WARUM IN DIE FERNE SCHWEIFEN

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Warum in die Ferne schweifen …? – Naturfotografie vor der Haustür
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Meist ist es der Jahresurlaub, in dem man feststellt: „Ich muss wieder mehr
fotografieren!“. Die Motive überschlagen sich förmlich, der Löwe grinst ins
Weitwinkelobjektiv, die Sonne geht mindestens tausendmal schöner unter
als zu Hause und das gleich dreimal am Tag, das Wetter ist immer passend
und sowieso … - Wirklich?
Die meiste Zeit des Jahres sind wir nicht im Urlaub, sondern zu Hause. Doch
ein Grund, die Fotografie zurückzufahren oder gar einzustellen, ist dies lange
nicht, im Gegenteil. Wer mit offenen Augen beginnt, sein Revier vor der
Haustür zu erkunden, der kann sein fotografisches Wunder erleben – und
richtig Stress bekommen. So viel, dass es schon Leute gegeben haben soll, die
beschlossen haben, mal einen Jahresurlaub daheim zu verbringen, um dort
zu fotografieren. Hier ein paar Tipps für das „hausgemachte Fotoabenteuer“:
1. Das Revier – oder: hier gibt’s doch nirgends was!
Wo soll man denn nun hingehen, um brauchbare Bilder zu machen, weit und
breit keine Savanne oder tosende Wasserfälle, nur Fichtenwald statt Dschungel und Blaumeisen statt Blauaras!? Zugegeben, in unserer Kulturlandschaft
entlegene Fotoflecken zu finden, ist nahezu unmöglich, aber es geht auch weniger aufwändig. Ein Blick in die Wander- oder Umgebungskarte verrät schnell
die Lage von fließenden und stillen Gewässern, Waldflächen, Parklandschaften (nicht unterschätzen!) und vor allem Zonen, die wenig bewirtschaftet
bzw. wenig befahren, weil schlechter zugänglich sind. Dazu zählen auch die
Wassersammler an den Autobahnen und die bewachsenen Lärmschutzstreifen, die sich mancherorts zu Refugien für Tierarten entwickelt haben, die sich
sonst nirgendwo so ungestört niederlassen können.
Auch landwirtschaftlich stark frequentierte Zonen sind interessant – wenn
man die Zeiten nutzt, in denen der Bauer noch nicht oder nicht mehr auf dem
Feld unterwegs ist. Ebenfalls brauchbar sind Industriebrachen, aufgelassene
Tagebaue oder ehemalige Truppenübungsplätze, soweit freigegeben und
gefahrlos zugänglich. Hilfreich an dieser Stelle: schauen Sie sich z.B. rechtzeitig nach einem passenden Fotorucksack um, damit Sie beim Durchstreifen
Ihres Reviers die Hände frei, die Ausrüstung aber gut geschützt und schnell
griffsbereit haben!
2. Das Thema – oder: da bin ich doch an zwei Wochenenden damit durch!
Im Jahre 2004 hatte ich beschlossen, mich einmal 2 Jahre intensiv dem heimatnahen Gebiet des oberbayerischen Flüsschens Amper zu widmen, um mir
dann ein neues Schwerpunktthema zu suchen. Ich gebe zu, ich bin kläglich
gescheitert – zumindest, was meine Zeitplanung anbetrifft. Noch immer
verbringe ich jedes Jahr viele Wochenenden ausschließlich im Einzugsbereich
der Amper, noch immer heimatnah – und die Themen nehmen kein Ende.
Suchen Sie sich doch einfach mal ein kleines Thema und beginnen Sie, sich
fotografisch damit auseinanderzusetzen. Egal, ob eine spezielle Pflanze, eine
Tierart oder auch Lebensräume. Beispiel: Blässhühner. An jedem Tümpel vorkommend, sehr häufig, das ganze Jahr im Lande, schwarzes Gefieder, weißer
Schnabel. Ja und sonst? Begleiten Sie einmal ein Blässhuhn durchs Jahr, und
es wird aufregend – Partnersuche, Verhalten, Nestbau, Jungenaufzucht. Ich
hätte nie gedacht, dass einem zu einem stinknormalen Blässhuhn so viele Bildideen durch den Kopf schießen können. Langweilig wird es nie, versprochen!
