Platz 5 - Dietmar Schubert

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Bergedorf
D Meldungen
TAGESFAHRT
Essen wie damals
bei Oma
Bergedorf-West (cr). Gutes
Essen wie bei Oma wird
den Teilnehmern einer
Ausfahrt des Awo-Seniorenclubs Bergedorf-West
serviert: Am Freitag, 18.
September, geht es dazu
nach Bosau am Plöner See.
In „Schmidts Gasthof“
werden „kulinarische
Genüsse aus Omas Rezeptbuch“ angeboten – ein
Büfett mit Fliederbeersuppe beziehungsweise
Birnen, Bohnen und Speck.
Nach dem Mittagessen
geht es mit dem Bus ins
Umland. Wer für 39,50
Euro mitfahren möchte,
kann sich von sofort an bei
Jürgen Schenk unter Tel.
738 19 33 anmelden. Abfahrt: 10 Uhr, Buskehre
Friedrich-Frank-Bogen.
TERMINE
6. August
10.00-13.00: Kostenlose
Beratung zu Behördenschreiben, Anträgen etc.
(Westibül, Friedrich-FrankBogen 59)
14.00-16.00: Musik von
Horst Sombert am Keyboard (Awo-Seniorentreff
im Lichtwarkhaus, Holzhude 1)
14.00-19.00: Badeaufsicht
durch den Verein SiWa am
Allermöher See
19.00: Weinabend mit
Sommelière Alexandra
(Café Chrysander im
Schlosspark)
20.30: US-Hillbilly-Duo
„Hymn for her” beim Club
am Donnerstag (Happy
Billard, Kurt-A.-KörberChaussee 73)
7. August
14.00-19.00: Badeaufsicht
durch den Verein SiWa am
Allermöher See
15.00-19.00: DRK-Blutspende (DRK-Altentagesstätte, Leuschnerstraße
103)
15.00: Symbole des Judentums, Vortrag mit Dr. Gundula Krüger (Haus im Park,
Gräpelweg 8)
„MITTENDRIN!“
Bauernhof, Strand
und mehr
Bergedorf cr). Ein Ausflug
zum Kinderbauernhof in
Kirchdorf steht am Donnerstag, 13. August, beim
Verein „mittendrin!“ für
Menschen mit und ohne
Behinderung auf dem
Programm. Zwölf Kinder
ab sechs Jahre können
mitfahren. Geplant sind
weiterhin ein Ausflug zum
Elbstrand (20. August)
oder zu Planten un Blomen
(24. August). Weitere Infos
gibt es unter der Telefonnummer (040) 888 80 60
KURSUS
Radeln lernen plus
Kinderbetreuung
Bergedorf (cr). Eine Kinder-
betreuung wird jetzt bei
dem Kursus „Fahrradfahren für Frauen“ angeboten, den Peri Arndt
(SPD-Bürgerschaftsabgeordnete) mit der TSG vom
31. August bis 11. September plant. Weitere Infos
gibt das Büro von Peri
Arndt unter Telefon (040)
72 54 46 02.
DONNERSTAG
6. AUGUST 2015
Fünf Preisträger zu Gast
LITERATURWETTBEWERB Großes Finale Ende August im Schloss
Bergedorf (upb). Zum großen Finale des AstroArt-Literaturwettbewerbs 2015 im Schloss
haben alle fünf Preisträger zugesagt. Damit verspricht der
Abend des 29. August im Bergedorfer Wahrzeichen wieder
ein vielfältiges Erlebnis zu
werden: Von 18 Uhr an lesen
am letzten Sonnabend dieses
Monats die Preisträger im
großen Saal ihre prämierten
Kurzgeschichten, die die Jury
aus 535 Einsendungen ausgewählt hat. Der Eintritt ist frei.
Von heute an drucken wir
die besten fünf Geschichten in
umgekehrter Reihenfolge in
unserer Zeitung. Den Anfang
macht „Die Uhr ohne Zeiger“,
mit der Dietmar Schubert aus
Wiesbaden Platz fünf belegt.
Er wird auch die Lesung am
29. August eröffnen, bei der jeder Autor von einem Jury-Mitglied vorgestellt wird.
Weiterer Höhepunkt des
Abends ist die Amtseinführung der Bergedorfer SchlossSchreiberin 2015: Suse Schröder (31) aus Berlin wird für einen Monat im Schloss arbeiten und zu Lesungen einladen.
Was sie zudem mit den Bergedorfern plant, stellt die Autorin am Abend ihrer Amtseinführung vor. Sie erhält ein Stipendium von 1500 Euro und
bezieht bis Ende September
eine Wohnung in Bergedorf.
