das Fest der Feste Marita Ellert-Richter (Hrsg.) Weihnachten das Fest der Feste Geschichten, Lieder und Gedichte Ellert & Richter Verlag Inhalt Marita Ellert-Richter: Alle Jahre wieder … 8 Wilhelm Busch: Der Stern 19 Amelie Fechner: Weihnachtsstress 20 Arno Surminski: Madonna am Berg 22 Brüder Grimm: Der Goldene Schlüssel 27 Die Ankündigung der Geburt Jesu nach Lukas 28 Paul Willenborg: Von wunderbaren Mächten 29 Achim von Arnim: Abendgebet 38 Hans Joachim Kürtz: Müssen Engel Flügel tragen 39 Johannes Brahms: Wiegenlied 43 Sigrid Schambach: Johann Hinrich Wichern. Der erste Adventskranz 44 24 Advents- und Weihnachtslieder Schneeflöckchen, Weißröckchen 49 Vom Himmel hoch, da komm’ ich her 50 Weiße Weihnacht 52 Es kommt ein Schiff geladen 54 Lasst uns froh und munter sein 55 Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit 56 Hört der Engel helle Lieder 58 Alle Jahre wieder 59 Hoho Schubidubi 60 O Tannenbaum 63 Kommet, ihr Hirten 64 Tochter Zion, freue dich 65 Der Heiland ist geboren 66 Leise rieselt der Schnee 68 Kling, Glöckchen, klingelingeling 69 Zu Bethlehem geboren 70 Süßer die Glocken nie klingen 72 Fröhliche Weihnacht überall 73 Ihr Kinderlein, kommet 74 Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen 76 Es ist ein Ros entsprungen 77 Still, still, still, weil ’s Kindlein schlafen will 78 O du fröhliche 79 Stille Nacht, heilige Nacht 80 Jesu Geburt nach Lukas 81 Jutta Kürtz: Weihnachtliche Festtage vom 11.11. bis 2.2. 83 Birgit Amon: Weihnachtswirren jedes Jahr. Wer darf die Gaben bringen? 91 Theodor Storm: Knecht Ruprecht 104 Rüdiger Vossen: Kleine Geschichte des Weihnachtsbaums 106 Rüdiger Vossen: Die Kunst des Schenkens 120 Dorothee Reinfried-Sippell: Weihnachten im Zoo 126 Joseph von Eichendorff: Weihnachten 129 Thomas Mann: Heiliger Abend bei den Buddenbrooks 130 Theodor Storm: Weihnachtsabend 147 Hans Christian Andersen: Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern 148 Heinrich Hoffmann: König Nussknacker und der arme Reinhold 152 Alfred Polgar: Bescherung 154 Wolfgang Borchert: Die drei dunklen Könige 157 Karin Jacobs-Zander: Weihnachten auf Schloss Elmau 160 Myriam Witt: Weihnachtsmann in Nöten 171 Joachim Ringelnatz: Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle 178 Theodor Fontane: Zum 24. Dezember 179 Autorenviten 180 Autoren- und Quellenverzeichnis 184 Anmerkungen 186 Es gibt Menschen, die lehnen Weihnachten ab. Sie finden es kitschig, kommerziell und familienmäßig katastrophal. Aber es gibt auch die anderen, die sich auf den letzten Monat im Jahr freuen. Zu denen gehöre ich. Schon Tage vor dem ersten Advent überlege ich mir, wie ich unsere Wohnung in diesem Jahr wieder schmücken werde, und verabrede mich zum Weihnachtsplätzchenbacken. Termine werden mit Freunden festgelegt. Die Vorfreude beginnt. Das Lebensgefühl, das Amelie Fechner mit ihrem Alltagsgedicht beschreibt, kennen viele Frauen: Manchmal nimmt man sich einfach zu viel vor und gerät in Stress. Aber wenn die Schleckermäuler mit hochrotem Kopf in der Küche stehen und ein Backblech nach dem nächsten mit Weihnachtskeksen aller Teigsorten in den Ofen schieben, anschließend das duftende Gebäck in die Aufbewahrungsdosen füllen und schon einmal die zerbrochenen Köstlichkeiten naschen, freut man sich auf die Advents- und Weihnachtszeit. Kein noch so leckerer Keks aus der besten Bäckerei übertrifft den Geschmack, denn die Freude am Selbermachen ist Teil des Genusses. Die Weihnachtszeit