Aufstand gegen Spitex-Monopol

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Aufstand gegen das Spitex-Monopol
Aus Kostengründen vergeben erste
Gemeinden Aufträge privat – und
werden verklagt
Bern Das Monopol der öffentlichen und gemeinnützigen Spitex wankt: Erste Gemeinden im Kanton Solothurn vergeben den Auftrag für die Versorgung ihrer Bürger an einen privaten Anbieter. Die
Spitex reagiert mit einer Klage.
Die SonntagsZeitung hat vergangene Woche über
Forschungsergebnisse der Universität Basel berichtet. Wissenschaftler berechneten, dass die staatliche
Spitex doppelt so teuer sei wie die private Konkurrenz. Das koste die Steuerzahler 715 Millionen
Franken Subventionen pro Jahr. Zudem fehle
Transparenz darüber, wie dieses Geld eingesetzt
werde, so das Fazit der Forscher. FDP-Ständerätin
Christine Egerszegi stellte dabei fest, dass die Spitex eine «heilige Kuh» in den Gemeinden
sei.
Staatliche Aufträge für die Versorgungspflicht der Alten werden im Gegensatz zum sonstigen staatlichen Beschaffungswesen nicht ausgeschrieben – auch wenn es sich um Millionenaufträge handelt. Das Monopol der öffentlichen und gemeinnützigen Spitex wurde bisher
nicht hinterfragt.
Das gilt in der 1000-Seelen-Gemeinde Erschwil im Schwarzbubenland im Kanton Solothurn
nicht mehr. Sie hat den Versorgungsauftrag neu statt an die gemeinnützige Spitex der Pro
Senectute an den privaten Anbieter Acura AG vergeben. Gemeindepräsidentin Susanne
Koch, CVP, erklärt: «Wir hatten eine Pro-Kopf-Verschuldung von 5200 Franken. Der kantonale Schnitt liegt bei rund 2900 Franken. Als die Spitex der Gemeinde eine weitere Budgeterhöhung von 50 000 Franken prognostizierte, war für uns der Fall klar: Wir haben den
Auftrag ausgeschrieben.» Den Zuschlag erhielt Acura.
Denselben Schritt hatte zuvor bereits die Nachbargemeinde Grindel gewagt. Dort ging es
den Gemeinderäten neben den Kosten auch um mehr Transparenz. Gemeindepräsidentin
http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_27_09_2015/nachrichten/Aufstand-gegen-das-... 27.09.2015
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Ursula Borer sagt: «Wir haben früher nie Einblick erhalten in die Kosten. Es wurde immer
teurer, und wir wussten nicht warum.» Die Gemeinde müsste sehen können, was sie bezahle, so Borer. «Deshalb versuchen wir es jetzt mit einem privaten Anbieter.»
Der Aufstand der kleinen Gemeinden hat bereits gerichtliche Folgen. Die Spitex-Betreiberin
Pro Senectute hat die Gemeinde Erschwil beim Solothurner Verwaltungsgericht eingeklagt.
Das Ausschreibungsverfahren sei unfair verlaufen, argumentiert die Stiftung. «Wir hatten
klare Indizien dafür und haben deshalb die Beschwerde eingereicht», so Ida Boos von Pro
Senectute. Mehr könne sie dazu wegen des laufenden Verfahrens nicht sagen.
Die Beispiele Grindel und Erschwil könnten Schule machen
Thomas Fedrizzi vom privaten Spitex-Anbieter Acura will das Monopol der Spitex aufbrechen – ohne aber die einen gegen die anderen auszuspielen. Einzelne schwarze Schafe gebe
es auf beiden Seiten: «Es gibt bei den öffentlichen Spitex-Anbietern Ausreisser, was die zu
hohen Kosten anbelangt, die man nicht sehen will. Aber auch bei den Privaten gibt es Ausreisser, die schlechte Löhne und miese Arbeitsbedingungen bieten. Beides geht nicht.» Doch
heute seien verschiedene private Anbieter auf dem Markt, die gross genug seien, um die Versorgungspflicht zu übernehmen – mit den gleichen qualitativen Anforderungen an die arbeitsrechtliche Situation der Angestellten wie die öffentlichen Spitex-Dienste, so Fedrizzi.
Das Beispiel von Grindel und Erschwil könnte eine Schleuse öffnen. In 60 Gemeinden der
Region im Kanton Solothurn steht die Erneuerung der Leistungsvereinbarung an. Bisher hat
sie die öffentliche Spitex automatisch zugesprochen erhalten. Doch jetzt sagt Fedrizzi von
Acura: «Wir werden uns dort bewerben.»
Catherine Boss
http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_27_09_2015/nachrichten/Aufstand-gegen-das-... 27.09.2015