22 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 2. September 2015 Bellevue Züritipp Der Echo-Jäger Fabio Soldati kreierte den Peak-Finder, mit dem man per Smartphone Berge identifiziert. Jetzt legt er eine verspielte App nach – sie sammelt Schweizer Echos. Konzert Art & Dance Pop FFS Nun ist es endlich so weit: Das aus dem Juli verschobene Konzert der fusionierten Bands Franz Ferdinand und Sparks findet statt. FFS jagen komprimierte Energie in den klugen, komischen, überdreht-melodischen Art Pop der Sparks, also der Gebrüder Ron (stoisch am K eyboard) und Russell (hibbelig am Mikrofon) Mael. Schon allein diese zwei Musiker sind immer wieder sehenswert. (duk) X-tra, Limmatstr. 118, 19.30 Uhr Theater Vorbei? Kino Herzlichen Glückwunsch! Circus Jupiter Nashville Die Produktion der Zürcher Gruppe Triad Theater company wird als ein musikalisch-c ircensisches Spektakel a n gekündigt. Es befasst sich mit Menschen, die nicht mehr mithalten können – älteren Künstlern beispielsweise, die nicht mehr angesagt sind. (ZT) Kochareal, 20.30 Uhr Zum 200. Geburtstag der USA erfand Robert Altman eine neue Art Film: Hier kreuzen sich die Wege von 24 Figuren, die auch noch durcheinanderreden. Da wird gesungen, gesoffen und getötet. Die fantastischen Schauspieler schrieben übrigens ihre Songs selbst. (bod) Filmpodium, Nüschelerstr. 11, 20.30 Uhr Mittwoch Kino Sunset Boulevard Von Billy Wilder USA 1915; 110 min. Xenix, Helvetiaplatz, 21.15 Uhr Das Blut an den Lippen der Liebenden Von Christian Schocher CH 1997; 85 min. Filmpodium, Nüschelerstr. 11, 15.30 Uhr Konzerte Dee Day Dub Urban/Grunge Bäckeranlage, Hohlstr. 67, 20 Uhr Milow Pop. Belgien Kaufleuten, Pelikanplatz, 20 Uhr «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli» Landesmuseum, Museumstr. 3, 10–17 Uhr Familien/Kinder Der kleine Rabe Socke 2 von Münchow-Pohl, S. Jesse D 2015; 73 min. Ab 6 Jahren Arena 6, Kalanderplatz 8, 13.30 Uhr Capitol 3, Weinbergstr. 9, 14.45 Uhr Kinderflohmarkt Tauschen, Verkaufen, Finden GZ Affoltern, Bodenacker 25, 14–17 Uhr Murmelispiel Kügelibahn aus Karton, Styropor und Papier bauen. GZ Hirzenbach, Helen-Keller-Str. 55, 14–17 Uhr Foto: zvg Anzeige Oddisee & Good CMPNY Rap. USA Exil, Hardstr. 245, 20 Uhr Bühne Märli am See 2015 Frank Baumann, Reeto von Gunten und Timmermahn lesen neu erdichtete Märchen für Erwachsene. Seebad Enge, Mythenquai, 20.30 Uhr Ausstellungen Ein Goldenes Zeitalter Meisterwerke der holländischen Malerei. Gemälde von Adriaen Coorte, Jan van Goyen u. a. Kunsthaus, Heimplatz 1, 10–20 Uhr Chant 1450 mit Melinda Nadja Abonji * Madrigale des 16. Jahrhunderts mit Liebestexten von Petrarca treffen auf die neuen, noch unveröffentlichten Texte von Melinda Nadja Abonji, Gewinnerin des Schweizer und Deutschen Buchpreises 2010. Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13, Zürich 04.09.15, 20.00 Uhr * Anzeige gebucht über eventbooster.ch Thomas Widmer Fabio Soldati ist auf dem Sprung; der «Tages-Anzeiger» erwischt ihn eben noch, bevor er in die kalifornische Wildnis abtaucht. Den John Muir Trail in der Sierra Nevada will er machen – das sind 350 Kilometer einsamer Wanderweg samt dem einen oder anderen Bären. Er sei viel in der Natur, erzählt Soldati, «ich liebe die Berge». Ein neues Projekt, für das er die Software geschrieben hat, belegt es. Echotopos, seit kurzem als Internetsite und als App verfügbar, ist dafür eingerichtet, in den Alpen und im Jura Echos einzufangen. Das klingt verspielt. Ist es auch. Soldati, 40-jährig, aufgewachsen in Lindau ZH, Sohn eines Tessiners, daher der italienische Name – Soldati sagt, Echotopos gehe «Richtung Kunst». Berühmt ist er für Peak-Finder, seine kommerzielle Entwicklung. Vor fünf Jahren lancierte Soldati, der in einem Atelier in Zürich-Altstetten arbeitet, den Dienst. Seither wurden die Peak-FinderApps 500 000-mal heruntergeladen. Man darf von einem internationalen Erfolg sprechen; ohnehin ist Peak-Finder mittlerweile auf der ganzen Welt einsetzbar. Man kann in Korea vor einer unbekannten Bergkette die App öffnen, das Smartphone auf die Bergkette richten und ablesen, wie die Gipfel heissen. Einen Grossteil seiner Arbeitszeit verbringt Soldati damit, Peak-Finder zu warten und zu erweitern. Seine neuste Idee ist es, die Sonnenlaufbahn einzubauen. Steht man etwa auf der Rigi, könnte man schauen, wo die Sonne aufgeht, wie sie über den Himmel zieht, hinter welchem Berg sie versinkt. Ein Anruf vom Klangkünstler Soldati machte zuerst eine Elektronikerlehre. Dann studierte er Informatik. Dass Peak-Finder derart abheben und sein Berufsleben dominieren würde, ahnte er nicht. Echotopos verschafft ihm jetzt ein wenig Abwechslung. Das Projekt ist nicht seine Idee. Er bekam einen Anruf von Christian Zehnder. Der ist Klangkünstler und Musiker. Ein Sound-Besessener. Ein hochbegabter und international renommierter Vokalist. Von ihm stammt die Vision, hiesige Echos digital zu dokumentieren. In Soldati fand Zehnder den Mann, der es technisch möglich machte. Gut zwei Monate habe er an Echotopos gearbeitet, hochgerechnet auf 100 Prozent, sagt der Software-Entwickler. Echotopos spaltet die Echofreunde, Echosammler, Echobegeisterten in zwei Kategorien. Die eine ist sehr gross: wir alle. Jeder kann in den Bergen oder spä- Fabio Soldati – mit Feriengepäck – bei sich zu Hause in Zürich. Foto: Reto Oeschger ter zu Hause ein Echo auf der Karte eintragen. Eine eigene Aufnahme hochladen kann er – oder sie – allerdings nicht. Beschränkte Mitwirkung Dies kann nur Kategorie zwei: Sie besteht aus dem kleinen «Echotopos»Kreis um Christian Zehnder. Er wird sich mit dem Tonmeister Daniel Dettwiler möglichst regelmässig in die Berge begeben; dort singt und jodelt er Wände an, die zuvor von Usern auf der Karte empfohlen wurden. Der Fotograf Tobias Madörin steuert zu den hochwertigen Tonaufnahmen die Landschaftsbilder bei. «Echotopos» wird nie zum grossen Mitmachspass werden, denn eben, das interaktive Element ist beschränkt. Immerhin kann der Benutzer auf der Karte, die in den nächsten Monaten immer mehr Einträge bekommen soll, schauen, wo es Echos gibt. Wieso nicht sich inspirieren lassen, hingehen, selber an die Felswand rufen und hören, wie es zurückschmettert? Echotopos ist, anders als Peak-Finder, gratis. «Wir hoffen, über Sponsoren einen Teil der Entwicklungskosten wieder hereinzuholen», sagt Fabio Soldati. Zuerst geht er nun aber in Amerika wandern. Schöne Echos