programmheft - Ensemble Kontraste

Freitag 1.1.2016, 17 Uhr
Tafelhalle
Neujahrskonzert
Werke von Copland, Gershwin, Varèse und Reich
Leitung Jonathan Stockhammer
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Tafelhalle.
Das ensemble KONTRASTE wird gefördert durch die Stadt
Nürnberg, den Bezirk Mittelfranken und den Freistaat Bayern.
Aaron Copland
(1900–1990)
Appalachian Spring
(1944)
Very Slowly
Allegro
Moderato: The Bride and her Intended
Fast: The Revivalist and his Flock
Allegro: Solo Dance of the Bride
Meno mosso
Doppio movimento: Variations on a Shaker hymn
Moderato: Coda
George Gershwin /
(1889–1937)
Manfred Knaak
(*1960)
Three Preludes for Piano –
eine Improvisation
(2015)
Recitativo, molto libero – Allegro ben ritmato e deciso
Andante con moto e poco rubato – Saeta, senza tempo – Tempo primo
Allegro ben ritmato e deciso
Edgard Varèse
(1883–1965)
Octandre
(1924)
Assez lent
Très vif et nerveux
Grave. Animé et jubilatoire
Steve Reich
(* 1936)
City Life
(1995)
mit einem Live-Video von Frieder Weiss
Check it out
Pile driver/alarms
It's been a honeymoon – can't take no mo'
Heartbeats/boats and buoys
Heavy smoke
Flügelhorn Eckhard Kierski
Posaune Johannes Kronfeld
ensemble KONTRASTE
Leitung Jonathan Stockhammer
Auf nach 2016 – mit amerikanischer Musik!
Das Neujahrskonzert des ensemble KONTRASTE in der Tafelhalle hat
mittlerweile Kultstatus! Heuer steht noch dazu das 25-jährige Jubiläum
des eK an, ein „ganz besonderes“ Programm versteht sich da von selbst.
Diesmal also eine exquisite Auswahl von „Klassik“ aus den USA, denn im
Gegensatz etwa zum Jazz, zum Musical, zur Rockmusik, zur Kunst eines
Frank Sinatra oder Michael Jackson ist diese Musik bei uns weniger
bekannt; es gilt viel zu entdecken.
Doch was ist das „Amerikanische“ an dieser Musik? Sicher die größere
Unbefangenheit gegenüber Abgrenzungen zwischen Kunst und
Unterhaltung, die Offenheit für Einflüsse aus allen Richtungen. Es wird
gern der etwas abgedroschene Begriff vom „Schmelztiegel“ bemüht.
George Gershwin nahm darauf Bezug, als er über seine Rhapsodie in Blue
sagte: „Ich wollte ein musikalisches Kaleidoskop Amerikas – unseres
ungeheuren Schmelztiegels, unserer typischen nationalen Eigenheiten,
unseres Blues, unserer großstädtischen Unrast zeichnen.“ Ein Bild
Amerikas zeichnete auch Aaron Copland in Appalachian Spring, allerdings
ist es bei ihm das ländliche Amerika der Pionierzeit im frühen 19. Jahrhundert. Ganz im Gegensatz zu Steve Reich, der wie Gershwin die
elektrisierende Unruhe der Metropole New York komponiert: City Life
eben. Und Edgar Varèse? Ihn interessierte ohnedies nur die Moderne, der
Aufbruch, die neue Zeit – da war er in Amerika am richtigen Platz.
Starten wir also mit amerikanischem Drive ins neue Jahr – selbst­
verständlich mit einem amerikanischen Dirigenten!
Aaron Copland – Musik für alle
Aaron Copland zählt zu den Klassikern der amerikanischen Moderne. Als
einer der ersten Komponisten brachte er amerikanisches Lebensgefühl
zum Klingen – womit er eine für einen Komponisten des 20. Jahrhunderts
seltene Popularität gewann.
Das solide Fundament für seinen Erfolg legte der Sohn litauisch-jüdischer
Einwanderer in Europa. Er studierte in Paris, bei der legendären Nadja
Boulanger, der „Mutter“ der neuen Musik, und kam dort mit der
europäischen Musiker-Avantgarde in Berührung.
