Nr. 56 | 23. Februar 2016 11 KunstKulturQuartier Wo Kunst entsteht Atelierbesuche der Kunstvilla bei Nürnberger Künstlerinnen und Künstlern Zum Profil der Kunstvilla gehört die enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern, die in Nürnberg leben. Wenn ihre Werke im Rahmen von Sonderausstellungen im Museum für regionale Kunst präsentiert werden, führen Atelierbesuche zu den Orten künstlerischen Schaffens. Angeleitet von fachkundigen Museumspädagogen thematisieren die Atelierbesuche den Lebensweg und den künstlerischen Ansatz, die Arbeitsweise und die derzeitigen Projekte – wie zuletzt bei Karin Blum und Meide Büdel, deren Ausstellung Im Gleichgewicht noch bis zum 3. April in der Kunstvilla zu sehen ist. Von der Werkstatt des Mittelalters, dem Studiolo der Renaissance über die kargen Denkräume der Romantik und die opulenten Salons des 19. Jahrhunderts bis zu den Fabriken, Hallen oder Büros der Gegenwart – die Geschichte der Künstlerateliers spiegelt nicht nur den sich wandelnden Kunstbegriff, sondern auch die gesellschaftliche Stellung des Künstlers wider. Mit dem Geniekult des 19. Jahrhunderts begann die Musealisierung der künstlerischen Wirkungsstätten. Der einstige Arbeitsraum entwickelte sich zum Kultraum. In Nürnberg wurde bereits 1871 die Wohn- und Arbeitsstätte Albrecht Dürers als Museum eröffnet. Für viele Touristen ist das Albrecht-Dürer-Haus ein Wallfahrtsort wie der Arthothek im Künstlerhaus Tapetenwechsel auf Leihbasis: In dieser etwas anderen Galerie kann man Kunst nicht kaufen, sondern leiht Originale zeitgenössischer Künstler gegen eine geringe Gebühr. www.artothek-online.de Termine Kunstvilla Klasse Wilhelm! Burghart, Eppich, Hasselt, Heyduck, Koller, Reichart, Vornberger und ihr Lehrer Hermann Wilhelm 21. 4. bis 2. 10. 2016 Vulcano Werner Knaupp 29. 4. bis 2. 10. 2016 Führungen immer sonntags 15 Uhr Kunsthaus Oliver Boberg Fast hier 10. 3. bis 8. 5. 2016 Verrat der Dinge 26. 5. bis 10. 7. 2016 Garten des Impressionisten Claude Monet in Giverny, die Factory des Pop Art-Künstlers Andy Warhol in New York oder Jackson Pollocks Scheune in den Hamptons. Handelt es sich bei diesen musealisierten Ateliers um konservierte, größtenteils rekonstruierte Situationen, so zeigt ein Atelierbesuch bei zeitgenössi- schen Künstlerinnen und Künstlern das derzeitige Schaffen – unverstellt und lebendig. Die Farbe ist noch nicht getrocknet, das Objekt hat seinen letzten Feinschliff noch nicht erhalten. Ein Atelierbesuch führt an den Entstehungsort der Kunst bevor sie einem größeren Publikum vorgestellt wird. Wenn Künstler ihre Türen öffnen, bedeutet dies immer einen Vertrauensbeweis. Die Besucher dürfen einen Blick hinter die Kulissen und auf den individuellen Schaffensprozess werfen. Skizzen, Modelle, Pläne, Fundstücke, Materialien wie Stifte, Öl- und Acrylfarben, Leinwände in verschiedener Größe, Staffeleien, Werkzeug, Werke in unterschiedlichstem Vollendungsgrad, neuerdings Computer und Musikanlagen – das sind abhängig von der Gattung die typischen Bestandteile eines heutigen Künstlerateliers. Als Ort der künstlerischen Zwiesprache mit Konzepten und Visionen ist das Künstleratelier heute noch ein mythischer Ort par excellence. Zugleich bezeugt er auch die Entstehungsbedingungen von Kunst. In Nürnberg existierten lange Zeit nur vereinzelte Atelierhäuser. Mit der Umnutzung des AEGGeländes fand eine Konzentration statt, die jährlich während der Ateliertage einem breiteren Publikum zur Besichtigung offen steht. Ansonsten sind Künstlerateliers über den gesamten Großraum NürnbergFürth-Erlangen sowie das Nürnberger Land verteilt. Es sind diese häufig unbekannten Adressen, zu denen die Kunstvilla ihre Besucherinnen und Besucher führt – als Türöffner von ansonsten geschlossenen Welten. Andrea Dippel links: Meide Büdel rechts: Karin Blum Fotos: Stephan Minx, Nürnberg Unorte unserer urbanen Umgebung Seit 18 Jahren rückt der in Fürth lebende Künstler Oliver Boberg scheinbar reale Unorte in den Fokus und stellt damit auf faszinierender Weise unsere Sehweise auf die urbane Umgebung in Frage. Zu sehen sind neueste Werke vom 10. März bis 8. Mai im Kunsthaus. Bobergs Arbeiten zeigen gewöhnliche Orte in städtischem Terrain, die wir in unserem Alltag gar nicht bewusst wahrnehmen würden. Bei ihrer Betrachtung erscheinen sie jedoch ungemein vertraut: blanke graue Betonwände, gestrichene Hausfassaden oder eine verregnete Gasse bei Nacht. Seine Inszenierungen führt der bildende Künstler uns in Fotografien und Videofilmen vor Augen. So zeigen seine statisch wirkenden 16-MillimeterStreifen eine schmale, spärlich beleuchtete Gasse oder eine verregnete Landstraße bei Nacht – ohne dass dabei eine erzählerische Handlung eintritt. Die Szenerie bleibt wider Erwarten menschenleer. Auch seine Fotografien zeigen