3. Die Jahreszeit – oder: zwischen November und Mai ist doch tote Hose!
Wenn die letzten bunten Blätter von den Bäumen gefallen sind, der Herbstregen fällt, Nebel aufzieht und draußen alles grau wird, dann hofft man auf
viel Schnee, Raureif und sonnige Wintertage – oft vergebens. Doch gibt es
wirklich nichts für Fotografen, die nicht ins Ausland flüchten können? Doch,
auf den Weihern sammeln sich nun viele Wasservögel, teilweise Wintergäste
aus dem Norden. Die Fluchtdistanzen sind insbesondere in Parkanlagen oder
an frequentierten Spazierwegen gering. Dies macht es auch für diejenigen Fotografen interessant, die nicht mit dem 800er Teleobjektiv bei einer Mönchsgrasmücke noch die Zahnspange scharf bekommen. Reiher und Kormorane
sind auf Fischfang, Grau- und Kanadagänse fressen in großen Gruppen auf
den Auwaldwiesen. Höchste Zeit, auch in einer ruhigen Waldecke oder gar
im eigenen Garten einen kleinen Ansitz mit Futterplatz für unsere Singvögel
einzurichten und mit dem Anfüttern zu beginnen. Das Eichhörnchen von
nebenan hat dies ebenfalls bald gemerkt! Ach, fast hätte ich es vergessen:
Streifen Sie mal im feuchten, dichten Novembernebel durch einen entlaubten
Buchenwald oder eine Fichtenschonung, am Flußufer entlang oder durchs
Moor! Sobald dann im zeitigen Frühjahr die ersten Märzenbecher und Leberblümchen den Kopf aus dem Boden stecken, denken Sie über die Anschaffung eines Makroobjektives oder einer Vorsatzlinse nach!
4. Das Wetter und das Licht – oder: Blende 8, Sonne lacht!
Haben Sie schon einmal an einem „blauhimmligen Hochsommertag“ um die
Mittagszeit versucht, in einem Wald ein richtig gutes Landschaftsfoto zu machen? Es wird wahrscheinlich beim Versuch geblieben sein. Schlagschatten,
ausgefressene Lichter, harte Kontraste, Null-Stimmung.
Fotografie setzt sich aus zwei altgriechischen Wortstämmen zusammen und
bedeutet „Malen mit Licht“. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass dies „Malen mit Sonne“ bedeutet! Wer bei Bewölkung oder gar bei Regenwetter seine
Kamera per se zu Hause lässt, dem entgehen beste Chancen auf fantastische
Fotos.
Tipp 1: Es gießt in Strömen und Sie kennen einen Laubwald?! Nix wie hin, es
erwarten Sie satte Farben, diffuses Licht und nass glänzende Blätter. Im günstigsten Fall noch ein kleiner, bisher unbeachteter Bach, der nun nicht mehr
klein ist, sondern bei Langzeitbelichtung wie ein Miniaturokawango durch ihr
Bild rauscht. Noch ein Vorteil: Sie sind voraussichtlich vollkommen ungestört!
Tipp 2: Es ist leicht bewölkt und Sie kennen ein Gewässer mit Schilfzone? Jetzt
ist die beste Zeit, um die im und am Schilf wohnenden Vögel zu fotografieren, denn es gibt diffuses Licht ohne die extremen Kontraste bei direkter
Sonneneinstrahlung.
Tipp 3: Schon mal nachts bei Mondlicht fotografiert – ausprobieren!
5. Das Experiment – oder: Meine Bilder sind zwar scharf, aber irgendwie
langweilig!
