Beständige und ungiftige Oberflächen inline erzeugen

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OBERFLÄCHENTECHNIK Plasmabeschichtung
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Beständige und ungiftige Oberflächen
inline erzeugen
Ein zukunftsweisendes Verfahren verbessert Bauteiloberflächen in der Medizintechnik
Vor allem in der Medizin- und Kunststofftechnik ist die Veränderung der Oberfläche oft essenziell, um die
­gewünschten Anforderungen zu erfüllen. Eine Neuheit in der Inline-Beschichtung von Oberflächen bieten
Openair-Plasmaanlagen, die in nahezu jeden Prozess integrierbar und vielseitig einsetzbar sind.
Plasmabeschichtung
unter atmosphärischem
Druck: Die Openair-Plasmatechnik kommt ohne
Vakuumkammer aus und
bietet sich daher für die
Inline-Produktion an
(© Plasmatreat)
O
berflächen werden häufig nasschemisch beschichtet. Diese umständlichen Prozesse verlangsamen jedoch die
Produktion und erschweren eine Inline-­
Produktion. Plasmaverfahren bieten hier
eine Alternative, die nasschemische Prozesse in manchen Fällen vollständig ersetzen kann. Auch Verfahren zur Vorbehandlung, zum Beispiel Ätzen oder Sandstrahlen, lassen sich reduzieren. Plasmaverfahren können Oberflächen durch
­Beschichtungen oder Aktivierung modifizieren, was unter anderem die Biokompatibilität der Bauteile erhöht.
Um Plasma zu erhalten, wird ein
Gas durch Energiezufuhr ionisiert. In
diesem „vierten Aggregatszustand“ der
Materie entstehen reaktive Spezies, die
sich an der Oberfläche anlagern können und somit die Eigenschaften der
behandelten Bauteile ändern. Ein früher häufig verwendetes Verfahren ist
die Vakuumplasmatechnik. Sie wird
auch in der Medizintechnik angewandt, weist jedoch Nachteile auf: Die
Fertigung ist nur im Batch-Verfahren
möglich und erfordert teure sowie aufwendige Vakuumkammern und Pumpen. Darüber hinaus werden die Bauteile immer vollständig plasmabehandelt oder müssen aufwendig maskiert
werden.
Openair-Plasmatechnik
Eine Alternative für die Inline-Produktion
bietet die Openair-Plasmatechnik der
Plas­­matreat GmbH in Steinhagen. Die Besonderheit ist, dass es sich hierbei um
eine Plasmadüse handelt, die unter atmosphärischem Druck arbeitet. Hierzu wird
in einer länglich geformten Elektrode ein
intensives Plasma erzeugt, das ausgeblasen wird [1].
Viele medizintechnische Formteile
werden aus Kunststoffen in Inline-Verfahren gefertigt. Die meisten Kunststoffe gelten aufgrund ihrer hydrophoben Oberfläche als chemisch kaum reaktiv. Dies kann
© Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 4/2016
© Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
Plasmabeschichtung OBERFLÄCHENTECHNIK
Bild 1. Unterschiedlicher Kohlenstoffgehalt: Die REM-Aufnahmen einer heißer (A, ca. 160 °C) und
kälter (B, ca. 140 °C) plasmabeschichteten Oberfläche (© Christin Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM)
mittels Plasmabehandlung verändert werden. Die reaktiven Spezies des Plasmas
bringen funktionelle Gruppen in die Oberfläche der Kunststoffe ein, vor allem –OHund –NH-Gruppen. Dadurch lassen sich
viele Kunststoffe nach einer Plasmabehandlung verkleben, beschichten oder lackieren [2]. Des Weiteren kann das Plasma
zur Reinigung der Oberfläche genutzt werden. Durch Verwendung des Openair-Plasmas ist eine Behandlung während des Fertigungsprozesses möglich. [3]
Die Vorteile des Openair-Plasmajets
sind zugleich erhebliche Verbesserungen
gegenüber dem bisherigen Stand der
Technik [3]:
WW prozesskompatibel, da leicht in vielfältige Prozesse integrierbar;
WW flexibel, da punktuell einsetzbar;
WW universell, weil sich alle Geometrien
beschichten lassen;
WW weniger Komponenten, da kein teures
Vakuumequipment nötig;
WW kürzere Taktzeiten
schnellen Prozesses.
