Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland

empirica
Forschung und Beratung
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz gemäß
§ 556d Abs. 2 BGB (Mietpreisbremse)
Endbericht
Auftraggeber:
Ministerium der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Harald Simons, Lukas Weiden
Projektnummer:
2015027
Datum:
Mai 2015
empirica ag
Kurfürstendamm 234
10719 Berlin
Tel. (030) 88 47 95-0
Fax. (030) 88 47 95-17
[email protected]
Büro:
Berlin
Zweigniederlassung Bonn
Kaiserstr. 29
53113 Bonn
Tel. (0228) 91 48 9-0
Fax (0228) 21 74 10
www.empirica-institut.de
[email protected]
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
i
INHALTSVERZEICHNIS
1.
Vorbemerkung ................................................................................................................................. 1
2.
Kriterien zur Identifizierung angespannter Wohnungsmärkte ................................................ 1
3.
2.1
Überdurchschnittlicher Mietpreisanstieg........................................................................................... 2
2.2
Überdurchschnittliche Mietbelastung ................................................................................................ 5
2.3
Bevölkerungswachstum ohne ausreichend Neubau .......................................................................... 8
2.4
Geringer Leerstand bei hoher Nachfrage .......................................................................................... 11
Zusammenfassung und Empfehlung ........................................................................................... 14
empirica
1
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
1.
Vorbemerkung
Mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 5. März 2015 wurde in § 556d Abs. 2
BGB die gesetzliche Grundlage für eine Begrenzung der zulässigen Miethöhe zu
Mietbeginn geschaffen (Mietpreisbremse). Die Bundesländer werden darin ermächtigt, Gebiete zu bestimmen, in denen der Wohnungsmarkt angespannt ist. Diese sind
geeignet zu identifizieren.
empirica hat im Rahmen der Bearbeitung des Gutachtens „Quantitative und qualitative Wohnraumnachfrage in Rheinland-Pfalz bis zum Jahr 2030“ ein Verfahren zur
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten entwickelt und im April 2014
als Vorabauszug veröffentlicht.
Die damalige Methodik bezog sich allerdings auf die Anwendung der Kappungsgrenze aus § 558 Abs. 3 BGB. Zwar umschreiben sowohl der Paragraph zur Kappungsgrenze als auch der zur Mietpreisbremse einen angespannten Wohnungsmarkt mit
identischer Formulierung („…wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung
mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder Gemeindeteilen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“), allerdings führt der Gesetzgeber nun erstmals
und nur für die neue Mietpreisbremse mögliche Kriterien zu Identifizierung eines
angespannten Wohnungsmarktes aus.
Vor diesem Hintergrund hat das Finanzministerium empirica gebeten, die damalige
Methodik zu überprüfen und zudem die Datengrundlage zu aktualisieren.
2.
Kriterien zur Identifizierung angespannter Wohnungsmärkte
Zur Definition von angespannten Wohnungsmärkten hat der Gesetzgeber zunächst
auf die bereits aus § 558 Abs. 3 BGB (Kappungsgrenze) bekannte Formulierung
„…wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen […] zu
angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“ zurückgegriffen. Dann allerdings konkretisiert der Gesetzgeber in § 556d Abs. 2 BGB weiter und führt vier mögliche Bedingungen an, die zur Prüfung herangezogen werden können. Ein angespannter Markt kann demzufolge vorliegen, wenn:
1. die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,
2. die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt,
3. die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder
4. geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.
Die Aufführung dieser vier Kriterien in Kombination mit der bisherigen Rechtsauslegung zu § 556d Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnet einen sehr weiten Interpretationsspielraum.
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Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
2
Im Folgenden werden die vier explizit genannten Kriterien auf ihre Eignung zur
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten diskutiert und anschließend
eine Methodik empfohlen.
Die geforderte besondere Gefährdung der Wohnraumversorgung übersetzen wir in
einen einheitlichen 20 %-Grenzwert, d.h. die jeweiligen Indikatoren müssen stets
mindestens 20 % über dem jeweiligen Vergleichswert liegen, um eine besondere
Gefährdung zu vermuten (Ausnahme Leerstand).
Die Berechnungen und die Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten
erfolgen auf der regionalen Ebene der Kreise. Zwar bezieht sich der Gesetzgeber auf
Gemeinden oder sogar Gemeideteile, dies ist aber nach unserer Auffassung wenig
zielführend. Eine besondere Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung mit
Wohnraum kann nach unserer Auffassung nicht in einer Gemeinde vorliegen, wenn
möglicherweise nur wenige Minuten entfernt Gemeinden mit ungefährdeter Versorgung existieren. Schon die Kreisebene erscheint insbesondere im Land RheinlandPfalz mit seinen sehr kleinen Kreisen schon fast zu klein, wie sich an den erheblichen Unterschieden in der Mietbelastungsquote gemessen am Einkommen der in
einem Kreis wohnenden Haushalte im Vergleich und den Arbeitnehmerentgelten
der im selben Kreis Beschäftigten zeigt. Zudem ist die Datengrundlage auf Gemeindeebene unzureichend.
2.1
Überdurchschnittlicher Mietpreisanstieg
Als mögliches Kriterium für einen angespannten Wohnungsmarkt nennt der Gesetzgeber einen deutlich überdurchschnittlichen Mietpreisanstieg.
Zunächst ist abzuwägen, welche Mietendefinition hier geeignet zugrunde gelegt
werden sollte. Da sich die Mietpreisbremse auf die Nettokaltmiete ohne Nebenkosten bezieht und nur diese begrenzt wird, wird auch hier auf die Kaltmiete Bezug
genommen. Im Hauptgutachten haben wir bereits argumentiert, dass Bestandsmieten, d.h. Mieten aus bestehenden Mietverträgen, die in der Vergangenheit abgeschlossen wurden, nicht geeignet sind, die aktuelle Marktlage und -entwicklung zu
beurteilen. Zieldienlicher ist es daher, auf Neuvertragsmieten Bezug zu nehmen, für
die zudem die Datenlagen deutlich besser ist. Zwar sind die tatsächlich zwischen den
Mietvertragsparteien vereinbarten Mieten grundsätzlich nur den Beteiligten bekannt. Verfügbar sind allerdings die Angaben aus veröffentlichten Wohnungsanzeigen, die in der empirica Preisdatenbank gesammelt vorliegen und auch für andere
Zwecke Verwendung finden (z.B. Bestimmung der Angemessenheitskriterien für die
Übernahme der Kosten der Unterkunft).
