Das Kleid der Erde - Pflanzen in der Lebenswelt des Alten Israel ISBN 3-7668-3653-6 Kirsten Nielsen Der Baum in der Metaphorik des Alten Testam ents* 1. Einleitung In dem Gedicht des dänischen Autoren Benny Andersen mit dem Titel »Lösung des Rätsels des Lebens« heißt es: Das kleine Mädchen rief zu meiner Frau: »Schau, ich springe Seil! Ich kann es nicht, aber ich mache es trotzdem! Denn wir werden heute abend Gäste haben, und ich freue mich darauf, und ich kann nicht warten deswegen springe ich!« Obwohl es mir schwerfällt, mir einen springenden Schöpfer vorzustellen, ist es mir sofort in den Sinn gekommen, daß ungefähr auf die gleiche Weise das Leben entstanden sein muß. In diesem Gedicht bringt Benny Andersen zum Ausdruck, wie er sich die Schöpfung der Welt durch Gott vorstellt. Gott macht das, was eigentlich nicht machbar war. Aber Benny Andersen verrät gleichzeitig, wie er zu dieser Auffassung gekommen ist. Plötzlich, bei dem Anblick des springenden Mädchens, bekommt er die notwendige Sprache. In der Form eines Bildes kann er über etwas sprechen, für das Worte zu finden sonst schwer fällt: das Wunder der Schöpfung. Wenn die alttestamentlichen Verfasser über den Gott Israels sprachen, mußten auch sie zu Bildern greifen. Und auch sie wählten Bilder aus dem Alltag. Sie sprachen zwar nicht über den Schöpfer wie über ein kleines Mädchen, das Seil springt; aber sie gebrauchten Bilder wie das des lebensnotwendigen Wassers, das die Abhängigkeit Israels von der Nähe zu Gott zeigt, oder das Bild des Feuers, das die alles zerstörende Katastrophe beschreibt. Diese Bilder entstammen der Lebenswelt des Menschen, und es kann daher nicht verwundern, daß auch der Baum in der Metaphorik häufig vorkommt, wenn über das Verhältnis zwischen Israel und seinem Gott gesprochen wird. Der Baum wird als Bild für einzelne Menschen oder als Bild für Israel gebraucht. Und es ist charakteristisch für den Bildgebrauch, daß der Baum nie als ein Gewächs beschrieben wird, das einsammajestätisch in Gottes schöner Natur steht und dem Betrachter ein ästhetisches Erlebnis vermittelt. Wenn ein Mensch oder ein Volk als Baum beschrieben werden, so ist es immer ein Baum, an dem Jahwe aktiv handelt. Es ist Jahwe, der den Baum an einer wasserreichen Stelle pflanzt und ihm damit gute Wachstumsbedingungen sichert, oder es ist Jahwe, der den glühenden Oststurm über den Baum schickt, so daß dieser versengt wird. Jahwe kann zur Axt greifen und den Baum fällen, wilde Tiere über den Zaun schicken, so daß die Trauben abgenagt werden, oder Jahwe kann den Baum wieder sprießen lassen. Auch die Grundbedingungen des Lebens sind geprägt von der Kultur, in der sie vorkommen. Zwar kennt man den Baum aus der Alltagswelt, und jeder, der in einer Umgebung mit Bäumen aufgewachsen ist, kann das Bild unmittelbar verstehen; aber will man zu einem genaueren Verständnis des Baumes als Metapher gelangen, ist es notwendig zu untersuchen, wozu man in der Vergangenheit Bäume gebrauchte und welche Vorstellungen man damit verband. Eine Metapher oder ein Bild 1entsteht, wenn zwei Bereiche zusammengebracht werden, die normalerweise nicht zusammengehören. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der beiden Bereiche entsteht eine Wechselwirkung, die zu interpretieren die Aufgabe des Zuhörers oder des Lesers ist. Wenn die junge Frau im Hohenlied ihren Geliebten als »einen Apfelbaum zwischen den Bäumen des Waldes« bezeichnet und ihre Freude beschreibt, in seinem Schatten zu sitzen und seine Früchte zu genießen (Hld 2,3), dann ist es die Aufgabe des Lesers zu entscheiden, in welchen Punkten der junge Mann einem Baum gleicht und in welchen er sich von einem Baum unterscheidet. Und nur derjenige, der weiß, was ein Apfelbaum ist und wie man damals