Document

I
Sachverhalt
Der wegen mehrerer Gewaltdelikte vorbestrafte T hat von X erfahren, dass im Leergut-Lager
des Supermarktes „Real-Markt“ eine unverschlossene Zigarrenkiste aufbewahrt wird, in der
sich ständig 200,- bis 500,- Euro befinden. T will sich die vermeintlich leichte Beute nicht
entgehen lassen und bricht nachts die verschlossene Tür des Leergut-Lagers des RealMarktes auf. Nach längerer Suche muss er jedoch feststellen, dass im Lagerraum nur Leergut
abgestellt ist und sich dort kein Geld befindet. Um den Einbruch nicht mit völlig leeren
Händen zu beenden, nimmt T noch 4 Kästen mit leeren Bierflaschen mit, die er am anderen
Tag an der Leergut-Annahme des Real-Marktes einlösen will. Bei dem Leergut handelt es sich
um Kästen ohne Aufdruck sowie um Flaschen, die von vielen Brauereien verwendet werden
und die sich nur durch das aufgeklebte Etikett einer bestimmten Bierfirma zuordnen lassen
(sog. „Eurobierflaschen“). T geht davon aus, dass der gesamte
Leergutbestand dem Real-Markt gehört.
Am nächsten Tag betritt T den Real-Markt, um die 4 Kästen abzugeben und das Pfandgeld in
Höhe von insgesamt 12,- Euro zu kassieren. Die Annahmestelle für Leergut befindet sich im
Geschäftsraum des Real-Marktes und wird von einem Mitarbeiter des Supermarktes betreut,
der im Bedarfsfall von den Kunden durch eine Klingel gerufen wird. Nach Rücknahme des
Leergutes stellt er einen Getränkebon aus, den die Kunden anschließend an der Kasse mit
ihrem Kauf verrechnen oder gegen Bargeld einlösen können. Zufällig ist auch der X im
Realmarkt, um sein eigenes Leergut zurückzugeben. Als T sieht, wie der X die Klingel betätigt,
um einen Mitarbeiter zu rufen, sieht T eine Möglichkeit, sich bei X für die falsche Information
auf seine Art zu „bedanken“. Er stellt die Kästen ab und geht wütend auf den X zu. Mit den
Worten „Das ist für deinen tollen Tipp!“ verpasst er dem X einen kräftigen Schlag in die
Nieren, sodass dieser bewusstlos zu Boden sinkt. Der Schlag ist allerdings so stark, dass sich T
dabei die Schulter ausrenkt.
Jetzt bemerkt T, dass X eine goldene Halskette trägt, die er sich als kleine Entschädigung für
die Falschinformation zueignen möchte. Wegen der Schulterverletzung sieht T sich jedoch
daran gehindert, dem X die Goldkette auf die Schnelle selbst abzunehmen. T fordert daher
die in der Nähe stehende Kundin K auf, dem X die Kette vom Hals zu nehmen und ihm zu
geben. K hat die tätliche Auseinandersetzung zwischen T und X beobachtet, die den T
beeinträchtigende Schulterverletzung allerdings nicht bemerkt. K überlegt kurz, ob sie nicht
einen Mitarbeiter des Real-Marktes um Hilfe rufen soll. Da niemand in der Nähe ist und sie –
für T erkennbar – panische Angst davor hat, dass T ihr gegenüber gewalttätig wird, kommt
sie der Forderung des T nach. T steckt die Kette des X ein und verlässt den Supermarkt. Die 4
Kästen lässt er zurück, weil er wegen des Vorfalls mit X den Supermarkt so schnell wie
möglich verlassen möchte und er sich außerdem wegen seiner ausgerenkten Schulter
außerstande sieht, die Kästen mitzunehmen.
Bitte prüfen Sie die Strafbarkeit des T. Ggf. erforderliche Strafanträge sind gestellt.
II
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
Kommentare
Jähnke, Burkhard
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Auflage
(zitiert als: LK Bearbeiter)
Schönke, Adolf
Kommentar zum Strafgesetzbuch
27. Auflage
(zitiert als: Sch/Sch Bearbeiter)
Joecks, Wolfgang
Münchener Kommentar zum
Strafgesetzbuch
(zitiert als: MüKo Bearbeiter)
Aufsätze
Eser, Albin
Zum Verhältnis von Gewaltanwendung und Wegnahme beim
Raub. In: Neue Juristische
Wochenschrift 1965, S. 377
(zitiert als: Eser NJW)
Gössel, Karl-Heinz
Anmerkung zum Urteil BGHSt
48, 365. In: Juristische Rundschau
2004, S. 252
(zitiert als: Gössel JR)
Hellmann, Uwe
Zur Strafbarkeit der Entwendung
von Pfandleergut und der Rückgabe dieses Leerguts unter Verwendung eines Automaten. In:
Juristische Schulung 2004, S. 353
(zitiert als: Hellmann JuS)
Joerden, Jan
"Mieterrücken" im Hotel - BGHSt
32, 88. In: Juristische Schulung
1985, S. 20
(zitiert als: Joerden JuS)
Küper, Wilfried
Zur Problematik der sukzessiven
Mittäterschaft. In: Juristenzeitung
1981, S. 568
(zitiert als: Küper JZ)
Otto, Harro
Anmerkung zum Urteil BGHSt
48, 365. In: Juristische Zeitung
2004, S. 362
III
(zitiert als: Otto JZ)
Schmitz, Roland
Das (zivilrechtliche) Mysterium
des Flaschenpfandes-strafrechtlich
betrachtet. In: JURA: Juristische
Ausbildung 2006, S. 821
(zitiert als: Schmitz JURA)
Weber, Jörg-Andreas
Die Rechtsnatur des Flaschenpfandes. In: Neue Juristische
Wochenschrift 2008, S. 848
(zitiert als: Weber NJW)
Wessels, Johannes
Zueignung, Gebrauchsanmaßung
und Sachentziehung. In: Neue juristische Wochenschrift 1965, S.