Zur Zusammenfassung der Mietpreisverteilung auf einen Wert wird hier auf den
einfachen Median Bezug genommen, der im Gegensatz zum Mittelwert nur geringfügig durch einzelne Ausreißer verzerrt wird. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit
und Interpretierbarkeit wurde auf die Verwendung ebenfalls vorliegender hedonischer Mietpreise verzichtet, auch wenn dadurch Veränderungen in der Angebotsstruktur reine Scheinveränderungen anzeigen können.
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Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
3
Der bundesweite Median wurde – zum Ausgleich von möglicherweise regional unterschiedlichen Erfassungsquoten – über eine haushaltsgewichtete Aggregation der
Kreisergebnisse gebildet.
Die Berechnung des Mietpreisanstiegs erfolgt durch einen Zeitvergleich der Entwicklung zwischen zwei Zeitpunkten. Als zweiter Zeitpunkt wurde naturgemäß der
aktuelle Datenrand gewählt. Dies ist hier das Jahr 2014. Im entsprechenden Kapitel
des Hauptgutachtens war dies noch das Jahr 2013. Als Vergleichsjahr zur Ermittlung
des Anstiegs wurde das Jahr 2012 gewählt. Zwar werden üblicherweise Wachstumsraten auf Jahresbasis gerechnet – was das Jahr 2013 als Vergleichsjahr implizieren
würde –, allerdings können aufgrund unterschiedlicher Zusammensetzung der angebotenen Wohnungen gerade in den kleinen rheinland-pfälzischen Kreisen die Jahresergebnisse leicht erratisch schwanken, sodass hier die mittlere Wachstumsrate
der letzten zwei Jahre (2012-2014) zugrunde gelegt wird.
In der folgenden Tabelle sind die relevanten Mietpreisdaten dargestellt. Wird als
„deutlich stärkerer Anstieg“ eine Wachstumsrate von mehr als 120 % des bundesweiten Mittels definiert (Wachstumsindex), so fallen die Landkreise Ahrweiler,
Bernkastel-Wittlich und Mainz-Bingen sowie die kreisfreien Städte Landau i. d. P.
und Ludwigshafen in diese Kategorie (vgl. letzte Spalte in Tabelle 1).
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4
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
Tabelle 1:
Nettokaltmieten in Rheinland-Pfalz und Deutschland 20122014 mit Niveauindex und Wachstumsindex
Median
Niveauindex
D=100
Miete in €/m²
Koblenz (KS)
Ahrweiler (LK)
Altenkirchen (Westerwald) (LK)
Bad Kreuznach (LK)
Birkenfeld (LK)
Cochem-Zell (LK)
Mayen-Koblenz (LK)
Neuwied (LK)
Rhein-Hunsrück-Kreis (LK)
Rhein-Lahn-Kreis (LK)
Westerwaldkreis (LK)
Trier (KS)
Bernkastel-Wittlich (LK)
Eifelkreis Bitburg-Prüm (LK)
Vulkaneifel (LK)
Trier-Saarburg (LK)
Frankenthal (Pfalz) (KS)
Kaiserslautern (KS)
Landau in der Pfalz (KS)
Ludwigshafen am Rhein (KS)
Mainz (KS)
Neustadt a. d. W. (KS)
Pirmasens (KS)
Speyer (KS)
Worms (KS)
Zweibrücken (KS)
Alzey-Worms (LK)
Bad Dürkheim (LK)
Donnersbergkreis (LK)
Germersheim (LK)
Kaiserslautern (LK)
Kusel (LK)
Südliche Weinstraße (LK)
Rhein-Pfalz-Kreis (LK)
Mainz-Bingen (LK)
Südwestpfalz (LK)
Rheinland-Pfalz
Deutschland
Entwicklung
2012 bis 2014
2012
2013
2014
2014
in %
6,02
5,50
4,67
5,50
4,43
4,38
5,00
5,08
4,38
4,95
4,85
7,80
5,00
5,65
4,47
6,01
6,00
5,73
6,44
6,46
9,15
6,30
4,07
7,08
5,99
4,71
5,51
5,94
5,00
6,00
5,38
4,69
5,66
6,18
6,75
4,55
5,76
6,39
6,08
5,81
4,71
5,60
4,50
4,50
5,06
5,30
4,50
4,92
5,00
8,00
5,13
5,63
4,83
6,29
6,14
5,91
6,82
6,67
9,50
6,45
4,10
7,32
6,14
4,84
5,65
6,13
5,15
6,00
5,50
4,90
5,88
6,38
7,00
4,58
5,92
6,59
6,44
6,07
4,74
5,72
4,44
4,66
5,25
5,33
4,70
5,10
5,08
8,00
5,43
5,97
4,74
6,41
6,43
6,05
7,18
6,99
9,72
6,51
4,17
7,47
6,43
4,91
5,88
6,27
5,24
6,31
5,61
5,00
6,00
6,51
7,33
4,58
6,09
6,80
95
89
70
84
65
69
77
78
69
75
75
118
80
88
70
94
95
89
106
103
143
96
61
110
95
72
86
92
77
93
82
74
88
96
108
67
89
100
+3,5
+5,1
+0,7
+2,0
+0,1
+3,2
+2,5
+2,4
+3,6
+1,5
+2,4
+1,3
+4,2
+2,8
+3,0
+3,3
+3,5
+2,8
+5,6
+4,0
+3,1
+1,7
+1,2
+2,7
+3,6
+2,1
+3,3
+2,7
+2,4
+2,6
+2,1
+3,3
+3,0
+2,6
+4,2
+0,3
+2,8
+3,2
Wachstumsindex D=100
109
159
23
62
4
101
78
77
113
48
75
41
133
89
96
103
111
87
176
127
97
52
38
86
114
66
104
86
75
81
67
104
93
83
132
9
89
100
Anmerkung: Die dargestellten Werte können leicht von denen im Hauptgutachten abweichen, da in der
empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme) stets die zuletzt in den Inseraten genannten Mieten erfasst werden.
Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme)
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Die Daten für Rheinland-Pfalz zeigen deutlich, dass das Kriterium eines überdurchschnittlichen Mietpreisanstiegs für sich genommen kein geeignetes Kriterium zur
Identifizierung eines angespannten Wohnungsmarktes ist, da die Ausgangsbasis
dabei vernachlässigt wird. Die höchste Mietpreis-Wachstumsrate weist neben
Landau i. d. P. (+5,6 %) der Landkreis Ahrweiler (+5,1 %) auf, einem Landkreis mit
unterdurchschnittlicher Miethöhe (89 % des deutschen Medians), erhöhtem Leerstand (5,1 %) und stagnierender Bevölkerung. Gleichzeitig sind in der Stadt Trier
die Mieten in den letzten zwei Jahren mit +1,3 % nur deutlich unterdurchschnittlich
gestiegen – im Jahr 2014 stagnierten die Mieten sogar –, das Mietniveau liegt aber
18 % über dem bundesweiten Mittel. Gleichzeitig ist der Wohnungsleerstand mit
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Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
5
3,3 % niedrig und die Bevölkerungsstärke seit dem Jahr 2010 deutlich um 1,3 %
gestiegen.