Fasziniert vom hochentwickelten Musikleben Europas wollte er nach
seiner Rückkehr etwas Ähnliches für Amerika schaffen. Den Tonfall für
seine Musik fand er im Lebensgefühl der Amerikaner, dem Optimismus,
dem Schwung und der Direktheit seiner Generation. Copland lebte in New
York, in den Zwanzigern die Hochburg von Jazz und Ragtime, und davon
inspiriert experimentierte er begeistert mit neuen Formen, Harmonien
und Rhythmen.
Der große Durchbruch kam jedoch erst in den späten Dreißigern. Politisch
links stehend, war er zu der Überzeugung gelangt, dass man die
traditionelle amerikanische Volksmusik einbeziehen müsse, wenn man
das Volk, den „Common Man“, musikalisch erreichen wolle. So
entstanden ab den 1930er Jahren erfolgreiche Kompositionen wie Billy the
Kid, El Salón México und Rodeo – Appalachian Spring machte Copland auf
einen Schlag berühmt. Zu seiner Popularität trugen zudem zahlreiche
Filmmusiken bei – für The Heiress erhielt er 1950 einen Oscar.
Appalachian Spring – „Ballet for Martha“
Die Entstehung der Musik ist der äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit
mit der Tänzerin Martha Graham und ihrer legendären Dance Company zu
verdanken. Graham hatte die Idee für das Sujet und den Titel, taufte nach
Fertigstellung der Komposition Coplands Arbeitstitel „Ballet for Martha“
in „Appalachian Spring“ („Frühling in den Appalachen“) um, inspiriert von
einem Gedicht von Hart Crane. Nichtahnend, dass der Titel gar nicht von
Copland stammte, sagte man ihm später gelegentlich: „Bei Ihrer Musik
sehe ich die Appalachen vor mir und fühle den Frühling."
Ein Jahr später erstellte Copland eine Orchestersuite aus dem Ballett, die
ihm den Pulitzer-Preis und den New York Critics’ Circle Award einbrachte.
Die Rhythmen, Harmonien und Melodien wirken auf uns „typisch
amerikanisch", obwohl Copland nur eine echte Volksweise zitiert: Eine
Reihe bukolischer Szenen kulminiert in Variationen über das Shaker-Lied
Simple Gifts – die Shaker sind eine mittlerweile nahezu ausgestorbene
christliche Sekte in den USA. Das Lied, welches Copland auch in seine Old
American Songs aufnahm, wurde zu einer der populärsten amerikanischen
Melodien überhaupt – sogar bei der Amtseinführung von Präsident
Obama wurde Simple Gifts, in einer Bearbeitung von John Williams, ge­
spielt.
Zum Inhalt
Umgeben von erfahrenen älteren Nachbarn sowie einem Prediger und
dessen Gemeinde bezieht ein junges Paar im frühen 19. Jahrhundert sein
neues, selbst gebautes Farmhaus in den Hügeln von Pennsylvania. Die
acht Sätze beschreibt Copland folgendermaßen:
Sehr langsam. Einführung der Personen, nacheinander, in vollem Licht.
Schnell. Ein plötzlicher Ausbruch der einstimmigen Streicher in
A-Dur-Arpeggien eröffnet die Handlung. Freudig-erregte wie religiöse
Zuversicht beherrscht die Szene.
Mäßig. Duett der Braut und ihres Zukünftigen – eine Szene der Zärtlichkeit
und Leidenschaft.
Ziemlich schnell. Der Erweckungsprediger und seine Anhängerschar –
volkstümliche Geselligkeit, Anklänge an Square-Dance und Country-Fiddler.
Noch schneller. Solotanz der Braut – Vorgefühl der Mutterschaft, starke
Gefühle von Freude, Furcht und Staunen.
Sehr langsam (wie zu Beginn). Übergangsszene mit musikalischer Reminiszenz
an die Einführung.
