Name: Deutsch – Klausur Nr. 1 13.11.2015 Kurs: 13BG (d2) Thema: J. W. v. Goethes Drama „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808) Zeit: 90 min. Hilfsmittel: J.W. v. Goethe: Faust I (Schöningh) Duden-Rechtschreibung Aufgabenstellung: Vergleichen Sie die Figur des Alexander von Humboldt aus vorliegendem Textauszug von Daniel Kehlmann mit der Titelfigur in Goethes Drama „Faust I“ im Hinblick auf ihre jeweilige persönliche und gesellschaftliche Situation sowie Auffassung von Wissenschaft. Belegen Sie Ihre Ausführungen mithilfe von Zitaten am Text des Goethe-Dramas. Fehlerindex: Anzahl Fehler x 100 : Anzahl Wörter ______ x 100 : ________ = _______ % = ____ Pkt. Abzug Note: _____ Pkt. Musterlösung Persönliche Situation: − Goethes Gelehrter Heinrich Faust befindet sich in einer persönlichen inneren Krisensituation: Auch wenn er jahrelang Wissen angehäuft hat, fühlt er sich in seinem Streben nach göttlicher Erkenntnis, in seinem Drang, zu erkennen, „[w]as die Welt / Im Innersten zusammenhält“ (V. 382f.) unbefriedigt sowie vereinsamt, steht kurz vor dem versuchten Suizid mittels Gift. − Kehlmanns Naturforscher Alexander von Humboldt dagegen sieht sich auf dem Zenit seiner wissenschaftlichen Karriere angelangt, damit tritt er auch persönlich gefestigt auf; jedwede Zweifel an seiner Forschungstätigkeit oder gar Selbstmordgedanken sind ihm anscheinend abhold. Gesellschaftliche Situation: − Während sich Faust bei der einfachen (bäuerlichen) Bevölkerung aufgrund der Arzneiexperimente seines Vaters im Zusammenhang mit der Pest eines hohen Ansehens erfreut (V. 981ff.), befindet sich Humboldt gar auf dem Höhepunkt seines gesellschaftlichen Status, da er vor dem Kronprinzen und weiteren Honoratioren des preußischen Staates über die Erkenntnisse seiner jüngsten Forschungsreise nach Süd-, Mittel- und Nordamerika referieren darf. Wissenschaftsverständnis: − Faust wie Humboldt möchten gewissermaßen erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. − Während Faust das Studium aller am Umbruch zur Neuzeit universitär belegbaren Fächer (Philosophie, Medizin, Jura, Theologie) für sich beanspruchen und damit als Universalgelehrter gelten kann, findet sich Humboldt am Beginn des 19. Jhds. in einer zunehmend spezialisierten Wissenschaftslandschaft wieder: Seine naturwissenschaftlich breitgefächerten Kompetenzen lassen ihn anders als Faust als ausgesprochene Koryphäe auf einem bereits weit ausdifferenzierten Forschungsgebiet erscheinen (Physik, Chemie, Botanik, Zoologie, Vulkanologie, Klimatologie). − Anders als Humboldt zeigt sich Faust dabei offen selbst für unkonventionelle Pfade der Erkenntnissuche, indem er sich von der traditionellen Wissenschaft ab- und dem Irrationalismus/der Magie zuwendet (Nostradamus, Erdgeist, Teufelspakt, später Wette mit dem Teufel), während sich der preußische Gelehrte einem rein säkularen Wissenschaftsbegriff verpflichtet weiß. − Im Unterschied zu Humboldt beinhaltet Fausts Wissenschaftsbegriff ebenso die Erforschung des „Kosmos Mensch“, d.h., sein Erkenntnisinteresse erstreckt sich auch auf die Psychologie, also das Trieb- und Gefühlsleben der Menschen (V. 577ff.). − Während Faust den Glauben an den Fortschritt durch Wissenschaft verloren (vgl. misslungenes Arzneiexperiment des Vaters) und die Grenzen der traditionellen Wissenschaft für sich erkannt hat (Wissenschaftsskepsis), erweist sich Humboldt als geradezu euphorisch wissenschaftsgläubig, da er die Enträtselung sämtlicher Naturvorgänge kurz bevorstehen sieht. − Fausts Erkenntnisdrang verknüpft sich nicht mit der Vorstellung eines sozial-emanzipatorischen Fortschritts (er ist also Menschheitspessimist), da er lediglich auf die Erweiterung seiner eigenen Erkenntnis abzielt. Nichtsdestotrotz vertritt Faust eine ausgesprochene Verantwortungsethik der Wissenschaft gegenüber den Menschen, da er sich als schuldig in Bezug auf die alchemistischen Arzneiexperimente seines Vaters empfindet (V. 1052ff.). − Im Gegensatz dazu sieht Humboldt quasi ein „Goldenes Zeitalter“ der Wissenschaft heraufziehen, in welchem Gewalt und Armut, ja möglicherweise gar der Tod beseitigt seien (Menschheitsoptimismus). − Für Faust maßgeblich zeigt sich zudem die Vorstellung des subjektiv-emotionalen Eingebundenseins des Forschers als Bestandteil des Erkenntnisgewinns (V. 534ff., 568ff.). − Demgegenüber muss für Humboldt trotz allen positivistischen Überschwangs seiner Erwartungen an die Segnungen der Wissenschaft davon ausgegangen werden, dass er ein Wissenschaftsverständnis gemäß der cartesianischen Trennung von Geist und Materie, d.h. von beobachtendem Forscher und zu beobachtendem Untersuchungsgegenstand vertritt. − Beide Gelehrtentypen zeigen sich zudem auf ihre Weise fasziniert von der Natur: Während für Humboldt das Wunder alles Lebendigen sowie die geologischen Phänomene der Erde ebenso wie die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stehen, erweist sich Faust als enthusiastischer Naturschwärmer im Sinne des Sturm und Drang (V. 392ff., V. 455ff.).
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