ECOPOP Positionspapier „Entwicklung und Migration“ Zwischen

Patronatskomitee: Margrit ANNEN-RUF, Sigriswil - Prof. Hans Christoph BINSWANGER, St. Gallen – Sonja CRESPO, Zürich Dr. iur. Bernhard GELZER, Basel - Prof. Jürg A. HAUSER, Weggis - Prof. Otto HEGG, Bern - Prof. Hans Jörg LEISI, Männedorf
- Dr. med. Roland MATTER, Basel - Walter PALMERS, Sursee – Prof. Dr. Hans POPP, Liebefeld – Prof. Manfred
REHBINDER, Zürich - Dr. Philippe ROCH, Russin /GE - Prof. Peter SCHIESS, Basel - Prof. Dieter STEINER, Zürich
ECOPOP Positionspapier „Entwicklung und Migration“
Zwischen naiver Hilfe und Hetze –
Flüchtlingsströme im Brennpunkt
Allein in Nordafrika warten zurzeit rund eine Million Menschen darauf, nach
Europa zu gelangen, viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt sehnen
sich nach einem Platz in Europa. Der Flüchtlingsstrom wächst rasant, hunderte
ertrinken im Mittelmeer, der brain drain schwächt die Entwicklungsperspektive
armer Ländern, die wachsenden Asylkosten in Europa gehen zulasten der
Entwicklungshilfe vor Ort und damit ausgerechnet zulasten der Ärmsten die
sich eine Flucht nicht leisten können. Angesichts der akuten Situation gibt
ECOPOP im Positionspapier „Entwicklung und Migration“ konstruktive
Vorschläge zum Umgang mit dem Flüchtlingselend. Statt einer europäischen
Innensicht muss die Entwicklungsperspektive der Ursprungsländer im
Zentrum stehen.
Massenexodus, ertrinkende Menschen, zynische Schlepper und Kriegsgewinnler auf
der einen Seite, überfüllte Auffanglager und ein überfordertes Asylwesen auf der
anderen. Die aktuelle Flüchtlingsmisere hat die Alarmschwelle längst überschritten.
Die öffentliche Diskussion bei uns pendelt zwischen naiver Hilfe und Hetze. Dabei
könnten wir in Europa mit den für das Asylwesen verwendeten Mittel den Menschen in
den Ursprungsländern weit effizienter helfen, damit diese dort ein besseres Leben
führen können und gar nicht erst ihr Land verlassen wollen. Die jetzige Asylpolitik
lindert die Ursachen für Elend, Armut und Flucht nicht, sie vertieft sie vielmehr durch
einen massiven Brain-Drain.
Mit dem Positionspapier „Entwicklung und Migration“ will ECOPOP konstruktive Vorschläge für kurzfristige Massnahmen zur Linderung der Symptome und langfristige
Massnahmen zur Bekämpfung der Ursachen der zunehmenden Migration vorlegen.
Wir rufen deshalb die Politiker von links bis rechts auf, die gegenseitigen Diffamierungen zu stoppen und endlich eine dringend nötige Sachdiskussion zu führen.
Der heutige Zustand, hinter dem das Leid von Millionen Menschen steht, verdient eine
ernsthafte und differenzierte Herangehensweise statt politischem Schlagabtausch.
Denn die Problematik ist vielschichtig. So haben wir es hierzulande oft weniger mit den
wirklich Ärmsten und Bedrohten zu tun, sondern mit jungen Menschen, die über etwas
Geld verfügen. Zudem wird der Fluchtstrom mit der Verbreitung von Internet und
Smartphones und einem zusehends besser funktionierenden Schleppertum, sowie
den wachsenden Diasporagemeinden bei uns noch dramatisch anwachsen.
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Viele Ursachen
Die Ursachen für die gegenwärtigen Flüchtlingsströme liegen teilweise weit zurück, in
der kolonialen Vergangenheit, mit aufgezwungener Staaten- und Grenzbildung durch
die Kolonialherren, nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“. Dazu kommen bis heute
rücksichtslose Plünderung von Ressourcen, Schuldenfalle, Handelshemmnisse,
Preismanipulation, Umweltzerstörung, Megaprojekte, etc. Teil dieser machtpolitischen
Faktoren ist auch bewusstes Konfliktschüren verbunden mit Waffenhandel und
Kriegstreiberei.
Die Schuld an der Migrationsmisere allein beim „reichen Norden“ zu suchen, greift
allerdings zu kurz. Korrupte Regierungen, mächtige Clans, brutale Diktaturen,
Günstlingswirtschaft, Bequemlichkeit, Trägheit, Bestechlichkeit, andere Mentalitäten
und viele weitere Faktoren sind entscheidende Hindernisse für eine Verbesserung der
Lebensumstände der einfachen Menschen in den Entwicklungsländern. Dazu spielen
auch geographische und klimatische Unterschiede eine wesentliche Rolle.
Vor Ort viel günstiger
Ohne fördernde Massnahmen auf die Lebensbedingungen in den Ursprungsländern
muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Migranten nach Europa weiter
wächst. Dies hat weitere Folgen. Da unsere Einwanderungsregeln kaum die legale
Immigration zulassen und nur via Asyl für an Leib und Leben Bedrohte eine
Einwanderung erlauben, nötigen wir alle Migranten, eine asylgerechte Geschichte
bereitzuhalten. Damit werden diejenigen, die echt bedroht sind, aber nicht die nötigen
Mittel für die Flucht nach Europa haben, ihrem Schicksal überlassen.
