Das Kunstwerk des Monats September 2015

es Frauen dann wieder untersagt, Kokarden zu tragen.
Das Kunstwerk des Monats September 2015
Die Farben der Kokarde wurden die Nationalfarben Frank-
Kokarde, 1790, Frankreich
reichs. Ab 1790 tauchten Fahnen in dieser Farbkombination
auf; mit Gesetz vom 27. Februar 1794 wurde die Trikolore zur
Nationalflagge. Die Idee des Kokardentragens als Ausdruck
einer politischen Gesinnung hat die Französische Revolution
überdauert. Sie verbreitete sich in Europa: Während des Vormärz und in der 1848er Revolution trugen viele Oppositionelle
eine Kokarde in den jeweiligen Landesfarben.
Literatur:
Jean-Marc Devocelle, La cocarde directoriale derives d‘un symbole révolutionaire, in: Annales historique de la Revolution Française 288
(1992), S. 355-365.
Internetseite: www.ambafrance-de.org/Trikolore-Die-Nationalfahne
A. Kleinert, La mode, miroir de la révolution française, in: Musée de la Mode et du Costume, Modes & Revolutions 1780-1804, Paris 1989
Siegfried Müller, Die Mode und die Revolution: Das Beispiel Frankreich, in: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg (Hg.),
Kleider machen Politik. Zur Repräsentation von Nationalstaat und Politik durch Kleidung in Europa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Oldenburg 2002, S. 33-39.
Susanne Petersen, Brot und Kokarden – Frauenalltag in der Revolution, in: Viktoria Schmidt-Linsenhoff (Hg.), Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und Neue Weiblichkeit 1760-1830 (Kleine Schriften d. Historischen Museums; Bd. 44), Frankfurt/M. 1989, S. 20-37.
Brunhilde Wehinger, Der kurze Sommer der revolutionären Frauen, in: Staatliche Kunsthalle Berlin, 1789/1989. Zweihundert Jahre Französische Revolution, Berlin 1989, S. 47-58.
Fotos: Sven Adelaide, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
Landesmuseum für Kunst und
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Kulturgeschichte Oldenburg
Schloss - Augusteum - Prinzenpalais
Das Kunstwerk des Monats September 2015
sie nun an ihre Kopfbedeckung bzw. an ihren Frack. Auch die
Ab dem 3. April 1793 war den Männern das Tragen einer Natio-
femme patriote steckte sie an Hut oder Haube, wie wir aus dem
nalkokarde vorgeschrieben; Frauen durften sie nicht anstecken.
Journal de la mode et de goût von 1790 wissen. Und auch die
Dagegen wandte sich im Mai 1793 die „Gesellschaft der Revo-
Königin wusste ebenso wie der König um die Bedeutung der
lutionären Republikanerinnen“. Sie forderten im Rahmen der
Revolutionsmode. Als dieser sich am 20. Juni 1792 einer aufge-
politischen Gleichheit, ebenfalls die Kokarde als Bekenntnis zur
brachten Menschenmenge gegenübersah, ließ auch er sich eine
Revolution tragen zu dürfen. Dass dahinter der Wille zur Teilha-
Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
rote Freiheitsmütze mit der Nationalkokarde aufsetzen. Die
be an der politischen Macht stand, blieb den Männern nicht
Text: Landesmuseum Oldenburg
Königin nahm eine Kokarde vom Hut eines Nationalgardisten
verborgen. In einem Pariser Polizeibericht heißt es dazu, dass
und ließ sie sich auf ihren Kopfputz heften, wie ein deutscher
die Frauen, trügen sie erst einmal die Kokarde, bald „auch Bür-
Zeitzeuge berichtet.
gerrechte fordern“ werden. Dann „werden sie in unseren Ver-
Kokarde, 1790
Frankreich
Seide, Pappe
Durchmesser: 12,0 cm
Inv. 3.838
Das Symbol der Französischen Revolution: Die Kokarde
sammlungen abstimmen, mit uns die Verwaltungsposten teilen
wollen.“ mehrmonatige, teilweise auch handgreiflichen Ausein-
Kleidung ist Teil eines komplexen Zeichensystems, das in der
bis Fuß in diesen Nationalfarben, die nun als blau für den Adel,
Vergangenheit wie in der Gegenwart soziale, regionale und
rot für den Klerus und weiß für den Dritten Stand umgedeu-
nationale Konnotationen hat. Sie ist Träger von Botschaften,
tet wurden. Und auch die Sprache der Accessoires war nun
eine Form der nonverbalen Kommunikation, mit der Individu-
revolutionär.