ist Erwartung und Wunder. Der Schriftsteller Arno Surminski beschreibt in seiner Weihnachtsgeschichte so ein Wunder, die Gebrüder Grimm wollen mit dem goldenen Schlüssel auch eines aufsperren. Hoffen wir nicht alle hin und wieder auf ein Wunder, das die Herzen öffnet und unsere Wünsche erfüllt? In der Bibel verkündet der Erzengel Gabriel die Geburt Jesu. Doch was hat es mit den Engeln auf sich? Schon lange vor dem Beginn der Christenheit kannten die Griechen und die Orientalen diese Himmelsboten. Unser Wort Engel stammt aus dem Griechischen. Der Sachbuchautor Paul Willenborg erzählt die Ursprünge der Engelvorstellungen und beschreibt durch die Jahrhunderte ihre Bedeutung für den christlichen Glauben. Aber müssen Engel Flügel tragen? Dieser Frage geht der Journalist Hans Joachim Kürtz nach und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Als Kind brachte meine Mutter mich ins Bett und sang vor dem Einschlafen das Wiegenlied nach der Vertonung von Johannes Brahms. Diesen Text und diese Melodie habe ich immer sehr geliebt. Auch wenn mich das Lied über das Jahr begleitete, gehört es für mich mit in die Weihnachtszeit. Jedes Jahr gegen Ende November werden die traditionellen Weihnachtskisten aus dem Keller geholt. Wer Lust hat, windet sich selbst seinen Adventskranz. Es ist ganz einfach und macht großen Spaß, wenn sich Freunde zum Werkeln treffen. Natürlich dürfen Weihnachtsgebäck und Punsch nicht fehlen, dann ist der Kreativität keine Grenze gesetzt. Häufig entstehen hübsche Kunstwerke, die bis Weihnachten mit ihren Kerzen – erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür – die winterlich dunklen Tage mit warmem Licht erfüllen. Der Adventskranz steht oder hängt seit über 150 Jahren während der christlichen Zeit der Erwartung bis zum 24. Dezember in den Wohnstuben. Wie kam es zu dieser Sitte? Über Johann Hinrich Wichern und das Anbringen des ersten Adventskranzes, der noch mit 24 Kerzen 8 9 Marita Ellert-Richter Alle Jahre wieder … bestückt war, berichtet die Historikerin Sigrid Schambach, die den Gründer des Rauhen Hauses und sein soziales Engagement vorstellt. Wer gern singt, kann die 24 Ankunftstage bis zum Heiligen Abend mit einem klassischen oder modernen Lied ausklingen lassen. Die Melodien sind meistens bekannt, doch haben wir die Texte noch auswendig im Kopf? Es ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass Singen nicht nur Freude macht, sondern auch im Gehirn Wohlbefinden auslöst und unser Immunsystem stärkt. Musik ist die Sprache der Gefühle, sie fördert Ausdauer, Kreativität und Konzentration. Deshalb ist Singen ein archaisches und elementares Ausdrucksbedürfnis. „Stille Nacht, heilige Nacht“ hat sicher schon jeder gesungen, ganz gewiss als Lied gehört. Es erklingt seit fast 200 Jahren in der Advents- und Weihnachtszeit und wurde in der österreichischen Heimat des Komponisten und Organisten Franz Xaver Gruber sowie des Textdichters Joseph Mohr zum Immateriellen Kulturerbe erklärt. Für Freunde der bewegenden Musik von Johann Sebastian Bach gehört der Besuch einer Aufführung seines „Weihnachtsoratoriums“ zum adventlichen Ritus dazu. Die Erzählung des Evangelisten Lukas von der Geburt Jesu ist die Grundlage für dieses musikalische Meisterwerk – und natürlich für unser Weihnachtsfest. Aufbauend auf der Bibel und kirchlichen, aber auch vorchristlichen Traditionen entwickelten sich die Advents- und Weihnachtsbräuche, die ihre Verbreitung fast auf der ganzen