«THE GIRL WITH THE LIZARD»(TEXT AND PICTURE ANALYSIS

УДК 811.112.2
Р. Биберштайн, Е. И. Карпенко
Биберштайн Р., канд. филос. наук, Университет Эберхарда Карла в г. Тюбинген,
Institut für Medienwissenschaft, Akademische Rätin;
e-mail: [email protected]
Карпенко Е. И., канд. филол. наук, доц., каф. лексикологии и стилистики немецкого языка фак-та немецкого языка МГЛУ; e-mail: [email protected]
«DAS MÄDCHEN MIT DER EIDECHSE»
(TEXT-BILD-ANALYSE ZWISCHEN SPRACHUND BILDWISSENSCHAFT)
Die menschliche Kommunikation ist semiotisch heterogen. Im Folgenden soll
anhand einer intermedial „sich-verflechtenden“ Analyse und Interpretation der Erzählung
„Das Mädchen mit der Eidechse“ von Bernhard Schlink und des gleichnamigen
Gemäldes von Ernst Stückelberg gezeigt werden, wie zwei semiotische Systeme –
die natürliche Sprache und „die Sprache der bildenden Kunst“ – einander ergänzen
und beinflüssen und wie die Erschließung von diesem Zusammenwirken durch den
Interpreten zum tieferen Verständnis des literarischen und des Bildwerks verhelfen
kann.
Schlüsselwörter: vor-ikonographische Beschreibung, ikonographische
Analyse, ikonologische Interpretation, Bildwissenschaft, linguostilistische Textanalyse,
Textinterpretation, architektonische Steigerung, (sprachliche) Symbole
Wie viele „Mädchen mit der Eidechse“ gibt es? Diese Frage stellt
sich dem Leser unwillkürlich, sobald er in die Welt von Bernhard
Schlinks Erzählung «Das Mädchen mit der Eidechse» (2000) eintaucht.
Zum einen sind da das literarische Werk mit dem gleichnamigen Titel
und die darin thematisierten zwei Gemälde mit eben diesem Titel des
fiktiven Malers René Dalmann. Zum anderen bezieht sich Bernhard
Schlinks Erzählung auf ein existierendes Gemälde des Schweizer
Malers Ernst Stückelberg aus dem 19. Jahrhundert, das unter dem Titel
«Das Mädchen mit der Eidechse» (1884) im Basler Kunstmuseum
geführt wird. Schließlich gibt es noch all jene «Das Mädchen mit der
Eidechse», welche jeder einzelne Leser dieser Erzählung in seiner
Imagination entwirft.
Um das Gemälde herum entfalten sich zwei zentrale Themen von
Bernhard Schlinks Erzählung: zum einen die Intrigen und Lügen der
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Eltern, die die Zeit des Nationalsozialismus verschweigen wollen und
zum anderen das Scheitern der Liebesbeziehungen des Protagonisten
aufgrund falscher Vorstellungen. Der Vater, der im Dritten Reich als
Kriegsricher tätig war, hat dem judischen Maler Dalmann unter dem
Druck der Nationalsozialisten sein Gemälde enteignet. Nach außen ließ
er es so aussehen, als ob er es als Dank für die Hilfe bei der Flucht
des Malers geschenkt bekommen habe. Während seiner Kindheit und
Jugend ist der Protagonist stark von dem Mädchen auf dem Gemälde
beeinflusst. Es weckt in ihm die Sehnsucht nach weiblicher Zärtlichkeit.
Durch seine auf das Mädchen auf dem Bild projizierte Zuneigung
entwickelt der Protagonist eine falsche Vorstellung von Romantik, die
seine Liebesbeziehungen als junger Mann scheitern lässt. Nach dem Tod
seines Vaters stellt er Recherchen an und kommt hinter das Geheimnis
des Gemäldes, des Malers und zugleich hinter das seines eigenen
Vaters. Zum Schluss verbrennt der Protagonist das Bild und glaubt
sich sowohl von der belastenden nationalsozialistischen Vergangenheit
seines Vaters als auch von seinen falschen Liebesvorstellungen befreit
zu haben [8; 9].
