Heft als PDF - Welt

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9-2014 september
Rüstung: Stoppt die Killerroboter!
Islamisten: Demokratie stärkt die Radikalen
Staudamm: Die Kraft des Kongo zähmen
Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit
atomwaffen
Abrüstung nicht in Sicht
Wir unterstützen die Mutigen im Sudan,
die nach 50 Jahren Bürgerkrieg neue Schulen bauen.
Ihre Spende hilft! www.misereor.de
editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Bernd Ludermann
Chefredakteur
eine Welt ohne Atomwaffen hat US-Präsident Barrack Obama 2009 in Prag als Ziel
ausgerufen. Das war nicht einfach Idealismus: Selbst Ex-Politiker, die im Kalten Krieg
strikt auf nukleare Abschreckung gesetzt haben wie Henry Kissinger und Helmut
Schmidt, sehen heute in der Existenz von Kernwaffen eine große Gefahr. Sie fürchten,
dass Bomben oder spaltbares Material Terroristen in die Hände fallen. Und sie rechnen
damit, dass weitere Staaten sich Nuklearwaffen zulegen, ohne deren Risiken – Unfälle,
Sabotage, übereilte oder versehentliche Einsätze – zu beherrschen. Davor könne nur ein
Prozess schützen, der die Abschaffung aller Kernwaffen zum Ziel hat, wie ihn schon der
Atomwaffensperrvertrag von 1968 vorsieht.
Doch entschlossene Abrüstungsschritte der großen Kernwaffenstaaten, besonders
Russland und USA, sind weiter nicht in Sicht. Der Atomsperrvertrag, ohne den die Welt
noch unsicherer wäre, verliert deshalb an Wirkung, beklagt Andreas Zumach in dieser
Ausgabe. Sogar in Deutschland sind noch taktische Kernwaffen stationiert, die militärisch
völlig nutzlos sind. Ein Grund dafür, hat unser Volontär Sebastian Drescher herausgefunden, ist wenig rational: Sie sind Symbole für Entschlos-
Sogar in Deutschland sind noch
taktische Kernwaffen stationiert, die
militärisch völlig nutzlos sind.
senheit und Bündnistreue. In Südasien sind Atomwaffen fester Bestandteil der spannungsreichen Beziehungen zwischen Indien, Pakistan und China; Swaran Singh
schildert das aus indischer Sicht. Vor allem der Iran
nährt jedoch die Angst vor der Ausbreitung der
Kernwaffen. Und das zu Unrecht, erklärt Gareth Porter: Der Vorwurf, das Land strebe nach
der Bombe, beruhe auf zweifelhaften Dokumenten und Interpretationen.
Der Krieg in Syrien bringt auch ohne Massenvernichtungswaffen Tod und Verwüstung.
Viele Frauen ertragen die seelischen Folgen nicht und töten sich, berichtet Lauren Wolfe;
das ist kaum bekannt, weil Selbstmord im Islam mit Tabus belegt ist. Shadi Hamid erklärt,
warum mehr Demokratie die islamischen Parteien im Nahen Osten nicht moderater
macht. Und Peter Strack erzählt, wie Kleinbauern im Hochland Perus sich alte Kenntnisse
in Handwerk und Landbau neu aneignen. Das bringt ihnen nicht nur bessere Ernten,
sondern fördert auch den Zusammenhalt in den Gemeinden.
Eine interessante Lektüre wünscht
| 9-2014
3
inhalt
Change w lee/NYT/redux/laif
4
12
Im März 1954 zündeten die USA
vor dem Bikini-Atoll im Pazifik die
Bombe „Bravo“ (Titelbild). Atomtests
sind inzwischen verboten, aber
von ihrem Schrecken haben diese
Massenvernichtungsmittel nichts
verloren. Ernsthafte Schritte zu ihrer
Abschaffung bleiben die fünf anerkannten Atommächte schuldig.
U.S. Navy
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu warnt 2012, der Iran
stehe kurz vor dem Bau einer Atombombe. Doch dieser Vorwurf ist
politisch motiviert und von den Fakten nicht gedeckt.
Schwerpunkt atomwaffen
12 Der Club der stärksten Mächte
Der Atomwaffensperrvertrag schafft Staaten mit mehr und weniger Rechten
und macht die Welt trotzdem sicherer
Andreas Zumach
18 Sinnlose Sprengköpfe
In Deutschland lagern bis heute amerikanische Kernwaffen, obwohl sie keiner
braucht
Sebastian Drescher
21 Südafrikas Flirt mit Atomwaffen
In den 1970er Jahren baute Südafrika mehrere Bomben – mit Hilfe auch
deutscher Firmen
Heimo Claasen
23 Das Märchen von der iranischen Bombe
Die Belege dafür, dass Teheran Kernwaffen anstrebt, halten einer Prüfung
nicht stand
Gareth Porter
26 Pulverfass Südasien
Terrorismus ist die Hauptgefahr im Dreieck China – Indien – Pakistan
Swaran Singh
30 Verstrahlte Heimat
Die Atomtests haben viele Inseln im Pazifik bis heute radioaktiv verseucht
Ein Teil der Auflage enthält das Dossier
„Bildung ändert alles ­– von Anfang an“ der
Kindernothilfe, eine Beilage der Deutschen
Stiftung Weltbevölkerung sowie eine
.
Bestellkarte von
Giff Johnson
9-2014 |
23
Peter Strack
inhalt
Standpunkte
6 Die Seite Sechs
7 Leitartikel: Neue Sau im globalen Dorf.
Nachhaltigkeitsziele werden der Politik keine
neue Richtung geben können
Gesine Kauffmann
8 Kommentar: Ausgerechnet Roboter sollen den
Krieg menschlicher machen
Frank Sauer
10 Kommentar: Die Mächtigen im Südsudan
ignorieren die Not der Bevölkerung
Kleinbauern im peruanischen Hochland greifen alte Verfahren des
Webens wieder auf. Die Stoffe halten nicht nur warm, sondern sind
auch Ausdruck und Stütze ihrer gemeinsamen Kultur.
Tillmann Elliesen
10 Leserbriefe
42
11 Herausgeberkolumne: „Buen Vivir“ ist kein
Allheilmittel
Beat Dietschy
Journal
welt-blicke
32 Syrien: Gebrochene Seelen
Viele Syrerinnen und Syrer nehmen sich das Leben, weil sie die
Kriegsfolgen nicht mehr ertragen
Shadi Hamid
39 Wasserkraft: Den Kongo zähmen
Ein gigantisches Staudammprojekt soll das südliche Afrika
mit Energie versorgen
Peter Dörrie
42 Peru: Mutter Erde hilft beim Lernen
Am Titicacasee wollen Kleinbauern die andine Agrarkultur
wiederbeleben
50 Studie: Geld verdienen mit der Not
51 Berlin: Mehr Freiheit statt Fairness im
Welthandel?
Lauren Wolfe
35 Islamismus: Fromm ist Trumpf
Islamistische Parteien im Nahen Osten werden im demokratischen
Umfeld radikaler
49 BRICS-Entwicklungsbank: Alternative zu
Weltbank und IWF
53 Brüssel: Zwei neue Wirtschaftsabkommen
mit Afrika
54 Schweiz: Dunkle Geschäfte mit schwarzem
Gold
56 Österreich: OECD prüft die Entwicklungszusammenarbeit
57 Kirche und Ökumene: Burundi setzt den
Freikirchen Grenzen
58 Global Lokal: Ein Zeichen gegen den
Antisemitismus
Peter Strack
59 Personalia
46 Brasilien: Die Stadt der Mädchen
Ein Architekt will Sexarbeiterinnen in Rio de Janeiro das Leben
erleichtern
service
Hanna Silbermayr
60 Filmkritik
61 Rezensionen
65 Termine
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| 9-2014
65Impressum
5
standpunkte die seite sechs
Reife Leistung
Klaus Stuttmann
6
Man kann es nur neidvoll
anerkennen: Wenn es wirklich
brenzlig wird, sind die Amerikaner stets zur Stelle. Siehe
Irak: Während hierzulande noch
lamentiert wird, lässt Obama
dort längst Menschenleben
retten. Auch an der Klimafront
werden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nun schwere
Geschütze aufgefahren. Es ist
ja auch höchste Eisenbahn, die
Katastrophe ist kaum noch
abzuwenden, wie nun auch die
Amerikaner erkannt haben.
Wer war’s?
„Wo auch immer gespielt
wird: Deutschland schickt
schießendes Personal.“
Verteidigungsministerin Ursula von der
Leyen auf die Frage, ob Russland und
Katar Austragungsorte für die Fußballweltmeisterschaft bleiben sollten.
Kollegen bezeichneten ihn gerne etwas herablassend als „horizontalen Professor“ – weil er
für seine neue Disziplin aus
unterschiedlichen Denk- und
Forschungsrichtungen schöpfte. Diese Disziplin fristet bis
heute ein Schattendasein an
den deutschen Hochschulen,
dabei sind die Fragen, mit denen sie sich beschäftigt, aktueller denn je. Die Lehrtätigkeit,
die er sechs Jahre lang ausübte,
führte ihn zeitweise zurück in
seine Geburtsstadt. Die hatte
der Sohn eines Dramaturgen
und einer Schauspielerin aus
politischen Gründen verlassen
müssen und unter anderem in
der Schweiz, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und
in Österreich gelebt. Er war als
Journalist und Buchautor sehr
erfolgreich, bevor er anfing,
sich auch politisch zu engagieren. Es reichte ihm nicht, ein
unbeteiligter Chronist zu sein.
Er wollte gegen Fehlentwick-
lungen ankämpfen. Zwar galt er
als sanfter und heiterer Mensch
mit einem bisweilen phlegmatischen Temperament. Doch
seine Anliegen vertrat er stets
mit großer Hartnäckigkeit und
Konsequenz. Sobald er den Eindruck hatte, eine mit guten Absichten begonnene Sache gehe
in die falsche Richtung, zog er
sich nach Auseinandersetzungen zurück oder beendete die
Zusammenarbeit. Über viele
Themen, die derzeit diskutiert
werden, hat er sich bereits Gedanken gemacht – das brachte
ihm Auszeichungen ein. In der
Stadt, in der er vor 20 Jahren
die letzte Ruhe fand, hält eine
Einrichtung sein Erbe lebendig
für die Gegenwart. Wer war’s?
Auflösung aus
8-2014:
Gesucht war der kubanische
Journalist und Dissident Guillermo
Fariñas Hernández, der mehrfach
mit langen Hungerstreiks gegen das
Castro-Regime protestiert hat.
Jahrelang haben sich Klimaforscher und prominente Umweltschützer wie Al Gore am
amerikanischen Volk die Zähne
ausgebissen: Ihre unbequeme
Wahrheit wollte einfach niemand
hören. Dazu musste erst die NHL
den Klimaschutz für sich entdecken: die Nordamerikanische
Eishockey-Profiliga. Die hat dem
Klimawandel den Kampf angesagt, weil ihre Sportart wie keine
andere von der Erderwärmung
bedroht ist. Für das Kunsteis in
den gekühlten Stadien braucht
es Frischwasser – und das wird
in den trockenen Südstaaten
immer knapper. Noch härter
aber trifft es die bedrohte Spezies
des jungen Eishockeyspielers.
Sein natürlicher Lebensraum
sind die gefrorenem Weiher und
Seen Nordamerikas. Dort findet
er sich selbst im tiefsten Winter
immer öfter auf einer dünnen
und brüchigen Eisschicht wieder.
Weil künftig der Nachwuchs fehlen wird, packen die Clubs nun
beherzt zu: Vorweg gehen die Washington Capitals, die schon seit
Jahren für umweltfreundlichen
Atomstrom werben. Andere Vereine setzen auf radikale Sofortmaßnahmen und animieren die
Fans zum Mülltrennen. Das wichtigste aber: Es wird wieder über
das Klima geredet. Man kann nur
hoffen, dass die Anstrengungen
bald die gewünschte Wirkung
zeigen. Es gibt schließlich nichts
uncooleres, als erwachsenen
Männern beim Rollhockey
zuschauen zu müssen.
9-2014 |
leitartikel standpunkte
Neue Sau im globalen Dorf
Weltweite Nachhaltigkeitsziele werden der Politik keine neue Richtung geben können
Von Gesine Kauffmann
W
enn die Delegierten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) in
diesem Monat über Ziele für eine nachhaltige Entwicklung diskutieren, liegt ihnen ein umfangreicher Katalog vor. Nach 50 Sitzungstagen hat
sich die von ihr eingesetzte Offene Arbeitsgruppe
auf eine Liste mit 17 Zielen und insgesamt 169 überprüfbaren Zielvorgaben geeinigt. Sie sollen die acht
UN-Millenniumsziele (MDGs) ablösen, die zwischen
2000 und 2015 dem Kampf gegen Armut und Hunger sowie für eine bessere Bildung und Gesundheitsversorgung eine Richtung gegeben haben.
Doch genau in der Fülle liegt das Problem:
Es ist für jede und jeden etwas dabei, der Katalog
setzt keine Prioritäten.
Gesine Kauffmann
.
ist Redakteurin bei
| 9-2014
Das Neue daran: Die Nachhaltigkeitsziele sollen
für alle Staaten gelten, nicht nur für die armen Länder. Das wird von allen Seiten begrüßt – die Verantwortung für eine sozial gerechtere und umweltfreundlichere Welt müssen schließlich alle gemeinsam tragen. Die Kritik am Zielkatalog der Arbeitsgruppe ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Zu
schwammig, zu unverbindlich, unrealistisch oder
„erschreckend banal“ lauteten die Urteile. Außerdem wird über die „Mittel zur Umsetzung“ gestritten, etwa in Form von Geld oder Technologietransfer.
Doch neben der Kritik an den Details stellt sich
eine viel grundsätzlichere Frage: Sind die Nachhaltigkeitsziele ein geeignetes Instrument, um Wohlstand gerechter zu verteilen, die Grenzen des Planeten zu respektieren und die nachkommenden Generationen im Blick zu behalten? Entwicklungsexperten von der Harvard-Universität geben darauf eine
eindeutige Antwort: Globale Ziele zu setzen sei eine
schlechte Methode, um internationale Politik zu gestalten, lautet das Fazit ihrer Studien zur Wirkung
der MDGs.
Neben günstigen Effekten stellen sie eine Reihe
von schädlichen Nebenwirkungen fest: Die MDGs
hätten den Fokus der Entwicklungszusammenarbeit
auf technische Lösungen gelenkt und Prozesse des
sozialen Wandels wie alternative Wirtschaftsformen
oder den Abbau von Ungleichheit und Diskriminierungen an den Rand gedrängt. Im Einzelnen seien
die MDGs weit hinter die Beschlüsse großer UN-Konferenzen wie der Weltfrauenkonferenz in Peking
oder der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz zurückgefallen, bemängeln die Wissenschaftler.
Diesen Vorwurf kann man den Nachhaltigkeitszielen zwar nicht machen. Die Arbeitsgruppe hat
versucht, sämtliche Dimensionen von Entwicklung
unter einen Hut zu bekommen und sie – zumindest
teilweise – mit differenzierten Indikatoren zu unterfüttern. Doch genau in der Fülle liegt das Problem: Es
ist für jede und jeden etwas dabei, der Katalog setzt
keine Prioritäten, Konflikte zwischen einzelnen Zielen werden ausgeblendet. Und es bleibt eine starke
Konzentration auf quantitative Messgrößen. Das
wird den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen nicht gerecht.
Charles Kenny von der US-amerikanischen
Denkfabrik Center for Global Development geht in
seiner Kritik noch weiter. Eine Frage, schreibt er,
werde bei allen Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele und ihre Finanzierung stets unter den
Tisch gekehrt: Was sollen diese Ziele eigentlich bewirken – welchem übergeordneten Ziel dienen sie?
Sollen sie eine gemeinsame Vision für arme und reiche Staaten liefern, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen soll? Oder zusätzlich den Weg weisen, wie man
dorthin kommt? Geht es eher darum, globale Aufgaben gemeinsam zu bewältigen? Für alle diese Zwecke erscheinen sie in ihrer jetzigen Form ungeeignet. Bis zu ihrer geplanten Verabschiedung im September 2015 stehen zähe und schwierige Verhandlungen an, die viel Zeit und Geld kosten werden – und
ganz nebenbei das Klima schädigen. Und niemand
wird die Staaten dazu zwingen können, die Ziele
dann auch einzuhalten.
Wird also nur eine neue Sau durch das globale
Dorf getrieben? Die wachsende Ungleichheit und die
Zerstörung der Umwelt zeigen deutlich, dass Regierungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft handeln müssen – in ihren nationalen Grenzen und darüber hinaus. Doch statt ihre Energien auf die Verhandlung von Nachhaltigkeitszielen zu verschwenden, könnten sich die Staaten als ersten Schritt auf
eine ehrgeizige Klimarahmenkonvention verpflichten und die dann auch mit Leben füllen. Beim Abbau
der Diskriminierungen von Mädchen und Frauen
und beim Erhalt der Biodiversität bleibt ebenfalls
noch genug zu tun – ganz zu schweigen von der Einhaltung der sozialen und politischen Menschenrechte. Ausschlaggebend bleibt der politische Wille.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein schwammiger
Katalog von Nachhaltigkeitszielen ihn besser mobilisieren kann als völkerrechtlich verbindliche Abkommen.
7
8
standpunkte kommentar
Stoppt die Killerroboter!
Ausgerechnet Automaten sollen den Krieg menschlicher machen
Von Frank Sauer
Sie könnten ein neues Zeitalter in
der Kriegsführung einläuten: Autonome Waffensysteme, die ohne
menschliches Zutun über den Einsatz von tödlicher Gewalt entscheiden. Eine düstere Aussicht –
gegen die sich endlich Widerstand
regt.
Waffen, die selbstständig handeln,
gibt es schon seit Jahrzehnten. Allerdings sind sie bisher in der Regel stationär und dienen der Verteidigung, etwa zur Abwehr von
Raketen, wenn für menschliches
Eingreifen die Zeit fehlt. Systeme
wie die israelische Raketenabwehr Iron Dome funktionieren
automatisch, wiederholen also
nur programmierte, eng definierte Aktionen.
Als autonom bezeichnet man
dagegen komplexere Waffensysteme, die sich über Stunden, Tage
oder sogar Wochen in einer unbekannten Umgebung bewegen,
ohne dass der Mensch steuern
muss. Die Orientierung läuft über
Sensoren, die Entscheidungen
treffen Algorithmen – und zwar
nicht mehr nur über den Abschuss einer anfliegenden Mörsergranate, sondern auch über einen Angriff auf Menschen oder
belebte Ziele. Das britische Unternehmen BAE Systems und der USamerikanische Rüstungskonzern
Northrop Grumman etwa arbeiten jeweils an autonomen Kampfdrohnen.
Die Kriegstechnik ist heute so weit, dass nicht
einmal mehr ein anderer Mensch mit dem
Töten sein Gewissen belasten muss.
Befürworter autonomer Waffen versprechen sich eine wirksamere
und
kostengünstigere
Kriegsführung.
Roboterwaffen
sollen nicht nur Personal sparen,
sondern vor allem schnellere Entscheidungen treffen. Anders als
die heutigen unbemannten Systeme wie Drohnen müssen sie
nämlich nicht mehr mit einer
Kontrollstation verbunden sein.
Diese Verbindung ist anfällig für
Störungen und Missbrauch und
verzögert die Ausführung von Befehlen. Der bei Verteidigungssystemen wie einer automatischen
Raketenabwehr so wichtige Zeitvorteil wäre aber auch im Angriff
taktisch wertvoll.
Zugleich erhoffen sich Politiker und Militärs ausgerechnet von
bewaffneten Robotern, dass sie
den Krieg menschlicher machen
und unnötiges Leid vermeiden.
Menschen machen Fehler, vor allem wenn sie im Gefecht unter
Stress stehen, Maschinen nicht, so
die Hoffnung. Die neuen technologischen Möglichkeiten der Robotik sind in der Tat beeindruckend, doch die daran geknüpften
Hoffnungen für die Kriegsführung
gehen in die Irre.
Fachleute bezweifeln, dass der
Einsatz von autonomen Waffen
überhaupt mit dem Kriegsvölkerrecht vereinbart werden kann.
Die Vorstellung, dass Maschinen
zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden und über eine
angemessene Gewaltanwendung
entscheiden können, kritisieren
Völkerrechts- und Robotikexperten als naive Technikgläubigkeit.
Auf absehbare Zeit wird es nicht
möglich sein, Entscheidungen im
Krieg, die immer auf einer vielschichtigen Abwägung von Kosten und Nutzen beruhen, völkerrechtskonform in Computerprogrammen abzubilden.
Zudem bezieht sich das gesamte Völkerrecht auf menschliches Handeln: Es ist unklar, wer
die rechtliche Verantwortung zu
tragen hätte, wenn Menschen –
insbesondere Zivilisten – von au-
tonomen Waffen irrtümlich verletzt oder getötet würden. Wer
wäre haftbar für einen unvorhergesehenen Schaden durch die
Maschine? Ihr Hersteller, ihr Programmierer, der Kommandant,
der den Einsatz geführt hat, oder
vielleicht das Oberhaupt des
Staates, dessen Militär die Maschine benutzt hat? Völkerrechtler diskutieren diese Frage kontrovers.
Noch fragwürdiger sind autonome Waffen aus ethischer Sicht.
