Feuilleton regional 36 NUMMER 120 DONNERSTAG, 28. MAI 2015 Schwermut und Freude zugleich Eleven stellen sich Konkurrenz Haydns Nelson-Messe im Augsburger Dom Jugendtanzpreise in Augsburg vergeben „Aus unerfindlichem Grund ist die Schwermut mit Freude durchmischt“, charakterisierte Charles Masson 1697 die Tonart d-Moll. Gleiches gilt für die Messe in d-Moll von Joseph Haydn, seine einzige in Moll und auch Nelson-Messe oder „Missa in angustiis“, Messe in der Bedrängnis genannt. Immer wieder tönen die Kriegssignale und das irdische Kampfgewühl, doch der Blick in den Himmel bringt triumphierend-freudige Lieblichkeit und göttliche Harmonie. Joseph Haydn komponierte die elfteilige Missa für seinen Auftraggeber Fürst Esterházy im Sommer 1798 unter dem Eindruck des napoleonischen Vormarsches, die Trompetenfanfaren im Benedictus seien dem gerade bekannt gemachten Sieg Nelsons bei Abukir geschuldet, heißt es. Zum fünften Mal ist am Wochenende der Deutsche Jugendtanzpreis in Augsburg vergeben worden. Der Verein DanceArt Classic hat den Wettbewerb unter der Schirmherrschaft von Kurt Gribl auf der Brechtbühne veranstaltet. 40 Teilnehmer aus Deutschland und der Schweiz haben teilgenommen. Die Ballettschüler waren zwischen zehn und achtzehn Jahre alt, Ballettschulen aus Fribourg, Locarno, Luzern und Zürich haben Schüler nach Augsburg geschickt. Die Jury war hochkarätig besetzt: mit Kiki Lammersen (Berlin), Adriana Mortelliti (Italien) und Andrea Ladanyi (Barcelona); mit erstklassigen Ballettpädagogen wie Maxi Hierdeis (Hochschule München), Prof. Christine Neumeyer (Hochschule Mannheim), Nora Sitges-Sardà (Gärtnerplatztheater, München) und Terence Kohler (Australien). Begleitet wurden die Tanzrunden an der Stange und in der Mitte mit Variationen von Pianist Simon Murray vom Bayerischen Staatsballett München. Die Preisträger sind: ● Kategorie I (Jahrgänge 2004 und 2005) Gold Kim Zurgeißel (Augsburg) Silber Lucia Andres (Delémont) Bronze Clarissa Stadler (Augsburg) und Victoire Fischer (Fribourg) ● Kategorie II (Jahrgänge 2002 und 2003) Gold Viviana Cali (Solothurn) Silber Debora Ciruli (Locarno) und Amelie Rettenbacher (Augsburg) Bronze Elias Brenneisen (Augsburg) und Lynn Meister (Zürich) ● Kategorie III (Jahrgänge 2000 und 2001) Gold Magdalena Kovac (Zürich) Silber Katja Colombi (Locarno) und Anna Loycke (Tutzing) Bronze Irina Beier (Augsburg) und Victoria Ziegler (Hildesheim) ● Kategorie IV (Jahrgänge 1999, 1998 und 1997) Gold Saskia Zimmermann und Veronika Jungblut (beide Augsburg) Silber Rebecca Dahlberg (Zürich) und Anna Grill (Augsburg) Bronze Mira Seery-Speyer (Bonn) (AZ) Neben dem Verhängnis das himmlische Versprechen Zum Festgottesdienst führten Domkapellmeister Reinhard Kammler, seine Solisten, Domchor und Domorchester die Messe im Augsburger Dom auf. Dramatisch und eindringlich begann das Kyrie, dreisätzig mit lyrischem Mittelpart waren jeweils Gloria und Credo, Aggression und Liebe, Krieg und Frieden lagen dicht beieinander. Neben dem Verhängnis stand das himmlische Trostversprechen. Reinhard Kammler meißelte die Kontraste heraus – der Dom-Akustik angepasst. Das Orchester spielte dabei nicht pastos, sondern durchsichtig, der Chor sang dynamisch reich und formulierte deutlich. Sopranistin Steffi Mayer bewältigte die Koloraturen stechend klar, Altistin Sabine Endrös betörte klangschön, ebenso Tenor Gerhard Werlitz und Diego Mendes mit gerundet vollem Bass. Die gehaltvolle Aufführung der Messteile unterstrich die gesprochenen Gebete mit der Macht der Musik. (skn) Wie das Treppenhaus einer Schlossanlage wirkt der Zugang zum jüdischen Ritualbad in der hessischen Stadt Friedberg im Taunus. Im 19. Jahrhundert hielt man die monumentale gotische Architektur für Überreste eines römischen Thermalbads. Der Frankfurter Fotograf Peter Seidel hat sie so stimmungsvoll ins Bild gebracht. Wasser, um rein zu werden Ausstellung Zur traditionellen jüdischen Gemeinde gehört das rituelle Bad. Der Fotograf Peter Seidel dokumentiert die Intimität