Nachweis der Baumstatik in Hochseilgärten Bei der Anlage von Abenteuerspielplätzen werden häufig Kletterübungen in lebende Bäume eingebaut. Dadurch werden die Bäume, die als Ankerpunkte der Befestigungen dienen, in unterschiedlichem Ausmaß belastet. Der Anlagenbauer ist i.d.R. gehalten, einen eindeutigen Nachweis der Stand- und Bruchsicherheiten der dafür benutzten Bäume zu erbringen. Die Bruchsicherheit der oberirdischen Baumteile kann mit hinreichender Genauigkeit relativ leicht auf rechnerischem Wege ermittelt werden. Der Nachweis der Standsicherheit stellt höhere Anforderungen an den Baumstatiker, da sich die Stabilität des Wurzel-Erde-Verbundes rechnerischen Betrachtungen entzieht. Im vorliegenden Praxisfall sollen vier verschiedene Kletterübungen zwischen acht Eichen in einem lichten Waldbestand eingebaut werden. Mit dem Nachweis der Baumsicherheiten wurde die Arbeitsstelle für Baumstatik*1 beauftragt. Statik ist die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte. Einer einwirkenden, äußeren Belastung muß der beanspruchte Lastenträger mit ausreichender Sicherheit und ohne bleibende Schäden davonzutragen widerstehen. Bei der Verkehrssicherheit von Bäumen ist zu unterscheiden in die Standsicherheit* und die Bruchsicherheit*2. Die kipp- und bruchauslösende Maximallast ist bei Bäumen meistens die Windlast. Zur Klärung baumstatischer Fragestellungen ist daher in der Regel zu prüfen, ob ein Baum einer einwirkenden Orkanwindbelastung (Windstärke 12, aufgebracht über das Stamm- und Kronensegel) im Zustand der vollen Belaubung mit ausreichenden Sicherheiten widerstehen kann. Bei dem Nachweis der Baumstatik in Hochseilgärten mit Kletterübungen ist vor allem zu untersuchen, ob die verwendeten Bäume der Belastung durch die kletternden Personen im Falle eines Sturzes (Maximalbelastung an dem oberen Sicherungsseil) standhalten. Der maximale Lasteintrag ergibt sich durch die maximal zulässige Anzahl der Personen und deren (maximaler Lasteintrag im Falle eines Sturzes) sowie der Höhe der Verankerungspunkte über dem Boden. Die Eckwerte hierfür sind von dem Ersteller der Anlage dem Baumstatiker verbindlich vorzugeben. Vorauswahl der Bäume: Die Vorauswahl potentiell geeigneter Bäume erfolgt durch eine eingehende visuelle Zustandsuntersuchung. Außer auf das Vorhandensein eindeutiger statikrelevanter Schadsymptome ist dabei auf die h/d-Werte der Bäume zu achten, insbesondere, da meistens Waldbäume mit relativ ungünstigen h/d-Werten in Betracht kommen. Ungeeignet sind grundsätzlich vorgeschädigte Bäume mit statikrelevanten Schäden, wie * Vorhandensein von Pilzfruchtkörpern holzabbauender Arten, * fäulebedingten Einwallungen / abgestorbenen Rindenpartien, * tiefreichenden Höhlungen, * V-förmigen Vergabelungen, * angebrochenen Stämmen, * (verlassenen) Spechthöhlen und * stammnahen, konzentrisch verlaufenden und aufklaffenden Bodenrissen nach windbedingter Lockerung. Sind keine statikrelevanten Vorschäden vorhanden, sollte in einem nächsten Arbeitsschritt zur Feststellung der baumstatischen Grundsubstanz der h/d-Wert bestimmt werden. Der h-/d-Wert (= Baumhöhe geteilt durch Stammdurchmesser in ca. 1,3 m Höhe) ist eine Kennzahl für die wuchsformbedingten Sicherheitsreserven von Bäumen. Allgemein gilt: Je höher der Wert, desto geringer sind die Sicherheitsreserven der Bäume und umgekehrt. Frei gewachsene „Stadt-“Bäume weisen h/d-Werte um 25 (= günstig), schlank und hoch im Bestand aufgewachsene „Wald-„Bäume um etwa 60-80 auf (= ungünstig). Dies hängt jedoch wiederum ab von der Größe der zu erwartenden Belastung. Je weniger Personen die jeweilige Kletterübung benutzen dürfen, je geringer die Belastung an den Verankerungspunkten und je