Stromproduktion aus erneuerbaren Energien im Fokus der 4. Viktor-KaplanLecture 10.6.2015 Experten aus Forschung, Lehre und Praxis diskutieren, wie Photovoltaik und Windkraft europaweit das Energiesystem verändern Wie Photovoltaik und Windkraft europaweit das Energiesystem verändern, war Thema der 4. Viktor-Kaplan-Lecture von Oesterreichs Energie in Zusammenarbeit mit der FH Technikum Wien. Aktuell sind europaweit Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von rund 128 Gigawatt (GW) sowie Photovoltaikanlagen mit etwa 80 GW installiert. Der maximale Bedarf an Leistung (Spitzenlast) liegt in den drei wesentlichen europäischen Verbundnetzen bei 500 GW. Schon heute stellen Wind und Photovoltaik das Lastmanagement vor große Herausforderungen. "Erneuerbare Energien deckten 2013 rund 22,1 Prozent des weltweiten Strombedarfs, Österreich nimmt mit 77 Prozent eine Spitzenstellung ein", erklärte Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie. Der Trend Richtung Erneuerbare wird sich in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen. Die EU hat beschlossen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch bis 2030 auf 27 Prozent zu steigern. Weltweit wird laut Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) bis 2040 ein Drittel des Elektrizitätsbedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Damit ändert sich die Struktur der Stromerzeugung massiv. Großkraftwerke verlieren an Bedeutung, die Produktion in Kleinanlagen mit wenigen Kilowatt Leistung, z. B. Photovoltaikanlagen, nimmt dem gegenüber zu. "Dadurch werden vor allem die Verteilnetze, an denen die Ökostromanlagen angeschlossen sind, erheblich größere Aufgaben wahrnehmen müssen als heute", erklärte Schmidt. Die an günstigen Standorten installierte Leistung übersteigt oft den regionalen Bedarf. Schmidt: "Wir brauchen deshalb ein neues Verständnis für die Rollen und Verantwortlichkeiten im Stromsystem, um die in Österreich in den kommenden Jahren zu erwartenden 4000 MW an Windkraft und 1200 MW an Photovoltaik ohne Gefahr für die Versorgungssicherheit in die Netze zu intergieren." Diese Herausforderung können nur alle energiewirtschaftlich und energiepolitisch Verantwortlichen gemeinsam bewältigen, fügte Schmidt hinzu. Unterschätzte Entwicklung Laut Hubert Fechner, Studiengangsleiter der FH Technikum Wien, wurde die Entwicklung der Windenergie und der Photovoltaik lange Zeit unterschätzt. So vermeinte die damalige deutsche Umweltministerin und heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 1994, Sonne, Wasser und Wind könnten "niemals mehr als vier Prozent zur deutschen Stromversorgung beitragen." Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostizierte 2005, Solaranlagen würden bis 2050 nicht einmal zwei Prozent der globalen Stromerzeugung ausmachen. Im Jahr 2009 korrigierte sie diesen Wert allein für Photovoltaikanlagen auf elf Prozent, im Jahr 2014 auf 16 Prozent für Photovoltaik und weitere mehr als elf Prozent für "Concentrated Solar Power"Anlagen. In diesen Anlagen wird durch Sonnenenergie Dampf erzeugt, der wie in einem normalen thermischen Kraftwerk eine Turbine antreibt, die ihrerseits mittels eines Generators Strom erzeugt. Schon heute sind laut Fechner in Deutschland Wind- und Photovoltaik-Anlagen mit jeweils mehr als 39 GW Leistung installiert, die benötigte Leistung schwankt zwischen 40 und 80 GW. Schon heute beeinflussen die erneuerbaren Energien laut Fechner die Preise auf den Strommärkten erheblich und erhöhen die Anforderungen an das