Rituale und Machtinszenierung II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... II 1 Einleitung ..................................................................................................... 1 2 Ritualfunktion und Machtinszenierung ......................................................... 3 2.1 Kommentar .................................................................................................. 4 3 Der symbolische Charakter und die performative Wirkung von Ritualen ..... 6 3.2 Kommentar .................................................................................................. 8 4 Rituale als Momente der Thematisierung von Machtstrukturen ................... 9 5 Kommentar ................................................................................................ 10 6 Fazit ........................................................................................................... 12 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 14 1 1 Einleitung Im menschlichen Zusammenleben wird Ritualen meist eine wichtige Bedeutung zugeschrieben. Aber was genau sind eigentlich Rituale? Bei dem Versuch, diesen Begriff zu definieren, stößt man auf Schwierigkeiten, denn das Verständnis von dem, was ein Ritual ist hat sich im Laufe der Zeit stark geändert. Vertreter früherer Studien waren der Auffassung, dass Rituale einen rein expressiven Charakter haben, während man diese starre Kategorisierung später immer mehr ablehnte und begann, Rituale als dynamisch und flexibel zu beschreiben (Alexander 1997: 152). Auch heute noch findet man eine Vielzahl von teils divergierenden Erklärungsansätzen und Kategorisierungen. Als Basis für die weiteren Ausführungen dieses Portfolios dient die Definition von Bobby C. Alexander: „Ein Ritual im allgemeinsten und grundlegendsten Sinn ist geplante oder improvisierte Performance, die eine Überleitung des alltäglichen Lebens in einen alternativen Zusammenhang, in dem der Alltag transformiert wird, bewirkt“ (Alexander 1997: 139). Hier wird deutlich, dass ein Ritual immer sowohl ein dramatisches Element, als auch einen dynamischen Aspekt beinhaltet. Das folgende Portfolio beschäftigt sich jedoch nicht mit Ritualen im Allgemeinen, sondern speziell mit Ritualen im Zusammenhang mit Machtinszenierung. Aufgezeigt werden soll, dass Rituale Instrumente zur Festigung von Macht sein können und wie Rituale Machtstrukturen bestätigen können. Das Portfolio besteht aus insgesamt drei Einlagen. Auf jede der drei Einlagen folgt eine Kommentierung, in der der jeweils ausgewählte Text, mit der Grundfragestellung des Portfolios verknüpft wird. In der ersten Einlage des Portfolios im Rahmen der Vorlesung „Geschichte und Theorien der Ethnologie“ wird auf den funktionalistischen Ansatz von Anthony F.C. Wallace aus dem Jahre 1966 eingegangen. Wallace vertritt die Meinung, dass sich Rituale grundsätzlich nach der jeweiligen Zielsetzung des Ausführenden in fünf unterschiedliche Kategorien einteilen lassen. Diese sind erstens, das Ritual als Technologie, zweitens das Ritual als Therapie und Antitherapie, drittens das Ritual als Ideologie/soziale Kontrolle, viertens das Ritual im religiösen Kontext als Errettung und fünftens das Ritual als Revitalisierung (Wallace 1966: 107 ff.). Im Kontext dieses Portfolios ist 2 insbesondere das Ritual als Therapie- und Antitherapie interessant, da dieses eng mit Macht und Machtausübung zusammenhängt. Daher dient ein Abstract des Kapitels „Ritual as Therapy and Anti-therapy“ (Hervorhebungen im Original) aus dem Buch „Religion: An Anthropological View“ als erste Einlage. In der Kommentierung der Einlage wird auf die Funktionen von Ritualen aufmerksam gemacht und aufgezeigt, wie Rituale mit Machtinszenierungen zusammen hängen. Als zweite Einlage des Portfolios im Rahmen des Proseminars „ethnografischer Film“ dient ein Abstract des Textes „Beating around the bush“ von Jean Lydall. In diesem geht es um die