Historische Figurationen zwischen Menschen und Tieren

Thematische Einleitung
„Zusammen Leben: Historische Figurationen zwischen Menschen und Tieren“
Liebe Kollegen, liebe Tierfreunde
ich gestehe hier, das mein Studium nicht ausreichend gewesen ist. Den Begriff der „Figuration“
musste ich nachschlagen, da ich ihn niemals gebraucht habe. Allein: Ich habe eine Entschuldigung
für mein fehlendes Wissen. Mit Soziologie habe ich mich nie wirklich beschäftigt, hänge ich doch
dem verbreitenden Vorurteil an, unter den Geisteswissenschaften sei die Historie diejenige, die noch
die handfesteste Arbeitsweise aufzuweisen hat, oder um es mit den Worten eines inzwischen
emeritierten Überseehistorikers zu sagen: „Wer zu faul ist für's Archiv, der macht Theorie!“
Mit Modellen und Theorien der Gesellschaft beschäftige ich mich normalerweise nicht. Daher bin
ich auch froh, darum gebeten worden zu sein, die thematische Einleitung zu halten, zur
methodischen hätte ich Ihnen freilich wenig zu sagen gehabt. Thematisch jedoch muss ich mich
bremsen, um nicht zuviel zu sagen. Im Zuge der Vorbereitung habe ich daher ein paar Textauszüge
zusammengestellt, die eventuell mit Ihren Arbeiten korrelieren. Zunächst aber noch einmal kurz zu
meinem Projekt:
Tiere sind Teil der menschlichen Kultur. Sie sind Bedeutungsträger von Symbolik, sie sind Teil der
Umwelt, die den Menschen beeinflußt oder von ihm beeinflußt wird. Ihr Einfluß ist sogar so weit
gehend, dass der Mensch sich in Abgrenzung zu ihnen definieren kann. In Zeiten des
Individualismus wäre es jedoch fatal, von „dem Menschen“ zu reden. „Der Mensch“ existiert nicht.
„Mensch sein“ bedeutet Interaktion mit anderen, „Mensch sein“ bedeutet auch, die Abhängigkeit
von einer Kultur, entweder durch Abgrenzung oder durch Assimilation. Wie unterschiedlich
menschliche Kulturen sind, haben Ethnologen und Soziologen bereits vielfach dargestellt. Wie sie
sich verändert haben in Hinsicht auf Mentalität und Ideen probieren Historiker immer wieder neu zu
definieren. In der letzten Dekade hat sich dabei auch der Blick auf die tierischen Anteile der
menschlichen Kultur gerichtet. Harriet Ritvo, Historikerin am MIT, möchte innerhalb der
Kulturwissenschaft gar von einem „animal turn“ sprechen.
Auffällig dabei ist die Rolle der Europäer bzw. des Westens. Trotz der Erschließung einer
Geschichte der außereuropäischen Welt im Zuge des postcolonial turns wird diese kaum untersucht.
Bisher ist von angelsächsischer Seite aus in unserem Sujet besonders die westliche europäische
Welt untersucht worden. Vielleicht spielt dabei das oben erwähnte Zitat des emeritierten
Überseehistorikers eine Rolle. Das läge durchaus im Rahmen des Möglichen, denn an den Quellen
liegt es kaum. Möchte man sich als Historiker mit den vergangenen Kulturen außerhalb Europas
beschäftigen, so bieten einem die in der Phase der europäischen Expansion verfassten
Reisetagebücher, Logbucheinträge, naturhistorische Beschreibungen und Missionsjournale einen
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großen Korpus, den es zu untersuchen gilt.
Scheut man sich nicht, diesen Korpus zu benutzen, öffnet sich eine Welt, die außerhalb Europas
existierte und von Europäern oftmals minutiös festgehalten wurde. Damit wäre aber auch schon ein
Problem eröffnet. Der Europäer schaut mit seinem kulturellen Blick auf das Fremde und reflektiert
dieses durch seine kulturelle Brille, der Reisebericht wird dem entsprechend für ein europäisches
Publikum geschrieben. Dieser Umstand beeinflußt die Objektivität. So passiert es oft, dass es zu
moralischen Abwertungen von nicht verstandenem Verhalten kommt.