Dass Maschinen selbstständig
über den Einsatz von Gewalt gegen Menschen entscheiden sollen,
verstößt gegen die Grundsätze der
Humanität und ist somit per se
inakzeptabel. Es mag verstörend
klingen, aber die Kriegsführung
ist mittlerweile technisch so weit,
dass man tatsächlich auf einer
Mindestanforderung für das Auslöschen menschlichen Lebens bestehen muss: Es sollte wenigstens
ein anderer Mensch mit dem Töten sein Gewissen belasten müssen – und im Falle eines Verstoßes gegen Kriegsvölkerrecht auch
zur Rechenschaft gezogen werden können.
Glücklicherweise regt sich
Widerstand gegen die Automatisierung des Krieges. Einer repräsentativen Umfrage in den USA
zufolge lehnt dort die Mehrheit
der Bevölkerung (55 Prozent) militärische Roboter aus humanitären Gründen ab. Im April 2013
formierte sich die internationale
Kampagne gegen Killerroboter
mit dem Ziel, präventiv ein weltweites Verbot von autonomen
Waffen durchzusetzen. 52 Organisationen aus 24 Ländern haben
sich inzwischen der Kampagne
angeschlossen.
9-2014 |
9
Wolfgang Ammer
kommentar standpunkte
Frank Sauer
ist promovierter Politikwissenschaftler
und Mitglied des International
Committee for Robot Arms Control
(www.icrac.net)
| 9-2014
Die Kampagne war auch bei
einem Expertentreffen mit Wissenschaftlern und Vertretern von
87 Staaten Mitte Mai im Rahmen
der UN-Konvention über bestimmte konventionelle Waffen
dabei. Im Rahmen der Konvention wurden bereits fünf Protokolle verabschiedet, die etwa den
Einsatz von Brandwaffen oder
Sprengfallen regeln. Zudem ächtet die Konvention Laserwaffen
zum Blenden des Gegners auf
dem Schlachtfeld; sie hat damit
einen Präzedenzfall für präventive Rüstungskontrolle geschaffen.
Die Kampagne gegen Killerroboter hofft nun, ein sechstes Protokoll zur Ächtung von autonomen
Waffen erwirken zu können.
Erfreulich ist, dass viele Staaten, darunter Deutschland, bei
der Konferenz in Genf deutlich
gemacht haben, dass sie die
menschliche Kontrolle über den
Einsatz von Waffengewalt bewahren möchten. In Deutschland
herrscht parteiübergreifend Konsens, dass autonome Waffen international geächtet werden
müssen – trotz der Meinungsunterschiede zwischen Regierung
und Opposition zur Anschaffung
von ferngesteuerten Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Im November werden die Vertragsparteien der UN-Waffenkonvention
entscheiden, ob und wie sich die
Staatengemeinschaft im Rahmen
der UN-Konvention mit autonomen Waffensystemen weiter befassen wird. Die Bundesregierung
muss ihren Worten Taten folgen
lassen und sich noch stärker als
bisher für eine Zukunft ohne Killerroboter einsetzen.
Die Robotik ist im Begriff, zu
einer der Schlüsseltechnologien
des 21. Jahrhunderts zu werden.
Sie birgt enorme Chancen, aber
auch große Risiken. Roboter können unser Leben bereichern und
erleichtern. Auch die friedliche
Nutzung von Robotern, etwa auf
dem Arbeitsmarkt oder bei der
Pflege von alten und kranken
Menschen, enthält Risiken und
wirft ethische Fragen auf. Doch
diese Risiken sind nichts im Vergleich zu dem düsteren Ausblick,
der sich bietet, wenn die militärische Nutzung nicht reguliert und
begrenzt wird: eine Zukunft, in
der jeder Krieg eine anonyme,
menschenverachtende Tötungsmaschinerie in Gang setzt.
10
standpunkte kommentar
1,8 Milliarden Dollar für Waffen statt für Essen
Die Mächtigen im Südsudan ignorieren die Not der Bevölkerung
Im jüngsten Staat der Welt droht
eine Hungersnot. Und die verantwortlichen Politiker tun alles, um
das Klischee vom Krisenkontinent
Afrika mit seinen machtgierigen
Staatsmännern zu bedienen.
Die Bilder gleichen denen aus
dem sudanesischen Bürgerkrieg
bis 2005: Weiße Transportflugzeuge mit dem UN-Logo öffnen
ihre Heckklappe und heraus fallen Pakete mit Lebensmittelrationen für die hungrigen Menschen
am Boden. Als Südsudan vor drei
Jahren unabhängig wurde, hoffte
man, solche Not werde den Bürgern des neuen Staates künftig
erspart bleiben. Doch seit diesem
Sommer fliegt das UN-Welternährungsprogramm wieder Hilfseinsätze über den entlegenen Regionen des Landes.
Südsudan droht die – in den
Worten der Vereinten Nationen –
„schlimmste Nahrungsmittelkrise
der Welt“, und schuld daran sind
einmal nicht die von der entwicklungspolitischen Szene gerne verdächtigten Agrarkonzerne oder
Börsenspekulanten, die die Lebensmittelpreise nach oben trei-
ben. Diese Hungerkrise haben die
Machthaber im Südsudan verursacht – und die, die in der Hauptstadt Juba selbst gern das Ruder
übernehmen würden. Sie haben
vergangenes Jahr den Krieg angezettelt, der alle Hoffnung auf einen lebensfähigen Staat vorerst
zunichte gemacht hat.
Vor einem Jahr erst hatten die
südsudanesischen Bauern nach
Angaben der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO eine Rekordernte eingefahren, ein Viertel mehr
als im Durchschnitt der fünf Jahre
davor. Das war immer noch zu wenig, um alle Frauen, Männer und
Kinder im Land satt zu machen.
Aber zum ersten Mal habe man
Licht am Ende des Tunnels gesehen, sagt die FAO-Vertreterin für
Südsudan, Sue Lautze.
Davon ist heute keine Rede
mehr. Und die Kriegsparteien machen bislang nicht den Eindruck,
als seien sie ernsthaft an einer Lösung interessiert. Als Anfang August die Verhandlungen im Nachbarland Äthiopien weitergehen
sollten, erklärte die südsudanesische Regierungsdelegation, sie
könne leider erst später anreisen:
Wegen eines Feiertages könne sie
kein Geld abheben, um das Hotel
zu bezahlen. Die Frist, bis zum 10.
August eine Übergangsregierung
zu bilden, haben die Kontrahenten ignoriert.
Auf 1,8 Milliarden US-Dollar
beziffern die Vereinten Nationen
den Bedarf, um die schlimmste
Not im Südsudan zu lindern. Die
Hälfte davon fehlte ihnen Anfang
August noch. Unterdessen hat die
Regierung in Juba ihren Haushaltsentwurf für dieses Jahr vorgelegt. Für die Armee, die Polizei
und Gefängnisse hat sie angesetzt: umgerechnet etwa 1,8 Milliarden Dollar. (ell)
gerade Ihr Magazin einsetzen
und den dafür notwendigen gesellschaftlichen – und somit perspektivisch auch politischen Werte- und Verhaltenswandel vorantreiben. Insbesondere dafür: Viel
Spaß & Erfolg!
ventionen in Afrika, die nicht in
Ihr Schema passen, einfach aus.
Ohne die Unterstützung der
UN-Truppen durch britische Eliteeinheiten hätte der Bürgerkrieg in
Sierra Leone nicht beendet, dem
grausamen Treiben der RUF-Milizen kein Ende bereitet werden
können. Seitdem herrscht in Sierra Leone wie auch im benachbarten Liberia Frieden. 2011 haben
französische Soldaten entscheidend mitgeholfen, den gewählten
und legitimen Präsidenten Alassane Ouattara in der Elfenbeinküste an die Macht zu bringen.
Seitdem nimmt das Land einen
bemerkenswerten
wirtschaftlichen Aufschwung. Und keiner, der
die Verhältnisse in Westafrika etwas kennt, möchte sich vorstellen,
was passiert wäre, wenn französische Truppen den Vormarsch der
Islamisten in Mali 2013 nicht
schnell und energisch gestoppt
hätten. Diese Erfahrungen systematisch zu verdrängen und nicht
zu reflektieren, zeugt eher von einem Tunnelblick als die Äußerungen von Herrn Gauck.
Natürlich sind in erster Linie
eine kluge Außenpolitik, internationale Kooperation und massive
Investitionen in Prävention gefragt. Es wird aber immer wieder
Situationen geben, in denen der
Einsatz von Militär die Ultima Ratio sein kann. Und dann kann
Deutschland nicht einfach mit
dem Finger auf Frankreich, Großbritannien und Belgien zeigen
und sagen, geht ihr mal voran. Wer
sich gerade aus Gründen der Friedens- und Stabilitätssicherung
eine schlagkräftigere EU wünscht,
muss dann auch bereit sein, über
die Rolle Deutschlands zu reden.
Das Gauck-Bashing aus der
entwicklungspolitischen Community hilft in der Sache keinen Zentimeter weiter. Roger Peltzer, Köln
leserbriefe
Weniger materielles
Wachstum
Zum Leitartikel „Weltfremder Klimaschutz“, welt-sichten 7/2014
Mal wieder wird argumentiert,
zum Klimaschutz bräuchte es „intelligentes Wachstum“, ohne dieses näher zu definieren. Ohne materielles ist aber kein nichtmaterielles Wachstum möglich. Und
schon jetzt verbrauchen wir 1,5 Erden jährlich; genügend Phosphor
für Solarzellen und Handys ist
nicht für alle Menschen auf der
Erde vorhanden. Eine Beschäftigung mit den Werken Niko Paechs,
Tim Jacksons, Meinhard Miegels
und Felix Ekardts wäre für Ihr Magazin hilfreicher gewesen. Kurzum, im Interesse globaler Gerechtigkeit für alle Generationen
(= Nachhaltigkeit) kommen wir
westlichen Industrienationen an
einem Weniger an Materiellem
nicht vorbei. Hierfür sollte sich
Klaus Wurpts, Leipzig
Gauck-Bashing hilft
nicht weiter
Zum Leitartikel „Tunnelblick aufs Militär“, welt-sichten 8/2014
„welt-sichten“ zeichnet sich ja
nicht selten dadurch aus, dass so
manche Gewissheit der entwicklungspolitischen Community kritisch und sachkundig hinterfragt
wird. Ihr Beitrag reiht sich dagegen sehr konventionell ins allgemeine Gauck-Bashing ein. Dabei
blenden Sie wichtige Ereignisse
und Erfahrungen erfolgter und
nicht erfolgter militärische Inter-
Wir freuen uns über Leserbriefe, müssen sie aber manchmal kürzen.
9-2014 |
herausgeberKolumne standpunkte
„Buen Vivir“ ist kein Allheilmittel
Aber Anregungen gibt das lateinamerikanische Konzept vom „guten Leben“ viele
Während hierzulande Meinungsmacher zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme
mehr Konsum und Wirtschaftswachstum fordern, entdecken Menschen anderswo das
„Buen Vivir“ neu. Nicht vom guten Leben in den Konsumparadiesen träumen sie, sondern
einfach davon „gut zu leben“.
Von Beat Dietschy
Das Konzept des „Buen Vivir“
greift Werte aus Ethiken und
Weltsichten ursprünglicher Kulturen auf, die vom Leben im Einklang mit der Gemeinschaft und
der Mutter Erde erzählen. Dieses
Narrativ hat die indigenen Kulturen längst verlassen, und es wird
auch außerhalb Lateinamerikas
bereitwillig aufgenommen. Ein
nostalgischer Diskurs also, der
bessere Vergangenheiten erfindet? Ein weiteres Kapitel aus der
Ideengeschichte des „guten Wilden“, der die Phantasien und Debatten europäischer Gelehrtenstuben seit der Entdeckung und
Eroberung der Neuen Welt beflügelt hat?
Es geht um Kritik am westlichen
­Wachstumswahn, nicht um eine Verklärung
früherer Zeiten.
Beat Dietschy
ist Zentralsekretär von Brot für alle
in Bern.
| 9-2014
Das mag im Blick auf die begeisterte Aufnahme in der Alten
Welt ein Stück weit zutreffen,
nicht aber für die immer breiter
werdende Diskussion in Lateinamerika. „Besser leben würde heißen, besser als andere, gegen andere“, sagte mir ein junger Mann
in Mexiko, der lieber bescheiden,
aber „gut“ lebt. Da ist Kritik am
westlichen Wachstumswahn und
am entfesselten Eigennutz-Kalkül
der globalisierten Marktgesellschaft herauszuhören, aber keine
Verklärung früherer Zeiten.
An einem Treffen der zivilgesellschaftlichen Organisation INESIN, die den interkulturellen Dialog in Chiapas/Mexiko fördert,
hat sich für mich wenig später
dieser Eindruck bestätigt. Lekil
kuxlejal – „gut leben“ in den Mayasprachen Tsteltal und Tsotsil –
werde in Dorfgemeinschaften
heute praktiziert, erklärt eine
Teilnehmerin des Treffens in San
Cristóbal de Las Casas. „Es ist ein
Prinzip, das die wertvollen Erbstücke unserer ursprünglichen
Kulturen aufnimmt“, meint ein
anderer, „es hilft uns, in unserem
Alltag das Gemeinwohl im Blick
zu behalten.“ „Ich bin, weil Ihr
seid“, fasst eine Dritte ihre Erkenntnis des Tages zusammen.
Wir sind, erläutert sie, auf ein Zusammenleben in gegenseitigem
Respekt angewiesen, auch im größeren Lebensganzen der Erde,
ohne das wir gar nicht wären.
„Buen Vivir“ hat viele Gesichter. Für die autonomen Zapatisten-Gemeinden in Chiapas steht
es in erster Linie für ein selbstbestimmtes Leben in Würde. Sie
hatten für den Respekt ihrer indigenen Kulturen und ihrer Rechtsund Regierungsformen gekämpft.
Im mexikanischen Parlament
fanden sie damit kein Gehör. Daher haben sie begonnen, sich
ohne staatliche Hilfe aus Armut
und Abhängigkeit zu befreien
und ein eigenes „Buen Gobierno“
aufzubauen. In ihren multiethnischen Gemeinschaften nimmt so
nach und nach ihre Vision einer
neuen Welt Gestalt an, in der „viele Welten“ gleichberechtigt Platz
haben.
In Bolivien und Ecuador sind
„Vivir Bien“ respektive „Buen Vivir“ vor wenigen Jahren zu Staatsprinzipien mit Verfassungsrang
erhoben worden. Sie unterstreichen die Anerkennung der verschiedenen Kulturen in ihren
„plurinationalen Staaten“ und begründen ausdrücklich „Rechte
der Natur“, die auch unabhängig
von menschlichem Nutzen zu respektieren sind.
In beiden Ländern setzen allerdings die Regierungen zugleich
auf Staatseinnahmen durch ungebremste Ausbeutung der Bodenschätze. Diese Widersprüche
stoßen auf heftige Kritik, gerade
von indigener Seite. Für ein Regierungsprogramm taugt somit
„Buen Vivir“ nicht unbedingt, sehr
wohl aber dazu, ein solches zu
hinterfragen. Erst recht, wenn es
in der eigenen Verfassung steht.
„Buen Vivir“ ist keine Sozialutopie
und kein Modell für ein ideales
Staatswesen à la Thomas Morus,
aber eine ausgezeichnete Sehhilfe und ein Maßstab für gerechte,
ausbalancierte Beziehungen zwischen Menschen sowie zwischen
Mensch und Natur.
„Gut leben“: Das werfe zu
Recht mehr Fragen auf, als Antworten da seien, wurde bei dem
erwähnten Treffen in San Cristóbal betont. Lekil kuxlejal sei eben
kein fertiges Rezept, meinte eine
Frau dazu, seine Bedeutung müsse vielmehr in jedem Kontext
neu gesucht werden. Das klingt
anders als der herrschende westliche Diskurs. Er sieht, wie der USamerikanische Ökonom und
Ökologe Herman Daly einmal
sagte, für alle Probleme immer
nur die eine Lösung vor: Wachstum.
Die vielen Gesichter des Lekil
kuxlejal oder des „Buen Vivir“
entspringen indigenen Kosmologien. In der abendländischen Mythologie dagegen gibt es das eine
Heilmittel, das gegen sämtliche
Krankheiten wirke soll – davon
stammt der Ausdruck „panacea“.
Die Göttin Panazee, Tochter des
griechischen Gottes der Heilkunst, hält immer den gleichen
Zaubertrank bereit. Heute zum
Beispiel das Universalheilmittel
„Wachstum“. Oder auch „Entwicklung“?
11
12
schwerpunkt atomwaffen
Pakistan stellt im November 2008
in Karatschi seine nuklearfähigen
Raketen zur Schau. Das Land hat
den Atomwaffensperrvertrag nicht
unterzeichnet.
Rizwan Tabassum/afp/getty images
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Der Club
der stärksten
Mächte
Der Atomwaffensperrvertrag sagt, wer die
Bombe haben darf und wer nicht. Spannungen sind in dieser Zweiklassengesellschaft
die Regel. Aber ohne den Vertrag wäre die
Welt unsicherer.
Von Andreas Zumach
V
erträge zwischen Staaten sind Kompromisse
und politische Gegengeschäfte. Das gilt in besonderem Maße für den Atomwaffensperrvertrag (Non Proliferation Treaty, NPT), der zwischen
1963 und 1968 ausgehandelt wurde und 1970 in
Kraft trat. Er ist das einzige völkerrechtliche Abkommen seit der Gründung der Vereinten Nationen (UN)
1945, bei dem die Rechte und Pflichten verschiedener Unterzeichner unterschiedlich geregelt sind.
Die USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion (seit 1991 Russland) – die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges – hatten sich das Privileg
eines ständigen und mit Vetorecht ausgestatteten
Sitzes im UN-Sicherheitsrat gesichert. Einen weiteren
Sitz hatten sie China als dem größten Land der sogenannten Dritten Welt zugestanden. Dieses Privileg
wurde mit dem Atomwaffensperrvertrag noch erweitert: Seit seinem Inkrafttreten gelten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (P5 für Permanent Members) auch als die „offiziellen“ Atommächte.
Denn nur diese fünf Staaten hatten vor dem 1. Januar 1967 Kernsprengköpfe entwickelt und gezündet
– dieses Stichdatum wurde auf ihr Drängen in den
Vertrag eingefügt: Alle Unterzeichnerstaaten, die bis
dahin keine Atomwaffen hatten, verpflichten sich,
auch in Zukunft darauf zu verzichten. Im Gegenzug
| 9-2014
verpflichten die P5 sich, „in redlicher Absicht“ Verhandlungen über ein Abkommen zur „allgemeinen
und vollständigen Abrüstung unter strenger und
wirksamer internationaler Kontrolle“ zu führen. Eine
weitere wesentliche Voraussetzung für einen Verzicht auf Kernwaffen war für viele Unterzeichnerstaaten aus der Dritten Welt auch die im NPT verbriefte Garantie, die Kernenergie für friedliche Zwecke erforschen, erzeugen und anwenden zu dürfen.
Die P5 galten zunächst als die einzig legitimen
Atomwaffenmächte. In den 1970er und 1980er Jahren bestätigten jedoch die beiden verfeindeten asiatischen Regionalmächte Indien und Pakistan nach
zunächst geheimen Atomwaffentests offiziell, dass
sie nun ebenfalls über die Bombe verfügten. Israel
hat den Besitz von Atomwaffen bis heute weder bestätigt oder dementiert. Doch laut der Statistik des
Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm
vom Juni dieses Jahres hat Israel mehr als 80 Atomsprengköpfe. Indien hat demnach bis zu 110, Pakistan bis zu 120, Großbritannien 224, China 250, Frankreich 300, die USA haben 7300 und Russland hat
8000 Sprengköpfe.
Indien, Pakistan und Israel haben nicht gegen
den Atomwaffensperrvertrag verstoßen, denn alle
drei Staaten haben das Abkommen bis heute nicht
unterzeichnet. Dennoch war die Erweiterung des
13
14
schwerpunkt atomwaffen
Clubs der Atomwaffenmächte von fünf auf acht Mitglieder Anlass für Kritiker, den Vertrag für unzureichend oder gar für gescheitert zu erklären. Dabei fällt
zumindest mit Blick auf Israel zumeist die Frage unter den Tisch, wie das Land Atomwaffen entwickeln
konnte. Nach allen vorliegenden Beweisen war das
nur möglich mit kräftiger technologischer Hilfe aus
den USA und Frankreich.
Haben Frankreich und die USA noch nach 1970
Israel beim Bau der Bombe geholfen? Dann haben
sie gegen den Sperrvertrag verstoßen.
Sollte diese Hilfe noch nach Inkrafttreten des Vertrages im März 1970 erfolgt sein, hätten Washington
und Paris gegen den ersten Artikel des Abkommens
verstoßen. Danach verpflichten sich die Vertragsparteien, Kernwaffen oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden weiterzugeben und andere Staaten nicht zu unterstützen, solche Waffen herzustellen oder zu erwerben.
Im Fall Pakistan trugen mangelnde Kontrollen im
Vertragsstaat Niederlande dazu bei, dass der Wissenschaftler Abdul Kadir Khan, der „Vater der pakistanischen Atombombe“, geheime Informationen und
Dokumente an sein Heimatland weitergeben konnte.
Khan war während seiner Arbeit in einem niederlän-
dischen Unternehmen zur Urananreicherung an diese Dokumente gelangt. Später verkaufte Khan sein
gestohlenes Wissen auch an Iran. Teheran verstieß
damit gegen den Atomwaffensperrvertrag, den es bereits 1970 ratifiziert hatte.
