Kriterien der Finanzschwäche

Niedersächsisches Ministerium
für Inneres und Sport
NKomInvFöG: Definition von Finanzschwäche, Kriterien der Mittelverteilung
Die vom Bund geforderte und den Ländern in ihrer Verantwortung obliegende Definition der
Kriterien für die Auswahl finanzschwacher Kommunen soll in Niedersachsen unter der Prämisse einer möglichst weitgehenden Partizipation möglichst vieler Kommunen erfolgen,
ohne den Steuerungseffekt der bevorzugten Förderung bedürftiger Kommunen zu konterkarieren. Grundsätzlich zuwendungsberechtigt sind deshalb zunächst alle Landkreise, kreisfreien Städte, Städte und Gemeinden, die nicht Mitglied von Samtgemeinden sind, sowie
Samtgemeinden (max. 447). Entsprechend der Aufgabenteilung und vergleichbaren Vorgehensweise im Kommunalen Finanzausgleich wird der Gesamtplafond zu je 50 Prozent auf
die Kreisebene und den kreisangehörigen Bereich verteilt.
Als nicht finanzschwach werden allerdings diejenigen Kommunen ausgeschlossen, die
zwischen 2011 und 2013 drei Jahre in Folge abundant gewesen sind, also aufgrund hoher
Steuereinnahmen keine Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten und darüber hinaus im selben Zeitraum auch keine Bedarfszuweisungen vereinnahmt
haben. Dies trifft auf 22 und damit auf in doppelter Hinsicht nicht bedürftige Kommunen zu.
Im Ergebnis erhalten somit 425 von max. 447 Kommunen eine Zuwendung aus dem Investitionsprogramm.
Zusätzlich wird die Mittelverteilung zwischen den 425 begünstigten Kommunen i. S. der bevorzugten Förderung finanzschwacher Kommunen über die ebenso vom Bund verwandten
Kriterien Einwohner, Arbeitslosigkeit und Kassenkredite nachgesteuert. Hiervon profitieren in besonderer Weise faktisch (langjährige hohe Fehlbeträge) und aufgrund von negativen
Rahmenbedingungen strukturell (Arbeitslosigkeit) bedürftige Kommunen, darunter z. B. gerade auch langjährige Bedarfszuweisungskommunen. Zugleich gewährleistet der Einwohnermaßstab eine angemessene Grundbeteiligung solcher Städte, Gemeinden und Kreise,
die trotz Strukturschwäche eine nur geringe Verschuldung aufweisen. Das Ergebnis ist denn
auch trotz eines breiten Empfängerkreises die starke Spreizung der Förderung in Abhängigkeit von der kumulativen Ausprägung aller drei Verteilungskriterien (10 Prozent der niedersächsischen Kommunen erhalten über 60% der Mittel).
Insofern wird das gewählte Verfahren den wesentlichen Anforderungen des Bundes gerecht. Dieser setzt nach eigener Aussage mit dem Maßstab der Finanzschwäche die Differenz zwischen finanzsstarken und finanzschwachen Kommunen sowi die Abstufung unterschiedlich finanzschwacher Kommunen voraus. Indem das NKomInvFöG abundante Kommunen ausschließt, wird dieser ersten Minimalforderung entsprochen. Mit der daran anknüpfenden Anwendung der Bundeskriterien erfüllt Niedersachsen das Gebot der weiteren Differenzierung zugunsten besonders finanzschwacher Kommunen.
Erläuterungen
1) Begründung des Maßstabs der Finanzschwäche
Eine zweifellos schwierige Frage ist die Auswahl von Kommunen, die Mittel nach dem
NKomInvFöG abrufen können. Die begründete Abgrenzung finanzschwacher Kommunen ist
dabei keine triviale Aufgabe, weil es eine allgemein gültige Definition des Begriffs nicht
gibt. Auch in Niedersachsen werden je nach Regelungszusammenhang unterschiedliche
Begriffe verwandt (Bedarfszuweisungskommunen, Zukunfstvertragskommunen, HSKKommunen, steuerschwache Kommunen usw.).