Ruhig und Fließend. Alltagsszenen der Braut und ihres Ehemannes als Farmer
– fünf Variationen der Melodie „Simple Gifts“, einem Lied der Shaker,
vorgetragen von einer Soloklarinette.
Mäßig. Coda. Die Braut gesellt sich zu den Nachbarn. Am Ende bleiben die
Brautleute ruhig und gekräftigt in ihrem neuen Haus. Gedämpfte Streicher
intonieren eine gebetsartige Choralpassage. Abschließend werden die Themen
der Einführung wiederaufgenommen.
George Gershwin – vom Erfolg zur Größe
Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer genoss nie eine musikalische
Ausbildung am Konservatorium, das Klavierspiel erlernte er durch
intensives Anhören und Nachspielen jeder Art von Musik, Klassik,
Schlager, Ragtimes und Jazz. Seine professionelle Karriere begann der
junge Gershwin als „Song-plugger“, so hießen die Klaviervorspieler in den
Musikgeschäften New Yorks. Er schrieb Lieder für Musicals, Comedies und
Revuen – schon im Alter von 20 Jahren entstanden einige seiner Hits wie
Nobody But You oder Swanee.
Im Jahre 1924 dann das Werk, mit dem er weltweit berühmt wurde, die
Rhapsody in Blue. Trotz der Erfolge war Gershwin oft unzufrieden: Er
mache zwar vieles richtig, aber eben nur intuitiv. Noch kurz vor seinem
unerwarteten Tod – er starb mit 38 Jahren in Los Angeles an einem
Gehirntumor – sagte er zu seiner Schwester: „Ich habe das Gefühl, bisher
nur an der Oberfläche dessen gekratzt zu haben, was ich schaffen will.“
Three Preludes for Piano – eine Improvisation
Eigentlich wollte Gershwin einen ganzen Zyklus von vierundzwanzig
Preludes schreiben, „The Melting Pot“ sollte er heißen. Übrig blieben nur
drei harmonisch raffinierte Klavierkompositionen, Three Preludes for Piano.
Gershwin selbst dazu: „Es ist wirklich eine Mischung verschiedener Dinge:
Ein Schuss Ragtime und ein wenig Blues, Klassik und Spirituals. Aber vor allem
ist es eine Frage des Rhythmus. Das Nächstwichtige sind die Intervalle ... Sonst
ist nichts neu an dieser Musik.“
Diese drei Preludes waren für den Komponisten Manfred Knaak
Grundlage und Inspiration für seine Arbeit, die er für zwei Soloin­
strumente – Trompete und Posaune – und Kammerensemble konzipierte.
Ein Prinzip seiner Instrumentation ist die „Dotierung“ – ähnlich wie bei
der Behandlung von Kristallen werden „Fremdkörper“ in die Stücke
eingepflanzt, die in Wechselwirkung mit der Originalmusik ein neues
Eigenleben entfalten.
Der 1. Satz beginnt mit einem Soloteil „Recitativo“ für die Trompete, eine
Improvisation über das Motiv- und Tonmaterial des Satzes. Angelehnt an
den Aufbau einer indischen Raga beginnt die Trompete (genauer das
Flügelhorn) sehr tief und „erobert“ sich mit der Zeit den gesamten
Tonraum. Im anschließenden Teil erklingt das Gershwin-Stück im
Originaltext unter Fortschreibung der konzertanten Situation Trompete
versus Ensemble.
Der 2. Satz startet mit dem Gershwin-Original, wobei Knaaks Anliegen
war, die klanglichen Suggestionen des Klavierparts aufzuspüren. Im
Mittelteil hält die Musik quasi an, für eine Meditation der Posaune, die
„Saeta“ überschrieben ist – in Anlehnung an die gleichnamige stilistische
Form einer spanischen Prozession. Der folgende Schlussabschnitt kehrt
zum Original zurück.
Der 3. Satz orientiert sich am Original, wobei die beiden Soloinstrumente
nunmehr gemeinsam auftreten: von reinen Duettphrasen, in denen der
originale Klaviersatz auf diese zwei Stimmen kondensiert ist, über
Passagen, in denen sie „duettig“ mit dem Ensemble kommunizieren, bis
zur „demokratischen“ Mitwirkung im Ensemble.
