Nachweis der Baumstatik in Hochseilgärten, Volltext zu DEGA 3

Nachweis der Baumstatik in Hochseilgärten
Bei der Anlage von Abenteuerspielplätzen werden häufig Kletterübungen in
lebende Bäume eingebaut. Dadurch werden die Bäume, die als Ankerpunkte der
Befestigungen dienen, in unterschiedlichem Ausmaß belastet. Der Anlagenbauer
ist i.d.R. gehalten, einen eindeutigen Nachweis der Stand- und
Bruchsicherheiten der dafür benutzten Bäume zu erbringen.
Die Bruchsicherheit der oberirdischen Baumteile kann mit hinreichender
Genauigkeit relativ leicht auf rechnerischem Wege ermittelt werden.
Der Nachweis der Standsicherheit stellt höhere Anforderungen an den
Baumstatiker, da sich die Stabilität des Wurzel-Erde-Verbundes rechnerischen
Betrachtungen entzieht. Im vorliegenden Praxisfall sollen vier verschiedene
Kletterübungen zwischen acht Eichen in einem lichten Waldbestand eingebaut
werden. Mit dem Nachweis der Baumsicherheiten wurde die Arbeitsstelle für
Baumstatik*1 beauftragt.
Statik ist die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte. Einer einwirkenden, äußeren
Belastung muß der beanspruchte Lastenträger mit ausreichender Sicherheit und
ohne bleibende Schäden davonzutragen widerstehen.
Bei der Verkehrssicherheit von Bäumen ist zu unterscheiden in die
Standsicherheit* und die Bruchsicherheit*2.
Die kipp- und bruchauslösende Maximallast ist bei Bäumen meistens die
Windlast. Zur Klärung baumstatischer Fragestellungen ist daher in der Regel zu
prüfen, ob ein Baum einer einwirkenden Orkanwindbelastung (Windstärke 12,
aufgebracht über das Stamm- und Kronensegel) im Zustand der vollen
Belaubung mit ausreichenden Sicherheiten widerstehen kann.
Bei dem Nachweis der Baumstatik in Hochseilgärten mit Kletterübungen ist vor
allem zu untersuchen, ob die verwendeten Bäume der Belastung durch die
kletternden Personen im Falle eines Sturzes (Maximalbelastung an dem oberen
Sicherungsseil) standhalten.
Der maximale Lasteintrag ergibt sich durch die maximal zulässige Anzahl der
Personen und deren (maximaler Lasteintrag im Falle eines Sturzes) sowie der
Höhe der Verankerungspunkte über dem Boden. Die Eckwerte hierfür sind von
dem Ersteller der Anlage dem Baumstatiker verbindlich vorzugeben.
Vorauswahl der Bäume:
Die Vorauswahl potentiell geeigneter Bäume erfolgt durch eine eingehende
visuelle Zustandsuntersuchung.
Außer auf das Vorhandensein eindeutiger statikrelevanter Schadsymptome ist
dabei auf die h/d-Werte der Bäume zu achten, insbesondere, da meistens
Waldbäume mit relativ ungünstigen h/d-Werten in Betracht kommen.
Ungeeignet sind grundsätzlich vorgeschädigte Bäume mit statikrelevanten
Schäden, wie
* Vorhandensein von Pilzfruchtkörpern holzabbauender Arten,
* fäulebedingten Einwallungen / abgestorbenen Rindenpartien,
* tiefreichenden Höhlungen,
* V-förmigen Vergabelungen,
* angebrochenen Stämmen,
* (verlassenen) Spechthöhlen und
* stammnahen, konzentrisch verlaufenden und aufklaffenden Bodenrissen nach
windbedingter Lockerung.
Sind keine statikrelevanten Vorschäden vorhanden, sollte in einem nächsten
Arbeitsschritt zur Feststellung der baumstatischen Grundsubstanz der h/d-Wert
bestimmt werden.
Der h-/d-Wert (= Baumhöhe geteilt durch Stammdurchmesser in
ca. 1,3 m Höhe) ist eine Kennzahl für die wuchsformbedingten
Sicherheitsreserven von Bäumen. Allgemein gilt: Je höher der Wert, desto
geringer sind die Sicherheitsreserven der Bäume und umgekehrt.
Frei gewachsene „Stadt-“Bäume weisen h/d-Werte um 25 (= günstig), schlank
und hoch im Bestand aufgewachsene „Wald-„Bäume um etwa 60-80 auf (=
ungünstig).
Dies hängt jedoch wiederum ab von der Größe der zu erwartenden Belastung.