1977 veröffentlichte die westdeutsche Anti-Apartheid-Bewegung Belege, dass auch die Bundesrepublik
Deutschland durch eine enge atomare Zusammenarbeit mit Südafrika den Sperrvertrag verletzt hatte.
Dank dieser Kooperation und mit technologischer
Hilfe aus Israel entwickelte Südafrika mehrere
Sprengköpfe. Nach dem Ende des Apartheidregimes
stellte das Land sein Waffenprogramm ein und unterwarf sich den im NPT vorgesehenen Kontrollen
seines zivilen Nuklearprogramms durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien (siehe Beitrag Seite 21).
A
ndere Vertragsstaaten verstießen ebenfalls gegen das Abkommen. Irak betrieb bis zum Golfkrieg 1991 ein – ursprünglich von den USA und
Frankreich unterstütztes – Programm zur Entwicklung von Atomwaffen, das die IAEO nach dem Krieg
auflöste. Auch Ägypten, Südkorea, Iran und Libyen
wurden Unregelmäßigkeiten nachgewiesen. Libyen
gab 2004 sein bis dahin geheimes militärisches Vorhaben auf und unterstellte sich der Kontrolle der
IAEO. Iran verstieß ab 1986 mit der Anreicherung von
Uran in unterirdischen Anlagen, die vor der IAEO geheim gehalten wurden, zumindest gegen die Überwa-
Welt der Atomwaffen
Russland
Großbritannien
USA
Frankreich
8000
224
Weißrussl.
Ukraine
300
Kasachstan
7300
≈7
China
250
80
Israel
Nordkorea
Indien
≈100
Anerkannte Atommächte
Pakistan
≈110
Inoffizielle Atommächte
Anzahl der Sprengköpfe
Ehemalige Atomwaffenstaaten
L änder unter Abschreckungsschirm der USA
oder der NATO
tomwaffenfreie Zonen (Kernwaffen dürfen nicht stationiert,
A
hergestellt, gelagert oder durchtransportiert werden)
Bündnisfreie Länder ohne Kernwaffen
Südafrika
Quellen: SIPRI, NATO, Global Zero, International
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Verständigung der ­Supermächte:
US-Präsident Lyndon B. Johnson
(rechts) und der sowjetische
Botschafter Anatoli Dobrynin
(links) reichen sich 1967 bei
den Verhandlungen über den
­ tomwaffensperrvertrag die Hand.
A
Harvey Georges/picture alliance/ap
Atomwaffensperrvertrag verbotenen Teile seines Nuklearprogramms einzustellen und umfassend mit
der IAEO zu kooperieren. Seit Oktober 2013 verhandelt Iran mit den P5 und Deutschland über ein Abkommen, das den Verzicht auf Atomwaffen überprüfbar und verlässlich machen, dem Land zugleich
aber das Recht garantieren soll, Nukleartechnologie
für zivile Zwecke zu nutzen (siehe Beitrag Seite 23).
Von der Möglichkeit, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten, hat bislang einzig Nordkorea
Gebrauch gemacht. Seit dem Austritt im Januar 2003
hat das kommunistische Land mehrere atomare
Testexplosionen durchgeführt. Inzwischen verfügt es
nach Einschätzung von SIPRI über Spaltmaterial (Plutonium und hochangereichertes Uran) für mindestens acht Atomsprengköpfe. Wegen dieser Aktivitäten verhängte der UN-Sicherheitsrat in den vergangenen zehn Jahren immer schärfere Sanktionen gegen Nordkorea.
Den Austritt aus dem Vertrag rechtfertigte die Regierung in Pjöngjang damit, dass sich die USA nicht
mehr an ein 1994 in Genf geschlossenes Abkommen
hielten. Darin hatte Nordkorea allen Ambitionen auf
Atomwaffen abgeschworen. Im Gegenzug versprach
die US-Regierung unter Bill Clinton, sie werde verbilligtes Heizöl sowie zwei Leichtwasserreaktoren zur
Energieerzeugung liefern. Ein lange Zeit geheim gehaltenes Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen
enthält eine Nichtangriffsgarantie der USA gegenüber Nordkorea. Diese Garantie kündigte Clintons
chungs- und Kontrollbestimmungen des Atomwaffensperrvertrags – die sogenannten „safeguards“.
Seitdem die Verstöße 2003 bekannt sind, steht
Teheran vor allem bei westlichen Regierungen unter
dem Verdacht, es wolle Atomwaffen entwickeln. Die
Regierung bestreitet das entschieden. Zugleich jedoch lieferte Teheran in den vergangenen zehn Jahren neue Nahrung für diesen Verdacht – unter anderem mit dem Bau einer neuen unterirdischen Urananreicherungsanlage, mit Sprengkörpertests sowie
mit seiner Weigerung, uneingeschränkt mit der IAEO
zu kooperieren.
Seit 2006 verhängten zunächst die USA und die
EU, später auch der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Iran, um das Land zu zwingen, alle nach dem
Taktische Atomwaffen in Europa
NATO-Länder
Norwegen
Russland
Estland
Großbritannien
Lettland
Dänemark
Litauen
Niederlande
Belgien
Stützpunkte innerhalb
Europas mit taktischen
US-Atomwaffen
Luxemburg
Frankreich
Russische Stützpunkte
mit taktischen Atomwaffen
Portugal
Polen
Deutschland
Tschechien
Slowakei
Slowe- Ungarn
nien
Kroatien
Italien
Spanien
Rumänien
Bulgarien
Albanien
Griechenland
Law and Policy Institute
| 9-2014
Türkei
15
16
schwerpunkt atomwaffen
Am 6. August 2014 wird in Hiroshima mit bunten Papierlaternen an
den Abwurf der US-amerikanischen
Atombombe vor 69 Jahren erinnert.
Kaizo Mori/UPI/Laif
Nachfolger George W. Bush auf, als er Anfang 2000
Nordkorea gemeinsam mit Irak und Iran zur „Achse
der Bösen“ erklärte und das Pentagon Szenarien für
militärische Angriffe gegen Nordkorea auch mit
Atomwaffen ausarbeiten ließ.
Trotz aller Verstöße und trotz der Erweiterung
des ursprünglichen Clubs der Atommächte: Ohne
den Atomwaffensperrvertrag gäbe es heute bis zu 30
Staaten mit Kernwaffen; darüber sind sich Rüstungskontrollexperten in Nord und Süd weitgehend einig.
Die größte Gefahr droht dem ursprünglich nur für
eine Laufzeit von 25 Jahren geschlossenen Abkommen, weil die fünf offiziellen Atommächte bis heute
nicht ernsthaft über eine vollständige Abrüstung
verhandelt haben, wie es der Vertrag von ihnen verlangt.
Rüstungskontrollexperten sind sich einig:
Ohne den Sperrvertrag gäbe es heute
bis zu 30 Staaten mit Kernwaffen.
Nur mit dem Versprechen, diese Verhandlungen
endlich aufzunehmen, konnten die P5 auf der Überprüfungskonferenz 1995 durchsetzen, dass der NPT
auf unbefristete Zeit verlängert wird. Im Jahr 2000
verabschiedete die Überprüfungskonferenz einen
gemeinsamen Antrag von Brasilien, Ägypten, Irland,
Mexiko, Neuseeland und Südafrika, mit 13 Schritten
zur vollständigen atomaren Abrüstung zu gelangen.
Weil die USA in der Folge jedoch konkrete Maßnahmen blockierten, scheiterte die Überprüfungskonferenz 2005 und ging erstmals in der Geschichte des
Vertrages ohne gemeinsames Abschlussdokument
zu Ende.
Kurz vor der nächsten Überprüfung im Mai 2010
einigten sich die USA und Russland darauf, ihre Be-
stände an strategischen Atomsprengköpfen und Trägersystemen (Raketen, Kampfflugzeuge und U-Boote) zu verkleinern. Seitdem haben Washington und
Moskau ihre Arsenale an einsatzbereiten Atomsprengköpfen zwar um jeweils rund 300 reduziert.
Zugleich aber betreiben sie ein umfangreiches und
kostspieliges Programm zur Modernisierung ihrer
Bomben mit dem Ziel, sie wirksamer, zielgenauer
und noch zerstörerischer zu machen.
Allein die USA wollen für diese Modernisierung
bis 2020 mindestens 350 Milliarden US-Dollar ausgeben. Auch Frankreich, Großbritannien und China
modernisieren ihre Sprengköpfe. „Die Atommächte
zeigen bis jetzt nur rhetorisch den Willen zur Aufgabe ihrer Waffenarsenale“, heißt es im jüngsten SIPRIBericht. Die laufende Modernisierung zeige, dass
„Atomwaffen nach wie vor eine harte Währung für
internationalen Status und Macht sind“.
D
ie P5 setzten im Abschlussdokument der
Überprüfungskonferenz 2010 gemeinsam
durch, dass alle ursprünglich vorgesehenen
Fristen für die atomare Abrüstung gestrichen wurden. Ebenso fehlen Hinweise zum Abzug taktischer
Atomwaffen der USA aus Deutschland und anderen
westeuropäischen Staaten und eine Kritik an der nuklearen Teilhabe der NATO, die nach Ansicht einer
großen Mehrheit der 188 Vertragsstaaten gegen den
Atomwaffensperrvertrag verstößt. Laut der nuklearen Teilhabe würden sich die Länder, in denen Atomwaffen der USA stationiert sind, an einem Einsatz
beteiligen, wenn die NATO ihn beschließen würde
(siehe dazu den Beitrag auf Seite 18). Die ebenfalls
von einer großen Mehrheit geforderte Internationale
Konvention zum Verbot von Atomwaffen wird in
dem Dokument lediglich als ein „Vorschlag“ von UNGeneralsekretär Ban Ki-moon erwähnt.
Wegen der wachsenden Spannungen zwischen
den fünf offiziellen Atomwaffenmächten und der
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Andreas Zumach
ist Journalist und Publizist in Genf.
großen Mehrheit der übrigen Vertragsstaaten hatten
auch die Vorschläge zur Stärkung des Atomwaffensperrvertrages kaum eine Chance. Die internationale
Atomenergiebehörde hatte – vor allem angesichts
des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm –
angeregt, dass Uran für zivile Zwecke künftig nicht
mehr in nationalen Anlagen angereichert werden
solle, sondern in internationalen, von ihr betriebenen Einrichtungen. Zudem schlug sie vor, die Zugangs- und Kontrollmöglichkeiten für ihre Inspekteure zu verbessern, den Export von nuklearer Technologie stärker zu beschränken und den Austritt aus
dem Sperrvertrag zu erschweren.
Viele kernwaffenfreie Staaten forderten zudem
völkerrechtlich verbindliche atomare Nichtangriffsgarantien der P5, scheiterten damit aber am Widerstand der USA. Umgekehrt erregte die Obama-Regierung in Washington großes Misstrauen mit ihrer Ankündigung, sie werde die Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Bereich der zivilen Kerntechnologie
künftig einseitig begrenzen. Viele Teilnehmerstaaten
der Überprüfungskonferenz befürchteten, die USA
könnten gegen Bestimmungen des Vertrages verstoßen, nach denen sich alle Parteien verpflichten, den
Austausch von Material und Informationen zur
friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern.
Auch die drei Vorbereitungstreffen für die nächste
17
Überprüfungskonferenz im kommenden Jahr haben
für eine Reform keine greifbaren Fortschritte gebracht. Verschärft werden die Spannungen zwischen
den Unterzeichnern durch die eskalierenden Konflikte im Nahen Osten. Bereits 2010 konnte man sich nur
auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen,
weil darin auf Antrag Ägyptens beschlossen wurde,
im Jahr 2012 auf einer internationalen Konferenz
über ein grundsätzliches Verbot von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten zu diskutieren. Der UN-Generalsekretär wurde beauftragt, diese Konferenz unter
Einschluss aller Staaten der Region, auch Israels und
Irans, zu organisieren.
Doch das Treffen hat bis heute nicht stattgefunden, weil Israel eine Teilnahme prinzipiell verweigert
und auch die USA, Deutschland und andere NATOStaaten kein Interesse zeigen. Aus diesem Grund verließ Ägypten vorzeitig die zweite Vorbereitungstagung für die Überprüfungskonferenz 2015. Es ist
nicht auszuschließen, dass eine ganze Reihe nicht
nur arabischer Vertragsstaaten die Konferenz boykottiert – zumal sich durch den Gaza-Krieg im Sommer dieses Jahres die Situation verschärft hat. Noch
stärker wäre der Erfolg der Konferenz allerdings bedroht, wenn es bis dahin noch immer kein Abkommen über das iranische Nuklearprogramm gibt.
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| 9-2014
18
schwerpunkt atomwaffen
Sinnlose Sprengköpfe
In der Eifel lagert noch rund ein Dutzend amerikanische Atombomben – ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Die Waffen
sind militärisch nichts wert, aber los wird sie
Deutschland deshalb noch lange nicht.
Von Sebastian Drescher
W
ie schafft man etwas ab,
das es offiziell gar nicht
gibt? Von den Massenvernichtungswaffen in seiner
Nachbarschaft hörte Rüdiger Lancelle zum ersten Mal von einem
jungen amerikanischen Schüler.
Der antwortete auf die Frage nach
dem Beruf seines Vaters: „Atombomben bewachen.“ Mitte der
1990er Jahre war das, Lancelle hatte da schon über 25 Jahre als Lehrer in Cochem an der Mosel gearbeitet. Über die amerikanischen
Kernwaffen sei damals eisern geschwiegen worden, sagt Lancelle.
Zwischen grünen Weinbergen
und beschaulichen Ferienorten
ist eben kein Platz für Atombomben. Wer darüber sprach und sich
empörte galt als Spinner und
Querulant. Auch in der Kirchengemeinde schlug dem engagierten
Hilfsprediger viel Ablehnung entgegen. Aber der heute 75-Jährige
blieb dran, warnte vor den Gefahren der Bomben, fand Mitstreiter
und organisierte die ersten Proteste am Fliegerhorst.
Offiziell gibt es die Bomben
auf dem Bundeswehrstützpunkt
Büchel in Rheinland-Pfalz, zehn
Kilometer von Cochem entfernt,
bis heute nicht. Wenn es um Nuklearwaffen geht, folgen die NATOLänder dem Credo „Neither confirm nor deny“ (weder bestätigen
noch dementieren). Aus Gründen
der Sicherheit, und wohl auch um
unbequemen Fragen aus dem
Weg zu gehen. Doch die Waffen
hinterlassen Spuren, die Aktivisten und Fachleute über Jahre hinweg verfolgt haben. Heute zweifelt kaum jemand mehr an ihrer
Existenz.
Auch in der Politik wurden die
Bomben ein wichtiges Thema. Der
damalige Außenminister Guido
Westerwelle (FDP) setzte im Koalitionsvertrag der schwarzgelben
Bundesregierung 2009 die Forderung nach dem Abzug durch, der
Bundestag bekräftigte dies ein
Jahr später mit großer Mehrheit.
Alle waren sich einig: Deutschland muss atomwaffenfreie Zone
werden.
Inzwischen scheint der Abzug
jedoch wieder ferner denn je. Im
Gegenteil: Die Bomben sollen erneuert und ausgetauscht werden.
Das haben die USA beschlossen,
die NATO zieht mit, Deutschland
widerspricht nicht. Obwohl Sicherheitsexperten die taktischen
Atomsprengköpfe für militärisch
nutzlos halten und Politiker aller
Parteien den Abzug fordern. Das
könnte die atomare Abrüstung in
Europa auf Jahre ausbremsen,
warnen Aktivisten. Für sie ist es
untragbar, dass Deutschland mitten in einer neuen Ost-West-Krise
Millionen für die Erneuerung von
Kernwaffen ausgibt.
Grundlage für die Stationierung der US-Atomwaffen in
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Links: Clara Tempel (ganz links) bei
der Blockade des Fliegerhorsts in
Büchel Anfang August.
Oben: Ein Bundeswehr-Pilot im
Cockpit eines Tornados, der als
einziges deutsches Waffensystem
Kernsprengköpfe tragen kann.
Sebastian Drescher; Bundeswehr/Rott
Deutschland und vier weiteren
NATO-Staaten ist die „Nukleare
Teilhabe“, ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Die Abmachung lautete:
Teilhabestaaten ohne eigene Nuklearwaffen stellen die nötige Infrastruktur für die Stationierung von
US-Atombomben bereit. Dafür
stehen sie unter dem Abschreckungsschirm der Amerikaner
und erhalten eine gewichtige
Stimme bei der nuklearen Planung der NATO. Viele Staaten kritisieren, dass dieses Prinzip dem internationalen Atomwaffensperrvertrag widerspricht. Schließlich
stellen offiziell atomwaffenfreie
Länder Technik, Personal und Geld
für den Einsatz von Kernwaffen
bereit.
Mit Atomwaffen gegen
feindliche Truppen und Panzer
Ottfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit weiß, wie sich
diese Aufgabenteilung am Fliegerhorst Büchel gestaltet: Bis zu 20
B61-Bomben lagern dort in einer
Hochsicherheitszone, bewacht von
140 US-Soldaten, die auch für Wartung und Reparaturen zuständig
sind. Im Ernstfall könnten nur die
Amerikaner die Waffen scharf stellen. Für den Transport und den
Abwurf wären jedoch die in Büchel stationierten Piloten des Luftwaffengeschwaders 33 verantwort-
| 9-2014
lich. Sie müssten die Sprengköpfe
im Rumpf der nuklearfähigen
Bundeswehr-Tornados zum Einsatzort fliegen.
Die B61 sind für den Einsatz
als taktische Waffen gegen feindliche Truppen vorgesehen, während des Kalten Kriegs sollten sie
die Sowjetunion vor einem Einmarsch in Westeuropa abschrecken. Millionen von Ostdeutschen
und Polen wären in einer solchen
taktischen Atomschlacht gestorben – Szenarien, die längst der
Vergangenheit angehören. „Es
herrscht innerhalb der NATO Konsens, dass diese Waffen militärisch keine Rolle mehr spielen“,
sagt Oliver Meier, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP).
Auch für Barry Blechman vom
Stimson Center in Washington gehören die B61 in Europa verschrottet. Das Verteidigungsbündnis sei
heute anders als früher bei den
konventionellen Waffen Russland
weit überlegen und nicht mehr
auf taktische Atomwaffen angewiesen, schreibt er im Magazin
„Foreign Affairs“. Zudem garantierten die strategisch ausgerichteten Kernwaffen der USA sowie
die französischen und britischen
Nuklearwaffen die Abschreckung.
Militärisch mögen die Atomwaffen wertlos sein, zur Symbolpolitik aber taugen sie noch. Die
nukleare Teilhabe sei für einige
NATO-Mitglieder im Osten, etwa
Ungarn oder Litauen, ein Zeichen
der amerikanischen Verbundenheit zu Europa, erklärt Meier. Da
die NATO nur Entscheidungen im
Konsens trifft, konnte sich die
Mehrheit der Abrüstungsbefürworter bislang nicht durchsetzen.
Ihr Selbstverständnis als „nukleare Allianz“ betonte das Bündnis zuletzt 2012 auf dem Gipfel in
Chicago. Zwar bekräftigt das Abschlussdokument Deterrence and
Defence Posture Review (DDPR)
auch das Ziel der Abrüstung, konkrete Zusagen finden sich jedoch
nicht. Damit fällt auch der Abzug
der taktischen Waffen unter den
Tisch. „Die Überprüfung hat gezeigt, dass die derzeitige Nuklearwaffen-Aufstellung der Allianz
den Kriterien einer effektiven Abschreckung und Verteidigung gerecht wird“, so der Wortlaut, auf
den sich alle 28 Mitgliedsstaaten
geeinigt haben. Der Beschluss war
eine Niederlage für Guido Westerwelle, der wohl auch vom eigenen
Koalitionspartner CDU ausgebremst wurde, wie 2010 von Wikileaks veröffentlichte Geheimprotokolle nahelegen.
Die diplomatische Zurückhaltung schlägt sich 2013 auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD
nieder, der den Abzug der US-Waffen an die Abrüstungsbemühungen Russlands knüpft. Die russische Armee hat Schätzungen zufolge noch rund 2000 taktische
Kernwaffen, über deren Standorte
und Einsatzfähigkeit es jedoch widersprüchliche Angaben gibt. Verhandlungen über eine Abrüstung
der taktischen Waffen sind nicht
erst seit der Ukrainekrise in weite
Ferne gerückt. Schon zuvor war
das Verhältnis zwischen den USA
und Russland abgekühlt, die russische Regierung unterbrach im November 2013 Gespräche im NATORussland-Rat über die nukleare
Rüstungskontrolle.
Die Besetzung der Krim habe
die ohnehin geringen Chancen
auf Abrüstung weiter geschmälert, glaubt Oliver Meier von der
SWP. Die geplante Erneuerung der
US-Atomwaffen nutze Russland
nun als Argument und behauptet,
der Westen sei nicht an einem
19
20
schwerpunkt atomwaffen
Amerikanische Bomben in Europa
Zum Höhepunkt des atomaren Wettrüstens im
Kalten Krieg lagerten Mitte der 1980er Jahre rund
7000 US-Atomwaffen in Europa. Nach 1990
schrumpfte das Arsenal schnell auf wenige Hundert. Heute sind Schätzungen zufolge noch zwischen 180 und 200 Sprengköpfe an Stützpunkten
in Italien, der Türkei, den Niederlanden, Belgien
und Deutschland stationiert.