Hamar, einem Volk ansässig in Äthiopien. Dort werden Frauen insbesondere bei Initiationszeremonien, aber auch während Tänzen, oder in der Ehe mit Peitschen geschlagen. Im anschließenden Kommentar wird dieses komplexe Ritual näher erläutert und aufgezeigt, dass Rituale eine integrierende und symbolische Wirkung haben, verschiedene Intentionen verfolgen können und eine Darstellung von simulierter Realität zeigen, also einen repräsentativen Charakter haben. Die dritte Einlage des Portfolios im Rahmen des Proseminars „Macht und Widerstand“ ist ein Abstract des Texts „Ritualpolitik“ von Ursula Rao. Rituale sind für Rao machtvolle Instrumente zur Etablierung und Festigung von Macht, jedoch sind dem Akteur im Ritual enge Beschränkungen auferlegt. Laut Rao haben sie eine Rekonstitutionierung sozialer Beziehungen zu Folge. Als Beispiel dient in diesem Text ein Tempelritual aus der indischen Großstadt Bhopal. In der danach folgenden Kommentierung wird anhand des im Text genannten Beispiels erklärt, wie Rituale Instrumente zur Festigung von Macht sein können, aber auch welche Probleme sich hierbei ergeben. Am Ende des Portfolios steht das Fazit. In diesem wird auf das Gesamtportfolio zurückgeblickt, die wichtigsten Erkenntnisse in Bezug zur Fragestellung dargelegt und ein kurzer Ausblick auf Rituale und Machtinszenierung in der heutigen Zeit geworfen. 3 2 Ritualfunktion und Machtinszenierung Wallace, Anthony F. 1966. Religion: An Anthropological View. New York: Random House Abstract der Seiten 113-126; Kapitel: ‚Ritual as Therapy and Anti-therapy‘ (Hervorhebungen im Original) Anthony F.C. Wallace widmet sich in dem Kapitel „Ritual as Therapy and Antitherapy” (Hervorhebungen im Original) Ritualen, die darauf abzielen, menschliche Gesundheit für therapeutische- und anti-therapeutische Zwecke zu kontrollieren (Wallace 1966: 113). Laut Wallace haben körperliche und geistige Krankheiten zuweilen erkennbare, direkte Ursachen, jedoch sind diese oftmals schwer zu entdecken. Daher gibt es bestimmte Krankheiten, wie beispielsweise Allergien, die manchmal durch übernatürliche Interventionen erklärt werden. Obwohl diese übernatürliche Intervention in Form von Zauberei vielmehr als Erklärung für Unglück genutzt wird, so wird sie nichts desto trotz auch als fast kulturell universale Erklärung für Krankheit, Verletzungen und langsame Genesung verwendet (Wallace 1966: 114). Zauberei kann Wallace zu Folge als Versuch eines Individuums angesehen werden, durch ein religiöses Ritual andere Personen, welche sich den sozial akzeptierten Regeln widersetzen, zu kontrollieren. Jedoch ist hierbei wichtig, dass die Vielzahl von Handlungen der Zauberei ethisch, im Wertesystem der entsprechenden Gesellschaft, als neutral gelten. Zauberei hat eine duale Natur, sie wird nicht nur als Bestrafung genutzt, sondern kann beispielsweise auch als Liebes-Magie Anwendung finden. Als Exempel für die Praxis der Zauberei verweist Wallace auf den religiösen Glauben der Lugbara, einem zentral afrikanischem Volk. Unter ihnen ist es sozial akzeptiert, jemanden der einen beleidigt, oder bloßgestellt hat, zu verfluchen, besonders wenn dies in der Öffentlichkeit geschehen ist (Wallace 1966: 115). Der ausgesprochene Fluch soll die Vorfahren rufen und diese bringen dem Täter Krankheit. Dieser Fluch der Krankheit kann nur wieder rückgängig gemacht werden, wenn die verfluchte Person der jeweils anderen Entschädigung zahlt, oder dem Geist des Vorfahren Opfer bereitet. Zauberei muss demzufolge als komplexe Aktivität angesehen werden. Doch die Zauberei findet nicht nur als Ritual der Anti-Therapie statt, sondern ebenso als Ritual der Therapie. Der dahinter stehende Wunsch ist die 4 Heilung von Krankheit (Wallace 1966: 116). Üblicherweise schließt ein solches Ritual sowohl den Dienst eines Schamanen ein, als auch Angehörige und Freunde des Kranken als Zuschauer (Wallace 1966: 117). Diese Art von Behandlung beinhaltet zwei wichtige Phasen: die Diagnostik und die Heilbehandlung. Bei der Diagnose werden anhand von Beobachtungen der Symptome, ätiologischen Folgerungen und divinatorischen Vorgehensweisen die unmittelbare Natur und abschließende Ursache des Zustandes des Patienten bestimmt. Diagnose indizierten Während der Heilbehandlung werden die von der entsprechenden Handlungen ausgeführt. Solche Zeremonien können durchaus mehrere Tage dauern und beinhalten eine große Auswahl an rituellen Handlungen (Wallace 1966: 118). Wallace bemerkt hier abschließend, dass therapeutisch-religiöse Rituale generell nicht nur bei Organischen, sondern auch psychischen und psychosomatischen Krankheiten Anwendung finden (Wallace 1966: 125). 2.1 Kommentar In dem Kapitel „Ritual as Therapy and Anti-therapy” (Hervorhebungen im Original) wird deutlich, was ein Ritual ausmacht. Dies lässt sich insbesondere anhand des im Text genannten Beispiels gut erklären. Hier fällt zuerst einmal auf, dass es einen konkreten Auslöser für das Ritual geben muss, nämlich eine Beleidigung und, oder Bloßstellung, insbesondere in der Öffentlichkeit. Der jeweilige Täter hat eine Grenze überschritten. Das Ritual steht also zuerst einmal in Verbindung mit einer Veränderung. Zudem ist es im ethischen Wertesystem der Lugbara akzeptiert, jemanden in Folge der Grenzüberschreitung zu verfluchen. In diesem Beispiel bezieht sich das Ritual auf etwas Transzendentales, denn der Täter wird verflucht, die Vorfahren werden gerufen und bringen Krankheit. Dies geschieht weder willkürlich, noch spontan, das Ritual wird bewusst und mit einer Intention ausgeführt und gibt die Lösung des vorliegenden Problems vor. Um den Fluch rückgängig zu machen, muss der Täter dem Opfer eine Entschädigung zahlen, oder dem Geist des Vorfahren ein Opfer bereiten. Im Grunde genommen ist dies, eine Art von Sanktion. Das Ritual unterliegt bestimmten Regeln und Abfolgen und macht zudem den vorliegenden Konflikt öffentlich. Das Opfer wird entschädigt und die soziale Ordnung nach dem Konflikt wieder hergestellt. Das Ritual dient also als 5 Instrument zur Regulierung des sozialen Lebens und fördert zugleich die Konformität der Gemeinschaft der Lugbara, denn es wird vermieden, andere zu beleidigen und bloß zu stellen, da diese einen daraufhin verfluchen können und dürfen. Die soziale Spannung wird anhand des Rituals offen ausgedrückt, mit dem Ziel der sozialen Erneuerung der etablierten Ordnung. Somit betrifft das Ritual die komplette Gesellschaft und repräsentiert diese. Doch wie hängt all das mit Machtinszenierung zusammen? Um dies zu beleuchten eignet sich das Beispiel der Zauberei als Ritual der Therapie. Dadurch, dass die Ursachen verschiedener Krankheiten oft nicht direkt erkennbar sind, wird auf die Erklärung durch übernatürliche Interventionen zurückgegriffen. Schlussfolgernd werden magische Rituale als gesellschaftliche Welterklärung betrachtet. Hier wird erneut deutlich, dass das Ritual mit einer bestimmten Intention erfolgt, in diesem Fall mitunter zur Heilung von Krankheit. Was in diesem Beispiel besonders betont wird ist, dass nicht nur der Schamane und der Kranke beteiligt sind, sondern auch Angehörige und Freunde des Kranken als Zuschauer. Die Behandlung geschieht also öffentlich. Der Schamane stellt eine Diagnose und behandelt dann den Kranken. Alle Aufmerksamkeit wird also dem Schamanen geschenkt, er vollführt das Ritual. Der Sinngehalt des Ganzen wird durch die öffentliche Veranstaltung auf die Zuschauer übertragen. Die Effektivität des Rituals wird durch die Heilung und an der damit verbundenen Reaktion der Zuschauer gemessen. Wichtig ist hierbei, dass dieses Ritual nur der Schamane ausführen kann, er steht also im Dienst der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft ist auf ihn angewiesen und somit besitzt er nicht nur einen hohen Status, sondern hält auch Macht inne. Die Zauberei innerhalb des Rituals ist eine Demonstration von Macht, denn nur er ist dazu im Stande. Er kann das Ritual nutzen, um sich selbst zu inszenieren und Kontrolle über das Bild auszuüben, welches sich von ihm gemacht wird. Somit dient das Ritual als Instrument zur Legitimation, Festigung und Bestätigung seiner Macht. 