Hiob 19, mein Erlöser lebt

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Predigt Hi.19, 25-27 von Jens Plinke am So, d. 5. Juli 2015 in Steinenbronn
Liebe Gemeinde!
„In der Bibel stehen lauter alte Geschichten – das ist wahr! Aber sie erzählen von
Begebenheiten, die sich auch heute noch ereignen können!“ (Ricarda Huch)
Wenn das wahr ist:
Wie lebt sich das heute, was Hiob einst durchlebte?
"Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt - und ein Vertreter meines Rechts ersteht
mir über dem Staub meines Elends.
Ja, selbst, wenn die Haut an mir zerschlagen wird - mein Fleisch dahin schwindet werde ich Gott schauen, ja, ich werde Gott schauen mir zum Heil. Und meine
Augen werden ihn erblicken - und das nicht länger als Feind!" (Hi.19,25-27)
Da ist einer fromm und gottesfürchtig. Hiob hat Frau, Kinder, Reichtum, alles.
Wer Gott fürchtet, hat nichts zu fürchten –oder?
Doch dann kommt alles anders:
„Ein Unglück kommt selten allein“ – dieser Spruch ist leicht daher gesagt. Aber wenn
eine Schreckensnachricht die andere jagt,
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gerät der Mensch schnell außer sich,
ist geschlagen und ohnmächtig.
findet sich klagend wieder auf dem totalen Scherbenhaufen seines Lebens.
Zuerst verliert Hiob seinen ganzen Reichtum
- Dann kommen seine Kinder in einem Unglück um
- Schließlich befällt ihn eine grausame, vielleicht unheilbare Krankheit
- Hiobs Frau kann schließlich nicht mehr mit ansehen, wie ihr Mann dahinsiecht. Sie
rät ihm: „Löse dich doch von deinem Glauben und mach deinem Leben ein Ende!“
Hiobs Treue ist ungebrochen – aber wo sind die Zeichen von Gottes Treue zum frommen
Hiob?
Nicht wahr: Dass es dem Bösen schlecht geht, kann scheint einem zumindest gerecht!
Aber wie kann Gott es zulassen, dass es einem wie Hiob anhaltend elend ergeht, obwohl
er bisher im vollen Wohlgefallen Gottes gelebt hat?
„Gott, warum hast du das zugelassen?
„Wo ist dein Einsatz dafür, dass es gerecht zugeht unter uns Menschen?“
Darf man so rebellisch wie Hiob nach Gott fragen - von Gott reden – zu Gott reden?
Kein Wunder, dass Hiob schon bald beginnt, sich nach Erlösung zu sehnen aus dieser
Albtraumlage.
Gut, wenn einer wie Hiob im Elend Freunde hat, die zu Hilfe eilen! Werden sie ihm –
wenn auch nicht die große Erlösung – so doch wenigstens Trost bringen?
Aus dem Schweigen Gottes zum Elend Hiobs folgern die Freunde Hiobs nun allerdings
messerscharf und sehr selbstüberzeugt:
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„Gott ist gerecht. Es kann also nur an dir liegen - Hiob, dass du so elend dran
bist.“
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Protest aus der Ecke Hiobs: „Unmöglich - Nun bekommt einer neben seinem
Leid auch noch die Schuld an seinem Leid auferlegt!“
Ein 2. Freund – er will Gott in Schutz nehmen: „Gott hat dein Leid nicht gewollt –
er hat es halt zugelassen!“
• Protest aus der Ecke Hiobs: “Was? Ein Gott ohne Allmacht – voll Ohnmacht?
Ein Mensch, der ein Leiden zulässt, obwohl er es hätte verhindern können, kann
angeklagt werden wegen „unterlassener Hilfe-Leistung“! Müsste dasselbe dann nicht
auch für Gott gelten?
Der dritte Freund zeigt dem Hiob einen schlau-raffinierten Weg zu Gott – er klingt für
uns Christen beeindruckend fromm: „Glaube lohnt sich!“ ( „Hiob, Deine Bußfertigkeit
wird Gottes Güte für dich wieder frei setzen!“ ( Hiob 8, 2-7)
-
„Wenn man sich Gott gegenüber nicht störrisch und unbußfertig zeigt. (Hiob 8,
11-22) – dann kann Gott gar nicht anders als gnädig zu sein.