In den unterirdischen Bunkern in Büchel lagern zwischen zehn und 20 Sprengköpfe der Typen
B61-3 und B61-4, die mit bis zu 170 Kilotonnen jeweils so viel Sprengkraft haben wie 13 Hiroshima­
bomben. Im Rahmen des neuen amerikanischen
Atomprogramms sollen die B61-Sprengköpfe bis
2020 durch die neue B61-12 ersetzt werden. Offiziell
handelt es sich um eine Verlängerung der Nutzungsdauer. Inwiefern die
neue Bombe eine Aufrüstung
bedeutet, ist unter Rüstungsexperten umstritten: Zwar wird
die B61-12 weniger Zerstörungskraft haben, mit einer steuerbaren Heckflosse aber zielgenauer sein als ihr komplett freifallender Vorgänger.
(sdr)
Eine B61-Bombe – fein säuberlich in ihre Einzelteile zerlegt.
The Life picture/Getty
Sebastian Drescher
.
ist Volontär bei
ernsthaften nuklearen Dialog interessiert. Auf der anderen Seite
habe die Krise dazu beigetragen,
dass sich die Reihen der NATO geschlossen haben. Dass das Bündnis aus der Position des Stärkeren
den ersten Schritt bei der Abrüstung geht, wie Friedensaktivisten
und Oppositionspolitiker fordern,
ist derzeit kaum denkbar.
Clara Tempel will den Stillstand nicht einfach so hinnehmen. Die Weltlage mache deutlich, warum die Atomwaffen endlich weg müssten, sagt die 18-Jährige. Deshalb sitzt sie seit morgens
um sechs der Staatsmacht im
Weg. Genauer: den uniformierten
Mitgliedern des Geschwaders 33,
die an diesem Tag nur zu Fuß auf
den Fliegerhorst in Büchel kommen. Rund 30 Aktivisten haben
die drei wichtigsten Zufahrtwege
blockiert. Clara Tempel, die in einer politisch aktiven Familie im
Wendland aufgewachsen ist und
schon mit zwölf Jahren ihren ersten Gorleben-Castor gestoppt hat,
hat die Aktion koordiniert. Sie will
die Öffentlichkeit auf den atomaren Irrsinn aufmerksam machen
und die Soldaten zum Nachdenken bewegen. Schließlich sind sie
es, die im Ernstfall die Bomben
abwerfen müssten. Doch die Interaktion zwischen den vier jungen
Protestlerinnen vor und den Soldaten hinter dem Tor beschränkt
sich auf harmlosen Smalltalk.
Die Jobs vieler Anwohner
hängen von dem Stützpunkt ab
Auch Rüdiger Lancelle ist beim Aktionscamp Anfang August dabei.
Aber er blockiert nicht, sondern
betet und gedenkt in Andachten
der Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Aus Büchel trifft man bei
den Aktionen am Fliegerhorst nur
wenige. Viele Anwohner sind abhängig von den Arbeitsplätzen auf
dem Stützpunkt. Und damit auch
von den Bomben der Amerikaner.
Sollten die B61 wie geplant saniert
werden, besteht für sie vorerst
kein Anlass zur Sorge.
Frühestens 2020 soll die neue
B61-12 nach Büchel kommen. Vorausgesetzt, es scheitert nicht doch
an der Finanzierung. Statt der ursprünglich geplanten drei Milliarden wird das Atomwaffenprogramm rund zehn Milliarden Dollar verschlingen, schätzte jüngst
das
US-Verteidigungsministerium. Angesichts der Kostenexplosion forderten Kongressabgeordnete bereits, die Bündnispartner
daran zu beteiligen. Die Bundesregierung weist jedoch darauf hin,
dass es sich um ein nationales Programm der USA handele.
Doch um die nukleare Teilhabe zu erhalten, müssen auch die
Stationierungsländer investieren;
dazu verpflichtet sie die 2012 beschlossene Strategie der NATO.
Teuer sind neben den jährlichen
Ausgaben für die Lagerung der
Waffen vor allem die Trägerflugzeuge. Weil der neue Eurofighter
der Bundeswehr nicht nuklearfähig ist, müssen die alten Tornados
noch möglichst lange im Dienst
gehalten und an die neuen Bomben angepasst werden. Für die Lebensverlängerung der 85 Tornados hat das Bundesverteidigungsministerium zwischen 2014 und
2017 rund 60 Millionen Euro veranschlagt. Derzeit prüft die Bundeswehr, ob die Nutzung der Tornados über 2025 hinaus nochmals
verlängert wird, sollten „Bündnisverpflichtungen“ dies erfordern.
Die Bundesregierung solle
endlich transparent machen, was
die Atombomben die Deutschen
jedes Jahr kosten, sagt die grüne
Landesministerin für Wirtschaft
und Klimaschutz in RheinlandPfalz, Evelin Lemke. Auch andere
Oppositionspolitiker fordern, dass
sich die Regierung einer offenen
Debatte stellt und Position bezieht. Das Thema auf die lange
Bank zu schieben sei gefährlich:
Sind die Bomben erst für viel Geld
erneuert, wird es noch schwerer,
sie wieder loszuwerden.
Die Regierungsparteien sind
bei der Frage der Atomwaffen uneinig, vor allem in der SPD gibt es
viele Abweichler vom offiziellen
Kurs. Die SPD-Abgeordnete Ute
Finckh-Krämer sieht noch Chancen, dass der Austausch der Bomben schief geht. Es gebe nur den
Grundsatzentscheid der NATO,
aber die Details der Umsetzung
und Finanzierung seien nicht geklärt. Dabei sollte auch der Bundestag mehr Mitsprache erhalten:
„Man muss weiter politisch Druck
machen, damit nicht kommt, was
eigentlich keiner will.“
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Südafrikas Flirt
mit Atomwaffen
In den 1970er Jahren baute der Apartheid-Staat an mehreren Atomsprengköpfen. Als das
rassistische Regime zusammenbrach, wurde das Programm eingestellt. Aber die Schatten der
nuklearen Vergangenheit wird das Land nicht los.
Von Heimo Claasen
Im Kernforschungszentrum
­ elindaba westlich der Hauptstadt
P
Pretoria – hier eine Aufnahme von
2001 – ließ Südafrikas Regierung in
den 1970er Jahren Atombomben
entwickeln, bauen und lagern.
Ulrich Baumgarten/Getty images
| 9-2014
S
ogar Nelson Mandela bekam nichts zu wissen:
Bei seinem Amtsantritt als erster schwarzer
Präsident der Republik Südafrika 1994 waren
alle Unterlagen zum geheimen Atomwaffenprogramm des Apartheid-Regimes beseitigt und sämtliche Spuren sorgfältig verwischt worden. Auch die
Wahrheitskommission zur Aufklärung der Verbrechen des rassistischen Staats fand keinen Ansatz,
dieses dunkle Kapitel aufzuhellen.
Nur wenige Eckdaten sind belegt oder können
halbwegs verlässlich rekonstruiert werden: 1958
startete die südafrikanische Regierung mit tatkräftiger Hilfe der USA ein Atomforschungsprogramm;
1967 erklärte sie, man wolle mit „friedlichen nuklearen Explosionen“ Berge abräumen, um den Abbau
von Mineralien zu erleichtern. Diese offizielle Begründung, die anderswo schlicht als haarsträubend
angesehen wurde, entsprach der Logik der rassisti-
schen Regierung: Von der freigesetzten Radioaktivität wären ja nur schwarze Bergleute betroffen gewesen.
1970 erklärte Präsident Balthazar Johannes Vorster, sein Land werde nicht dem Atomwaffensperrvertrag beitreten, der kurz zuvor in Kraft getreten war.
Im selben Jahr begann Südafrika mit dem Bau einer
Anlage zur Anreicherung von Uran, offiziell um
Treibstoff für geplante Atomkraftwerke zu produzieren. Mitgeholfen beim Entwurf der Anlage hatte die
westdeutsche Atomwirtschaft, die auch Material lieferte. Das Grundkonzept für die Isotopentrennung
stammte aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe des Bundes, die Schlüsselrolle bei der Beschaffung
spielten Maschinenbaufirmen wie STEAG, Degussa,
NUKEM und MAN.
1971 entschied Vorsters Regierung, mit eigenem
hoch angereichertem Uran Atombomben zu bauen.
21
22
schwerpunkt atomwaffen
Zugleich suchte sich Südafrika einen neuen Partner
für die geplanten Atomkraftwerke: Nicht mehr der
US-Konzern Westinghouse, mit dem das Geschäft so
gut wie beschlossen war, sondern Frankreichs Framatome sollte das erste südafrikanische AKW in Koeberg nahe Kapstadt errichten. Der Vertrag wurde
1972 besiegelt, aber erst viel später kamen die Gründe heraus, weshalb die erheblich teureren französischen Reaktoren den Zuschlag bekamen: Anders als
Westinghouse verzichteten die Franzosen im Vertrag
mit Südafrika auf die nach dem Atomwaffensperrvertrag verbindlichen Angaben zur Nutzung und
zum Verbleib der Uranbrennstäbe.
R
ussische Aufklärungssatelliten entdeckten 1977
den Bau von zwei Schächten in der KalahariWüste, die als Anlagen für unterirdische Atombombentests erkannt und von Russland bei den Vereinten Nationen angezeigt wurden. Erst viel später
kam heraus, dass auch französische und US-amerikanische Erkenntnisse dazu vorlagen, die aber von
Paris und Washington unter Verschluss gehalten
wurden.
Im September 1979 verzeichneten US-Satelliten
zwei Lichtblitze im Südatlantik, die charakteristisch
für atomare Explosionen waren. Zwar dementierte
Südafrika die Urheberschaft, aber die Fachwelt war
sich weitgehend einig, dass es sich um Testexplosionen gehandelt haben musste. Die Frage war, ob Südafrika allein oder zusammen mit Israel Sprengsätze
gezündet hatte. Oder hatte Pretoria lediglich das Gebiet für einen Test Israels zur Verfügung gestellt?
Auch eine von US-Präsident Jimmy Carter eingesetzte Kommission fand keine eindeutige Antwort. Im
Gegenteil: Die Zweifel blieben, dass es überhaupt ein
Atomtest gewesen war.
Weil alle Beteiligten bis heute eisern schweigen,
sind auch andere Fragen rund um das südafrikanische Atomwaffenprogramm ungeklärt. Zum Beispiel die, wie viele Bomben das Apartheid-Regime
hergestellt hatte: Waren es sechs, wie der US-amerikanische Atomwissenschaftler und frühere UNWaffeninspekteur David Albright meinte herausgefunden zu haben? Oder acht, wie das Stockholmer
Friedensforschungsinstitut SIPRI erklärte? Oder waren es neun Bomben, von denen eine, wenn nicht
gar zwei an Unbekannte weitergegeben wurden,
wie eine Gruppe von britischen Atomwaffengegnern mit durchaus plausiblen Argumenten behauptete?
Belegt ist immerhin die Furcht des Westens, die
vermuteten Atombomben könnten mit dem absehbaren Ende des Apartheid-Regimes in die Hände einer Regierung der schwarzen Mehrheit geraten: Nelson Mandelas ANC galt in vielen westlichen Hauptstädten als kommunistisch, seine Regierung wurde
zunächst misstrauisch beäugt.
Schon ab 1987 machte die US-Regierung verstärkt politisch und wirtschaftlich Druck, um die
südafrikanische Regierung zur Aufgabe ihrer Atomrüstung zu drängen. Nur zögerlich folgte die Europäische Union, deren größte Mitgliedstaaten mehr
Rüstungsgeschäfte mit Südafrika tätigten als die
USA: Briten und Franzosen lieferten Militärflugzeuge und Panzer, die Deutschen Marineschiffe und den
auch beim Militär beliebten Unimog sowie andere
Fahrzeuge aus dem Hause Mercedes. Zudem lieferten europäische Hersteller Anlagen und Maschinen
für Südafrikas „friedliches“ Atomenergieprogramm.
Nach seiner Wahl im September 1989 entschied
der vorerst letzte weiße Präsident Südafrikas, Frederik Willem de Klerk, die Produktion von Atomwaffen
einzustellen und alle Dokumente zu vernichten. Die
eine der beiden Anreicherungsanlagen und die
Werkstätten zum Bombenbau in Pelindaba bei Pretoria wurden geräumt und dekontaminiert, die andere Urananlage wurde abgeschaltet, kann aber jederzeit wieder in Betrieb genommen werden. Im
September 1991 unterzeichnete Südafrika den Atomwaffensperrvertrag, doch erst im März 1993 gab de
Klerk vor dem Parlament in Kapstadt bekannt, dass
Südafrika seine Atomrüstung eingestellt habe. Dies
war zugleich die erste und einzige offizielle Bestätigung, dass es sie überhaupt gegeben hatte. Weder de
Klerk noch die Regierungen seit 1994 haben jemals
Einzelheiten dazu offen zugänglich gemacht.
Im September 1979 verzeichneten US-Satelliten
zwei Lichtblitze im Südatlantik, die charakteristisch
für atomare Explosionen waren.
Laut einem SIPRI-Bericht von 2006 hat Südafrika
das Waffenprogramm tatsächlich beendet, doch die
nukleare Infrastruktur sei weitgehend intakt geblieben. Das gilt etwa für die Zulieferfirmen im militärisch-industriellen Komplex wie die südafrikanische
Filiale der deutschen NUKEM, die vor zwei Jahren
vom russischen Staatskonzern ROSATOM übernommen wurde. Neue Firmen wie Klydon zählen für ihr
leitendes Personal „500 Jahre Erfahrung“ aus einschlägigen Jobs etwa in der Isotopentrennung zusammen, die sie kaum irgendwo anders als in der
Waffenentwicklung gesammelt haben können.
SIPRI veranschlagte die Zahl der in das südafrikanische Bombenprogramm eingeweihten Personen
auf 100 bis 150, andere Schätzungen kamen auf 400
bis 1000 Beteiligte. Die regelrecht paranoide Geheimhaltung auch im neuen Südafrika von allem,
was mit Atomkraft und dem früheren Rüstungsprogramm zu tun hatte, wurde jedoch zur politischen
Falle. Als 2004 das Netzwerk des pakistanischen
Atomwaffeningenieurs Abdul Kadir Khan aufflog,
der das Atomwaffenprogramm des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi unterstützt hatte, geriet
Südafrika noch einmal unvorbereitet an den internationalen Pranger. Khan hatte Gaddafi Zubehör
und Baupläne aus Südafrika geliefert und dazu Geschäftemacher in Deutschland und der Schweiz eingespannt. Ausgerechnet das einzige Land, das bis
dahin atomar abgerüstet hatte, zeigte sich nun als
Hinterland neuer Atompiraten.
Heimo Claasen
ist ständiger Korrespondent von
in Brüssel.
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Das ­Märchen
von der
­iranischen
Bombe
Der Iran will die Welt zum Narren halten und heimlich
Atomwaffen bauen – so lautet die offizielle Lesart.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Von Gareth Porter
D
en vermeintlichen Beweis für das geheime
Atomwaffenprogramm des Iran zwischen
2001 und 2003 lieferten mehrere Dokumente,
die 2004 auftauchten. Angeblich stammten sie vom
Laptop eines iranischen Wissenschaftlers, der an
dem Programm gearbeitet haben soll. Sie enthalten
Zeichnungen, die zeigen, wie eine Atomwaffe in der
iranischen Shahab-3-Rakete eingebaut werden könnte. 2005 wurden Beschreibungen dieser Skizzen an
ausgewählte Journalisten weitergegeben. Die Medien verbreiteten die sensationelle Nachricht, der unwiderlegbare Beweis für das iranische Streben nach
Atomwaffen liege nun auf dem Tisch.
Auch die amerikanischen Geheimdienstdossiers
von 2005 und 2007 über das Atomwaffenprogramm
beruhten zum großen Teil auf der Annahme, dass
diese Unterlagen echt seien. Und die internationale
Atomenergiebehörde IAEO erklärte sie 2008 für
glaubwürdig, obwohl der damalige Generaldirektor
Mohammed el-Baradei zu bedenken gab, dass ihre
Echtheit nicht nachgewiesen sei.
Ein gravierender Fehler in den Zeichnungen beweist jedoch, dass es sich um eine Fälschung handelt:
Die abgebildete Rakete war schon vor 2000 – zwei
Jahre, bevor die Zeichnungen angefertigt wurden –
durch ein verbessertes Modell ersetzt worden, das
ganz anders aussah.
Im vorigen Jahr erklärte mir Karsten Voigt, der
frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Koordinator des Auswärtigen Amtes für die Bezie-
| 9-2014
Israels Premierminister Benjamin
Netanjahu warnt 2012 vor der
Generalversammlung der Vereinten
Nationen vor dem iranischen
Atomprogramm.
Change w lee/NYT/redux/laif
hungen zu den USA, was es mit diesen Dokumenten
in Wirklichkeit auf sich hat: Der deutsche Bundesnachrichtendienst bekam sie von einem Mitglied
der Volksmudschaheddin, einer fanatischen Terrororganisation, die das Regime in Teheran schon seit
den frühen 1980er Jahren bekämpft. Auch hatte
Voigt von einem hochgestellten BND-Vertreter erfahren, dass dessen Mitarbeiter die Quelle für fragwürdig hielten. Es erfüllte die Geheimdienstler mit Sorge, dass Washington gewillt schien, diese Unterlagen
zur Basis seiner Iran-Politik zu machen.
Die amerikanische Doktrin, dass der Iran insgeheim den Besitz von Atomwaffen anstrebt, lässt eine
wichtige Tatsache außer Acht: Die aggressive Haltung der USA gegenüber dem iranischen Kernforschungsprogramm beeinflusst maßgeblich die
Atompolitik des Landes. Um den Iran zum Verzicht
auf sein Atomprogramm zu zwingen, begann die Regierung von Präsident Ronald Reagan nach der Revolution gegen den Schah 1979, starken Druck auszuüben. Die neue iranische Regierung wollte das unter
dem Schah-Regime entwickelte Atomprogramm zunächst zurückfahren; sie besaß nur einen einzigen
Atomreaktor in Buschehr und hatte nicht vor, dafür
selbst Uran anzureichern. Das sollte die französische
Firma Eurodif übernehmen, an der der Iran mit zehn
Prozent beteiligt war.
Doch nachdem der Irak 1981 im Iran eingefallen
war und der Iran einen erfolgreichen Gegenangriff
gestartet hatte, wurde die Reagan-Regierung aktiv,
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24
schwerpunkt atomwaffen
Ein Mitarbeiter der iranischen Atomenergiebehörde erklärt 2006 in der
Universität Ghom einem Geistlichen,
wie der Iran Kerntechnik in der
Medizin einsetzt.
RAHEB hOMAVANDI/REUTERS
aufs Spiel gesetzt, das seit Mitte der 1980er Jahre der
wichtigste Partner des Iran auf diesem Gebiet geworden war. Die Volksrepublik hatte dem Iran 1991 fast
zwei Tonnen Uran verkauft, wollte jedoch nicht, dass
die IAEO davon erfuhr. Denn die Chinesen wurden
von den Amerikanern unter Druck gesetzt, das iranische Atomprogramm nicht zu unterstützen.
Der größte Teil des chinesischen Urans wurde
von 1995 bis 2000 bei Versuchen eingesetzt, Uran
mit Hilfe des Laserverfahrens anzureichern. Doch
1999 und 2002 wurde ein Teil davon benutzt, um die
Anreicherung in Gaszentrifugen zu testen. Hätte die
iranische Regierung die IAEO über dieses an sich völlig legitime Vorgehen in Kenntnis gesetzt, dann wäre
auch publik geworden, dass China insgeheim Uran
an den Iran verkauft hatte.
um die atomare Zusammenarbeit zwischen dem
Iran und Frankreich und Deutschland zu unterbinden. Die beiden europäischen Verbündeten akzeptierten das. Die iranische Regierung hatte nun zwei
Möglichkeiten: dem amerikanischen Druck nachzugeben und ihr Kernenergieprogramm einzustellen
oder eigene Anreicherungsmöglichkeiten zu entwickeln. Sie entschied sich für die Anreicherung. Deshalb widersetzt sie sich nun seit fast drei Jahrzehnten der ablehnenden Politik der USA. Washington
wiederum folgert daraus, dass der Iran in den Besitz
von Atomwaffen kommen wolle.
Die Anlage in Natanz verstößt nicht gegen
den Atomsperrvertrag – und verheimlicht
wurde sie zunächst China zuliebe.
Hinzu kommt, dass der Iran die Internationale
Atomenergieorganisation (IAEO) Ende der 1990er
Jahre nicht über seine Versuche zur Anreicherung
von Uran und über die Anlage in Natanz informiert
hat. Auch das gilt seit langem als Beweis für ein Kernwaffenprogramm. Dabei wird aber übersehen, dass
die Arbeit dort gar nicht gegen das Abkommen mit
der IAEO verstieß. Hätte der Iran tatsächlich vorgehabt, heimlich sein Urananreicherungsprogramm
für Atomwaffen zu nutzen, dann hätte die iranische
Regierung über die erlaubten Teile berichtet, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Die Geheimhaltung hatte einen anderen Grund: Hätte die iranische
Regierung die IAEO über ihre Kernforschung informiert, dann hätte sie die Zusammenarbeit mit China
E
rst im August 2002 informierte das iranische
Exilparlament Nationaler Widerstandsrat Iran
(NWRI) die Öffentlichkeit über die Anlage in Natanz. Auch dies wertete die US-Regierung unter
George W. Bush als Beweis für ein geheimes Waffenprogramm, denn andernfalls – so wurde argumentiert – hätte es keinen Grund gegeben, über eine derartige Einrichtung Stillschweigen zu bewahren.