Welt gefunden hat. Den Weihnachtszyklus vom 11. November, dem Martinstag, bis zum 2. Februar, dem Fest Mariä Lichtmess, beschreibt Jutta Kürtz. Im Zentrum der mittwinter- lichen Wendezeit steht das christliche Weihnachtsfest mit der Geburt Jesu, die von den Kirchenvätern auf das Datum der Sonnenwende gelegt wurde. Christkind, Weihnachtsmann und Co. üben eine friedliche Koexistenz im Überbringen der ersehnten Gaben. Wie wir von der Journalistin Birgit Amon erfahren, ist das Christkind emsig im Süden und Westen sowie in Österreich und der Schweiz am Heiligen Abend unterwegs, während der Weihnachtsmann den deutschen Norden und Osten versorgt. Vergessen wollen wir nicht den Heiligen Nikolaus, der Apfel, Nuss und Mandelkern zum 6. Dezember in die Stiefel legt. Und natürlich gehört auch Knecht Ruprecht dazu, der manchmal eine Symbiose mit dem Weihnachtsmann eingeht, wie das folgende Gedicht belegt: 10 11 Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an. Stecke deine Rute ein, ich will auch immer artig sein. Warum stellen wir eine mit Christbaumschmuck behängte Tanne oder Fichte am Weihnachtsabend auf, die am 6. Januar, dem Tag der Heiligen Drei Könige, ihren Auftrag erfüllt hat? Warum verschenken wir die Weihnachtsgaben und welcher Sinn verbirgt sich dahinter? Der Ethnologe Rüdiger Vossen erforscht die Wurzeln dieses Brauchtums. Auch die Tiere sollen nicht vergessen werden. Am Heiligen Abend kommt kein Besucher in den Zoo. Deshalb gehen die wilden Tiere auf Entdeckung. Dorothee Reinfried-Sippell dichtet die Abenteuer, die die Zoobewohner erleben. Nicht nur im 19. Jahrhundert gab es gravierende gesellschaftliche Unterschiede, sie belasten seit jeher die Menschen. Wie das Großbürgertum der Lübecker Senatorenfamilie Buddenbrook seine weihnachtlichen Riten feierte, beschreibt der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von dem Märchendichter Hans Christian Andersen zeigt die Kehrseite des Wohlstands, ebenso wie Alfred Polgars „Bescherung“. Schauen wir hin, was um uns herum passiert, und helfen wir, wie es unsere Möglichkeiten erlauben – nicht nur zur Weihnachtszeit. In einer Welt, wo Krieg in vielen Regionen seine Gräuel ausschickt und die Menschen traumatisiert – tagtäglich aufs Neue –, liest sich die Geschichte „Die drei dunklen Könige“ des Dichters Wolfgang Borchert wie eine Mahnung und ein Appell. Hört auf mit der Verstümmelung der Körper und Seelen! Diese Nachkriegserzählung von 1946 hat leider auch heute nichts an Aktualität verloren. Eine ganz andere Weihnachtsbegebenheit und traditionelle Werte erleben die Gäste des Hotels Schloss Elmau – alle Jahre wieder. Dieser kulturelle Treffpunkt zieht seit rund 100 Jahren Menschen in die verschneite Berglandschaft zwischen Mittenwald und GarmischPartenkirchen. Wie hier ein Heiliger Abend mit wechselnden Akteuren und mit einem Krippenspiel jedes Jahr erneut zelebriert wird, erzählt Karin Jacobs-Zander, die viele Jahreswechsel dort erlebt hat. Bereits ab dem 14. Jahrhundert gab es Weihnachtsmärkte, die das Handwerk der Korbflechter, Zuckerbäcker, Spielzeugmacher und anderen präsentierten und für das leibliche Wohl der Besucher sorgten. Nicht der älteste, aber der berühmteste Weihnachtsmarkt der Welt ist der Nürnberger Christkindlesmarkt, der seit dem 17. Jahrhundert seine Verlockungen mit Nürnberger Lebkuchen, Rostbratwürsten, Spezereien und vielen Verschenkangeboten anpreist. Diese besonderen Verkaufsmessen öffnen in der Adventszeit