Wirtschaft 9 Tages-Anzeiger – Dienstag, 16. Februar 2016 Im Sog der tiefen Zinsen Gemeinnützige Stiftungen erzielen mit ihrem Vermögen kaum noch Zinsgewinne. Das bekommen vor allem jene zu spüren, die auf ihre Gelder angewiesen sind. Franziska Kohler Bald ist es 50 Jahre her, dass Otto Streicher gestorben ist. Das Stadtbild von Zürich prägt der Architekt aber noch immer: Er baute einige der bekanntesten Wohnsiedlungen der Stadt, entwarf und betrieb die Kinos ABC, Rex und Scala. Weil er von seinem Reichtum etwas weitergeben wollte, gründete Streicher zusammen mit seiner Frau die Steo-Stiftung und stattete sie mit einem Kapital von 5 Millionen Franken aus. Während 50 Jahren diente dieses Geld der Kultur. Die Stiftung unterstützte Talente aus Literatur, Kunst und Wissenschaft mit finanziellen Beiträgen. Doch seit vergangenem Jahr ist Schluss: Die Stiftung hat ihre Tätigkeiten ein gestellt – wegen des «kontinuierlichen Rückgangs der Zinserträge der letzten Jahre», wie sie auf der Website schreibt. Das Kapital über 5 Millionen Franken sei grösstenteils in Kassenobligationen angelegt gewesen, sagt Geschäftsführerin Heidi Strässler. Vor 20 Jahren warfen diese Anlagen im Schnitt etwa 5 Prozent Zins ab. Heute sind es noch 0,3 Prozent. «Unter diesen Umständen hat der Stiftungsrat beschlossen, das restliche Vermögen für Grossprojekte aufzubrauchen und den Betrieb einzustellen», sagt Strässler. «In einem normalen Zins umfeld wäre das nicht zur Diskussion gestanden.» In Basel-Stadt ist die Stiftungsdichte am höchsten BL BS Anzahl Stiftungen pro 10 000 Einwohner (2014) 12,9 46,1 CH 16,0 BL 15,6 11,3 SO 10,6 NE 13,3 NW 18,8 BE VD 18,8 FR 13,6 OW 13,6 Kunst, Kultur, Freizeit 13,6 32,3 Religion GR 23,9 TI GE VS 23,9 17,6 9 Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Umwelt-, Naturschutz GL 13,4 10 Gesundheit 20,9 UR 19 AI SZ 17,8 21 Internationales, Ausland 10,1 18,4 23 Soziales 18,6 SG ZG 21,6 LU AR 9,2 15,8 AG Bildung, Forschung TG ZH 7,8 JU Stiftungszwecke, in % Stiftungszwecke SH 8 5 4 Entwicklung Anzahl Stiftungen 14000 12000 22,4 10000 8000 30 Prozent mehr Liquidationen Die Steo-Stiftung ist kein Einzelfall. Das zeigt der aktuelle Schweizer Stiftungs report. Im Jahr 2014 verzeichnete er 226 liquidierte Stiftungen. Das sind 30 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Gleichzeitig fiel die Zahl der Neugründungen zum ersten Mal seit 2009 unter die Marke von 365. Der häufig gehörte Satz «In der Schweiz wird jeden Tag mehr als eine Stiftung gegründet» stimme deshalb nicht mehr, schreiben die Verfasser des Berichts. Zudem sei nicht davon auszugehen, dass sich langfristig wieder deutlich höhere Zuwächse ergäben. Denn viele Stiftungen finanzieren sich immer noch über risikoarme Anlageformen, also zum Beispiel Staatsanleihen oder Obligationen von soliden Firmen, weil die Stiftungsgründer das so in den Statuten festgeschrieben haben. Doch seit die Zinsen in den Keller gerasselt sind, werfen gerade diese Anlagen kaum noch Erträge ab. Die letztes Jahr eingeführten Negativzinsen haben den Sog nach unten noch verstärkt. Die Folgen dieser Entwicklung beobachtet Alexander Jolles im Berufsalltag. Er ist Partner in einer Anwaltskanzlei, Stiftungs- und Kunstrechtsexperte