Deutsche Außenpolitik: Auf eigenen Beinen stehen! PDF

Nr. 113 | März 2016
Das außenpolit ische J o ur n al
Cyberwar
Wahn und Wirklichkeit
Die Erfindung des Cyberwars
Krieg und Frieden im Cyberspace
Waffenarsenal der Bits & Bytes
Bundeswehr an die Cyberfront
WeltBlick
Unser Problem mit Saudi-Arabien
Chile vs. Bolivien neu verhandelt
Forum: Zerfall der EU?
Beiträge von Jean Asselborn u. a.
Bücherfrühling
ISSN 0944-8101 | 4,80 €
Inhalt
4
WeltBlick
4
Problemfall Saudi-Arabien
Sebastian Sons
9
Neu aufgelegt: Grenzkonflikt Chile-Bolivien
Roland Benedikter und Andrea Unterweger
14
Zwischenruf: Atemlos … von Krise zu Krise
Calamity Jane
16
Thema: Cyberwar – Wahn und Wirklichkeit
17
Die Erfindung des Cyberwars
Kai Denker
22
Gefährliche Militarisierung
Thomas Reinhold
28
Rüstungskontrolle im Cyberspace?
Götz Neuneck
33
Die Bundeswehr an die Cyberfront
Wolfgang Schwarz
38
UNO und Informationssicherheit – Ein Überblick
Christoph Berlich
40
Forum: EU am Ende?
Jean Asselborn, Heinz Kleger, Holger Politt
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 100 • Januar/Februar 2015 • 23. Jahrgang • S. 2–3
Very International Person: Staffan de Mistura
47
Angela Unkrüer
Historie: Verdun 1916 – Ereignis und Mythos
50
Jürgen Angelow
52
Bücherfrühling
52
WeltTrends 113
aufgelesen von Christian Spicker
Impressum
67
Briefe an die Redaktion
68
Kommentar: Auf eigenen Beinen stehen!
70
BücherFrühling
Tobias Zech
Wort und Strich
72
Kommentar
Deutschland muss lernen, außenpolitisch auf
eigenen Beinen zu stehen
Tobias Zech
D
ie Welt ist im Umbruch. Europa stößt an seine strukturellen und
politischen Grenzen. Alte Verbündete haben einen neuen Fokus,
neue Kräfte tauchen im internationalen Geschehen auf. Was als Frühling begann, hat sich zum Winter entwickelt, der frösteln lässt. Die
Lage als komplex zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus. Der „arabische Frühling“ entfachte geradezu tollkühne Freudensbekundungen.
Manche sahen das sofort als einen weiteren Schritt in der steten Demokratisierung und Verwestlichung der Welt. Die EU verhandelte Assoziierungsabkommen und bekam den Friedensnobelpreis. Wehe dem
Kassandrarufer, der zur Vorsicht mahnte! Wehe dem Realpolitiker, der
Fragen stellte. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte! Leider kam
es anders: Wir sind nun mit so vielen kleinen wie großen Konflikten
konfrontiert wie nie seit der Wiedervereinigung. Die Gründe sind mannigfaltig – unsere Reaktionen werden dem in ihrer Eindimensionalität
nicht gerecht. Zu sehr sind wir noch in der wenig eigenständigen deutschen Außenpolitik des vergangenen Jahrhunderts gefangen. Wir wähnen uns in der Außenpolitik immer noch an der Hand der USA. Aber
der Blick Washingtons ist fest auf Asien gerichtet. Wir sind nun selbst
weltweit für unser Tun und Lassen verantwortlich. Das ist neu.
In der Phase der „geleiteten“ Außenpolitik konnte sich unter dem Schutzschirm Washingtons ein gesinnungsethischer Ansatz der Außenpolitik
entwickeln, der für eine Führungsnation nicht tragbar ist. Die Definition
deutscher Interessen in der Außenpolitik einzufordern führt noch oft zu
betretenem Schweigen. Aber ja, wir müssen uns bewusst werden, was wir
wollen. Wir als europäische Führungsnation und weltweites Handelsvolk
noch viel mehr als andere. Vor allem müssen wir die Dinge auch wieder
vom Ende her denken. In Bezug auf die gegenseitigen Sanktionen zwischen der EU und der Russischen Föderation ist uns dies nicht gelungen. Es ist klar: Die Annexion der Krim verstößt gegen das Völkerrecht.
Hier ist die Europäische Union gefragt, Maßnahmen zu ergreifen, um
ihre eigenen Interessen oder die ihrer Partner zu schützen. Aber Sanktionen sind dabei nicht das richtige Mittel – vor allem wenn sie dazu führen,
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 113 • März 2016 • 24. Jahrgang • S. 70–71
Kommentar
dass der Austausch zwischen führenden Kräften in Russland und der EU
stark behindert wird! Wirtschaftssanktionen haben noch nie politische
Veränderungen herbeigeführt.
Einer der fatalsten Auswüchse dieser Politik sind die gegenseitigen Personensanktionen. Alle Bemühungen, den Kontakt in diesen schwierigen
Zeiten aufrechtzuerhalten, werden damit unter einen Generalverdacht
gestellt. Und es stehen viele Leute auf diesen Listen. Die Aufstellung
von EU-Seite umfasst rund 150 zum Teil hochrangige russische Politiker. Nicht miteinander zu reden bringt einen aber selten einer Lösung
nahe. Die Beschränkungen des Reiseverkehrs und der Visaerteilung von
beiden Seiten haben schon in Sachen Ukraine in meinen Augen mehr
Schaden angerichtet als genützt. Mit der Krise in Syrien, die immer mehr
die Nachbarländer in Mitleidenschaft zieht und mit den Flüchtlingsströmen Auswirkungen auf ganz Europa hat, steigt der internationale Abstimmungsbedarf noch. Die Sanktionen werden zu einem großen Hindernis
für alle, die an Lösungen für diese Krise arbeiten wollen.
Ich habe die Situation in den Flüchtlingsunterkünften vor Ort in der Türkei und im Libanon gesehen. Vor allem im Libanon ist die Lage desolat.
Hier kann neben internationaler Hilfe nur eine schnelle und nachhaltige
Lösung des Konfliktes in Syrien Abhilfe schaffen. Fakt ist: Je länger dieser
Konflikt ohne Lösung bleibt, desto mehr Menschenleben wird er fordern.
Und ob es einem gefällt oder nicht, die Russische Föderation ist ein wichtiger internationaler Partner, der auch in dieser Krise Teil der Lösung sein
könnte, wenn man auf allen Ebenen miteinander sprechen würde. Solange
die Personensanktionen aufrechterhalten werden, befördern sie Stillstand
und den Aufbau gegenseitigen Misstrauens, respektive den Verlust mühsam aufgebauten Vertrauens. Mein Fazit daher: Gerade in Zeiten wie diesen gilt es, miteinander zu reden und nicht nur übereinander!
Tobias Zech
geb. 1981, MdB seit 2013, stellv. Vorsitzender der EVP-Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, seit 2011 JU-Bezirksvorsitzender Oberbayern
[email protected]
71