20160221 Predigt Andreas Klein

’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Der Bote von Wandsbek, der Liederdichter Matthias Claudius hat im Jahre 1778
dieses Gedicht veröffentlicht. Es war gar kein konkreter Krieg in jenen Tagen,
aber es war unentwegt Krieg in deutschen Landen. In seiner Zeit hatten die
preußischen Kriege die Landkarte Mitteleuropas verändert. Krieg war Mittel der
Politik. „Kron und Land und Gold und Ehre“ erhoffte man sich. Man nahm die
Schrecken in Kauf. Es waren die Kriege der Herrscher, die Bauern mussten ihre
Kinder geben.
Doch Matthias Claudius sagt. Für mich tut ihr das nicht. Ich will kein Nutznießer
sein. Ich begehre, nicht Schuld daran zu sein.
Liebe Freunde, wir möchten gern mit euch darüber nachdenken, was haben die
Nachrichten, dass die Welt aus den Fugen gerät, was haben die medialen
Schreckensbilder von Krieg und Vertreibung, die seit Matthias Claudius nie
aufgehört haben, mit unserem Leben zu tun.
Sie versetzen in Angst und Schrecken – und dann? Machen Sie uns zu wütenden
Menschen, zu Menschen, die aufbegehren? Oder machen sie uns zu Menschen,
in die innere Emigration, in die Ohnmacht des „Hauptsache mir geht’s gut“
flüchten. Oder wecken Sie in uns Energie, für das Leben zu streiten und nicht
aufzugeben?
Er war der erste Maler mit einem Logo. Das A und das D, das ineinander
verschachtelt unter seinen Bildern steht, war seine Marke. Albrecht Dürer hat
wunderbare und schreckliche Skizzen und Bilder gemalt. Im Landesmuseum in
Darmstadt ist gerade eine Ausstellung seiner Werke.
Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen
Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht
gegeben ... zu töten mit Schwert und Hunger und Pest...
Dieser Satz aus der Offenbarung des Johannes hat Albrecht Dürer zu seiner
Reihe über die apokalyptischen Reiter inspiriert. Schreckensbilder über das, was
die Bibel für diese Welt prophezeit. Da reitet im Vordergrund das fahle Pferd des
Todes, ausgemergelt aber kraftvoll und tritt in den Boden, was sich ihm in den
Weg stellt. Und der Maler will mit diesen Bildern aufrütteln und warnen, mahnen
und wecken.
Könnte man meinen.
Dann habe ich etwas über diese Bilder nachgelesen und fand folgende Zeilen:
„Die Apokalypse war ein großer Erfolg und machte Dürer in kurzer Zeit
weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus bekannt. In einer von
Endzeiterwartungen geprägten Zeit politischer und religiöser
Umwälzungen – wenige Jahre vor der Reformation – war das Interesse an
apokalyptischen Themen groß. Auch finanziell war die Apokalypse für
Dürer sehr einträglich, sie verschaffte ihm sein Leben lang beträchtliche
Einkünfte. Für den Vertrieb beschäftigte Dürer „Reisediener“, die von Stadt
zu Stadt reisten und Drucke verkauften.
Diese Bilder waren die Horrorvideos des Mittelalters. Sie haben die Menschen
unmittelbar in Beschlag genommen. Sie haben Angst gemacht und Schrecken
verbreitet. Diese Bilder hatten einen Markt. Und wer sich mal kurz
vergegenwärtigt, dass sich angefangen mit „The Day After“, mit Zombie-Serien
wie „Walking Dead“ und unzähligen Computerspielen auch heute mit
apokalyptischen Bildern Unmengen von Geld verdient werden können, kann zur
folgenden Überzeugung kommen:
Wer apokalyptische Bilder verbreitet, also den Untergang des Abendlands
herbeiredet, wer andere in Angst und Schrecken versetzt, hat nicht in jedem
Fall Recht.
Sondern hat erst einmal nur ein Interesse.
Der Dichter Matthias Claudius hatte das Interesse sich selbst zu den Opfern des
Krieges in Beziehung zu setzen. Die Erschlagenen, aber auch die Frauen und
Mütter, die Väter und die Bräute, sie klagen mich an, sie krähen von den Bergen
der Leichen herab zu mir. Was hast du damit zu tun? Und wir tun gut daran, diese
Frage ebenfalls für uns zu stellen? Was hat unser Leben mit den Kriegen dieser
Welt zu tun. Unser Gieren nach niedrigen Preisen für Lebensmittel und Elektronik
und Kleider. Wer bezahlt dafür?