niedriger die Einbauhöhe der lastabtragenden Seile an den Verankerungspunkten umso geringer die zu erwartende Belastung. Ein allgemein gültiger Grenzwert h/d lässt sich nicht benennen. Grundsätzlich sollten jedoch relativ frei gewachsene Bäume innerhalb des Bestandes mit eher günstigen h/d-Werten in die engere Auswahl fallen. Im vorliegenden Praxisfall wurden acht Eichen ohne statikrelevante Vorschäden ausgewählt (fünf Stiel-Eichen und drei Trauben-Eichen). Deren h/d-Werte sind: Baum-Nr. Höhe 1 ca. 20 m 2 ca. 22 m 3 ca. 21 m 4 ca. 19 m 5 ca. 19 m 6 ca. 18 m 7 ca. 18 m 8 ca. 22 m Stammumfang 2,05 m 1,80 m 1,80 m 1,52 m 1,78 m 1,65 m 1,65 m 1,96 m h/d-Wert rund 31 39 37 40 33 34 34 35 Die ausgewählten Eichen sind innerhalb des Bestandes relativ frei gewachsen und weisen daher für Waldbäume günstige h/d-Werte und damit verbunden hohe Sicherheitsreserven auf. Die nachfolgend beschriebenen messtechnischen (und rechnerischen) Untersuchungen weisen dies nach. Untersuchungen: Untersucht wurden jeweils meßtechnisch der Wurzel-Erde-Verbund auf Standsicherheit (Neigungsmessungen, AfB-Methode) und der untere Stammbereich an jeweils zwei Messstellen auf Bruchsicherheit (SetzDehnungsmessungen, Dilatometerverfahren). Desweiteren erfolgten rechnerische Bruchsicherheitsermittlungen durch Widerstandsmomentenberechnungen der Stamm-/Stämmlingsquerschnitte und Spannungsvergleiche. Hierzu wurden die Durchmesser der Stämme in 1 m und 2 m Höhe in der vorgesehenen Belastungsrichtung und seitlich dazu mit einer Messkluppe gemessen, sowie die Durchmesser der fünf Stämmlinge, an denen Verankerungspunkte für die Seilkletterübungen angebracht werden sollten (Durchmesser abzüglich 2 x 1 cm Borke). Zu den einwirkenden Belastungen: In jeweils zwei benachbarte Bäume sollen vier verschiedene Kletterübungen eingebaut werden. In allen Fällen wird die kletternde Person durch ein Absturzseil (toprope) gesichert. Dieses Absturzseil wird an einem Stahlseil befestigt, das horizontal zwischen den Bäumen oberhalb der Kletterübung eingebaut wird. Maximale Vertikallast im Falle eines Sturzes pro Sicherungsseil lt. Angaben des Anlagenbauers = 5 kN*3 (dies entspricht der Masse einer Gewichtskraft von rund 500 Kilogramm). Maximal dürfen zwei kletternde Personen eine Seilübung benutzen, d.h. als Maximallast werden von dem Erbauer der Anlage bei dem Einsatz von zwei Sicherungsseilen (d.h. zwei kletternde Personen gleichzeitig gesichert) 2 x 5 kN = 10 kN genannt. Diese Last kann im Extremfall (zwei stürzende Personen gleichzeitig) in die zwei Verankerungspunkte des Stahlseiles an den benachbarten Bäumen eingeleitet werden. Die Höhe der Belastung an den Verankerungspunkten hängt außerdem insbesondere ab von dem Seildurchhang des oberen Stahlseiles, an dem die Absturzseile angebracht sind und dem Abstand der Aufhängung des jeweiligen Absturzseiles zu der Verankerung an den Bäumen. Für die Aussagen in dem Prüfbericht zur Baumsicherheit wird ungeachtet dieser Randbedingungen die mitgeteilte Maximallast von 10 kN zugrunde gelegt. Insbesondere aufgrund von Unwägbarkeiten muß ein 1,5-facher Sicherheitsabstand*4 berücksichtigt werden, d.h. die nachfolgenden Aussagen zur Stand- und Bruchsicherheit beziehen sich auf die von der Fa. X genannten Maximalbelastungen zuzüglich eines 1,5-fachen Sicherheitsabstandes. Die genauen Einbauhöhen der Verankerungspunkte wurden für jeden Baum bei einer ersten Begehung zusammen mit dem Ersteller der Anlage festgelegt. UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE: Maximale Belastungen am Stammfuß (einschl. 