Vertrauen braucht Sinn

130
Lebensmittel Zeitung
JOURNAL
LZ 27 3. Juli 2015
FOTOS: MAGGI
Maggi-Community:
Zukunftsfähige Marken
verlieren auch im Internet nicht die Kontrolle, sie sind auch
online gut geführt.
Vertrauen braucht Sinn
Die Studie Brands Ahead untersucht die Zukunftsfähigkeit von Marken. Bei der Befragung der Markenmacher erkennt sie, dass die
Grundtreiber der Markenführung zwar altbekannt sind, aber neu interpretiert werden müssen. Verbraucher wollen Marken vertrauen,
die in ihr soziales Umfeld passen. | Sabine Hedewig-Mohr
E
s gibt zahlreiche Studien, die
Verbraucher nach ihrer Meinung zu Marken befragen,
Ranglisten zeigen deren Beliebtheit, ihren Wert in Euro und Cent
oder ihre Bekanntheit. Die Initiatoren
der Studie Brands Ahead, der Marktforscher TNS Infratest, die Werbeagentur Grey, der Deutsche Marketing
Verband und der Markenverband,
sind einen anderen Weg gegangen. Sie
fragten diejenigen, die sich täglich mit
dem Thema Marke beschäftigen: Unternehmenslenker und Marketingfachleute, CEOs, CMOs und Vorstände. Und sie erkundigten sich nicht
nach dem Hier und Jetzt, sondern
nach der Zukunft. Was macht die Zukunftsfähigkeit der Marke aus? Zunächst wurden 22 Markenexperten in
mehrstündigen Einzelgesprächen und
Roundtable-Diskussionen interviewt,
dabei stammten die Verantwortlichen
aus allen Branchen, FMCG, Automobil, Finanzen und Telekommunikation, Hersteller von Produkten für den
B2B-Markt, den B2C-Markt und
Dienstleister. Im Anschluss wurden
70 Aussagen zur Zukunft der Marke
formuliert und in einer quantitativen
Befragung mit 139 Managern abgesichert.
Das Ergebnis ist erst auf den zweiten Blick spektakulär. „Alles bleibt anders“, formuliert daher Hartmut
Scheffler, Geschäftsführer des Marktforschungsinstitutes TNS Infratest, einer der Studienmacher, die Quintessenz der Analyse. Die Grundtreiber
der Markenführung sind altbekannt.
Es sind Kriterien wie Vertrauen, Kundenorientierung, Relevanz, Leistungsversprechen, Markenleitbild und Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb. Über 70 Prozent Zustimmung
erhalten Aussagen, die diese Leitlinien für die Zukunftsfähigkeit der Marke nennen. Die Detailbetrachtung
zeigt aber, dass diese klassischen Markentreiber immer aufs Neue interpretiert werden müssen. Sie unterliegen
einem Bedeutungswandel. Vertrauen
wurde früher regelmäßig mit Bekanntheit der Marke oder Präsenz im
Markt in Verbindung gesetzt.
Markentreiber neu
interpretieren
Heute wird immer häufiger auch
Sinnhaftigkeit eingefordert, die Verbraucher fordern gesellschaftliches
Engagement, Transparenz und Nachhaltigkeit der Produkte, denen sie
Vertrauen schenken.
Auch die Bezeichnung Hochwertigkeit unterliegt einem Wandel, wie
das Institut Icon Added Value heraus-
fand. In den 1990er-Jahren galt ein
Lebensmittel mit verfeinerten Zutaten
als hochwertig, zehn Jahre später sollten möglichst viele Dinge nicht in einem Produkt enthalten sein, wenn
man es als hochwertig bezeichnen
wollte. Seit den 2010er-Jahren wird
Hochwertigkeit immer stärker mit
möglichst hoher Transparenz nicht
nur in Bezug auf Inhaltsstoffe, sondern auch der Produktionsweise von
den Verbrauchern verstanden.
„Zukunftsfähige Marken schaffen
Vertrauen, indem sie – basierend auf
einem klaren Markenkern – ein Leistungsversprechen abgeben und ihre
Verbraucher ernst nehmen.“ Diese
Aussage erhält von den Marken-Profis
94 von 100 Punkten, somit eine sehr
hohe Zustimmung. Die Marke steht
vor einem Spagat. Sie muss einerseits
flexibler werden. Soll auf unterschiedliche Herausforderungen Ant-
worten geben. Andererseits dürfen die
Antworten nicht so unterschiedlich
ausfallen, dass das Markenbild verwässert.