6 3 Der symbolische Charakter und die performative Wirkung von Ritualen Abstract des Textes „Beating around the Bush” von Jean Lydall in Bahru Zewde (u.a.): Proceedings of the Eleventh International Conference of Ethiopian Studies, Vol. 2. Addis Ababa 1994 Jean Lydall schreibt in ihrer Veröffentlichung „Beating around the Bush“ über die Praxis eines äthiopischen Volkes namens Hamar, Frauen zu schlagen. Während „wife-beating“ im nördlichen Europa als etwas Schreckliches angesehen wird, stellt dies bei den Hamar kein Tabu dar (Lydall 1994: 1). So wird beispielsweise von einem Ehemann erwartet, dass er seine frisch angetraute Frau schlägt. Dies geschieht weder im Verborgenen, noch ohne Zustimmung der Frau (Lydall 1994: 2). Tut der Ehemann dies nicht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er verspottet wird. Lydall zu Folge bestehen die Frauen der Hamar sogar darauf, dass es gut für sie ist. Allerdings darf ein Mann seine Frau nie unbegründet schlagen. Zum Schlagen wird eine Peitsche verwendet, es gilt als grausam mit der Hand zu schlagen. Schon als Kind werden die ersten Erfahrungen mit der Peitsche gemacht, denn wenn Kinder nicht gehorchen, werden sie von ihren Müttern mit der Peitsche auf die Beine geschlagen, dies darf jedoch nicht zu fest geschehen, ansonsten laufen die Mütter Gefahr selbst gepeitscht zu werden (Lydall 1994: 3). So lernen die Kinder schon von klein an, die Peitsche zu respektieren. Doch auch Männer werden von den Dorfältesten gepeitscht, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllen. Der große Unterschied ist jedoch, dass Männer als furchtlos gelten, während Frauen als von Natur aus ängstlich angesehen werden (Lydall 1994: 5). Das Resultat dessen ist, dass Frauen den Schutz der Männer erwarten können, so sind die Männer beispielsweise verpflichtet, ihr Leben für ihre Familie zu riskieren. Nichts desto trotz werden Frauen am häufigsten geschlagen, dies geschieht nicht nur innerhalb der Ehe, sondern auch während Tänzen und Initiationszeremonien. Das Ritual unterliegt dabei festgelegten Regeln, so werden Frauen ausschließlich auf den Rücken und die Schultern gepeitscht. Das Schlagen mit der Peitsche kann hierbei unterschiedliche Beweggründe haben. So schreibt Lydall, dass Mädchen bei Tänzen oftmals die jungen Männer dazu animieren sie zu peitschen, als eine Art von Liebeswerben (Lydall 7 1994: 6). Sie stoßen den Männern gegen den Fuß und laufen weg. Falls der entsprechende Mann Interesse hat, wird er dem Mädchen hinterherlaufen und drohen sie zu peitschen, bei großem Interesse wird er sie sogar direkt auspeitschen. Dies weckt bei den Mädchen das Gefühl, eine Eroberung gemacht zu haben und sie sind stolz auf eventuell entstandene Narben. Auch bei den Initiationszeremonien der Hamar sind es die Frauen, die die Männer dazu auffordern, sie zu peitschen. Dabei sitzen die Männer zusammen und haben ihre Peitschen bei sich. Werden sie jedoch von den Frauen ignoriert und nicht direkt dazu aufgefordert sie zu Peitschen, gehen sie wieder. Während der Initiierte dem Ritual folgend über eine Viehherde springen muss, versucht ein verwandtes Mädchen ihn festzuhalten. Dafür wird sie im Umkehrschluss gepeitscht. Wenn das Mädchen die Männer also provoziert, tut sie es in dem Fall, um den zuschauenden Verwandten zu zeigen, dass sie sich um den initiierten Verwandten kümmert (Lydall 1994: 8). In der Ehe hingegen werden Frauen bei Fehlverhalten gepeitscht. Dies dient als Kommunikation, denn wenn die Frau Regeln missachtet redet der Mann nicht mit ihr, sondern peitscht sie. Das Peitschen darf jedoch niemals brutal geschehen und zudem muss die Frau vor der Ehe ein gewisses Alter erreicht haben, um diese Kommunikationsform