Im Ergebnis mögen steigende Mieten zwar in den entsprechenden Landkreisen und
Städten eine lebhafte Diskussion auslösen und möglicherweise auch Verhaltensänderungen in der Wohnungswahl nach sich ziehen. Gleichwohl sind steigende Mieten
für sich genommen kein geeigneter Indikator für einen angespannten Wohnungsmarkt, sondern bestenfalls für einen sich anspannenden Wohnungsmarkt.
Der Begriff des „angespannten Wohnungsmarktes“ beschreibt einen Zustand und
nicht eine Entwicklung und kann daher nicht durch einen dynamischen Indikator
beschrieben werden, sondern nur durch einen Niveauindikator.
Dies legt nahe, die Miethöhe selbst und nicht ihre Entwicklung als Indikator heranzuziehen. Würde auch hier ein Übersteigen des bundesdeutschen Mittelwertes um
20 % als „deutlich“ erhöht gewertet, so würde dies nur für die Stadt Mainz gelten,
während die Stadt Trier mit 118 % des bundesweiten Mittelwertes leicht unterhalb
dieser Schwelle läge. Gegen den Indikator Miethöhe aber spricht grundsätzlich, dass
damit praktisch ausschließlich in größeren Städten und verstädterten Räumen ein
angespannter Wohnungsmarkt existieren könnte, da allein schon aufgrund höherer
Bauland- und damit Baukosten zwischen größeren Städten und ländlichen Regionen
stets ein Mietpreisgefälle existieren muss.
Gegen die Verwendung der einfachen Miethöhe bzw. seiner Abweichung vom Bundesdurchschnitt spricht außerdem, dass höhere Mieten für sich genommen noch
nicht unangemessen sein müssen, wenn den hohen Mieten auch hohe Einkommen
gegenüberstehen. Wohnraum bzw. Mieten sind ein lokales Gut und Preise für lokale
Güter richten sich stets am lokalen Einkommen bzw. Lohnsatz aus (vgl. die Literatur
um die Balassa-Samuelson-Bedingung1 bzw. zu Kaufkraftparitäten).
2.2
Überdurchschnittliche Mietbelastung
Möglicherweise hat der Gesetzgeber den Zusammenhang zwischen Einkommen und
Preisen vor Augen gehabt, als er als zweites mögliches Kriterium eine überdurchschnittliche Mietbelastung der Haushalte aufführte.
Auch dieses Kriterium bedarf der Konkretisierung. Als Miethöhe zur Berechnung
der Mietbelastung werden wieder die Angebotsmieten aus der empirica-Preisdatenbank für das Jahr 2014 verwendet. Die Mietbelastung allerdings bezieht sich auf die
Wohnungsmiete insgesamt und nicht auf die Miete pro Quadratmeter. Die Wohnungsmiete insgesamt wird berechnet, indem die Medianmiete je Quadratmeter mit
der Mediangröße der angebotenen Wohnungen multipliziert wird, jeweils auf Kreisebene. Damit werden unterschiedliche durchschnittliche Wohnungsgrößen zwi-
1
BALASSA, Bela (1964): The Purchasing Power Parity Doctrine: A Reappraisal. In: Journal of Political Economy, Vol.
72, No 6: S. 584-596.
SAMUELSON, Paul A. (1964): Theoretical Notes on Trade Problems. In: Review of Economics and Statistics, Vol. 46,
No. 2: S. 145-54.
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Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
6
schen den Kreisen zugelassen. Zwar ließe sich hier argumentieren, dass dann eine
regional hohe Mietbelastung auch dadurch entstehen kann, da die Wohnflächen dort
besonders groß sind. Dies aber halten wir für gerechtfertigt, da die Nachfrager nun
einmal auf das regional unterschiedliche verfügbare Wohnungsangebot zurückgreifen müssen.
Diese „Gesamtmiete“ (Nettokalt) wird anschließend in Bezug zum Einkommen gesetzt. Im Gesetz wird dabei explizit auf die Einkommen der Haushalte verwiesen.
Das lokale Haushaltseinkommen ist als mittleres verfügbares Einkommen der privaten Haushalte aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder verfügbar
und beschreibt das Einkommen als Summe aller Einkommensarten (Löhne, Vermögenseinkommen, staatliche Transfers) abzgl. direkter Steuern und Abgaben. Der
aktuelle Datenrand auf Kreisebene ist das Jahr 2012. Diese Daten werden anhand
der bereits veröffentlichten Länderergebnisse auf das Jahr 2014 fortgeschrieben.
Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte wird je Einwohner und nicht je
Haushalt berechnet, sodass die Mietbelastung zunächst in der nicht interpretierbaren Einheit „Miete pro Einkommen pro Person“ ausgewiesen wird. Da aber das
letztendliche Kriterium die Abweichung der Mietbelastungsquote vom bundesdeutschen Mittelwert ist, spielt dies keine Rolle.
Die Mietbelastung wird schließlich durch Division gebildet, wobei die Miete durch
die Multiplikation mit 12 auf eine Jahresmiete umgerechnet wurde, und schließlich
mit der analog berechneten bundesdeutschen Mietbelastungsquote ins Verhältnis
gesetzt wird.
Das Ergebnis lässt sich wie folgt interpretieren: Die Mietbelastung des durchschnittlichen Haushalts (mit lokal durchschnittlicher Haushaltsgröße und lokal durchschnittlicher Wohnungsgröße und lokal durchschnittlichem Einkommen) ist um x %
höher/niedriger durch die Nettokaltmiete belastet als der durchschnittliche Haushalt in Deutschland insgesamt.