Netzmanagement. Da die Kosten für Wind- und Solarenergie weiter sinken werden, werden diese Technologien künftig die Stromerzeugung dominieren. Dies stellt die Energiewirtschaft und ihre Energieinfrastrukturen vor große Herausforderungen. Zu deren Bewältigung sind geeignete politische sowie regulatorische Rahmenbedingungen und neue technische sowie systemische Ansätze nötig: "Photovoltaik und Wind benötigen eine massive Anpassung der Versorgungsstrukturen und des Energiemarktes. Gefragt ist vor allem Flexibilität, egal, ob diese nun durch Netze, Speicher, erzeugungsseitige Maßnahmen oder Maßnahmen bei den Verbrauchern (Demand Side Management) bereitgestellt wird." Treiber der Energiewende Andreas Dangl, der Vorstandsvorsitzende der WEB Windenergie AG bezeichnete Windkraft und Photovoltaik als die "Treiber der Energiewende", die wegen des Klimwandels unverzichtbar sind. Laut Dangl werden schon bald neue Technologien zur dezentralen Stromspeicherung weite Verbreitung finden, darunter Lithium-Ionen-Speicher. Der finanzielle Aufwand für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist laut Dangl "angesichts des volkswirschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwerts einer ökologischen und dezentralen Energiewirtschaft" aber gerechtfertigt. Dangl erklärte, rein technisch ließen sich Windkraftanlagen heute fast überall errichten. Aufgrund der Dimensionen der Türme und Rotoren mit Bauhöhen von rund 200 Metern würden diese jedoch immer häufiger emotional abgelehnt. Umso wichtiger sind laut Dangl deshalb Bürgerveranstaltungen, um allfällige Ängste zu nehmen. Ausdrücklich bekannte sich Dangl zum Netzausbau, um die erneuerbaren Energien in das System zur Stromversorgung zu integrieren. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen für den Umbau der Energieversorgung schaffen. Dazu brauche sie vor allem "mehr Mut", forderte Dangl. "Grünere" Strommärkte Nach Auffassung von Eva Hauser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ZukunftsEnergieSysteme, Saarbrücken, tragen Photovoltaik und Windenergie dazu bei, dass die Strommärkte "grüner" und heterogener werden. Der kurzfristige Handel, vor allem der Intraday-Handel, gewinne an Bedeutung. Dem gegenüber nehme die Rolle des langfristigen Handels (Terminhandel) offenbar tendenziell ab. Gerade die Photovoltaik wird laut Hauser "mittelfristig einer der wesentlichen Katalysatoren und Treiber des Wandels hin zu einem regenerativ basierten Energiesystem" sein. Zu klären sind die Fragen der Struktur des Energiesystems und seiner Regelungsinstanzen sowie der Refinanzierungsmechanismen für die EnergieInfrastruktur. Hauser sieht langfristige Rentabilitätsprobleme: Gerade Photovoltaikanlagen produzierten Strom vor allem dann, wenn dieser ohnehin im Überfluss zur Verfügung stehe, und könnten daher ihre Vollkosten über den Markt nicht decken. Laut Hauser wird sich das auch "für die nächsten 50 Jahre nicht ändern." Noch nicht geklärt sei, ob Eigenverbrauch und Direktvermarktung dem entgegenwirken können. Daher empfiehlt sich nach Ansicht Hausers eine Umgestaltung des Marktdesigns. Die Wissenschaftlerin äußerte grundsätzliche Zweifel, ob die Bezeichnung "Markt" für das System der Energieversorgung überhaupt gerechtfertigt ist: "Offenbar gewährleisten die derzeitigen Märkte weder die Refinanzierung von Erzeugungsanlagen egal welcher Art noch die Netzstabilisierung." Unverzichtbarer Netzausbau Klaus Kaschnitz, Bereichsleiter Betrieb Austrian Power Grid (APG), erläuterte, die installierte