Edgar Varèse – ein radikaler Pionier neuer Musik
Der Dirigent Peter Eötvös über Varèse: „Ich werde immer gesünder und
gesünder, während ich ihn dirigiere. Am Ende eines Stücks hat man das
Gefühl, jetzt bin ich sauber. Also, ich bin gewaschen. Es ist einfach
physisch fantastisch.“ Und der amerikanische Autor Henry Miller fühlte
sich beim ersten Hören einer Varèse-Komposition „betäubt, so als hätte
ich einen k.o.-Schlag bekommen.“
Wer also war dieser erstaunliche Edgar Varèse? Er ist immer noch eine Art
Geheimtipp unter den musikalischen Größen des 20. Jahrhunderts,
vielleicht weil die Menge seiner veröffentlichten Kompositionen
vergleichsweise klein ist – die allerdings haben es in sich.
Biographische Stichworte: 1883 in Paris geboren, Eltern ein italienischfranzösisches Paar, solide musikalische Ausbildung in Paris. In Berlin von
Ferruccio Busoni beeinflusst, erste Erfolge, doch alle frühen Werke gehen
bei einem Brand verloren bzw. werden von Varèse selbst vernichtet. 1915
wird ihm New York zur neuen Heimat. Hier entstehen seine wichtigsten
Orchesterwerke wie Amérique und Arcana, aber auch Werke für kleinere
Besetzungen wie Octandre. Er komponiert mit Ionisation nicht nur das
erste Konzert für reines Schlagzeug-Ensemble, sondern für die
Weltausstellung in Brüssel 1958 mit seinem Poème électronique auch die
erste ausschließlich elektronische Komposition für drei Tonbandgeräte
und 425 Lautsprecher. Varèse starb vor genau fünfzig Jahren.
In Texten über Varèses Musik häufen sich Begriffe wie „permanente
Energie“, „Dynamit“, „Aggression“, „Aufruhr“, „brutale Wucht“ und
„grelle Farben“. Für ihn stand von Anfang an fest: Die neue Zeit der
Technik, der Großstädte, der Massen brauche auch eine neue Art von
Musik. Varèse: „Ich wurde eine Art teuflischer Parsifal, nicht auf der Suche
nach dem heiligen Gral, sondern nach der Bombe, die das musikalische
Universum sprengen könnte, um alle Klänge durch die Trümmer
hereinzulassen, die man – bis heute – Geräusche genannt hat.“
Octandre
Octandre ist ein kammermusikalisches Werk, allerdings mit höchst
ungewöhnlicher Besetzung: vier Holzbläser, drei Blechbläser, ein
Kontrabass. Das sind acht Instrumente – Octandre ist in der Botanik der
Name für eine Blüte mit acht Staubgefäßen!
Zwar haben die Besucher des Neujahrskonzerts k.o.-Schläge nicht zu
gewärtigen, doch es ermangelt der Komposition keineswegs an
musikalischer Wucht und schroffen klanglichen Gegensätzen. Jedes
Instrument wird einmal solistisch den übrigen gegenübergestellt, gleich
am Anfang stellen Oboe und Klarinette das Material vor, das an
Strawinskys Sacre erinnert. Der wilde zweite Satz wird von der Piccoloflöte
eröffnet, der dritte Satz, eine Art Fugato, endet mit ekstatischem „Jubel“
im vierfachen Forte.