Der Maler Albrecht Dürer ist tief eingetaucht in die Welt der apokalyptischen
Bilder und es kann nicht anders sein, dass der Schrecken ihn selbst ergriffen hat;
er spürte aber auch, dass die Verkäufe der Drucke ihm ein gutes Auskommen
bescherten. Der erste Maler mit Logo.
Wer apokalyptische Bilder verbreitet, hat nicht in jedem Fall Recht, sondern ein
unterschiedlich offenkundiges Interesse.
Nun werden einige Menschen sagen: Na aber, das sind doch biblische Bilder.
Das Buch Daniel, die Reden Jesu von der Endzeit in den Evangelien. Die
Offenbarung des Johannes. Bilder von Erdbeben und Seuchen und Kriegen.
Ich lese aus Markus 13:
7 Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so fürchtet
euch nicht. Es muss so geschehen. Aber das Ende ist noch nicht da. 8
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich
gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es
werden Hungersnöte sein. Das ist der Anfang der Wehen. 9 Ihr aber seht
euch vor! ... 12 Und es wird ein Bruder den andern dem Tod preisgeben
und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören gegen die
Eltern und werden sie töten helfen. 13 Und ihr werdet gehasst sein von
jedermann um meines Namens willen. Wer aber beharrt bis an das Ende,
der wird selig.
Die apokalyptischen Texte der Bibel sind in der Tat ungeheuer wichtige Texte.
Sie sind Ermutigungsbücher für bedrängte Glaubensgruppen unter
Gewaltregimen, die Angst und Schrecken verbreiten. Sie haben in der Zeit des
römischen Reichs den jungen Kirchen, sie haben in den Zeiten des Faschismus
in Deutschland und des Kommunismus in der Sowjetunion den Gemeinden Kraft
und Orientierung gegeben. Sie haben ermutigt, dass auch unter den Vorzeichen
der Niederlage Jesus der Sieger ist und bleibt.
Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure
Häupter, weil sich eure Erlösung naht!
Diese Texte sind wertvoll bis heute. Sie sind das Trostbuch für Bedrängte. Sie
sind aber gewiß nicht gedacht als Handbuch für die, die gern mächtiger sein
wollen. Sie sind absolut keine Anweisung für die, die den Untergang des
Abendlandes predigen, sie legitimieren nicht, dass im Namen des Evangeliums
ein Ausnahmezustand verhängt werden kann, in dem auf einmal nicht mehr die
Liebe gilt, sondern nur noch offener Hass gegen alles Fremde!
Wer apokalyptische Bilder verbreitet, also den Untergang herbeiredet und damit
andere in Angst und Schrecken versetzt, verfolgt ein Interesse. Und das ist
meistens ein großes Eigeninteresse. Die biblischen Bilder von Schrecken und
Untergang sind für den Missbrauch höchst anfällig! Man kann sich ihnen kaum
entziehen. Deshalb ist unser Auftrag zu schauen: Was führst du damit im
Schilde?
Dazu gehört noch eine weitere Überlegung:
Die Welt gerät aus den Fugen. Was denkst du eigentlich von der Welt?
Auch hier gibt es verschiedene Ansichten. Es gibt die Auffassung, dass diese
Welt böse ist, gefallen, dem Untergang geweiht und dass nur die Schar der
Erlösten aus dieser Weltzeit gerettet wird.
Wenn ich mit dem Fahrrad durch Frankfurt fahre, an neuen Nobelwohnungen
vorbei, die leer sind, weil sie Investitionsobjekte sind, durch das Bahnhofsviertel,
mit Drogen und Rotlicht, durch das noble Westend mit dem alten Geld, ja dann
könnte sich der Eindruck ergeben. Vergiss es, das wird nichts mehr.