1153 (zitiert als: Wessels NJW)
Im Übrigen wird Kirchner/Butz gefolgt. Alle §§ ohne Zusatz sind dem Strafgesetzbuch
Deutschland (aktuelle Fassung) entnommen.
IV
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt A: Die Bierflaschen
I. Diebstahl §§ 242, 243.................................................................................................. 1
1. Obj. Tatbestand.............................................................................................. 1
Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache.................................... 1
2. Subj. Tatbestand............................................................................................. 2
a.Vorsatz................................................................................................. 2
b. Zueignungsabsicht.............................................................................. 2
Se ut dominum gerere................................................................. 3
Fallgruppe: Leergut.......................................................... 3
3. Rechtswidrigkeit und Schuld........................................................................... 6
4. Regelbeispiel § 243 I Nr. 1 ("Einbruchsdiebstahl")......................................... 6
II. Versuchter Betrug §§ 263, 23......................................................................................6
1. Tatentschluss................................................................................................... 7
2. Unmittelbares Ansetzen zur Tat...................................................................... 7
Abschnitt B: Die Goldkette
III. Raub § 249..................................................................................................................9
1. Obj. Tatbestand............................................................................................... 9
a) Wegnahme einer fremden, bewegliche Sache.................................... 9
b) Gewalt gegen eine Person als Mittel zur Wegnahme......................... 10
Fallgruppe: Raubgewalt durch Unterlassen................................ 10
IV. Diebstahl § 242...........................................................................................................15
V. Körperverletzung § 223.............................................................................................. 15
VI. Gefährliche Körperverletzung § 224 I Nr. 3, Nr. 4.......................................................16
VII. Erpressung § 253........................................................................................................16
1. Obj. Tatbestand............................................................................................... 16
a) Tathandlung: Drohung mit einem empfindlichen Übel...................... 17
b) Taterfolg: Vermögensnachteil............................................................ 18
VIII. Nötigung § 240..........................................................................................................19
1
Gutachten
Strafbarkeit des T
Abschnitt A: Die Bierflaschen
I. Diebstahl §§ 242, 243 I Nr.1
T könnte sich wegen Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er die
vier Kästen mit leeren Bierflaschen aus dem Lagerraum entwendet
hat. Hierfür müsste er eine fremde, bewegliche Sache in
Zueignungsabsicht weggenommen haben.
1. Objektiver Tatbestand
Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache
Bei den Kästen handelt es sich um fremde, nämlich jedenfalls nicht im
Eigentum des T stehende, bewegliche Sachen. T müsste sie
weggenommen haben. Wegnahme bedeutet Bruch fremden und
Begründung
neuen
Gewahrsam,
wenn
Gewahrsams.
er
ohne
oder
Gebrochen
gegen
wird
den
fremder
Willen
des
Gewahrsamsinhabers aufgehoben wird.1 Begründet wird er, wenn der
Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt hat, dass ihrer
Ausübung keine weiteren Hindernisse mehr entgegenstehen.
2
Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene
tatsächliche (auch gelockerte) Sachherrschaft eines Menschen über
eine Sache nach der Sicht der Verkehrsauffassung. 3 Nach dieser
unstreitigen
Definition
genügt
mithin
ein
genereller
Sachherschafftswille 4 des Berechtigten, welcher die Zuordnung der
1
Sch/Sch § 242 Eser Rn. 35; LK § 242 Ruß Rn. 17
Sch/Sch § 242 Eser Rn. 37; LK § 242 Ruß Rn. 40
3
Sch/Sch § 242 Eser Rn. 23; LK § 242 Ruß Rn. 18
4
Sch/Sch § 242 Eser Rn.30; LK § 242 Ruß Rn. 23
2
2
Sachen zu dessen räumlichen Herrschaftsbereich auch bei seiner
Abwesenheit trägt. Demnach war der Filialleiter des Real-Marktes
auch in der fraglichen Nacht Gewahrsamsinhaber und T hat diesen
Gewahrsam gebrochen und auch eigenen, neuen Gewahrsam
begründet, als er die Kästen aus dem Machtbereich herausschaffte,
was mangels anderer Angaben im Sachverhalt unterstellt werden
muss.
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz
Es müsste Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale
vorgelegen haben (§§ 15, 16 I S.1). Dies ist fraglich, da T ursprünglich
den Tatplan gefasst hatte, Geldscheine aus einer Zigarrenkiste zu
stehlen. Da Ts Wissen allerdings nur vom Hörensagen des X herrührte
und sich relativ nebulös auf eine unverschlossene Kiste mit 200,- bis
500,- Euro bezog, mithin äußerst unpräzise war, und es sich auch bei
den Geldscheinen um fremde, bewegliche Sachen gehandelt hätte,
lag hier ein unbeachtlicher Objektwechsel vor.5 Die Tatsache, dass das
eventuell eingelöste Pfand deutlich weniger als 200,- Euro betragen
würde, ist ebenfalls unschädlich.
b. Zueignungsabsicht
Desweiteren müsste T in Zueignungsabsicht gehandelt haben. Dies
setzt voraus, dass der Täter die Sache wegnimmt, um sie unter
Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung (se ut dominum
gerere) zumindest vorrübergehend der eigenen Vermögenssphäre
einzuverleiben (Aneignungsabsicht) und um sie der Verfügungsgewalt
5
NStZ-RR 2009, 278 (279); BGH MDR 1953, 272; Sch-Sch § 242 Eser Rn. 45
3
des Berechtigten dauerhaft zu entziehen (Enteignungsvorsatz). 6
Allerdings darf der se-ut-dominum-gerere-Gedanke nicht zu einer
uferlosen Strafbarkeit des Diebstahls in den Bereich der (straflosen)
Gebrauchsanmaßung hineinführen. 7
Se ut dominum gerere
Fraglich ist, ob T sich wirklich eine eigentümerähnliche Stellung
angemaßt hat, da er plante, die Kästen an den Real-Markt
zurückgelangen zu lassen und somit unter Umständen dessen
(vermeintliches) Eigentumsrecht an den Kästen bzw. den Flaschen
nicht negieren wollte.