Bernhard Schlink erschafft in der Erzählung kommunikative
Räume, in welchen die Kodes der Bedeutungssysteme Sprache und
Visuelles präsentiert und angewandt werden. Diese kommunikativen
Räume sind symbolische Räume. Sie erscheinen wie Inseln, auf denen
versucht wird die zentrale Idee dieser Erzählung zu überwinden:
die Unkommunizierbarkeit oder das Unvermögen der Figuren mit
einander in Dialog zu treten. Bei Bernhard Schlink finden Vater und
Sohn keine gemeinsame Sprache; die Bildsprache des Gemäldes bleibt
dem Sohn bis zum Schluss unzugänglich; Innenwelten können nicht
nach außen kommuniziert werden. In diesem Beitrag zeigen wir auf,
wie Bernhard Schlink Analysestrategien des Visuellen aufgreift, um
Sprachlich das Nicht-zu-Versprachlichende zu vermitteln. Das Thema
der Erzählung – das sich verständlich Machen – wird methodisch
durch das kunstwissenschaftliche Analyse- und Interpretationsmodel
der Ikonologie und mittels der linguostilistischen Analyse- und
Interpretation des literarischen Textes erschlossen.
Die Ikonologie, ein drei-stufiges Modell der Bildinterpretation
(vor-ikonographische Beschreibung, ikonographische Analyse,
ikonologische Interpretation), wurde von dem Kunsthistoriker Erwin
Panofsky (1892–1968) entwickelt [4]. Die Ikonologie eignet sich zur
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Analyse von Bernhard Schlinks «Das Mädchen mit der Eidechse»,
da es eine interdisziplinär einsetzbare Methode ist, die auch für
Visualisierungsstrategien von Texten anwendbar ist. (Vgl. [1, S. 3]).
Eine Form der literarischen Visualisierung ist z. B. die Ekphrasis, «deren
Ziel in einer beim Zuhörer/Leser bewirkten Anschaulichkeit liegt» [5,
S. 76]. Zudem richtet sie sich «über die Mediengrenze hinaus: Worte
werden Bild und mehr noch: Der lineare Ablauf der Sprache soll zur
räumlichen Bewegung werden und eine Beschreibung entstehen, „die
einen herumführt […] und den Gegenstand anschaulich […] vor Augen
bringt“» [5, S. 76]. Bernhard Schlink spielt mit dieser literarischen
Beschreibung des Kunstwerks, deren «visuelle Qualität in der affektiven
Wirkung der Sprache liegt» [5, S. 76]. Der Autor geht jedoch in seiner
Erzählung über das Beschreiben hinaus und bedient sich – bewußt oder
unbewußt – der kunstwissenschaftlichen Methode von Erwin Panofsky
als Basis für seinen Textaufbau. Dies gibt ihm die Möglichkeit, die
Entwicklung des Protagonisten vom kleinen Jungen zum erwachsenen
Mann und die Beschreibung und Analyse des Gemäldes im Text auf
einander zu beziehen. Mit dieser Technik verstärkt und markiert er
jene Momente, in denen der Protagonist eine neue oder besondere
Erkenntnis über sich selbst gewinnt oder um seine psychologischen
Zustände zu verdeutlichen. Gleichzeitig werden dadurch zusätzliche
Interpretationsebenen für die Erzählung eröffnet.
Die hier vorgeschlagene Analyse von Bernhard Schlinks «Das
Mädchen mit der Eidechse» fokussiert auf das Spiel des Autors mit
Intermedialität. Darum wird die kunstwissenschaftliche Methode
der ikonologischen Interpretation mit der linguostilistischen
Textinterpretation verbunden. In ihren Schriften zur linguostilistischen
Textinterpretation hat die Sprachwissenschaftlerin Elise Riesel (1906–
1989) immer wieder auf die besondere Position der Linguostilistik als
Brücke zwischen den philologischen Teildisziplinen wie Linguistik und
der Literaturwissenschaft verwiesen [6, S. 11]. Aus dieser Mittelposition
der Linguostilistik ergibt sich eine spezifische linguostilistische
Auffassung des literarischen Werkes, das nur als Ganzes in der Beziehung
zu seinen Teilen erfasst werden kann, ebenso wie umgekehrt ein Teil
erst durch seine Stellung innerhalb des Gesamtgefüges Sinn erhält. Der
kommunikative Gesamteffekt und die Wirkung, die ein literarisches
Werk auf den Leser ausübt, sind somit keinesfalls die Summe inhaltlicher
und formaler Aussageelemente. Die Integration, Verflechtung und
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Kombination der einzelnen Elemente zu einer Einheit aus Inhalt und
Form stellen erst das literarische Werk her. Die Beziehung zwischen
Textgehalt (bestimmten Inhalten, Ideen und Gefühlen, Appellen an
den Leser usw.) einerseits und dessen sprachstilistischen Ausformung
andererseits wird in der linguostilistischen Textinterpretation erfassst
[6, S. 16]. Einer der zentralen Begriffe, der ein literarisches Werk
in der Einheit seiner inhaltlichen und formalen Momente erfassen
hilft, ist die Textkomposition. Dabei ist der inhaltliche Aspekt des
literarischen Werkes formbezogen und der formale inhaltsbezogen. Die
Architektonik des Textganzen und seiner Teile entsteht gleichzeitig mit
seiner thematischen und inhaltlichen Füllung.