und Sakralität historischer Anlagen in Europa VON ALOIS KNOLLER Tief drunten im Schoß der Erde blinkt in Türkis der Wasserspiegel, zu dem sechs steile, steinerne Treppen hinabführen. Elegante Sandsteinsäulen mit ornamentierten Kapitellen stützen die gemauerten Bögen, leere Spitzbogenfenster gliedern die hohen, glatten Wände dieser monumentalen Architektur im hessischen Friedberg. Weil sie nicht zu einer kleinen, jüdischen Gemeinde passen wollte, vermutete man im 19. Jahrhundert flugs ein römisches Thermalbad im Taunus. Doch tatsächlich handelt es sich um das mittelalterliche rituelle Tauchbad. Der Frankfurter Fotograf Peter Seidel hat diese außergewöhnliche Mikwe wie viele andere Beispiele in Europa in zwei Jahrzehnten mit seiner Kamera erforscht und in stimmungsvoll ausgeleuchteten Aufnahmen gewürdigt. Seine Fotoausstellung ist in der ehemaligen Synagoge Kriegshaber zu sehen. Das Ritualbad mit „lebendigem Wasser“ gehört neben der Synagoge und dem Friedhof traditionell zu den zentralen Einrichtungen einer jüdischen Gemeinde. Das Untertauchen in ihrem Quell- oder Grundwasser dient zur Wiederherstellung der rituellen Reinheit des Körpers. Sie geht verloren beim Kontakt mit Leserbriefe » HIER SAGEN SIE IHRE MEINUNG Das Theater dürfte ihn ehren Zum Artikel „Der Mann für die private Tragik“ vom 27. Mai: Arno Bergler ist tot, ein Künstler im eigentlichen Sinne des Wortes, der sich die großen Rollen der Weltliteratur mit bewundernswerter Präzision, großem Einfühlungsvermögen und einer genüsslichen Portion leisen Humors anverwandeln konnte. Und ein Schauspieler von erlesener Sprachkultur, die heutzutage ihresgleichen sucht. Das Theater Augsburg dürfte ihn gerne mit einer Gedenkveranstaltung ehren. Dr. Hanspeter Plocher, Augsburg Geschützt unter einer dicken Betondecke liegt die historische Mikwe aus dem mittelalterlichen Erfurt. Fotos: Peter Seidel/Jüdisches Kulturmuseum Augsburg einem Toten, nach einer Krankheit, bei der Monatsblutung der Frau und einer Entbindung. Auch bei besonderen Anlässen, etwa vor der Hochzeit, zu den hohen Feiertagen oder beim Übertritt ins Judentum ist der Besuch der Mikwe vorgeschrieben. Sie ist ein Ort der Intimität, Diskretion und religiösen Sammlung. Geborgenheit vermitteln die historischen Räumlichkeiten, oft angelegt in unterirdischen Tonnengewölben oder Nischen, auch wenn die Wände inzwischen rau und roh geworden sind mit abbröckelndem Verputz, nacktem Ziegelwerk oder grobem Naturstein. Peter Seidels Fotografien dokumentieren sowohl ihre zweckmäßige Schlichtheit als auch ihre stille Würde: das kapellenartige Badehaus im mittelalterlichen Erfurt, die burgähnliche Anlage aus dem Jahr 1186 in Worms, die gotische Wendeltreppe hinunter zum Quellbecken im Elsass, das Säulengebäude im antiken Ostia bei Rom. Aber auch die Jugendstil-Ornamente in der Badeanlage der 20er-Jahre im Frankfurter Westend und die dunkelgrün geflieste Wanne in Venedig, die sich einst mit Regenwasser speiste. Im abgedunkelten Ausstellungsraum auf hinterleuchteten Rahmen entfalten die analog aufgenommenen Farbfotografien eine exzellente Brillanz. In dieser Darstellungsweise gewinnen sie an Tiefe und Räumlichkeit und ziehen den Betrachter gleichsam in die Örtlichkeit hinein. Fast meint man, die dortige kühle Feuchtigkeit zu verspüren, den Hall der kahlen Wände zu hören, von der eindrücklichen Wucht dieser Architektur umschlossen zu werden. Den religiösen Gebrauch dieser Mikwen kann und will der Fotograf nicht entschlüsseln. Er belässt es bei der wahrnehmbaren Sakralität der Orte. Nur einmal sieht man seitlich die Stelle, wo die Steine erhitzt werden konnten, um das Wasser vor dem Tauchbad zu erwärmen, das dreimal vollzogen werden muss. Über die vorgeschriebene, dem Ritus vorausgehende gründliche Körperreinigung kann man nur in alten Beschreibungen lesen. Heutzutage ist der Gebrauch der Mikwe unter Jüdinnen umstritten. Im Museum liegen Stellungnahmen dafür und dagegen auf. Die Mikwe wird geschätzt als ein geschützter Raum, wo sich