Wird der Schwellenwert für die geforderte überdurchschnittliche Belastung der
Einkommen wiederum bei 20 % angesetzt (also z.B. statt 20 % eine Mietbelastungsquote von 24 %), so würde ausschließlich die Stadt Mainz mit 122 % knapp über
dieser Schwelle liegen (vgl. letzte Spalte in Tabelle 2).2
2
Dass nur die Stadt Mainz über dieser Schwelle liegt, ist zunächst etwas überraschend, da im Hauptgutachten
aus dem Jahr 2014 drei Städte (Mainz, Trier und Landau i. d. P.) bei diesem Indikator über dieser Schwelle lagen. Insbesondere die starke Veränderung des Wertes für die Stadt Trier (Hauptgutachten: 135 %, jetzt 116 %)
ist erklärungsbedürftig. Etwa die Hälfte des Unterschiedes ist auf den Wechsel des Vergleichsmaßstabes zurückzuführen. Wurde im Hauptgutachten noch die Abweichung vom rheinland-pfälzischen Durchschnitt berechnet, wird nun in § 556d Abs. 2 BGB explizit der bundesweite Vergleich herangezogen. Da aber die rheinland-pfälzische Mietbelastungsquote des verfügbaren Einkommens aufgrund etwas überdurchschnittlicher
Einkommen bei unterdurchschnittlichen Mieten im Mittel des Landes insgesamt nur 92 % der bundesweiten
Mietbelastungsquote beträgt, ist der Vergleichsmaßstab nun höher und die relative Mietbelastungsquote niedriger. Würde weiterhin der rheinland-pfälzische Durchschnitt herangezogen, würden vier Städte (Trier, Landau
i. d. P., Ludwigshafen und Mainz) mehr als 20 % über dem Durchschnitt liegen. Die zweite Ursache ist die Verwendung der aktuelleren Daten, d.h. 2014 statt 2013 bei den Mieten und faktisch 2014 statt 2011 bei den Einkommen. Die Einkommensentwicklung in Trier hat dabei etwas zum Rückgang der relativen Mietbelastungs-
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7
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
Tabelle 2:
Verfügbares Einkommnen, Arbeitnehmerentgelt und
Mietbelastung in Rheinland-Pfalz und Deutschland 2014
Fortschreibung 2014 - Index Deutschland=100
Mietbelastung der...
Verfügb. EK der
Arbeitnehmerprivaten
Arbeitnehmerentgelt je
Einkommen je
Haushalte je
entgelte je
Arbeitnehmer
Einwohner
Einwohner
Arbeitnehmer
Koblenz (KS)
Ahrweiler (LK)
Altenkirchen (Westerwald) (LK)
Bad Kreuznach (LK)
Birkenfeld (LK)
Cochem-Zell (LK)
Mayen-Koblenz (LK)
Neuwied (LK)
Rhein-Hunsrück-Kreis (LK)
Rhein-Lahn-Kreis (LK)
Westerwaldkreis (LK)
Trier (KS)
Bernkastel-Wittlich (LK)
Eifelkreis Bitburg-Prüm (LK)
Vulkaneifel (LK)
Trier-Saarburg (LK)
Frankenthal (Pfalz) (KS)
Kaiserslautern (KS)
Landau in der Pfalz (KS)
Ludwigshafen am Rhein (KS)
Mainz (KS)
Neustadt a. d. W. (KS)
Pirmasens (KS)
Speyer (KS)
Worms (KS)
Zweibrücken (KS)
Alzey-Worms (LK)
Bad Dürkheim (LK)
Donnersbergkreis (LK)
Germersheim (LK)
Kaiserslautern (LK)
Kusel (LK)
Südliche Weinstraße (LK)
Rhein-Pfalz-Kreis (LK)
Mainz-Bingen (LK)
Südwestpfalz (LK)
Rheinland-Pfalz
Deutschland
106
84
87
89
90
90
88
92
90
91
90
90
86
89
90
72
114
95
92
137
106
88
93
102
97
107
86
83
95
112
82
84
85
79
102
79
96
100
103
108
101
104
105
108
107
111
109
107
113
99
118
104
104
107
96
92
105
87
103
117
98
113
96
98
106
116
100
104
101
96
108
117
128
106
107
100
93
118
90
99
79
88
97
93
86
82
93
128
109
121
81
156
81
94
127
76
119
125
69
118
96
76
112
125
87
93
132
105
118
141
112
107
102
100
Quelle: VGRdL, empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme), eigene Berechnungen
95
92
77
85
68
74
80
77
71
69
74
116
79
103
70
105
96
98
112
119
122
94
66
106
97
83
92
89
83
100
107
91
93
95
89
80
92
100
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Die Vorgehensweise halten wir aber für zu kurz gegriffen, da es nicht berücksichtigt,
dass das lokale Einkommensniveau der Haushalte am Wohnort und das lokal erzielbare Einkommensniveau deutlich unterschiedlich sein können. So werden z.B. im
quote beigetragen. Die Einkommen sind in Trier zwischen 2011 und 2014 um 8,1 % nominal gestiegen, in
Deutschland hingegen nur um 7,1 %. Wichtiger war die Mietentwicklung. Die Medianmiete ist in Deutschland
zwischen 2013 und 2014 um nominal 3,3 % gestiegen, während sie in Trier konstant blieb. Deutlich aber wird
in jedem Falle, dass relativ kleine Veränderungen in den Werten recht deutliche Auswirkungen auf den Maßstab der relativen Mietbelastung nach sich ziehen können. Steigt z.B. die Mietbelastung der Haushalte nur von
23 % auf 25 % des verfügbaren Einkommens während sie gleichzeitig in Deutschland von 24 % auf 23 % sinkt,
so steigt die relative Mietbelastung deutlich um 13 %-Punkte. Die deutlichen Veränderungen sind auch ein
Ausdruck der Tatsache, dass sich gerade Wohnungsmärkte, in denen kleine Mengenänderungen in Angebot oder Nachfrage große Preiswirkungen nach sich ziehen, schnell verändern können.
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
8
Rhein-Pfalz-Kreis mit nur 79 % des Bundesdurchschnitts relativ geringe Löhne gezahlt (Arbeitnehmerentgelt laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung der Länder)
– was im Wesentlichen eine Folge der Wirtschaftsstruktur ist –, während gleichzeitig
aber die verfügbaren Einkommen der dort wohnenden Haushalte deutlich überdurchschnittlich sind (117 % des Bundesniveaus). Die Ursache liegt im Auseinanderfallen von Wohn- und Arbeitsort und dem täglichen Pendeln zwischen beiden
Orten. In der benachbarten kreisfreien Stadt Ludwigshafen werden die mit Abstand
höchsten Arbeitnehmerentgelte in Rheinland-Pfalz gezahlt (137 % des Bundesdurchschnitts). Nur wohnen viele Arbeitsnehmer nicht in der Stadt, sondern im Umland. Die vergleichsweise niedrige durchschnittliche Mietbelastung der Bewohner
im Rhein-Pfalz-Kreis ist damit nicht übertragbar auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Da zudem gerade im Land Rheinland-Pfalz und dort insbesondere entlang
der Rheinschiene die Kreise sehr klein geschnitten sind und relativ kleine Städte
selbst kreisfrei sind, bestehen diese erheblichen Unterschiede zwischen Einkommen
und Löhnen häufig.