Mit der Berlinerin Suse Schröder bekleidet nach den beiden
Österreichern Eva WoskaNimmervoll (2013) und Mortimer M. Müller (2014) erstmals
eine deutsche Autorin das
Amt des Bergedorfer SchlossSchreibers.
Der mit insgesamt 1600 Euro dotierte AstroArt-Literaturwettbewerb
und
das
Schloss-Schreiber-Stipendium werden von der Hamburger Volksbank und dem Bezirksamt gesponsert. Präsentiert von unserer Zeitung ist es
ein Projekt des Fördervereins
Kulturelle Initiativen um die
Initiatoren Ella Marouche und
Huug van’t Hoff.
Die Berlinerin Suse Schröder (31) ist Bergedorfs neue SchlossFoto: Radecke
Schreiberin.
„Die Uhr ohne Zeiger“
ASTROART Dietmar Schubert belegt mit dieser Geschichte Platz fünf des Literaturwettbewerbs
MONTAG
Die Uhr auf dem Bahnsteig
hat keine Zeiger. Gerüste. Betonsegmente. Der Wind weht
Baustaub durch die Bahnhofshalle. – Intercity nach Köln.
Dann umsteigen. Es ist Mai.
Ich denke an Karla, die Schöne. Benny ist voller Erwartungen. Vor uns sieben Tage Amsterdam.
Nach der Ankunft Streifzug
durchs Viertel. Dann ins Café.
Kopfstand, erfahren wir, heißt
die Verbindung von Bier und
Genever, an der Benny Geschmack findet. Ich trinke
Koffie verkeerd, Milch mit
Kaffee.
DIENSTAG
Nach dem Bilderrausch im
Van-Gogh-Museum sitzen wir
in einem Arbeitercafé. Die
miese Kopie des Mannes im
Goldhelm im barocken Gipsrahmen ist von einer bunt
blinkenden Weihnachtslichterkette umrahmt. Rembrandt
dreihundertfünfzig Jahre später. Mit einem Euro zwanzig
mein billigster Koffie verkeerd
in Amsterdam.
Sexshow im Moulin Rouge.
Beim Heimweg durchs Rotlichtviertel setzt sich die Kälte
in unsere Hautporen. Sehnsucht nach Karla.
Tag sechs Genever. Bier zählt
nicht.
Karla hat keine langen Haare. Wenn sie mal nicht arbeitet, dann fotografiert sie. Auch
im Urlaub ist sie ständig mit
der Kamera unterwegs.
FREITAG
Im Botanischen Garten sehen wir eine Welwitschia. Die
Pflanze, die am ältesten wird.
Über 2000 Jahre. Karla, die
Kluge, hat mir von ihr erzählt.
Zwei lange, halbvertrocknete
Blätter kriechen über den
Sandboden. Die bildhaften
Holländer nennen die Welwitschia Zwei Blätter, die nicht
sterben. Man sieht ihr an, dass
sie ihre Kräfte schont. Nur so
kann man wohl so ein Alter erreichen.
„Es ist fünf Genever“, sagt
Benny. Er schwankt schon beträchtlich. „Wird Zeit, dass
wir noch einen nehmen und
dann ab ins Bett.“ Ich sehe auf
die Uhr. Mitternacht. „Wie ist
das mit der Zeit?“, sage ich.
„Mit der Zeit?“ Benny kratzt
sich am Kopf. „Die gibt’s nur,
damit nicht alles gleichzeitig
passiert. Oder anders gesagt:
Du kannst eine Flasche Genever nicht in einer Sekunde
austrinken.“
Wie oft habe ich mich
schon gefragt, was das soll,
Karla und ich. Ob sie inzwischen gemerkt hat, dass ich
nicht zu Hause bin? Ob sie
mich vermisst?
Am
SAMSTAG
Haarlemer
Plein
stampft eine riemengetriebene Dampforgel den Eingang
zur Fußgängerzone platt. Sie
begräbt alle anderen Geräusche unter sich. Benny zuckt
in Breakdance-Rhythmen. Die
Zeit unterteilt in abgehackte
Intervalle. Gestottertes Leben.
Die Betreiber der Höllenorgel,
ein alter Mann und ein etwa
zehnjähriger Junge, bewegen
sich mit ihren kupfernen Bettelschalen wie meschugge inmitten des Lärms, als würden
sie von einem wild gewordenen Puppenspieler gelenkt.
