Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 Schuldrechtliche Kreditsicherheiten A. Bürgschaft 1. Allgemeines • Bürge verpflichtet sich zur Leistung an den Gläubiger, wenn der Hauptschuldner nicht bezahlt • Bürge haftet mit seinem ganzen Vermögen: „persönliche Sicherheit“ (vgl zB anders beim Drittpfandbesteller) • Rechtsquellen: vor allem §§ 1346 ff ABGB, vgl auch §§ 25a ff KSchG 2. Tatbestand der Bürgschaft • Bürgschaft ist regelmäßig Vertrag zwischen Bürgen und Gläubiger • Schriftformgebot für Erklärung des Bürgen (§ 1346 Abs 2 ABGB) - Beurteilung der Schriftlichkeit gemäß § 886 ABGB -- Telefax hinreichend? • vom OGH nach Judikaturwechsel zuletzt bejaht 1 -- Schriftform kann bei Personen, die innerhalb „ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit handeln“, durch qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden (§ 4 Abs 2 Z 4 SigG) 1 9 Ob 41/12p. -1- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 -- bei anderen Personen nur nach Belehrung durch RA oder Notar über Rechtsfolgen - Formfreiheit der Bürgschaft eines Kreditinstituts (§ 1 Abs 6 BWG) 3. Rechtsfolgen • Bürge schuldet Leistung im versprochenen Umfang • Prinzipien seiner Leistungspflicht - Akzessorietät - Subsidiarität a) Akzessorietät (§§ 1351, 1353 ABGB) • Leistungspflicht des Bürgen ist nach Entstehung und Fortbestand von der Leistungspflicht des Schuldners abhängig • ratio legis: Bürge soll nur das Risiko der Uneinbringlichkeit der Forderung tragen, soll aber nicht rechtlich schlechter gestellt sein als der Hauptschuldner • ist die Hauptschuld nicht wirksam entstanden oder wieder erloschen, so schuldet auch der Bürge nichts • Bürge kann sich nicht für mehr verbürgen als die Verbindlichkeit des Schuldners reicht - wohl aber für einen geringeren Betrag -2- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 • Bürge kann Gläubiger die Einwendungen und Einreden des Schuldners entgegenhalten - gleichgültig, ob die Einwendungen bereits bei Entstehung der Hauptschuld bestanden oder erst später entstanden -- (vgl Unterschied zum Schuldbeitritt: dem Beitretenden stehen nur die Einwendungen des Erstschuldners zur Zeit des Schuldbeitritts zu) - zB: Erfüllung, Verzicht, Stundung etc -- Teilbürgschaft: Gläubiger kann Teilzahlungen des Hauptschuldners zunächst auf unbesicherten Teil anrechnen (hA) 2 - Gestaltungsrechte des Schuldners (zB Vertragsanfechtung, Rücktritt etc): -- Bürge kann die Gestaltungsrechte zwar nicht ausüben -- aber seine Leistung verweigern bis Ausübung durch Schuldner geklärt ist (vgl § 770 deutsches BGB, § 129 Abs 2 UGB) - Vergleichsvereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner lässt Einwendungen und Einreden des Bürgen unberührt (§ 1390) • Ausnahme: wer sich für einen Geschäftsunfähigen verbürgt, kann sich auf die fehlende Akzessorietät nicht berufen - gilt sogar dann, wenn ihm die Geschäftsunfähigkeit unbekannt war - haftet wie ein Mitschuldner zur ungeteilten Hand (§ 1352 ABGB) 2 Vgl etwa OGH 6 Ob 131/08w. -3- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 - Gegenstand der Bürgschaft: Rückforderungsanspruch des Gläubigers b) Subsidiarität • Bürge kann erst nach dem Schuldner zur Leistung herangezogen werden • Gesetzlicher Regelfall - Gläubiger muss Schuldner mahnen - kann erst auf Bürgen greifen, wenn der Schuldner innerhalb einer angemessenen Frist nicht bezahlt (§ 1355 ABGB) - außergerichtliche Mahnung genügt • Regeln über Subsidiarität dispositiv - können vertraglich verschärft oder abgeschwächt werden • Ausfallsbürgschaft (§ 1356 ABGB) - Verschärfung der Subsidiarität - Bürge kann erst herangezogen werden, wenn Verbindlichkeit beim Schuldner uneinbringlich ist - setzt erfolglose Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner oder Einleitung eines Konkursverfahrens voraus - ebenso: wenn der Schuldner unbekannten Aufenthalts ist • Bürge und Zahler (§ 1357 ABGB) -4- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 - Abschwächung der Subsidiarität - Gläubiger kann sofort auf den Bürgen greifen -- keine Vorausmahnung des Schuldners erforderlich - benötigt vertragliche Vereinbarung -- praktisch sehr häufig - Achtung: Akzessorietät gilt auch für den Bürgen und Zahler! • Sonderformen der Bürgschaft - Entschädigungsbürge (Rückbürge): verbürgt sich dem Bürgen für den Ersatz des Schadens, den dieser aus der Bürgschaft erleidet (§ 1348 ABGB) - Überbürge (Nachbürge): verbürgt sich dem Gläubiger für den Fall des Ausfalls des Bürgen 4. Rückgriffsanspruch des Bürgen • Rückgriff des zahlenden Bürgen gegen den Schuldner a) Aufwandersatz • zwischen Schuldner und Bürgen kann (und wird praktisch zumeist) ein rechtsgeschäftliches Verhältnis bestehen, das die Grundlage für einen Rückgriffsanspruch sein kann • insb Auftragsverhältnis: Aufwandersatz gemäß § 1014 ABGB -5- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 b) Legalzession • Rückgriff kraft Gesetzes • hat der Bürge gezahlt, so „tritt [er] in die Rechte des Gläubigers und ist befugt, von dem Schuldner Ersatz der bezahlten Schuld zu fordern“ (§ 1358 ABGB): • Legalzession - Bürge muss vor der Zahlung Einvernehmen mit Schuldner herstellen - bei Unterlassung: Schuldner kann alles einwenden, was er auch dem Gläubiger hätte einwenden können (§ 1361 ABGB) • Regress bei Insolvenz des Schuldners: - Insolvenz des Schuldners: -- Bürge erwirbt Anspruch des Gläubigers in vollem Umfang -- kann Forderung in der Insolvenz anmelden -- wird als Insolvenzgläubiger regelmäßig nur mit Quote befriedigt - Sanierungsplan des Schuldners (§ 156 Abs 2 IO): -- Bürge muss in vollem Umfang zahlen -- Bürge erwirbt Anspruch des Gläubigers nur in dem im Sanierungsplan festgelegten Ausmaß -- kann die Forderung nur in diesem Umfang gegen Schuldner geltend machen • Bürge erwirbt nicht nur Forderung gegen Schuldner, sondern auch andere Sicherungsmittel des Gläubigers - kann auch gegen Mitbürgen oder Pfandbesteller Regress nehmen -6- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 - im Innenverhältnis zu Mitbürgen und Pfandbestellern im Zweifel anteilige Haftung (§ 896 ABGB, auf Pfandbesteller nach hM analog anzuwenden) 5. Sicherstellungsansprüche des Bürgen gegen den Schuldner • Bürge hat Bürgschaft im Einverständnis mit dem Schuldner übernommen - kann vom Schuldner Sicherstellung verlangen, wenn dieser bei Fälligkeit nicht zahlt (§ 1364 ABGB) • Bürge kann überdies Sicherstellung verlangen - wenn begründete Besorgnis der Zahlungsunfähigkeit besteht - wenn begründete Besorgnis der Entfernung aus dem Inland besteht (§ 1365 ABGB) 6. Sorgfaltspflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen a) vorvertragliche Informationspflichten • keine allgemeine Informationspflicht des Gläubigers über wirtschaftliche Verhältnisse des Schuldners - aber Pflicht zur Warnung in besonders „gefährlichen“ Fällen, zB -- wenn der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des -7- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 Schuldners hat und anzunehmen ist, dass diese Umstände dem Bürgen nicht bekannt sind3 -- Verhältnis der Informationspflicht zum Bankgeheimnis (§ 38 BWG)? --- hA nimmt (mit unterschiedlichen Begründungen) Vorrang