Doch bleiben mehrere Fragen offen. Warum hätte für die Anreicherung von waffentauglichem Uran
eine so riesige Anlage gebaut werden müssen, in der
mehr als 50.000 Zentrifugen untergebracht werden
können – ein Vielfaches dessen, was für kriegerische
Zwecke erforderlich gewesen wäre? Und warum wurde sie so dicht neben der Hauptverkehrsstraße in der
Nähe von Isfahan gebaut, wo sie keinesfalls unbemerkt bleiben konnte? Die Annahme, der Iran wollte
heimlich waffenfähiges Uran anreichern, setzt außerdem voraus, die Verantwortlichen im Iran hätten
nichts davon geahnt, dass amerikanische Satelliten
jede für atomare Zwecke geeignete Baustelle überwachten. Medienberichte über die amerikanische
Satellitenüberwachung des iranischen Atomprogramms gab es jedoch schon Jahre zuvor.
Dem Abkommen mit der IAEO zufolge musste der
Iran erst sechs Monate vor der Einlieferung von atomarem Material über seine Anreicherungsanlage berichten. Doch es gab auch zwei ganz praktische Gründe, weshalb die Iraner die IAEO vor Baubeginn in Natanz nicht informierten. Beide haben mit den Amerikanern zu tun, die den Iran zwingen wollten, ganz auf
die Entwicklung von Atomenergie zu verzichten: Erstens verfügte Iran noch nicht über alle Materialien,
die für die Anlage notwendig waren. Bis 2001 etwa
fehlten Tausende von stählernen Kugellagern für die
Installation der Gaszentrifugen in Natanz. Hätte der
Iran der IAEO von Anfang an über das Bauvorhaben
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Ein Ende des Atomstreits?
Am 24. November läuft die nächste Frist zur Lösung des Nuklearkonflikts mit dem Iran ab. Dann soll der jahrelange Streit mit einem umfassenden Abkommen beigelegt werden. Der Iran müsse alles tun,
um die internationale Gemeinschaft vom friedlichen Charakter seines Nuklearprogramms zu überzeugen, heißt es vonseiten der Bundesregierung. Deutschland ist neben den fünf ständigen Mitgliedern
des UN-Sicherheitsrates USA, Russland, Frankreich, England und China an den Verhandlungen unter dem Dach der Internationalen
Atomenergieorganisation IAEO in Wien beteiligt. Weil er die schmerzhaften Wirtschaftssanktionen gegen sein Land loswerden will, drängt
Irans Präsident Hassan Rohani auf eine Einigung und will mehr Kontrollen zulassen.
Noch ist völlig offen, ob die Gespräche erfolgreich verlaufen. Im
Juli ist eine erste Frist zur Verhandlung eines langfristigen Abkommens verstrichen. Gestritten wird vor allem über die Zahl der Zentrifugen, die der Iran zur Urananreicherung nutzen darf. Der Westen
verlangt eine deutliche Reduzierung der rund 19.000 Zentrifugen.
Die USA wollen zudem, dass die Langstreckenraketen in den Atomvertrag einbezogen werden, der Iran lehnt dies strikt ab. Auch über
den genauen Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen gibt es angeblich noch Differenzen.
(sdr)
in Natanz Auskunft gegeben, dann hätten die westlichen Geheimdienste bessere Chancen gehabt, die Lieferung der wichtigen Teile zu verhindern.
Zweitens waren die Iraner davon überzeugt, dass
die USA und Israel nichts unversucht lassen würden,
um die Fertigstellung der Anlage zu verhindern, gegebenenfalls mit Gewalt. Seit Ende 1997 drohte Israel
indirekt mit Angriffen auf den Iran, sollte Teheran
das Atomprogramm nicht einstellen.
Als im September 2009 die Existenz einer weiteren Anreicherungsanlage in Fordo in der Nähe der
Stadt Ghom bekannt wurde, entrüstete sich die USRegierung einmal mehr über die arglistigen Iraner.
„Sie haben uns drei Mal hintergangen“, erklärte ein
hochgestellter Beamter gegenüber der „New York
Times“ und fügte triumphierend hinzu: „Und sie
sind drei Mal erwischt worden.“
Der Iran hatte die IAEO in einem Brief vom 21.
September 2009 über die Anlage informiert, vier
Tage vor den öffentlichen Vorwürfen der USA. Doch
die Regierung von Präsident Barack Obama behauptete – mit den Worten eines hohen Regierungsbeamten, der die Medien darüber unterrichtete –, die Iraner hätten die IAEO nur deshalb informiert, weil sie
„erfahren hatten, dass die Geheimhaltung der Anlage
gefährdet war“. Diese Behauptung wurde in vielen
Berichten wiederholt und entwickelte sich zu einem
festen Bestandteil der Doktrin vom heimlichen Streben der Iraner nach einer Atomwaffe.
Doch am Tag der Presseverlautbarung wurde im
amerikanischen Außenministerium noch ein anderer Text in Frage-und-Antwort-Form verfasst, um die
Anreicherungsanlage bei Ghom öffentlich bekannt
zu machen. Darin wurde deutlich: Anders als behauptet konnte Washington nicht beweisen, dass der
| 9-2014
Gareth Porter
ist Journalist und Buchautor für
sicherheitspolitische Themen. Kürzlich
ist sein Buch „Manufactured Crisis: The
Untold Story of the Iran Nuclear Scare”
(Just World Books) erschienen.
Iran deshalb über seine Anlage informiert hatte, weil
sie nicht mehr geheim war. Dort heißt es: „Frage: Warum entschieden sich die Iraner dafür, die Anlage
zum jetzigen Zeitpunkt bekannt zu geben? Antwort:
Das wissen wir nicht.“
Den amerikanischen Geheimdienstbeamten war
die Anlage schon seit Monaten bekannt, doch sie waren sich nicht sicher, ob sie der Urananreicherung
dienen sollte. Der hohe Beamte, der am 25. September 2009 die Presse informierte, gab zu: „Solange der
Bau einer solchen Anlage noch in den Anfängen
steckt, kommen viele Zwecke in Frage, für die sie genutzt werden könnte.“
Dass die Iraner der IAEO über Fordo berichteten,
geschah wohl in der Absicht, die besonders exponierte Anreicherungsanlage in Natanz vor einem
Angriff durch Israel oder die USA zu schützen. Der
Brief an die IAEO wurde geschrieben, eine Woche
nachdem der Iran Gesprächen über sein Atomprogramm im UN-Sicherheitsrat zugestimmt hatte. Außerdem hatte Ali Akbar Salehi, der Leiter der Iranischen Atomenergieorganisation, vor einem Präventivschlag gegen iranische Kernforschungseinrichtungen gewarnt.
A
ngesichts der Baugeschichte des Tunnelsystems in Fordo kann man sich kaum vorstellen,
dass man im Iran nicht von der Überwachung
durch die amerikanischen Geheimdienste wusste.
Schon vor Baubeginn hatte der Nationale Widerstandsrat des Iran im Dezember 2005 erklärt, dass
die unterirdische Anlage für das iranische Atomprogramm genutzt werden sollte. Und dem französischen Sicherheitsexperten Roland Jacquard zufolge
verlegten die Iraner im Jahr 2006 eine Flugabwehreinheit an den Berg, in den die Tunnel gegraben
wurden – eine überraschende Maßnahme, falls Iran
die Einrichtung wirklich absolut geheim halten wollte.
Gemäß einer ergänzenden Vereinbarung mit der
IAEO musste der Iran jede neu geplante Atomanlage
umgehend melden. Hätten die Iraner die Einrichtung in Fordo wirklich für ein geheimes Programm
der waffenfähigen Urananreicherung nutzen wollen,
dann hätten sie zum Zeitpunkt, als der Bau beschlossen wurde, gewiss geschwiegen und so getan, als wären keine weiteren Anlagen geplant. Doch stattdessen teilte der Iran der IAEO im März 2007 mit, dass
es die ergänzende Vereinbarung nicht mehr einhalten wolle. Offenbar wollte die Regierung in Teheran
die USA und Israel glauben machen, sie verfüge
möglicherweise noch über mehrere derartige Einrichtungen.
Die Darstellung, dass der Iran die Welt hinters
Licht führen will, hält einer genaueren Überprüfung
nicht stand. Trotzdem halten die westlichen Politiker
und Medien fast geschlossen an dieser offiziellen
Meinung fest. Dass sie an einer genauen Analyse der
Fakten nicht interessiert sind, birgt ein enormes Risiko für eine vernünftige Politik des Westens gegenüber dem Iran. Aus dem Englischen von Anna Latz.
25
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schwerpunkt atomwaffen
Pulverfass
Südasien
Atomwaffen machen die Spannungen zwischen China, Indien
und Pakistan besonders brisant. Ein regelrechter Krieg ist zwar
unwahrscheinlich. Doch die Gefahr ist groß, dass Terroristen in
den Besitz von Kernwaffen kommen.
Von Swaran Singh
D
as Problem der Atomwaffen in Südasien ist
Mitte 2014 wieder zum Streitthema geworden.
Die Fachzeitschrift für Militär und Verteidigung „IHS Jane’s“ schrieb im Juni, Indien erweitere
seine Kapazitäten zur Urananreicherung – vorgeblich für die Kernreaktoren des Atom-U-Bootes INS
Arihant, jedoch weit über dessen tatsächlichen Bedarf hinaus. Das Rechercheteam gelangte zu dem
Schluss, dass Indien mit der neuen Produktionsstätte
in der Anlage für seltene Metalle nahe Mysore in der
Lage sei, etwa doppelt so viel waffentaugliches Uran
herzustellen, wie es eigentlich braucht.
Kernwaffen sind fester Bestandteil
des regionalen Kräfteverhältnisses und
der wahrgenommenen Bedrohung.
Die indische Regierung beschwerte sich sofort.
Die Berichte seien „auf perfide Weise zur Unzeit“
platziert, und selbst die US-Regierung wies sie als
„höchst spekulativ“ zurück. Die „Enthüllung“ erschien am Vorabend der Plenarsitzung, zu der sich
die Gruppe der nuklearen Lieferländer (Nuclear Suppliers Group, NSG) in Buenos Aires traf. Dort stand
erstmals Indiens Antrag auf Mitgliedschaft auf der
Tagesordnung. Der Gruppe gehören 48 Staaten an,
die den internationalen Handel mit Nukleartechnik
und -material sowie Know-how kontrollieren wollen,
um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern
(siehe Beitrag Seite 12). Die Gründung der Gruppe
war eine Reaktion auf Indiens ersten Kernwaffentest
im Jahr 1974.
Im September 2008 hatte die NSG ein Zugeständnis gemacht und das Verbot, Kerntechnik mit Indien
zu handeln, außer Kraft gesetzt. Indien bekam damit
als einziger Staat, der den Atomwaffensperrvertrag
nicht unterzeichnet hat, eine solche Zulassung. Damit konnte Neu-Delhi mit den USA im Oktober 2008
ein Kooperationsabkommen über die zivile Nutzung
von Kerntechnik schließen. Im November 2010 äußerte US-Präsident Barack Obama zudem den
Wunsch, Indien solle Mitglied der NSG werden.
China und Pakistan fürchten das. Denn damit
würde Neu-Delhi ein Vetorecht über den globalen
Nuklearhandel bekommen, weil die NSG nach dem
Konsensprinzip arbeitet. Die NSG bleibt gespalten.
Zwar machten die USA und britische Lobbyisten
Druck, zudem ratifizierte Neu-Delhi am Vorabend der
Plenarsitzung ein Zusatzprotokoll mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), das dieser
mehr Kontrollmöglichkeiten über den Kernbrennstoff in Indiens zivilen Reaktoren gibt. Indien wird
seit einigen Jahren zunehmend als verantwortliche
Macht mit fortgeschrittener Kerntechnik betrachtet.
Doch pakistanische Experten beschworen wieder das
Feindbild des bösen Indien. Einige Mitglieder der
NSG schalteten auf stur und bemängelten, dass eine
Mitgliedschaft Indiens die Glaubwürdigkeit des
Atomwaffensperrvertrages untergraben würde. Die
Gruppe beschloss, die Debatte zu vertagen. Die Diskussion über die Verbreitung von Kernwaffen in Südasien bleibt anfällig für unausgewogene Analysen, Polemiken und Untergangsszenarien. Diese kurzsichtige
Haltung findet sich auch in Islamabad und Neu-Delhi.
Pakistan und China machten Indien für das sogenannte atomare Wettrüsten in Asien verantwortlich.
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
Links: US-Präsident Barack Obama
(rechts) und Indiens Staatschef
Manmohan Singh 2010 bei einer
Konferenz über nukleare Sicherheit.
Beide Länder arbeiten bei Kern­
technik zusammen.
Rechts: Peking stützt im Gegenzug
Pakistan; der chinesische General
Hou (links) und der pakistanische
Armeechef Ashfaq Kayani bei einer
gemeinsamen Militärübung 2011.
Mandel Ngan/afp/Getty Images; Faisal Mahmood/REuters
China bezog öffentlich keine Stellung, da Peking weder
Indien noch Pakistan als Kernwaffenstaat anerkennt.
Das Internetportal „China Topix“ jedoch zitierte die
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, selbst ein „begrenzter Krieg“ zwischen Indien
und Pakistan würde bedeuten, dass „zwei Milliarden
Menschen infolge eines nuklearen Schlagabtausches
unter Einsatz von 100 Kernwaffen verhungern“. Zur
Erinnerung: Beide Länder nennen zusammen etwa
230 Sprengköpfe ihr Eigen – weniger als China und
nichts im Vergleich zu den weltweit insgesamt 17.000
atomaren Sprengköpfen.
Dennoch: Indiens und Pakistans politischen Systeme sind komplex, sie haben häufig gegeneinander
Krieg geführt und ihre militärischen Oberbefehlshaber handeln oft unglücklich und auf der Grundlage
nebulöser Doktrinen. Das macht die Lage im atomaren Dreieck im südlichen Asien spannungsreich und
vielschichtig, so dass Analysten nicht selten in Panik
verfallen.
D
er Atomdeal zwischen Indien und den USA im
Oktober 2008 hat die Vorzeichen in der nuklearen Gleichung im südlichen Asien umgekehrt. Die USA haben nicht nur den Weg bereitet, dass
Indien im globalen Atomgeschäft mitspielen darf. Sie
haben das Land als „verantwortlichen Staat“ gewürdigt, den es zu kooptieren und zu belohnen gilt. Gewiss hat die Anziehungskraft eines potenziell 200
Milliarden US-Dollar schweren Marktes für Nukleartechnologie in Indien zu diesem politischen Umschwung beigetragen.
Seitdem versucht China, für Pakistan ähnliche
Vergünstigungen durchzusetzen. Dem haben sich
Vertreter der USA und anderer Industrieländer wiederholt widersetzt. Denn in Pakistan existieren eine
Vielzahl an Machtzentren sowie Brutstätten des Terrorismus. Die Bilanz bei der Nichtverbreitung von
| 9-2014
Kernwaffen ist bescheiden; die Erinnerung an das
Netzwerk von Abdul Kadir Khan, das Atomtechnik
weitergegeben hat – unter anderem nach Nordkorea
–, ist noch frisch.
Diese Umstände haben Indien geholfen, eine defacto-Anerkennung als Kernwaffenstaat zu erreichen.
Im Gegenzug hat Indien sein Atomprogramm in einen zivilen und einen militärischen Teil unterteilt
und alle zivilen Anlagen den Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen des Nichtverbreitungs-Regimes
unterstellt. Dazu zählen etwa regelmäßige Inspektionen durch die IAEO. Darüber hinaus hat Neu-Delhi
viele Zusagen gemacht; so will man ein Atomtestmoratorium einhalten, auf den Ersteinsatz von Kernwaffen verzichten und lediglich eine minimale Abschreckung aufrechterhalten.
Im Gegenzug sind dank des Atomdeals mit den
USA und des Zugeständnisses der NSG die von Indien
als militärisch deklarierten Atomanlagen und der gelagerte Kernwaffenbrennstoff von IAEO-Inspektionen befreit. Indien steht es frei, zusätzliche Anlagen
zur militärischen Nutzung aufzubauen und dazu
Material einzusetzen, das nicht unter den Verifikationsmechanismus fällt.
Trotz dieses Entgegenkommens sind auch manche Kommentare aus Indien deplatziert und rückwärtsgewandt. Brig Gurmeet Kanwal, ein früherer
Leiter einer Denkfabrik der Armee, schrieb in der indischen Tageszeitung „The Tribune“, die enge Beziehung zwischen China und Pakistan bei der Kernkraft
und beim Raketenprogramm habe das strategische
Gleichgewicht im südlichen Asien nachhaltig gestört.
Indiens Überlegenheit bei den konventionellen Waffen sei neutralisiert worden. Das habe Pakistan ermuntert, unter seinem nuklearen Schutzschirm einen Stellvertreterkrieg zu entfachen. Das ist kalter
Kaffee, war schon bisher nicht hilfreich und verletzt
zunehmend den Stolz der Pakistaner.
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schwerpunkt atomwaffen
Wo drei Atommächte aufeinandertreffen
Die Atomrüstung in Südasien ist eng verbunden mit Konflikten zwischen Indien, Pakistan und China – insbesondere um die Kontrolle
über Kaschmir (siehe Karte). Schon unmittelbar nach ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 führten Indien und Pakistan
Krieg um das Gebiet, in dem damals ein Hindu-Fürst über eine vorwiegend muslimische Bevölkerung herrschte. Das führte zur Teilung
Kaschmirs, der größere und reichere Teil fiel an Indien. 1962 brach
zwischen China und Indien ein Krieg über den Grenzverlauf aus. Indien unterlag, Pakistan verbündete sich danach mit China und überließ Peking einen Streifen des von ihm kontrollierten Teils Kaschmirs. Ein erneuter Krieg zwischen Indien und Pakistan bestätigte
1965 die Teilung Kaschmirs; in einem dritten Krieg zwischen beiden
Ländern stand 1971 die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan im
Vordergrund.
Die Konflikte trieben die Aufrüstung in Südasien mit voran. China hatte bereits 1964 seine erste Atombombe getestet und war damit
zur Supermacht neben der Sowjetunion und den USA aufgestiegen.
Indien zündete 1974 einen atomaren Sprengsatz; Pakistan entwickelte daraufhin in den 1980er Jahren Atombomben. 1998 führten beide
Länder offene Atomtests durch. Beide sind dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten und gehören zu den vier Staaten, die nicht
als Atommächte anerkannt sind, aber Kernwaffen besitzen.
Offene Kriege zwischen Indien und Pakistan hat es seit 1971 nicht
mehr gegeben. Pakistan, dessen Armee der indischen unterlegen ist,
unterstützt und benutzt jedoch Gruppen, die im indischen Teil
Kaschmirs gegen die Herrschaft Indiens kämpfen oder in Indien Anschläge verüben. Die Beziehungen zwischen Indien und China haben sich dagegen entspannt. (bl)
ASIEN
Kaschmir
AFGHA NISTAN
TADSCHIKISTAN
1963 von Pakistan
an China abgetreten
seit 1962 von
China besetzt
Gilgit
pakistanisch
Islamabad
Kargil
Srinagar
Jammu
PAKISTAN
Aksai
Chin
CHINA
indisch
INDIEN
200 km
Grenze des Fürstentums
Kaschmir bis 1947
Neu-Delhi
Globus
7505
Waffenstillstandslinie
von 1949
©
Es ist wichtig zu verstehen, dass chinesische Spitzenpolitiker keine direkten Atomverhandlungen mit
Indien führen können. Die Regierungen in Indien
und Pakistan werden ihre Kernwaffen nur aufgeben,
wenn das Teil eines globalen Verzichtes ist. Alle drei
Länder fühlen sich von außen gedrängt, den Glauben an die nukleare Abschreckung hochzuhalten –
und das, obwohl sie sich zu Atomtestmoratorien und
einer Minimalabschreckung bekennen, was dieses
nukleare Dreieck so einzigartig und stabil macht.
Pakistans Hilfe für Terroristen birgt
das Risiko, dass die Staaten in einen
Atomkrieg taumeln.
Es geht ihnen darum, die Stabilität der Abschreckung zu sichern. Zugleich soll mit Hilfe eines Dialoges die Sicherheit von Atomanlagen verbessert werden. Kernwaffen sind fester Bestandteil ihrer Wahrnehmung des regionalen Kräfteverhältnisses und
der Bedrohungslage. Die Atomwaffen haben schon
jetzt die Grenzen eingefroren, um die sich Kriege in
der Vergangenheit meist drehten: Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einem größeren Krieg kommen wird, um Grenzen neu zu ziehen. Aber die zwischenstaatlichen Spannungen werden sich weiter
auf unkonventionellen Wegen entladen, etwa durch
Attacken im Cyberspace oder indem nationale Entwicklungsprojekte unterminiert werden und das internationale Ansehen des jeweils anderen Staates
geschwächt wird.
Pakistanische Experten glauben, dass Indien von
der Doktrin der Abschreckung zu einer Doktrin des
Zwangs übergegangen ist. Es will Pakistan nicht mehr
mit der Androhung eines untragbaren Schadens von
Handlungen abschrecken, sondern mit Drohungen
erreichen, dass das Nachbarland sich gemäß indischen Wünschen verhält. Als Beleg werden Indiens
Bemühungen zum Erwerb von Raketenabwehrsystemen, die Investitionen in Satellitensysteme, der Bau
von Atom-U-Booten und auch das geringe Interesse
an Kriegsführungsstrategien genannt.