Und: da Asylkosten im Wesentlichen aus dem Staatsbudget für Entwicklungshilfe
bezahlt werden, schmälern Asylanten in Europa die Hilfe für die Ärmsten, die in ihren
Ländern geblieben sind, mehrfach: das Geld fliesst in die hiesige Sozialindustrie statt
in die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Ursprungsländern! Statt in den
Ursprungsländern möglichst vielen zu einer würdigen Perspektive zu verhelfen,
versorgen wir eine kleine Gruppe privilegierter Migranten zu teuren europäischen
Kosten.
Eigenverantwortung
ECOPOP fordert international koordinierte Massnahmen, die die Ursachen des Elends
in den Ursprungsländern bekämpft und den tatsächlich Bedürftigen und Bedrohten zu
besseren Lebensbedingungen verhilft. Die Massenflucht aus wirtschaftlichen Gründen
muss
wirkungsvoll
eingedämmt
werden.
Dazu
gehört
eine
Entwicklungszusammenarbeit (EZA), die ihre Mittel weniger auf die Linderung der
Symptome von Armut konzentriert, sondern mehr bei deren Ursachen ansetzt. Das
erfordert eine ganzheitliche, transparente Vorgehensweise, die auch viel
Eigenverantwortung seitens der betroffenen Länder voraussetzt.
Angesichts der akuten aktuellen Flüchtlingskrise braucht es allerdings auch
Massnahmen, die kurzfristig greifen. Deshalb soll für die Dauer der Bedrohung
geschützt werden, wer an Leib und Leben bedroht ist. Nach Ende der Bedrohung aber
erlischt der Anspruch auf Asyl und Schutz und damit das Aufenthaltsrecht in der
Schweiz oder in einem Flüchtlingslager. Durch die Rückkehr ins Heimatland nach
Ende der Bedrohungslage wird wieder Aufnahmekapazität frei für neue Bedrohte. Die
während der Asyldauer Ausgebildeten und mit dem Sozialmodell der Schweiz
Vertrauten stärken so auch den Wiederaufbau im eigenen Land.
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Stärkung der Frauenrechte
Zudem sollten Asyl- und Schutzanträge vor Ort gestellt werden müssen und nur in
speziellen Fällen in der Schweiz akzeptiert werden. Die Bedrohten werden so nahe
den Ursprungsländern betreut und nur ausnahmsweise in die Schweiz geholt. Die
Kosten pro Asylant betragen lokal in den betroffenen Regionen nur einen Bruchteil der
Kosten in der Schweiz. Entsprechend kann mit gleichen Mitteln vor Ort weit mehr
Leuten Schutz geboten werden. Ginge die Schweiz in diesem Sinn der EU voran,
würden wir als Zielland schnell unattraktiv. Denn dank Handys und Internet bestehen
heute gutfunktionierende Verbindungen zwischen den Flüchtlingen, Diasporagemeinden und Zurückgebliebenen. Erhält ein Flüchtling nach seiner gefährlichen und
teuren Reise über das Mittelmeer keinen Platz in der Schweiz, wird die Zahl der
Asylsuchenden schnell abnehmen. Milliarden, welche die Flüchtlinge heute für Reise
und Schlepper bezahlen, könnten sinnvoller genutzt werden. Die Schweiz und die EU
könnten die eingesparten Mittel weit wirkungsvoller in Hilfe vor Ort investieren.
Daran anknüpfend muss sich die Schweiz deutlich stärker in langfristiger, nachhaltiger
EZA mit auszuwählenden Partnerländern engagieren. Voraussetzungen dazu sind u.a.
Stabilität in Staatsführung, Rechtsystem und Sicherheitspolitik, eine angepasste
Wirtschafts- und Finanzpolitik, ein Minimum an Infrastruktur und Umweltschutz sowie
ein ausbaufähiges Bildungs- und Gesundheitssystem.
Freiwillige Familienplanung (Aufklärung und Zugang zu modernen Verhütungsmitteln)
ist zu integrieren. Arme Länder haben oft eine hohe Geburtenrate, Armut und hohe
Kinderzahlen verstärken sich gegenseitig. Um die Selbstbestimmung der Frauen zu
heben, aber auch um Bildung, Gesundheit und ökonomische Entwicklung zu
verbessern, müssen sich die Entwicklungspartnerländer verpflichten, Zugang zu
freiwilliger Familienplanung zu gewähren.
Keine Zeit verlieren
Als überparteiliche und gesellschaftspolitisch liberale Kraft fordert ECOPOP von allen
Parteien, ob links oder rechts, bei den Themen Entwicklung und Migration mit
emotionaler Hetze zu stoppen und eine sachliche, konstruktive Politik mitzutragen. Die
Armutsmigration wächst schnell und sie ist selbstverstärkend. Jeder Monat Untätigkeit
kostet Menschenleben und macht es schwieriger, gute Lösungen umzusetzen. Die
Politik ist deshalb dringend gefordert, Vogel-Strauss- und Schwarz-Peter-Politik zu
beenden, sachbezogen zu arbeiten, und sowohl kurzfristig die Symptome wie auch
langfristig die Ursachen anzugehen.
Das ausführliche Positionspapier mit allen wichtigen
Handlungsvorschlägen findet sich auf www.ecopop.ch.
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