zu verstehen, so werden zu junge Frauen in der Ehe nicht gepeitscht. Das sogenannte „wife-beating“ dient also nicht nur zur Strafe, sondern ist auch eine Form von wortlosem Dialog (Lydall 1994: 10). Darüber hinaus erwarten die Frauen einen starken, entschlossenen Mann und somit wird das „wife-beating“ zu einer Art Dominanztest. In der Regel endet dies jedoch nach der Geburt des zweiten, oder dritten Kindes: die Frauen hören auf ihre Männer zu provozieren und die Männer peitschen ihre Frauen nicht mehr (Lydall 1994: 18). Lydall fasst im letzten Abschnitt ihres Textes zusammen, dass es für sie sehr oft den Eindruck macht, als wären tatsächlich die Frauen die Initiatoren für das Peitschritual, indem sie die Männer provozieren (Lydall 1994: 21). Sie wollen, dass ihr Mann ihnen Aufmerksamkeit schenkt, Stärke demonstriert und gleichzeitig wollen sie ihm das Gefühl vermitteln, Autorität zu besitzen. Somit manipulieren sie ihre Männer psychologisch (Lydall 1994: 22). 8 3.2 Kommentar Der Text „Beating around the bush“ von Jean Lydall zeigt nicht nur, wie Rituale Machtstrukturen bestätigen, sondern auch wie sie konkret der Machtdemonstration dienen. Um dies aufzuzeigen, muss das Beispiel genauer betrachtet werden. Zuallererst fällt auch hier auf, dass das Ritual bestimmten Regeln unterliegt. So wird beispielsweise nie mit der Hand geschlagen, sondern ausschließlich mit einer Peitsche. Das Schlagen mit der Hand ist im Gegensatz zu dem Schlagen mit der Peitsche, gesellschaftlich nicht akzeptiert. Achtenswert ist auch, dass das Peitschen in verschiedenen Situationen Anwendung findet. So werden beispielsweise Kinder, die nicht gehorchen, gepeitscht. Die Hamar wachsen also mit der Peitsche auf und sie wird nicht nur in der Ehe, sondern schon im Kindesalter, zur sozialen Kontrolle genutzt. Doch um das Peitschritual von Männern bei Frauen und die damit zusammenhängende Machtausübung zu verstehen, ist insbesondere das Bild, welches die Hamar von dem jeweiligen Geschlecht haben, wichtig: Während Frauen als von Natur aus ängstlich gesehen werden, gelten Männer als furchtlos und dominant. Interessant ist dies, weil die Männer anhand des Peitschrituals Macht über die Frau und ihren Körper ausüben, dies jedoch nur, wenn sie von der Frau provoziert und dazu aufgefordert werden. Dies geschieht beispielsweise bei Tänzen und Initiationszeremonien direkt, in der Ehe jedoch meist indirekt, durch Fehlverhalten. Der Mann peitscht die Frau also aus einem bestimmten Grund heraus, nämlich der direkten, oder indirekten Aufforderung der Frau. Die Frauen möchten einen dominanten, starken Mann und geben diesem anhand des Rituals die Möglichkeit, seine Macht zu demonstrieren. Das Ritual dient somit als Hilfsmittel, um durch Symbolik gesellschaftliche Bedeutungsträger zu kommunizieren. Zwar schreibt das Ritual somit dem entsprechenden Mann symbolische Macht zu, doch üben die Frauen im Grunde genommen viel größere Kontrolle über ihre Männer aus. Fordert eine Frau ihren Mann nicht heraus, bekommt er nicht die Möglichkeit seine Macht zu demonstrieren. Die Frau möchte ihrem Mann das Gefühl vermitteln Autorität zu besitzen. Hierbei kommen die Zuschauer ins Spiel, bei dem Initiationsritual beispielsweise die Verwandten. Ohne diese würde solch eine Machtinszenierung nicht möglich sein, zudem sorgen sie dafür, dass sowohl der Mann, als auch die Frau einen Vorteil aus dem Ritual ziehen. Der Mann zeigt 9 sich als stark und bekommt somit die Anerkennung der Zuschauer, genauso kann die Frau jedoch demonstrieren, was für einen dominanten Ehemann sie hat. Wichtig ist hierbei, dass das Ritual nicht nur symbolisch wirkt, sondern performativ. Wie das Beispiel zeigt, wird die direkte Wirklichkeit beeinflusst. Durch die Inszenierung des Mannes stellt er sich in der Öffentlichkeit dar und überträgt den Sinngehalt durch die Aufführung auf die Zuschauer. Es ist eine Darstellung von simulierter Realität mit repräsentativem