Je weniger Personen die jeweilige Kletterübung benutzen dürfen, je geringer die
Belastung an den Verankerungspunkten und je niedriger die Einbauhöhe der
lastabtragenden Seile an den Verankerungspunkten umso geringer die zu
erwartende Belastung. Ein allgemein gültiger Grenzwert h/d lässt sich nicht
benennen.
Grundsätzlich sollten jedoch relativ frei gewachsene Bäume innerhalb des
Bestandes mit eher günstigen h/d-Werten in die engere Auswahl fallen.
Im vorliegenden Praxisfall wurden acht Eichen ohne statikrelevante Vorschäden
ausgewählt (fünf Stiel-Eichen und drei Trauben-Eichen).
Deren h/d-Werte sind:
Baum-Nr.
Höhe
1
ca. 20 m
2
ca. 22 m
3
ca. 21 m
4
ca. 19 m
5
ca. 19 m
6
ca. 18 m
7
ca. 18 m
8
ca. 22 m
Stammumfang
2,05 m
1,80 m
1,80 m
1,52 m
1,78 m
1,65 m
1,65 m
1,96 m
h/d-Wert rund
31
39
37
40
33
34
34
35
Die ausgewählten Eichen sind innerhalb des Bestandes relativ frei gewachsen
und weisen daher für Waldbäume günstige h/d-Werte und damit verbunden hohe
Sicherheitsreserven auf. Die nachfolgend beschriebenen messtechnischen (und
rechnerischen) Untersuchungen weisen dies nach.
Untersuchungen:
Untersucht wurden jeweils meßtechnisch der Wurzel-Erde-Verbund auf
Standsicherheit (Neigungsmessungen, AfB-Methode) und der untere
Stammbereich an jeweils zwei Messstellen auf Bruchsicherheit (SetzDehnungsmessungen, Dilatometerverfahren). Desweiteren erfolgten
rechnerische Bruchsicherheitsermittlungen durch
Widerstandsmomentenberechnungen der Stamm-/Stämmlingsquerschnitte und
Spannungsvergleiche. Hierzu wurden die Durchmesser der Stämme in 1 m und 2
m Höhe in der vorgesehenen Belastungsrichtung und seitlich dazu mit einer
Messkluppe gemessen, sowie die Durchmesser der fünf Stämmlinge, an denen
Verankerungspunkte für die Seilkletterübungen angebracht werden sollten
(Durchmesser abzüglich 2 x 1 cm Borke).
Zu den einwirkenden Belastungen:
In jeweils zwei benachbarte Bäume sollen vier verschiedene Kletterübungen
eingebaut werden. In allen Fällen wird die kletternde Person durch ein
Absturzseil (toprope) gesichert. Dieses Absturzseil wird an einem Stahlseil
befestigt, das horizontal zwischen den Bäumen oberhalb der Kletterübung
eingebaut wird. Maximale Vertikallast im Falle eines Sturzes pro Sicherungsseil
lt. Angaben des Anlagenbauers = 5 kN*3 (dies entspricht der Masse einer
Gewichtskraft von rund 500 Kilogramm). Maximal dürfen zwei kletternde
Personen eine Seilübung benutzen, d.h. als Maximallast werden von dem
Erbauer der Anlage bei dem Einsatz von zwei Sicherungsseilen (d.h. zwei
kletternde Personen gleichzeitig gesichert) 2 x 5 kN = 10 kN genannt.
Diese Last kann im Extremfall (zwei stürzende Personen gleichzeitig) in die
zwei Verankerungspunkte des Stahlseiles an den benachbarten Bäumen
eingeleitet werden.
Die Höhe der Belastung an den Verankerungspunkten hängt außerdem
insbesondere ab von dem Seildurchhang des oberen Stahlseiles, an dem die
Absturzseile angebracht sind und dem Abstand der Aufhängung des jeweiligen
Absturzseiles zu der Verankerung an den Bäumen. Für die Aussagen in dem
Prüfbericht zur Baumsicherheit wird ungeachtet dieser Randbedingungen die
mitgeteilte Maximallast von 10 kN zugrunde gelegt.
Insbesondere aufgrund von Unwägbarkeiten muß ein 1,5-facher
Sicherheitsabstand*4 berücksichtigt werden, d.h. die nachfolgenden Aussagen
zur Stand- und Bruchsicherheit beziehen sich auf die von der Fa. X genannten
Maximalbelastungen zuzüglich eines 1,5-fachen Sicherheitsabstandes.
Die genauen Einbauhöhen der Verankerungspunkte wurden für jeden Baum bei
einer ersten Begehung zusammen mit dem Ersteller der Anlage festgelegt.
UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE:
Maximale Belastungen am Stammfuß (einschl. 1,5-facher Sicherheit):
Baum-Nr.