Protest aus der Ecke Hiobs: Religion ist kein Handelsgeschäft!
Der Himmel ist doch keine Bank – kein Kreditunternehmen, in die man möglichst
viel Bußfertigkeit einzahlt, um dann von den himmlischen Ausschüttungen profitieren
zu können.
Frage:
Warum erreichen die erklärenden Worte seiner Freunde den Hiob nicht in der Tiefe,
aus der er blutet? Warum haben sie keinen Trost - keine Heilkraft?
Nun - wenn die Seele schreit, weil vom früheren Leben fast nicht mehr übrig blieb, dann
nützen Erklärungen und Belehrungen anderer wenig.
Irgendwann ist es genug für Hiob. Er hat alles verloren. Gott hat ihn also hart
geschlagen. Seine Freunde sagen: Gott handelt gerecht.
Hiob reagiert knallhart:
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Wo ist eine Gerechtigkeit, an die sich auch Gott zu halten hat?
Wo ist ein Schiedsmann, der von Gott Rechenschaft fordern kann?
Hiobs nüchternes Fazit:
(„Gott in seiner Allmacht und Willkür ist nicht ein Mensch wie ich, dass ich ihm
Rede stünde und wir zusammen vor Gericht treten könnten!“ (Verse 29 – 35 und
Hiob 31)
Wir können Gott nicht vorladen wie vor ein Gericht! Über ihm gibt es keinen Richter
oder Schlichter – er ist in seinem freien Handeln niemandem unterworfen.
Was Hiob vor seinen Freunden ganz ungeschminkt und direkt ausspricht, beschreibt
das nicht die Wirklichkeitserfahrungen eines jeden Lebens?
-
Unglücke vernichten Menschen – ob schuldig oder nicht! (Hiob 9,23)
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-
Dem Frommen wie dem Ungläubigen kann gleichermaßen ein Tod vor der Zeit
ereilen – im Widerspruch zu allen religiösen Beschönigungen. (Hiob 9,22)
Verbrecher können ohne Skrupel ihre Macht unter der Himmelskuppel Gottes
ausleben. (Hiob 9,22 -249, 22-24) – man denke nur an die derzeitigen Dramen in
Syrien oder in Flüchtlingsschiffen auf dem Mittelmeer.
Verständlich, Hiob möchte Gott herausfordern – herauslocken aus seiner Reserve,
aus seiner Unbegreifbarkeit, die uns in Unwissenheit und im Dunkel lässt.
Frage:
Ob Ihnen die Gradlinigkeit - Standfestigkeit dieses Hiob irgendwie imponiert?
-
Ist nicht dieser tapfere Mann in seiner Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit - alle
Achtung - einer, wie es unter Christen mehr geben sollte!
Ob Sie ihm jetzt auch eine Erlösung aus seiner Not wünschen?
Ob Sie vielleicht selber sich leidend fühlen wie einst Hiob – aus einer
Elendssituation heraus auf Erlösung hoffen?
Ich möchte uns einladen, in den Spuren Hiobs weiter zu gehen.
Von Hiob erfahren wir nämlich auch, dass er sich (Gott gegenüber) zwar aufbäumt
und (gerade dadurch) noch im tiefsten Leid nicht mit Gott fertig ist:
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„Was, wenn sich Gott für mich im Verborgenen engagiert, obwohl ich mich bisher
von ihm so oft verlassen und verraten, verhöhnt und verfolgt fühlte?
Was, wenn Gott selber der von mir ersehnte Tröster und Erlöser ist?“
Gewiss: Gott kann unheimlich fern sein und stumm – doch muss das unsere Sehnsucht
nach seiner Zuwendung aufheben?
Und dann plötzlich bricht es abrupt und unvermittelt aus Hiob heraus Hiob 19,25):
"Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt - und ein Vertreter meines Rechts ersteht
mir über dem Staub meines Elends.
Ja, selbst, wenn die Haut an mir zerschlagen wird –
-
mein Fleisch dahin schwindet - werde ich Gott schauen, ja, ich werde Gott
schauen mir zum Heil.
Und meine Augen werden ihn erblicken - und das nicht länger als Feind!"