Vor diesem Hintergrund haben wir bereits im Hauptgutachten argumentiert, dass
zusätzlich zum Indikator „Mietbelastung der Wohnbevölkerung“ der Indikator
„Mietbelastung der Arbeitnehmer“ gestellt werden sollte. Der Indikator „Mietbelastung der Arbeitnehmer“ wird wiederum als Verhältniszahl zum Bundesdurchschnitt
ausgedrückt und wiederum soll eine Schwelle von 20 % gesetzt werden. Demnach
ist die Mietbelastung der Arbeitnehmer in drei kreisfreien Städten (Trier, Landau
i. d. P., Neustadt a. d. W.) sowie in fünf Landkreisen überdurchschnittlich (Eifelkreis
Bitburg-Prüm, LK Trier-Saarburg, LK Bad Dürkheim, LK Kaiserslautern, Rhein-PfalzKreis).
Demnach sind inklusive der Stadt Mainz in neun Landkreisen bzw. kreisfreien Städten die Haushalte überdurchschnittlich durch die Mieten belastet.
2.3
Bevölkerungswachstum ohne ausreichend Neubau
Das dritte Kriterium, das im § 558 Abs. 3 BGB vorgeschlagen wird, bezieht sich auf
das Verhältnis von Bevölkerungswachstum und Neubau.
Wir gehen davon aus, dass hiermit dem Gedanken gefolgt wurde, dass eine wachsende Bevölkerungszahl zusätzlichen Wohnraum benötigt und ein angespannter
Wohnungsmarkt dann vermieden werden kann, wenn dem Anstieg der Wohnungsnachfrage ein entsprechender Anstieg des Wohnungsangebotes gegenübersteht.
Tatsächlich entwickelt sich die Bevölkerungszahl innerhalb des Landes höchst unterschiedlich. Stark wachsenden Städten, wie Ludwigshafen (+2,6 % zwischen Jahresende 2010 und 2013) oder Mainz (+2,5 %), stehen stark schrumpfende Landkreise, wie Kusel (-2,9 %) oder Altenkirchen (-2,0 %), gegenüber. In den letzten zwei
Jahren ist die Bevölkerung in 16 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten in RheinlandPfalz gewachsen und in 20 gesunken. Diese demografische Spaltung des Landes,
dessen Ursache letztlich Umzüge insbesondere junger Menschen sind, haben wir im
Hauptgutachten als die zentrale Herausforderung des Landes und der Wohnungspo-
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
9
litik identifiziert und dringend empfohlen, hier mit geeigneten Maßnahmen gegenzusteuern. Die demografische Spaltung des Landes ist letztlich die Ursache für den
in Teilen des Landes angespannten Wohnungsmarkt, während gleichzeitig in anderen Teilen der Wohnungsleerstand wächst.
Zur Entwicklung des möglichen Indikators „ausreichend Neubau für Bevölkerungswachstum“ wurde zunächst die Entwicklung der Zahl der Einwohner laut Bevölkerungsfortschreibung in den zwei Jahren zwischen 2011 und 2013 als aktuellen Datenrand herangezogen. Nicht berücksichtigt wird damit die Entwicklung der Einwohner mit Zweitwohnsitz (sowie nicht gemeldete Einwohner). Dies wäre in Rheinland-Pfalz aufgrund der gemeinsamen Erfassung der Zweitwohnsitzbevölkerung
durch das Zentrale Integrationssystem EWOIS zwar möglich, allerdings ist zum einen die Zahl der gemeldeten Zweitwohnsitzeinwohner stark abhängig vom Vorhandensein einer Zweitwohnsitzsteuer und zudem ist eine Berücksichtigung der Zweitwohnsitzbevölkerung nur im Land Rheinland-Pfalz möglich, nicht aber in anderen
Bundesländern, sodass die Methodik und damit die Ergebnisse nicht vergleichbar
wären.
Die Ausweitung des Wohnungsangebotes wurde über die Zahl der neu errichteten
Wohnungen approximiert, wobei entgegen dem Gesetzestext auch neue Wohnungen
in bestehenden Gebäuden (insbesondere Dachgeschossausbauten) berücksichtigt
wurden, da auch diese das Angebot ausweiten. Unberücksichtigt bleiben Wohnungsabgänge durch Abriss, Umnutzung und Zusammenlegung sowie Wohnungszugänge
durch Wohnungsteilungen, da hierfür keine geeignete Datenquelle verfügbar ist.
Ebenso wurde nicht unterschieden, ob es sich bei den neu errichteten Wohnungen
um Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäuser handelt, da
zum einen die Art der möglicherweise geplanten Nutzung (Vermietung oder Selbstnutzung) nicht von der Rechtsform der Wohnung präjudiziert wird und zum anderen auch eine selbst genutzte neue Wohnung oder ein Einfamilienhaus das Angebot
ausweitet. Zudem kann nicht unterstellt werden, dass sämtliche zugewanderten
Haushalte eine Wohnung zur Miete suchen.
Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen wurde dann dem Bevölkerungswachstum
gegenübergestellt, wobei naturgemäß Kreise mit sinkender Einwohnerzahl unberücksichtigt blieben. Da nicht einzelne Einwohner, sondern Haushalte als Nachfrager
am Wohnungsmarkt auftreten, ist nicht eine neue Wohnung pro zusätzlichem Einwohner anzustreben, sondern – ausgehend von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2 Personen – 0,5 Fertigstellungen je zusätzlichem Einwohner. In den
kreisfreien Städten Koblenz, Frankenthal, Ludwigshafen3 und Worms wurden weniger als 0,5 Wohnungen je zusätzlichem Einwohner fertiggestellt. In keinem der
Landkreise ist dies der Fall (vgl. letzte Spalte in Tabelle 3). Vielmehr wurden in allen
wachsenden Landkreisen mehr als 0,5 Wohnungen je zusätzlichem Einwohner errichtet.
3
Die Bevölkerungszuwächse in den Städten Koblenz und Ludwigshafen werden aufgrund der Einführung von
Zweitwohnsitzsteuern im Jahr 2012 überschätzt, sodass die Zahl der Baufertigstellungen je zusätzlichem Einwohner hier unterschätzt wird.
