenschaften des Argons
in der Einleitungsphase mit denen des CO2
(Narkosetiefe und Handhabung) genutzt.
Eine Gesamtbetäubungszeit von 100 Sekunden erwies sich hier als ausreichend.
Kritisch zu sehen ist, dass die derzeit verfügbaren Anlagen für die Anwendung des
zweistufigen Systems mit Argon und CO2
weniger geeignet sind und auch die in Praxisversuchen ermittelte Fleischqualität noch
nicht zufriedenstellend ist.
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Ausblickend kann gesagt werden, dass gerade aus Sicht des Tierschutzes für das
Schwein tierschutzgerechtere Gasbetäubungsverfahren als die KohlendioxidBetäubung vorhanden sind. Für die Praxistauglichkeit und den damit verbundenen
Einsatz der alternativen Verfahren im kommerziellen Schlachtbetrieb besteht noch
verstärkter Forschungsbedarf. Hier ist nach
Lösungsansätzen zur Verbesserung der
Fleischqualität und der technische Umsetzung des Betäubungsverfahrens zu suchen.
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