Paulus kann aber auch schreiben, dass Gott in Christus war und diese Welt
versöhnt hat und uns den Auftrag gegeben hat, Botschafter der Versöhnung zu
sein. Und dann ist berechtigte kritische Sicht auf die Phänomene des Unrechts
nicht die umfassende Deutung, sondern ein kritischer Aspekt des Ganzen. Das
umfassendere Wort aber sagt: Und trotzdem. Es ist die von Gott geschaffene
und geliebte und versöhnte Welt – und wir haben einen Auftrag: Botschafter der
Versöhnung zu sein. Aber wie geht das?
3 Kurze Impulse am Ende.
Wertschätzung des Senfkorns
Manche Tat der Versöhnung ist für sich genommen so klein und
unbedeutend und gleichzeitig wertvoll und folgenreich. Die Mitarbeiterin
einer Firma geht zu ihrem Chef und sagt: Ich möchte nicht beteiligt sein,
wenn wir elektronische Bauteile an einen Unrechtsstaat schicken. Sie
riskiert ihren Job, aber legt dem Chef Recherchen vor, was mit dem, was
sie da liefern in dem Land geschieht. Politische Gefangene werden isoliert.
Eine kleine Tat. Am Ende wird das ganze Projekt gestoppt.
Die Erzählung dieser kleinen Geschichte gibt anderen wiederum Mut an
ihrer Stelle zu fragen, was ist denn meine kleine Tat, mit der etwas anfängt.
Das Reich Gottes fängt, so sagt die Bibel, mit dem Senfkorn an. Und dann
wächst es und wird groß. Es ist ein Senfkorn, persönlich auf faire Produkte
zu achten und anders einzukaufen. Insgesamt folgt daraus eine
Veränderung.
Vernetzung der Menschen
Die große Zahl von Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr, wie auch in
diesem Jahr nach Deutschland kommen, haben ein ungeheures
Engagement geweckt von Menschen, die sich nun ehrenamtlich einsetzen
und helfen. Was dabei besonders ist, dass die Vielzahl dieser Hilfe nicht
nur eine viel stärkere und deutlichere Demonstration ist, als alles, was da
Montags aufmarschiert und Hassparolen von sich gibt.
Und passiert aus meiner Sicht noch etwas anderes. Diese Flüchtlingshilfe
empfinde ich als zutiefst uneigennützig. Da beteiligen sich Organisationen
zusammen mit anderen. Es geht nicht um die Werbung von Mitgliedern,
sondern um Hilfe für andere. Christen und Menschen aus Vereinen tun
sich zusammen, weil sie spüren: Das schaffen wir nur gemeinsam. Das
sagt die Bibel übrigens auch: Aus dem Senfkorn wird ein Baum und da
haben viele Platz.
Verantwortung für das Ganze
Wir haben in Deutschland nach den Erfahrungen von zwei Diktaturen im
vergangenen Jahrhundert und besonders gestärkt durch die kritische Sicht
der 68er eine grundsätzlich kritische Sicht auf die Rolle des Staats. Und
die Entwicklung in Ungarn und Polen, in der Türkei und in Russland zeigt,
wie richtig das ist, kritisch und wach zu sein. Es gibt immer die Tendenz
zum Machtstaat, der sich der Kontrolle durch das Öffentlichkeit entzieht.
Aber diese Einstellung hat auch dazu geführt, dass sich der wache
kritische Geist in gelähmte Anteilslosigkeit verwandelt hat. Viele
Menschen fliehen ins Private und das aktive Einmischen in die Politik
etwas Unanständiges ist.
Und demgegenüber gilt. Sucht der Stadt Bestes. Mischt euch ein. Bringt
euch ein. Geht in die Parteien – wie wunderbar, dass es sie gibt. Geht
wählen, lasst euch wählen, übernehmt Verantwortung. Unser Staat ist in
der Tat herausgefordert durch die Flüchtlinge, aber er ist gefährdet durch
Menschen, die sich der Beteiligung durch ihre Steuern und das aktive
Einbringen ihrer Verantwortung entziehen! Wir dürfen dankbar sein, in
diesem Staat zu leben mit diesem Grundgesetz, mit der Teilung der
Gewalten, mit einer freien Presse. Das ist ein ungeheurer Schatz, für den
wir kämpfen dürfen.
Manchmal sind es Worte ganz schlicht der Losung von gestern, die uns
aufrichten und ermutigen und dazu ein Gebet; von der ersten Versammlung der
weltweiten Kirchen nach dem großen Krieg in 1948:
Amen.