Frauen ohne Peinlichkeit über ihre intimen Angelegenheiten austauschen können. Sie wird aber auch verdammt als ein unstatthafter Zugriff der Religion auf den weiblichen Körper. Leider nicht von Peter Seidel sind die Fotografien von jüdischen Ritualbädern in Schwaben ergänzend zur Ausstellung. Bei weitem erreichen sie nicht den Stimmungsgehalt, dokumentieren immerhin aber einen Bestand, der sich oft ziemlich im Verborgenen erhalten hat. O Laufzeit der Ausstellung in der ehe- maligen Synagoge Kriegshaber (Ulmer Straße 228) bis 26. Juli, geöffnet Mi., Do., Fr., So. von 13 bis 17 Uhr, Katalog 15 ¤ Die Augsburgerin Kim Zurgeißel war 1. Preisträgerin der Jahrgänge 2004 und 2005. Foto: DanceArt Classic Die Rettung lauert im Hirschkostüm am Straßenrand Kino George Inci und Beatrice von Moreau drehten eine skurrile Heimatkomödie im gemächlichen Tempo der Osttiroler. Premiere im Thalia VON ALOIS KNOLLER Ein Hirsch ist nicht zu zähmen. Du kannst das Kitz mit der Flasche aufgepäppelt haben, kaum ins Gehege entlassen, erhebt es stolz den Kopf und geht seine Wege. Daran haben sich die beiden Filmemacher George Inci und Beatrice von Moreau ein Vorbild genommen. Auch ihre Tiroler Heimatkomödie „Hirschen“ ist nicht zu zähmen. Manchem Zuschauer waren die ausgedehnten Sequenzen über die eigenwillige Rituale der bodenständigen Alpenbevölkerung bei der Premiere im Thalia doch zu langatmig und sie verließen vorzeitig die zweistündige Vorstellung. Aber es gab auch Fans. George Inci nahm die kontroverse Debatte mit dem Publikum gelassen. Alles Bockmist? „Wenn Sie eine Nacht darüber schlafen, hat der Bockmist die Zeit, sich zu entfalten, und wenn Sie nach ,Hirschen‘ wieder ins Kino gehen, sehen Sie Filme anders“, sagte er selbstbewusst. Die Komödie sei sehr entschleunigt – im Rhythmus, den der Osttiroler Drehort vorgegeben hat. Zum Beispiel im gemächlichen Atem eines schönen alten Volkslieds. „Wir haben beim Schnitt auch andere Tempi ausprobiert, aber sie stimmten nicht.“ Denn die Dorfbewohner, die als Laiendarsteller engagiert mitspielten, brauchen ihre Zeit, die Dinge zu bedenken, zu einem Entschluss zu gelangen und ihren Plan in der Tat auszuführen. Was unternehmen Menschen, die plötzlich in die Krise geraten? Das wollten die beiden Filmemacher auf humorvolle Weise erkunden. Sie müssten eigentlich er- starren vor Schreck, aber im Gegenteil: Sie werden aktiv und tun alles, um aus der Krise herauszukommen. Und seien es Dinge, die sie der Zufall lehrt. Wie dieser Autofahrer, der einen Unfall mit einem Hirsch hatte und von den Dörflern umsorgt wird – sodass sie auf eine verruchte, aber erfolgreiche Geschäftsidee kommen. Im Hirsch-Kostüm lauern sie fortan am Straßenrand – und der Arzt, der Mechaniker, der Gastwirt haben alle Hände voll zu tun, die Verunglückten zu versorgen … Schwarzer Humor und skurriler Witz durchtränken den Film, dazu treten bizarr-absurde Szenen, die an abgedrehte finnische Produktionen erinnern. Wo selbst die gedankenschweren Dialoge der Dörfler versagen, drücken Tanz und Traum weitere Gefühle und Stimmungen aus, etwa wenn der Bürgermeister verliebt die Wandvegetation streichelt, der ehrgeizige Abgeordnete ein fiktives Orchester dirigiert und der gemütliche Ortspolizist die Amazone auf dem Poster anbetet. In „Hirschen“ führen eigenwillige Schauspieler mit Charakter das Heft, allen voran die beiden Filmemacher selbst, sie in der Rolle der beherzten Tochter, er als hereingeschneiter Fremder, der zum Glücksfall für das Dorf wird. Die Laiendarsteller hätten sein Drehbuch erweitert, erzählte Inci. Und er holte an 52 Drehtagen alles aus ihnen heraus. Vier Jahre dauerte dann der Schnitt, ihr Film durfte reifen, denn die beiden finanzierten alles selbst und gingen immer wieder Geld verdienen. O Filmstart im Thalia am 4. Juni. Mit ihrer Heimatkomödie „Hirschen“ setzen George Inci und Beatrice von Moreau, hier vor dem Thalia, manchem Zuschauer die Hörner auf. Foto: Michael Hochgemuth
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