empirica
10
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
Tabelle 3:
Bevölkerungsentwicklung und Baufertigstellungen in
Rheinland-Pfalz und Deutschland 2012-2014
Bevölkerungsentwicklung
31.12.2010 bis 31.12.2013
Koblenz (KS)
Ahrweiler (LK)
Altenkirchen (Westerwald) (LK)
Bad Kreuznach (LK)
Birkenfeld (LK)
Cochem-Zell (LK)
Mayen-Koblenz (LK)
Neuwied (LK)
Rhein-Hunsrück-Kreis (LK)
Rhein-Lahn-Kreis (LK)
Westerwaldkreis (LK)
Trier (KS)
Bernkastel-Wittlich (LK)
Eifelkreis Bitburg-Prüm (LK)
Vulkaneifel (LK)
Trier-Saarburg (LK)
Frankenthal (Pfalz) (KS)
Kaiserslautern (KS)
Landau in der Pfalz (KS)
Ludwigshafen am Rhein (KS)
Mainz (KS)
Neustadt a. d. W. (KS)
Pirmasens (KS)
Speyer (KS)
Worms (KS)
Zweibrücken (KS)
Alzey-Worms (LK)
Bad Dürkheim (LK)
Donnersbergkreis (LK)
Germersheim (LK)
Kaiserslautern (LK)
Kusel (LK)
Südliche Weinstraße (LK)
Rhein-Pfalz-Kreis (LK)
Mainz-Bingen (LK)
Südwestpfalz (LK)
Rheinland-Pfalz
Deutschland
Baufertigstellungen*
in den Jahren 2011-2013
Anzahl
in %
Anzahl
je zusätzl. Einwohner 2011-2013
+2.294
-122
-2.674
-234
-2.398
-1.150
-1.023
-1.516
-1.849
-2.234
-1.847
+1.375
-1.762
+215
-1.398
+2.095
+918
+822
+699
+4.024
+5.027
+162
-931
+225
+989
-206
-76
-229
-1.022
+1.293
-1.622
-2.123
+587
+2.253
+2.653
-2.184
-969
+516.447
+2,1
-0,1
-2,0
-0,2
-2,9
-1,8
-0,5
-0,8
-1,8
-1,8
-0,9
+1,3
-1,6
+0,2
-2,2
+1,5
+2,0
+0,9
+1,6
+2,6
+2,5
+0,3
-2,3
+0,5
+1,2
-0,6
-0,1
-0,2
-1,3
+1,0
-1,5
-2,9
+0,5
+1,5
+1,3
-2,2
-0,0
+0,6
397
922
507
879
248
403
1.543
712
746
361
1.293
1.207
1.132
1.532
518
2.273
368
655
690
866
2.568
289
88
345
345
111
911
989
357
1.182
983
344
993
1.390
1.750
603
30.500
598.393
0,2
0,9
7,1
1,1
0,4
0,8
1,0
0,2
0,5
1,8
1,5
0,3
0,9
1,7
0,6
0,7
1,2
* Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden (einschl. Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden)
Quelle: Regionaldatenbank (destatis), eigene Berechnungen
empirica
Diskussionswürdig ist aber grundsätzlich, ob ein Indikator „ausreichend Wohnungsfertigstellungen für Bevölkerungswachstum“ überhaupt sinnvoll einen angespannten Wohnungsmarkt anzeigen kann. Dies ist aus zwei Gründen nicht der Fall:
Der Gesetzgeber übersieht bei seinem Vorschlag, dass die Zahl der Einwohner einer
Stadt nicht der Zahl der Wohnungsnachfrager entspricht. Vielmehr übersteigt gerade in angespannten Wohnungsmärkten die Wohnungsnachfrage die Zahl der Einwohner bzw. der Haushalte, da der Umzug in eine Stadt eine Wohnung voraussetzt.
Die Wohnbevölkerung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie mit Wohnraum
versorgt ist. Wäre sie es nicht, würde sie nicht dort wohnen. Im Ergebnis werden
gerade die nicht versorgten Wohnungsnachfrager bei diesem Indikator ausgeblendet. Da aber die Zahl der gerne in einer Stadt wohnenden Haushalte unbekannt ist
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
11
und zudem nur der reine Wunsch in keiner Weise mit einer tatsächlichen wirksamen Nachfrage gleichzusetzen ist, kann letztlich die Nachfrage nicht quantifiziert
und dem Angebot gegenübergestellt werden. Auch denkbare Hilfsindikatoren, die
auf den Vergleich zwischen Angebot und Nachfrage abzielen, wie z.B. die Zahl der
Haushalte im Verhältnis zur Zahl der Wohnungen, sind nicht valide, sondern werden
maßgeblich determiniert von der Definition eines Haushalts. So wird z.B. im Mikrozensus jeder Bewohner einer Wohngemeinschaft als eigener Haushalt gewertet (im
Zensus 2011 im Übrigen nicht) mit der Folge, dass in allen Studentenstädten die
Zahl der Haushalte deutlich über der Zahl der Wohnungen liegt, selbst in Städten mit
hohem Wohnungsleerstand.
Zweitens ist der vom Gesetzgeber vorgeschlagene Indikator wiederum ein dynamischer Indikator, da auf das Wachstum der Wohnbevölkerung und auf das Wachstum
des Wohnungsangebotes abgestellt wird. Wiederum bleibt dabei das Ausgangsniveau unberücksichtigt. Ein Wachstum der Wohnbevölkerung in einer Stadt mit hohem Wohnungsleerstand würde zunächst nur zu einem sinkenden Leerstand führen
ohne dass aber der Neubau von Wohnungen notwendig oder auch nur wünschenswert wäre.
2.4
Geringer Leerstand bei hoher Nachfrage
Als vierten möglichen Indikator benennt der Gesetzgeber einen geringen Leerstand
bei hoher Nachfrage.
Zunächst ist festzulegen, auf welche Wohnungen der Wohnungsleerstand bzw. die
Leerstandsquote zu bemessen ist. Da die Mietpreisbremse sich naturgemäß auf
Mietwohnungen bezieht, wäre hier eine Leerstandsquote der Mietwohnungen angemessen. Diese kann aber schon definitorisch nicht existieren, da der Typ der zukünftigen Bewohner (Miete oder Selbstnutzer) naturgemäß bei einer leer stehenden
Wohnung unbekannt sein muss. Die manchmal geäußerte Vermutung, dass die
Rechtsform (Teileigentum nach WEG oder nicht) Aufschluss auf den geplanten zukünftigen Nutzertyp hätte ist falsch. Eigentumswohnungen können und werden
ebenso selbst genutzt wie vermietet.
Für zielführend halten wir hingegen, den Gebäudetypus heranzuziehen und die
Leerstandsquote für Wohnungen in Mehrfamilienhäusern zu verwenden. Zwar ließe
sich argumentieren, dass auch Einfamilienhäuser vermietet werden können, allerdings wird der weit überwiegende Teil der Einfamilienhäuser selbst genutzt. Da die
Fluktuation in selbst genutzten Einfamilienhäusern niedriger ist als in Mietwohnungsbeständen, müsste bei einer Einbeziehung der Einfamilienhäuser allerdings
die notwendige Fluktuationsreserve niedriger angesetzt werden. Dies hieße aber,
dass angesichts der sehr deutlichen Unterschiede in der Zusammensetzung des
Wohnungsbestandes (Einfamilienhaus vs. Geschosswohnungen) in den Kreisen und
kreisfreien Städten des Landes der notwendige Fluktuationsleerstand individuell für
jeden Kreis ermittelt werden müsste. Darauf soll nicht zuletzt aufgrund des damit
verbundenen Anscheins der Beliebigkeit verzichtet werden.
