titelthema e-government Schöne digitale Welt? zukunft Von der Wiege bis zur Bahre soll bald alles digital erledigt werden können. Tatsächlich steuern Kommunen mit der digitalen Verwaltung auch weiteren Personalabbau an. VO N MI C H AE L A B ÖHM 8 De r Pe rs onalrat 7-8 | 2015 e-government titelthema Der Per s onal rat 7- 8 | 201 5 E iner jungen Frau wird in Berlin der Kinderwagen geklaut. Sie ruft bei der Polizei an und fragt, auf welche Wache sie kommen soll. Sie möchte Anzeige gegen unbekannt erstatten. Doch die Polizei wimmelt ab. Die Frau soll sich an die sogenannte Internetwache wenden und den Diebstahl online anzeigen. Sie klickt sich durch rechtliche Hinweise und Datenschutzerklärungen, füllt ein Feld ums andere aus, fertig, absenden. »Ich habe ja keine Probleme, mit dem Internet umzugehen«, sagt die 27-Jährige, »aber selbst ich war unsicher, ob ich alle Angaben korrekt gemacht habe. Fragen konnte ich niemanden.« darum geht es 1. Digitale Verwaltung ist das Versprechen auf Bürokratieabbau, Effizienz und Bürgernähe. 2. Es drohen aber auch weiterer Personalabbau und mehr Arbeitsdruck. 3. Personalräte müssen wachsam sein und frühzeitig gegensteuern. Persönlicher Kontakt wird schwieriger Ein typisches Beispiel, wie Bürger und Bürgerinnen vom persönlichen Kontakt mit der Verwaltung ferngehalten werden, findet Daniela Ortmann vom Hauptpersonalrat des Landes Berlin. Das stünde jedoch im Gegensatz zu den Beteuerungen von Berlin, dass jedem alle Wege in die Verwaltung offenstehen, telefonisch, schriftlich, persönlich oder online. Ein anderes Beispiel für digitale Verwaltung kommt aus Düsseldorf. Dort gibt es einen Kita-Navigator. Im Internet können Eltern Wunsch-Kriterien angeben und sich eine passende Kita anzeigen lassen. Brauche ich besonders lange Öffnungszeiten, lege ich Wert auf Musik fürs Kind, soll es ein städtischer oder konfessioneller Träger sein und wie weit darf die Kita maximal von unserer Wohnung entfernt sein? Der Navigator zeigt dann sämtliche Einrichtungen an, die den Suchkriterien entsprechen. Über jede dieser Kitas gibt es detaillierte Informationen plus Fotos. Sagt eine zu, können Eltern ihr Kind dort vormerken. »Der Kita-Navigator kommt in Düsseldorf gut an, andere Städte haben sich unser Modell bereits abgeschaut«, sagt Mark Gierling, Fachreferent für IT und Datenschutz beim Personalrat der Stadt. Für ihn ist der Kita-Navigator ein gutes Beispiel für digitale Verwaltung. Zudem ist er von Kolleginnen und Kollegen des Jugendamtes entwickelt worden. Weniger Bürokratie – das ist noch Zukunftsmusik »Vieles lässt sich heute bereits online erledigen«, versprechen Städte auf ihren Internetportalen. Doch wer sich mühsam an die 9 titelthema e-government richtige Stelle geklickt hat, wird feststellen, dass zwar Formulare heruntergeladen werden können. Die muss man aber drucken, ausfüllen und mit der Post zurückschicken. Die Idee ist jedoch, bald alles digital erledigen zu können. Klicken, ausfüllen, hochladen, absenden. »Schnell, einfach, sicher und kostengünstig« soll die Verwaltung für Bürgerinnen und Bürger werden, verspricht das Programm »Digitale Verwaltung 2020« der Bundesregierung. In fünf Jahren sollen dicke Ordner von der elek tronischen Akte abgelöst und interne Prozesse der Verwaltung durchgängig digitalisiert und vernetzt werden. Weniger Bürokratie, mehr Bürgerfreundlichkeit, heißt es. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Noch hapert es allein an der sicheren digitalen Identifizierung des Bürgers. Der neue Personalausweis verfügt zwar über eine sogenannte »eID«-Funktion. Damit kann sich jemand auch im Internet ausweisen, allerdings nur mit einem Kartenlesegerät. Doch nur ein Drittel aller Bürger lässt derzeit die »eID«-Funktion bei neuen Personalausweisen freischalten. »Bisher hat der Staat nicht bewiesen, dass er mit unseren Daten sorgfältig umgeht«, sagt eine 21-Jährige mit Blick auf die jüngsten Datenschutzskandale. Sie hat ihren Ausweis abgeholt und die »eID«-Funktion unterbunden. Doch schon 2016 soll in Berlin ein zentrales Portal eingeführt werden, bei dem sich Wartezeiten sollen mit der Online-Termin vergabe wegfallen. 10 De r Pe rs onalrat 7-8 | 2015 Bürger einmalig ausweisen und ein persönliches Kundenkonto erstellen. Etwa wie bei Online-Versandhändlern. In dem Konto sollen nicht nur persönliche Stammdaten hinterlegt sein, sondern von hier aus sollen sich alle Anträge zentral verwalten lassen. Über das Konto können Gebühren bezahlt, Bearbeitungsstände von Anträgen eingesehen und ein persönlicher Dokumentensafe angelegt werden. Mehr Zeitdruck durch Online-Terminvergabe »Ich halte einiges, was sich kommunale IT-Strategen ausdenken, für eine Kopfgeburt«, sagt Mark Gierling vom Personalrat der Stadt Düsseldorf. »Keiner fragt die Bürger und Bürgerinnen, was sie wollen und was ihnen nutzt.« Und welche Auswirkungen die digitale Verwaltung auf die Beschäftigten hat. Zum Beispiel durch die Terminvergabe per Internet. Die ist wegen verkürzter Wartezeiten sehr beliebt. Wer seinen Reisepass verlängern oder sein Auto zulassen will, lässt sich im Internet einen Termin geben, statt im Amt eine Nummer zu ziehen und tatenlos herumzusitzen. Die Steuerung für die Online-Terminvergabe funktioniert automatisch. Damit wird jedoch durch die Hintertür für jeden Arbeitsvorgang eine Zeiteinheit hinterlegt. 10.15 Uhr: Schwerbehindertenausweis beantragen. 10.25 Uhr: e-government titelthema Der Per s onal rat 7- 8 | 201 5 neues Führungszeugnis. »Das ist nicht unproblematisch«, sagt Mark Gierling. »Wir werden es nicht zulassen, dass die Beschäftigten der Stadt Düsseldorf getaktet sind wie Fließbandarbeiter.« Ohne Luft holen zu können, ohne Entscheidungsspielräume und gehetzt von einer automatischen Steuerung. »Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Technik ausgereift ist.« DORIS HÜLSMEIER Gierling findet eine solche Taktung auch nicht immer bürgerfreundlich. »Was ist mit alten Menschen und mit jemandem, der sich mit der deutschen Sprache schwertut? Sollen unsere Mitarbeiter dann sagen: Sorry, Ihre Zeit ist um?« Davon hält er wenig. »Bürgerfreundlich ist eine Verwaltung mit Gesicht und Zeit.« Das sieht der Hauptpersonalrat des Landes Berlin genauso. Noch mehr: »Die Verwaltung hat auch die Aufgabe, aufs Gemeinwohl zu achten«, ergänzt die Sozialamtfrau und Personalrätin Martina Kirstan. »Wenn jemand zu uns kommt, um Wohngeld zu beantragen, und er wirkt krank oder desorientiert, ist es unsere Pflicht, ihm Unterstützung anzubieten.« Die kostet aber Geld. Sieht man die Bedürftigen nicht mehr, weil alles per Internet erledigt wird, diene die Digitalisierung eben auch dazu, Kosten zu vermeiden. lassen müssen, warum sie weniger Anträge bearbeitet haben als das Bürgerbüro Garath.« Die Digitalisierung dürfe nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle der städtischen Beschäftigten missbraucht werden. Der Personalrat hat hier ein echtes Mitbestimmungsrecht und verhandelt mit der Verwaltung derzeit über eine Dienstvereinbarung für die Online-Terminvergabe, die Terminterminals in den Bürgerbüros und die Aufrufanlage. »Wir wollen ein Verfahren finden, das bürgerfreundlich ist, die Beschäftigten aber nicht in ein Korsett presst.