Architektonisch gesehen besteht die Erzählung von Bernhard
Schlink aus drei Teilen, welche aus unserer Sicht mit den drei Stufen
der Bildanalyse und Bildinterpretation im Modell von Erwin Panofsky
zusammenfallen. Im ersten Teil (Kapitel 1–4) kann der 8-jährige
Protagonist nur das Gegendständliche im Bild erfassen. Dieser Teil
entspricht der ersten vor-ikonografischen Etappe der Bildanalyse. Im
zweiten Teil der Erzählung (Kapitel 5–8) reflektiert der junge Mann
über die Symbolik des Dargestellten und seiner Wirkung auf ihn,
was im Wesen der nächsten Etappe, der ikonografischen Analyse, im
Panofsky-Modell liegt. Das steigende Interesse an der Herkunft des
Bildes führt den Protagonisten im dritten Teil der Erzählung (Kapitel
9–14) zu den wichtigen Fragen nach der Vergangenheit seines Vaters,
nach dem Grund der gestörten Beziehungen zu den Eltern und letzten
Endes nach dem Sinn des eigenen Lebens. Dieser Teil erschließt
die eigentliche Bedeutung des Bildwerks und entspricht der dritten
Etappe im Panofsky-Modell, die der ikonologischen Interpretation.
Jede Etappe, und somit jeder Teil der Erzählung, zeichnet sich durch
steigende Spannung aus, wobei auf den letzten, dritten, Teil, d. h. auf
die ikonologische Interpretation, der inhaltliche Hauptakzent gelegt ist.
Somit liegt in der Erzählung von Bernhard Schlink eine architektonische
Steigerung (Klimax) vor [6, S. 268].
Im Sinne der hier vollzogenen intermedialen Analyse ergänzen
sich die Aussagen der beiden semiotischen Systeme Sprache und
Visuelles, besonders in der Charakterisierung und der Darstellung des
Protagonisten. Das Gemälde hat bei Bernhard Schlink die Funktion
eines Dokuments im Sinne Erwin Panofskys, durch das sich der
Protagonist erschließt, denn: «Suchen wir jedoch das Kunstwerk als ein
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Dokument […] zu verstehen, beschäftigen wir uns mit dem Kunstwerk
als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren
Vielfalt anderer Symptome artikuliert, und wir interpretieren seine
kompositionellen und ikonographischen Züge als spezifische Zeugnisse
für dieses ‚andere’» [4, S. 40–41]. In Bernhard Schlinks Erzählung
verweist das ‚andere’ des Bildes auf das ‚andere’ und noch Unentdeckte
im Wesen des Protagonisten. Dieses andere kann jedoch nur durch die
Enthüllung der wahren Geschichte und somit Bedeutung des Gemäldes
und des Dargestellten ergründet werden. Durch die Analyse wird
die Verwebung der Systeme Sprache und Visuelles deutlich, denn
Bernhard Schlink baut seine Erzählung analog zu den drei Stufen des
Interpretationsmodells von Erwin Panofsky auf.
