Dr. Paul Lang, Amöneburg Zuspruch am Morgen (hr 2) Donnerstag, 21. April 2016 Anselm von Canterbury Heute, am 21. April, ist der Gedenktag des heiligen Anselm. Anselm stammt eigentlich aus Aosta, einem kleinen Städtchen in den italienischen Alpen; als Beinamen wird ihm aber gewöhnlich „Canterbury“ zugewiesen. Anselm wurde in reifen Jahren nämlich Bischof dieser Stadt und damit erster Mann der Kirche von England, als Nachfolger des zu seiner Zeit hochberühmten Theologen Lanfranc. Um diesen Lanfranc zu hören, von ihm zu lernen, hatte Anselm als junger Mann seine Heimat und seine Familie verlassen. Nach langem Zögern trat er schließlich in dessen Kloster in der Normandie ein und wurde Benediktinermönch, genau wie Lanfranc, sein Lehrer. Die Welt mit der Kraft des Verstandes, mit Wissen zu durchdringen, war das zentrale Anliegen, das Anselm während seines ganzen Lebens beschäftigte. Als er im Jahr 1033 geboren wurde, bestimmte für die meisten Menschen unstrittig der Glauben das Leben. Anselm stellte dem einen neuen Satz gegenüber: „Credo ut intellegam“ – „Ich glaube, damit ich verstehe!“ Für seine Zeit war das ein revolutionärer Ansatz – und modern ist er bis heute. Nicht mehr aufgehört hat seit damals die seltsame Konkurrenz zwischen Glauben und Wissen: Welche Weltsicht ist die richtige, die entscheidende? Kann das Wissen den Glauben überflüssig machen oder Gott auf die Spur kommen – ihn beweisen oder widerlegen? Anselm stellt seine Fragen vom Glauben her an das Wissen, an den Verstand: „Wenn doch nichts größer und vollkommener als Gott sein könne, dann müsse Gott zweifellos auch existieren“, folgert er. „Denn“, so Anselm, „was im Gedanken, der Vorstellung und der Realität besteht, ist zweifellos größer als das, das nur in der Vorstellung existiert.“ Über Jahrhunderte beschäftigten sich Denker und Philosophen mit diesem sogenannten „Gottesbeweis“ Anselms. Das Wesen dieses sogenannten „Beweises“ steckt in der Definition, im Begriff „Gott“. Das kritisieren Anselms Gegner von Anfang an. Verblüffend ist sein Gedankengang trotzdem auch heute, nach 1000 Jahren noch, finde ich. Kann mein Verstand Gott denken, sich Gott vorstellen? Versucht das nicht jeder, der glaubt? Nähert sich nicht jeder Mensch, wenn er glaubt, Gott mit den Möglichkeiten seines Verstandes? Viele Jahre seines Lebens war Anselm eng in Konflikte zwischen Kirche und Politik eingebunden: Machthaber schickten ihn ins Exil, weil er für eine Kirche ohne staatliche Bevormundung eintrat. Umgekehrt nahmen staatliche Führer den Glauben ernst und betrachteten den Einfluss kirchlicher Amtsträger kritisch. Glauben und Wissen sind keine verbindungslos nebeneinander existierenden Welten. Seit Anselm ist das offensichtlich. Und ich meine, das ist gut so. Solange aus der Welt des Glaubens Fragen an die Welt des Seins und Wissens gestellt werden, verhindert es, dass Machbarkeit und Profit die einzigen Kriterien sind, die dort Gültigkeit haben. Umgekehrt tut es den Welten des Glaubens gut, wenn Fragen der Vernunft an sie gestellt werden: Es kann sie vor Fanatismus und Sektierertum bewahren. Wer glaubt, tut gut daran, auf seine Vernunft zu hören, um nicht zum religiösen Schwärmer zu werden. Glauben und Wissen in wechselseitigem Austausch: Das ist eine moderne Haltung, denke ich, die Anselm uns vermitteln kann. Gut, wenn wir beides im Blick behalten.
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