In Ermangelung eines Dialogs hat Pakistan mit
der Entwicklung von Nasr reagiert, einer neuen taktischen Kernwaffe mit kurzer Reichweite. Sie soll gegen
indische Streitkräfte eingesetzt werden, die auf pakistanisches Gebiet vordringen (die indische Armee ist
der pakistanischen konventionell überlegen; Anm. d.
Red.). Das macht es sehr viel wahrscheinlicher, dass
Kernwaffen eingesetzt werden. Ergänzend dazu gibt
es ein breites Spektrum an Abschreckungsoptionen,
von denen der Terrorismus als besonders wirksam
angesehen wird. Dass Pakistan den Terrorismus als
Methode einsetzt, lässt sich zurückverfolgen bis zur
Aufwiegelung der islamischen Widerstandskämpfer,
der Mudschaheddin, gegen die Sowjetunion in den
1980er Jahren.
Das Instrument erwies sich als attraktiv, weil ab
den 1990er Jahren die Verbreitung von Kernwaffen
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
im südlichen Asien größere Kriege unmöglich machte und die Gewalt zwischen den Staaten sich auf Konflikte mit geringerer Intensität verlagerte. Der wiederholte Einsatz von Terrorismus birgt jedoch das
Risiko, das Abschreckungsgleichgewicht auszuhöhlen und die Staaten in einen Atomkrieg taumeln zu
lassen.
K
ernwaffen stellen aber nicht nur im Krieg ein
Problem dar. Ebenso wichtig ist ein sicherer
Umgang mit ihnen im Frieden. Falsche Informationen, Fehlwahrnehmungen oder Missmanagement können einen versehentlichen Abschuss oder
eine Sabotage verursachen. Auch nichtstaatliche Akteure könnten sich Zugang zu Informationen und
Anlagen verschaffen. Dieser Alptraum des Nuklearterrorismus macht das südliche Asien zu einem
wahren Pulverfass. Angesichts der regelmäßigen Angriffe von Mudschaheddin auf Einrichtungen der
pakistanischen Armee steht zu befürchten, dass irgendwann einige der Atomsprengköpfe in die Hände von Dschihadisten fallen könnten. Der Rückzug
der NATO und der US-amerikanischen Truppen aus
Afghanistan sowie die Bürgerkriege im Nahen Osten
haben diese Sorge verstärkt.
Experten warnen bereits davor, dass die Möglichkeit von Nuklearterrorismus wachse, weil Kernkraftwerke und Forschungsreaktoren anfällig für Sabotage sind und waffentaugliches Material leicht entwendet werden kann. Als im Juni Terroristen den Flughafen in Karatschi angriffen und zwei Armeeoffiziere
töteten, hat die pakistanische Regierung sofort die
Sicherheitsvorkehrungen für Atomanlagen erhöht.
Der Terrorangriff zeigte, dass es dem pakistanischen
Nachrichtendienst nicht gelungen war, Informationen rechtzeitig weiterzugeben. Er belegte auch die
militärischen Fähigkeiten der islamistischen Kämpfer. Ebenso beunruhigend sind zunehmende CyberAttacken – vor allem für den Fall eines Krisenmana-
gements zwischen atomar bewaffneten Staaten.
Nach dem Vorbild Chinas haben Indien und Pakistan
hier starke Kapazitäten aufgebaut: Es gibt zahlreiche
Beweise für virtuelle Angriffe auf sensible Computernetzwerke. In allen drei Staaten hängen die Kontrolle der Kernwaffen ebenso wie das tägliche Leben
zunehmend von Informations- und Kommunikationsnetzen ab.
Zugleich sind Indien und Pakistan gegnerische
Atommächte, die schon lange, bevor sie sich offiziell
zum Atomstaat erklärten, Schritte zur Verringerung
der mit Atomwaffen verbundenen Risiken ergriffen
haben. Sie haben sich in einem Abkommen verpflichtet, ihre Atomanlagen nicht anzugreifen, und tauschen jedes Jahr am 1. Januar eine Liste dieser Anlagen aus – das halten sie auch ein, wenn ihre Beziehungen auf einem Tiefpunkt sind. Auch über Raketentests informieren sich die Regierungen in Neu
Delhi und Islamabad vorher gegenseitig.
China und Pakistan nehmen sich außerdem ein
Beispiel am Umgang anderer Staaten mit Indien und
führen mit Neu-Delhi informelle sogenannte „TrackII“-Verhandlungen über kerntechnische Fragen. An
den regelmäßigen Gesprächen nehmen pensionierte
Beamte, Militärangehörige und Wissenschaftler teil.
Sie sind stark fokussiert und beeinflussen nationale
politische Entscheidungen. Es fanden sogar schon trilaterale Gespräche zwischen China, Indien und Pakistan über Nuklearfragen statt. Auf diese Weise kann es
gelingen, die mit Atomwaffen verbundenen Risiken
in Asien zu verringern.
Die Gefahr des Nuklearterrorismus ist heute der
schlimmste Alptraum im südlichen Asien. Es gibt dafür keine schnelle Lösung, weil sich alle einschlägigen
Normen und Regime an Regierungen wenden und
Terroristen oft als außerhalb staatlicher Kontrolle
gelten. Dies macht das atomare Dreieck im südlichen
Asien so überaus gefährlich.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
D. Swaran Singh
ist Professor für Diplomatie und
Abrüstung an der Jawaharlal Nehru
University in Neu-Delhi.
buch zum Thema
Große Bomben für große Nationen
Pakistanische und indische Naturwissenschaftler, die für atomare Abrüstung eintreten, werfen in
diesem Buch kritische Blicke auf
die atomare Bewaffnung der beiden Länder. Der größte Teil ist Pakistan gewidmet – den Hintergrund von dessen Atomprogramms behandelt der Herausgeber Hoodbhoy in sechs Beiträgen.
Als einer der wenigen Atomphysiker Pakistans kannte er viele hohe
Militärs und Strategen persönlich
und weiß aufschlussreiche Details über ihr Denken zu erzählen.
| 9-2014
Es war offenbar teilweise erschreckend schlicht. Weder in Indien
noch in Pakistan habe man die
Folgen der Entscheidungen über
Atomwaffen wirklich abgewogen,
behauptet Hodbhoy. Indien sei
auf China fixiert gewesen und
von der Vorstellung beseelt, dass
eine großartige Nation auch große Bomben besitzen müsse. Pakistans Militär, das dem Indiens
klar unterlegen war, sah daraufhin in Atombomben eine Art magische Lösung aller Sicherheitsprobleme – und später auch eine
willkommene Einnahmequelle:
Das Land gab die Technik insgeheim weiter. Weitere Beiträge befassen sich mit Spezialfragen wie
den Problemen der Frühwarnung
bei einem Angriff und mit den
Folgen, die ein Einsatz von Kernwaffen in Südasien hätte. Die letzten beiden Beiträge begründen,
warum auch die zivile Nutzung
der Kernkraft weder in Indien
noch in Pakistan sinnvoll ist. Für
Laien ist das Buch nur teilweise
interessant, für Experten eine
Fundgrube.
(bl)
Pervez Hoodbhoy (Hg.)
Confronting the Bomb. Pakistani and
Indian Scientists Speak Out
Oxford University Press, Oxford 2013,
292 Seiten, ca. 31,65 Euro
29
30
schwerpunkt atomwaffen
Die USA haben im Pazifik 67 Atombomben getestet. Die
Folgen wurden jahrzehntelang vertuscht. Inzwischen kämpfen
die Enkel der Opfer für eine Entschädigung.
Von Giff Johnson
D
ie größte Bombe zündete am 1. März 1954. Im
Rahmen der Operation „Castle“ testeten die
USA im Pazifik die Wasserstoffbombe „Bravo“.
Mit einer Sprengkraft von 15 Megatonnen war sie die
stärkste thermonukleare Waffe der Amerikaner. Einwohner der Marshallinseln waren auf vielen Atollen
dem radioaktiven Niederschlag ausgesetzt. Ebenso
erging es US-Soldaten, die die Wetterbedingungen
beobachteten, und japanischen Fischern, die sich zu
diesem Zeitpunkt in der Nähe befanden.
Von 1946 bis 1958 detonierten auf dem Bikiniund dem Enewetak-Atoll insgesamt 67 Atomwaffen.
Beide Atolle zählen zur Republik Marschallinseln,
ihre Einwohner wurden wegen der Atomwaffentests
umgesiedelt. Dutzende von Inseln in der Region wurden in dieser Zeit radioaktiv verseucht – und an diesem Erbe tragen sie schwer bis in die Gegenwart. Seit
der Detonation von „Bravo“ auf Bikini sind mehr als
sechzig Jahre vergangen. 2010 wurde das Atoll zum
Unesco-Welterbe erklärt. Aber dauerhaft leben kann
hier niemand.
In den 1960er Jahren waren mehr als 100 Bikinianer zurückgekehrt, nachdem ihnen Wissenschaftler
versichert hatten, es sei ungefährlich. Schnell wurde
jedoch festgestellt, dass die radioaktive Strahlung zu
hoch ist, und sie wurden wieder evakuiert. Seitdem
leben die Ureinwohner von Bikini verstreut auf Majuro, Kili und Ejit, anderen Atollen der Marschallinseln und in den USA. Laut der US-Regierung ist die
Strahlung in der Region zurückgegangen, doch die
Menschen sind skeptisch. Eine baldige Rückkehr
zeichnet sich nicht ab.
Vor fast 30 Jahren unterzeichneten die USA und
die Marshallinseln ein Abkommen zur Entschädigung der Opfer; es ist Teil eines umfassenderen Vertrages (Compact of Free Association) zwischen den
beiden Ländern. Die USA behielten die militärische
Kontrolle über die Marshallinseln und dürfen auf
dem Kwajalein-Atoll ein Testgelände für Geschütze
nutzen. Die Marshallinseln erhalten im Gegenzug
Zahlungen für die Folgen der Atomtests, Zuschüsse
an die Regierung und den visafreien Zugang für ihre
Bürger in die USA, um dort zu leben, zu arbeiten und
zu studieren.
Ein Entschädigungsfonds wurde eingerichtet, der
mit 150 Millionen US-Dollar gefüllt werden sollte. Er
sollte den vier Atollen Bikini, Enewetak, Rongelap
und Utrik zugutekommen, die von der US-Regierung
als radioaktiv verseucht anerkannt wurden. Ferner
wurde ein Gesundheitsprogramm aufgelegt. Ein spezielles Gremium, das Nuclear Claims Tribunal, sollte
über alle Forderungen von Opfern der Atomtests entscheiden.
Vor dem Atomtest
1946 müssen die
146 Einwohner von
Bikini ihre Insel
verlassen. Wegen
der radioaktiven
Strahlung kann
dort noch heute
niemand leben.
Us-Navy
Verstrahlte
Seit den Tests haben alle US-Regierungen versucht, deren Folgen zu vertuschen. Als die Vertreter
der Marshallinseln über die Entschädigung verhandelten, hatten sie keinen Zugang zu den geheimen
Dokumenten, die das Ausmaß des Fallouts belegen.
Erst zwölf Jahre nach Verabschiedung des Abkommens gaben die USA Geheimberichte frei, laut denen
sich die Verseuchung keineswegs auf die vier Atolle
beschränkte. Jede Insel der Region war der nuklearen
Belastung ausgesetzt.
Der UN-Sonderberichterstatter fordert vollständigen
Zugang zu den Informationen über die militärische
Nutzung der Marshallinseln und ihre Folgen.
2006 stellte das Nuclear Claims Tribunal die Entschädigungszahlungen ein, weil kein Geld mehr da
war. Bis dahin hatte das Gremium mehr als 2000 Bewohnern der Marshallinseln 96,6 Millionen US-Dollar für persönliche Schäden zugesprochen – der
Fonds verfügte aber nur über 73,5 Millionen US-Dollar. Das Tribunal erkannte außerdem Bikini, Enewetak, Rongelap und Utrik 2,3 Milliarden US-Dollar zu,
um die Umweltfolgen der radioaktiven Verseuchung
9-2014 |
atomwaffen schwerpunkt
sprüche ein für alle Mal geregelt. Weitere Zahlungen
seien nicht erforderlich. Nach wie vor finanzieren die
USA zwar in begrenztem Umfang medizinische Programme für Menschen, die von den Atomtests betroffen waren, sowie wissenschaftliche Untersuchungen und die Überwachung des Gebiets. Umfangreiche Epidemiologische und radiologische Studien auf
den Marschallinseln fehlen jedoch – eine Lücke, die
UN-Sonderberichterstatter Calin Georgescu geschlossen sehen möchte. Er empfahl, die Marshallinseln sollten sich für solche Untersuchungen an UNOrganisationen wenden, und verwies auf Studien,
die die Internationale Atomenergieorganisation an
Teststätten für Atomwaffen in anderen Ländern vorgenommen hat. Georgescu appellierte außerdem an
die USA, den Marshallinseln vollständigen Zugang zu
ihren Informationen und Aufzeichnungen über die
militärische Nutzung der Marshallinseln und die Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen zu gewähren. Auch 58 Jahre nach dem letzten
Atomtest auf den Marshallinseln bleiben viele Berichte zu den Atomtests geheim. Sie lagern fest verschlossen in Tresoren der US-Regierung.
Heimat
zu bewältigen. Auch hier reichten die Mittel des
Fonds nicht: Nur Bikini und Enewetak erhielten symbolische Zahlungen von 3,9 Millionen US-Dollar.
Bikini und Enewetak strengten im selben Jahr erneut Klagen an, die 20 Jahre zuvor bereits von US-Gerichten zurückgewiesen worden waren. Damals lautete die Begründung, die US-Regierung habe mit dem
Nuclear Claims Tribunal eine Instanz geschaffen, die
für die Zahlung von Ansprüchen zuständig sei. Ende
2007 wurden die Klagen der Insel-Vertreter erneut abgewiesen. Der US-Supreme Court lehnte eine Anhörung der Fälle ab. Die Bewohner der Marshallinseln
können somit nicht weiter vor US-Gerichten klagen –
und das nimmt dem US-Kongress den Druck, sich mit
dem Erbe der Atomtests zu beschäftigen.
Ende 2012 befasste sich der Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen,
Calin Georgescu, in einem Bericht mit den Folgen der
Atomtests auf den Marshallinseln. Die Tests hätten
die Menschenrechte der Einwohner verletzt, betonte
er darin. „Die Folgen der Strahlung wurden noch verschärft durch die Verseuchung der Umwelt, die kaum
rückgängig zu machen ist.“ Georgescu forderte die
US-Regierung auf, die vom Nuclear Claims Tribunal
zuerkannten Gelder zu zahlen.
Die US-Regierung hält dagegen, mit dem 150-Millionen-Dollar-Entschädigungsfonds seien die An-
| 9-2014
Wanderausstellung
„Kein Bravo für Bikini“
Zur Geschichte der Atombombentests im Pazifik und den Folgen bietet
die Pazifik-Informationsstelle eine
Wanderausstellung an. Sie wendet sich
vor allem an Schüler und Jugendliche
und kann gegen die Erstattung von
Porto- und Versandkosten ausgeliehen
werden: www.pazifik-infostelle. org
D
er Präsident der Marschallinseln, Christopher
Loeak, erklärte bei einer Gedenkveranstaltung
zum 60. Jahrestag des Bravo-Wasserstoffbombentests im März, zwar verbinde sein Land nach wie
vor eine sehr enge Freundschaft mit den USA. Doch
bei den Folgen der Atomtests sei noch nicht alles geregelt. Das Entschädigungsabkommen sei nicht in
gutem Glauben ausgehandelt worden, kritisierte
Loeak. Es ermögliche keine faire und angemessene
Regelung der Schäden, die durch die Tests verursacht
wurden.
Von den 167 Bikinianern, die ihre Heimat 1946
verlassen mussten, sind nur noch 30 am Leben. Sie
sind alt geworden – einige ihrer Nachkommen tragen
nun die Fackel weiter und kämpfen für ihre Entschädigung. „Ich verlange Gerechtigkeit für die Generation meiner Großmutter, die so viel durchgemacht
hat“, sagt Lani Kramer, Ratsabgeordnete für das Bikini-Atoll. „Wir müssen uns an den US-Kongress wenden.“ Aber dazu sei die Regierung der Marshallinseln
nicht bereit. Irene Abon, die auf dem Rongelap-Atoll
lebt und deren Mutter dem radioaktiven Niederschlag 1954 ausgesetzt war, stimmt zu: „Von den Menschen der ersten Generation, die betroffen war, leben
nur noch wenige. Ihre Probleme werden von unseren
Politikern nicht zur Kenntnis genommen.“
Was wird die Zukunft bringen? Der UN-Sonderberichterstatter hat die USA noch einmal dazu aufgerufen, endlich zu handeln, um die Probleme, die ihr
Atomwaffentestprogramm verursacht hat, zu lösen.
Doch die Bewohner der Marshallinseln müssen sich
selbst dafür stark machen, um den US-Kongress zu
angemessenen Entschädigungszahlungen und zur
Finanzierung von Gesundheitsprogrammen zu bewegen. Es besteht wenig Hoffnung, dass sich die USA
aus eigenem Antrieb ihrem nuklearen Erbe im Pazifik stellen. Aus dem Englischen von Bernd Stößel.
Giff Johnson
ist Herausgeber der Wochenzeitung
„The Marshall Islands Journal“ (www.
marshallislandjournal.com) und
Autor des Buches „Don’t Ever Whisper:
Darlene Keju – Pacific Health Pioneer,
Champion for Nuclear Survivors”
(www.donteverwhisper.com).
31
Gebrochene Seelen
Viele Syrerinnen und Syrer ertragen die Folgen des Bürgerkriegs nicht mehr: Sie nehmen sich
das Leben. Doch kaum jemand wagt, über dieses Tabu zu sprechen.
Von Lauren Wolfe
D
ie Arme waren dünn wie Streichhölzer, an den
Händen traten die Sehnen hervor. Mit kraftloser Stimme erzählte Alma Abdulrahman im
Juni vergangenen Jahres, wie sie von syrischen Regierungstruppen gefoltert und vergewaltigt worden war.
Vom Zwerchfell abwärts gelähmt, das Gesicht aschfahl, telefonierte sie aus einem Krankenhausbett im
jordanischen Amman über Skype mit mir in New York.
Damals schilderte die 27-Jährige, wie sie bei zwei
etwa einmonatigen Haftaufenthalten in einen Reifen
gezwängt und geschlagen, mit einem Draht ausgepeitscht, zwei Mal täglich unter Drogen gesetzt und
vergewaltigt worden war, wobei sie immer wieder das
Bewusstsein verloren hatte. Während des Gesprächs
schwankte Abdulrahman zwischen Wut, Verzweiflung und der festen Entschlossenheit zu reden: „Das
sind Dinge, über die niemand spricht. Ich vertraue sie
Ihnen an, damit die ganze Welt sie hört und sieht.“
Abdulrahman hatte sich schon zu Beginn der Revolution der freien syrischen Armee angeschlossen.
Sie war zur Kommandantin eines Bataillons aufge-
stiegen und hatte eine Truppeneinheit von 15 Mann
befehligt, als eine der wenigen Frauen an der Front.
Gelähmt war sie seit ihrer zweiten Haft: An einem
Checkpoint der Regierungstruppen hatte ihr ein Soldat mit einem Gewehr einen Stoß ins Genick versetzt.
Laut ihrer eigenen Aussage hat sie mindestens neun
Männer getötet.
„Wenn ich nicht so stark wäre, wäre ich längst gestorben“, sagte sie und behauptete, sie „arbeite“ vom
Krankenhaus aus. Sie helfe ihren Mitrevolutionären,
von Ärzten in Daraa im südlichen Syrien Medikamente zu erhalten. „Wenn ich mich aufsetzten könnte – ich schwöre bei Gott – wenn ich mich aufsetzen
könnte, würde ich unserer Sache wieder dienen. Zumindest den Verletzten würde ich beistehen.“ Im Lauf
des Gesprächs geriet ihre Entschlossenheit jedoch
deutlich ins Wanken. „Ich bin jetzt nur noch ein Geist
und eine Stimme“, sagte sie. „Ich bin so gut wie tot.“
Abdulrahman ertrug Folter und Vergewaltigung,
die Trennung von ihren Kindern, Lähmung und Einsamkeit. Sie hielt länger durch, als viele andere es in
9-2014 |
Mehr als drei Jahre Bürgerkrieg haben
Trümmerlandschaften hinterlassen:
Eine Straße in Aleppo nach einem Luftschlag der syrischen Armee im
Juni dieses Jahres.
Zein al-Rifai/Afp/Getty Images
ihrer Lage geschafft hätten. Doch am 14. Juni 2014 war
alles zu Ende: Abdulrahman starb, verzweifelt und
allein, in einem jordanischen Krankenhaus. „Sie war
ohne Hoffnung“, sagte die Psychiaterin Yassar Kanawati, die sie schon früh behandelt und sich immer
wieder ein Bild von ihrem Gesundheitszustand gemacht hatte.
Kanawati, die in Amman für die Syrisch-Amerikanische Medizinische Gesellschaft ein psychosoziales
Team leitet, schilderte, wie Abdulrahman die Aufnahme von Nahrung und Medikamenten verweigerte.
„Man legte ihr eine Magensonde, doch sie wurde
wach und zog sie heraus.“ Kurz zuvor hatte das Krankenhaus Abdulrahman mitgeteilt, für ihre Pflege sei
kein Geld mehr da. Familie und Freunde hatten sie
verlassen. „Niemand besuchte sie“, sagte Kanawati.