alität und Einordnung in eine Lebenswelt ausgedrückt wird.
andersetzungen mit anderen Frauen, die die Kokarde nur bei
den Männern sehen wollten, folgten. Schließlich erreichten die
revolutionären Republikanerinnen, dass der Konvent ein Gesetz
verabschiedete, demzufolge ab dem 21. September 1793 jede
Frau verpflichtet war, eine Nationalkokarde als Symbol natio-
Ein zentrales Beispiel hierfür ist die Kokarde aus Seide, die
Die Französische Revolution bietet geradezu ein Musterbei-
das Kunstwerk des Monats September darstellt. Sie gehör-
spiel für die Politisierung der Mode. Die Auseinandersetzung
te vermutlich einst dem Oldenburger Herzog Peter Friedrich
der Revolutionäre mit dem Ancien Régime fand auch auf der
Ludwig, der sie wohl von seinem Justizrat Anton von Halem
Ebene der Zeichen statt: Kleidung und Accessoires machten
erhalten hatte. Dieser weilte 1790 in Paris. Vielleicht trug er
in den 1790er Jahren die politische Einstellung von Freund und
sie dort, denn auch Fremde mussten sich die Rosette mit den
Feind sichtbar. Es genügte bereits ein Herrenrock mit einem
Nationalfarben anheften. Der Frankreichreisende Friedrich
schwarzen, abstechenden Kragen, um auf den Träger Jagd zu
Schulz schätzte, dass zu dieser Zeit „unter den 24 Millionen
machen, weil Anhänger der Revolution diese Mode als roy-
Menschen, welche Frankreich enthält, […] wenigstens acht
alistisches Abzeichen interpretierten. Doch bereits vor 1789
Millionen“ seien, die eine Kokarde trügen, „weil das ganze
begann sich die Forderung nach Freiheit nicht nur auf die Ge-
männliche Geschlecht aller Stände, bis auf drei- oder vierjäh-
dankenwelt, sondern auch auf die Damenmode auszuwirken.
rige Knaben hinab […] damit versehen“ sei. Unsere Kokarde
Die Mode à la greque im Gefolge der Wiederentdeckung der
zeigt die französischen Nationalfarben Blau, Weiß und Rot.
Antike führte dazu, dass Frauen des Bürgertums das Korsett
Sie galt seit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 als
ablegten und in Anlehnung an die Kleidung der Antike so ge-
d a s Symbol der Revolution. „Blau und roth“, so das Journal
nannte Chemisenkleider trugen, welche oft mit einer Schärpe
des Luxus und der Moden im August 1789, „sind jetzt die zwey
drapiert, die Farben der Stadt Paris, blau und rot, sowie weiß
wichtigen Mode-Farben, die jeder Bürger, jeder rechtschaffne
für die Farbe der Bourbonen enthielten. Ab Herbst 1789, nach
Franzos, und auch jeder Fremde, der seines Lebens sicher seyn
dem Sturm auf die Bastille, kleidete sich die Dame von Kopf
will, hier tragen muß.“ Alle waffenfähigen Männer hefteten
naler und revolutionärer Identität zu tragen Für viele Irritationen sorgte die Tatsache, dass nicht festgelegt war, wie die Kokarde exakt zu tragen sei, vor allem mit fortschreitender
Beruhigung der politischen Lage. Nach Beobachtung eines Zeitgenossen zogen viele Frauen die Kokarde in Federbüsche ein,
die an ihren Hüten befestigt waren. Dadurch hätten sie daraus
„ein Objekt der Koketterie“ gemacht. In einem Fall habe ein
„braver Sansculotte“ solche Federbüsche von den Hüten gerissen mit der Bemerkung, „daß die Nationalkokarde das Symbol
für Freiheit und Gleichheit sei und kein lächerliches Luxusobjekt“. Wieder andere Frauen trugen, wie der Hamburger Aufklärer Friedrich Johann Lorenz Meyer berichtet, lediglich erbsengroße, kaum sichtbare Kokarden am Hut, was die Schildwache
in den Tuilerien wiederholt mit dem Ausspruch „Citoyenne, la
cocarde!“ auf den Plan rief. Viele Frauen lehnten das Tragen der
Kokarde ganz ab. Ernst Moritz Arndt bemerkte, dass der Kopfschmuck bei seiner Ankunft 1798 in Paris „sehr in Abnahme“
Femme patriote avec le nouvel uniforme, in: Journal de la mode et du
goût XIX, 25.8.1790
gewesen sei. Ab 1800, nach dem Staatsstreich Napoleons, war