68 OBERFLÄCHENTECHNIK Plasmabeschichtung [FAHRZEUGBAU] [MEDIZINTECHNIK] [VERPACKUNG] [ELEKTRO & ELEKTRONIK] [BAU] [KONSUMGÜTER] [FREIZEIT & SPORT] [OPTIK] Beständige und ungiftige Oberflächen inline erzeugen Ein zukunftsweisendes Verfahren verbessert Bauteiloberflächen in der Medizintechnik Vor allem in der Medizin- und Kunststofftechnik ist die Veränderung der Oberfläche oft essenziell, um die gewünschten Anforderungen zu erfüllen. Eine Neuheit in der Inline-Beschichtung von Oberflächen bieten Openair-Plasmaanlagen, die in nahezu jeden Prozess integrierbar und vielseitig einsetzbar sind. Plasmabeschichtung unter atmosphärischem Druck: Die Openair-Plasmatechnik kommt ohne Vakuumkammer aus und bietet sich daher für die Inline-Produktion an (© Plasmatreat) O berflächen werden häufig nasschemisch beschichtet. Diese umständlichen Prozesse verlangsamen jedoch die Produktion und erschweren eine Inline- Produktion. Plasmaverfahren bieten hier eine Alternative, die nasschemische Prozesse in manchen Fällen vollständig ersetzen kann. Auch Verfahren zur Vorbehandlung, zum Beispiel Ätzen oder Sandstrahlen, lassen sich reduzieren. Plasmaverfahren können Oberflächen durch Beschichtungen oder Aktivierung modifizieren, was unter anderem die Biokompatibilität der Bauteile erhöht. Um Plasma zu erhalten, wird ein Gas durch Energiezufuhr ionisiert. In diesem „vierten Aggregatszustand“ der Materie entstehen reaktive Spezies, die sich an der Oberfläche anlagern können und somit die Eigenschaften der behandelten Bauteile ändern. Ein früher häufig verwendetes Verfahren ist die Vakuumplasmatechnik. Sie wird auch in der Medizintechnik angewandt, weist jedoch Nachteile auf: Die Fertigung ist nur im Batch-Verfahren möglich und erfordert teure sowie aufwendige Vakuumkammern und Pumpen. Darüber hinaus werden die Bauteile immer vollständig plasmabehandelt oder müssen aufwendig maskiert werden. Openair-Plasmatechnik Eine Alternative für die Inline-Produktion bietet die Openair-Plasmatechnik der Plasmatreat GmbH in Steinhagen. Die Besonderheit ist, dass es sich hierbei um eine Plasmadüse handelt, die unter atmosphärischem Druck arbeitet. Hierzu wird in einer länglich geformten Elektrode ein intensives Plasma erzeugt, das ausgeblasen wird [1]. Viele medizintechnische Formteile werden aus Kunststoffen in Inline-Verfahren gefertigt. Die meisten Kunststoffe gelten aufgrund ihrer hydrophoben Oberfläche als chemisch kaum reaktiv. Dies kann © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 4/2016 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Plasmabeschichtung OBERFLÄCHENTECHNIK Bild 1. Unterschiedlicher Kohlenstoffgehalt: Die REM-Aufnahmen einer heißer (A, ca. 160 °C) und kälter (B, ca. 140 °C) plasmabeschichteten Oberfläche (© Christin Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM) mittels Plasmabehandlung verändert werden. Die reaktiven Spezies des Plasmas bringen funktionelle Gruppen in die Oberfläche der Kunststoffe ein, vor allem –OHund –NH-Gruppen. Dadurch lassen sich viele Kunststoffe nach einer Plasmabehandlung verkleben, beschichten oder lackieren [2]. Des Weiteren kann das Plasma zur Reinigung der Oberfläche genutzt werden. Durch Verwendung des Openair-Plasmas ist eine Behandlung während des Fertigungsprozesses möglich. [3] Die Vorteile des Openair-Plasmajets sind zugleich erhebliche Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Stand der Technik [3]: WW prozesskompatibel, da leicht in