Fallgruppe: Leergut
Anknüpfunspunkt der rechtlichen Betrachtung ist der Gegenstand der
Zueignung, der nach der heute herrschenden Vereinigungstheorie die
Sache selbst sein kann, d.h. im vorliegenden Fall die Flaschen bzw. die
Kästen (Substanztheorie), oder der in der Sache verkörperte
Sachwert, d.h. der Pfand (Sachwerttheorie).8 Erstmalig konstituiert
1964 9 geht es im Kern um eine Einschränkung der Substanztheorie,
sodass auch dann eine Strafbarkeit gegeben ist, wenn der Täter
beispielsweise Obligationspapiere entwendet, z.B. das Sparbuch
"plündert", und dann dem Eigentümer zurückgibt. 10 Eine weitere
Fallgruppe,
die
der
Wegnahme
von
Leergut/Pfandflaschen,
verdeutlicht die Problematik ebenso und ist teilweise umstritten.
Denn innerhalb der Vereinigungstheorie unterscheidet sich die
Sachwerttheorie nochmal in einen engen Sachwertbegriff 11 und einen
6
Sch-Sch § 242 Eser Rn. 47; LK § 242 Ruß Rn. 50 f.
Wessels NJW, 1153 (1154)
8
Sch-Sch § 242 Eser Rn. 48 f.; LK § 242 Ruß Rn. 47 f.
9
Bay ObLG JR 1965,26
10
Sch-Sch § 242 Eser Rn. 50; Wessels NJW, 1153; RGSt 24, 22; LK § 242 Ruß Rn. 48
11
BGHSt 19, 387 (388)
7
4
Weiten. Nach dem herrschenden engen Begriff ist nur der unmittelbar
verkörperte Wert (lucrum ex re) nicht aber der aus der Verwertung
resultierende Vorteil (lecrum ex negotio cum re) tauglicher
Gegenstand der Zueignung. 12 Bei dem Pfandgeld aus Leergut handelt
es sich allerdings nicht um den unmittelbar verkörperten Wert,
sondern nur um einen Anreiz, die Flaschen wieder zurückzugeben,
was sich insbesondere aus einem Vergleich des Pfandbetrags mit den
Herstellungskosten
Unproblematisch
der
wäre
Mehrwegverpackungen
die
Zueignungsabsicht
aber
ergibt.
13
dennoch
(wenigstens an der Substanz), wenn die Person, welcher der Täter das
Leergut weggenommen hat, Eigentümer an den gesamten Kästen
wäre.
14
Durch
den
Rück-Verkauf
würde
der
Täter
die
Eigentümerposition des eigentlich Berechtigten negieren, da er
entweder als Eigentümer auftritt oder wenigstens ein Recht ausübt,
was nur dem Eigentümer zusteht. Doch das Pfandrecht ist eine
äußerst komplexe Materie, enstanden und geprägt durch die
Vertragsautonomie im deutschen (Zivil-)Recht. Mithin bedarf es einer
Klärung der Zivilrechtslage nach dem derzeitigen Stand der
Rechtsprechung und Wissenschaft und einer Subsumption unter den
vorliegenden Fall.
In der Getränkeindustrie wird eine (Pfand-) Flasche in den
Produktionsstätten des Herstellers bzw. der Brauerei (z.B. Coca-Cola
GmbH oder Privat-Brauerei Heinrich Reissdorf GmbH & Co. KG)
geboren. Die Getränkeflüssigkeiten werden in ein beliebiges Behältnis
(meist: Fässer) abgefüllt und gelangen dann durch eine Vertriebskette
in den Einzelhandel. Regelmäßig liegt folgende Vertriebskette vor:
Hersteller/Abfüller -
Großhändler - Einzelhändler - Endkunde. 15
Entscheident ist die Antwort auf die Frage, ob der Hersteller bereits
an den Großhändler sein Eigentum an dem Getränk und dem Inhalt
verliert, oder ob er wenigstens an Einem von Beiden das Eigentum
12
LK § 242 Ruß Rn. 49.
Schmitz JURA, 821 (825)
14
Hellmann JuS, 353
15
Weber NJW, 948
13
5
trotz Weiterveräußerung in der Kette behält. Hierbei wird zwischen
den einzelnen Arten von Flaschen unterschieden. 16
Bei der ersten Gruppe handelt es sich um individualisiertes SpezialLeergut (z.B. Coca-Cola Flaschen). Dort behält nach allgemeiner
zivilrechtlicher
Auffassung
der
Hersteller
Eigentum
an
den
Pfandflaschen und überträgt Selbiges nach § 929 S.1 BGB nur
bezüglich des Inhaltes, also der Flüssigkeit. Bezüglich der Flasche wird
eine Nutzungsberechtigung aufgrund von Leih- 17 oder atypischem
Gebrauchsüberlassungsvertrag sui generis
18
angenommen. Eine
Rückgabe der Pfandflaschen zwecks Geldempfang bedeutet dann
keine Rückübereignung, sondern nur eine Rückkehr in die
Gewahrsamssphäre
des
Berechtigten.
19
Eine
Negierung
der
Eigentümerstellung des Berechtigten liegt nicht vor. In der Literatur
wird auch die Möglichkeit diskutiert, ob es nicht bei einem Teil der
Individualflaschen zu einem gutgläubigen Erwerb durch den
Endverbraucher kommen kann.20
Umstritten
ist
die
Brunneneinheitsflaschen
Rechtslage
außerdem
(Genossenschaft
bezüglich
Deutscher
sog.