Windkraft- und Photovoltaikleistung insbesondere in Deutschland, aber auch in Österreich, habe sich binnen weniger Jahre vervielfacht: "Wind- und Sonnenstrom sind - begünstigt durch die Förderregime in vielen Ländern Europas - mittlerweile eine sehr relevante Größe im europäischen Strommix geworden." Damit haben sich jedoch auch die Herausforderungen für das Systemmanagement deutlich erhöht, nicht zuletzt, weil der Netzausbau nicht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt hält. Der Netzentwicklungsplan der APG sieht für die kommenden zehn Jahre Investitionen von insgesamt rund 1,4 Mrd. Euro vor. Dieses "ambitionierte Programm" ist laut Kaschnitz "die dringend notwendige Grundlage für eine nachhaltige und sinnvolle Integration erneuerbarer Stromerzeugung - insbesondere aus Windkraft und Photovoltaik in Österreich." Aus der Sicht des Netzbetriebs bringt die Energiewende laut Kaschnitz vor allem folgende Herausforderung mit sich: "Erzeugung und Verbrauch driften geografisch und zeitlich auseinander." Sei der Stromaustausch zwischen Österreich und Deutschland noch vor wenigen Jahren vom Verbrauchsverhalten bestimmt worden, richte er sich heute nach der Einspeisung von Ökostrom. Die Netzbetreiber müssten permanent Vorschaurechnungen durchführen und die Netzbetriebsplanung international koordinieren, um "rund um die Uhr rechtzeitig Notmaßnahmen einleiten zu können." Am 2. Jänner 2015 wurden laut Kaschnitz neue Import-Rekordwerte erreicht. Dies machte umfangreiche Redispatch-Maßnahmen notwendig, um das Netz stabil zu halten. In Österreich kamen dafür Kraftwerke mit rund 1700 Megawatt (MW) Gesamtleistung zum Einsatz, was fast der Leistung sämtlicher großen Wasserkraftwerke an der Donau entspricht. Binnen nur zweier Jahre, von 2013 bis einschließlich heuer, werden sich die Redispatchkosten laut Kaschnitz europaweit von weniger als 15 Mio. Euro auf über 45 Mio. mehr als verdreifachen. Dazu kommen zunehmende Schwierigkeiten, Kraftwerke für Redispatch-Maßnahmen bereit zu halten. Immer mehr solche Anlagen würden mangels Rentabilität vorübergehend eingemottet oder völlig geschlossen. "Das verringert natürlich die Möglichkeiten der Übertragungsnetzbetreiber, Notmaßnahmen zu setzen", erklärte Kaschnitz. Flexibilität steigern Um das zeitliche Auseinanderdriften von Erzeugung und Verbrauch zu bewältigen, gibt es ihm zufolge mehrere Möglichkeiten. Eine davon ist die aktive Verbrauchssteuerung, deren Potenzial jedoch "zumindest derzeit viel zu gering" ist. Auch könnten in zunehmendem AusmaßÖkostromanlagen abgeschaltet sowie Backup-Kraftwerke errichtet werden, vor allem solche, die Erdgas als Brennstoff verwenden. Möglich ist auch der "Ausbau von Speicherkapazitäten, etwa Pumpspeichern". Laut Kaschnitz bleibt der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze weiterhin das "Gebot der Stunde. Bis dieser in ausreichendem Maße erfolgt ist, muss das Engpassmanagement intensiviert werden." Überdies gelte es, die Verfügbarkeit der thermischen Kraftwerke zu gewährleisten, die für die Netzabsicherung nötig sind. Auch das Marktdesign sollte laut Kaschnitz überdacht werden. Darüber hinaus empfiehlt sich die "Erschließung aller Erzeugungs- und Verbrauchsstabilitäten". Mit den Viktor-Kaplan-Lectures bieten Oesterreichs Energie und die FH Technikum Wien eine Plattform zur offenen Diskussion über die technische sowie organisatorische Bewältigung der Umgestaltung des Energiesystems. Quelle: Oesterreichs Energie
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