1-4
5 u. 6
7 u. 8
Einbauhöhe
10 m
9m
9,5 m
Belastung
150 kNm
135 kNm
143 kNm
Bezogen auf diese Belastungen sind alle acht Eichen hochgradig standsicher
(Standsicherheitsklasse 1) und bruchsicher (Bruchsicherheitsklasse 1).
Die maximalen Belastungen an den Bruchsicherheitsmessstellen am Stamm /
Stämmlingen sind bis in Höhe der jeweiligen Messpunkte aufgrund der
verkürzten Hebelarme (Abstand zwischen dem Verankerungspunkt im Baum
und der Messstelle) in unterschiedlichem Ausmaß verringert.
Fazit:
Unter Berücksichtigung eines 1,5-fachen Sicherheitsabstandes weisen die acht
untersuchten Bäume ausreichende Sicherheiten auf, mit allen beanspruchten
Baumteilen den von der Fa. X genannten Maximallasten zu widerstehen.
Von den genannten Einbauhöhen darf –außer einer Verlegung der
Verankerungspunkte weiter nach unten (= noch höhere Sicherheiten)- nicht
abgewichen werden.
Zur Tragfähigkeit der verwendeten Komponenten der Klettereinrichtung
(Verankerungspunkte in den Bäumen, Stahlseile, Absturzseile etc.) werden in
dem Prüfbericht zur Baumsicherheit keine Aussagen getroffen. Außerdem
werden –wunschgemäß- keine Aussagen zur Sturmfestigkeit der Bäume
getroffen.
Insbesondere ist bei zukünftigen visuellen Baumkontrollen auf das mögliche
Auftreten von Pilzfruchtkörpern holzabbauender Arten bzw. nach
Sturmereignissen auf gelockerte Bäume bzw. angebrochene Stämme /
Kronenteile zu achten.
Verfasser:
Thomas Sinn, Arbeitsstelle für Baumstatik, Dipl.-Ing. öbv Sachverständiger für www.dega.de
Weitere Infos zu den Meß- und Rechenverfahren unter www.baumstatik.de, der Internetpräsenz der
Arbeitsstelle für Baumstatik
*1
Die Arbeitsstelle für Baumstatik wurde im Jahr 1984, nach vierjähriger Forschungs- und
Entwicklungsarbeit, von Günter Sinn, dem Pionier der Baumstatik, als das erste Prüfinstitut für die
Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen, gegründet. Sie wurde im Jahr 2000 dem Verfasser
übergeben. Alle heutigen messtechnischen Verfahren zur statikintegrierten Stand- und
Bruchsicherheitsüberprüfung von Bäumen basieren auf den Erkenntnissen aus der
Grundlagenforschung von Günter Sinn und wurden von ihm und wissenschaftlichen Mitarbeitern der
Universität Stuttgart bzw. Herrn Dr. Männl entwickelt.
*2
Definition Standsicherheit und Bruchsicherheit:
Standsicherheit kennzeichnet die "Ausreichende Verankerung des Baumes im Boden".
Bruchsicherheit ist die "Ausreichende Fähigkeit und Beschaffenheit des Baumes, dem Bruch von
Stamm und Kronenteilen zu widerstehen".
Nach: ZTV-Baumpflege - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für
Baumpflege. Hrsg.: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL),
Colmantstraße 32, 53115 Bonn (2001)
*3
Laut Mitteilung eines anderen Anlagenbauers für Hochseilgärten erzeugen die horizontal gespannten
Stahlseile rechnerisch ermittelte Kräfte von bis 8,7 kN. Offenbar fehlen hierzu noch grundlegende
Untersuchungen.
*4
Die Berücksichtigung eines vergleichsweise geringen 1,5-fachen Sicherheitsabstandes ist nur für
lebende Lastenträger (Bäume), die sich durch ihr sekundäres Dickenwachstum laufend weiter
verstärken, und nur bei der Verwendung geeigneter baumstatischer Untersuchungsverfahren, die
Aussagen zum Grad der Sicherheit erlauben (zum Beispiel AfB-Methode, Messergebnisse von
Standsicherheitsklasse 1 –hochgradig standsicher- bis Standsicherheitsklasse 4 –nicht mehr
standsicher- mit Zwischenstufen) zulässig.
Für das verwendete Material, das einer andauernden Alterung unterliegt, gelten andere
Sicherheitsabstände. In der Hebetechnik wird in der Regel ein 6-facher Sicherheitsabstand
zugrundegelegt, d.h. bei einer angenommenen Maximallast von 5 kN pro Seil sollten Materialien mit
einer Bruchlast von mind. 30 kN verwendet werden.