Zellenspitzel in DDRHaftanstalten - Studie Beispiel: Die Untersuchungshaftanstalt des MfS in Rostock Buch erhältlich über www.bstu.bund.de Publikationen von Jenny Schekahn und Tobias Wunschik 2012-ISBN 978-3-942130-73-8 Ermittlungsverfahren, Zelleninformatoren und Haftbedingungen in der Ära Honecker Auszug: Zusammenfassung S. 143- S.147 „Seit 1960 befand sich die Rostocker Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der August-Bebel-Strasse. Sie unterstand den Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und wurde von der Abteilung XIV des Ministeriums des MfS in Ostberlin fachlich angeleitet. Die etwa 50 Aufseher in Rostock sollten in 52 Zellen maximal 114 Häftlinge bewachen. Die Insassen sollten zwar in der Ära Honecker förmlich korrekt behandelt werden, doch letztlich wurden ihre Menschenrechte erheblich verletzt. Die psychologisch geschulten Vernehmer setzten die Untersuchungshäftlinge unter Druck, was bis zur Androhung einer Zwangsadoption der Kinder reichen konnte; nur wenige hielten dem stand. Rückblickend berichten zwei von drei ehem. Insassen aller DDR-Haftanstalten, dass in den Vernehmungen erheblicher Druck auf sie ausgeübt wurde-weswegen sich viele in das Vertrauen von Mitinsassen begaben, jedoch hintergangen wurden, wenn es sich dabei um Zuträger der Staatssicherheit handelte. Dass so viele Betroffene bis heute traumatisiert sind, geht auch auf das Konto der Zelleninformatoren, denn diese missbrauchten das Vertrauen ihrer Leidesgefährten. Und auch wer nicht persönlich bespitzelt wurde, war oft verunsichert, weil er um die Existenz solcher Spitzel wusste und keinem Mithäftling trauen konnte. Die von den Zuträgern erschlichenen Informationen konnten dann zu weitergehenden Beschuldigungen, neuen Verhören und letztlich sogar zu höheren Freiheitsstrafen für die Betroffenen führen. Die Vernehmungsoffiziere hingegen, die unter Druck Geständnisse erwirkten oder Spitzel anwarben, kamen fast immer straffrei davon, auch weil den MfS-Unterlagen rechtswidrige Praktiken bei der Ermittlungstätigkeit in der Regel nicht zu entnehmen sind. Zwischen 1960 und 1989 durchliefen das geheimpolizeiliche Untersuchungsgefängnis im nördlichen Bezirk der DDR etwa 4900 Häftlinge. Viele wurden bereits am Folgetag der Kriminalpolizei überstellt oder freigelassen, doch allein zwischen 1970 und 1989 eröffnete die Rostocker Geheimpolizei 2381 Ermittlungsverfahren. Eine Ausnahme bildete das Jahr 1975, als mehr Personen inhaftiert, jedoch weniger Ermittlungsverfahren erneut in die Höhe, da immer mehr Menschen das Land verlassen wollten. Politisch missliebiges Verhalten wurde jetzt, wie es die Staats-und Parteiführung wünschte, statt als „Staatsverbrechen“ immer häufiger unter „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“ gefasst und sanktioniert. Etwa die Hälfte aller Ermittlungsverfahren der Rostocker Staatssicherheit galt der „Republikflucht“ bzw. anderer nach § 213 -2- Strafgesetzbuch verfolgter Delikte. Mehr als 1000 Personen wurden in diesem Zusammenhang inhaftiert, insbesondere weil sie über die Ostsee hatten fliehen wollen. Die ebenfalls sehr häufigen Delikte mit politischer Bedeutung „Asozialität“ § 249 und „Rowdytum § 215 Strafgesetzbuch/DDR bearbeitet hingegen die Kriminalpolizei. Um die Verurteilung politischer Gegner zu ermöglichen, stiftete die Geheimpolizei perfiderweise Untersuchungshäftlinge zum Verrat an ihren Schicksalsgefährten an – Zelleninformatoren, gleichsam