des
Beschichtungen in der Medizintechnik
In der Medizintechnik ist es erforderlich,
Oberflächen zu modifizieren, da ihre Beschaffenheit eine wichtige Rolle bei der
Integration des Implantats in das umliegende Gewebe spielt (Oberflächen-Biokompatibilität). Häufig wird auf Beschichtungen zurückgegriffen, da diese im Vergleich zu einer Plasmaaktivierung, bei
der die Oberfläche nur mit Plasma behandelt wird, langzeitstabil sind. Zusätzlich können Beschichtungen die Eigenschaften der Oberfläche grundlegend
verändern, sodass sich Eigenschaften des
gewünschten Trägermaterials mit Eigenschaften einer anderen Oberfläche kombinieren lassen. Dies erschließt eine große Vielfalt an Material- und Werkstoffkombinationen.
»
140
Zellproliferation im Vergleich zur Kontrolle
aufgrund
Zytotoxizitätsgrenze
n=3
%
100
80
60
40
20
0
-20
Edelstahl
heißere
Beschichtung
kältere
Beschichtung
Kupfer
Silikon
© Kunststoffe
Bild 2. Nicht zytotoxisch: Die Zellneubildung auf plasmabeschichteten Oberflächen lag in den
WST-8-Tests mit Eluaten deutlich oberhalb des Grenzwerts (Quelle: Christin Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM)
Kunststoffe 4/2016 www.kunststoffe.de
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OBERFLÄCHENTECHNIK Plasmabeschichtung
Bild 3. Gut angewachsen: Fixierte
und getrocknete
Fibroblasten erscheinen auf einer plasmabeschichteten
Oberfläche durch
Fluoreszenzfärbung (© Marie Klose,
Lehrstuhl für
­Medizintechnik, TUM)
Die Autoren
Christin Rapp, M.Sc., ist seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für
Medizintechnik der TU München und
beschäftigt sich mit der Abscheidung
biokompatibler Plasmaschichten;
[email protected]
Marie Klose, M.Sc., hat 2015 ihre Masterarbeit am Lehrstuhl für Medizintechnik
der TU München angefertigt.
Dipl-Ing. Christian Buske ist geschäftsführender Gesellschafter der Plasmatreat
GmbH.
Prof. Dr. med. Dr.-Ing. habil. Erich
Wintermantel ist der Ordinarius des
Lehrstuhls für Medizintechnik im Fachbereich Maschinenbau der TU München
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Ein attraktiver Ausgangsstoff für Beschichtungen ist Hexamethyldisiloxan
(HMDSO) [4]. Es bildet auf der Oberfläche
silanartige Schichten aus und findet industriell u. a. beim Verkleben von Kunststoffen sowie als Barriereschicht verbreitet Anwendung [5, 6].
Der Lehrstuhl für Medizintechnik der
Technischen Universität München testet
Openair-Plasmabeschichtungen
aus
HMDSO auf ihre Biokompatibilität. Diese
können z. B. als Haftvermittler zwischen
zwei Komponenten in Implantaten dienen. Hierbei sind vor allem Hart-­WeichVerbindungen oder Anbindungen einer
Beschichtung aus Partikeln an die Oberfläche interessant. Des Weiteren kann
die Beschichtung als Barriereschicht auf
ein Implantat aufgetragen werden, um
den Kontakt mit Körpermedien zu verhindern. Denkbar ist es auch, mithilfe einer Beschichtung einen Metallstent gegenüber dem Blutkreislauf abzuschirmen. Die Beschichtung verhindert, dass
sich an der Edelstahloberfläche Thrombosen bilden. Weiterhin können Barrierebeschichtungen empfindliche Sensoren im Körper vor Korrosion schützen
und vor allem bei aktiven Implantaten
die Beständigkeit gegenüber Körpermedien verbessern.