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
12
Der Gesetzgeber spricht von einem geringen Leerstand als möglichem Indikator und
bezieht sich damit mutmaßlich auf die Fluktuationsreserve an leer stehenden Wohnungen, die für die Funktionsfähigkeit eines Wohnungsmarktes notwendig ist. Die
Höhe der notwendigen Fluktuationsreserve wird allgemein mit 2 % bis höchstens
3 % angegeben. Ein niedrigerer Leerstand deutet dann auf einen angespannten
Wohnungsmarkt hin.
Im Hauptgutachten wurde auf die Leerstandsquote in Mehrfamilienhäusern zurückgegriffen, die im Rahmen des Zensus 2011 erhoben wurde. Diese Datenquelle ist
einerseits hervorragend, da sie auf einer Vollerhebung beruht, andererseits aber
wurden dort sämtliche Wohnungen bzw. Wohngebäude, die unbewohnt waren, als
leer stehend gezählt. Dies schließt auch nicht bewohnbare Wohnungen wie beispielsweise Gebäude mit erheblichem Instandhaltungsstau bis hin zu Ruinen mit ein.
Da der Anteil der bewohnbaren Wohnungen an allen leer stehenden Wohnungen
unbekannt ist und zudem eine Definition von bewohnbar erfordern würde, schlagen
wir einen erhöhten Mindestwert von 4 % Leerstand vor. Dies ist vielleicht in Städten
mit hoher Nachfrage und hohen Mieten etwas üppig, da hier auch von einer hohen
Investitionsneigung und entsprechend geringem Anteil unbewohnbarer Wohnungen
auszugehen ist.
Angesichts der hohen Dynamik an den Wohnungsmärkten halten wir allerdings eine
Verwendung der Leerstandsquoten aus dem Zensus 2011, die im Mai 2011 erhoben
wurden, im Jahre 2015 für nicht mehr angemessen. Die Leerstandsquoten sind daher geeignet zu aktualisieren. In Ermangelung einer amtlichen Datengrundlage
schlagen wir die Fortschreibung der Zensus-Ergebnisse mit dem CBRE-empiricaLeerstandsindex vor (zur Methodik vgl. Exkurs). Der CBRE-empirica-Leerstandsindex gibt die Leerstandsquote von marktaktiven4 Geschosswohnungen zum Jahresende an und unterscheidet sich damit in seiner Grundgesamtheit vom Leerstand laut
Zensus. Die im Folgenden verwendete aktuelle Schätzung der Leerstandsquote aller
Wohnungen wurde durch die Multiplikation der Veränderungsrate des CBREempirica-Leerstandsindex zwischen Mitte 2011 (Mittelwert Jahresende 2010 und
2011) und Jahresende 2013 mit der Leerstandsquote aus dem Mai 2011 laut Zensus
2011 ermittelt, d.h. das Niveau stützt sich weiterhin auf die Vollerhebung des Zensus. Insofern ist weiterhin eine Mindestleerstandsquote von 4 % anzuwenden.
Diese Vorgehensweise halten wir trotz des Wechsels der Grundgesamtheit noch für
angemessen. Mögliche Fortschreibungsfehler werden sich aber über die Zeit kumulieren, sodass dies keine dauerhafte Lösung ist, die es erlauben würde, in fünf oder
mehr Jahren noch den Grad der Marktanspannung quantitativ zu bewerten. Hier
sollte der Gesetzgeber geeignete Maßnahmen ergreifen, die Datengrundlage dauerhaft sicherzustellen.
4
Der marktaktive Leerstand umfasst leer stehende Wohnungen, die unmittelbar disponibel sind, sowie leer
stehende Wohnungen, die aufgrund von Mängeln derzeit nicht zur Vermietung anstehen, aber ggf. mittelfristig
aktivierbar wären (<6 Monate).
empirica
13
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
Exkurs: CBRE-empirica-Leerstandsindex 2009-2013
Basis der Berechnungen sind Bewirtschaftungsdaten von CBRE (für ca. 800.000
Wohneinheiten). CBRE bewertet vor allem die großen Bestandshalter. Diese haben
in ihrem Portfolio tendenziell eher durchschnittliche bis unterdurchschnittliche
Qualitäten und weisen dementsprechend auch eher höhere Leerstände als der Gesamtmarkt auf. Außerdem ist die CBRE-Stichprobe nicht groß genug, um regional
flächendeckende Aussagen treffen zu können.
Deswegen werden die Ergebnisse aus den CBRE-Daten angereichert mit geschätzten
marktaktiven Leerständen. Basis dieser Schätzungen sind Regressionsergebnisse
zum Zusammenhang zwischen totalem und marktaktivem Leerstand auf Basis historischer Zeitreihen (Mikrozensus-Leerstände, empirica-Leerstandsindex und verschiedene weitere regionale Wohnungsmarktinformationen aus den Jahren 20052009). Bei großen Varianzen zwischen CBRE-Quoten, geschätzten Quoten und historischen Zeitreihen des empirica-Leerstandsindex (2005-2009) fließt zudem das
Expertenwissen von CBRE und empirica in die Schätzwerte des marktaktiven Leerstands mit ein.
Die Struktur des Wohnungsleerstands folgt in Rheinland-Pfalz grundsätzlich den
Strukturen der Bevölkerungsverschiebung durch die demografische Spaltung, d.h.
hoher Leerstand in Regionen mit Bevölkerungsverlusten, niedriger Leerstand in
solchen mit Gewinnen. Die höchste Leerstandsquote weist die Stadt Pirmasens mit
14,2 % auf, gefolgt vom Landkreis Birkenfeld mit 9,5 % (vgl. Tabelle 4). Die niedrigste Leerstandsquote hat die Stadt Mainz mit nur 1,8 %, gefolgt von der Stadt Speyer
mit 2,1 %.