Um zur Interpretation eines Bild-Kunstwerkes zu gelangen sieht
das Modell von Erwin Panofsky auf der ersten Stufe die Beschreibung
des Vor-Ikonographischen vor. Hierzu gehören das Gegenständliche
und Erfassbare ebenso wie die Nuancen von Gefühlszuständen und die
Stilgeschichte [4, S. 34]. Im dritten Jahr auf dem Gymnasium wird dem
Jungen das Verfassen einer Bildbeschreibung aufgegeben: «Das Bild
zeigte ein Mädchen mit einer Eidechse. Sie sahen einander an und sahen
einander nicht an, das Mädchen die Eidechse mit verträumtem Blick,
die Eidechse das Mädchen mit blicklosem, glänzenden Auge» [8, S. 7].
Bernhard Schlink schildert in verschiedenen sprachlichen Versionen
die Figuren und ihre Bewegung, Vorder-, Mittel- und Hintergrund,
Farbdramaturgie sowie Komposition des Gemäldes. Zeile für Zeile fügt
sich vor dem inneren Auge des Lesers das Gemälde «Das Mädchen
mit der Eidechse» von René Dalmann zusammen. «Das Übersetzen des
Bildes in Worte und Sätze» [8, S. 12], also die erfolgreiche Übertragung
eines semiotischen Systems in das andere, gelingt dem Jungen erst im
dritten Versuch: «Auf dem Bild sieht ein Mädchen einer Eidechse zu,
wie sie sich sonnt. Das Mädchen ist wunderschön. Es hat ein feines
Gesicht mit einer glatten Stirn, einer geraden Nase und einer Kerbe in
der Oberlippe ...» [8, S. 14]. Bewusst lässt der Autor seinen Leser an
dem Entstehungsprozess der Bildbeschreibung teilhaben, denn er geht
mit seinem Text selbstreferentiell um. Der dritte Versuch ist nur deshalb
erfolgreich, weil die reine Beschreibung des Gegenständlichen und
Sichtbaren durch eine Narration vervollständigt wird. Die dargestellten
Elemente werden mit einander verbunden – Objekte, Beziehungen und
Emotionen. Das heißt, die vor-ikonographische Beschreibung muss
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bildhaft sein und der Zusammenhang des Dargestellten muss durch
eine narrative Verknüpfung hergestellt werden.
Die Bedeutung der vor-ikonographischen Beschreibung wird bei
Erwin Panofsky in der nächsten Stufe, die der ikonographischen Analyse,
hergestellt. Diese bezieht sich auf die Verweise im Dargestellten – z.
B. Schriftquellen, Mythen, Allegorien, Zitate – und auf Fragen der
Kunstrichtung und der Motive. Bernhard Schlink motiviert diese zweite
Stufe der Bildanalyse durch die wachsende Neugier des nunmehr zum
Mann herangereiften Jungen am Bildinhalt und seiner sich verändernden
Wirkung auf ihn sowie seine Wahrnehmung des Dargestellten. Nach
dem Tod des Vaters nimmt er «Das Mädchen mit der Eidechse» mit in
seine Mansardenwohnung. Dieses seltsame Zusammenwohnen hindert
ihn daran, Beziehungen zu wirklichen Frauen aufzubauen. Jedes neue
Verhältnis wird für ihn zum «Verrat» am Mädchen im Bild. Er beginnt
zu fragen, zu hinterfragen und zu analysieren. Jetzt muss das Geheimnis
des Gemäldes gelüftet werden. Wer ist das Mädchen? Was hat es mit
der Eidechse auf sich? Von wem stammt das Bild? Nie zuvor hatten ihn
diese Fragen beschäftigt.
Zu den Verweisen im Dargestellten gehören z. B. Elemente wie
die rote Samtkappe des Mädchens als vermeintliches Zeichen religiöser
Zugehörigkeit [8, S. 7], das Meer und „dunkle Wolken“ als Vorboten für
etwas Bedrohliches [8, S. 8], die Eidechse auf dessen Symbolik später
eingegangen wird [8, S. 7], die Charakterisierung des Mädchens als
Lolita-Typ [8, S. 8]. Bereits im ersten Kapitel bindet Bernhard Schlink
seinen Leser durch die sprachliche Darstellung dieser Symbole in die
Bildinterpretation auf dieser zweiten Stufe ein. Mittels der Stimme
seines Protagonisten hinterfragt er das Dargestellte: «Die Landschaft,
die Versuchung, das Geheimnis und das Weib im Kind? War die Ironie
der Grund, dass das Bild den Jungen nicht nur faszinierte, sondern auch
verwirrte?» [8, S. 8] Die symbolische Bedeutung z. B. von Landschaft
in Gemälden ist vielfältig. Sie können für die Sehnsucht nach dem Ideal,
nach dem Paradies oder, als Ruinenlandschaften, für Vergänglichkeit
und Verfall stehen.
