■ tierwelt ■ ■ tierwelt ■ Fische freisetzen bringt nicht viel Millionen von Fischchen werden jedes Jahr in Schweizer Gewässern freigesetzt. Nun zeigen Untersuchungen immer deutlicher, dass dieser Besatz in vielen Fällen nutzlos oder gar schädlich ist. Eine Tradition gerät ins Wanken. U Bild: © Rainer Weisflog / imago m die Fischfauna in der Schweiz zu fördern, ist den Angelvereinen und Fischereibehörden kein Aufwand zu gross. Jahr für Jahr ziehen sie massenhaft Fischchen die ersten Lebenswochen geschützt vor Feinden in Becken auf und setzen sie dann in Bächen, Flüssen oder Seen frei. Aufzeichnungen von solchem Fischbesatz, wie die Aussetzungen im Fachjargon heissen, gibt es in der Schweiz seit dem Jahr 1860. Über die Jahrzehnte ist die Hilfeleistung zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Laut einer Studie bleibt schweizweit nur einer von zehn Fluss- und Bachläufen ohne Besatz. Im Jahr 2012 zum Beispiel wurden unglaubliche 660 Millionen Fischchen freigesetzt. Für die meisten Fischer- und Anglerklubs gehören die Tage, an denen sie kübelweise kleine Fische in die Freiheit entlassen, zu den wichtigsten Terminen im Vereinsjahr. Sie wollen mit dem Besatz entweder Populationen von gefährdeten Fischarten stützen oder – nicht ganz uneigennützig – erreichen, dass eine ungefährdete Art in «ihrem» Fluss- oder Bachabschnitt noch häufiger wird. Erfolgskontrollen fehlen vielfach Doch ob dieses gut gemeinte Vorhaben wirklich gelingt, ist in vielen Fällen zweifelhaft. Schon im Jahr 2002 schrieb das damalige Bundesamt für Wald und Landschaft (heute: Bundesamt für Umwelt) in einer Übersichtsarbeit zum Fischbesatz von einem «ernüchternden Bild». Das ist heute nicht anders. «Lange Zeit wurden Besatzmassnahmen kaum je von Erfolgskontrollen begleitet», sagt Corinne Schmid von der Fischereiberatungsstelle Fiber. «Wo solche Untersuchungen gemacht werden, zeigt sich oft, dass die Ziele nicht erreicht werden.» Im Genfersee etwa werden Jahr für Jahr eine Million Seeforellen freigesetzt. Eine Studie der grenzüberschreitenden Kommission der Genfersee-Fischerei kam letztes Jahr aber zu einem enttäuschenden Ergebnis: Genetische Untersuchungen von Fischen, die Berufsund Hobbyfischern ins Netz und an die Angel gegangen waren, zeigten, dass nur 20 bis 30 Prozent der Altfische aus Besatz stammen, alle anderen sind Fische aus der Naturverlaichung. Bei den Felchen stammten sogar 99 Prozent der Fänglinge aus Laich, den Fi- 10 Stress bei ihren Artgenossen, die sich natürlich fortpflanzen – zum Beispiel durch Nahrungskonkurrenz und indem sie diesen geeignete Verstecke streitig machen. Die lokal angepassten Individuen verbrauchen deshalb Energie, die sie ansonsten beispielsweise ins Wachstum investieren könnten. Auch beim Schweizerischen Fischerei-Verband SFV ist man sich der Problematik bewusst. «Wir kennen diese Studien – und sie dringen auch immer mehr an unsere Basis durch», sagt Samuel Gründler, der beim SFV für den Artenschutz zuständig ist. Der Verband gehe einig mit den Experten, dass die natürliche Vermehrung, wenn sie in einem Gewässer funktioniere, stets das Beste sei. «Und wir merken, dass beim Besatz zum Teil gilt: Weniger ist mehr.» Gründler macht aber auch kein Geheimnis daraus, dass nicht alle Verbandsmitglieder mit dieser Haltung einverstanden sind. «Für einige gehört der Besatz halt einfach dazu.» Kübelweise werden junge Fische (hier Bachforellen) ausgesetzt – mit zweifelhaftem Erfolg. sche auf natürliche Weise im See abgelegt hatten. Eine ebenso eindrückliche Studie wurde letzten Frühling im Aargau veröffentlicht. Der Kanton liess – ebenfalls mit genetischen Methoden – die Folgen des seit Jahrzehnten durchgeführten Äschen-Besatzes in den Flüssen Rhein, Aare, Limmat und Reuss untersuchen. Es zeigte sich, dass die Aargauer Fischer keinerlei Nutzen aus dem Besatz zogen: Sie fingen nicht mehr Fische nach Jahren mit hohem Besatz als nach besatzarmen Jahren. Paradoxerweise nahm die Fangzahl nach Jahren mit erhöhten Äschenbesätzen sogar ab. «Zudem