Brunnen),
welche eine Zwischenposition einnehmen. 21
Dies hat im vorliegenden Fall aber kein Gewicht, da es sich bei dem
Leergut laut Sachverhalt um "Eurobierflaschen", also standardisiertes
Leergut handelt. Dort gilt unstreitig: Der Hersteller verliert sein
Eigentum auch an den Flaschen bereits gesetzlich - weswegen ein
rechtsgeschäftlicher Ausschluss durch AGB ausgeschlossen ist 22 durch §§ 948 I, 947 I BGB im Wege der Vermengung mit den Flaschen
16
Schmitz JURA, 821; Weber NJW, 948
OLG München GRUR 1980, 1010 (1011)
18
Schmitz JURA, 821
19
OLG Hamm NStZ 2008, 154 f.; AG Flensburg NStZ 2006, 101
20
Schmitz JURA, 821 (822)
21
Schmitz JURA, 821 (822); Hellmann JuS, 353 (354)
22
Hellmann JuS, 353 (354)
17
6
anderer Abfüller.23 Schuldrechtlich qualifiziert wird diese Beziehung
als Darlehens- oder Kaufvertrag. 24
Das bedeutet, der Getränkehändler vor Ort hat regelmäßig volles
Eigentum an den Kästen, den Flaschen und der Flüssigkeit darin und
eine Rückgabe der leeren Flaschen durch den Kunden bedeutet eine
Verfügung über rechtmäßiges Eigentum, soweit es denn gerade nicht
gestohlen wurde, und steht nur dem Berechtigten zu.25 Obwohl eine
etwaige
abweichende
Einschätzung
der
Eigentumslage
beim
Endverbraucher bzw. Täter Gewicht haben kann 26 , sind diese
Einwände vorliegend unbeachtlich, da T - ob nun wissentlich oder
nicht - von den richtigen Eigentumsverhältnissen ausging. Mithin
wollte sich T unter Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung die
Flaschen aneignen und damit liegt die Zueignungsabsicht vor. T hat
den Tatbestand des § 242 erfüllt.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtfertigende oder entschuldigende Gründe sind nicht ersichtlich.
4. Regelbeispiel § 243 I Nr. 1 ("Einbruchsdiebstahl")
Indem T die verschlossene Tür des Leergut-Lagers des Real-Marktes
aufgebrochen hat, hat er außerdem das Regelbeispiel des § 243 I Nr. 1
erfüllt. 27 Gründe, die von einer höheren Bestrafung absehen lassen
würden, sind nicht ersichtlich. T ist strafbar wegen Diebstahls in
einem schweren Fall gem. §§ 242, 243 I Nr. 1. Die ebenfalls
verwirklichten Straftaten der Sachbeschädigung gem. § 303 und des
Hausfriedensbruchs
23
gem.
§
123
Schmitz JURA, 821
BGH NJW 1956m 298 f.
25
RGSt 57, 199
26
Weber NJW, 948 (950); Schmitz JURA, 821 (825)
27
Sch-Sch § 243 Eser Rn. 6 f.; LK § 243 Ruß Rn. 11 f.
24
treten
im
Wege
der
7
Gesetzeskonkurrenz (Konsumtion) zurück, da es sich um typische
Begleitfälle handelt.
II. Versuchter Betrug §§ 263, 23, 22
Da T zwar vorhatte, die Kästen im Real-Markt gegen Erstattung des
Pfandes zurückzugeben, dies jedoch nicht mehr vollenden konnte,
könnte er sich wegen versuchten Betruges strafbar gemacht haben,
wenn er einen Tatentschluss gefasst und unmittelbar zur Tat
angesetzt hat.
1. Tatentschluss
Laut Sachverhalt war es der Plan des T, die Flaschen am anderen Tag
an der Leergut-Annahme des Real-Marktes einzulösen. Dabei hätte er
sich als rechtmäßiger Eigentümer bzw. rechtmäßiger Besitzer (s.o.)
ausgegeben und somit wenigstens konkludent über Tatsachen
getäuscht. All dies gehörte zum Gesamtplan des T, mithin lag der
Tatentschluss vor.
2. Unmittelbares Ansetzen
Fraglich ist, ob T unmittelbar zur Tat angesetzt hat. Dies liegt dann
vor, wenn das Verhalten des Täters nach dessen Gesamtplan so eng
mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft ist, dass es
bei
ungestörtem
Fortgang
ohne
längere
Unterbrechung
im
Geschehensablauf unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes
führen soll.28 Um diese recht weite Definition mit Leben zu füllen,
werden teilweise subjektive, teilweise auch objektive Momente und
Theorien herangezogen.
29
Unstreitig bejaht werden kann das
Merkmal des unmittelbaren Ansetzens jedenfalls immer dann, wenn
28
29
Sch/Sch Eser § 22 Rn. 24
Sch/Sch Eser § 22 Rn. 25, 31
8
bereits ein Tatbestandsmerkmal der Norm (im vorliegenden Fall: §
263) vorliegt (Teilverwirklichung des Tatbestandes). 30 Vorliegend hat
T noch gar nicht mit einem Mitarbeiter des Real-Marktes gesprochen.
Er hat sich scheinbar auch (noch) nicht angestellt, um den Mitarbeiter
zu rufen, da X dies gerade tat. Mithin lagen weder eine
Täuschungshandlung noch ein Irrtum auf Seiten des Personals vor,
sodass eine Teilverwirklichung des Tatbestandes des § 263
ausscheidet. Weitere Möglichkeiten für den Eintritt in das
Versuchsstadium wären die (gedankliche) Überschreitung der
Schwelle zum "jetzt geht's los" auf Seite des Täters 31 und der
objektive Grad der Gefährdung für das Rechtsgut. 32 Selbst von dem
Moment an, wo T vorne an der Schlange gestanden hätte, hätte er
zunächst eine Klingel betätigen müssen, die den zuständigen
Mitarbeiter herbei ruft. Anschließend wäre es auch noch nicht zu
einer Auszahlung des Geldes - sei es direkt oder in Verrechnung mit
anderen Gegenständen - gekommen, sondern der eigentliche
wirtschaftliche Nachteil des Real-Marktes (= doppeltes Auszahlen des
Pfandes) hätte sich erst an der Kasse realisiert. T war also noch relativ
weit entfernt von einer unmittelbaren und im Zeitpunkt des Handelns
nicht
mehr
vollständig
beherrschbaren
Gefährdung
des
Angriffsobjekts, denn es waren noch wesentliche Zwischenakte für die
Rechtsgutverletzung nötig. 33 T hätte jederzeit subjektiv als auch
normativ die Kisten einfach hinstellen und den Laden verlassen
können, ohne äußerlich involviert gewesen zu sein. Er hat damit noch
nicht unmittelbar zur Tat angesetzt und ist daher nicht strafbar aus
versuchtem Betrug.
