PDF 1,8 MB - Deutsche Bank

34
Perspektiven_Berliner Philharmoniker
Deutsche Bank_r e s u l t s
Deutsche Bank_r e s u l t s
Perspektiven_Berliner Philharmoniker
35
Global Player
Mitarbeiter wählen ihren Chef selbst und sind damit
erfolgreich? Bei den Berliner Philharmonikern geht das.
Intendant Martin Hoffmann arbeitet in einem Kosmos
zwischen Hochkultur und Unternehmertum
Hintergrund statt
großer Bühne: Martin
Hoffmann schafft
seine Erfolge außerhalb
des Rampenlichts
FOTO: JOHANN SEBASTIAN HÄNEL
D
er Aufstieg beginnt mit einem Aufstand.
Im Mai 1882 setzen 54 Berliner Orchestermusiker ihren Chef und Dirigenten vor
die Tür. Fortan wollen sie nicht mehr abhängig
sein von schlechten Honorarverträgen und „der
Gnade eines Einzelnen“, so einer der Musiker.
Die selbstbewussten Künstler, schon damals
musikalische Oberklasse, nennen sich wenig
später „Philharmonisches Orchester“. Nun sind
sie selbst bestimmende Unternehmer, und ab da
geht es aufwärts.
Heute sind die Berliner Philharmoniker eine
global bekannte Kulturmarke. Sie haben die klassische Musik im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt, große Namen wie Wilhelm Furtwängler,
Herbert von Karajan oder aktuell Sir Simon Rattle
gehören untrennbar dazu. 260 000 Hörer weltweit
besuchen im Jahresverlauf ein Konzert. Könnte
das Orchester sich und seine Auftritte verdoppeln,
es würde glatt noch einmal so viel verkaufen. Der
internationale Tourneekalender liest sich wie der
Flugplan des Außenministers.
Die Berliner Philharmoniker sind im Wortsinn
ein echter Global Player. Und damit auch so etwas wie ein kleines mittelständisches Musikunternehmen mit einem Exportanteil von gut
20 Prozent. So stehen auch die Berliner vor den
gleichen Fragen wie viele wesentlich größere
Mittelständler: etwa dem Recruiting hoch spezialisierter Fachkräfte oder der globalen Markenführung, Fragen der Internationalisierung, Diversifi-
zierung und der Innovation, der Suche nach
neuen Zielgruppen und Vertriebskanälen
oder dem Führungsstil in einer Expertenkultur. Lässt sich also vom weltweiten Erfolg
dieser konsequent auf Spitzenleistung gepolten Non-Profit-Institution auch etwas ableiten für andere Unternehmen?
In der „Orchesterrepublik“
Martin Hoffmann kümmert sich als Intendant
seit fünf Jahren um die wirtschaftliche Lage,
um Auslastung, Zielgruppen oder Ticketpreise. „Der Intendant trägt die Gesamtverantwortung“, heißt es in anderen Kulturbetrieben, in Berlin aber muss er jonglieren
und moderieren zwischen verschiedenen
Gremien und deren Interessen. Es reden mit:
Orchestervorstand, Medienvorstand, Fünferrat, Stiftungsrat und Stiftungsvorstand.
So ergibt sich eine, wie Hoffmann es selbst
nennt, „hochkomplexe Organisation“ mit
128 Musikern und 90 Verwaltungskräften, in
der es schwer ist, einfach mal zu sagen, wo es
langgeht. Jeder hat hier eine Stimme, und deshalb nennen Freunde des Hauses das System
auch einfach „Orchesterrepublik“.
Diese Selbstverwaltung ist ein zentrales
Wesensmerkmal im Berliner HochkulturOrganismus – und damit auch Teil des Erfolgs.