wird er in den dortigen Bergen sicher auch antreffen. www.echotopos.ch Stadtgeschichte Miklós Gimes Das Leben der anderen Ich würde nie in der Feinkostabteilung eines Warenhauses essen gehen. An den Theken sitzen zwischen den Delikatessen an öden Samstag nachmittagen, nein, es gibt Sachen, mit denen will ich nichts zu tun haben. Wahrscheinlich bin ich ein Snob. Ich würde auch nie ins Alpamare fahren oder in den Europapark. Aber als ich meine Tochter bei ihrem Ferienjob besuchte, eine Stunde Mittagszeit an der Bahnhofstrasse, stiegen wir in den Keller von Jelmoli. Es gibt dort einen Imbiss neben der Foodabteilung. Meine Tochter wollte etwas Herzhaftes. «Ich habe Hunger», sagte sie, «und einen langen Nachmittag vor mir.» Sie arbeitete in einem Warenhaus. «Ich lerne, wie man Langeweile aushält», sagte sie. «Ich erfinde Spiele. Ich schätze die Zahl der Leute, die aus dem Lift kommen. Ich schliesse Wetten ab mit mir selbst, wie viele Kunden stehen bleiben und wie viele vorbeilaufen. Oder ich zähle bis dreitausend.» «Es gibt Menschen, die machen diese Arbeit jahraus, jahrein», sagte ich. Was wahnsinnig originell war. Meine Tochter trug eine helle Bluse mit einem Namensschild. «Wir müssen uns anständig anziehen», sagte sie. «Bald sind die Farben der Herbstkollektion vorgeschrieben.» Wir haben keine Ahnung, wie die Verkäuferinnen leben, dachte ich. «Die wichtigsten Kunden sind die älteren reichen Frauen», sagte sie. «Etwas gelangweilt, aber Geld spielt keine Rolle.» Dann fuhren wir in den Keller von Jelmoli, es gibt dort einen Hiltl, einen Asiaten und einen Kebabstand, bedient von zwei Typen in schwarzen Küchenuniformen, mit weissen Stirnbändern. Sie taten mir leid. Sie wirken so uncool, verglichen etwa mit der Gang von New Point an der Langstrasse. Dort möchtest du am liebsten dazugehören, wenn sie dich über die Theke anlachen. Und hier siehst du zwei tapfere Kerle in einem Verlies, die versuchen, anständig ihre Arbeit zu machen. Ich bestellte Falafel im Tafelbrot, es gab dazu Joghurtsauce und Maissalat. Wir trugen unsere Sache zu den Tischen mit den schwarzen Granitplat- ten, das Lokal ist in einem orientalischen Ockerton gehalten. Die meisten Tische waren besetzt, hinter uns ass eine Mutter mit ihrem Bub – wie ich das als Kind geliebt habe, die Restaurants in den Warenhäusern, wo man sich einfach bedienen konnte! Manchmal hat mich meine Mutter ausgeführt, sie hat in der Fraumünsterpost gearbeitet, hinter der Schalterhalle, wo die Checks zusammengezählt wurden. Jahrelang an der Rechenmaschine Zahlen getippt, endlose Tischreihen, alles Frauen, Es war ihr erster Job, als wir in die Schweiz kamen. «Es war kein Leben», sagte sie später einmal, «es war ein Funktionieren.» Jetzt soll die Fraumünsterpost bald geschlossen werden, die Hallen mit den Rechen maschinen braucht es nicht mehr. Dann stiegen wir hinauf ans Licht, es war ein greller, heisser Tag an der Bahnhofstrasse. Ein paar Frauen mit Kopftüchern sassen auf einer Bank und unterhielten sich auf Arabisch, farbige Papiertaschen auf dem Asphalt, sie streckten die Beine unter den langen Gewändern, ruhten sich aus vom Shoppen. [email protected]
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