30
Sch/Sch Eser § 22 Rn. 26, 37
Sch/Sch Eser § 22 Rn. 30
32
Sch/Sch Eser § 22 Rn. 42
33
BGH NStZ 04, 38
31
9
Abschnitt B: Die Goldkette
III. Raub §§ 249, 250 I Nr.1 lit.c
T könnte sich strafbar gemacht haben wegen Raubes gem. § 249,
indem er X in die Nieren geschlagen hat und sich anschließend dessen
Kette geben ließ. Hierfür müsste er mit Gewalt gegen eine Person eine
fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht weggenommen
haben.
1. Objektiver Tatbestand
a. Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache
Fraglich ist, ob T die Kette - eine für ihn fremde und bewegliche Sache
- weggenommen hat. X hatte jedenfalls Gewahrsam im Zeitpunkt des
Geschehens auch wenn er bewusstlos war, da, wie oben beschrieben,
auf die Verkehrsanschauung abgestellt wird und auch Bewusstlose
oder schlafende Menschen Gewahrsamsinhaber sein können.34 Ein
ständig "wacher" Herrschaftswille ist nicht erforderlich. T hat die
Kette allerdings nicht selbst vom Hals des X weggenommen, sondern
hat sie sich aufgrund seiner Schulterverletzung geben lassen von der
K. Dies könnte jedoch unschädlich sein. Denn nach unstreitiger
Ansicht
muss der neue Gewahrsam nicht unbedingt beim Täter
selbst, sondern kann auch bei einem Dritten begründet werden. 35 Es
genügt, dass der Täter einen anderen als sein Werkzeug veranlasst,
sich die Sache zu holen und unmittelbar in den eigenen Gewahrsam
zu überführen.36 Spätestens als T die Kette eingesteckt hat, hat er
eine Gewahrsamsenklave geschaffen und dem (bewusstlosen) X die
Gewahrsamsmacht entzogen. Mithin liegt eine Wegnahme vor.
34
LK § 242 Ruß Rn. 22; BGH NJW 1985, 407
Sch-Sch Eser § 242 Rn. 42
36
RGSt 47 147; 57, 166; BGH MDR 54, 398
35
10
b. Gewalt gegen eine Person als Mittel der Wegnahme
Die Wegnahme müsste auch unter Einsatz eines qualifizierten
Nötigungsmittels erfolgt sein. T hat unstreitig Gewalt gegen den
Körper des X angwandt.37 Fraglich ist allerdings, ob der Schlag in die
Nieren zum Zwecke der Wegnahme geschah. Es ist nach zutreffender
Auffassung kein Kausalzusammenhang im Sinne einer conditio sine
qua non zwischen Gewalthandlung und Wegnahme erforderlich,
sondern
der Täter muss nach seiner Vorstellung die Gewalt
angewendet haben, um eine Wegnahme zu ermöglichen (finale
Struktur). 38 An solch einer Finalität fehlt es regelmäßig dann, wenn
der Täter die Sache nur bei Gelegenheit, z.B. zeitlich nach Vollendung
der Gewalthandlung wegnimmt.39 Vorliegend hat T zugeschlagen und
auch eine Sache weggenommen, allerdings bemerkte er die goldene
Halskette erst nachdem X zu Boden gesunken war. Er wusste also um
die Existenz der Kette erst nach dem Schlag, so dass dieser ihm nicht
als Mittel zur Wegnahme gedient haben müsste.
Fraglich ist, ob diese Auslegung des § 249 im Hinblick auf das
Erfordernis des finalen Zusammenhangs im vorliegenden Fall nicht an
normative Grenzen stößt.
Fallgruppe: Raubgewalt durch Unterlassen
Nach ganz herrschender Auffassung reicht es jedenfalls zur Bejahung
des objektiven Tatbestandes des § 249 (noch) aus, dass der Täter
während
der
noch
fortdauernden
Gewaltanwendung
den
Wegnahmeentschluss fasst, da er in solchen Fällen die zunächst aus
anderen
Gründen
heraus
verübte
Gewalt
unter
aktiver
Aufrechterhaltung der körperlichen Zwangseinwirkung nunmehr
37
Sch-Sch § 249 Eser Rn. 4
Sch-Sch § 249 Eser Rn. 6; LK § 249 Herdegen Rn. 13
39
BGH NStZ-RR 2002, 304 (305)
38
11
ausnutzt. 40 So wäre der Tatbestand des Raubes beispielsweise dann
zu bejahen, wenn der Täter das Opfer zunächst aus raubneutralen
Motiven, z.B. aus Rache oder Vergnügen heraus schlägt und quält,
und währenddessen, z.B. während er das Opfer gerade auf den Boden
drückt, die Brieftasche aus wirtschaftlichen, neuen Motiven stiehlt.
Das genaue Gegenteil in dieser Hinsicht bietet ein Täter, der sein
Opfer zunächst aus raubneutralen Motiven heraus vergewaltigt und,
nachdem er von ihm abgelassen hat, (um das zu verdeutlichen) die
während der Vergewaltigung runtergefallene Brieftasche entwendet.
Hierbei hat er die Situation lediglich ausgenutzt. 41 Im vorliegenden
Fall lassen sich Elemente in beiden Standardkonstellationen finden,
sodass es sich um einen Sonderfall handeln könnte. Denn einerseits
lässt sich eine gewisse zeitliche Zäsur zwischen Schlag und Wegnahme
sowie
ein
Ausnutzen
der
Situation
-
immerhin
war
die
Bewusstlosigkeit des X für den T wohl kaum vorhersehbar - nicht
leugnen, mit der Konsequenz, dass kein Raub vorliegen würde.