inoffizielle Mitarbeiter hinter den Gefängnisamauern einer Untersuchungshaftanstalt. Diese berichteten der Geheimpolizei unter anderem, wenn ihnen die Mithäftlinge Straftaten offenbarten oder verrieten, wie sie Vernehmungen durchstehen wollten. Die Zelleninformatoren „halfen uns besonders bei der Beeinflussung Mitinhaftierter, zu ihren Straftaten Geständnisse abzulegen, indem sie bspw. Im Falle eines Schuldeingeständnisses einen baldigen Freikauf ausmalten. So konnte die Rostocker Staatssicherheit zwischen 1954 und 1989 insgesamt 334 Häftlinge als Zelleninformatoren anwerben, etwa zehn in jedem Jahr. Doppelt so viele waren es bspw. Im Jahre 1961, als die politische Repression besonders stark war und für die zahlreichen Untersuchungshäftlinge besonders viele Zuträger nötig waren. Anfang der siebziger Jahre war der Anteil der Spitzel recht hoch, nach Erlass der einschlägigen Richtlinie 2/81 stabilisierten sich die Zahlen jedoch. Zwischen 1970 und 1989 wurden in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Rostock genau 216 Zelleninformatoren angeworben. Fast jeder zehnte Untersuchungshäftling spitzelte somit in der Ära Honecker für die Staatssicherheit. Auch Bundesbürger wurden verpflichtet, und etwa 15 % aller Zuträger waren weiblichen Geschlechts, was ihrem Anteil unter allen Untersuchungshäftlingen entsprach. Das durchschnittliche Lebensalter lag bei 31 Jahren, die Bespitzelten waren meist etwas älter. Jeder fünfte Zuträger gehörte der SED an- wie überall korrelierten offenbar Systemnähe und Denunziantentum. Unter inhaftierten „Republikflüchtlingen“ hingegen spitzelten vergleichsweise wenige – weil sie hierzu nicht bereit waren oder das MfS nicht auf sie setzte. Zahlreich waren Spitzel hingegen unter den wegen Militärstraftaten Einsitzenden sowie unter den Tätern der allgemeinen Kriminalität. Lediglich zwei Zelleninformatoren hatten als Strafgefangene den Urteilspruch bereits lange hinter sich – bei allen anderen handelte es sich offenbar um „echte“ Untersuchungshäftlinge und nicht etwa um abkommandierte hauptamtliche Mitarbeiter der Geheimpolizei, wie zuweilen vermutet wird. Zelleninformatoren waren „gleichermaßen Täter und Opfer“, doch streng genommen wurden sie zuerst zu Opfern und dann gezwungenermaßen, mehr oder minder zu Tätern. Schlug ihre Anwerbung fehl, wurde dies offenbar kaum verschriftlicht – etwa jeder dritte Zelleninformator(ZI) ließ ließ sich aber binnen vier Wochen nach der Verhaftung verpflichten, und nach drei Monaten Haft standen schon drei von vier ZI im Dienst der Geheimpolizei. Ihr Hauptmotiv lag vermutlich in der Verkürzung der Haftdauer, wenngleich die Führungsoffiziere damit eigentlich nicht locken durften. In Wirklichkeit dauerte dann die Untersuchungshaft für Spitzel genauso lang und der Urteilsspruch gegen sie fiel nicht weniger streng aus als der gegen die übrigen Untersuchungshäftlinge – wobei die Gerichte im Strafmaß meist dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft folgten, die sich wiederum am Untersuchungsorgan orientierte. Zudem wollte sich die Geheimpolizei ihrer Zuträger schließlich nicht durch vorzeitige Haftentlassung -3- selbst berauben, ganz gleich welche Hoffnungen die Führungsoffiziere geweckt hatten. Die ZI wurden dadurch zu betrogenen Betrügern. Dies gilt auch in einer weiteren Hinsicht: Wie eine eigene Auszählung ergab, wurde jeder vierte Zelleninformator seinerseits bespitzelt, (zu insges. 