Das NKomInvFöG geht deshalb im Kern zunächst von der durch den Bund aufgestellten
Minimalvoraussetzung aus, wonach das Vorhandensein von Finanzschwäche immer auch
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Fälle relativer Finanzstärke voraussetzt. Letzteres wiederum trifft in jedem Fall auf solche
Kommunen zu, die keinerlei Mittel aus dem Finanzausgleich erhalten und auch auf sonstige
Dotierungen aufgrund von Finanzproblemen verzichten müssen.
Die isolierte Anwendung des Kriteriums Abundanz hieße allerdings auch, dass sich darunter
fast alle Inselkommunen befinden würden, da sie zwar über sehr hohe Steuereinnahmen
pro Kopf verfügen, zugleich aber hohe Ausgaben zu bestreiten haben, infolgedessen regelmäßig stark defizitär sind und im Ergebnis aus dem Finanzausgleich Bedarfszuweisungen
zur Minderung ihrer Fehlbeträge erhalten. Deshalb werden solche mehrjährig abundanten
Kommunen ebenfalls als finanzschwach definiert, die wenigstens einmal im Betrachtungszeitraum 2011 bis 2013 Bedarfszuweisungen bezogen haben. Infolgedessen können auch
die Inselkommunen Baltrum, Langeoog und Wangerooge vom Investitionsprogramm profitieren und gehören pro Einwohner sogar zu den Höchstbeziehern.
Ein scheinbar paradoxer Fall ist in diesem Zusammenhang die Stadt Wolfsburg, die zwar
ebenfalls über Jahre hinweg abundant ist und keine Bedarfszuweisungen erhält, aber trotzdem einen Zuschuss aus dem Investitionsprogramm bekommt. Dieser Umstand ergibt sich
aus der Anwendung einheitlicher und willkürfreier Kriterien. Denn die Stadt Wolfsburg erhält
aus ihrem Gemeindeanteil (s. o.) tatsächlich keine Mittel, sondern lediglich im Hinblick auf
die von ihr als kreisfreie Stadt wahrgenommenen Kreisaufgaben. Der Hintergrund ist, dass
Gemeindeverbände zwar theoretisch, aber praktisch nie abundant werden.
Alternativen zum Abundanz-Ansatz führen sämtlich zu einer sehr viel stärkeren Begenzung der Zahl von Kommunen, die Mittel aus dem Programm erhalten können, darunter mit
hoher Wahrscheinlichkeit z. B. auch solche, die zwar eine vergleichsweise hohe Steuerkraft,
aber dennoch erhebliche Finanzprobleme und infolgedessen zu geringe Investitionen aufweisen. Das heißt, ein anderer Maßstab liefe vermutlich Gefahr, relativ einnnahmestarke,
aber faktisch finanzschwache Kommunen auszuschließen und würde dem Auftrag des Bundesgesetzgebers somit keinesfalls gerecht. Auch deshalb übrigens erscheint schon aus
Bundessicht die Verteilung u. a. nach Kassenkrediten sinnvoll (s. unter 3), da hiermit jene
Länder und Kommunen stärker berücksichtigt werden, die ungeachtet unterschiedlicher Defizit- und Verschulgunsursachen erhebliche kommunale Fehlbeträge aufweisen, die wiederum in jedem Fall die Investitionstätigkeit der betroffenen Städte, Gemeinden und Kreise
beeinträchtigen. Insofern erscheint es sachgerechter, in einem ersten Schritt (wie oben beschrieben) einen breiten Zugang zum Programm zu gewähren, jedoch im nächsten Schritt
(siehe unten) die Verteilkriterien so anzulegen, dass mit der Bedürftigkeit auch die Förderung
stark anwächst.
2) Begründung der Verteilungskriterien
Die Verteilungskriterien innerhalb des Landes sollen – knüpft man an der Zielrichtung des
Bundesgesetzes an – derart ausgestaltet sein, dass sie die kommunalen Struktur- bzw. Finanzschwächen möglichst treffsicher, also entsprechend des Grades ihrer Finanzschwäche und Bedürftigkeit abbilden.
Für die Aufteilung unter den Kommunen wird ein Verteilungsschlüssel aus drei Kriterien
gebildet. Dies sind die Anzahl der Einwohner jeweils zum 30. Juni des Jahres, die Höhe der
Kassenkreditbestände der Kommunen jeweils zum 31. Dezember sowie die Anzahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt. Für jedes Kriterium wurde der Durchschnitt der Jahre 2011
bis 2013 gebildet und im Verhältnis zum jeweiligen Gesamtwert der Kreis- bzw. Gemeindeebene für jede Kommune als Prozentanteil errechnet. Mit dieser Vorgehensweise wird die
Verteilung der Bundesmittel an die Länder übernommen.