Ziel ist es daher, eine vielseitig einsetzbare Schicht abzuscheiden, die nicht
zytotoxisch ist und optimale Oberflächeneigenschaften im Körper aufweist.
Charakterisierung der Beschichtung
Um die Schichteigenschaften zu beeinflussen, wurden die Plasmaparameter in
Versuchen so variiert, dass die Schicht
sowohl mit einem heißeren (ca. 160 °C)
als auch einem kälteren Plasma (ca. 140 °C)
abgeschieden wurde (jeweils 10 cm unter
dem Düsenauslass). Die Struktur der
Schicht wurde mittels Röntgenphotoelektronenspektroskopie (X-ray photoelectron spectroscopy, XPS) untersucht
und die Oberflächenenergie mittels
Kontaktwinkelmessung abgeschätzt. Für
beide Beschichtungen ergab sich mit
Wasser ein Kontaktwinkel von etwa 95°,
womit die Oberfläche als leicht hydrophil einzustufen ist. Die XPS-Daten zeigten, dass die Schicht hauptsächlich aus
Si-Hx-, Si-CHx- und Si-C-Bindungen besteht, was einer silanartigen Struktur
entspricht.
Kältere und heißere Beschichtung unterscheiden sich im Kohlenstoffgehalt.
Am Lehrstuhl für Medizintechnik konnte
belegt werden, dass das Plasma mit 140 °C
mehr Kohlenstoff auf der Oberfläche anlagerte als das heißere Plasma. Die kalte
Plasmaschicht ist somit organischer. Dies
war zu erwarten, da durch eine hohe Plasmaenergie und eine erhöhte Hitze der
Precursor stärker fragmentiert wird. Das
führt zu kleineren Molekülen und weniger Kohlenstoff auf der Oberfläche, da
Kohlenstoff sich meist zu CO oder CO2
umsetzt und damit flüchtig ist. Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) zeigten, dass in beiden Fällen eine sehr dünne, geschlossene Beschichtung entsteht (Bild 1).
Evaluierung der Zytotoxizität
Weil die plasmaerzeugten Beschichtungen auch für Implantate zum Einsatz
kommen sollen, gilt es, deren Zytotoxizität zu untersuchen. Hierfür wurden Tests
nach DIN EN ISO 10993-5 mit der Zelllinie
Hs27 durchgeführt. Bei dieser Zelllinie
handelt es sich um humane Fibroblasten,
die im Bindegewebe vorkommen. Zur
Prüfung wurde der WST-8-Test mittels
Eluaten, also Extrakten aus den Werkstoffen, gewählt. Zusätzlich wurden die Zellen auf der Oberfläche mittels REM und
Fluoreszenzfärbung untersucht.
Die WST-8-Tests ergaben, dass die erzeugten silanartigen Schichten keine Zytotoxizität aufweisen; dies gilt, sobald die
Zellneubildung (Proliferation) über 70 %
im Vergleich zur DIN-Kontrollprobe liegt
(Bild 2). Die heißer beschichtete Probe
weist eine Zellprofileration von 112 % und
die kälter beschichtete von 98 % auf. Das
Anwachsen der Fibroblasten auf den be-
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Plasmabeschichtung OBERFLÄCHENTECHNIK
schichteten Proben wurde ebenfalls untersucht und mittels REM und Fluoreszenzfärbung dargestellt (Bild 3).
Zusammenfassend lässt sich aus diesen Ergebnissen schließen, dass das Material nicht zytotoxisch ist und die Zellen
an der Oberfläche anwachsen. Die heißer
beschichtete Probe wies sogar eine Verbesserung der Profileration im Vergleich
zur Kontrolle auf. Dies ist vermutlich auf
lösbares Silika zurückzuführen, das das
Zellwachstum anregen kann. Fehlende
Zytotoxizität und ein gutes Anwachsverhalten sind zwei der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung der Beschichtung in der Medizintechnik.