stammte keine einzige gefangene und in der Studie untersuchte Äsche aus dem Besatz», sagt David Bittner, Fachspezialist für Fischerei in der Kantonalen Jagd- und Fischereiverwaltung. Pächter verzichten freiwillig auf Besatz Doch mit den richtigen Argumenten lassen sich die Fischerinnen und Fischer überzeugen – diese Erfahrung zumindest hat David Bittner im Aargau gemacht. Der Kanton beschloss aufgrund der Äschenstudie, ab der neuen Pachtperiode 2018 auf Äscheneinsätze zu verzichten. Bis dahin hätten die Pächter weiterhin junge Äschen in ihre Flussabschnitte einsetzen dürfen. «Doch zu meinem Erstaunen haben sich sämtliche Pächter dazu entschieden, bereits ab 2015 auf einen Äschenbesatz zu verzichten», sagt Bittner. Weil der Kanton pro Jungäsche, die in einem Fluss eingesetzt wird, bisher einen Franken bezahlte, könnte er durch den Entscheid eine erkleckliche Summe einsparen. «Doch das ist nicht das Ziel», sagt Bittner. «Wir werden das Geld in Lebensraumaufwertungen wie geeignete Laichplätze und Jungfischhabitate investieren.» Das ist auch für Samuel Gründler vom Fischereiverband der richtige Weg. Trotzdem, sagt er, gebe es Fälle, in denen die Aufzucht und der Besatz von Jungfischen sinnvoll seien. Im Hitzesommer 2003 etwa verendeten im Rhein zigtausende Äschen, weil das Wasser über 26 Grad warm wurde. «Da waren wir froh, dass wir an einem anderen Ort einen Genpool hatten, mit dem wir Wiederansiedelungen vornehmen konnten.» «Nützen kann der Besatz nur dann, wenn sich eine Population auf natürliche Weise nicht fortpflanzen kann», sagt Bittner. Ein Beispiel seien die Felchen im Hallwilersee. In dem überdüngten See ist eine natürliche Entwicklung der Felcheneier praktisch nicht möglich. Deshalb werden seit Jahrzehnten laichreifen Fischen aus dem See Eier abgestreift, künstlich ausgebrütet und die aufgezogenen Jungfelchen im See wieder ausgesetzt. «Untersuchungen zeigen, dass 95 Prozent der einjährigen Felchen im Hallwilersee aus dieser Bewirtschaftung stammen», sagt Bittner. So wird das Freisetzen von Jungfischen in der Schweiz zwar in den nächsten Jahren wohl seltener werden – ganz verschwinden wird die uralte Fischereitradition aber nicht. Simon Koechlin Nur angepasste Fische überleben Doch wie kann das sein? Immerhin betrug die Zahl der ausgesetzten Jungäschen im Aargau stolze 100 000 Stück pro Jahr – und die natürlichen Populationen dieses Fisches sind sehr tief, die Äsche gilt in der ganzen Schweiz als bedrohte Fischart. Das Zauberwort heisse «Anpassung», sagt Bittner. Die Studie zeigt nämlich noch etwas anderes Erstaunliches: Die Äschen aus den einzelnen Flüssen sind genetisch problemlos unterscheidbar. «Es ist, wie wenn man in Rhein, Aare, Reuss und Limmat rote, grüne, blaue und gelbe Äschen hätte, derart stark haben sich die Populationen an ihr Gewässer angepasst», sagt Bittner. Die für den Besatz benutzten Fischchen dagegen, welche die Fischer jeweils in privaten Fischzuchten beziehen, stammen nicht aus den Aargauer Flüssen – auch das konnte die Studie nachweisen. «Die eingesetzten Äschen können sich gegen die an die lokalen Verhältnisse angepassten Populationen nicht durchsetzen und überleben nicht lange», sagt Bittner. Die eingesetzten Äschen sind sogar derart konkurrenzschwach, dass sie es kaum ins fortpflanzungsfähige Alter schaffen – zumindest findet sich im Erbgut der heimischen Fische keinerlei Hinweis darauf, dass diese sich mit Besatzfischen gepaart hätten. Das ist vielleicht auch gut so: Viele Forscher gehen nämlich inzwischen sogar davon aus, dass Fischbesatz nicht nur nichts nützt, sondern sogar schädlich sein kann. «Wenn sich fremde Besatzfische mit Fischen durchmischen, die an die lokalen Bach- oder Flussverhältnisse angepasst sind, kann es sein, dass sich die entstehenden Mischlinge schlechter in ihrer Umwelt zurechtfinden», erklärt Biologin Corinne Schmid. Zudem sorgten Besatzfische für TIERWELT / 51, 17. dezember 2015 TIERWELT / 51, 17. dezember 2015 11
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