(Hi.19,25-27)
UND MEINE NIEREN VERZEHREN SICH DANACH IN MEINEM INNEREN!
Wohlgemerkt: Das alles drückt allein Hiobs S e h n s u c h t aus – nichts deutet auf ein
frommes Happyend.
Im Gegenteil: Hiob kehrt dann gleich wieder zurück in die Streitgespräche mit den
Freunden – zu seiner Anklage Gottes.
Aber es zeigt, dass da etwas in der Tiefe des Hiob am Wirken ist – unterhalb seines
Zorns –
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wie der Durchbruch eines Dammes, der allzu lange schon die Wasser der
Sehnsucht aufgestaut hat.
Hiob muss – durch seinen Elendszustand hindurch –
-
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eine Sehnsucht spüren, dass sein schier endloser Elendsweg ein gnädiges Ende
haben wird.
…sich in der Tiefe ein Gefühl des lohnenden Weges bewahrt haben.
Wohlgemerkt: In der Spannung zwischen Auflehnung und Sehnsucht hält Hiob fest
an der Hoffnung, dass Gott ihm eines Tages „nicht mehr n u r fremd“ erscheinen
wird.
Und an dieser dem Hiob noch verschlossene Sehnsucht knüpft Gott an – lässt sich nun
ein auf Hiobs noch dumpfen „Grundgefühl des lohnenden Weges“ – auf seine Hoffnung,
dass all sein Elend doch noch in einen gutes Weg einmündet.
Wie ist das, wenn Gott sich dem Hiob stellt – s e i n e Stimme erhebt? Kommt jetzt
endlich die Auflösung des Rätsels, warum der Mensch um Himmelwillen leiden muss?
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Auf keine der von Hiob vorgebrachten Fragen geht Gott unmittelbar ein.
Hatte Hiob Gott mit seinen Fragen bombardiert – nun soll Hiob Gottes Fragen
beantworten.
Gott nimmt Hiob bei seiner lange verschütteten Sehnsucht nach einem Weg des
Gelingens
Gott nimmt ihn dazu mit auf einen „geradezu virtuellen“ Weg durch die Menschheits– und Weltgeschichte:
Kernfrage – in vielen Variationen immer wieder dem Hiob von Gott gestellt: „Wo warst
du, Hiob,
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bei der Gründung der Erde – als dem Chaos göttliche Grenzen gesetzt wurden?
ja, als ich um die Entfaltung und Erhaltung der Vielfalt in der Schöpfung rang,
als mit den Gegensätzen unter den Menschen mich durch die Jahrtausende
abmühte?“
„Warum zweifelst du an meiner Wirksamkeit? –
Warum legst du mein Wirken in die Ketten Deiner Festlegungen?
Man könnte meinen, Gott wolle Hiob mit seinen Anfragen klein machen
Wohlgemerkt:
Die Gottesfragen an Hiob werten diesen nicht ab – sie werten ihn auf!
So beginnt die Erlösung Hiobs:
Es ist, wie wenn Gott eine Wasserader anbohrte, die lange darauf wartet, fließen zu
können!
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Das Leid Hiobs wird durch die Gottesrede nicht einfach aufgelöst – aber
es wird hinein gewoben in die größere Vielfalt im Reichs göttlicher
Möglichkeiten.(„Ich hatte von dir, Herr, nur vom Hörensagen vernommen
– nun aber hat mein Auge dich selber wahrgenommen.“ (Hiob 42, 1-9)
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Aber Hiob wird im Impulsfeld Gottes leicht im Herzen und weit im Blick.
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Versöhnt mit Gott und seinen vielfältig schöpferischen Engagements vermag
er sich der Gestaltungskraft Gottes für seine Zukunft in neuer Freiheit
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anzuvertrauen.
– und das wird dann später die blutende Tiefe seiner Verwundung zur Heilung
führen.
Liebe Gemeinde!
„Wie kann Gott das alles zulassen?“ - bei solchen Fragen sind wir gewiss schon oft
angelangt.