und hat selber Einsitz in fünf Stiftungsräten. «Die meisten Stiftungen, die ich kenne, leiden unter den fehlenden Erträgen auf den Finanzmärkten», sagt Jolles. Denn viele sind nicht nur dazu verpflichtet, ihr Geld risikoarm anzulegen. Es ist ih- 98 00 02 04 06 08 10 12 14 TA-Grafik kmh/Quelle: Stiftungsreport 2015, Verbandsmanagement Institut (VMI), Universität Freiburg nen auch per Statuten verboten, das Stiftungsvermögen anzutasten, vor allem wenn es sich um Sachwerte wie etwa Kunstsammlungen handelt. Für Förderleistungen dürfen sie nur ihre Kapitalerträge einsetzen. «In der Vergangenheit war das sinnvoll, da die Zinserträge für den Betrieb ausgereicht haben», sagt Jolles. Doch das habe sich geändert. Gerät eine Stiftung in Finanznot, hat sie drei Möglichkeiten. Entweder, sie zehrt das Stiftungsvermögen auf, um weiterhin Förderbeiträge in der gewohnten Höhe auszahlen zu können – und schafft sich damit sukzessive selbst ab. Oder sie findet neue Spender und Sponsoren. Gelingt das nicht, muss sie ihr Fördervolumen zurückfahren. «Ich kenne einige Stiftungen aus dem Kunst- bereich, die sich nun überlegen, ihre Aktivitäten zu reduzieren oder sogar Kunstwerke zu veräussern, um sich weiter finanzieren zu können», sagt Jolles. Die Entwicklung habe sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft und mittlerweile ein besorgniserregendes Ausmass angenommen: «Ich kann mir vorstellen, dass einige Stiftungen ihren Zweck nicht mehr erfüllen können.» So offen wie die Steo-Stiftung gehen allerdings die wenigsten mit ihren Problemen um. Dabei sind gerade jene Stiftungen am stärksten betroffen, von denen es am meisten gibt: kleinere Institutionen mit einem überschaubaren Vermögen. Laut dem Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel besitzen 80 Prozent aller gemein- Benita Vogel Migros lässt die Lieferanten von Sonnenbrillen, Videogames oder Handtaschen in den Läden arbeiten. Denner tut es mit Herstellern von Tiefkühlprodukten oder Raucherwaren. Und Coop lässt Schmuckund Buchlieferanten ihren Job in den Filialen machen. Die Detailhändler nennen das im Fachjargon Rack-Jobbing: Lieferanten stellen das Sortiment zusammen, übernehmen die Anlieferung der Produkte und bestücken die Gestelle, machen das Pricing und bauen manchmal auch die Verkaufsfläche selber auf. Nun hat Buchhändlerin Orell Füssli Thalia (OFT) dieses Geschäftsmodell als Wachstumsfeld für sich entdeckt. Der Umsatz in den eigenen Läden schwächelt, neue Absatzkanäle sind eine will- 10 000 Franken Ertrag im Jahr Eine Studie der Denkfabrik Avenir Suisse bestätigt diese Einschätzung. Gut ein Viertel der Stiftungen hat demnach ein Vermögen von weniger als 0,5 Millionen Franken. Bei einem (optimistisch geschätzten) Realzins von 2 Prozent ergibt sich daraus noch ein Kapitalertrag von unter 10 000 Franken im Jahr. Stiftungs- Stiftungsland Schweiz Vermögen in Milliardenhöhe 12 957 gemeinnützige Stiftungen zählte der Schweizer Stiftungsreport schweizweit per Ende 2014. Das ergibt durchschnittlich 16 Stiftungen pro 10 000 Einwohner. Damit ist die Stiftungsdichte in der Schweiz eine der höchsten weltweit. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind allerdings gross: Am höchsten ist die Stiftungsdichte in Basel-Stadt mit 46,1, am tiefsten ist sie im Kanton Aargau mit 7,8. Das Gesamtvermögen aller Stiftungen wird auf rund 70 Milliarden Franken geschätzt, die jährlichen Ausschüttungen auf 1,5 bis 2 Milliarden Franken. Wird ihr Zweck von den Steuerbehörden als gemeinnützig anerkannt, sind Stiftungen von den Steuern befreit. Laut einer Studie haben schätzungsweise 80 Prozent aller Stiftungen keine Mitarbeiter, Orell Füssli Thalia arbeitet bald für Coop Händler lassen Lieferanten für sich arbeiten: Für Coop verkauft bald Orell Füssli Thalia Bücher. Risiken gehen damit beide ein. nützigen Stiftungen weniger als 3 Millionen Franken. Sie litten besonders unter der Situation auf dem Finanzmarkt, sagt CEPS-Direktor Georg von Schnurbein. «Für sie ist es sehr schwierig geworden, ihre Gelder gewinnbringend anzulegen. Gleichzeitig steigen die Bank-, Revisionsund Aufsichtskosten und fressen die geringen Erträge auf.» kommene Gelegenheit, den Rückgang aufzufangen. Ab März übernimmt OFT den Bücherverkauf von Coop, vorerst in zehn Coop-City-Filialen, wie die Detailhändlerin bestätigt. Gelingt der Test, winkt ein Auftrag mit 32 Warenhäusern und mehr als 200 Kiosken. Für OFT wäre das eine Stärkung des Geschäftskundenbereichs. Dieser hatte in letzter Zeit gelitten, wegen einer SoftwareUmstellung, wie Kenner sagen. Nun wagt OFT also einen neuen Schritt und hat für den Coop-Auftrag eigens eine neue Buchhändlerin engagiert. OFT selber will dazu nichts sagen. Grosser Aufwand für Lieferanten Wie rentabel das neue Wachstum sein wird, bleibt zu hinterfragen. Im RackJobbing ist der Aufwand für die Lieferanten gross. Die Margen fallen hingegen meist dünn aus. «Nur wenn man eng kalkuliert und sehr gute Konditionen anbietet, kommt man bei den Dateihändlern rein», sagt einer, der das Geschäftsmodell ausprobiert hat. Der Lieferant stellt dabei dem Detailhändler verkaufte Produkte in Rechnung. Das Warenrisiko trägt der Lieferant, auf nicht verkaufter Ware bleibt er sitzen. Für die Detailhändler ist nicht nur das ausgelagerte Risiko ein Vorteil. Sie profitieren beim Know-how und der optimierten Warenpräsentation von den Rack-Jobbern. Sie haben immer die aktuellsten Produkte in genügend grosser Menge zur Verfügung. Das ist vor allem bei Produkten, die sich rasch verkaufen – Süssigkeiten an den Kassen beispielsweise –, ein Vorteil. Nicht alle Händler arbeiten indes mit Rack-Jobbern zusammen. Aldi und Lidl lassen die Lieferanten nicht in ihre Filialen rein. «Unser Prinzip besteht aus Verkaufsflächen, die wir selber gestalten und betreiben», sagt eine Lidl-Sprecherin. Die Kontrolle über Sortimente und Ladengestaltung aus der Hand zu geben, birgt denn auch Risiken. «Ein Lieferant kann uns theoretisch Produkte in Rechnung stellen, die er gar nie geliefert hat, bei uns gilt dies dann als Diebstahl», sagt ein Handelskadermitarbeiter. Und selber m achen könne auch günstiger sein als die Lieferantenlösung – wenn Prozesse wie die Logistik genügend zentralisiert seien. sondern werden von nebenamtlichen und oft unentgeltlich arbeitenden Stiftungsräten geführt. Die meisten Förderbeiträge fliessen in die Bereiche Bildung und Forschung (Stipendien, Aus- und Weiterbildung), Soziales (Sozialhilfe, Altersheime, Beratung und Begleitung, Direkthilfe), Kunst, Kultur und Freizeit sowie Gesundheit. (fko) experte von Schnurbein geht deshalb davon aus, dass es sich bei den vielen Liquidationen 2014 vor allem um kleinere Stiftungen handelte, die zum Schluss kamen, dass sich das Weitermachen nicht mehr lohnt. Die Lage erinnere ihn an die Zeit nach der Finanzkrise 2007/2008. «Damals verzeichneten viele Stiftungen grosse Einbussen auf ihren Anlagen.» Zu spüren bekommen solche Einbussen jene, die auf die Beiträge aus den Stiftungskassen angewiesen sind: Studenten mit wenig vermögenden Eltern etwa oder Kunsthäuser. So berichten die Universität Zürich und die Zürcher Hochschule der Künste ZHDK von Stiftungen, die ihre Beiträge für Studenten wegen des tiefen Zinsniveaus kürzen mussten. Und laut dem Aargauer Kunsthaus ist es schwieriger geworden, genügend Fördergelder einzunehmen, um die Ausstellungen zu finanzieren. Georg von Schnurbein kann der Entwicklung allerdings auch Positives abgewinnen. «Der Stiftungssektor muss sich heute viel intensiver mit der Frage beschäftigen, wie er sein Vermögen am besten anlegt. Früher wurde das oft vernachlässigt.» Ausserdem sei er gezwungen, die Gelder noch gezielter einzusetzen. «Das kann auch eine Chance für neue Projekte und Themen sein.» Chinas Exporte brechen weg Sowohl die Exporte wie auch die Importe sind im Reich der Mitte stärker geschrumpft als erwartet. Die Regierung ist besorgt. Die Turbulenzen an den Börsen machen China nach den Worten von Ministerpräsident Li Keqiang zu schaffen. «Der aktuell währende Abschwung an den internationalen Märkten belastet Chinas Konjunktur spürbar», wurde Li am Montag in staatlichen Medien zitiert. Er sehe aber weiterhin ein grosses Potenzial für sein Land, das angesichts hoher Sparquoten genügend Handlungsspielraum habe. China habe seine Lektion aus dem Crash am Aktienmarkt und dem Auf und Ab am Devisenmarkt gelernt, sagte Li. Dazu gehörten ein besseres internes Management, rasche und effizientere Massnahmen sowie technische Lösungen. Die chinesischen Ausfuhren fielen im Januar um 11,2 Prozent zum Vorjahresmonat. Das war bereits der siebte Rückgang in Folge, der überdies sechsmal so stark ausfiel wie erwartet. Experten sprachen von einem Fehlstart ins Jahr. Überdurchschnittlich stark nahmen die Exporte in die Europäische Union ab, auch jene in benachbarte Staaten wie Südkorea und Taiwan sowie in die USA schrumpften. Dagegen verdoppelten sich die Ausfuhren nach Hongkong, was Experten zufolge auf spekulative Finanzströme hinweist: Wegen der Abwertung des Yuan versuchen Spekulanten, ihr Geld in Sicherheit zu bringen, und tarnen dies als Exportgeschäfte. Die Zentralbank versucht gegenzusteuern und liess die Landeswährung am Montag zeitweise auf den höchsten Stand seit Ende Dezember aufwerten. Auch die Importe brachen um 18,8 Prozent ein. Angesichts der unsicheren Entwicklung wolle die Regierung in diesem Jahr kein Wachstumsziel für den Aussenhandel ausgeben, sagte ein In sider aus dem Handelsministerium zu Reuters. 2015 war der Handel um 8 Prozent gesunken, während die Regierung ein Plus von 6 Prozent angestrebt hatte. (Reuters)
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