der Informationspflicht an 4 • Verbrauchergeschäft - Gläubiger (Unternehmer) muss Verbraucher, der Verbindlichkeit als „Interzedent“ beitritt (Bürge, Mitschuldner, Garant), informieren -- wenn er aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Schuldner erkennt oder erkennen muss, „dass der Schuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen wird“ -- Informationspflicht besteht ohne Rücksicht auf Wissen des Bürgen 5 -- bei unterlassener Information: Interzedent haftet nur, wenn der Verpflichtung trotz der Information übernommen hätte (fehlende Kausalität) (§ 25c KSchG) - vgl auch die besondere Informationspflicht bei Ehegattenkrediten (§ 25a KSchG) 3 G. Neumayer/Th. Rabl in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 1364 Rz 4 f. G. Neumayer/Th. Rabl in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 1364 Rz 6. 5 G. Neumayer/Th. Rabl in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 1364 Rz 5. 4 -8- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 b) Pflichten während des bestehenden Bürgschaftsverhältnisses • Eintreibung der Forderung (§ 1364 Satz 2 ABGB) - Gläubiger darf bei Eintreibung der Forderung nicht „saumselig“ vorgehen - bei „Saumseligkeit“: -- Bürge wird zwar nicht befreit -- Gläubiger wird aber verantwortlich, wenn Bürgen durch verspätete Eintreibung ein Schaden entsteht (Beeinträchtigung des Rückgriffsrechts) • Verbrauchergeschäft (§ 25b Abs 2 KSchG) - Gläubiger (Unternehmensgegenstand Gewährung oder Vermittlung von Krediten) muss Verbraucher (Bürge oder Garant) über Säumigkeit des Hauptschuldners in angemessener Frist verständigen -- bei Unterlassung: Verbraucher haftet nicht für Zinsen und Kosten, die ab Kenntnis des Gläubigers von der Säumigkeit des Hauptschuldners an entstehen -9- Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 7. Schutz des Interzedenten vor finanzielle Überforderung a) Sittenwidrigkeit von „Angehörigenbürgschaften“ • OGH und hL 6: Interzessionen (Bürgschaften und Garantien) können in sinngemäßer Anwendung des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB (Wucher) sittenwidrig sein, - wenn Interzedent durch Haftung finanziell „überfordert“ wird (krasses Missverhältnis von Haftung und finanzieller Leistungsfähigkeit) und - wenn Willensbildung bei Abschluss beeinträchtigt war (insb psychische Zwangslage des Bürgen als Familienangehöriger des Hauptschuldners) und - bei Erkennbarkeit der Umstände durch den Gläubiger b) Richterliches Mäßigungsrecht (§ 25d KSchG) • Gesetzgeber reagiert auf Judikatur durch § 25d KSchG (eingeführt 1997) • schützt Verbraucher als Interzedenten (Bürge, Mitschuldner, Garant) - wenn unbilliges Missverhältnis zwischen Verbindlichkeit und der Leistungsfähigkeit des Interzedenten besteht 6 Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht14 II Rz 700. - 10 - Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 - wenn Tatsache, dass Verbraucher nur Interzedent ist, und das unbillige Missverhältnis dem Gläubiger bei Begründung der Verbindlichkeit erkennbar waren -- also nicht anwendbar, wenn sich die finanziellen Verhältnisse des Interzedenten (für den Gläubiger zunächst unerkennbar) erst später verschlechtern • Richter kann Verbindlichkeit herabsetzen oder erlassen - muss dabei Umstände nach § 25d Abs 2 KSchG berücksichtigen 8. Erlöschen der Bürgschaft • Verbindlichkeit des Schuldners erlischt (Akzessorietät; § 1363 ABGB) • Bürge wird vom Gläubiger „entlassen“ (§ 1363 ABGB) • Zeitablauf (wenn befristet) (§ 1363 ABGB) - allenfalls: Kündigung einer unbefristeten Bürgschaft • Befriedigung des