1,5-facher Sicherheit): Baum-Nr. 1-4 5 u. 6 7 u. 8 Einbauhöhe 10 m 9m 9,5 m Belastung 150 kNm 135 kNm 143 kNm Bezogen auf diese Belastungen sind alle acht Eichen hochgradig standsicher (Standsicherheitsklasse 1) und bruchsicher (Bruchsicherheitsklasse 1). Die maximalen Belastungen an den Bruchsicherheitsmessstellen am Stamm / Stämmlingen sind bis in Höhe der jeweiligen Messpunkte aufgrund der verkürzten Hebelarme (Abstand zwischen dem Verankerungspunkt im Baum und der Messstelle) in unterschiedlichem Ausmaß verringert. Fazit: Unter Berücksichtigung eines 1,5-fachen Sicherheitsabstandes weisen die acht untersuchten Bäume ausreichende Sicherheiten auf, mit allen beanspruchten Baumteilen den von der Fa. X genannten Maximallasten zu widerstehen. Von den genannten Einbauhöhen darf –außer einer Verlegung der Verankerungspunkte weiter nach unten (= noch höhere Sicherheiten)- nicht abgewichen werden. Zur Tragfähigkeit der verwendeten Komponenten der Klettereinrichtung (Verankerungspunkte in den Bäumen, Stahlseile, Absturzseile etc.) werden in dem Prüfbericht zur Baumsicherheit keine Aussagen getroffen. Außerdem werden –wunschgemäß- keine Aussagen zur Sturmfestigkeit der Bäume getroffen. Insbesondere ist bei zukünftigen visuellen Baumkontrollen auf das mögliche Auftreten von Pilzfruchtkörpern holzabbauender Arten bzw. nach Sturmereignissen auf gelockerte Bäume bzw. angebrochene Stämme / Kronenteile zu achten. Verfasser: Thomas Sinn, Arbeitsstelle für Baumstatik, Dipl.-Ing. öbv Sachverständiger für www.dega.de Weitere Infos zu den Meß- und Rechenverfahren unter www.baumstatik.de, der Internetpräsenz der Arbeitsstelle für Baumstatik *1 Die Arbeitsstelle für Baumstatik wurde im Jahr 1984, nach vierjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit, von Günter Sinn, dem Pionier der Baumstatik, als das erste Prüfinstitut für die Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen, gegründet. Sie wurde im Jahr 2000 dem Verfasser übergeben. Alle heutigen messtechnischen Verfahren zur statikintegrierten Stand- und Bruchsicherheitsüberprüfung von Bäumen basieren auf den Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung von Günter Sinn und wurden von ihm und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität Stuttgart bzw. Herrn Dr. Männl entwickelt. *2 Definition Standsicherheit und Bruchsicherheit: Standsicherheit kennzeichnet die "Ausreichende Verankerung des Baumes im Boden". Bruchsicherheit ist die "Ausreichende Fähigkeit und Beschaffenheit des Baumes, dem Bruch von Stamm und Kronenteilen zu widerstehen". Nach: ZTV-Baumpflege - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege. Hrsg.: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL), Colmantstraße 32, 53115 Bonn (2001) *3 Laut Mitteilung eines anderen Anlagenbauers für Hochseilgärten erzeugen die horizontal gespannten Stahlseile rechnerisch ermittelte Kräfte von bis 8,7 kN. Offenbar fehlen hierzu noch grundlegende Untersuchungen. *4 Die Berücksichtigung eines vergleichsweise geringen 1,5-fachen Sicherheitsabstandes ist nur für lebende Lastenträger (Bäume), die sich durch ihr sekundäres Dickenwachstum laufend weiter verstärken, und nur bei der Verwendung geeigneter baumstatischer Untersuchungsverfahren, die Aussagen zum Grad der Sicherheit erlauben (zum Beispiel AfB-Methode, Messergebnisse von Standsicherheitsklasse 1 –hochgradig standsicher- bis Standsicherheitsklasse 4 –nicht mehr standsicher- mit Zwischenstufen) zulässig. Für das verwendete Material, das einer andauernden Alterung unterliegt, gelten andere Sicherheitsabstände. In der Hebetechnik wird in der Regel ein 6-facher Sicherheitsabstand zugrundegelegt, d.h. bei einer angenommenen Maximallast von 5 kN pro Seil sollten Materialien mit einer Bruchlast von mind. 30 kN verwendet werden.
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