« Zum Zeitmanagementsystem in Berliner Behörden gibt es schon seit 2009 eine Rahmen-Dienstvereinbarung. An der haben auch die Beschäftigten mitgearbeitet. Darin steht beispielsweise, dass ein Arbeitsvorgang, der über eine Online-Terminbuchung ausgelöst wird, so lange dauern darf wie 95 Prozent aller Arbeitsvorgänge. Zudem richtet sich die Zahl der Termine, die pro Tag online vergeben werden, nach der Zahl der Arbeitskräfte. Leistungs- und Verhaltenskontrollen sind ausgeschlossen. Arbeitsdruck durch Software-Probleme Die Probleme sieht der Hauptpersonalrat des Landes Berlin derzeit woanders. Zum Beispiel in den Finanzämtern. »Wieder und wieder gibt es eine neue Software, die aber nicht kompatibel ist mit anderen Programmen. Dann kommt es zu Abstürzen«, erzählt Hauptpersonalrätin Daniela Ortmann. Zudem sei die Software oft nicht ausgereift und wird erst in der Praxis nachgebessert. Die Folge: Die Arbeit wird häufig durch technische Probleme gestört, der Arbeitsdruck steigt, die Unzufriedenheit genauso. »Damit wächst auch das Risiko von Erkrankungen.« Leistungskontrolle durch die Hintertür Zurück nach Düsseldorf. Die Online-Terminvergabe, die hinterrücks Zeiteinheiten pro Arbeitsvorgang hinterlegt, birgt nach Ansicht des Personalrats mehrere Tücken. »Damit ist es theoretisch möglich, herauszufinden, wie lange jeder einzelne Beschäftigte für einen Vorgang braucht«, fürchtet Mark Gierling. Einzelne könnten unter Druck gesetzt werden, mehr zu leisten. Zudem würden Dienststellen und Bürgerbüros vergleichbar. »Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sich die Kollegen und Kolleginnen des Bürgerbüros Bilk fragen Digitalisierung heißt noch weniger Personal Nicht nur bei den Finanzämtern, sondern in nahezu allen Berliner Verwaltungen und Behörden fehlt es an Personal. 1992 zählte Berlin noch rund 291.000 Beschäftigte, zwölf Jahre später war die Zahl auf 145.000 geschrumpft, jetzt sind es 103.000. »Ein Drittel der Kollegen und Kolleginnen soll das Pensum der Belegschaft nach der Wiedervereinigung stemmen«, sagt Martina Kirstan vom Hauptpersonalrat. Und wenn der personalrat online Mehr zum Thema: »Digitale Verwaltung 2020«, Regierungsprogramm 18. Legislatur periode« (DiV 2020) auf www.derpersonalrat.de > Exklusiv für Sie > 7-8/2015 11 titelthema e-government Neu auf lag e! Mit allen Änderungen der Tarifrunde 2014 Axel Görg / Martin Guth Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Basiskommentar zum TVöD mit den Überleitungstarifverträgen für Bund (TVÜ-Bund) und Gemeinden (TVÜ-VKA) 6., aktualisierte Auflage 2015. 451 Seiten, kartoniert € 34,90 ISBN 978-3-7663-6355-8 www.bund-verlag.de/6355 [email protected] 12 Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20 De r Pe rs onalrat 7-8 | 2015 Berlin irgendwo Personal neu einstellt, wird es woanders wieder abgezwackt. Denn Berlin hat sich das Ziel gesetzt, die Zahl von 100.000 Beschäftigten nicht zu überschreiten. »Das Rationalisierungspotenzial, das die digitale Verwaltung möglich macht, ist bei uns bereits vorweggenommen worden.« Kirstan fürchtet jedoch, dass spätestens dann weiter Personal reduziert wird, wenn die Berliner Bürger und Bürgerinnen ihre Daten in einem Stammkonto hinterlegen und vom Antrag bis zum Bescheid alles digital abgewickelt werden soll. Ganz einfach: »Berlin hofft, mit der Digitalisierung auf noch mehr Beschäftigte verzichten zu können.