Vermutlich seien ihre Freunde mit dem Flüchtlingsstrom weitergezogen oder gestorben. „‚Was ist das für
ein Leben?‘ hat sie mich gefragt“, sagte Kanawati.
„Viel war es nicht mehr.“ Abdulrahman starb schließlich an Dehydration.
| 9-2014
S
ie hatte eine Folter ertragen, die man sich nicht
vorstellen könnte, wenn es sie nicht so häufig
gäbe. Die UN-Menschenrechtskommissarin
Navi Pillay erklärte in einem Bericht vom April 2014,
in den staatlichen Haftanstalten in Syrien werde
„systematisch“ und „flächendeckend“ gefoltert. Psychologisch-therapeutische Hilfe gibt es so gut wie
gar nicht, weder für Folteropfer noch für Syrerinnen
und Syrer, die nicht gefoltert wurden, weder im Land
selbst noch in den Nachbarstaaten, die wachsende
Flüchtlingszahlen verzeichnen. Nach Ansicht von
Ärzten und Sozialarbeitern entwickelt sich Selbstmord mehr und mehr zu einer Folge dieses Krieges.
Er ist so tabuisiert, dass innerhalb der Familien und
erst recht in der Öffentlichkeit nur selten darüber gesprochen wird.
„Im Islam ist Selbstmord streng verboten“, erklärt
Haid N. Haid, ein in Beirut ansässiger syrischer Soziologe und Programmmanager der Heinrich-Böll-Stiftung für den Nahen Osten. Um die Familien der Toten zu bestrafen und andere davon abzuhalten, sich
34
welt-blicke syrien
das Leben zu nehmen, untersagen Gelehrte oft das
Bestattungsgebet, für Menschen, die sich umgebracht haben. Die Todesursache wird in der Regel verschleiert und als „Unfall“ oder „natürlich“ bezeichnet.
„Selbstmord“, betont Haid, sei „immer ein Riesenskandal, über den noch lange geredet wird.“
Es gibt keine Statistiken zu den Selbstmorden,
aber Zeitungen schildern Todesszenen von Frauen,
die sich von Dächern gestürzt haben.
Lauren Wolfe
ist Journalistin und Direktorin von
„Women Under Siege“, einem Internetprojekt über sexualisierte Gewalt,
das sie im Rahmen des Women’s
Media Center in New York ins Leben
gerufen hat. Ihr Beitrag ist im Original
bei „Foreign Policy“ erschienen.
Ärzte berichten, trotz des Tabus hätten sie immer
häufiger mit selbstmordgefährdeten Menschen zu
tun. Belegt wird dieser Trend durch die Zahl der gemeldeten Fälle, in denen sich Menschen umgebracht
haben, weil sie das Gefühl hatten, als Flüchtling nicht
für die Familie sorgen zu können, oder aus Scham
aufgrund von Vergewaltigung, Schwangerschaft
durch Vergewaltigung oder sexueller Demütigung.
Offizielle Statistiken gibt es nicht – aber auch ohne
sie ist das Bild, das Ärzte in Syrien und in den Nachbarländern zeichnen, ausgesprochen düster. Angesichts der wenigen psychotherapeutischen Angebote
ist das wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.
„Etwa siebzig Prozent unserer Patientinnen und
Patienten haben Selbstmordgedanken, aber viele geben an, ihre Religion halte sie davon ab, sich das Leben zu nehmen“, sagt Adrienne Carter, eine Psychotherapeutin, die in Jordanien im Zentrum für Folteropfer arbeitet. Die gemeinnützige Einrichtung
bietet psychotherapeutische Hilfe und Rehabilitation an. Carter hält die Suizidrate unter ihren syrischen Patienten für höher als unter den Angehörigen anderer muslimischer Länder, mit denen sie arbeitet. Ihrer Schätzung nach kommen drei bis vier
Prozent ihrer Patienten „hoch suizidgefährdet“ in
das Zentrum. 693 Menschen stehen gegenwärtig auf
der Warteliste.
Für manche sei Selbstmord „der letzte Ausweg
aus einer Welt des Elends“, sagt Salah Ahmad, Psychotherapeut und Leiter der kurdischen Menschenrechtsstiftung Jiyan. „Die meisten meiner Patienten,
die sich umbringen wollten, empfanden sich selbst
als wertlos. Sie hatten schon vor ihrer Flucht psychische oder soziale Probleme oder sie hatten alles verloren und sahen für sich und ihre Familien keinerlei
Zukunftsperspektive mehr.“
Für Frauen, deren Ehemänner und männliche
Verwandte entweder getötet oder verhaftet wurden,
sagt Ahmad, „ist die Situation besonders schwierig,
da sie niemanden haben, der sie versorgt“. Laut einem aktuellen Bericht des Flüchtlingshilfswerks der
Vereinten Nationen UNHCR steht im ganzen Nahen
Osten mittlerweile jedem vierten syrischen Flüchtlingshaushalt eine Frau vor, das sind insgesamt mehr
als 145.000 Syrerinnen. Das größte Problem für sie
sei, dass sie nicht einmal die Miete zahlen, ihre Kinder ernähren oder notwendige Haushaltsgegenstände kaufen können. Extrem arm und plötzlich Haupt-
ernährerin ihrer Familie, leide jede von ihnen zusätzlich darunter, Angehörige verloren zu haben. Laut
dem Bericht hat nur ein Fünftel dieser Frauen Arbeit.
Jede dritte wagt es nach eigener Aussage nicht, das
Haus zu verlassen.
Während es an zuverlässigen Selbstmordstatistiken fehlt, schildern Zeitungen Todesszenen, insbesondere von Frauen, die sich von Dächern gestürzt
oder selbst angezündet haben. Ein für die Psychiaterin Yassar Kanawati besonders drastischer Fall ist der
einer Frau, die als einzige einen Bombenangriff auf
eine Schule in Aleppo überlebte. Dort war gerade
eine Ausstellung von Bildern der Kinder zum Krieg
vorbereitet worden. Die Frau war Kunstlehrerin und
hatte die Ausstellung organisiert. Mindestens 20
Menschen wurden getötet, darunter zwei Lehrer und
17 Kinder zwischen acht und zwölf Jahren.
Kanawati zufolge lebt die Frau jetzt mit Granatsplittern im Rücken im Süden der Türkei, verweigert
jedoch, da sie an einer schweren Depression leidet,
jede Behandlung. „Nacht für Nacht sehe ich sie alle in
meinen Träumen“, erzählte die Lehrerin Kanawati.
„Ich fühle mich verantwortlich und schuldig für ihren Tod. Beim Aufwachen wünschte ich, ich wäre mit
ihnen gestorben.“ Und fügte hinzu: „Ich muss bei ihnen sein.“
A
ls ich Abdulrahmans Geschichte im vergangenen Jahr zum ersten Mal für den „Atlantic“
erzählt habe, habe ich Schuldgefühle und Depression nicht näher beleuchtet. Ärzte und Sozialarbeiterinnen hatten mir gesagt, sie sei eine „gebrochene“ Frau. Sie verlange nach Schlafmitteln, esse
nichts mehr und leide unter alten und neuen Verletzungen: nässenden Wunden sowohl von ihrer Folter
als auch vom Wundliegen. Und sie habe Selbstmordgedanken.
Wegen des im Islam herrschenden Tabus rund
um den Selbstmord, aber auch, weil ihr geistig-seelisches Befinden mir zu privat erschien, beschloss ich
damals, diese Information nicht zu verwenden. Abdulrahman sollte nicht öffentlich bloßgestellt werden. Ihre Geschichte, die das Ausmaß der sexuellen
Gewalt und Folter in Syrien veranschaulichen sollte,
sollte nicht davon überschattet werden. Jetzt schreibe ich darüber, weil Abdulrahmans Tod und ihr Weg
dorthin sinnbildlich sind für das, was viele Tausend
Syrer durchleiden: mangelnde Gesundheitsversorgung, Isolation, Armut, Terror. Für viele ist die seelische Not so groß, dass sie lieber sterben, als in einem
Krieg weiterzuleben, der immer schlimmer wird.
Vor einem Jahr schrieb ich, dass aufgrund der
Gräuel, die Abdulrahman geschildert hatte, „sie zum
Gesicht der starken überlebenden Frauen in Syrien
geworden ist“. Das hat für mich nach wie vor Gültigkeit. Jetzt aber muss man Abdulrahmans Entscheidung, ihre Zeit in diesem Krankenhausbett zu beenden, als einen Aufruf an die Welt betrachten: Sie
muss sich dem Leid zuwenden, das so unermesslich
ist, dass selbst die Stärksten nicht mehr überleben
können.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
9-2014 |
islamismus welt-blicke
Fromm ist Trumpf
In Ägypten
wünschen sich
viele die Scharia
als Grundlage
des Rechts – wie
dieser Mann, der
Ende 2012 auf
dem Tahrir-Platz
mit dem Koran
demonstriert.
Rob Stothard/Polaris/laif
Von Shadi Hamid
In westlichen Demokratien führt meist ideologische Mäßigung zum Wahlerfolg. Doch islamistische Parteien im Nahen
Osten werden im demokratischen Umfeld radikaler – nicht
zuletzt weil große Teile der Bevölkerung das wünschen.
Z
um ersten Mal traf ich Mohammed Mursi am 8.
Mai 2010. Damals hatten erst wenige Ägypter
von dem Mann gehört, der zwei Jahre später in
der ersten freien Wahl des Landes zum Präsidenten
gewählt werden sollte. Es war eine dunkle Epoche in
der Geschichte Ägyptens und ganz besonders für die
Muslimbrüder, deren Führungsriege er angehörte.
Die Hoffnungen, die sich in den Jahren 2004 und
2005 an den Beginn des Arabischen Frühlings geknüpft hatten, waren in der schlimmsten Repressionswelle seit der Verfolgung der 1960er Jahre untergegangen.
| 9-2014
Trotzdem wirkte Mursi nicht niedergeschlagen.
Wie andere Führer der Muslimbruderschaft hatte er
sich mit den widrigen Umständen abgefunden und
seine Erwartungen heruntergeschraubt. Im Gespräch
betonte er, dass man die Bruderschaft nicht als Opposition bezeichnen dürfe. „Der Begriff Opposition bedeutet, dass man die Macht erobern will“, sagte er.
„Zurzeit streben wir aber nicht an die Macht, denn das
setzt eine entsprechende Bereitschaft voraus, und so
weit ist unsere Gesellschaft noch nicht.“ Die Muslimbruderschaft sei eher eine religiöse Bewegung als
eine politische Partei. Sie könne langfristig denken
und abwarten. Schließlich habe sie die historische
Dynamik und Gott auf ihrer Seite.
Repression war für Islamisten keine neue Erfahrung. In den frühen 1990er Jahren waren die Regierungen der arabischen Länder, Ägypten und Jordanien eingeschlossen, immer autoritärer geworden.
Doch anders als es Experten und die Öffentlichkeit
35
36
welt-blicke Islamismus
erwarteten, führte das nicht zur Radikalisierung der
Mehrheit der Islamisten. Es nötigte ihnen eher gemäßigte Positionen auf. Die ägyptischen und jordanischen Muslimbrüder akzeptierten viele Grundprin-
Der Führer der
islamistischen
Partei PAS in
Malaysia, Hadi
Awang, beim
Freitagsgebet.
Die Partei hat
großen Einfluss
auf die Gesellschaft – auch
wenn sie in der
Opposition ist.
Rahman Roslan/
Getty Images
zipien der Demokratie wie Souveränität des Volkes
und Ablösung von Regierungen durch freie Wahlen.
Sie beharrten weniger auf der Scharia, der islamischen Rechtsordnung, arbeiteten mit liberalen und
linksgerichteten Gruppen zusammen und sorgten
für mehr Demokratie innerhalb ihrer eigenen Organisationen.
Wenn der Staat sie unter Druck setzt, stellen ­Islamisten
weitreichende Ziele zurück – nicht zuletzt um ihre
­Kliniken, Stiftungen und Unternehmen zu schützen.
Offenbar vermag Repression das Denken und das
Verhalten der Menschen zu verändern – sie soll damit
jedoch nicht entschuldig werden. Man muss zwischen eher maßvollen Einschränkungen und der
vollständigen Unterdrückung unterscheiden. Meine
Auffassung davon, wie sich die Islamisten im Lauf der
Zeit verändern, beruht darauf, dass islamistische Bewegungen eine Ausnahmeerscheinung darstellen. Es
handelt sich nicht um politische Parteien im traditionellen westlichen Sinne. Denn diese bilden in ihren
Ländern in der Regel keinen Parallelstaat, sie stützen
sich nicht auf ein alternatives Netz von Moscheen,
Kliniken, Stiftungen, Unternehmen – bis hin zu Pfadfinderorganisationen. Eine solche Infrastruktur ist
aber das Fundament der islamistischen Organisationen.
Deshalb reagieren sie besonders stark, wenn die
Regierung sie einschränkt – und sogar schon wenn
sie damit droht. Mit einem geringen Grad der Einschränkung können sie leben, mit Angriffen auf ihre
soziale Infrastruktur aber nicht. Deshalb tun sie ihr
Möglichstes, die zu verhindern. Damit die Repressalien der Regierung als ungerechtfertigt und übertrieben wahrgenommen werden, präsentieren sie sich
als gute Demokraten und demonstrieren ihr Engagement für den Pluralismus und die Rechte der Frauen.
Sie bemühen sich um Bündnisse mit Gruppierungen
außerhalb ihres Lagers. Denn solange sie isoliert bleiben, sind die Islamisten leicht angreifbar. Wenn sich
akzeptierte Parteien und Individuen hinter sie stellen, sind sie besser geschützt. Um solche Bündnisse
möglich zu machen, müssen sie das Bekenntnis zur
Demokratie in den Vordergrund stellen und die eher
kontroversen kulturellen und religiösen Aspekte ihres Programms herunterspielen.
Dass die Islamisten die Demokratie akzeptierten
und sich später zu ihr bekannten, hat einen weiteren
Grund: Solange es keine Demokratie gibt, ist sie ein
Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Es ist nur sinnvoll, sich für die Gewaltenteilung, die Ablösung von
Regierungen, die Souveränität des Volkes und unabhängige Gerichte einzusetzen, wenn man all dies als
gefährdet wahrnimmt. Wenn die Islamisten sich politisch bedroht sehen, werden demokratische Reformen für sie eine Forderung von geradezu existenzieller Bedeutung. Die britische Politologin Nancy
Bermeo erforscht, welche politischen Lernprozesse
die Erfahrungen mit autokratischen Regimen auslösen. Eine Diktatur könne dazu zwingen, „sowohl den
Charakter bestimmter Regime oder politischer Gegner wie unsere eigenen Ziele und Verhaltensweisen
neu zu bewerten“, erklärt sie. Auch die Strategien, mit
denen man bestimmte Ziele erreichen will, könnten
sich infolge politscher Erschütterungen, Krisen und
Enttäuschungen verändern.
D
och wie verhalten sich Islamisten, wenn sich
demokratische Spielräume öffnen und die
staatliche Verfolgung nachlässt? Bei meinen
Recherchen ging ich zunächst davon aus, dass sie radikale Positionen aufgeben, je stärker sie in den demokratischen Prozess integriert werden. In Westeuropa konnte man eine solche Entwicklung beobachten. Die Stammwählerschaft der Sozialdemokraten
und der Christdemokraten (Arbeiter und Konservative) war begrenzt. Um Wahlen zu gewinnen, mussten
sie ihre Ideologie in den Hintergrund stellen und sich
zur Mitte orientieren, wo sie Durchschnittswähler zu
gewinnen hofften. So führte die Demokratisierung
zwangsläufig zu einer ideologischen Entschärfung.
9-2014 |
islamismus welt-blicke
Daraus schlossen viele politische Beobachter, dass
unter ähnlichen Bedingungen auch die Islamisten zu
gemäßigten Positionen gelangen würden. Im Westen
gehen wir davon aus, dass Liberalismus und Demokratie zusammengehören.
Doch im Nahen Osten werden islamistische Parteien in einem demokratischen Umfeld eher dogmatischer. In streng religiösen Ländern wie diesen
wünscht ein großer Teil Bevölkerung nicht etwa die
Entflechtung von Religion und Politik, sondern einen
stärkeren Einfluss der Religion auf die Politik. So zeigen Umfragen in Ägypten eine hohe Zustimmung
zur Scharia als Grundlage der Gesetzgebung, zu religiös begründeten Strafen für kriminelle Delikte, zur
Ungleichbehandlung von Mann und Frau und zur
Beteiligung religiöser Führer an der Gesetzgebung.
Wenn in der Bevölkerung eine solche Nachfrage besteht, wird auch ein Angebot gemacht.
Außerdem führt die Demokratisierung dazu,
dass Gruppen wie die Muslimbrüder ihr Monopol
auf die Stimmen der islamistischen Gläubigen verlieren. Sie müssen mit neuen salafistischen Parteien
konkurrieren, die einen strengen und buchstabengetreuen Islam vertreten. So rückt die rechte Mitte immer weiter nach rechts, wie es auch in den USA aufgrund der Tea-Party-Bewegung der Republikaner zu
beobachten ist.
W
schaftler Joseph Chinyong Liow diesen Vorgang nannte. Er beschreibt, wie die Konkurrenz zwischen der
nominell säkularen Partei UMNO (United Malays National Organisation), die seit 1957 die Regierung an-
Recep Tayyip
Erdogan feiert
am 10. August
seinen Sieg bei
der türkischen
Präsidentschaftswahl.
Sein islamischkonservativer
Kurs wird von
der Mehrheit
in der Türkei
unterstützt.
Umit Bektas/Reuters
enn die Bedeutung der Religion in allen Lagern zunimmt, versuchen nicht nur die islamistischen Parteien einer Region, sich an
Frömmigkeit gegenseitig zu übertreffen. Das zeigen
demokratische Experimente in den arabischen Ländern gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Da die
Mehrheit der Ägypter offenbar wieder frömmer wurde, beschloss die ursprünglich nicht religiöse WafdPartei damals, sich stärker am Islam auszurichten.
Das schlug sich in ihrem politischen Programm von
1984 deutlich nieder. Darin wurde ausgeführt, wie
das islamische Recht anzuwenden sei. Und es hieß
darin, der Islam sei nicht nur eine Religion, sondern
auch Grundlage des Staates. Das Programm rief dazu
auf, den moralischen Verfall in der Gesellschaft zu
bekämpfen und die Medien von allem zu säubern,
was der Scharia und der Moral im Allgemeinen widersprach.
Das vorgeblich säkulare Regime von Staatspräsident Anwar as-Sadat unternahm Ende der 1970er
und Anfang der 1980er Jahre den ehrgeizigen Versuch, die ägyptischen Gesetze mit dem islamischen
Recht in Einklang zu bringen. Auch das wurde von
der Wafd-Partei unterstützt. Die Initiative ging von
Sufi Abu Taleb aus, dem Parlamentsvorsitzenden
und engen Vertrauten Sadats. Seine Kommissionen
produzierten in mühevoller Arbeit auf Hunderten
Seiten detaillierte Gesetzesentwürfe, die alle Bereiche der Rechtsprechung abdeckten, von der Zivilgesetzgebung über das Strafrecht bis zum Seehandelsrecht.
In Malaysia lassen sich ähnliche Entwicklungen
beobachten. Auch hier wurde die „Trumpfkarte der
Frömmigkeit“ ausgespielt, wie der Politikwissen-
| 9-2014
führt, und der islamistischen PAS (Pan-Malaysian Islamic Party) ein offenbar endloses Pendeln zwischen
Islamisierung und Säkularisierung bewirkt. Demokratisierung führt also nicht notwendig zu einer größeren Mäßigung der islamistischen Parteien.
Sie bewirkt auch nicht, dass ideologische Fragen
in den Hintergrund treten. Was ist, wenn die Tunesier, Ägypter, Libyer und Jemeniten in demokratischen
Wahlen entscheiden, dass sie lieber nicht liberal sein
wollen? Ist das ihr Recht?
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
vertritt dazu eine eindeutige Position. In einer Fußnote wird eine „rote Linie“ gezogen und festgestellt:
„Das Recht auf die eigene Kultur endet, wo sie andere
Menschenrechte verletzt. Nach dem internationalen
Recht darf kein Recht auf Kosten eines anderen
Rechts in Anspruch genommen werden oder ein anderes Recht untergraben.“ Westliche Politikstrategen
und arabische Liberale setzen die Existenz von Prinzipien voraus, die für alle Menschen verbindlich gelten. Die liberale Demokratie baut auf der Anerkennung der Menschenrechte auf. Doch viele Islamisten
teilen diesen Konsens nicht.
37
38
welt-blicke Islamismus
Shadi Hamid
arbeitet im Center for Middle East
Policy der Brookings Institution. Er ist
Autor des Buches „Temptations of Power: Islamists and Illiberal Democracy in
a New Middle East“ (Oxford University
Press, 2014).
Dieser Konflikt war in den Kontroversen über die
ersten Verfassungen in Ägypten und Tunesien deutlich zu beobachten. Die erste Verfassung nach dem
Umsturz in Ägypten, die im Dezember 2012 in einem Referendum angenommen wurde, verstieß gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Sie enthielt keine rechtlichen Garantien für die
Gleichberechtigung der Geschlechter, das Recht auf
freie Meinungsäußerung, die Gewissensfreiheit und
die Freiheit der Religionsausübung. Grundsätzliche
Meinungsverschiedenheiten über Zuständigkeiten
und Aufgaben des säkularen Staates spiegelten sich
in Auseinandersetzungen wider, die im Rückblick als
unbedeutende Wortklaubereien erscheinen könnten – etwa die exakte Formulierung von Scharia-Vorschriften.