Ein weiteres zentrales Symbol der Erzählung und wesentliches
Element des Gemäldes ist die vielfach erwähnte Eidechse. Auf seiner
Suche nach dem Geheimnis des Gemäldes entdeckt der Protagonist ein
Werk Dalmanns, welches als verschollen gilt und viele Gemeinsamkeiten
mit seinem «Das Mädchen mit der Eidechse» aufweist. Der Unterschied
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zwischen beiden Gemälden liegt in der Umkehrung des Dargestellten.
Im Gegensatz zum Bild, das der Protagonist kennt, zeigt das verschollene
Werk eine riesige Echse und ein winziges Mädchen.
Nach der Schilderung von Bernhard Schlink symbolisiert die
Eidechse die Geliebte und Ehefrau Dalmanns, Lidya Diakonow. Lidya
war «ein Wesen von geschmeidiger, rätselvoller Schönheit» [8, S. 40].
Sie war Dalmanns «Eidechse, seine Dechse und Echse, sein Dechslein
und Echslein» [8, S. 40]. Der zierliche Körperbau der Eidechse wird oft
mit dem, durchaus sexuell konnotierten, Erscheinungsbild «graziler»
Mädchen und Frauen symbolisch verglichen [2, S. 76]. Somit war Lidya
«so zierlich, so schön und so rätselhaft» wie eine Eidechse [2, S. 76].
Man kann weiter gehen und eine durch die Alliteration hervorgerufene
Ähnlichkeit der Nominationen «Lidya – Diakonow – Dechse –
Dechslein» vermuten. Der Gebrauch des Wortes «Echse, Echslein»
als Kosewort wird durch idiomatische Wörterbücher nicht bestätigt.
Der Vergleich einer Frau mit einer Eidechse hat einen konnotativen
Charakter, der die Gesamtheit von Gefühlen, Gedanken, Stimmungen
und Vorstellungen ausdrückt, die der Autor dem Leser implizit durch die
sprachliche Gestaltung des ganzen Kontextes vermittelt. In Literatur und
Kunst birgt das Symbol der Eidechse noch weitere Bedeutungen (vgl.
[3, S. 94–95]; [2, S. 76]): Die Eidechse steht für eine Vielfalt von Werten
und Themen, die teilweise auch gegensätzlich sind. Seit der Antike ist
die Eidechse Symbol für die Auferstehung und ein Bild der Seele, weil
sie immer Gott, der Sonne, zugewandt ist. Im Humanismus steht sie
für die Liebe. Ebenso ist sie Symbol für Sehnsucht, Flüchtigkeit und
Vergänglichkeit. Bernhard Schlink geht in der Erzählung nicht direkt
auf die vielfältigen Bedeutungen des Symbols der Eidechse ein. Im
Kontext der Erzählung bietet sich dadurch jedoch Raum für vielfältige
Interpretationen, z. B. der Tat des Vaters, also der Rettung des Originals
von Dalmann, im Licht der Zeit des deutschen Nationalsozialismus.
