uni gasthörer Wissbegierig, technikaffin, betagt Immer mehr ältere Studenten strömen an die Uni Freiburg Feuer und Flamme: Klaus Bahnholzer (rechts) und ein Bekannter kurz vor einer Geschichtsvorlesung. E Fotos: © tln twa 450 Gasthörer über 60 Jahre sind aktuell an der Uni Freiburg eingeschrieben. In so mancher Vorlesung hat knapp die Hälfte der Studenten schon graue Haare. Die älteste Studentin ist Jahrgang 1925. An der Pädagogischen Hochschule läuft gar ein Anti-Rost-Programm. Dienstag, 14 Uhr, KG I der Uni Freiburg. Die Halle vor dem Hörsaal 1010 füllt sich. Studenten tippen auf Smartphones, Ältere stehen in Gruppen zusammen und plaudern. So auch Klaus Bahnholzer (67), pensionierter Geschichtslehrer: „Ich will mich geistig fit halten und kriege hier neue Erkenntnisse.“ Schwarze Jacke, blaue Brille, roter Schal. Schon seit fünf Jahren ist Bahnholzer Gasthörer. Er besucht Vorlesungen in Kunstgeschichte und Geschichte. Heute geht’s ums 19. Jahrhundert. „Haltet ihr mir Plätze frei“, fragt er seine Bekannten, als sie in den Hörsaal gehen. Schließlich hat auch Bahnholzer einen Stuhl ergattert. Reihe eins, ganz rechts. Am Pult steht Geschichtsprofessor Jörn Leonhard. Dass gut jeder Dritte im Saal grauhaarig ist, überrascht ihn nicht. „Gerade bei den Historikern haben wir einen hohen Anteil, ein Drittel Senioren ist normal“, sagt der 47-Jährige. Viele davon mieden spezielle Angebote für Ältere: „Sie wollen eine reguläre Veranstaltung, nicht den akademischen Seniorenteller.“ Leonhard schätzt, dass vor einigen Jahren noch 10 bis 15 Prozent Senioren bei seinen Veranstaltungen waren. Heute seien es eher 30 bis 40 Prozent. Bestens vorbereitet kämen sie zur Veranstaltung und seien technisch versiert. Stelle er die Folien zur Vorlesung nicht gleich ins Netz, schickten sie ihm eine Erinnerungsmail. Haben Zeitzeugen auch mal was zu meckern? Nur einmal hat Leonhard Widerrede erlebt, es ging um die Studentenproteste 12 CHILLI november 2015 1968 in Frankreich. „Junger Mann, sie waren ja gar nicht dabei! Ich war damals selbst in Paris“, schimpfte einer. „Dann muss man klarstellen, dass das mein Lehrstuhl ist“, sagt Leonhard. 55.000 Studenten über 50 Jahre gibt es laut Schätzungen des Akademischen Vereins der Senioren in Deutschland (AVDS). An der Uni Freiburg sind pro Wintersemester 650 Gasthörer eingeschrieben. Etwa ein Drittel ist zwischen 60 und 70 Jahre alt. Ein weiteres Drittel zwischen 70 und 80. Die älteste Gasthörerin ist 1925 geboren. Ordentlich eingeschrieben sind drei Studierende Jahrgang 1938. Eine Altersgrenze für ein reguläres Studium gibt es an der Uni Freiburg nur in Humanmedizin: 55 Jahre. Auch an der Pädagogischen Hochschule (PH) sind zahlreiche Senioren aktiv. Das „Seniorenstudium“ bietet unter anderem Vorlesungen, Seminare oder Computerkurse. Seit 2006 gibt es Radio Rostfrei. Leiter Thorsten Stricker (35) produziert dort wöchentlich mit zehn Studenten zwischen 45 und 84 eine Stunde Programm für das PH-Radio. Bei der Redaktionskonferenz am Mittwochnachmittag wird die Sendung in lockerer Runde geplant. Welche Beiträge sind da? Wer moderiert? Seit fünf Semestern ist auch Uschi Velter dabei. Die 68-Jährige war 42 Jahre lang Lehrerin. „Ich habe immer gepowert, dann hat etwas gefehlt“, sagt die Frau mit den roten Haaren und grüner Sonnenbrille. Bei Radio Rostfrei treffe sie tolle Leute und bekomme neue Ideen. Die Vorlesung von Professor Leonhard ist mittlerweile vorbei. Klaus Bahnholzer verlässt den Saal und zückt sein Smartphone: „Das macht Laune. Leonhards Systematik und Klarheit sind bestechend!“ Dann muss er los. Mit Freunden geht’s in ein Café. Dort sprechen sie über die Vorlesung. Für Leonhard ideal: „Das wünscht man sich auch von den Jungen.