Charakter. Das Ritual dient zur Transferierung von Macht und zeigt zudem Machthierarchien auf. 4 Rituale als Momente der Thematisierung von Machtstrukturen Abstract des Textes „Ritualpolitik. Die (Nicht-) Emergenz sozialer und politischer Autorität durch rituelle Performanzen“ , in: Fischer, Lichte et al.: Diskurse des Theatralen. Tübingen: Francke 2005, 193-209 Ursula Rao schreibt in ihrem Text „Ritualpolitik. Die (Nicht-) Emergenz sozialer und politischer Autorität durch rituelle Performanzen“ über die Funktionen von Ritualen. Dazu gibt sie gängige Theorien wieder, so beispielsweise die von Moore und Meyerhoff, nämlich dass Rituale für die Organisation gesellschaftlicher Systeme bedeutsam sind (Rao 2005: 193). Rituale sind performativ und durch eine Ordnung gekennzeichnet, die den rituellen Akteuren auferlegt ist. Sie haben eine integrierende Wirkung, über welche sich Gruppen als soziale Gemeinschaften etablieren und erneuern können (Rao 2005: 194). Gemäß Clifford Geertz sind Rituale eine Form von verdichteter Kommunikation. Die von Rao zitierten Autoren haben alle gemeinsam, dass sie das Ritual als zentralen Mechanismus verstehen, anhand dessen kulturelle Werte und Bedeutung inszeniert und vermittelt werden. C. Bell hingegen stellt den Handlungsaspekt in den Vordergrund und sieht Rituale als Momente der Thematisierung von Machtstrukturen. Hierbei betont er, dass die rituelle Deutung der Teilnehmer oft sehr unterschiedlich ausfällt. Unterschiedliche Bedeutungshorizonte treffen aufeinander und werden nicht geklärt, dies beeinträchtigt jedoch nicht die Effektivität des Rituals. Davon ausgehend nimmt Rao Bezug auf ein Tempelritual in der indischen Großstadt Bhopal. In diesem Beispiel geht es um einen Tempelpräsidenten Namens Bagware und seinen 10 Kampf um die Vormachtstellung in einer Kaste (Rao 2005: 197). Zweimal im Jahr findet das Fest Navratri statt, das die Verehrung der neun Formen einer Göttin in den Mittelpunkt stellt. Diese Feier endet mit einem nächtlichen Feueropfer, während dem Bagware meist als Opferherr agiert (Rao 2005: 198). Während der Zeit des Festes ist der Tempel stets mit Besuchern gefüllt. Die Auswahl derjenigen, die am Ritual teilnehmen dürfen und ihre jeweilige Rollen werden jedes Mal im Vorfeld von langen Diskussionen und politischen Verhandlungen begleitet. Dies liegt mitunter darin begründet, dass die Kaste in zwei oppositionelle Gruppen gespaltet ist, welche sich um die Vorherrschaft in der Tempelverwaltung streiten. Bisweilen konnte die Macht von Bagware, der zu den gebildeten Khatiks gehört, jedoch nicht gebrochen werden. Seine Gegner, die der traditionellen Institution des Kastenrates angehören, versuchen dies jedoch immer wieder. So plündern sie beispielsweise die Spendenbehälter im Tempel und üben sozialen Druck auf Bagwares Unterstützer aus. Es kommt häufig zu Streitigkeiten, nichts desto trotz traut sich keiner Bagware im Rahmen des Tempelrituals entgegen zu treten. Im Schutz der Heiligkeit der Göttin kann sich Bagware präsentieren. Die Performanz ist jedoch ambivalent, da sie zwar Bagwares Macht untermauert, jedoch immer weniger Personen diese Selbstpräsentation befürworten (Rao 2005: 199). Durch die stetige Zuspitzung des Streites wollen immer weniger Kastenmitglieder, etwas mit dem Tempel zu tun haben. Die Probleme, aber auch Vorteile die sich aus solchen Situationen ergeben sind laut Rao Folgen der engen Verflechtung von Ritual und Politik (Rao 2005: 202). Die Ablehnung und Annahme von Ritualen ist eine dynamische Größe, auch als Mittel politischer Machtausübung (Rao 2005: 203). Raos Fazit ist, dass Rituale abgegrenzte, eigenständig strukturierte Foren sind, in denen Teilnehmer bestimmten Handlungsoptionen folgen (Rao 2005: 207). Die unter diesen Bedingungen gemachten Erfahrungen können zu einer RePositionierung der Anwesenden und somit einer Re-Konstitution von Machtbeziehungen führen. 