Beständigkeit der Silanbeschichtung
Eine Aussage über die Beständigkeit lässt
sich treffen, indem man die Beschichtung
in flüssigen Medien einlagert. Hierzu wurden Edelstahlplättchen beschichtet, in
das Medium eingelagert und die Proben
für einen Monat in einem Inkubator bei
37 °C aufbewahrt.
Ein weiteres Verfahren zur Bestimmung der Beständigkeit von Beschichtungen ist der Zugversuch. Annahme
war, dass die Beschichtung auf einem
Stent erfolgte. Daher wurden Zugstäbe
nach DIN EN ISO 6892 aus chirurgischem
Edelstahl 316L mit einer Dicke von 1 mm
gefertigt. Bei der Belastung der Probe
hat man sich an der Belastung von Stents
beim Aufweiten in einer Arterie orientiert. Die maximale Belastung bei diesem Prozess ist unklar; einige Untersuchungen gehen jedoch von einer maximalen Spannung von 700 MPa aus [7, 8].
Film_Ad_GEARS-FINAL.indd 1
Da die hier verwendeten Probekörper
bei diesen Kräften bereits über der
Bruchdehnung belastet wären, wurde
eine Maximalspannung von 500 MPa angewendet, die zwar oberhalb der Dehngrenze, jedoch unterhalb der Bruchdehnung des Edelstahls liegt.
Die Probenkörper zeigten nach der
Belastung eine Verjüngung der Schicht
an den durch Dehnung belasteten Stellen, jedoch blieb die Schicht stabil auf der
Oberfläche haften, und es waren keine
Risse sichtbar (Bild 4). Die Einlagerung in simulierter Körperflüssigkeit (Simulated
Body Fluid, SBF) und im Standard-Nährmedium für die Zellkultur (Dulbeccos Modified Eagle Medium, DMEM) ergab, dass
eine getemperte Schicht auch in diesen
Medien über einen Monat weitgehend
stabil ist.
Das DMEM aus dem Einlagerungsversuch wurde danach auf Zytotoxizität untersucht. Dabei ließ sich keine Verringerung der Zellproliferation feststellen. Diese Ergebnisse belegen, dass die Beschichtungen sehr stabil und dadurch auch für
mechanisch beanspruchte Bauteile geeignet sind.
Fazit und Ausblick
HMDSO-Beschichtungen sind sehr vielversprechend für die Anwendung in der
Medizintechnik. Wie die chemische Charakterisierung ergab, bilden sich durch
die Plasmabehandlung hydrophobe, silanartige Beschichtungen aus. Die Zugversuche zeigten, dass die Schichten
auch auf belasteten Implantaten (etwa
Stents) zum Einsatz kommen können, da
Bild 4. Zugversuch überstanden: Die Schicht
blieb offensichtlich stabil auf der Oberfläche
haften, Risse waren nicht erkennbar (© Christin
Rapp, Lehrstuhl für Medizintechnik, TUM)
kein Abplatzen oder Aufreißen der
Schicht zu erkennen war. Die Prüfung
der Zytotoxizität ergab, dass die untersuchten Schichten die Zellproliferation
nicht negativ beeinflussen. Alle Ergebnisse der Studie belegen, dass mittels
Openair-Plasma abgeschiedene Silanschichten keine zytotoxischen Eigenschaften und eine gute Beständigkeit
aufweisen.
Bisher wurden die Schichten vorwiegend auf Metallen für den Einsatz auf
Stents abgeschieden, jedoch lieferten
auch erste Versuche auf Kunststoffen
vielversprechende Ergebnisse. Diese beschichteten Kunststoffe könnten als
künstliche Arterien oder Herzklappen
zum Einsatz kommen. Alle Eigenschaften
der Beschichtung deuten darauf hin,
dass die Schichten für den Einsatz im
Körper geeignet sind und sich mittels
Openair-Plasma vielversprechende neuartige, Inline-gefertigte Implantate erzeugen lassen. W
4/14/15 1:08 PM
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