Den Protagonisten führt seine Suche nach Antworten in ein
Bildarchiv, wo er zunächst ein Bild entdeckt, das stilistische
Ähnlichkeiten mit dem „Das Mädchen mit der Eidechse“ seines Vaters
aufweist. «Nein, weder erkannte er im Mädchen beim Handstand das
Mädchen mit der Eidechse, noch konnte er sagen es handele sich um
denselben Felsen, denselben Strand und dasselbe Meer. Aber alles
erinnerte ihn so stark an das Bild zu Hause ...» [8, S. 22]. Was Bernhard
Schlink mit «allem» beschreibt, meint in der kunsthistorischen Analyse
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den Stil des Gemäldes. Die Stilanalyse eines Kunstwerkes ist immanenter
Bestandteil des Models von Erwin Panofsky und dient Bernhard Schlink
dazu, seinen Protagonisten weiter zum Detektiv des Kunstwerkes, das
ihn interessiert, zu entwickeln. Aus den Beobachtungen und Ergebnissen
der vor-ikonographischen Beschreibung und der ikonographischen
Analyse gewinnt der Kunsthistoriker und nun auch der Protagonist von
Bernhard Schlink Informationen, die Rückschlüsse auf die Zuordnung
des Stils des Künstlers erlauben und somit auch die Zuordnung von
Werken zu einem bestimmten Künstler. Auch dieses zentrale Element
im Modell von Erwin Panofsky benutzt der Autor als wesentliche
narrative Station in der Erzählung. Der Protagonist sucht weiter nach
Gemälden von René Dalmann. Bei der Bildbeschreibung eines dritten
Werkes erscheint dem kunsthistorisch vorgebildeten Leser sofort das
Werk des surrealistischen Malers Salvador Dalí vor Augen, speziell sein
Gemälde «Die brennende Giraffe» von 1937, im Kunstmuseum Basel
geführt: Zwei Frauenfiguren und eine brennende Giraffe stehen inmitten
einer kargen Landschaft. Lediglich im Bildhintergrund sind Züge einer
Berglandschaft zu erkennen. Prominent im zentralen Bildvordergrund
steht eine der beiden Frauenfigur, die von einer Konstruktion aus
Krücken entlang des Rückens gestützt wird. Ihre Brust und ihr rechtes
Bein sind von offenen Schubladen durchzogen. Die Beschreibung von
René Dalmanns Gemälde hingegen lautet: «Mit der rechten Hand schob
sie sich eine Schublade in den Unterleib, und auch ihre Brust und ihr
Bauch waren Schubladen, die eine mit den Brustwarzen und die andere
mit dem Nabel als Griffen» [8, S. 24]. Bernhard Schlink stimuliert bei
seinem Leser immer wieder die zwei Systeme, das Sprachliche und das
Visuelle. Dabei gibt er der Imagination des Lesers Raum, sein eigenes
Bild zu formen, bevor er ihm einige Seiten später die Gewissheit
verschafft, vor seinem inneren Auge das Richtige gesehen zu haben. Er
schildert die Biographie des fiktiven Malers René Dalmann und bettet
ihn in seinen zeit- und kunsthistorischen Kontext ein, welcher der des
Dadaismus und Surrealismus ist und führt dazu den realen Künstler
Salvador Dalí namentlich an.
Nachdem der Autor diese Informationen geliefert hat, geht er
auf die dritte Stufe in Erwin Panofskys Modell ein, die ikonologische
Interpretation, die nur durch die Beschreibung und Analyse der ersten
beiden Stufen möglich ist. Die ikonologische Interpretation legt die
eigentliche Bedeutung des Bildwerkes dar. Dafür wird der historische,
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gesellschaftliche oder individuelle Kontext, in dem das Bild entstanden
ist, herangezogen. Verbunden mit der Entwicklung des Protagonisten,
führt Bernhard Schlink diese Stufe der Interpretation an einer Stelle
in der Erzählung ein, wo der junge Mann auf seiner Suche nach sich
selbst und in seinem Heranreifungsprozess an einem Punkt angelangt
ist, an dem er die Konstruktion der Welt, in der er lebt, hinterfragt. Dazu
gehören auch seine Beziehungen zu Frauen und vor allem die Beziehung
zu seinen Eltern. Bernhard Schlink verwebt, folglich, die ikonologische
Interpretation, die Lösung zu des Bildes Inhalt, mit der Auflösung des
Konflikts zwischen dem Protagonisten und seinen Eltern, der wiederum
bestimmten historischen Gegebenheiten und Ereignissen entspringt.
In der Erzählung ist das Gemälde «Die Echse und das Mädchen»
Teil der 1937 vom Nazi-Regime organisierten Ausstellung «Entartete
Kunst». Es gilt seit dem als verschollen. Die ikonologische Interpretation der ersten Fassung des Bildes wird von Bernhard Schlink im
fiktiven Ausstellungskatalog der Nazi-Zeit platziert, er setzt den
historischen Interpretationsrahmen: «Pornografie braucht keine
Nacktheit, und Entartung braucht keine handwerkliche Verzerrung.