Für ensemble Kontraste ist das Stück so etwas wie eine „Grün­
dungsurkunde“ – denn der Wunsch, moderne und ungewöhnliche Stücke
wie Octandre aufführen zu wollen, abseits des normalen
Klassikrepertoires, führte zur Gründung des Ensembles. Das Stück stand
auf dem Programm des ersten eK-Konzerts, Grund genug, es zum 25jährigen Jubiläum erneut zu präsentieren. Der Trompeter des Ensembles,
selbst einer der Gründungsväter, sagt dazu: „Das Stück ist zwar fast 100
Jahre alt, es ist aber immer noch so modern, avantgardistisch, als wäre es
letztes Jahr komponiert worden.“
Steve Reich:
City Life – ein akustisches Portrait der Stadt New York
Wer einmal in New York war, wird neben vielem Anderen auch die
akustische Kakophonie dieser Stadt nicht mehr vergessen: Straßenlärm,
Baumaschinen, Hupen aller Art, Bremsgeräusche, die unterschiedlichen
Sirenen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, Nebelhörner der
Schiffe, das Stimmengewirr in allen Sprachen der Welt ... ein Dauertumult
rund um die Uhr, ein Element des nervös-vitalen Vibrierens dieser
Metropole. Der Komponist Steve Reich ist als New Yorker mit diesem
Background an Klängen und Geräuschen aufgewachsen und hat während
seines Lebens auch das stete Anwachsen dieses Lärms erfahren.
In City Life wollte der Komponist dies musikalisch abbilden: Einerseits das
Tempo der Stadt, ihren beschleunigten Puls, das Lebensgefühl ihrer
Bewohner, andererseits ihre akustische Umgebung; Geräusche und
Sprachfetzen werden zum rhythmischen Hintergrund für die Musik des
Orchesters. Reich hat zu diesem Zweck selbst alle möglichen Geräusche
New Yorks aufgenommen und elektronisch verarbeitet, sie werden an
zwei Synthesizern „gespielt“, die Teil des Ensembles sind, neben den
herkömmlichen Instrumenten, die allerdings teilweise verstärkt werden.
Das Stück besteht aus fünf Teilen, die einem A-B-C-B-A-Muster folgen:
Erster Satz: Sprachfetzen sind der Geräuschanteil im musikalischen
Gewebe, ein Marktschreier mit seinem Ruf „check it out!“ gibt dem Satz
den Namen. Ein Choral eröffnet und beschließt ihn, und taucht etwas dissonanter im letzten Satz wieder auf.
Im zweiten Satz bestimmt ein sich beschleunigender Rammhammer, eine
Baumaschine also, das Geschehen, im vierten Satz sind es schneller
werdende Schläge eines Herzens.
Den zentralen dritten Satz beginnen die beiden Synthesizer mit SprachSamples, die einer politischen Demonstration abgewonnen wurden. Man
versteht vom Text wenig, aber die aufgeheizte aggressive Atmosphäre
teilt sich mit. Die Samples verzahnen sich mit den hinzukommenden
Stimmen der Instrumente.
Am düstersten dann der letzte Satz. Die Sprachfetzen, die Reich hier
verarbeitet hat, stammen von der erregten Kommunikation zwischen
Feuerwehrleuten und ihrer Zentrale, am Tag als das World Trade Center
einstürzte!
Steve Reich – repetitive Muster und Klangpattern
Steve Reich, einer der bekanntesten lebenden Komponisten der USA, ist
der prominenteste Vertreter der sogenannten „Minimal Music“, also des
Komponierens mit repetitiven Mustern. Ihre häufige Wiederholung,
musikalisch variiert, vermittelt den Höreindruck insistierenden Strömens.
In die Minimal Music sind viele Einflüsse außereuropäischer Musik
eingegangen, beispielsweise das „endlose Fließen“ der indonesischen
Gamelan-Musik (die übrigens schon den jungen Debussy fasziniert hat).
Nach prägenden Einflüssen befragt, nennt Reich Bela Bartok und Igor
Strawinsky, die Jazzmusiker Miles Davis und John Coltrane, afrikanische
Trommeln und hebräische Gesänge in einem Atemzug – auch das ist
amerikanisch!
Doch wie kommen eigentlich Steve Reichs elektronische Bearbeitungen
der New Yorker Geräusche zum ensemble KONTRASTE? Nun, sie werden
von dem Musikverlag in New York geliefert, der auch die konventionelle
Partitur vertreibt – via Download. Auf den hiesigen Synthesizern
installiert, erklingen dann mit dem Anschlag bestimmter Tasten nicht
herkömmliche Töne, sondern eben vorgeprägte Klangpattern.