Tabelle 4:
Fortschreibung des Leerstands nach Zensus 2011 in
Rheinland-Pfalz
Leerstand in MFH
Zensus 2011 nach
2014
fortgeschrieben
Mainz (KS)
Speyer (KS)
Landau in der Pfalz (KS)
Rhein-Pfalz-Kreis (LK)
Germersheim (LK)
Trier (KS)
Mainz-Bingen (LK)
Frankenthal (Pfalz) (KS)
Koblenz (KS)
Worms (KS)
Ludwigshafen am Rhein (KS)
Bad Kreuznach (LK)
Südliche Weinstraße (LK)
Alzey-Worms (LK)
Bad Dürkheim (LK)
Neustadt a. d. W. (KS)
Mayen-Koblenz (LK)
Trier-Saarburg (LK)
1,8%
2,1%
2,5%
2,6%
2,7%
3,3%
3,3%
3,3%
3,5%
3,9%
3,9%
4,2%
4,3%
4,3%
4,3%
4,4%
4,8%
5,0%
Leerstand in MFH
Zensus 2011 nach
2014
fortgeschrieben
Ahrweiler (LK)
Kaiserslautern (KS)
Neuwied (LK)
Eifelkreis Bitburg-Prüm (LK)
Donnersbergkreis (LK)
Westerwaldkreis (LK)
Bernkastel-Wittlich (LK)
Vulkaneifel (LK)
Kaiserslautern (LK)
Rhein-Lahn-Kreis (LK)
Altenkirchen (Westerwald) (LK)
Rhein-Hunsrück-Kreis (LK)
Kusel (LK)
Zweibrücken (KS)
Cochem-Zell (LK)
Südwestpfalz (LK)
Birkenfeld (LK)
Pirmasens (KS)
Quelle: Zensus 2011, CBRE-empirica-Leerstandsindex, eigene Berechnungen
5,1%
5,2%
5,4%
5,7%
6,0%
6,1%
6,2%
6,4%
6,5%
6,8%
7,8%
8,0%
8,3%
8,5%
9,0%
9,4%
9,5%
14,2%
empirica
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
14
Unterhalb des Schwellenwertes von 4 %, unter dem eine Anspannung des Wohnungsmarktes vermutet werden kann, liegt der Leerstand in den kreisfreien Städten
Mainz, Speyer, Landau i. d. P., Trier, Frankenthal, Koblenz, Worms und Ludwigshafen
sowie im Rhein-Pfalz-Kreis und den Landkreisen Germersheim und Mainz-Bingen.
Der Gesetzgeber hat allerdings gemutmaßt, dass ein niedriger Leerstand für sich
genommen noch nicht auf einen angespannten Wohnungsmarkt hindeutet, sondern
dass zudem eine hohe Nachfrage bestehen muss. Die Formulierung „hohe Nachfrage“ ist wenig nachvollziehbar, da in großen Städten die Nachfrage stets höher sein
wird als in kleinen Städten. Es ist zu vermuten, dass hier der Gesetzgeber eher umgangssprachlich formuliert hat und deutlich machen wollte, dass ein niedriger Leerstand alleine noch keinen angespannten Wohnungsmarkt sicher identifiziert. Dem
ist zuzustimmen, da auch ein niedriger Leerstand auf einen gerade ausgeglichenen
Wohnungsmarkt hindeuten könnte.
3.
Zusammenfassung und Empfehlung
Der Gesetzgeber hat mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 5. März 2015 in
§ 556 d Abs. 2 Satz 3 BGB eine Reihe von möglichen Kriterien zur Identifizierung
eines angespannten Wohnungsmarktes genannt. Diese wurden in den Vorkapiteln
präzisiert und diskutiert, ob sie für sich genommen einen Hinweis auf eine Anspannung des Wohnungsmarktes geben könnten.
Zur Rechtssicherheit hat die Nennung dieser Kriterien nicht beigetragen. Dem war
sich der Gesetzgeber offenbar bewusst, da er mit der Formulierung „kann insbesondere“ in § 556d Abs. 2 Satz 3 BGB vor der Nennung dieser Kriterien diese zur Disposition stellt.
Wie dargestellt, sind die Kriterien „überdurchschnittlicher Mietpreisanstieg“ und
„Bevölkerungswachstum ohne ausreichend Neubau“ nicht sachgerecht oder nicht
ausreichend spezifizierbar. Die Kriterien „Leerstand“ und „überdurchschnittliche
Mietbelastung“ können – sofern geeignet spezifiziert – hingegen zielführend sein.
Offen bleibt zudem das Verhältnis der Indikatoren zueinander. Der Gesetzgeber hat
nicht eindeutig formuliert, ob jeder Indikator für sich genommen ausreichend für
die Bestimmung eines angespannten Wohnungsmarktes ist oder dies kumulativ zu
gelten hat oder ob ein hoher Indikator durch einen anderen niedrigen Indikator
ausgeglichen werden könnte. Da aber der Gesetzgeber bereits selbst dem Kriterium
„Leerstand“ eine Einschränkung zur Seite gestellt hat und gleichzeitig von den genannten Kriterien nur ein weiteres zielführend ist, stellt sich diese Frage nicht. Ein
niedriger Leerstand und eine deutlich überdurchschnittliche Mietbelastung muss in
einem angespannten Wohnungsmarkt gleichzeitig gegeben sein.
Im Ergebnis halten wir die von uns im Hauptgutachten entwickelte Methodik weiterhin für geeignet, einen angespannten Wohnungsmarkt zu identifizieren. Demnach
schließt die Existenz von ausreichend leer stehenden Wohnungen (mehr als 4 %
Leerstand) eine Marktanspannung sicher aus. Ein Leerstand von unter vier 4 % ist
für sich genommen aber nicht hinreichend, vielmehr muss zusätzlich die Mietbelas-
empirica
Identifizierung von angespannten Wohnungsmärkten in Rheinland-Pfalz
15
tung der Einwohner oder der Arbeitnehmer deutlich überdurchschnittlich sein. Als
deutlich überdurchschnittlich soll weiterhin 120 % des Durchschnitts interpretiert
werden. Im Hauptgutachten wurde als Vergleichsmaßstab der landesweite Durchschnitt gewählt. Der Gesetzgeber hat nun im Paragraphen zur Mietpreisbremse den
bundesweiten Durchschnitt vorgeschlagen. Dies ist ebenfalls angemessen und soll
daher auch hier Verwendung finden.
Demnach ist der Wohnungsmarkt in den kreisfreien Städten Mainz, Trier und
Landau i. d. P. sowie im Rhein-Pfalz-Kreis angespannt. Beim Rhein-Pfalz-Kreis aber
stellt sich die Frage, ob dieser angesichts seines bandartigen Zuschnitts um die
kreisfreien Städte Worms, Frankenthal, Ludwigshafen und Speyer überhaupt einen
eigenen Wohnungsmarkt bildet, und selbst wenn, ob hier eine Anspannung vorliegen kann, wenn unmittelbar angrenzend keine Anspannung festgestellt wird.
Die Städte Ludwigshafen, Neustadt a. d. W. und Speyer sollten weiter beobachtet
werden, da sie nur jeweils knapp unter den jeweiligen Schwellenwerten liegen. Dies
gilt insbesondere für die Stadt Speyer, die sogar die landesweit zweitniedrigste
Leerstandsquote aufweist und die – wie im Hauptgutachten ausgeführt – vor einem
Jahr noch knapp oberhalb der damaligen Schwellenwerte lag.
empirica