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Haben wir bis hierher die Spuren Hiobs bis zu seinem Erlösungsgeschehen
verfolgt
Wie aber finden w i r zu der Hoffnung, die uns sagen lässt: „JA, JETZT
BIN ICH MIR SICHER: MEIN ERLÖSER LEBT – AUCH MIR ZUGUTE!“
WIE KOMMEN WIR DAHIN? – KÖNNEN WIR WAS DAZU TUN?
Mein Vorschlag: Machen wir uns auf - weiter in den bewährten Spuren Hiobs:
1) Bleiben wir dabei ganz aufrichtig: Gott ist noch ganz anders, als die „Frommen“
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wie Hiobs Freunde mit ihrer „passend gemachten“ Gottesvorstellung es
propagieren.
Bleiben wir dabei: Kein „frommer“ Maulkorb Gott nimmt Offenheit und
Ehrlichkeit nicht übel – Irgendwie mag Gott, wenn wir „Hiob-(un)artig“ ungeschminkt - vor ihm auftreten und dabei in der Welt unbeirrbar für
Gerechtigkeit eintreten!
Gott nimmt gerne solch Offenheit in seine Regie! Überlassen wir ihm den
rechten Zeitpunkt dafür – auch Hiob konnte allzu lange Zeit Gott nicht zur
Reaktion drängen!
Wir können ein Leben lang über Gott reden – an ihm zweifeln oder gar
verzweifeln. Aber wenn Gott selbst uns nahe kommt und anspricht, dann merken
wir es daran: Wir tappen nicht mehr n u r in den Fängen des alten Elends.
Vielleicht, dass es uns zwischenzeitlich im Rückblick auf eine schlimme Zeit wie
Schuppen von den Augen fällt: Konnten wir es nicht erfahren: „Gott reißt uns
nicht immer aus dem finsteren Tal heraus – aber er führt uns hindurch.“
Blicken wir für entscheidende Augenblicke fort vom Bann unseres Elends! Lassen
wir uns von Gott einladen, wie ein Architekt, der ein von ihm errichtetes
Bauwerk vorführt, zu einem Rundgang durch das Werk der Schöpfung
Spüren wir dem nach, was Gott uns in den Spuren Hiob daran klar machen
will: „Ist nicht das Reich meiner Möglichkeiten ist weiter und großartiger als
alles, was auch immer dich alles erschrecken kann?“
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8) Spüren wir, wie der Blick sich uns weitet dafür, wo Gott in all seiner
Verborgenheit am intensivsten für uns zu entdecken ist:
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in aller Vielfalt und Buntheit auf Erden.
in der Lust Gottes, aus Gegensätzlichkeit gegenseitige Ergänzungen werden
zu lassen –
und in der göttlichen Freude darüber, wenn Menschen entdecken, wie man
einander bereichern kann.
9) Und alle Durchsetzkraft menschlicher Rechthaberei beginnt, dahin zu
schmelzen, denn wir lassen uns je und je neu anstecken - überwältigen von der
Weite und Großherzigkeit Gottes – hinein ins Reich göttlicher Möglichkeiten.
10) Vielleicht lassen wir uns dabei begleiten von folgendem kleinen Gebet:
„Wenn mir einer vorausgesagt hätte, was ich erfahre mit dir, du mein Gott – ich hätte es abgetan als
Schwärmerei!
Aber nun – welch eine erlösende Weite kommt in mein Leben:
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Gehe ich wie durchs Feuer – es verbrennt mich nicht!
Gehe ich unter schwerer Last – sie kann mich nicht erdrücken.
Was ich voller Angst fürchtete, mag geschehen sein –dennoch kann ich je und je neu aufleben.
Wie ein Siegel soll dein Tun seine Spur hinterlassen in meiner Seele, auf dass ich nie mehr vergesse, was Du
vermagst!
(aus Sabine Naegeli: Die Nacht ist voller Sterne)
Dann möge unser Richtgeist, mit dem wir so quälend lange gegen die Welt und Gott
gewütet hatten, schweigen wie Hiob am Ende (Kap. 39,34) schweigt.
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Aber es ist ein erlöstes, befreites Schweigen im Einklang mit der Großartigkeit
göttlicher Möglichkeiten, in der Gewissheit unserer Sehnsucht: ICH BIN MIR SICHER – TATSÄCHLICH:
MEIN ERLÖSER LEBT!
AMEN