Als eine Gruppe selbstständiger Unternehmer
wählen sie ihren Intendanten und ihren
36
Perspektiven_Berliner Philharmoniker
Deutsche Bank_r e s u l t s
Markante Heimat:
Die Berliner Philharmonie
von Hans Scharoun ist
seit mehr als 50 Jahren ein
architektonischer Höhepunkt in Berlin
Kostendruck trotz
steigender
Erlöse
Intendant Martin Hoffmann und
Chefdirigent Sir Simon Rattle: zwei
Führungskräfte mit begrenzter
Macht. Die wichtigsten Entscheidungen trifft das Orchester selbst
Dirigenten selbst. Die „FAZ“ vergleicht die Abstimmung mit der Wahl des Papstes, denn schließlich gehe es ja auch bei dieser Wahl um Höheres,
nämlich um die „höchste Instanz im Reich der
Musik“. Hoffmann: „Nicht der Chef setzt die Ziele,
sondern die Mitarbeiter.“
Dabei ist Hoffmann sicher keiner, der auf Zielvorgaben wartet. Am Erfolg der vergangenen
Jahre hat er kräftig mitgewirkt, obwohl er beruflich eher aus der Gegenwelt kommt: Der gelernte
Jurist war vormals Programmgeschäftsführer
des Privatsenders Sat.1, Miterfinder von Erfolgsserien wie „Bauer sucht Frau“ und danach Vorstandvorsitzender einer TV-Produktionsfirma.
Dann, 2010, wechselt er vom Massengeschmack
ins feine Fach. Und legt los. Er modernisiert Erscheinungsbild und Außenauftritt der Philharmoniker, startet das Magazin „128“ und sucht
neue Erlösquellen. Dazu baut er das noch junge Geschäftsfeld im Netz erlebbarer Konzerte
aus, die „Digital Concert Hall“. Weltweit mehr
als 23 000 Abonnenten haben die Berliner inzwischen, der Break-even für dieses technisch
höchst aufwendige New-Media-Projekt ist fast
geschafft. Damit sind die Berliner die Einzigen
weltweit, die nahezu alle Konzerte auch online
verkaufen. Unsere Musik, so das Credo, ist nicht
nur für die Elite, sie ist für alle.
Offenheit und Internationalität gehören zur
Marke, und darum wird auf YouTube, Facebook
und Twitter mit Freunden und Kritikern heftig diskutiert. Kommunikation im Netz, sagt
Hoffmann, sei „extrem wichtig“. Zugleich stärkt
er die Offline-Medien: Unter seiner Intendanz
legt das neue Musiklabel „Berliner Philharmoniker Recordings“ nun aufwendig hergestellte
CD-Boxen auf, die höchsten audiophilen Ansprüchen genügen.
Klassikkrise in der modernen Event- und
Erlebnisgesellschaft? Das Thema kennt man
hier nur aus der Zeitung. Der vormalige PrivatTV- Manager hat keine Scheu vor neuen Namen
abseits der Klassik und öffnet das Haus damit
weiteren Zielgruppen: Schriftsteller Ferdinand
von Schirach kommt oder Roger Willemsen.
Hoffmann holt einen der weltbesten Jazzproduzenten als Kurator einer neuen Reihe an Bord,
optimiert die Produktionsplanung und verkauft
weiterhin einen Abend dreimal hintereinander
weg. Jedes Mal ist es rappelvoll. Das Resultat:
Von 2008 bis heute haben sich die Erlöse der Berliner fast verdoppelt. 44 Millionen Euro braucht
es, um den ganzen Laden ein Jahr lang am Laufen
zu halten; 64 Prozent davon erwirtschaftet das
Orchester selbst – ein Spitzenwert im deutschen
Musikbetrieb.
Alltäglich gelebte Diversity
Doch trotz aller Erfolge ist auch bei den Berlinern Kostenmanagement ein Thema: Seit 13 Jahren sind die öffentlichen Zuschüsse eingefroren.