Andererseits stellt die Bewusstlosigkeit des X gewissermaßen als
"Krönung"
der
Gewaltanwendung
des
T
durchaus
eine
Aufrechterhaltung der körperlichen Zwangswirkung dar, was zur Folge
hätte, dass jedenfalls der objektive Tatbestand des § 249 verwirklicht
wäre. Denn es ist schwer ersichtlich, wieso ein Täter, der das Opfer
auf den Boden drückt um ihn gefügig zu machen und dann das Geld
entdeckt und wegnimmt "schlechter" darstehen soll, als ein Täter, der
das Opfer (sogar) bewusstlos geschlagen hat. 42 In solchen Fällen
bedarf es gar keiner Gewalt mehr, die zum Zwecke der Wegnahme
verübt werden müsste.
43
Hinzu kommen zwei grundsätzliche
Überlegungen: 1. Gewalt im Rahmen von § 249 kann auch gegen
Bewusstlose stattfinden. 2. Es ist fraglich, ob sich die vom Täter
erwartete Gegenwehr auf die Wegnahme, oder aber auf die
40
LK § 249 Herdegen Rn. 16
LK § 249 Herdegen Rn. 13. 16 f.; BGH NStZ 1982, 380; BGH NJW 1969, 619; BGHSt
20, 32 (33)
42
Otto JZ, 362 (365); Küper JZ 1981, 567 (572)
43
Eser NJW, 377 (379)
41
12
Vergewaltigung, Körperverletzung etc. beziehen muss. 44
In der
Literatur wurde ein ähnliches Problem vor dem Hintergrund von
Fesselungs-Fällen diskutiert. Es geht in der Sache darum, ob eine
Unterlassungstäterschaft im Rahmen des Raubs vorliegen kann, wenn
nämlich der Täter sein Opfer nach der Gewalt fesselt und dann den
Entschluss fasst, das gefesselte, unter einer Zwangseinwirkung
stehende Opfer zu bestehlen. In solchen Fällen kann sich - genauso
wie wenn das Opfer bewusstlos ist - der Gefesselte nicht mehr
wehren und es kann begriffslogisch nicht mehr von Gewalt die Rede
sein. Eine Auffassung will den § 249 dennoch bejahen, da die
pflichtwidrige Nichtbeendigung der Gewaltsituation einer aktiven
Gewaltanwendung im Sinne des § 13 I gleichstehe.
45
Die
Gegenauffassung verneint dies mit Hinweis auf die finale Struktur des
§ 249 sowie der Tatsache, dass Gewalt begriffslogisch kein
Unterlassen
darstellen
könne
und
dass
keine
normative
Vergleichbarkeit zwischen den Verhaltensweisen vorliege. 46 In den
Jahren 1983 und 2003 hatte sich auch der BGH zu dieser Problematik
geäußert. In den "Fesselungs-Fällen" ging es einmal um Hotelgäste,
die ihre Rechnung nicht bezahlen wollten und stattdessen den Portier
fesselten und anschließend die Kasse plünderten 47 und ein anderes
Mal
um
einen
Obdachlosen,
der
einen
Ferienhausbesitzer
niederschlägt und fesselt, um seine Flucht zu ermöglichen, aber dann
doch noch einen Wegnahmevorsatz entwickelt. 48 Auch wenn der BGH
in beiden Fällen unterschiedlich - 1983 Verneinung, 2003 Bejahung
des Raubtatbestandes - entschieden hat, sieht er selbst seine
Argumenation in konsequenter Stringenz, was zurecht angezweifelt
wird in der Literatur.49 Für den vorliegenden Fall lassen sich jedoch
vergleichbare
44
Richtwerte
ausmachen
Eser NJW, 377 (378)
Eser NJW 1965, 377 (379)
46
Küper JZ 1981, 567 (571); Joerden JuS 1985, 20 (27)
47
BGHSt 32, 88
48
BGHSt 48, 365
49
Gössel JR, 252 (254); Otto JZ, 362 (365)
45
aus
Literatur
und
13
Rechtsprechung, die zugleich die drei Konsequenzen und wichtigsten
Anknüpfungspunkte aus dem Erfordernis der finalen Struktur des §
249 darstellen: 50
1. (Begriff der Gewaltanwendung) Die Rechtsprechung und die
herrschende Meinung in der Literatur bejahen grundsätzlich, dass
Unterlassen eine Form von Gewalt darstellen kann und es für die
Finalität beim § 249 nicht auf ein positives Tun ankommt. Im
vorliegenden Fall könnte das pflichtwidrige Unterlassen darin
bestehen, das Opfer nicht wieder aufgeweckt oder sonst wie versucht
zu haben, den Zustand der Bewusstlosigkeit auszuräumen.
2. (Zeitliches Verhältnis) Die Verknüpfung in zeitlicher und räumlicher
Hinsicht beim finalen Element des Raubes sollte zur eindeutigen
Klärung jedenfalls sehr eng sein. Genau in diesem Element sah der
BGH selbst den (seiner Meinung nach richtigen) entscheidenden
Unterschied zwischen den beiden Fällen. Vorliegend geschah die
Wegnahme unmittelbar im Anschluss an die Bewusstlosigkeit des X.
3. (Kausalverhältnis) Es existiert ein Wertungswiderspruch, der zu
einer Privilegerung der Brutalität eines Täters führt: Der "FesselRäuber" wird härter nach § 249 bestraft als Derjenige, der sein Opfer
(sogar) bewusstlos schlägt und dann bestiehlt. 51
Spätestens jetzt wird klar, warum die Fesselungs-Problematik eng
verknüpft ist mit den Bewusstlosen-Fällen: Beide loten die Grenzen
der Finalität des § 249 aus und haben in ihrer Anwendung Bedeutung
für die jeweils andere Gruppe.
Gerade der dritte Punkt (Der Wertungswiderspruch) ist entscheidend,
jedoch scheint die herrschende Meinung sowohl in Literatur als auch
Rechtsprechung dieses Dilemma eben so lösen zu wollen: Entweder
50
51
Eser NJW, 377 (378)
Otto JZ, 362 (365)
14
man erkennt diesen Wertungswiderspruch schlichtweg nicht an bzw.
man nimmt ihn in Kauf (Bejahung des § 249 in Fessel-Fällen), oder
man zieht die Konsequenz in einer Herabstufung der Strafbarkeit
eines "Fessel-Diebes", nämlich (nur) auf Diebstahl, nicht Raub. Dies
erscheint begrüßenswerter, da es sonst zu einer Verwischung
zwischen finaler Gewalthandlung und bloßem Ausnutzen der Situation
kommt, 52 was die normativen Überlegungen zum vorliegenden Fall
belegen.