Intermediale Performance mit Video-Kunst
City Life wird angereichert mit künstlerischen Videoprojektionen, es
entsteht so eine multimediale Performance aus Musik, Stadtgeräuschen
und Bildern. Diese werden geschaffen vom international renommierten
Videokünstler Frieder Weiss, der Bühnenshows, Opern und Ballette
höchst erfolgreich optisch bereichert und dafür viele Preise gewonnen hat.
Bei der Videoarbeit zu City Life gibt es zwar keine Tänzer, trotzdem wird
das Video im Moment der Performance live im Computer generiert, im
Gegensatz zu einer starren Videoaufnahme beeinflussen Tempi und
Klänge direkt die Bilder.
Dergleichen Kunst ist nicht realisierbar ohne die Mitwirkung technischer
Computer-Intelligenz, sprich Programmierung. Dafür steht Matthias
Härtig, der bei Projekten dieser Art schon oft mit Frieder Weiss
zusammengearbeitet hat.
M. und R. Felscher
Jonathan Stockhammer
stieg innerhalb weniger Jahre zu einem weltweit gefragten Dirigenten auf.
In seiner Heimatstadt Los Angeles studierte er zunächst Chinesisch und
Politologie, später Komposition und Dirigieren. Noch während des
Studiums sprang er für eine Reihe von Konzerten beim Los Angeles
Philharmonic ein. In der Folge wurde er eingeladen, dem Chefdirigenten
Esa-Pekka Salonen zu assistieren. Mit Abschluss seiner Studien zog er
nach Deutschland um und entwickelte enge künstlerische Beziehungen zu
bekannten europäischen Ensembles wie Ensemble Modern, MusikFabrik
und Ensemble Resonanz. Inzwischen hat er sich sowohl in der Welt der
Oper, als auch der klassischen Symphonik und der zeitgenössischen Musik
einen Namen gemacht. Als ein hervorragender Kommunikator bringt er
sowohl ein besonderes Talent für die Moderation von Konzerten mit als
auch dafür, mit den verschiedensten Mitwirkenden auf Augenhöhe zu
arbeiten – ob mit jugendlichen Musikern, jungen Rappern oder Stars wie
Bully Herbig und den Pet Shop Boys.
Die Oper spielt eine zentrale Rolle in Jonathan Stockhammers musikali­
schen Aktivitäten. Die Liste seiner Operndirigate, darunter Die Dreigro­
schenoper, Zemlinskys Eine florentinische Tragödie, Sciarrinos Luci mie tradi­
trici und Monkey. Journey to the West von Damon Albarn weist ihn als Diri­
genten aus, der komplexe Partituren und spartenübergreifende Produktio­
nen als willkommene Herausforderung begreift und meistert. Regelmäßig
zu Gast war er seit 1998 an der Opéra de Lyon, wo er unter anderem die
französische Erstaufführung von Dusapins Faustus, The Last Night leitete.
2009 führte er mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zwei Werke
Wolfgang Rihms auf, Proserpina (Uraufführung) und Deus Passus. Im Pari­
ser Théâtre du Châtelet begeisterte er 2010 in Sondheims A Little Night
Music mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France. Im Februar
2013 gab er sein Debüt an der New York City Opera in Thomas Adès´
Powder her Face. Die von Publikum und Kritik gefeierte Produktion wurde
sofort für weitere Aufführungen beim Festival d’opéra de Québec im
August 2013 eingeladen.
Im symphonischen Bereich hat Jonathan Stockhammer bereits zahlreiche
renommierte Klangkörper geleitet. Dazu zählen das Oslo Philharmonic
Orchestra, NDR Sinfonieorchester Hamburg, Sydney Symphony Orchestra
und die Tschechische Philharmonie. Er war auf Festivals wie den Salzbur­
ger Festspielen, dem Lucerne Festival, den Donaueschinger Musiktagen,
der Biennale in Venedig und Wien Modern zu Gast.