In diesen Berichten wimmelt es von Tieren. Bereits Kolumbus erwähnt etwa Papageien, wie Sie der
Handreichung entnehmen können. Alleine die dort zitierten beiden Sätze aus dem Bordbuch des
Kolumbus zeigen bereits, worum es mir in meinem Projekt gehen soll. Schon an dieser prominenten
Stelle, einen Tag nach der Ankunft des Genuesen in der Neuen Welt, beginnt der Tausch zwischen
den verschiedenen Kulturen. Das indigene Volk bringt allerhand an Alltäglichem mit sich und will
es tauschen. Unter anderem auch Papageien, von denen es, so läßt sich Kolumbus erster Ausspruch
wohl deuten, Unmengen geben muss. Die Tatsache, dass die Einwohner Papageien tauschen wollen,
zeigt auch, dass diese Tiere wohl bereits in domestizierter Form existieren, zumindest aber als
Haustiere gehalten wurden. Das Kolumbus den Handel verbieten ließ, zeigt, dass der Tauschhandel
bei den Matrosen auf fruchtbaren Boden fiel. Papageien sind bereits seit der Antike bekannt, der
ältere Plinius (Buch 10, LVIII, 117) erwähnt sie etwa und selbst das Mittelalter vergaß sie nicht, wie
etwas das Bild aus einem mittelalterlichen Bestarium zeigt. Auch sei hier, um in der Textgattung des
Reiseberichts zu bleiben, etwa auf John de Mandeville verwiesen, der den exotischen Vogel in
Vielzahl beim heilsbringenden Priesterkönig Johannes gesehen haben will.
Durch den Papageien – es sei eingestanden: nicht nur durch ihn –, um zurück zu Kolumbus zu
kommen, kommt es an diesem 13. Oktober 1492 zu einem Kulturkontakt, zu einem Transfer
zwischen zwei sich unbekannten Kulturkreisen, etwas, was in den Kulturwissenschaften als
„kulturelle Übersetzung“ bezeichnet wird und sogleich natürlich einen „translational turn“ mit sich
brachte. Ein weiteres beispielhaftes Tier findet sich - wie Sie bereits der Handreichung entnehmen
konnten - neben dem Papagei, dem innerhalb der Überseegeschichte eine besondere Rolle
zukommt. Gehen wir einen Schritt weiter und betrachten das älteste und einzig vom Menschen
gemachte Haustier: Den Hund. Seit der Antike, etwa im Alten Ägypten oder auf der griechischen
Halbinsel, ist er bestimmbar als Jagdgefährte auszumachen. Mit dem Mittelalter formt sich dieser
Nutzen symbolisch aus, wenn etwa Hademar von Laber die Suche nach der großen Liebe als
Hetzjagd mit Hunden darstellt oder die Geräuschkulisse der Jagd als Machtsymbol des Fürsten
genutzt wird. Dieses europaweite Phänomen wird von Las Casas in seiner Kritik über das Verhalten
der Spanier aufgegriffen, wenn dieses edle Motiv der Jagd zur Menschenhatz wird.
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Die symbolische Bedeutung dieses Tieres ist alle Zeiten immer sehr ambivalent gesehen worden. Es
konnte sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften aufweisen. Ganz anders sieht dies allerdings –
zumindest habe ich bisher nichts gegenteiliges finden können – beim Pferd aus. Bereits im Alten
Rom war es Symbol des Aufstiegs und bis in die Frühe Neuzeit hinein bezeichnete es einen Stand
(equus, Ritter), später immerhin noch eine Haltung (Kavalier). Eine solche positive Symbolik findet
sich auch in den Reiseberichten wieder. Wenn etwa Vazquez de Tapia davon erzählt, wie den
Conquisdadores eine heldenhafter Schimmel zur Hilfe eilt, von dem sich niemand erklären kann,
woher er kam, dann wird in seinem Augenzeugenbericht ein jahrhundertealtes Muster deutlich, dass
– um hier ein interessanter Weise an der Universität Würzburg verbreitetes, sonst aber kaum
bekanntes Fremdwort aufzunehmen – die Theriotopie zwischen Pferd und Mensch in den
Vordergrund stellt.