vielfältige Prozesse integrierbar; WW flexibel, da punktuell einsetzbar; WW universell, weil sich alle Geometrien beschichten lassen; WW weniger Komponenten, da kein teures Vakuumequipment nötig; WW kürzere Taktzeiten schnellen Prozesses. des Beschichtungen in der Medizintechnik In der Medizintechnik ist es erforderlich, Oberflächen zu modifizieren, da ihre Beschaffenheit eine wichtige Rolle bei der Integration des Implantats in das umliegende Gewebe spielt (Oberflächen-Biokompatibilität). Häufig wird auf Beschichtungen zurückgegriffen, da diese im Vergleich zu einer Plasmaaktivierung, bei der die Oberfläche nur mit Plasma behandelt wird, langzeitstabil sind. Zusätzlich können Beschichtungen die Eigenschaften der Oberfläche grundlegend verändern, sodass sich Eigenschaften des gewünschten Trägermaterials mit Eigenschaften einer anderen Oberfläche kombinieren lassen. Dies erschließt eine große Vielfalt an Material- und Werkstoffkombinationen. » 140 Zellproliferation im Vergleich zur Kontrolle aufgrund Zytotoxizitätsgrenze n=3 % 100 80 60 40 20 0 -20 Edelstahl heißere Beschichtung kältere Beschichtung Kupfer Silikon © Kunststoffe Bild 2. Nicht zytotoxisch: Die Zellneubildung auf plasmabeschichteten Oberflächen lag in den WST-8-Tests mit Eluaten deutlich oberhalb des Grenzwerts (Quelle: Christin Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM) Kunststoffe 4/2016 www.kunststoffe.de © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. 70 OBERFLÄCHENTECHNIK Plasmabeschichtung Bild 3. Gut angewachsen: Fixierte und getrocknete Fibroblasten erscheinen auf einer plasmabeschichteten Oberfläche durch Fluoreszenzfärbung (© Marie Klose, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM) Die Autoren Christin Rapp, M.Sc., ist seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medizintechnik der TU München und beschäftigt sich mit der Abscheidung biokompatibler Plasmaschichten; [email protected] Marie Klose, M.Sc., hat 2015 ihre Masterarbeit am Lehrstuhl für Medizintechnik der TU München angefertigt. Dipl-Ing. Christian Buske ist geschäftsführender Gesellschafter der Plasmatreat GmbH. Prof. Dr. med. Dr.-Ing. habil. Erich Wintermantel ist der Ordinarius des Lehrstuhls für Medizintechnik im Fachbereich Maschinenbau der TU München Service Literatur & Digitalversion BB Das Literaturverzeichnis und ein PDF des Artikels finden Sie unter www.kunststoffe.de/1312917 English Version BB Read the English version of the article in our magazine Kunststoffe international or at www.kunststoffe-international.com Ein attraktiver Ausgangsstoff für Beschichtungen ist Hexamethyldisiloxan (HMDSO) [4]. Es bildet auf der Oberfläche silanartige Schichten aus und findet industriell u. a. beim Verkleben von Kunststoffen sowie als Barriereschicht verbreitet Anwendung [5, 6]. Der Lehrstuhl für Medizintechnik der Technischen Universität München testet Openair-Plasmabeschichtungen aus HMDSO auf ihre Biokompatibilität. Diese können z. B. als Haftvermittler zwischen zwei Komponenten in Implantaten dienen. Hierbei sind vor allem Hart-WeichVerbindungen oder Anbindungen einer Beschichtung aus Partikeln an die Oberfläche interessant. Des Weiteren kann die Beschichtung als Barriereschicht auf ein Implantat aufgetragen werden, um den Kontakt mit Körpermedien zu verhindern. Denkbar ist es auch, mithilfe einer Beschichtung einen Metallstent gegenüber dem Blutkreislauf abzuschirmen. Die Beschichtung verhindert, dass sich an der