“ Till Neumann Zahlreich: Im Hörsaal sind ein Drittel der Anwesenden im Seniorenalter. uni interview xxx xxx Zwei aus dem AStA-Vorstand: Ernesto Aschka und Isabel Schön begeben sich in eine Grauzone, wenn sie sich allgemein-politisch äußern. . Die Ja-Sager-Generation Studierendenvertreter über politikverdrossene Studenten und einen Hauch von Mitbestimmung Foto: © Kathrin Eyer J a-Sager statt Dichter und Denker? Nach 36 Jahren Verbannung wurden vor zwei Jahren die Studierendenschaften wieder in Baden-Württemberg eingesetzt. Auch an der Uni Freiburg tagt seitdem wöchentlich ein Studierendenrat (StuRa), der die Hochschüler politisch vertreten soll und zudem über ein eigenes Budget verfügt. Ausgeführt werden die Beschlüsse des StuRas vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Doch von großen Beschlüssen ist nichts zu hören, und auch die Wahlbeteiligung ist im Keller. Soziologiestudentin Isabel Schön und Jurastudent Ernesto Aschka sind im AStA-Vorstand. Den chilli-Autorinnen Kathrin Eyer und Laura Wolfert haben sie im Politik-Hauptquartier der Uni Freiburg erzählt, warum 2015 nicht mehr 1968 ist. ein generelles Problem von Wahlen und nicht unbedingt Uni-spezifisch. Schön: Die Studierendenvertretung legitimiert sich außerdem nicht nur über die Wahlen, die einmal im Jahr stattfinden. Viele Studierende nehmen regelmäßig an ihren Fachschaftssitzungen teil, in denen sie über alle Entscheidungen des StuRa mitbestimmen, außerdem wirken viele aktiv in den Referaten mit. Das heißt, es besteht auf jeden Fall Interesse. chilli: Sollte man den StuRa abschaffen? Schön: Nein, natürlich nicht. Mitbestimmung ist sehr wichtig. Ein bisschen kann man dann doch immer bewirken, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so den Anschein hat. chilli: Haben die Studenten durch die Bologna-Reform zu wenig Zeit, sich politisch zu engagieren? Schön: Die Verwirtschaftlichung des Studiums spielt durchaus eine Rolle. Uns wird immer mehr eingetrichtert: Ihr müsst vorbereitet sein auf die Berufswelt, ihr müsst angepasst sein, ihr müsst erfüllen, was euch vorgegeben wird. Es wird nicht mehr zu einem freien Studium im Sinne von „aus Interesse studieren“ erzogen. Man hat keine Zeit mehr, auch mal über den Tellerrand zu schauen. Natürlich hemmt das politische Arbeit. chilli: Die Beteiligung an den Uniwahlen lag in diesem Jahr bei elf Prozent. Wie es aussieht, haben die Studenten kein Interesse mehr an Hochschulpolitik. Aschka: Das bekommen wir teilweise auch von den studentischen Gruppen zu hören, die im StuRa vertreten sind. Aber wenn man sich die Wahlbeteiligung der Europawahl anschaut, liegt die auch nicht viel höher. Das ist also »Ihr müsst angepasst sein« chilli: Was haben Sie für ein Budget? Schön: Pro Semester gehen pro Student sieben Euro des Semesterbeitrags an uns. Der StuRa teilt per Wirtschaftplan das Geld in verschiedene Töpfe auf, für politische Arbeit und für kulturelle Arbeit, für die Fachschaften und die verschiedenen Referate. chilli: 36 Jahre kämpften Studenten im Ländle dafür, wieder eine politische Vertretung zu bekommen. Aber der Eindruck ist, dass nicht viel passiert. Sind die Studentenvertreter braver, angepasster als früher? Schön: Wir dürfen uns nun offiziell zu politischen Themen äußern. Darüber hinaus haben wir mehr finanzielle Möglichkeiten und mehr Mitbestimmungsrecht in Uni-Gremien als früher. Wenn wir uns allgemeinpolitisch äußern, begeben wir uns zwar in eine Grauzone, was aber nicht heißt, dass wir uns nicht zu politischen Themen äußern. chilli: Der Sozialforscher Bernhard Heinzlmaier behauptet, dass die heutigen Studenten angepasste Styler und Egoisten sind statt Dichter und Denker. Aschka: Sorry, aber wenn man sich die 68er anschaut, die waren auch angepasst. Ein alternativer Lebensstil ist auch kein Ausdruck von Politik. Ob die Leute politisch aktiver waren, stelle ich infrage. Die gesamtgesellschaftlichen Kontexte müssen mitgedacht werden, und die waren natürlich zu der Zeit andere als heute. November 2015 CHILLI 13
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