nüchtern den unbe‑ lebten Unort selbst. Genau genommen sind es reduzierte Ausschnitte von Bauwerken, die Boberg als Motiv wählt, beispielsweise den Abschnitt einer schlichten Hausfassade eines Plattenbaus. Seit 2014 entsteht eine Serie von Fotografien in Leuchtkästen, die Flucht-, Versorgungs-, Licht- und andere Schächte darstellen, wie sie beispielsweise in der U-Bahn vorkommen und vom Fahrgast nur sekundenschnell gesehen werden. Alle diese urbanen Inszenierungen Bobergs sind jedoch nur dem Anschein nach real, die Orte sind in Wirklichkeit sorgfältig erschaffene Kulissen. Die Fotografien sind also keine Abbilder des Realen. Der Modellbau und das malerische Phänomen der Wirklichkeit faszinieren den 50-jährigen seit seinem Studium, das er von 1986 bis 1993 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Hans-Peter Reuter absolvierte. Bevor Oliver Boberg mit dem Bau der Modelle beginnt, dienen ihm Fotorecherchen vor Ort als Vorlage für seine Entwurfszeichnungen. Erst wenn die Idee zum Bild entwickelt ist, beginnt er mit dem Bau von Gebäuden, Straßen und Landschaften aus Pappe, Sand, Holz, Asche und Farbe. Das Malerische spielt für den Künstler hierbei eine wesentliche Rolle. Während des Baus kontrolliert er immer wieder durch den Sucher eines Fotoapparates das Motiv. Im Anschluss lässt Boberg seine Kulissen professionell abfotografieren und so objektivieren. Das Modell als solches ist auf den Fotografien für den Betrachter kaum erkennbar. Es entsteht eine geniale Täuschung, ein Bild der Wirklichkeit, welches unsere Wahrnehmungsmuster hinterfragt, und dem Betrachter zugleich Raum bietet für eigene Geschichten. Anne Fritschka Oliver Boberg, Sitzecke, 2011 Im Kriegsgebiet von Sprache und Zeichen Führungen immer sonntags 14 Uhr Kunsthalle Nürnberg Fiona Banner Scroll Down And Keep Scrolling 24. 3. bis 29. 5. 2016 Führungen immer sonntags um 11 Uhr Künstlerhaus Matrosen Bis 28. 2. 2016 Ohmformat 24. 3. bis 22. 4. 2016 Wahnheit Kasia und Olaf Prusik-Lutz illuminieren die Kaiserburg 28. 4. bis 29. 5. 2016 Alle Termine und weitere Infos unter www.kunstkulturquartier.de/ ausstellungen Scroll Down And Keep Scrolling ist die erste, retrospektiv angelegte Ausstellung der britischen Künstlerin Fiona Banner. Sie entstand in Kooperation mit der Ikon Gallery Birmingham und ist vom 24. März bis 29. Mai in der Kunsthalle Nürnberg zu sehen. Bekannt wurde Fiona Banner, geboren 1966, in den 1990er-Jahren mit ihren Wordscapes. In Live-Performances beschrieb sie Aktmodelle oder übersetzte ikonische Filme sehr eigenwillig in Textarbeiten, die sie auf Wände und großformatige Papierbögen übertrug oder in Form von Grafiken, Postern und Büchern veröffentlichte. In dem 1000-seitigen Buch THE NAM (1997) beispielsweise erzählt Banner sechs Vietnam-Kriegsfilme, darunter Apocalypse Now, Full Metal Jacket und Platoon, Szene für Szene nach. Dabei lässt sie die Filmplots zu einem einzigen, abstoßenden „Superfilm“ über Macht und Gewalt verschmelzen. Um dieses frühe Schlüsselwerk herum entstand im Lauf der Zeit eine ganze Gruppe von Arbeiten: Dazu gehört Banners elfstündige (!) Lesung dieses Textes, den ein Kritiker als 'unreadable' bezeichnet hatte, sowie Skulpturen, Poster und eine Lichtinstallation. Doch kann auch Literatur wie etwa die 1899 veröffentlichte Erzählung Herz der Finsternis von Joseph Conrad zum Ausgangspunkt für die multimedialen Projekte von Fiona Banner werden. Die Schilderung einer gefährlichen und strapaziösen Reise flussaufwärts in das Landesinnere des Kongos wird zum Sinnbild für den Blick in die Abgründe der eigenen Seele. Einfühlsam, realistisch und manchmal auch ironisch werden die Auswirkungen von Kolonialismus, Machtgier und Rassismus beschrieben, die sich in der Figur des korrupten Handelsagenten Mr. Kurtz bündeln. In großformatigen Graphitzeichnungen ihrer Werkgruppe Mistah Kurtz – He Not Dead überträgt Banner seine Figur auf die heutigen Träger der Macht und der Nadelstreifenhosen im Finanzdistrikt der Metropole London. Dabei lud Banner den bekannten Magnum-Fotografen Paolo Pellegrin ein, das Londoner Bankenviertel wie einen unbekannten Dschungel oder ein Kriegsgebiet zu erkunden. Aus den Fotografien entstanden ein Videoporträt der britischen Metropole und die Publikation Heart of Darkness, die in einem weiteren Videofilm von den Luftwirbeln einer tieffliegenden Drohne durch die Straßen getrieben wird. In der Nürnberger Ausstellung sind mehr als 70 Werke, darunter Fotografien, Plakate, Bücher, Videoarbeiten und Zeichnungen von Fiona Banner zu sehen. Für ihre Ausstellungen hat die Künstlerin eigens die neue Schrifttype Font entwickelt, mit der alle Printprodukte gestaltet werden. Ellen Seifermann Fiona Banner, NAM stack, 1997 Foto: Stuart Whipps
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