Edelstahloberfläche Thrombosen bilden. Weiterhin können Barrierebeschichtungen empfindliche Sensoren im Körper vor Korrosion schützen und vor allem bei aktiven Implantaten die Beständigkeit gegenüber Körpermedien verbessern. Ziel ist es daher, eine vielseitig einsetzbare Schicht abzuscheiden, die nicht zytotoxisch ist und optimale Oberflächeneigenschaften im Körper aufweist. Charakterisierung der Beschichtung Um die Schichteigenschaften zu beeinflussen, wurden die Plasmaparameter in Versuchen so variiert, dass die Schicht sowohl mit einem heißeren (ca. 160 °C) als auch einem kälteren Plasma (ca. 140 °C) abgeschieden wurde (jeweils 10 cm unter dem Düsenauslass). Die Struktur der Schicht wurde mittels Röntgenphotoelektronenspektroskopie (X-ray photoelectron spectroscopy, XPS) untersucht und die Oberflächenenergie mittels Kontaktwinkelmessung abgeschätzt. Für beide Beschichtungen ergab sich mit Wasser ein Kontaktwinkel von etwa 95°, womit die Oberfläche als leicht hydrophil einzustufen ist. Die XPS-Daten zeigten, dass die Schicht hauptsächlich aus Si-Hx-, Si-CHx- und Si-C-Bindungen besteht, was einer silanartigen Struktur entspricht. Kältere und heißere Beschichtung unterscheiden sich im Kohlenstoffgehalt. Am Lehrstuhl für Medizintechnik konnte belegt werden, dass das Plasma mit 140 °C mehr Kohlenstoff auf der Oberfläche anlagerte als das heißere Plasma. Die kalte Plasmaschicht ist somit organischer. Dies war zu erwarten, da durch eine hohe Plasmaenergie und eine erhöhte Hitze der Precursor stärker fragmentiert wird. Das führt zu kleineren Molekülen und weniger Kohlenstoff auf der Oberfläche, da Kohlenstoff sich meist zu CO oder CO2 umsetzt und damit flüchtig ist. Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) zeigten, dass in beiden Fällen eine sehr dünne, geschlossene Beschichtung entsteht (Bild 1). Evaluierung der Zytotoxizität Weil die plasmaerzeugten Beschichtungen auch für Implantate zum Einsatz kommen sollen, gilt es, deren Zytotoxizität zu untersuchen. Hierfür wurden Tests nach DIN EN ISO 10993-5 mit der Zelllinie Hs27 durchgeführt. Bei dieser Zelllinie handelt es sich um humane Fibroblasten, die im Bindegewebe vorkommen. Zur Prüfung wurde der WST-8-Test mittels Eluaten, also Extrakten aus den Werkstoffen, gewählt. Zusätzlich wurden die Zellen auf der Oberfläche mittels REM und Fluoreszenzfärbung untersucht. Die WST-8-Tests ergaben, dass die erzeugten silanartigen Schichten keine Zytotoxizität aufweisen; dies gilt, sobald die Zellneubildung (Proliferation) über 70 % im Vergleich zur DIN-Kontrollprobe liegt (Bild 2). Die heißer beschichtete Probe weist eine Zellprofileration von 112 % und die kälter beschichtete von 98 % auf. Das Anwachsen der Fibroblasten auf den be- © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 4/2016 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Plasmabeschichtung OBERFLÄCHENTECHNIK schichteten Proben wurde ebenfalls untersucht und mittels REM und Fluoreszenzfärbung dargestellt (Bild 3). Zusammenfassend lässt sich aus diesen Ergebnissen schließen, dass das Material nicht zytotoxisch ist und die Zellen an der Oberfläche anwachsen. Die heißer beschichtete Probe wies sogar eine Verbesserung der Profileration im Vergleich zur Kontrolle auf. Dies ist vermutlich auf lösbares Silika zurückzuführen, das das Zellwachstum anregen kann. Fehlende Zytotoxizität und ein gutes Anwachsverhalten sind zwei der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung der Beschichtung in der Medizintechnik. Beständigkeit der Silanbeschichtung Eine Aussage über die Beständigkeit lässt sich treffen, indem man die Beschichtung in flüssigen Medien einlagert. Hierzu wurden Edelstahlplättchen beschichtet, in das Medium eingelagert und die Proben für einen Monat in einem Inkubator bei 37 °C aufbewahrt. Ein weiteres Verfahren zur Bestimmung der Beständigkeit von Beschichtungen ist der Zugversuch. Annahme war, dass die Beschichtung auf einem Stent erfolgte. Daher wurden Zugstäbe nach DIN EN ISO 6892 aus chirurgischem Edelstahl 316L mit einer Dicke von 1 mm gefertigt. Bei der Belastung der Probe hat man sich an der Belastung von Stents beim Aufweiten in einer Arterie orientiert. Die maximale Belastung bei diesem Prozess ist unklar; einige Untersuchungen gehen jedoch von einer maximalen Spannung von 700 MPa aus [7, 8]. Film_Ad_GEARS-FINAL.indd 1 Da die hier verwendeten Probekörper bei diesen Kräften bereits über der Bruchdehnung belastet wären, wurde eine Maximalspannung von 500 MPa angewendet, die zwar oberhalb der Dehngrenze, jedoch unterhalb der Bruchdehnung des Edelstahls liegt. Die Probenkörper zeigten nach der Belastung eine Verjüngung der Schicht an den durch Dehnung belasteten Stellen, jedoch blieb die Schicht stabil auf der Oberfläche haften, und es waren keine Risse sichtbar (Bild 4). Die Einlagerung in simulierter Körperflüssigkeit (Simulated Body Fluid, SBF) und im Standard-Nährmedium für die Zellkultur (Dulbeccos Modified Eagle Medium, DMEM) ergab, dass eine getemperte Schicht auch in diesen Medien über einen Monat weitgehend stabil ist. Das DMEM aus dem Einlagerungsversuch wurde danach auf Zytotoxizität untersucht. Dabei ließ sich keine Verringerung der Zellproliferation feststellen. Diese Ergebnisse belegen, dass die Beschichtungen sehr stabil und dadurch auch für mechanisch beanspruchte Bauteile geeignet sind. Fazit und Ausblick HMDSO-Beschichtungen sind sehr vielversprechend für die Anwendung in der Medizintechnik. Wie die chemische Charakterisierung ergab, bilden sich durch die Plasmabehandlung hydrophobe, silanartige Beschichtungen aus. Die Zugversuche zeigten, dass die Schichten auch auf belasteten Implantaten (etwa Stents) zum Einsatz kommen können, da Bild 4. Zugversuch überstanden: Die Schicht blieb offensichtlich stabil auf der Oberfläche haften, Risse waren nicht erkennbar (© Christin Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM) kein Abplatzen oder Aufreißen der Schicht zu erkennen war. Die Prüfung der Zytotoxizität ergab, dass die untersuchten Schichten die Zellproliferation nicht negativ beeinflussen. Alle Ergebnisse der Studie belegen, dass mittels Openair-Plasma abgeschiedene Silanschichten keine zytotoxischen Eigenschaften und eine gute Beständigkeit aufweisen. Bisher wurden die Schichten vorwiegend auf Metallen für den Einsatz auf Stents abgeschieden, jedoch lieferten auch erste Versuche auf Kunststoffen vielversprechende Ergebnisse. Diese beschichteten Kunststoffe könnten als künstliche Arterien oder Herzklappen zum Einsatz kommen. Alle Eigenschaften der Beschichtung deuten darauf hin, dass die Schichten für den Einsatz im Körper geeignet sind und sich mittels Openair-Plasma vielversprechende neuartige, Inline-gefertigte Implantate erzeugen lassen. W 4/14/15 1:08 PM Kunststoffe 4/2016 www.kunststoffe.de © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. 71
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