5 Kommentar Der Text „Ritualpolitik. Die (Nicht-) Emergenz sozialer und politischer Autorität durch rituelle Performanzen“ von Ursula Rao zeigt auf, dass Rituale Instrumente zur Festigung von Macht sein können und wie Rituale 11 Machtstrukturen bestätigen, doch zeigt der Text zudem auch sehr deutlich, welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen. Interessant ist, dass Rao nicht nur die gängigen Theorien wieder gibt, die besagen, dass Rituale als zentrale Mechanismen zu verstehen sind, anhand derer kulturelle Werte und Bedeutung inszeniert und vermittelt werden, sondern einen Schritt weiter geht und wie C.Bell den Handlungsaspekt in den Vordergrund rückt. Rituale werden so als Momente der Thematisierung von Machtstrukturen gesehen. Dies spiegelt sich bedeutend in dem Beispiel des Tempelpräsidenten Bagware und dem Kampf um die Vormachtstellung der Kaste wieder. Hier fällt zuerst einmal auf, dass die Auswahl an denjenigen, die aktiv am Ritual teilnehmen dürfen, immer wieder von Diskussionen und Verhandlungen begleitet ist. Das Ritual betrifft die gesamte Kaste und ist erkennbar Teil des modernen politischen Lebens. Es stellt einen eigenständigen abgegrenzten Aushandlungsraum dar, denn trotz der vielen Probleme und schwerwiegenden Streitigkeiten rund um die Vorherrschaft in der Tempelverwaltung, wird Bagware während des Rituals nicht angegriffen. Obwohl die rituelle Deutung der Teilnehmer unterschiedlich ausfällt, denn seine Gegner erkennen ihn trotz des Rituals nicht als Machthaber an, beeinträchtigt dies das Ritual nicht. Im Schutz der Göttin kann sich Bagware als Machthaber präsentieren. Er inszeniert sich, um an Status als Kastenführer zu gewinnen und nutzt das Ritual somit als Instrument zur Etablierung und Festigung seiner politischen Macht. Der Tempel eignet sich hierzu gut, da er nicht nur Kastenmitglieder anzieht, sondern ein öffentlicher Raum ist und somit viele Zuschauer anzieht. Diesen Zuschauern gegenüber tritt Bagware weiterhin als Präsident und somit in einer bedeutenden Machtposition auf und kann sich somit Anerkennung verschaffen. Doch die Wirkung des Rituals speist sich nicht nur aus dem Status der teilhabenden Personen, sondern ist ein unmittelbarer Teil des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses von Machtbeziehungen. Beachtet werden muss, dass wenn Bagware vom Ritual mit Macht ausgestattet werden und mit Autorität sprechen will, er sicherstellen muss, dass er diese Form von Autorität auch inne hält. Diese Autorität hat Bagware außerhalb des Festes oft nicht mehr, doch erhält er diese in der Performanz des Rituals. Diese Performanz ist jedoch ambivalent, denn einerseits zeigt sie eindeutig, dass Bagware der Tempelpräsident ist, andererseits gibt es immer mehr Kritik daran von seinen Gegnern. Diese äußert sich auch dadurch, dass sich immer mehr 12 Kastenmitglieder vom Tempel abwenden. Besagtes zeigt, dass die Performanz risikobehaftet ist und scheitern kann. Die Annahme und Ablehnung des Rituals ist somit eine dynamische Größe. Das im Text genannte Beispiel zeigt also sehr gut, dass Rituale als Ort der Definition, Ausgestaltung und Realisierung von Machtbeziehungen dienen, weil sie Teil des Aushandlungsprozesses um die Gestaltung von Unter-und Überordnung sind. 6 Fazit Durch die vorangegangenen Einlagen und Kommentierungen ist gezeigt worden, dass Rituale tatsächlich als Instrumente zur Festigung von Macht genutzt werden, und Machtstrukturen bestätigen können. Die Einlagen wurden in dieser Reihenfolge gewählt, da sie aufeinander aufbauen. Durch die erste Einlage und der dazugehörigen Kommentierung konnte gezeigt werden, dass Rituale konkrete Auslöser brauchen. Dies findet sich sowohl in der zweiten, als auch dritten Einlage wieder. Rituale stehen zuerst einmal in Verbindung mit einer Veränderung und werden bewusst und intentional ausgeführt. Sie unterliegen bestimmten Regeln und können vorliegende Probleme öffentlich machen. Zudem dienen sie zur Regulierung des sozialen