Gläubigers • Schuldübernahme (außer bei Zustimmung des Bürgen) (§ 1407 Abs 2) • Novation (außer bei Zustimmung des Bürgen) (§ 1378) • unter bestimmten Voraussetzungen drei Jahre nach Tod des Bürgen (§ 1367 ABGB) - außer die Bürgschaft war durch Hypothek außer Faustpfand besichert - 11 - Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 B. Garantie • Vertrag, durch ein Partner das Risiko für den Eintritt eines ungewissen Erfolgs übernimmt • gesetzlich nicht besonders geregelt (vgl aber § 880a ABGB) • praktisch sehr großer Anwendungsbereich, vgl zB: - Herstellergarantie (Produkthersteller steht dafür ein, dass ein Produkt während eines bestimmten Zeitraums fehlerfrei bleibt) - Bankgarantie (Bank steht für Zahlung durch Schuldner ein) • Vertrag grundsätzlich formfrei - dient Garantie der Risikoübernahme für die Zahlung eines Dritten: - § 1346 Abs 2 ABGB analog anwendbar (heute ganz hA) • Garantie erstreckt sich im Zweifel auf das gesamte Interesse (§ 880a ABGB analog) • Garantie, die zur Risikoübernahme für die Zahlung eines Dritten dient, ist bürgschaftsähnlich (vor allem: Bankgarantie) - wesentlicher Unterschied: Garantie ist nicht akzessorisch -- Garant muss ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Zahlung der Verpflichtung des Schuldners leisten-- Behauptung des Begünstigten, dass der Garantiefall eingetreten ist, genügt (Garant schuldet idR „auf erstes Anfordern“) -- Garantie „so gut wie Bargeld“ - 12 - Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 -- Leistungsverweigerungsrecht des Garanten nur bei offenbar rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Garantie - Garant haftet – wie Bürge – für eine materiell fremde Verbindlichkeit -- § 1358 ABGB analog anwendbar • vgl auch: Bürgschaft auf erstes Anfordern 7: - Bürge muss auf erstes Anfordern zahlen - kann sich der Zahlungspflicht nicht durch Berufung Einwendungen des Schuldners entziehen - kann allerdings die Leistung vom Gläubiger zurückfordern, wenn zur Verweigerung der Leistung berechtigende Einwendungen bestanden haben - Mischform von Bürgschaft und Garantie C. Patronatserklärung • gesetzlich nicht geregelte Form der Kreditbesicherung 8 • im Wirtschaftsleben häufig zwischen konzernverflochtenen Unternehmen • wird zumeist von der Konzernmuttergesellschaft für eine Tochtergesellschaft abgegeben • einheitliche Einordnung nicht möglich, weil Patronatserklärungen unterschiedlichen Inhalt haben können - „harte“ Patronatserklärung: 7 Vgl G. Neumayer/Th. Rabl in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.03 §§ 1346, 1347 Rz 49 ff. Näher dazu G. Neumayer/Th. Rabl in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.03 §§ 1346, 1347 Rz 86 ff; Kalss/Schauer/Winner, Allgemeines Unternehmensrecht2 Rz 9/44 f. 8 - 13 - Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer Institut für Zivilrecht VO Schuldrecht AT WS 2015/2016 Handout 2 -- Muttergesellschaft verpflichtet sich, die Tochtergesellschaft finanziell so auszustatten, dass sie in der Lage ist, ihren Verpflichtungen nachzukommen -- kann als Bürgschafts- oder Garantieversprechen verstanden werden - „weiche“ Patronatserklärung: -- Muttergesellschaft sichert zB zu, „ihren Einfluss geltend zu machen“, dass Tochtergesellschaften ihren Pflichten nachkommen -- kann unter Umständen als Verwendungszusage verstanden werden, deren schuldhafte Verletzung Schadenseratzansprüche begründet -- erzeugt möglicherweise auch keinerlei durchsetzbaren Ansprüche gegen die („Gutwillenserklärung“) - 14 - Muttergesellschaft
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