Experte sieht Tarif-Einigung als Niederlage für ver.di

Experte sieht Tarif-Einigung als Niederlage für ver.di | Manuskript
Experte sieht Tarif-Einigung als Niederlage für ver.di
Bericht: Knud Vetten
Ein Paketzusteller in Rosenheim bei der Arbeit. Beschäftigte wie er standen im Mittelpunkt
des gerade beendeten Poststreiks und sind heute dessen Verlierer - gut 6.000 Angestellte in
der neuen DHL Delivery. Sie verdienen jetzt dauerhaft schlechter als die Postangestellten.
Patrick Sarnecki arbeitete zweieinhalb Jahre für die Post. Mit befristeten Verträgen. Nach
dem Ende des letzten gab es keine Verlängerung.
Patrick Sarnecki
„Bildlich kann man es so sagen, dass uns die Pistole auf die Brust gesetzt worden ist, weil
wir haben nur die Wahl: Entweder Delivery oder arbeitslos.“
Zähneknirschend unterschreibt er. Dass er sich damit erheblich verschlechtert, empfindet
Patrick Sarnecki als ungerecht.
Patrick Sarnecki
„Dann ist quasi eine Welt zusammengebrochen. Weil dann hat man gedacht: Zweieinhalb
Jahre wirklich gepumpt, gepumpt, alles gemacht und getan. Auf freie Tage verzichtet,
reingekommen, weil jemand krank geworden ist. Der Dank dafür ist quasi die Abschiebung
in die Delivery GmbH.“
Frage: „Was bedeutet das finanziell für Sie?“
„Im Großen und Ganzen auf lange Sicht gesehen: 20 Prozent weniger.“
Er setzt seine Hoffnung in die GewerkschaftVerdi und hilft in seinem Urlaub als Streikposten
gegen die Delivery.
Hintergrund: Die Beschäftigten der neuen Post-Tochter verlassen den Haustarif der Post und
werden nach dem niedrigeren Speditions- und Logistiktarif entlohnt. Sie landen in insgesamt
49 regionalen Gesellschaften. Je nach Bundesland bedeutet das gravierende finanzielle
Einbußen. Und: Das 13. Monatsgehalt fällt weg und viele andere Zuschläge.
Dabei wird es nun erst mal bleiben. Termin bei Verdi in Berlin. Jan Jurzcyk war bei den
Verhandlungen mit der Deutschen Post vor Ort dabei. Er räumt eine Niederlage ein, aber das
Ziel war auch sehr ambitioniert.
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Jan Jurczyk, Verdi – Bund
„Für die Beschäftigten der Delivery ist das bitter. Aber es ist schon den Gewerkschaften in
den vergangenen 30, 40 Jahren mehrfach nicht gelungen ein Mal getroffene
Standortentscheidungen
wieder
oder
ein
Mal
getroffene
Umstrukturierungsentscheidungen wieder rückgängig zu machen. Die haben vollendete
Tatsachen geschaffen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Aber trotzdem war es richtig
für das Ziel selbst zu kämpfen.“
Wie kann das sein, dass Verdi das wichtigste Ziel des Streiks komplett aufgeben muss?
Wir
präsentieren
den
Fall
Sernecki
dem
Arbeitsmarktexperten
und
Wirtschaftswissenschaftler Stefan Sell. Seiner Ansicht nach ist Patrick Sarnecki eines von
vielen Opfern der Lohnpolitik der Post, aber letztlich auch im Stich gelassen von Verdi.
Prof. Stefan Sell, Hochschule Koblenz
„Eine der zentralen Forderungen, nämlich dass Delivery rückabgewickelt wird, das ist vom
Tisch. Hier muss man von einer krachenden Niederlage der Gewerkschaft sprechen, denn
es sieht so aus, dass alle Neueinstellungen über diese Billigtöchter ablaufen werden und
das ist natürlich eine richtig schwere Schlappe.“
Dass es für Verdi nicht leichter wird, zeigt auch das Beispiel Nürnberg: Unter anderen hat die
Deutsche Post hier ein neues Beschäftigungsmodell mit osteuropäischen Arbeitskräften
ausprobiert: Wir haben uns mit Betriebsräten und dem Fachbereichsleiter von Verdi
verabredet. Die Gewerkschafter wissen noch nicht viel über ihre neuen Kollegen.
Renate Birkel, Verdi-Bayern
„Sind das nun welche von uns – oder?“
In diesem Verteilzentrum arbeiten am Ende des Streiks mehr als einhundert Ungarn und
Rumänen. Als Zeitarbeiter.
Renate Birkel, Verdi-Bayern
„Hallo, dürfen wir ihnen ein paar Fragen stellen? Das sind jetzt alles Kollegen, die für die
DHL-Sorting-Center GmbH arbeiten.“
Das Sorting-Modell in den Verteilzentren funktioniert so: Die 100-prozentige Tochter der
Deutschen Post macht Werkverträge mit Zeitarbeitsfirmen, die vor allem Arbeitnehmer aus
Osteuropa vermitteln. Denn tarifgebundene Zeitarbeiter dürfen nicht in bestreikten
Betrieben wie der Post tätig sein. Die Sorting GmbH kann Zeitarbeiter beschäftigen, sie war
ja nicht bestreikt.
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Die Gewerkschaft Verdi klagt, dass mit diesem Trick der Streik unterlaufen wurde und
gleichzeitig verdienen die Arbeiter aus Osteuropa für deutsche Verhältnisse wenig. Ein
junger Mann verrät uns seinen Lohn inclusive Nachtzuschläge:
Frage: „Wie sieht Ihr Stundenlohn letztlich aus?“
„9 Euro“
Frage: „Was sagt die Gewerkschaft dazu?“
Renate Birkel
„Das ist natürlich weit unter den Bedingungen, als wenn sie direkt bei der Post angestellt
wären. Das ist genau wie bei der Delivery, dass der Haustarif ausgehöhlt wir.“
Prof. Stefan Sell, Hochschule Koblenz
„Sorting wurde benutzt, um Streikbrecher zu organisieren über Werkverträge und zwar
aus Osteuropa, also zu äußerst günstigen, billigen Konditionen. Und man kann das
weiterspinnen, das was in der Situation des Streikbruchs funktioniert hat, warum soll das
nicht in Zukunft in Teilbereichen auf Dauer funktionieren. Das würde natürlich die
Rutschbahn nach unten auf der sich Beschäftigungsbedingungen finden noch mal extrem
verschärfen.“
Sollte die Post genau das umsetzen, kann die Gewerkschaft an der Stelle wohl nur zu sehen:
Jan Jurczyk, Verdi – Bund
„Die Sorting GmbH ist reines Gestaltungsrecht des Arbeitgebers, sie hat gar keine
operativen Mitarbeiter, die in irgendeiner Weise in Tarifregelung einbezogen werden
könnten, um auf die Art und Weise die Tätigkeit der Sorting GmbH zu beeinflussen, das ist
gar nicht möglich.“
Was bleibt:
Die Deutsche Post wollte FAKT kein Interview zum Poststreik, Delivery usw. geben. Die
Vorwürfe, Tarifflucht und Lohndrückerei zu betreiben, weist sie schriftlich von sich.
Mit Patrick Sarnecki aus Rosenheim haben wir nach der Tarifeinigung telefoniert. Er ist von
dem Verhalten der Gewerkschaft Verdi sehr enttäuscht.
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