Niemand gibt Geld. Alle versuchen, dem Getöse zu entrinnen. Wir erreichen die stillen
Inseln der Westerdoks. Hier
schläft die Zeit und liegt als
Katze verkleidet auf der Fensterbank eines alten Hauses.
MITTWOCH
Bei der Grachtenfahrt erfahren wir, dass einmal pro
Woche ein Auto ins Wasser
fällt. Ein alter Turm am Ufer.
Der Dumme Jakob erhielt seinen Spitznamen, weil seine
Turmuhr in den vergangenen
Jahrhunderten immer falsch
ging. Die scheinbare Realität
gemessener Zeit.
Karla, die Erfolgreiche. Arbeitet siebzig Stunden die Woche. Und mehr. Ihre immer
willkommene Ausrede. Nie
hat sie Zeit.
DONNERSTAG
Am frühen Abend Bummel
durch den Vondelpark. Wir
schauen den Frauen nach. „Es
gibt noch Mädchen mit langen
Haaren“, sagt Benny. „Hatte
auch mal eine. Früh eine Stunde und abends eine Stunde, bis
die trocken sind, nach dem
Waschen. Nie wieder eine mit
langen Haaren.“ Wir setzen
uns in eine Gartenkneipe. Das
Gebäude sieht aus wie ein Ufo.
Benny gibt die Zeit inzwischen in Genever an. Achtzehn Uhr ist zwei Genever,
denn er beginnt Nachmittags
um vier. Inzwischen hat sein
Dietmar Schubert stammt aus Sachsen-Anhalt und lebt heute in Wiesbaden. Dazwischen liegen
turbulente Jahrzehnte, denn der studierte Ingenieur gehörte zu den Menschen, die die DDR im
denkwürdigen Sommer 1989 über Ungarn verließen. Nach einem Fernstudium der Belletristik und
Sachliteratur schreibt er Erzählungen und Kurzgeschichten, ist seit 1996 Mitglied in mehreren Autorengruppen. Von Schubert stammen unter anderem Beiträge zu den „Kulinarischen LiteraturHäppchen“ (Berlin 2004), „Maleen. Das Buch“ (Frankfurt 2006) und zur „Genussliga“ (2014).
Auf den Grachtenbrücken
im Rotlichtviertel lungern
Bettler und Rauschgiftdealer
herum. Die Puppen in den
Schaufenstern blicken meist
ausdruckslos.
Karla, die ungefährliche.
Von ihr ist keine Nähe zu befürchten.
SONNTAG
Mittags tragen mich die
Wellen des Ozeans aus dem
Concertgebouw auf die Straße. Debussys La Mer im Ohr,
drifte ich benommen ins Stedelijk-Museum. Der Nachmittag wie im Rausch. Erstaunt
sehe ich auf die Uhr, als sie
mich hinauswerfen.
Die Laternen vor dem Café
van Zuylen verströmen ihr
sanftes Abendlicht. Auf dem
Kopfsteinpflaster glänzt die
Nässe des letzten Regengusses. Die junge Frau am Nebentisch zeigt netzbestrumpfte
Beine. Ein letzter Hund trottet
mit seinem Frauchen vor der
Scheibe vorbei.
MONTAG
Der ICE verlässt Amsterdam. Wir jagen durch die holländische Ebene. Klischeebeladene Bilder mit Schafen und
Windmühlen ziehen vorüber.
Ankunft zu Hause. Ich
schaue nach der Bahnhofsuhr.
Sie hat noch immer keine Zeiger. Abends rufe ich Karla an.
„Ich war in Amsterdam“,
sage ich. „Ich habe dir geschrieben.“
„In Amsterdam? Heute?
Was du immer erzählst.“
Ich schweige.
„Unsere Verabredung fürs
Wochenende,“ sagt Karla, „es
geht nicht. Ich muss dienstlich
nach London.“
„Nach London“, sage ich.
„Schade... – Und was ist heute
und morgen und übermorgen?“
„Keine Zeit“, sagt sie.
Ich sitze am offenen Küchenfenster. Die Mauersegler
jagen ums Haus. Weit hinten,
überm Taunus, geht die Sonne
unter. Mir ist, als hätte ich eine
Woche jenseits der Zeit verbracht, als hätte mir ein anonymer Gönner sieben Tage geschenkt. Ich hätte jetzt Benny
anrufen können. Nur mal so.
Um zu schauen, ob er irgendetwas über unsere Reise sagen
würde. Und das würde er garantiert. Wenn wir wirklich in
Amsterdam gewesen sind.
Aber ich will nicht.
Auf dem Tisch sieben Briefe an Karla.