Mit perfektem Pinselstrich kann der Jude den deutschen Unternehmer
als kapitalistischen Wüstling und das deutsche Mädchen als seine
lüsterne Dirne darstellen» [8, S. 35]. Erst jetzt hinterfragt der junge
Mann seine Weltkonstruktion, und vor allem seine Beziehung zu den
Eltern. Er erfährt, dass sein Vater Kriegsrichter war. Aber welche Rolle
spielte er in der Rettung des Gemäldes? War er ein tapferer Kunstfreund
oder ein skrupelloser Kunsträuber? Dies wird er nicht mehr erfahren.
Bernhard Schlink gehört zu den Autoren, die den Konflikt zwischen
der sogenannten Väter-Generation und der Kinder-Generation aus der
Zeit des Nationalsozialismus als Kommunikationskonflikt betrachtet.
Der Dialog zwischen ihnen ist unmöglich, sie sind unfähig mit einander
über komplexe Themen zu sprechen [7, С. 5]. Das Schweigen wird zum
bedeutungsträchtigen Merkmal dieser Kommunikation. Bernhard Schlink
führt zur Überwindung dieses Schweigens ein anderes Medium ein, die
Malerei, das seine wortlosen Aussagen in symbolische Form bringt.
Und doch wird der Protagonist den Konflikt mit den Eltern nicht
lösen können, genauso wie er den wahren Inhalt des Gemäldes nicht
entschlüsseln wird. Auch seinem Leser verweigert der Autor die
intendierte ikonologische Interpretation. Am Ende der Erzählung wird
das Gemälde vernichtet. So erklärt der Protagonist seine Konflikte mit
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der Umwelt für nichtig. «Aber ehe es [das Bild] verglühte, schlug die am
Rand durchgebrannte Leinwand hoch und gab den Blick auf ein anderes
Bild frei ... Die riesige Eidechse, das winzige Mädchen …» [8, S. 54].
Damit das Bild seinen Verfolgern entgeht, bedeckt René Dalmann das
Original mit einer neuen Schicht, die «Das Mädchen mit der Eidechse»
zeigt. Das Kunstwerk und der Maler werden genauso flüchtig wie die
Eidechse, die zur Ablenkung eines Verfolgers ihren Schwanz abwirft
und deswegen als Symbol der Flüchtigkeit gilt [2, S. 76]. Hätte der
Protagonist Französisch beherrscht, wäre er dahintergekommen. Das
französische Wort «lezard» bedeutet wörtlich übersetzt «Eidechse»,
im übertragenen Sinne steht es für «die Falle», «die Ablenkung». Im
Französischen gibt es die Redewendung il y a un lezard, welche so gut
wie «etwas stimmt hier nicht» bedeutet. Über die Jahrzehnte hindurch
schickte das Bild seinem Betrachter die Botschaft, laut derer etwas auf
dem Bild nicht stimmen sollte. René Dalmann, der sowohl in Straßburg
als auch in Paris lebte, und sogar die Kunstzeitschrift «Lezard violet»
herausgab, wusste das wohl.
Statt mit einer aufgelösten Erzählung, einem gelösten Bildrätsel
zu enden, entlässt Bernhard Schlink seinen Leser mit offenen Fragen:
Was ist Original und Kopie? Was ist Wirklichkeit und Einbildung bzw.
Abbildung? In welchem semiotischen System finden wir das Original?
Kann es eine in sich originale, also ursprüngliche Bedeutungs- und
Absichtsebene in der Kunst geben?
Die hier etablierten heterogenen kommunikativen Räume von
Sprache und Visuellem zeigen exemplarisch auf, wie diese semiotischen
Systeme als Stütze und Ergänzung zu einander eingesetzt werden, um
das „andere“ zu vermitteln: das Schweigen zwischen den Generationen
einer bestimmten Epoche ist eine bedeutungsträchtige Kommunikation,
das durch die Malerei, einem Medium des Visuellen ausgedrückt und
auch zumindest teilweise überwunden wird; wie jede Kommunikation
ist sie symbolhaft und setzt ihre Deutung voraus.
LITERATURVERZEICHNIS
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Literatur, Imagination, Realität 41. – Trier : WVT, 2007. – 254 S.
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Schlink B. Liebesfluchten. Hardcover Leinen [Elektronische Ressource]. –
URL: http://www.sg-rheinbach.de/downloads/analysenbernhardschlinkli
ebesfluchten.pdf
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