Eine
Raubstrafbarkeit
wird
in
den
Fällen
von
Bewusstlosigkeit des Opfers jedenfalls generell nicht für möglich
gehalten.
Dies kann auf folgende Überlegungen gestützt werden: Würde man
bei einem Bewusstlosen das Merkmal der finalen Verknüpfung für
möglich erachten, liefe das im Ergebnis auf einen Verstoß gegen den
In dubio pro reo Grundsatz hinaus. 53 Es ist ein Problem der
Beweisführung, ob der Täter vor, während oder nach der
Gewaltanwendung den Wegnahmevorsatz gefasst hat. Es besteht in
solchen Fällen wenigstens die gute Möglichkeit, dass der Diebstahl
zeitlich nach und unabhängig von der Körperverletzung stattgefunden
hat. Wenn dieses Einfallstor übertreten würde, wäre das finale
Element im § 249 sehr nahe am (täterunfreundlichereren) conditio
sine qua non Kausalzusammenhang und nicht mehr vereinbar mit
rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere dem Übermaßverbot.
Die normativ-dogmatische Widerspiegelung des kriminalpolitischen
Anliegens
verschärfter
Kriminalisierung
eines
Räuber
würde
untergraben werden. 54
Außerdem gibt es auch aus kriminalpolitischer Sicht keine Einwände:
Da in solchen Fällen regelmäßig Diebstahl in Tatmehrheit mit
Körperverletzung vorliegt, welche bei einer Bewusstlosigkeit des
Opfers auch eine gefährliche oder schwere sein kann, liegt auch das
Strafmaß am Ende genauso wie bei einer einzelnen Verurteilung
52
LK § 249 Herdegen Rn. 16; Küper JZ 1981, 568 (571)
DRiZ 1972, 30 (31); LK § 249 Herdegen Rn. 13 f.
54
LK § 249 Herdegen Rn. 13
53
15
wegen
(schweren)
Raubes.
Dogmatisch
bleibt
zwar
ein
unbefriedigendes Gefühl, doch scheint dies eine zwingende
Konsequenz der Tatbestandsfassung des § 249 zu sein.55
Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Rechtsprechung ist dem bisher
auch einhellig gefolgt. 56 Aus diesem Grund gilt heutzutage zu Recht:
"Fasst der Täter den Wegnahmeentschluß erst zu einem Zeitpunkt, in
dem die aus anderen Gründen verübte Gewaltanwendung selbst nicht
mehr andauert, sondern nur noch in der Weise fortwirkt, daß sich das
Opfer im Zustand der Bewußtlosigkeit befindet, scheidet die
Anwendung des StGB § 249 aus." 57
Mithin liegt kein finaler Zusammenhang zwischen Gewaltanwendung
und Wegnahme vor, sodass der objektive Tatbestand nicht erfüllt und
T nicht strafbar ist aus § 249.
IV. Diebstahl § 242
T hat sich wegen Diebstahls strafbar gemacht, indem er sich die Kette
von der K hat geben lassen und diese (laut Sacherverhalt) in
Zueignungsabsicht eingesteckt hat (s.o.). Rechtfertigende oder
entschuldigende Gründe sind nicht ersichtlich.
V. Körperverletzung § 223, 224 I Nr.3
Durch den Schlag in die Nieren des X könnte sich T wegen gefährlicher
Körperverletzung strafbar gemacht haben. Aufgrund der speziellen
Eigenschaften und Gefahren eines Nierenhiebes sind beide Varianten
der
Tathandlung
(Körperliche
Misshandlung
und
Gesundheitsschädigung) erfüllt. T handelte auch absichtlich, um sich
bei X "zu bedanken", mithin vorsätzlich. Rechtfertigende oder
entschuldigende Gründe sind nicht ersichtlich.
55
Eser NJW, 377 (380)
BGHSt 20, 32; StV 1995, 416; BGH NStZ 2006, 508
57
BGH NStZ 1982, 380
56
16
VI. Gefährliche Körperverletzung §§ 224 I Nr. 3, Nr. 4
Möglicherweise handelte es sich sogar um eine Gefährliche
Körperverletzung. Die Tatbestandsqualifikation des § 224 I Nr. 3 liegt
vor, wenn die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls
begangen wurde.
Die Strafbarkeit wegen des Grunddelikts der
einfachen Körperverletzung liegt vor (s.o.). Fraglich sind die
Voraussetzungen des § 224 I Nr. 3. Überfall ist jeder plötzliche,
unerwartete Angriff, auf den sich das Opfer nicht vorbereiten kann.
Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf
Verdeckung seiner wahren Absichten berechnenden Weise vorgeht,
um dadurch eine Abwehr oder Verteidigung nach Möglichkeit
auszuschließen. 58 Allerdings ist schon das Merkmal des Überfalls
fraglich, da es nach allgemeiner Auffassung wegen des erhöhten
Strafmaßes nicht ausreicht, dass der Täter einfach nur den
Überaschungsmoment ausnutzt. 59 Erforderlich seien vielmehr noch
weitere Vorkehrungen, wie z.B. das Aufsuchen eines Verstecks. 60
Spätestens bei dem Merkmal "hinterlistig" wird man im vorliegenden
Fall die Qualifikation nicht bejahen können, da hier kein wirklich
"listiges", d.h. wenigstens geplantes Verhalten des T vorlag. Er hat den
X gesehen und kurzerhand - offenbar seinem Charakter entsprechend
- zugeschlagen, jedoch sich nicht die Mühe gemacht, das Ganze weiter
durchzuplanen. Mithin liegen die Voraussetzungen des § 224 I Nr.3
nicht vor.