ihre Stände. Beliebt bei der Bevölkerung in allen Landesteilen sind sie zu einem festen Brauch während der Vorweihnachtszeit geworden, der Jung und Alt anzieht. Und was ein Weihnachtsmann in Nöten auf einem quirligen Weihnachtsmarkt erlebt, zeigt die Menschen, wie sie sind – beschrieben von der Ärztin Myriam Witt. Das Jahresende und der Beginn des neuen Jahrs sind nicht nur christlich geprägt. Seit alten Zeiten wurden die Tage vom 24. Dezember bis 6. Januar die „Rauhnächte“ oder auch Zwölfnächte oder Zwischennächte genannt. Die Rauhnächte und das diese Zeit einleitende Mittwinterfest haben ihre Ursprünge wahrscheinlich in den Kulten und Bräuchen der indogermanischen Stämme. Sie reichen somit bis in die Vor- und Frühgeschichte Europas zurück. Belege für entsprechende Traditionen gibt es aber erst im späteren mittelalterlichen und teilweise auch noch neuzeitlichen Volksbrauchtum im deutschsprachigen und skandinavischen Raum, in Irland, England und Schottland. Obwohl die vorchristlichen Rauhnachtstraditionen später oft christlich überlagert wurden, haben sie sich doch in vielen Regionen noch zwischen der Weihnachtszeit und Neujahr erhalten. Wie stark Traditionen und Bräuche sich über Generationen im Bewusstsein verankern, ohne dass immer der Ursprung bekannt ist, zeigt sich in vielen Festtagsriten. 12 13 Ich kann mich noch erinnern: Als ich Kind war, hieß es, es ist die Zeit „Zwischen den Jahren“, wo keine Wäsche gewaschen und viel Ruhe gehalten wurde. Von solchen Tagen wird in Mythologien angenommen, dass die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt seien und daher die Grenzen zu anderen Welten fallen. In vielen Kulturen sind in dieser Zeitspanne magische Rituale üblich, die sich bis heute im Brauchtum erhalten haben. Im Haus durfte keine Unordnung herrschen, keine weiße Wäsche auf der Leine hängen, die dann wilde Reiter stehlen würden, um sie im Laufe des Jahres als Leichentuch für den Besitzer zu benutzen. Es durften keine Wäscheleinen gespannt werden, da sich in ihnen die wilde Jagd verfangen könnte. In einer anderen Version ist dies besonders jüngeren Frauen verboten. Durch das Aufhängen von weißer Unterwäsche würde die wilde Jagd angelockt und würde dann über die Frauen herfallen. Frauen und Kinder sollten nach Einbruch der Dunkelheit auch nicht mehr alleine auf der Straße sein. Darüber hinaus durfte nicht Karten gespielt werden. In manchen Gegenden des Ostalpengebiets wurden solche Vorschriften von maskierten Gestalten, den Perchten, überwacht. Der Name geht wohl auf die Sagengestalt „Perchta“ zurück und ist keltischen und germanischen Ursprungs. In diesem Kulturraum entwickelte sich die Bezeichnung „Percht“ jedoch erst im 11. Jahrhundert mit den „guten“, den Schönperchten, und den „bösen“, den Schiechperchten. Sie vertrieben die Geister des Winters mit Glocken oder dämonischen Masken. In der „Zwischenzeit“, zwischen dem Vergangenen und dem Zukünftigen, waren die Zugänge zu den Anderswelten weiter geöffnet als in den anderen Jahreszeiten, ließen sich die Wesen und Kräfte der unsichtbaren Wel- ten leichter als sonst rufen, um den Menschen zu helfen. Deshalb ist diese Zeit die „Hauptzeit“ der Zukunftsbefragung gewesen, eine Zeit, in der eine Fülle von Abwehrzauber gegen Unglück im Neuen Jahr durchgeführt wurde, und damit verbunden eine Fülle von Schutz- und Segensritualen für das Wohl von Mensch und Haustier im Neuen Jahr. Die Nacht vor dem Beginn der Rauhnächte (24.12.) war eine geweihte, heilige Nacht, auch „Wihenacht“ genannt. Daraus hat sich unser heutiges Wort der „Weihnacht“ abgeleitet. Sie wurde auch als „Losnacht“ bezeichnet, die Nacht, die sich besonders gut eignet, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Dazu dienten Orakel aller Art, die heute noch in der Silvesternacht als Bleigießen und Ähnliches die Zukunft voraussagen. Auch die Weihnachtsgeschenke haben mit dieser besonderen Zeit des Beginns der Rauhnächte zu tun: Es ist vorbedeutend für das eigene Wohl im nächsten Jahr, wenn man zeigt, dass einem viel am Wohl der anderen liegt. Man nimmt an, dass die Bezeichnung „Rauhnächte“ auf das althochdeutsche Wort für Rauch zurückgeht und sich aus dem Ausräuchern des Hauses ableite. Das Alte ist noch nicht gegangen und das Neue ist noch nicht stark genug. Das Licht kämpft mit der Finsternis, das Gute mit dem Bösen. Zur Mitte der Zwölfnächte, nämlich zu Silvester, soll die wilde Jagd aufbrechen. In dieser Zeit stehe das Geisterreich offen und die Seelen der Verstorbenen sowie der Geister haben Ausgang. Dämonen können Umzüge veranstalten oder mit der wilden Jagd durch die Lande ziehen. Bis in die jüngere Vergangenheit war in weiten Teilen Europas der Glaube verbreitet, dass sich zauberkundige Menschen, die 14 15 einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, zu dieser Zeit in Werwölfe verwandeln und in dieser Gestalt Mensch und Vieh bedrohen (etwa im Baltikum, in Westdeutschland, speziell in der Eifel und den benachbarten Ardennen, oder in Bulgarien und Griechenland). Diese Vorstellung spiegelt sich auch in den Perchtenläufen des Alpenraums wider. Eine andere Form der Perchten, aber regional davon getrennt und eigenständig, sind die Glöckler. Auch der Brauch, zu Silvester Lärm zu erzeugen (Silvesterfeuerwerk), sollte die Unholde fernhalten. Im Alpenraum wird in allen Rauhnächten auch geböllert. In Norddeutschland ist bis heute das Rummelpottlaufen verbreitet. Der Name stammt von dem als „Brummtopf“ bekannten Rummelpott, der ein polterndes Geräusch (niederdeutsch: „rummeln“) erzeugt. Mithilfe des Polterns sollten in früheren Zeiten wahrscheinlich die bösen Wintergeister vertrieben werden. Es ist ein „Heischebrauch“, bei dem es um das Fordern und Erbitten von Gaben geht. Bis vor einigen Jahren kamen auch zu uns am Altjahrabend, zu Silvester die Rummelpott-Kinder an die Haustür. Sie sangen auf Plattdeutsch: Rummel Rummel Rusch, Dat Neejohr sitt in Busch. Gev mi’n lütten Appelkoken, oder ne lüttje Wuss. Is de Wuss to kleen, gev mi twee för een. Is de Wuss to grot, Smekt se nochmol so god. En Hus wiider Wohnt de Snieder. 16 En Hus achter Wohnt de Slachter. En Hus voran wohnt de Wihnachtsmann. Diese Kinder, im Alter von vier bis zwölf, hatten sich verkleidet und einen großen Sack dabei, in den die kleinen Geschenke – Schokolade, Apfelsinen oder Kekse, etwas Geld – geworfen wurden. Leider hat sich dieser Brauch nicht mehr überall erhalten. Er wurde von Halloween abgelöst, das in den letzten Jahren aus Amerika auch nach Deutschland geschwappt und sehr populär geworden ist. „Zubehör“ wie Kürbisse, Hexenhüte und anderes gibt es vielerorts zu kaufen und Halloween-Parties sind regelrecht Mode geworden. Dieses Fest hat sich aus dem „Samhain“ entwickelt, das keltischen Ursprungs ist und seine christliche (natürlich später eingeführte) Entsprechung in dem Feiertag Allerheiligen findet. Der spätere Name „Halloween“ ist auf „All Hallows’ Eve“ zurückzuführen (englisch für „Abend vor Allerheiligen“). Samhain ist ein Mondfest, das heißt eigentlich fällt es auf den Neumond rund um den Novemberanfang, doch der übliche Termin für diesen Brauch ist die Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November. In dieser Nacht ist die Grenze zwischen der Dieswelt und der Anderswelt ebenfalls sehr durchlässig. Die Geister der Toten statten ihren Familien und Freunden einen Besuch ab, wir zünden für sie Kerzen an und gedenken ihrer. Die dunkelste Zeit des Jahres beginnt. Rückzug und spirituelle Arbeit sind angezeigt … Der Kürbis ist das Symbol schlechthin für Halloween, obwohl er mit dem ursprünglichen Samhain nichts zu tun hat. Die Pflanze ist nämlich in der Neuen Welt beheimatet und demnach erst als Folge der Entdeckung 17 Amerikas nach Europa gelangt, wo sie zunächst jedoch noch keine Rolle im besagten Brauchtum spielte. Als Laterne eingesetzt wurde der Kürbis tatsächlich erst so um das Jahr 1850 in den USA. Zu dieser Zeit gab es aufgrund einer großen Hungersnot besonders viele irische Einwanderer, die ihre Gewohnheit, ausgehöhlte Rüben als Laterne zu benutzen, auf den Kürbis übertrugen. Ist Jack o’Lantern, wie die typische Kürbisfratze genannt wird, böse? Um Schutz vor verwirrten umherirrenden Geistern zu erlangen, die ihr altes Heim nicht finden, ist ebenfalls der Brauch entstanden, sich (sozusagen als „Tarnung“) gruselig zu verkleiden und lärmend durch die Gegend zu ziehen, der auch überall in Deutschland als Halloween üblich geworden ist. Bei den Germanen findet man zeitgleich mit dem Keltenbrauch die Verkleidung wieder: am 11.11. beginnt schließlich der Karneval, die fünfte Jahreszeit. Diese unterschiedlichen Sitten und Bräuche variieren von Region zu Region. Der Weihnachtszyklus ist eine Mischung aus christlichen Überlieferungen und heidnischen Traditionen, die im Kern gleich bleiben, aber sich auch immer wieder wandeln. Im Winter rücken die Menschen gern zusammen. In der Weihnachtszeit sind die Kirchen gut gefüllt. Es ist nicht nur eine Zeit des Zusammenstehens, sondern auch der Besinnung und des Friedens. Auf das vergangene Jahr mit all seinen Höhen und Tiefen zurückblicken, sich mit Freunden austauschen und mit einem kleinen Geschenk Danke sagen, gemeinsam backen, kochen, singen und feiern, das Miteinanderleben und auch anderen abgeben – das macht die Weihnachtszeit so besonders. 18 Wilhelm Busch Der Stern Hätt einer auch fast mehr Verstand, Als wie die drei Weisen aus Morgenland, Und ließe sich dünken, er wäre wohl nie Dem Sternlein nachgereist, wie sie; Dennoch, wenn nun das Weihnachtsfest Seine Lichtlein wonniglich scheinen lässt, Fällt auch auf sein verständig Gesicht, Er mag es merken oder nicht, Ein freundlicher Strahl Des Wundersternes von dazumal. 19 Amelie Fechner Weihnachtsstress Ich pfeife aus dem letzten Loch. Zum Glück hab’ ich gerade noch ans Geschenkpapier gedacht und Puderzucker mitgebracht. Beladen komm ich rein zum Flur. Na, alles klar? Was hast du nur? fragt meine große Tochter mich prüft kurz im Spiegel ihr Gesicht entschwindet schulterzuckend dann bevor ich noch was sagen kann. Ich stell die Körbe ächzend hin. Sind da auch Süßigkeiten drin? fragt voller Sorge mich mein Sohn denn Nikolaus ist morgen schon. Polternd saust die Kleinste munter auf ihrem Po die Treppe runter blickt mich mit Strahleaugen an: ich freu’ mich auf den Weihnachtsmann. Ich schaue in ihr Lachgesicht und denke nur: ich freu’ mich nicht. Ich muss so viele Päckchen packen und Bleche voller Plätzchen backen Herzenswünsche früh erkennen mit Listen durch die Läden rennen basteln für den Schulbasar spenden für die Tombola auf dem Postamt Schlange stehen und ins Weihnachtsmärchen gehen 20 einkaufen fürs Weihnachtsessen die Kerzen diesmal nicht vergessen fürs Krippenspiel Kostüme suchen und allerhöchstens heimlich fluchen. Mami, huhu! Sag mal, schläfst du? Ein vorwurfsvoller Tochterblick holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich kreuz’ die Finger hinterm Rücken geh in die Knie, um mich zu bücken für einen dicken Tochterkuss. Da merk’ ich, dass ich lachen muss. Ob ich mich freue, Schatz? Ja, klar. Ich freu mich sehr – wie jedes Jahr. 21 Werner Irro (Hrsg.) Der alljährliche Wahnsinn Die besten Satiren zum Weihnachtsfest Hans Scheibner Wer nimmt Oma? Weihnachtssatiren 224 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag 978-3-8319-0534-8 192 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag 978-3-8319-0133-3 Satiregipfel zur Weihnachtsgans: die schönsten und schärfsten Lästereien zum Fest der Liebe, mit Weihnachtsgeschichten von Kurt Tucholsky, Heinrich Böll, Karl Valentin, Joachim Ringelnatz, Robert Gernhardt u. a. Wer nimmt Oma? Diese und andere dringliche Fragen verhandelt der Autor in seinen Weihnachtssatiren mal bissig und ironisch, mal heiter oder nachdenklich, aber immer mit überraschenden Wendungen. Dr. Werner Irro ist seit vielen Jahren als freier Lektor für Verlage und Autoren tätig, er arbeitet als freier Journalist und Texter. Hans Scheibner ist satirischer Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher und „Lästerlyriker“. Jutta Kürtz Weihnachten in Norddeutschland Geschichten und Rezepte zur Winter- und Adventszeit Rüdiger Vossen Weihnachtsbräuche in aller Welt Von Martini bis Lichtmess 224 Seiten mit 132 Abb. Klappenbroschur 978-3-8319-0448-8 336 Seiten mit 107 Abb. Klappenbroschur 978-3-8319-0474-7 Die Autorin lässt alte Traditionen wieder aufleben, verrät Rezepte zum Nachkochen, gibt Geschenktipps und vermittelt nordisches Brauchtum. Ein Weihnachtshandbuch, das rund um den Globus führt und von Sitten und Gebräuchen aus aller Welt berichtet – von typischen Weihnachtssymbolen bis zu den Themen Schenken und Konsum. Jutta Kürtz ist Spezialistin für Kulinarisches und aktuelle Medienfragen. Sie arbeitet als freie Journalistin und Sachbuchautorin. Dr. Rüdiger Vossen war lange Zeit Leiter der EurasienAbteilung des Museums für Völkerkunde in Hamburg. Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8319-0582-9 © Ellert & Richter Verlag GmbH, Hamburg 2014 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Abbildungen: Fotolia: 16, 21, 27, 32, 35, 41, 43, 49, 63, 67, 68, 72, 77, 79, 80, 82, 88, 90, 93, 98, 113, 114, 119, 129, 132, 141, 151, 163, 164, 171, 175 (© Ellie Nator); 9, 19, 22, 29, 39, 47, 50, 53, 55, 58, 63, 70, 85, 94, 103, 105, 107, 111, 113, 123, 126, 137, 155, 159, 171, 172, 178 (© tabizazn); 153 (© grgroup); 64, 146, 169 (© VRD); alle Ornamente © Galina Shpak Titel: Duccio di Buoninsegna, „Die Geburt Christi“ (1308–1311), Sammlung National Gallery of Art, Washington Textauswahl: Marita Ellert-Richter, Hamburg Redaktion und Lektoratsassistenz: Sophia B. Molter, Hamburg Gestaltung: BrücknerAping Büro für Gestaltung GbR, Bremen Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Leck www.ellert-richter.de
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