Für Produktionen, die sich den gängigen Kategorisierungen entziehen, hat
Jonathan Stockhammer eine besondere Vorliebe. Dazu gehören Greggery
Peccary & Other Persuasions, eine CD mit Werken von Frank Zappa mit dem
Ensemble Modern (RCA, 2003), die mit einem ECHO Klassik ausgezeich­
net wurde, sowie Konzerte und eine Einspielung des neuen Soundtracks
zu Sergei Eisensteins Film Panzerkreuzer Potemkin von und mit den Pet
Shop Boys. Die von ihm dirigierte Liveaufnahme The New Crystal Silence
mit Chick Corea, Gary Burton und dem Sydney Symphony Orchestra er­
hielt 2009 einen Grammy. Sehr erfolgreich war auch seine Zusammenar­
beit mit dem Rapper Saul Williams für Said the Shotgun to the Head, eine
Komposition von Thomas Kessler, die Jonathan Stockhammer mit dem
WDR Sinfonieorchester Köln, dem RSO Stuttgart und Oslo Philharmonic
zur Aufführung brachte.
In der Saison 2015/2016 wird er erstmalig für eine Neuproduktion von Pe­
ter Eötvös´ Tri Sestri (Drei Schwestern) an der Wiener Staatsoper zu Gast
sein und bei den Schwetzinger Festspielen Georg Friedrich Haas´ neue
Oper Koma aus der Taufe heben. Seit der Jubiläumssaison des Collegium
Novum Zürich 2013/14 ist Jonathan Stockhammer Conductor in Resi­
dence des renommierten Schweizer Ensembles.
Manfred Knaak
ist freiberuflicher Dirigent, Komponist, Arrangeur und Produzent. Geboren
im fränkischen Schweinfurt, führte ihn sein erstes Engagement als
Kapellmeister 1987 an das Stadttheater Pforzheim. Er hat seither u.a. für
die Theater Coburg, Aachen, Hildesheim, Hof, Hannover, Mainz,
Regensburg und Würzburg gearbeitet. Dabei profilierte er sich – neben der
Komposition anspruchsvoller Schauspielmusiken – vor allem als Dirigent
und Arrangeur für Musicals (u.a. Deutsche Erstaufführungen von Me and
My Girl, My One and Only und Godspell). Seit 1995 widmet er sich
verstärkt auch seinen Interessen als Jazz-Pianist und -Komponist sowie
der Arbeit als Studio-Produzent. Seit 1998 arbeitet er regelmäßig als JazzDirigent und -Produzent u.a. mit David Liebman, New York, Florian Ross,
Köln. Seit 1998 hält er einen Lehrauftrag für Musicalproduktion an der
Hochschule für Musik Würzburg. Seit 2001 arbeitet er mit Stephen
Schwartz zusammen (u.a. musikalische Neufassung des Rockmusical
Godspell, Neufassung und Planungsleitung der Deutschen Erstauführung
von Children of Eden). Knaak ist seit 2002 verstärkt und überwiegend als
Komponist tätig: u.a. für ZDF-ARTE (Musik zu den Stummfilm-Epen „Der
Müde Tod“ von Fritz Lang und „La Souriante Madame Beudet“ von
Germaine Dulac), kontinuierliche Zusammenarbeit mit ensemble
KONTRASTE, Nürnberg. Daneben komponierte er mehrere große
Bühnenwerke, u.a. Quo Vadis (2005 Theater Trier) und Das Geheimnis
des Colliers (2007 Theater Regensburg). Parallel dazu entwickelte sich
eine rege Zusammenarbeit mit Konstantin Wecker (u.a. Arrangement und
musikalische
Produktionsleitung
Hundertwasser-Musical
und
WeckErlebnisse).
Frieder Weiss
ist ein Ingenieur in den Künsten und Autor von Computerprogrammen,
die auf die Verwendung in Tanz, Musik und Liveperformance
zugeschnitten sind. Als Pionier der intermedialen Performance
entwickelte er Technologien und Bühnenwerke, die weltweit gezeigt
werden und zahlreiche Preise gewannen (u.a. Transmediale, Berlin und
Helpman Award, Australien). In seiner Arbeit als Videokünstler
entwickelte er eine Ästhetik, die Projektion und den bewegten Körper aufs
engste integriert. Per Kamera-Motion-Tracking werden die Bewegungen
der Darsteller unmittelbar visualisiert. Eine Infrarotkamera, ähnlich einer
Überwachungskamera, sieht die Performer selbst im Dunklen, ein Compu­
ter generiert aus dieser Information abstrakte Grafiken, die direkt aufs
Bühnengeschehen projiziert werden.