53 der 204 im Zeitraum 1971-1989 angeworbenen Zelleninformatoren liegen Berichte anderer Zelleninformatoren vor – 25,9 % -; im Zeitraum 1954-1989 sind es 70 von was die gegenseitige Überwachung perfektionierte. Dadurch wurden die Zuträger noch häufiger bespitzelt als das Gros der Untersuchungshäftlinge. Offenbar traute die Geheimpolizei ihren eigenen Zuträgern genauso wenig wie allen anderen Gefangenen, obwohl die Erstgenannten durch ihre Spitzeltätigkeit laufend Loyalität beweisen-oder sie bedurften gerade wegen ihrer wichtigen Funktion aus Sicht der Geheimpolizei zusätzlicher Überprüfung. 334 Zelleninformatoren – 20,9 %) Wenn sie nach Beendigung der Untersuchungshaft auch im Strafvollzug zuverlässig berichteten, konnten die Zuträger ihre Freiheit dann aber doch rascher wiedererlangen; mindestens 60% von ihnen kamen vorzeitig auf freien Fuß. 25 % der Zelleninformatoren erhielten einen Strafrabatt von bis zu zwei Dritteln, und weitere 15 % wurden noch stärker begünstigt. Letzendlich befand sich jeder zweite Spitzel nach maximal einem Jahr wieder auf freiem Fuß. Mindestens jeder vierte Zuträger wurde von der Bundesrepublik freigekauft, was hochgerechnet dazu führte, dass die Bundesregierung unwissentlich wahrscheinlich annährend 1000 vormaligen Zelleninformatoren zur Freiheit verhalf. Wie viele davon tatsächlich zur Westarbeit eingesetzt werden sollten ( und wie wenige sich an die eingegangene Verpflichtung hielten), konnte im Rahmen dieser Studie nicht ermittelt werden. Neben vorzeitiger Freiheit erschienen den Zelleninformatoren auch kleinere Zugeständnisse (wie verbesserte Besuchs-u. Einkaufsmöglichkeiten), während der entbehrungsreichen Haft verlockend. Eine etwaige Anwerbung unter Druck wurde kaum protokolliert, doch erlaubten die Rahmenbedingungen dies ohne Weiteres. Die psychologisch geschulten Führungsoffiziere verstanden es zudem, sich Vertrauen zu erschleichen. Aufgrund der Ausnahmesituation der Haft ist die geringe Chance, sich einer Anwerbung zu entziehen, bei der Bewertung der Tätigkeit von Zelleninformatoren in Rechnung zu stellen. Gleichwohl verspürten auch unter diesen Rahmenbedingungen etliche Gefangene Gewissensbisse und verweigerten den Verrat an ihre Leidensgefährten. Während lediglich 5 % aller Untersuchungshäftlinge ein Geständnis verweigerten, wurden 22 % aller Untersuchungshäftlinge von Zelleninformatoren bespitzelt. Folglich wurden zumeist Gefangene ausgehorcht, die sich schon zu ihren „Taten“ bekannt hatten. Der Einsatz der Zuträger diente also meist gar nicht dem Überführten der „Täter“, sondern allenfalls der Ermittlung unbekannter „Mittäter“. Zelleninformatoren sollten zusätzlich das bisherige Umfeld vor der Verhaftung sowie die Westkontakte ihrer Mitinsassen erforschen, was dem allgemeinen Wissensdurst der Staatssicherheit geschuldet war. Das allgegenwärtige Misstrauen selbst gegenüber inhaftierten und gleichsam ohnmächtigen Bürgern führte zur Verpflichtung extrem vieler Zuträger hinter den Gefängnismauern. In der abgeriegelten Welt ihrer Untersuchungshaftanstalten konnte die Geheimpolizei gleichsam unter „Laborbedingungen“ agieren und die gegenseitige Bespitzelung der Gesellschaft auf die Spitze treiben. „ Quelle: siehe Seite 1 – Verbreitung dieser PDF aus Datenschutzgründen auf anderen Webseiten und Netzwerken verboten. www.sed-opfer-hilfe.de B.G. Jan. 2016 – nur für private Ansicht -
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