Das Pferd wurde – bis sich im 19. Jahrhundert die Hippophagie etwa durch Emilé Decroix hervortat
– immer eindeutig positive wahrgenommen. Am Beispiel des Wals kann man hingegen schon eine
wechselnde Wahrnehmung feststellen. Der spätäntike Physiologus etwa weißt dem Tier zwei
besondere Eigenschaften zu, von denen eine der Wahrheit entspricht, die zweite aber einer Angst
vor diesen riesigen Tieren entspringt. Gerade diese zweite Eigenschaft aber sorgt im Mittelalter und
in der ersten Phase der europäischen Expansion für die großartigsten Geschichten, wie man etwa
der Vita des heiligen Brandan von Irland entnehmen kann. Erst mit der Aufklärung wird dies
anders. Besonders zeigt sich das beim ehemaligen Hamburger Bürgermeister Johann Anderson, der
ganz naturwissenschaftlich geprägt den Narwal seziert und dabei mit keinem Wort etwa auf die
Legenden um das Einhorn eingeht, obwohl er dieses Wort benutzt. Die wechselnde Wahrnehmung
etwa im Expertendiskurs der Seeleute kann er zudem auch aufzeigen.
Kommen wir nun zu etwas ganz anderem. Bereits Virginia de John Anderson hat vor wenigen
Jahren für die neuenglischen Kolonien aufgezeigt, dass nichts die Lebensweise der amerikanischen
Indianer so verändert hat wie die Einführung der europäischen Nutztiere. Freilich war auch sie nicht
die erste. Schon im 18. Jahrhundert konnte der französische Abenteurer Laperouse ähnliches über
Chile schreiben. Wenn also, und das sollte durch die Aussage Humboldts bestärkt werden, Tiere
eine Rolle dabei spielen, wie sich Herrschaft etabliert, Grenzen zwischen Natur und Kultur
verschwimmen und Zivilisationen entwickeln, dann sind es die Nutztiere, die man beobachten sollte
– zumindest in der Überseegeschichte.
Aber auch der Weg von Übersee nach Europa ist interessant. Und hier schließt sich der Bogen zum
Papagei. Welche Tiere wurden nach Europa gebracht und welchen Nutzen erfüllten sie in
Interaktion mit den Menschen? Der Dodo etwa wurde, wie Sie dem Bild auf der letzten Seite der
Handreichung entnehmen können, in den Menagerien der – nicht nur europäischen – Fürsten, hier
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am Beispiel des Dodos von Suran, gefunden und konnte so Präsenz und Allgegenwart des
jeweiligen Fürsten zeigen.
Und selbst Ansätze zu einer frühen Geschichte der Menschheit, die Naturgeschichte und
Kulturgeschichte miteinander verbinden will, kann man in den Berichten treffen. So hat etwa HansWerner Ingensiep vor kurzem probiert die Anthropologie des 18. Jahhrunderts am Beispiel des
Diskurses um den Affen zu verdeutlichen und griff dabei auf Georg Forsters „Reise um die Welt“
zurück, den entsprechenden Auszug finden sie als letzten Text in der Handreichung. Sie haben
gemerkt, dass ich im Vorangegangen probiert habe, einige Ihrer Themen mit dem meinigen zu
verknüpfen, ein Versuch, den es in der Handreichung zu vertiefen gilt. Ich hoffe, die von mir
ausgewählten Texte konnten eindringlich zeigen, inwieweit Mensch und Tier in Beziehung standen
und stehen, welche Abhängigkeiten zwischen Mensch und Tier existieren können und ob es
dynamische Netzwerke zwischen ihnen gab und gibt. Nun aber genug des Inputs. Möge diese kleine
Einführung und die Handreichung die Diskussion befruchten, die nun eröffnet werden soll. Vielen
Dank.
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