einen Apfelbaum bewertete, hat die Möglichkeit zu verstehen, was der Verfasser gerade mit diesem Bild meinte. Hätte das junge Mädchen ihren Geliebten stattdessen mit einem Lebensbaum verglichen, müßten wir überlegen, welche Vorstellungen und Erzählungen über Lebensbäume in der altorientalischen Kultur existierten. Denn schon der Begriff Lebensbaum erweckt den Eindruck, einem größeren Sinnzusammenhang entnommen zu sein, der dem damaligen Leser bekannt war und aus dem der Begriff seine Bedeutung erhält. Ein anderes wichtiges Merkmal der Bildsprache ist ihre Offenheit für Neuinterpretationen. Eines der bekanntesten Bilder im Alten Testament ist der Weinberg, und genau dieses Bild war reich an Deutungsmöglichkeiten und deshalb vielfältig verwendbar. Schon ein rasches Überfliegen des Weinberggleichnisses in Jes 5,1-7 und seiner Wiederaufnahme in Jes 27,2-6 zeigt, wie die Erzählung über den Weinberg variiert werden und zu einer ganz neuen Verkündigung führen kann. Verfolgen wir die Wirkungsgeschichte des Gleichnisses vom Weinberg bis ins Neue Testament, zeigt sich beispielsweise im Gebrauch des Weinstocks als Bild im Johannesevangelium, daß ganz verschiedene Aspekte des Weinstocks aufgegriffen werden können (vgl. Joh 15,1-8). Aus dem Vorherigen ergibt sich, daß bei der Analyse der Bildsprache folgendermaßen vorzugehen ist: Zuerst untersuchen wir, welche Baumtypen es gab und wie diese in der damaligen Gesellschaft verwendet wurden. Wir müssen wissen, über welche Nutzhölzer und welche Fruchtbäume in der Bibel gesprochen wird. Als Quellenmaterial hierfür können wir primär die erzählenden Texte des Alten Testaments heranziehen. In diesem Zusammenhang muß ferner untersucht werden, welcher Wert den einzelnen Baumsorten beigemessen wurde. Und wenn wir Bäumen gegenüberstehen, die in die religiöse Vorstellungswelt eingegangen sind, dann müssen wir uns natürlich mit den Erzählungen befassen, die mit solchen Bäumen verbunden sind. Erst danach kann die Analyse der Baumbilder an konkreten Beispielen erfolgen. Und dabei muß sowohl Rücksicht auf die generellen Konnotationen genommen werden, die sich an den Baum knüpfen, als auch auf den konkreten Kontext und den besonderen Gebrauch, den der jeweilige Verfasser vom Bild macht. Schließlich wird die Analyse eines zentralen Bildes im Alten Testament oft den Anstoß für Überlegungen über seine Wirkungsgeschichte geben können. Wenn wir uns im folgenden mit der metaphorischen Verwendung des Baumes beschäftigen, wird die Vorgehensweise von diesen methodischen Vorüberlegungen bestimmt sein. Wir beginnen mit einer allgemeinen Untersuchung des kulturellen Hintergrundes für Baumbilder. Danach gehen wir über zu konkreten Beispielen, wobei wir das Buch der Psalmen als Ausgangspunkt nehmen, um danach zu dem alttestamentlichen Propheten zu kommen, der besonders häufig das Bild des Baumes verwendet hat: Protojesaja. Anschließend wenden wir uns der Wiederaufnahme des Baumbildes bei Ezechiel zu. 1. Der Begriff »Bild« wird in diesem Aufsatz als eine Sammelbezeichnung für verschiedene Formen der Bildsprache gebraucht: Metapher, Vergleich, Gleichnis, Allegorie. Die Begründung für den Gebrauch einer solchen Sammelbezeichnung ist darin zu sehen, daß sämtliche Formen der Bildsprache eine gemeinsame Grundstruktur aufweisen, da ein Bild durch die Zusammenführung zweier verschiedener Bereiche entsteht, die damit in Interaktion miteinander gebracht werden. Vgl. K. Nielsen, There ist Hope for a Tree. The Tree as Metaphor in Isaiah (JSOT.S 65), Sheffield 1989, 42-67, bes. 65f, wo sich eine genauere Beschreibung der Funktion alttestamentlicher Bildsprache findet. * Aus dem Dänischen übersetzt von Frau I.-F. Burkantat, Quickborn.
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