Alternative Ansätze wie die Zugrundelegung von Schlüsselzuweisungen als Ergebnis des
Finanzausgleichs oder Investitionen sowie Steuereinnahmen stoßen demgegenüber entweder auf methodische oder datenmäßige Probleme. Berechnungen haben im Übrigen gezeigt,
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dass andere und alternativ kombinierte Indikatoren nicht zwingend dazu führen, dass besonders bedürftige Kommunen mehr Mittel erhielten. Vielmehr ergibt sich gerade infolge der
Anwendung der drei o. g. Kriterien eine vergleichsweise große Konzentration auf wenige
bedürftige Fälle: So erhalten 30% der 425 berechtigten Kommunen über 80% der Mittel und
10% immerhin noch über 60%.
Folglich wird dem Ziel der Unterstützung finanzschwacher Kommunen durch diese Kriterien entsprochen, die auch deshalb zu einer sachgerechten Verteilung führen, weil sie die
Größe einer Stadt, eines Kreises oder einer Gemeinde und damit das absolute Ausgabenniveau genauso berücksichtigen wie die strukturellen Nachteile eines Orts und einer Region,
die sich nach wie vor sehr kompakt über die Arbeitslsoigkeit darstellen lassen, während die
Kassenkredite einen im Kern finanzwirtschaftlichen Bezug gewährleisten.
3) Eignung des Verteilkriteriums Kassenkredite
Der Kassenkreditbestand als dritte Kategorie fasst nicht nur laufende, sondern auch historische Defizite zusammen und bildet damit die Folgen einer vielfach über Jahre hinweg
gegebenen, besonders schweren Finanz- und Investitionsschwäche ab. Sie ist weniger
durch akute Einnahme- und/oder Ausgabeprobleme gekennzeichnet, sondern verweist vor
allem auf eine anhaltende Hinderung daran, notwendige Investitionen zu tätigen. Oder anders ausgedrückt sind es eben gerade auch Kommunen mit hohen Kassenkreditbeständen,
die aufgrund wiederholter Fehlbeträge seit mehreren Jahren daran gehindert gewesen sein
dürften, Investitionen im ausreichenden und volkswirtschaftlich wünschenswerten Ausmaß
zu finanzieren und zwar völlig unabhängig davon, worin die Ursachen dieser Finanzschwäche zu suchen sind.
Hierbei sind die unterschiedlichen Kassenkreditbestände infolge von Entschuldungsmaßnahmen des Landes
berücksichtigt, da Letztere erstmalig im Jahr 2012 kassenwirksam wurden. Das heißt, dass Zukunftsvertragskommunen zumindest für das Jahr 2011 und je nach Entschuldungszeitpunkt auch noch für das Jahr 2012 ihren damaligen Kassenkreditstand bei der Ermittlung ihres Anteils aus dem Investitionsprogramm angerechnet
bekommen, aber eben nicht mehr den ab dem Jahr der Entschuldung verlorenen Kreditbestand. Diese Lösung vermeidet eine unterdurchschnittliche Beteiligung nach wie vor finanzschwacher Kommunen, stellt aber
zugleich Gerechtigkeit im Verhältnis zu jenen her, die entweder keine Entschuldungen beantragt haben oder
aufgrund der durch sie nicht erfüllbaren Teilnahmebedingungen gar nicht erhalten konnten.
Zweifellos kann bei der Heranziehung der Kassenkredite als Paramter das Risiko entstehen,
endogene Ursachen finanzwirtschaftlicher Ergebnisse, also ein mehr oder minder großes
Eigenverschulden zu übersehen. In der Summe trägt dieser Indikator aber dennoch zu einer
deutlich stärkeren Berücksichtigung von struktur- und infolgedessen meist auch finanzschwacher Kommunen bei. So legen neuere Untersuchungen nahe, dass größere
Finanzprobleme in den allermeisten Fällen nicht nur mit Kassenkrediten als Merkmal, sondern vor allem auch mit sozioökonomischen Problemfaktoren als mutmaßlichen Ursachen
einhergehen. Gerade die Entwicklung kommunaler Disparitäten lässt sich zwischen Ländern
und Regionen sehr deutlich anhand der Entwicklung der höchst unterschiedlich verteilten
Kassenkredite aufzeigen. Zugleich ist gerade in einer mehrjährigen Längsschnittbetrachtung
unstreitig, dass je höher eine Kommune über Kassenkredite verschuldet ist, desto größer
und länger die Diskrepanz zwischen Finanzkraft und Ausgabenbedarf ausfällt.