Fotografie heißt auch Mut zum Experimentieren. Probieren Sie neue und anspruchsvolle Techniken aus, ohne sich entmutigen zu lassen. Ob „Mitziehen“,
„Wischer“, Langzeit- oder Mehrfachbelichtung: alles braucht seine Zeit und
viel Übung – aber es lohnt sich. Schalten Sie die Automatikeinstellung Ihrer
Kamera ab, übernehmen Sie das Ruder bei der Bildgestaltung und spielen Sie
einfach mal mit Blende und Belichtungszeit. Sie werden überrascht sein, was
Ihre Kamera – nein, Sie! – so alles zu Stande bringen.
Tipp 1: Fotografieren Sie im Abendlicht eine stark strömende Stelle im Bach
oder Fluss mit unterschiedlichen Belichtungszeiten!
Tipp 2: Geben Sie Ihrer Kamera eine Belichtungszeit von maximal 1/20s vor
und ziehen Sie die Kamera mit dem Vogelschwarm mit! Kamera aufs Stativ
und den badenden Schwan mit 1/10s und 1/2000s einfangen – zwei verschiedene Welten!
Trauen Sie sich auch, einfach einmal grafische Strukturen als Hauptmotiv
ins Bild zu setzen, seien dies Baumstämme oder Schilfhalme, Früchte oder
Tierschwärme.
6. Makrofotografie – oder: der Kleinsch… ist uninteressant!
Sehr oft liegt für den Fotografen das Interessante im scheinbar Verborgenen
oder auch die Krux im Detail. Ein anspruchsvolles und ansprechendes Makrofoto lässt staunen und häufig kommt die Frage: „Schaut sehr schön aus, aber
was ist denn das überhaupt?“
Nutzen Sie einen schier unerschöpflichen Motivvorrat zu allen Jahreszeiten
und schauen Sie als Fotograf etwas genauer und näher hin als alle anderen
Zeitgenossen – schon ist Aufmerksamkeit garantiert.
Ein gutes Makrofoto bedarf aber nicht nur einer guten Bildidee, sondern auch
einer handwerklich exakten Umsetzung. Einmal falsch scharfgestellt oder
ein störender Grashalm im Hintergrund – und schon ist es vorbei. Bereits mit
wenigen Hilfsmitteln kann man sich die Arbeit im Kleinen erleichtern und
deutlich bessere Fotoergebnisse erzielen. Ob Vorsatzlinse, Umkehr- oder
Zwischenring oder Makroobjektiv und Balgen, die Grenzen sind hier weit gesteckt, und wer einmal Blut geleckt hat, kommt so schnell nicht mehr davon
los. Ein Ausrüstungsgegenstand jedoch steht außer Frage – ohne Stativ sollte
man nicht mit dem Thema Makrofotografie beginnen.
Tipp 1: Wer auf der Wiese unterwegs sein möchte, um Insekten zu fotografieren, der sollte lieber am Morgen als am Abend starten, denn die niedrigeren
Temperaturen sorgen für geduldigere Models an Halm und Blüte. Außerdem
ist Tau ein dankbares Motiv.
Tipp 2: In den meisten Fällen ist bei der Makrofotografie draußen ein kleiner
Faltreflektor dem Einsatz großer Blitzgeräte vorzuziehen. Zu schnell ist ein
Motiv „totgeblitzt“ – der Hintergrund schwarz und unnatürlich.
mit Dr. Ferry Böhme
Sa., 20.06.2015
10 - 18.00 Uhr
WORKSHOP Naturfotografie: Theorie und Grundkurs;
Einführung, Theorie und Praxis Outdoor
So., 21.06.2015
6 - 16.00 Uhr
WORKSHOP Naturfotografie: Aufbaukurs Outdoor für
Frühaufsteher; Theorie und Praxis Outdoor,
Treffpunkt 6.00 Uhr
Dr. Ferry Böhme
Zusammenarbeit mit den Staatlichen
Naturwissenschaftlichen Sammlungen
Bayerns sowie Bildprojekte für den Bayerischen
Naturschutzfonds
Profitipp
Ferry Böhme, Naturfotograf und langjähriger
Vortragsreferent beim Deutschen Alpenverein;
mehrmals Referent auf Europas größtem
Naturfotofestival; Publikationen über Naturfotografie, Photocoach der Brenner Fotoschule,
Mitglied der GDT und Naturfoto-Preisträger
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