Wenn man die befragten Markenmacher nach Altersgruppen betrachtet, so wird ein Wertewandel deutlich.
Dialogfähigkeit gewinnt
an Bedeutung
Die jüngeren Marketer bis 49 Jahre
halten die Dialogfähigkeit der Marke
für weitaus wichtiger als die älteren.
Obwohl Social Media und digitale
Kommunikation in aller Munde sind,
rangiert das Kriterium Dialogfähigkeit
der Marke dennoch insgesamt eher im
Mittelfeld. Deutlich wurde bei der Befragung vor allem, dass es nicht um
möglichst viele Kontakte auf allen
verfügbaren Plattformen geht, sondern um die Beziehungstiefe, die sich
Brand Contest
Brand Content
Brand Context
Wettbewerbsstärke durch
faktische Überlegenheit
gegenüber Wettbewerbern
Der Blick von Innen nach
Außen: Wichtig ist, was ich
kann
Etablierte Treiber bleiben,
müssen aber neu interpretiert werden
Inhalte und Werte schaffen,
die zum Engagement oder
Dialog mit der Marke motivieren
Der Blick von Außen nach
Innen: Was interessiert den
Kunden?
Der Spagat zwischen klar
definiertem Markenkern und
multiplen Instrumenten der
Markenführung
Bedeutung durch nahtlose
Integration in den Lebensalltag der Zielgruppe
Der Blick auf die Situation:
Wichtig ist, wie Dinge zusammenhängen
Persönliche Bedeutung durch situative
Stimmigkeit
Passend reagieren statt nur
proaktiv agieren
Situative Relevanz:
Wertefit – Wertegemeinschaften – Beziehungstiefe
JOURNAL
132 Lebensmittel Zeitung
LZ 27 3. Juli 2015
F OT O S : R Ü G E N W A L D E R
Rügenwalder für
Vegetarier:
Marken sind in der
digitalen Welt wichtiger denn je, weil nur
sie Orientierung und
Vertrauensanker
schaffen.
Q UA L I T Ä T R A N G I E R T I M M I T T E L F E L D
Happiness-Institut des Getränke-Herstellers pflegt diese Werte mit Kongressen, Studien, Trendforschern und
vielem mehr. Mit dem neuesten Spot,
der gegen Vorurteile vorgehen will,
zeigt der Hersteller wie er diese Wertegemeinschaft weiterentwickeln will:
In sieben Sekunden, so heißt es dort,
bilde man sich ein (Vor-)Urteil von einem Menschen. Wenn man sich nur
eine Sekunde mehr Zeit nähme,
könnte man hinter die Fassade blicken, den Menschen etwas besser
kennenlernen und sein Urteil revidieren. „Let’s take an extra second“, ist
daher die Botschaft.
Kriterien für die Zukunftsfähigkeit von Marken
Top 3 aus persönlicher Sicht
der Markenentscheider
Die Werte im Überblick
Vertrauen, Verlässlichkeit
92
Vertrauen, Verlässlichkeit
1
Kundenorientierung
91
Relevanz
2
Relevanz
81
Differenzierung
3
Leistungsversprechen
80
Leistungsversprechen
4
Haltung/Leitbild
74
Faszinationskraft
5
Differenzierung
71
Kundenorientierung
6
Emotionalisierung
7
8
Top-Qualität
66
Emotionalisierung
61
Top-Qualität
Faszinationskraft
61
Innovationsfähigkeit
Dialogfähigkeit
Haltung/Leitbild
10
Innovationsfähigkeit
53
Wertegemeinschaft
10
Transparenz
51
Dialogfähigkeit
12
Kontinuierliche Veränderung
13
41
Adaptionsfähigkeit
14
40
Transparenz
15
Ubiquität/Verfügbarkeit
16
Wertegemeinschaft
46
Adaptionsfähigkeit
Ubiquität/Verfügbarkeit
Kontinuierliche Veränderung
33
Herkunft
17
Markengröße
Unabdingbar
9
Wichtig
Herkunft
17
Markengröße
18
Innovation ist mehr als Technik
Beim Thema Innovationsfähigkeit
zeigt sich, dass die Manager diese für
ihre eigene Marke deutlich wichtiger
bewerten als für Marken insgesamt.