Die Qualifikation des § 224 I Nr. 5 könnte ebenfalls
vorliegen. Erforderlich hierfür ist jedoch, dass die Körperverletzung
gemeinschaftlich begangen wurde. Das wiederum erfordert ein
zusammenwirken,
welches
wenigstens
im
Sinne
einer
Teilnehmerschaft des anderen Beteiligten (hier: der K) zu klassifizieren
58
Sch-Sch § 224 Stree Rn. 10
BGH NJW 2004, 1966
60
BGH NStZ 2005, 40
59
17
wäre. 61 Vorliegend hat die K aber nichts mit der Körperverletzung
zutun gehabt. Sie war erst bei der Wegnahme im Rahmen des
Diebstahls "involviert" und das auch nur als Werkzeug des T. Daher
liegt keine gefährliche Körperverletzung vor. T ist strafbar wegen
(einfacher) Körperverletzung.
VII. Erpressung § 253
Als T die K aufforderte, die Kette des X vom Hals zu nehmen und ihm,
dem T, zu geben, könnte er sich wegen Erpressung strafbar gemacht
haben. Hierfür müsste T rechtswidrig mit einer Drohung mit einem
empfindlichen Übel die K zu einer Handlung genötigt haben.
a. Tathandlung: Drohung mit einem empfindlichen Übel
Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen
Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt.62
Ein empfindliches Übel liegt vor, wenn der in Aussicht gestellte
Nachteil von der Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet
erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu
motivieren. 63
Fraglich ist, ob das im vorliegenden Fall bejaht werden kann. Zwar
stand eine weitere Gewalthandlung seitens des T (diesesmal
möglicherweise die K treffend) dem lebensnahen Sachverhalt nach im
Raum, allerdings hat T erstens nicht explizit mit einer solchen
Handlung gedroht, sondern die K (lediglich) aufgefordert, ihm die
Kette des X zu geben. Zweitens war T verletzt, da er seinen Arm nicht
mehr richtig bewegen konnte und K hatte zumindest die Möglichkeit
in Betracht gezogen, um Hilfe zu rufen. Immerhin befanden sie sich
am hellichten Tag in einem öffentlichen Einkaufsmarkt. Es ist
61
BGH NStZ 2003, 86 (87)
BGHSt 31, 195 (291); BGH NStZ-RR 2001, 171
63
BGH NStZ 1987, 222 (223); Sch/Sch § 240 Eser Rn. 9
62
18
umstritten, ob man bei der Nötigung auf einen besonnenen
Menschen abstellt, oder auf die Sicht des individuell Bedrohten in
seiner konkreten Lage. Einigkeit besteht aber, dass stets auf den
Einzelfall abgestellt werden muss. Das bedeutet, es sind auch
phyische
Unterschiede
und
besondere
Sachverhaltsumstände
miteinzubeziehen. Unumstritten ist außerdem, dass das Opfer
jedenfalls nicht in eine notstandsähnliche Lage versetzt sein muss.
64
Vorliegend handelt es sich bei T um einen Mann, bei K um eine
(naturgegeben) körperlich unterlegene Frau. Dies spricht für eine
Bejahung des empfindlichen Übels. Beim Blick in die Kasuistik wird
ebenfalls klar, dass der vorliegende Fall deutlich vom § 240 gedeckt
sein muss. Denn eine Drohung kann auch dann vorliegen, wenn nur
Dummheit, (nicht aber, wenn nur Aberglaube) das Angedrohte als
Übel erscheinen lässt.
Sachverhalte,
in
65
denen
Es geht bei den Problemfällen um
dem
Opfer
mit
aberwitzigen
und
abergläubischen "Prophezeiungen" gedroht wird. Vorliegend kann das
Verhalten der K zweifelslos nichtmal als Dummheit deklariert werden,
sondern höchstens als (leicht erhöhte) Ängstlichkeit. Immerhin wurde
sie Zeuge, wie der T den X kurzerhand bewusstlos geschlagen hat,
unabhängig davon, ob T sich dabei selbst verletzte. Mithin liegt eine
Drohung mit einem empfindlichen Übel vor.
b. Taterfolg: Vermögensnachteil
Die durch Drohung erwirkte Handlung der K müsste zu einem
Vermögensnachteil geführt haben. Dies ist fraglich, da der
Gegenstand der Wegnahme, die Kette, nicht im Eigentum der K
sondern im Eigentum des X stand. Grundsätzlich gilt, dass Genötigter
und Geschädigter nicht identisch sein müssen. Es ist aber wenigstens
ein gewisses Näheverhältnis erforderlich. Der genaue Grad dieses
Verhältnisses ist zwar umstritten, doch wird nach der weiten
64
65
LK § 240 Träger/Alvater Rn. 57;
Sch-Sch § 240 Eser Rn. 8; LK § 240 Träger/Alvater Rn. 57
19
"Lagertheorie" wenigstens verlangt, dass der Genötigte im Zeitpunkt
der Tatbegehung schutzbereit auf der Seite des Vermögensinhabers
steht. Dies erfordert wenigstens, dass die beiden Parteien sich (relativ
gut) kennen. Dies liegt hier aber nicht vor. Die K und der X sind sich
(mangels anderer Angaben im Sachverhalt) fremd. Mithin liegt kein
Vermögensnachteil vor und der Tatbestand des § 253 ist nicht erfüllt.
T ist nicht strafbar wegen Erpressung.
VIII. Nötigung § 240
T ist aber strafbar wegen § 240, da er die K durch eine Drohung mit
einem empfindlichen übel zu einer Handlung genötigt hat (s.o.). Auf
einen Vermögensnachteil kommt es wegen des Schutzgutes der Norm
(Die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung) nicht an. 66
T ist insgesamt strafbar wegen Diebstahls in einem schweren Fall an
den Bierflaschen (§§ 242 iVm 243 I Nr.1) und wegen einfachen
Diebstahls
an
Körperverletzung
66
der
(§
Halskette
223)
LK § 240 Träger/Alvater Rn. 1
(§
sowie
242)
wegen
in
Tatmehrheit
Nötigung
(§
mit
240).