« Schon jetzt werde versucht, die Bürger und Bürgerinnen ins Internet zu zwingen und vom persönlichen Kontakt mit der Verwaltung fernzuhalten, indem es für Termine lange Wartezeiten gibt. Ein Selbstversuch bei der Online-Terminvergabe in der Hauptstadt: Die neue Wohnung soll angemeldet werden. Die Behörde informiert darüber, dass man sich innerhalb von 14 Tagen nach dem Einzug anmelden muss. Mit einem Klick öffnet sich der Kalender: Der nächste Termin ist erst sechs Wochen später frei. Und wem das Kennzeichen am Auto geklaut wurde, bekommt erst drei Wochen später bei der Zulassungsstelle einen Termin, um ein neues Kennzeichen zu beantragen. Personal reduzieren können. Ein Ende ist nicht in Sicht. »Bürger und Bürgerinnen können sich heute schon rund um die Uhr einloggen. Vermutlich dauert es nicht mehr lange, bis die Verwaltung auch von den Beschäftigten eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit wie bei Callcentern verlangt.« Attraktiv macht das den Job bei der Verwaltung nicht. »Junge Leute möchten bei uns eine Ausbildung beginnen, weil der Arbeitsplatz als sicher gilt und sie gern Kontakt mit Menschen haben«, erklärt Martina Kirstan. Das erwiese sich aber immer mehr als Trugschluss. Nicht anders in Bremen. Dort hat der Personalrat seit vielen Jahren Erfahrung damit, wie in einem Bundesland mit Haushaltsnotlage ständig neue Projekte aufgesetzt werden, die jedes Mal schnellere Prozesse mit weniger Personal versprechen. Immer wieder beschließt der Senat IT-Projekte, für die »Firmen in ihren Angeboten schamlos das Blaue vom Himmel versprechen«, sagt die Gesamtpersonalratsvorsitzende Doris Hülsmeier. Doch oft genug hat sie erlebt, dass die Software nicht funktioniert. »Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Technik ausgereift ist. Das ist kein Selbstläufer.« Sondern viel Arbeit für den Personalrat und die Beschäftigten. Mehr Druck, mehr Unzufriedenheit, mehr Krankmeldungen Dabei helfen auch drei Dienstvereinbarungen, die von 1986 stammen, aber an Aktualität nichts verloren haben. Darin ist etwa das Ziel menschengerechter und sozialverträglicher Gestaltung von Technik formuliert. Und wie die Mitbestimmung bei der Einführung neuer Technik zu erfolgen hat. Die Personalräte von Bremen haben sich entschieden, bei jedem Projekt der digitalen Verwaltung von Anfang an mitzumischen. »Und sofort reinzugrätschen, wenn etwas nicht funktioniert.« Sie machen deutlich, welche Änderungen notwendig sind, »weil wir sonst in der Mitbestimmung ablehnen müssten.« Damit ist der Personalrat gut gefahren. »Ich kann allen nur empfehlen, die Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen, überall mitzumischen und ganz dringend die Beschäftigten zu beteiligen.«v Das ist für alle unbefriedigend, für die Bürger wie für die Beschäftigten. Sie haben auf einer Personalrätekonferenz mal aufgezählt, was ihnen bei der Arbeit zu schaffen macht. Sie beklagen, nicht informiert und auch nicht beteiligt zu werden, wenn neue IT-Projekte aufgelegt werden. »Es hapert überall«, sagt die Hauptpersonalrätin Daniela Ortmann. An ergonomischem Mobiliar, an funktionierender Software, an Schulungen. »Viele Kolleginnen und Kollegen berichten von den typischen Beschwerden an Computerarbeitsplätzen, wie Schulter- und Nackenschmerzen, Probleme mit dem Rücken und den Augen. Oft lassen sie Pausen aus, weil die Arbeit drängt.« Die Folge: Jede und jeder Zehnte meldet sich krank. Grundsätzlich hat der Hauptpersonalrat nichts gegen Vereinfachung durch Technik und die digitale Verwaltung. Aber viel dagegen, dass immer mehr Arbeitsvorgänge auf die Bürger abgewälzt würden, damit Kommunen Neue Aufgaben für den Personalrat Michaela Böhm, freie Journalistin, Frankfurt am Main. [email protected] www.michaela-boehm.de
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