Lebens und zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung. Dies kann die Konformität einer Gemeinschaft fördern. Rituale geschehen öffentlich und werden von Zuschauern begleitet, dies führt dazu, dass sie zur Machtdemonstration genutzt werden. Sie dienen somit als Instrument zur Legitimation, Festigung und Bestätigung von Macht. Die zweite Einlage und Kommentierung zeigt zunächst den symbolischen Charakter von Ritualen auf. So dient das Ritual als Hilfsmittel, um durch Symbolik gesellschaftliche Bedeutungsträger zu kommunizieren. Hierbei wird aufgezeigt, wie komplex Rituale sein können. Grundlegend ist, dass sie gesellschaftlich akzeptiert sind und der Sinngehalt durch die jeweilige Aufführung auf die Zuschauer übertragen wird. Dies zeigt, dass Rituale nicht nur symbolischen Charakter haben, sondern auch stark performativ wirken. Es ist eine Darstellung von simulierter Realität, die zur Transferierung von Macht dienen kann. Die Erkenntnisse der dritten Einlage und dritten Kommentierung gehen abschließend über die vorherigen Erkenntnisse hinaus, indem sie verstärkt den Handlungsaspekt in den Vordergrund stellen. Rituale sind demnach Momente der Thematisierung von 13 Machtstrukturen und Teil des politischen Lebens. Sie stellen eigenständig abgegrenzte Aushandlungsforen dar. In Bezug auf die Akteure und Zuschauer des Rituals wird betont, dass diese unterschiedliche Deutungen haben können. Besonders ist an dieser Einlage jedoch, dass sie die Grenzen des funktionalistischen Ansatzes Machtdemonstration und von Kontrolle Ritualen aufzeigt. als So Instrumente können Rituale der nicht bestehende, oder angezweifelte Machtstrukturen durchaus schwächen. Dies führt dazu, dass die jeweilige rituelle Performanz ambivalent ist und Annahme und Ablehnung von Ritualen zu einer dynamischen Größe werden. Wer durch ein Ritual mit Macht ausgestattet werden will, muss daher sicher gehen, dass er diese Macht, zu mindestens in der Performanz, innehält. Insgesamt ist also festzustellen, dass Rituale „ als Ort der Definition, Ausgestaltung und Realisierung von Machtbeziehungen ernst zu nehmen [sind] “ (Rao 2005: 195). Dies ist gleichermaßen heute aktuell. Die vorangegangenen Ausführungen über Rituale und Machtinszenierung lassen sich so auch in Deutschland wieder finden. Es gibt zahlreiche Rituale die dies widerspiegeln. Ein politisches Beispiel dafür sind Wahlkämpfe. Die symbolische Dimension eines Wahlkampfes, als konstitutives Ritual einer Demokratie, wird oft übersehen. Politiker, Wähler und andere Mitglieder der Gesellschaft belegen den Wahlkampf mit Bedeutung. Diese Bedeutungszuschreibung hat enormen Einfluss auf alle Beteiligten. In der Vergangenheit wurden Bedeutungszuschreibungen meist von dem Staat, der Kirche, der Familie usw. festgelegt. Da diese Institutionen in der heutigen Postmoderne jedoch oft an Macht über Individuen verlieren, verlieren auch die jeweiligen Rituale an Macht. Dies lässt darauf schließen, dass somit viele tradierte Rituale der heutigen Zeit nicht mehr entsprechen. Mein Fazit ist, dass Rituale und Machtinszenierung unweigerlich verknüpft sind. Die Macht die Ritualen zu Grunde liegt sollte man positiv nutzen. Sie stellt eine Chance da, denn im Ritual entsteht eine eigene Wirklichkeit. 14 Literaturverzeichnis Alexander, Bobby C. 1997. Ritual and current studies of ritual: Overview. In Glazier, Stephen D. Anthropology of Religion: A Handbook. London: Greenwood Press Lydall, Jean 1994. Beating around the Bush. In Bahru Zewde (u.a.): Proceedings of the Eleventh International Conference of Ethiopian Studies, Vol. 2. Addis Ababa Rao, Ursula 2005. Ritualpolitik. Die (Nicht-) Emergenz sozialer und politischer Autorität durch rituelle Performanzen,. Fischer, Lichte et al.: Diskurse des Theatralen. Tübingen: Francke, 193-209 Wallace, Anthony F. 1966. Religion: An Anthropological View. New York: Random House
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