„Dahinter verbirgt sich die Schizophrenie des eigenen Überlegenheitsgefühls“, schreiben die Macher der
Nur für einzelne Branchen
QUELLE: BRANDS AHEAD
eventuell auch in Kundenaktivierung
ausdrückt. Dafür muss man nicht unbedingt in die digitale Welt gehen.
Der Dr. Oetker Backclub, der Bertelsmann Buchclub oder das Maggi Kochstudio sind Beispiele für eine Kombination aus Produktversprechen und
Wertegemeinschaft. Solche Communities gibt es Online mittlerweile zuhauf. Aber es gilt: „Zukunftsfähige
Marken verlieren auch im Internet
nicht die Kontrolle: Sie sind auch online gut geführte Marken“. Diese Aussage erhält 84 von 100 Punkten. Und
die Markenmanager wissen, dass sie
das Zepter nicht aus der Hand geben
dürfen. Sie glauben daher: „Marke ist
keine Demokratieveranstaltung. Klare
Marken-Verantwortung Top-Down.“
(Zustimmung 82 Punkte) Demgegenüber steht ein Zustimmungswert von
74 zu der Aussage, dass Marken in
Zukunft partizipatorisch zu denken
sind. Also zuerst alle Stakeholder wie
Mitarbeiter und Kunden einbeziehen
und dann eine klare Entscheidung an
FOTOS: COC A-COL A
9
56
LEBENSMITTEL ZEITUNG GRAFIK
der Unternehmensspitze fällen. So
macht man laut der Studie erfolgreiche Marken für Morgen. „Marken sind
in der digitalen Welt noch wichtiger
als vorher, weil nur sie Orientierung
und Vertrauensanker schaffen“, bringt
70 von 100 Punkten Zustimmung.
Bei den Markenverantwortlichen
wurde aber nicht nur gefragt, welche
Kriterien sie im Allgemeinen für Marken wichtig finden, sondern auch
nach ihren persönlichen Top-3-Kriterien. Dabei ist Relevanz mit 81 Prozent eines dieser Top-3-Kriterien, neben Vertrauen und Differenzierung.
Wie relevant ein Produkt für den Verbraucher ist, hängt nicht nur vom rationalen Produktnutzen, sondern
auch vom emotionalen und symbolischen Nutzen ab. Coca-Cola ist es in
Jahrzehnten gelungen, wechselnde
Wertegemeinschaften zu entwickeln,
aktuell ist es das Lebensgefühl
„Glück“. Dieser Inhalt wird an allen
Berührungspunkten der Konsumenten mit dem Produkt vermittelt. Das
Studie. Wenn alle davon ausgehen, innovativer als der Wettbewerb zu sein,
dann existiert letztlich doch wieder
eine Pari-pari-Situation. Oder wenn
jeder glaubt, er sei besser als der andere, müssen mindestens 50 Prozent
irren. Ein ähnliches Phänomen gilt
auch für die Kategorie Qualität, die in
der Rangliste auf Platz acht steht. Im
Ranking der „eigenen Marke“ steigt
das Kriterium auf Platz zwei.
Ob eine Neuerung als Innovation
erlebt wird und auf ein Bedürfnis
stößt, kann nur der Konsument beantworten. Innovation wird nicht
mehr als reiner Technologie-Vorsprung gesehen. „Innovation als
Selbstzweck wird – selbst in Technologiekategorien – zum Auslaufmodell.