Zusätzliche Mittel erhalten die Philharmoniker
von privaten Förderern und Sponsoren, darunter seit mehr als 25 Jahren in maßgeblichem
Umfang von der Deutschen Bank (siehe Spalte
Deutsche Bank_r e s u l t s
Perspektiven_Berliner Philharmoniker
37
FOTOS: JIM RAKETE, DPA/RAINER JENSEN
Langjährige
Freundschaft
rechts). Die Bank ist exklusiver Sponsor des Hauses und definiert sich wie die Philharmoniker
auch über die Werte Leistung und Leidenschaft.
Im Frühjahr 2015 wurde der Sponsorenvertrag
um weitere fünf Jahre verlängert. Kein anderes
Orchester weltweit besitzt einen so langjährigen Förderer.
Unterdessen stehen die Berliner mal wieder
auf Platz 1 im Wettbewerb der Toporchester.
„Qualitätsführer“ nennt man solche Unternehmen: Jeder Musiker, und das ist keine Übertreibung, ist einer der Besten seines Instruments,
fast jeder in seinem Fach ein kleiner Weltstar:
einer der besten Flötisten dieses Planeten, einer der besten Cellisten und so weiter, 128-mal.
Das klingt nach schwierigen Gesprächen mit
erfolgsverwöhnten Großmeistern, stimmt aber
nicht: „Wirklich herausragende Künstler“, sagt
Hoffmann, „sind niemals eitel.“
Bei so hohen Ansprüchen müssten eigentlich
auch die Berliner über den viel zitierten Fachkräftemangel klagen. Doch im „War for talents“
müssen sich die Philharmoniker um Nachwuchs
wenig sorgen, denn die kreative Kraft des Orchesters zieht weltweit die besten Köpfe an. So
ist das Fachkräfte-Recruiting der Berliner auch
etwas härter als anderswo: Die Probezeit dauert
bis zu zwei Jahre, in jedem anderen Unternehmen wäre das schon Schikane. Erst dann wird
abgestimmt, ob der neue Kollege oder die neue
Kollegin auch wirklich passt. Musiker aus 25 Nationen müssen sich hier zu einem Organismus
zusammenfügen, so viel „Diversity“ hat kaum
ein anderes Unternehmen in einer Sparte.
Die Selbstverwaltung hat die Künstler erfolgreich gemacht. Aber was ist eigentlich mit
dem berühmten Chefdirigenten? Jede echte
Führungskraft darf einstellen oder entlassen,
er nicht. Nur eines darf er: Sir Simon Rattle und
alle vor ihm und nach ihm definieren, was gespielt wird. Im Unternehmen heißt das „Produktauswahl“. Bislang ging das auch in Berlin recht
gut. Außer eben 1882.
S T EPH AN S CH LOT E
Seit mehr als 25 Jahren
fördert die Bank
die Arbeit der Berliner
Philharmoniker. Unterstützt wird
zum Beispiel die Digital Concert
Hall, die alle Konzerte per Internet
in HD-Qualität zugänglich macht.
Oder das Education-Programm:
In der Auseinandersetzung mit Tanz
und Musik lernen Kinder und
Jugendliche das Zusammenspiel im
Team, entwickeln Kreativität
und überwinden kulturelle Grenzen.
Jüngstes Education-Projekt sind
die „Vokalhelden“, bei dem Berliner
Schulkinder zum gemeinsamen
Singen und Musizieren mit den Profis des Ensembles animiert werden.
Hinzugekommen ist auch das
Projekt „Explore Classical Music!“,
das weltweit Schulen die Möglichkeit zum kostenlosen Zugang zur
Digital Concert Hall gibt. Und wer
als junger Mensch sein Leben
dann irgendwann ganz der Klassik
widmen will, bekommt auch Hilfe:
Die Orchester-Akademie unterstützt, gefördert von der Deutschen
Bank Stiftung, herausragende
Nachwuchsmusiker.
WEITERE INFORMATIONEN
Deutsche Bank und Berliner
Philharmoniker:
www.db.com/cr/de/konkretberliner--philharmoniker.htm
Der Dokumentarfilm „Rhythm Is It!“
über das Education-Programm
ist als Einzel-DVD oder Sammeledition im Handel erhältlich.