Frieder Weiss bringt diese interaktiven Videoarbeiten in unverwech­
selbarer Handschrift in verschiedensten Kunstformen ein, seien es Ballettoder Opernproduktionen (u.a. mit der Long Beach Oper, dem Danish
Dance Theatre, bei der Deutschen Oper, Berlin) oder permanente
Installationen in Museen (z.B. Phaeno Wolfsburg). Musikvideos (Kylie
Minogue), Bühnenshows (Take That) und große Firmenveranstaltungen
gehören aber ebenfalls zu den Einsatzfeldern dieses „dynamischen
Mappings“ wie große Musiktheater-Shows (King Kong, Melbourne) oder
modernes Varieté (Dummy, Berlin).
Matthias Härtig
geboren 1977, ist Programmierer von künstlerischen visuellen Anwendungen und Echtzeit-Umgebungen aus Dresden. Er ist Initiator der
Arbeitscooperative DS-X.org und Gründungsmitglied der Trans-MediaAkademie (TMA) Hellerau. Er arbeitet regelmäßig mit Frieder Weiss in
dessen Tanz-, Theater- Musik- und Computerkunst-Projekten zusammen.
Eine ähnliche Zusammenarbeit besteht auch mit Ulf Langheinrich,
Johanna Roggan, der Shot-AG, Phase-7 und der Waldorfschule Dresden.
Musikkontraste in Nürnberg –
ensemble KONTRASTE für Nürnberg
Die Musikszene der Metropolregion ist so vielschichtig wie ihre
Bevölkerung, sie lebt von der Vielfalt des Angebots. In dieser lebendigen
Musikszene hat sich seit einem Vierteljahrhundert das ensemble
KONTRASTE (eK) als „dritte Kraft“ neben der Staatsphilharmonie und
den Nürnberger Symphonikern etabliert – als wichtiger Impulsgeber mit
eigenem Profil: unkonventionell, spartenübergreifend, mit kontrastreichen Programmen.
KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle
Die Magie des Orts, der „genius loci“, die spezielle Atmosphäre ist wichtig
für jeden Künstler – unser Ort ist die Tafelhalle: Zeugnis des Untergangs
der einstmals großen Nürnberger Schwerindustrie, von der Stadt wieder­
belebt als Spielort der freien Kulturszene Nürnbergs, heute im Kulturle­
ben der Stadt fest verankert. Und doch: Die Aura industrieller Geschichte,
der Charme des Improvisierten blieb. Kein klassischer Musentempel, aber
auch kein alternativer Schuppen. Die Assoziation „jung und frisch“ stellt
sich ein, die Nähe (wörtlich, in Metern) zwischen Künstlern und Publikum
ist ein unschätzbares Plus.
Nur Äußerlichkeiten? Keineswegs. Kultur ist nicht nur das „Was“, sondern
auch das „Wo“, das Ambiente, die schwer greifbare Stimmung unter
„Gleichgesonnenen“ zu weilen: Das Publikum ist bunt gemischt, keiner
Schicht und Altersgruppe zuordenbar, nur durch eines geeint: Offenheit
für Unerwartetes und Neues, für alles, was nicht nur „Entertainment“ ist,
was den geheimnisvollen „Mehrwert“ hat, der Kultur unverzichtbar
macht.
Mit konzeptionellen Konzerten, Puppenspiel, Stummfilm, Dichtercafé,
durch die Zusammenarbeit mit kreativen Kultur-Schaffenden nimmt die
eK-Reihe KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle eine herausragende Po­
sition im Angebot dieses Spielorts ein. Künstlerisches Niveau ist zwin­
gend, aber etwas ist absolut verboten: gepflegte Kultur-Langeweile!