Demgegenüber gewährleistet der nach dem NKomInvFG zu je einem Drittel in die Zuweisungsberechnung
einfließende Einwohner- und Arbeitslosigkeitsmaßstab, dass vermeintlich unfaire Verteilungen vermieden oder doch zumindest stark begrenzt werden. Dies betrifft insbesondere auch jene Kommunen, die keine Kassenkredite, aber dennoch - z. B. aus besonderer und langjähriger Sparksamkeit - eine ggf. zu geringe Investitionstätigkeit aufweisen. Diese Kommunen könnten argumentieren, dass ihnen zumindest in gleichem Maße
Mittel wie den höher und hoch verschuldeten Kommunen zuständen. Dies allerdings auch nur, wenn sich
stichhaltig begründen ließe, dass Kommunen mit hohen Kassenkreditbeständen diese aufgrund schon getä-
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tigter höherer Investitionen erworben und somit schon jenes Maß an entsprechenden Ausgaben getätigt hätten, das mit dem Kommunalen Investitionsprogramm des Bundes erst erreicht werden soll. Dies erscheint indes sehr unwahrscheinlich, da Kassenkredite regelmäßig Ausfluss ungedeckter konsumtiver Ausgaben sind
und im Vergleich stark mit geringen Sachinvestitionen pro Kopf korrelieren. Dennoch wäre eine Minderberücksichtigung von steuerarmen gegenüber steuerstarken und hoch verschudeten Kommunen zu vermindern.
Und genau dies gelingt über die Einwohnerzahl, die ausschließlich den an der Bevölkerung bemessenen generellen Investitionsbedarf abbildet, und zusätzlich über die Arbeitlosenzahl. Denn vor allem Letztere fällt regelmäßig mit einer hohen Belastung durch soziale Ausgaben und Folgebelastungen sowie meist auch mit
Merkmalen von Strukturschwäche zusammen (geringe Einkommen, wenige gewerbesteuerstarke Unternehmen). Das heißt, dass selbst, wenn Finanzschwäche in einem konkreten Fall nicht mit einem hohen Kassenkreditbestand einhergeht, eine solche Kommune zu einem Drittel einwohnerbezogene Zuweisungen und zu einem weiteren Drittel strukturbezogene Mittel erhält. Somit dürften vom gewählten Verteilschlüssel nur solche
Kommunen wirklich benachteiligt sein, die klein, steuereinnahmeschwach, von einer geringen Arbeitslosigkeit
gekennzeichhnet und mit fehlenden Kassenkrediten ausgestattet sind. Diese Konstellation dürfte indes vergleichsweise selten sein und kann in der Abwägung hinter solchen, durch die Kriterien sehr gut getroffenen
Fälle zurückstehen, die zwar faktisch oder potenziell steuerstark sind, jedoch aufgrund von Strukturwandel,
hohen Soziallasten oder anderen Faktoren seit mehreren Jahren große Fehlbeträge angesammelt haben und
daher Investitionen vernachlässigen mussten.
Kassen- bzw. Liquiditätskredite sind deshalb zu Recht ein häufig genutzter Indikator für
die Abbildung kommunaler Finanzprobleme. Neben dem Bundesfinanzministerium erkennen
auch die Deutsche Bundesbank und das Statistische Bundesamt Kassenkredite längst als
Indikator für die kritische Finanzsituation der kommunalen Gebietskörperschaften an. Und
auch in der Finanzwissenschaft werden die Kassenkredite für einen zentralen Krisenindikator
der Kommunalfinanzen gehalten. Insofern erscheint die Anwendung ebenso im Rahmen der
Umsetzung des Kommunalen Investitionsprogramms in Niedersachsen sachgerecht.
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