Der Konsument wird kritischer gegenüber Neuerungen: Innovationen müssen deshalb noch kundenorientierter
werden.“ Dieser Satz bekommt 84
von 100 Punkten Zustimmung. Und
mit Blick auf die hohe Flop-Rate insbesondere im Bereich FMCG, erklärt
Ä LT E R E V E R L A N G E N M E H R I N N OVAT I O N
Kriterien für die Zukunftsfähigkeit von Marken
Beurteilung nach Alter
Die Werte im Überblick
92
Vertrauen, Verlässlichkeit
92
90
98
91
Kundenorientierung
91
91
93
81
Relevanz
81
79
86
80
Leistungsversprechen
80
80
80
Vertrauen, Verlässlichkeit
Kundenorientierung
Relevanz
Leistungsversprechen
Haltung/Leitbild
74
Haltung/Leitbild
74
72
80
Differenzierung
71
Differenzierung
71
66
80
Dialogfähigkeit
56
62
43
66
Top-Qualität
66
Emotionalisierung
61
Innovationsfähigkeit
53
47
Faszinationskraft
61
Basis (N = 100 Prozent)
139
95
44
Total
Alter
bis
49 Jahre
Alter
bis
50 Jahre
und älter
Dialogfähigkeit
56
Innovationsfähigkeit
53
Transparenz
51
Wertegemeinschaft
46
Adaptionsfähigkeit
41
Ubiquität/Verfügbarkeit
40
Kontinuierliche Veränderung
33
Herkunft
17
Markengröße
Unabdingbar
9
Wichtig
QUELLE: BRANDS AHEAD
Nur für einzelne Branchen
LEBENSMITTEL ZEITUNG GRAFIK
Happiness by Coca-Cola:
Glück soll den Konsumenten des Erfrischungsgetränkes als Lebensgefühl vermittelt werden
und dabei die Marke auf lange Sicht stärken.
JOURNAL
LZ 27 3. Juli 2015
F O T O S : I R I S F R I E D R I C H F O T O G R A F I E / L Z - S C R E E N S H OT
134 Lebensmittel Zeitung
Dr. Oetker-Backclub:
Eine Kombination aus
Produktversprechen und
Wertegemeinschaft.
Scheffler: „Die Wirkung geht über
den reinen Flop der Innovation hinaus, sie gefährdet die Markenstärke
in ihrer Gesamtheit“. Um diese FlopRate zu verringern, müssen Produzenten den Blick aus Verbraucherperspektive einnehmen, relevante Innovationen entwickeln und das Branchendenken verlassen. Denn Menschen denken und handeln nicht in Branchenkategorien. Beispielhaft erkannt und
umgesetzt hat dies laut Alessandro
Panella, dem Chief Strategy Officer
der an der Studie beteiligten Werbeagentur Grey, der Wurstproduzent
Rügenwalder. Mit der Einführung einer fleischfreien Wurst-Range, ist es
dem Unternehmen gelungen zu antizipieren, wie ehemals getrennte Kategorien zusammenfließen. „Es ist die
Fähigkeit, zu erkennen, welche Services über das Kerngeschäft hinaus
aus Kundensicht einen sinnvollen
Mehrwert ergeben“, die die künftigen
Brands Ahead brauchen.
Aus diesen gewonnenen Einsichten
haben die vier Studienpartner Empfehlungen gezogen, die sie griffig mit
Contest, Content, Context titulieren.
Contest bezieht sich auf die faktische
Überlegenheit der Marke. Die etablierten Treiber bleiben, müssen aber neu
interpretiert werden. Content meint
die Inhalte und Werte, die eine Marke
schafft und die Kunden zum Dialog
motivieren. Und Context zielt auf den
Bedeutungsgewinn ab, wenn es einer
Marke gelingt, sich nahtlos in den Lebensalltag einer Zielgruppe zu integrieren.
lz 27-15
ZWEI BEFRAGUNGSPHASEN
Fokus auf Zukunftsfähigkeit
Phase 1: Qualitativ
Phase 2: Quantitativ
Ergebnis:
Kooperationspartner:
Einzelgespräche
und Roundtables mit
insgesamt 22 MarketingVerantwortlichen
aus unterschiedlichen
Branchen
Marken-Heft:
In der Juni-Ausgabe von
„Planung & Analyse“ geht es
um Marke als Orientierung.
Kriterienkatalog mit
möglicher Relevanz für
die Zukunftsfähigkeit
von Marken
Online-Befragung über 70 Items
und weitere Fragen nach Top-3Kriterien und Treibern der Zukunftsfähigkeit bei 139 Unternehmensführern und MarketingLeitern/-Vorständen
TNS Infratest
Grey Germany
Deutscher Marketing Verband
Markenverband