F
ür Liberale sind gewisse Rechte und Freiheiten
nicht verhandelbar und sie sehen im Staat einen
neutralen Schiedsrichter. Islamisten wollen –
selbst wenn ihnen an einer gesetzlichen Regelung
der Moral nicht viel liegt –, dass der Staat seine Institutionen und seinen Einfluss auf die Medien dafür
nutzt, bestimmte religiöse und moralische Normen
zu propagieren. Für sie entspringen diese konservativen Werte keiner Ideologie, sondern einem selbstverständlichen gesellschaftlichen Konsens über die
Rolle der Religion im öffentlichen Leben. Der Wille
des Volkes hat Vorrang vor allen mutmaßlichen Normen der international anerkannten Menschenrechte, umso mehr, wenn er mit dem Willen Gottes zusammenfällt.
Wer die Islamisten als Radikale betrachtet, die
eine ganz neue Gesellschaftsordnung einführen
wollen, liegt falsch. Selbst die umstrittensten Positio-
nen der Muslimbrüder wie ihre Auffassung, dass
Frauen und Christen nicht Staatsoberhaupt werden
dürfen, wurden von der konservativen Bevölkerungsmehrheit ihrer Region geteilt. Die Wahlsiege
der Islamisten bedeuteten keinen Bruch mit der Vergangenheit. Sie bestätigten eine Einstellung, die
schon seit einiger Zeit in der Gesellschaft verbreitet
war.
Es ist schwierig zu ermessen, welches Gewicht
Ideen und Ideologien haben im Vergleich zum gesellschaftlichen Umfeld, den politischen Strukturen
und den internationalen Machtverhältnissen. In der
wissenschaftlichen Diskussion der vergangenen Jahre wurden die letzteren Faktoren tendenziell höher
bewertet. Doch nachdem ich viel Zeit damit verbracht habe, mit Islamisten zu diskutieren und ihre
Gedankenwelt kennenzulernen, bin ich sicher: Für
Aktivisten, die Haftstrafen oder gar den Tod in Kauf
nehmen, sind ihre Ideen, so vage sie auch sein mögen, von größter Bedeutung. Ihnen geht es um mehr
als um Macht und Politik.
Wie der Islamismus-Experte Richard Mitchell in
den 1980er Jahren feststellte, wäre die islamistische
Bewegung nicht so wichtig und würde keine so große Aufmerksamkeit verdienen, „wenn keine Idee
und keine aufrichtige Überzeugung dahinter stünde“. Etwas, von dem eine genügend große Zahl von
Menschen aufrichtig überzeugt ist, lässt sich nicht
ohne weiteres aus dem öffentlichen Bewusstsein tilgen. Auf längere Sicht ist es daher unwahrscheinlich,
dass der Islamismus oder sein kleinerer Bruder, die
konservative Demokratie türkischen Stils, eine entscheidende ideologische Niederlage hinnehmen
müssen.
Aus dem Englischen von Anna Latz.
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9-2014 |
wasserkraft welt-blicke
Die Kraft des Kongo zähmen
Am Kongo-Fluss sind zwei riesige Wasserkraftwerke geplant. Sie sollen die Energieprobleme im
südlichen Afrika lösen und die Wirtschaft ankurbeln. Der Traum könnte zum Alptraum werden.
Von Peter Dörrie
E
Der Inga-Staudamm am Kongo –
hier im Oktober 2006 – schöpft die
Möglichkeiten zur Stromerzeugung
dort bisher bei weitem nicht aus.
Marlene Rabaud/Reuters
| 9-2014
in umweltpolitischer Skandal, ein Symbol für
Afrikas hell erleuchtete Zukunft, der ultimative
weiße Elefant: Die Inga-Stromschnellen am Kongo-Fluss wecken bei Experten und Politikern starke
Emotionen. 1,3 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließen durch die 15 Kilometer lange Folge von
Stromschnellen und überwinden ein Gefälle von 96
Metern. Nur etwa hundert Kilometer vom Atlantik
entfernt ist dieser Abschnitt des Kongo einer der
weltweit attraktivsten Standorte, um Wasserkraft zu
erzeugen.
Die Versuche reichen bis in die Kolonialzeit zurück, doch das Potenzial von Inga konnte bis heute
nicht ausgeschöpft werden. Nun gibt es eine neue Initiative: Südafrika und die Demokratische Republik
Kongo wollen gemeinsam das Projekt Inga III-BC verwirklichen, das 4800 Megawatt Strom vor allem für
den Export produzieren soll. Das ist mehr als dreimal
so viel wie das inzwischen stillgelegte Atomkraftwerk
Krümmel in Schleswig-Holstein. Und doch nur ein
Bruchteil der 44.000 Megawatt, die hier im komplett
ausgebauten Zustand, genannt Grand Inga, erzeugt
werden könnten.
Noch sind Inga III-BC und Grand Inga nur ein
Traum – und zudem einer, der sich für alle Beteiligten in einen Albtraum verwandeln könnte. Aufgrund
schwerer Fehler in der Vergangenheit ist gegenüber
Inga III-BC und den darüber hinaus vorgesehenen
Ausbaustufen Skepsis angebracht. In der Nähe der geplanten Anlage existieren bereits zwei kleinere Wasserkraftwerke, Inga I und II, die zusammen bis zu 30
Prozent des Wassers des Kongo-Flusses abzweigen
und daraus 1775 Megawatt Strom erzeugen könnten.
Doch seit Jahren operieren die Anlagen auf der
Hälfte ihrer Kapazität, denn seit ihrer Fertigstellung
in den Jahren 1972 und 1982 wurden sie systematisch
vernachlässigt. Gebaut unter der Herrschaft des Diktators Mobutu Sese Seko haben die Kraftwerke und
39
40
welt-blicke wasserkraft
Staudämme in Afrika
ÄGYPTEN
Grand Inga könnte
44.000 Megawatt Strom
produzieren und damit
alle anderen Wasserkraftprojekte weltweit
in den Schatten stellen.
AFR I KA
2
7
SIERRA
LEONE
6
ÄQUATORIAL
GUINEA
DR
1 KONGO
Grand Inga im Vergleich zu
anderen Staudämmen in Afrika
1
2
3
4
5
6
7
(Inga III)
Inga
(Inga I und Inga II)
Grand-RenaissanceStaudamm
AssuanStaudamm
Batoka-GorgeStaudamm
BujagaliStaudamm
DjiblohoStaudamm
BumbunaStaudamm
5
ÄTHIOPIEN
4
in Betrieb
im Bau/geplant
1 Grand Inga
1.000 km
3
SIMBABWE
Standort
Status
Kongo
Baubeginn im
Oktober 2015
1972 (Inga I)
1982 (Inga II)
Im Bau
Kapazität
Potenzial:
44.000 MW
Kongo
Installiert:
DR KONGO
1.775 MW
Blauer Nil
Potenzial:
ÄTHIOPIEN
6.000 MW
Juli 1970
Nil
Installiert:
ÄGYPTEN
fertiggestellt
2.100 MW
Sambesi
Baubeginn 2014 Potenzial:
SIMBABWE
1.600 MW
August 2012
Nil
Installiert:
UGANDA
fertiggestellt
250 MW
Oktober 2012
Wele-Fluss
Installiert:
ÄQUATORIALGUINEA fertiggestellt
120 MW
Seli-Fluss
November 2009 Installiert:
SIERRA LEONE
fertiggestellt
50-85 MW
DR KONGO
MW = Megawatt
Quelle: Congolese National Electricity (SNEL); Bujagali Energy Limited; Ethiopian Electric
Power Corporation; Bumbuna Hydro Electric; lokale Medien.
11/2013
die 1770 Kilometer lange Stromtrasse zu den Kupferminen in Katanga im Südosten des Kongo erheblich
dazu beigetragen, dass sich das Land hoch verschuldet hat. Gegenwärtig werden Inga I und II saniert, unter anderem mit Hilfe der Weltbank. Das Vorhaben
hinkt seinem Zeitplan um Jahre hinterher und hat
sich von anfänglich 200 Millionen US-Dollar auf inzwischen 883 Millionen US-Dollar verteuert.
Inga III-BC und Grand Inga seien schon seit mindestens 2003 im Gespräch, sagt Peter Bosshard von
der Umweltschutzorganisation International Rivers.
2004 unterzeichnete die damalige kongolesische Regierung eine Absichtserklärung mit fünf südafrikanischen Ländern über den Bau des Kraftwerks. 2009
kündigte der Kongo diese Abmachung wieder und
suchte sich mit dem Minenkonzern BHP Billiton einen neuen Partner. Doch auch diese Kooperation
hielt nicht lange. 2013 einigten sich Kongos Präsident
Joseph Kabila und sein südafrikanischer Amtskollege
Jacob Zuma schließlich darauf, dass Südafrika etwas
mehr als die Hälfte der Gesamtleistung von 4800
Megawatt von Inga III-BC abnehmen solle.
Peter Bosshard sieht die Chancen dieser jüngsten
Übereinkunft skeptisch. Korruption habe frühere
Versuche scheitern lassen, sagt er. Jede neue Regie-
rung wolle von den Schmiergeldzahlungen profitieren, die mit Infrastrukturprojekten dieser Größenordnung verbunden seien. Beteiligte fühlten sich
nicht an die Abmachungen gebunden, die frühere
Regierungen und Minister geschlossen haben. Dieses
Problem sei mit dem Einstieg von Südafrika nicht
einfach aus der Welt geschafft worden.
Die kongolesische Regierung räumt denn auch
Probleme bei der Verwirklichung von Inga III-BC ein.
Das Projekt sei „wegen fehlender Vision und Führungskraft in der Schublade geblieben“, sagt der Minister für Wasserressourcen und Elektrizität, Bruno
Kapandji Kalala. Das werde sich nun ändern. Er macht
für das bisherige Scheitern neben Korruption und
Missmanagement vor allem unrealistische Pläne verantwortlich. „Man wollte den Fluss auf einmal stauen
und den Grand-Inga-Damm komplett fertigstellen,
um dann das Kraftwerk nach und nach mit 52 Turbinen mit einer Leistung von je 750 Megawatt auszustatten.“ Die bisherigen Machbarkeitsstudien hätten
deshalb riesige Investitionen veranschlagt. Nun wolle man mit Inga III-BC eine Nummer kleiner und mit
geringeren Kosten beginnen, ohne den Fluss komplett zu stauen.
T
atsächlich scheinen die Aussichten besser denn
je, dass das Vorhaben Erfolg hat. Das ist vor allem dem Potenzial von Inga geschuldet, afrikanische Staaten mit dringend benötigtem Strom zu
versorgen. „Um das wirtschaftliche Wachstum Afrikas anzukurbeln, müssen neue Energiequellen erschlossen werden. Inga ist eine solche Quelle, nicht
nur für den Kongo, sondern für den gesamten Kontinent”, erklärt Claude Kabemba, Direktor der südafrikanischen Umweltorganisation Southern African
Resource Watch.
Afrika sei unter anderem deshalb nicht in der
Lage, seine Rohstoffe selbst weiterzuverarbeiten und
von der Wertschöpfung zu profitieren, weil es an
Strom mangele, sagt Kabemba: „Inga kann dieses
Problem lösen.“ Das sieht auch die südafrikanische
Regierung so. Regierungsvertreter betonen, Inga IIIBC werde erneuerbare Energie für die Hälfte des afrikanischen Kontinents erzeugen. Das Kraftwerk werde Arbeitsplätze schaffen, für Weiterbildung und
Technologietransfer in den beteiligten Ländern sorgen sowie Industrie und privaten Stromkunden
Strom liefern.
Ein weiteres Plus von Inga III-BC und Grand Inga:
Die Kraftwerke können deutlich mehr Strom als die
chinesische Drei-Schluchten-Talsperre erzeugen,
doch die dafür benötigte Überschwemmungsfläche
sei viel kleiner. Kongos Energieminister Kapandji
meint, Inga III werde keine schädlichen Folgen für die
Umwelt haben. Das sei richtig im Vergleich mit anderen Mega-Staudämmen, bestätigt Peter Bosshard von
International Rivers. In der unmittelbaren Umgebung wären die ökologischen Auswirkungen „sehr
bescheiden“. Mangels Studien könnten jedoch die
Folgen für die Fischgründe vor der Atlantikküste und
das Ökosystem des Kongo-Flusses nicht abgeschätzt
werden.
9-2014 |
wasserkraft welt-blicke
Im März stimmte die Weltbank einer Teilfinanzierung über 73 Millionen Dollar zu. Die kongolesische
Regierung muss noch einen Generalunternehmer
bestimmen, der die Anlage bauen und betreiben soll.
Das Interesse aller Beteiligten ist groß, es wird mit einer schnellen Entscheidung gerechnet. Die Arbeiten
an Inga III-BC könnten dann schon 2015 beginnen.
Nicht geklärt ist allerdings die Frage, ob Inga III-BC
und Grand Inga im besten Interesse des Kongos ist
und ob Südafrika das Risiko seiner Investition nicht
unterschätzt.
Am schwierigsten wird sein, Inga III-BC für die Bevölkerung nutzbar zu machen, betont Umweltaktivist
Peter Bosshard. Denn während niemand bestreitet,
dass die geplanten Kraftwerke das Potenzial haben,
enorm viel Strom zu produzieren, gibt es große Uneinigkeit darüber, wer die Energie am Ende nutzen darf.
Der größte Kritikpunkt von zivilgesellschaftlichen
Gruppen an dem Projekt ist die Aufteilung des Stroms
zwischen dem Kongo, Südafrika und den Minenkonzernen in der kongolesischen Provinz Katanga.
„Von den 4800 Megawatt, die Inga III-BC erzeugen
soll, sind 2500 für Südafrika reserviert, 1300 für die
Bergbauindustrie in Katanga und 1000 für die Bevölkerung von Kinshasa und Bas-Congo durch den nationalen Energieversorger SNEL,“ rechnet Energieminister Kapandji Kalala vor. Südafrika und die Industrie müssten so hohe Anteile erhalten, weil es sonst
keine Kredite von Geldgebern wie der Weltbank und
privaten Geldinstituten für das Projekt gebe.
Politiker und Umweltschützer sind
sich einig: Die schädlichen Folgen des Projektes
für die Natur wären gering.
Peter Dörrie
ist freier Journalist und berichtet über
Ressourcen- und Sicherheitspolitik in
Afrika.
| 9-2014
Dass bisher nur etwa einer von zehn Kongolesen
Zugang zu Elektrizität hat, ändert an diesen Plänen
nichts. Es sei aber riskant, den Großteil der Bevölkerung von den Vorzügen des Projekts auszuschließen,
warnt Claude Kabemba von Southern African Resource Watch. „Wenn der Strom an kongolesischen
Städten und Dörfern vorbeigeleitet wird, dann werden Spannungen erzeugt, die die Überlebensfähigkeit von Inga gefährden können.“
Für Südafrika ist es ein Risiko, dass im Kongo keine Einigkeit über die Nutzung von Inga besteht. Sollte sich die innenpolitische Konstellation im Kongo
ändern – angesichts der jüngeren Vergangenheit des
Landes keine unwahrscheinliche Prognose –, könnte
eine künftige Regierung die bisherigen Vereinbarungen kündigen. Dann müsste Südafrika im Kongo intervenieren – im äußersten Fall auch militärisch –,
denn wenn es nach der südafrikanischen Regierung
geht, wird die Wirtschaft des Landes bald vom Strom
aus dem Kongo abhängig sein. Unter diesen Bedingungen, so Kabemba, sei es von grundlegender Bedeutung, dass „wir sicherstellen, dass durch unser Investment in Inga die Interessen der kongolesischen
Bevölkerung nicht übergangen werden“.
A
uch die Finanzierung von Inga III-BC steht in
der Kritik. Die Anlage soll von einem internationalen Firmenkonsortium betrieben werden. Der Kongo werde Dividenden in Höhe von etwa
400 bis 500 Millionen US-Dollar pro Jahr erhalten,
erläutert Minister Kapandji Kalala. „Das entspricht
ungefähr sechs bis sieben Prozent des aktuellen öffentlichen Haushalts.“ Die Regierung diskutiere derzeit darüber, den Gewinn in den Ausbau der Stromversorgung des Landes zu reinvestieren. Claude Kabemba ist skeptisch. Angesichts der grassierenden
Korruption im Bergbausektor „können wir nicht sicher sein, dass das Geld reinvestiert wird“.
Peter Bosshard von International Rivers findet
Inga III-BC schlicht zu teuer. „Das Projekt wird 2944
US-Dollar pro Kilowatt Kapazität kosten“, sagt er. Das
sei mehr als das Doppelte der von der Internationalen Energieagentur (IEA) veranschlagten 1278 Dollar
pro Kilowatt für Wasserkraftprojekte. Meike van Genniken, Sektormanagerin für West- und Zentralafrika
bei der Weltbank, widerspricht energisch. „Der Strom
von Inga III-BC wird mit der billigste in ganz Afrika
sein“, antwortet sie schriftlich auf eine Anfrage und
macht eine andere Rechnung auf. Um eine Kilowattstunde Strom zu erzeugen, würden laut Finanzierungsmodell 2,5 bis 3,5 US-Cents fällig. „Die Kosten
für die Abnehmer in Katanga und Südafrika werden
natürlich höher sein.“
Laut van Genniken ist es ohnehin falsch, die Kosten von Inga III-BC an den Richtlinien der IEA zu messen – denn die beziehen sich nur auf das Kraftwerk
selbst. In der Projektierung von Inga III-BC seien jedoch die Aufwendungen für die Staumauer und den
Zuleitungskanal mit einberechnet. Außerdem sei der
Standort bei den Inga-Stromschnellen besonders
günstig, weil das Kraftwerk hier praktisch das gesamte Jahr ausgelastet werden könne.
Zu der geringen Strommenge, die für private Verbraucher reserviert ist, sagt Energieminister Kapandji Kalala, der Kongo produziere derzeit nur etwa 1500
Megawatt Strom, selbst wenn Inga I und II komplett
ausgelastet sind. Die zusätzlichen 1000 Megawatt
von Inga III-BC verdoppelten die Versorgung damit
fast und stellten „absolut ausreichend Strom für das
Land“ bereit. Die größte Schwierigkeit bestehe darin,
den Zeitplan einzuhalten, um 2015 mit den Fundamenten zu beginnen und Ende 2020 die ersten Megawatt zu erzeugen.
Das ist in der Tat ambitioniert, auch im Vergleich
zu ähnlichen Projekten in andern Ländern. Wenn es
nach Claude Kabemba geht, sollte darum die Antwort
auf die Frage nach möglichen Folgen Vorrang haben:
„Inga ist ein wichtiges Projekt für den Kongo und den
Kontinent. Wie stellen wir sicher, dass es den Frieden
und nicht neue Konflikte fördert?” Peter Bosshard hat
einen grundlegenderen Einwand: Inga sei nicht die
ideale Lösung zur Elektrifizierung des Kongos. „Für
die Versorgung einer großen Bevölkerung mit einer
relativ geringen Bevölkerungsdichte ist ein zentrales
Großkraftwerk keine günstige Wahl.“ Stattdessen sollten viele kleine Wasserkraftwerke an anderen Orten
errichtet werden, findet der Umweltexperte. 41
42
welt-blicke peru
Mutter Erde
hilft beim
Lernen
Kleinbauern im Hochland Perus entdecken
alte Kenntnisse über Handwerk, Landbau und
Kleinbewässerung neu. Das bringt ihnen gute
Ernten – und fördert den Zusammenhalt.
Text und Fotos: Peter Strack
G
eduldig beobachtet Carlos
Smit Callata Flores die Aymara-Frau. Zum ersten
Mal webt sie ein Tuch an dem
Webstuhl aus Holzpflöcken und
Stöcken. Wenn sie nicht mehr weiter weiß, nimmt der Junge den
Schlegel und ordnet die Fäden, die
sich verwirrt haben. Kurz darauf
ruft ihn ein junger Mann zu Hilfe,
der an einem Schal sitzt. Eigent-
Wolle der Tiere. Und die gibt in
den zeitweise extrem kalten
Nächten in mehreren tausend
Metern über dem Meeresspiegel
und selbst bei Schnee- oder Hagelstürmen den nötigen Schutz.
In die Tücher werden außerdem Hinweise auf die Geschichten des Ortes oder der Familie eingewebt, die Wünsche für die Tochter bei der Heirat, die Rolle eines
lich ist Carlos Vater der Ausbilder.
Doch an dem Webkurs auf dem
Feld neben der Schule von Umuchi im peruanischen Hochland
nehmen 35 Schülerinnen und
Schüler teil. Und alle wollen ihre
Stücke fertigbekommen. Da ist
der siebenjährige Carlos, selbst
fast schon ein Meister, eine willkommene Unterstützung.
Lange Zeit stand das Webehandwerk in der Gemeinde im Distrikt Moho nicht besonders hoch
im Kurs. Die traditionelle selbst
hergestellte Kleidung war wenig
beliebt, es erschien einfacher und
billiger, industriell gefertigte Kleider in der Stadt zu kaufen. Doch
seit die Bauern wieder Lamas und
Alpakas züchten, verfügen sie
auch wieder selbst über die teure
bestimmten Tieres im Agrarzyklus oder die Bedeutung des Amtes,
das ein Dorfvorsteher gerade ausübt. Sie halten nicht nur warm,
sondern werden auch als Ausdruck der kulturellen Identität
wieder neu geschätzt.
Trotz der eifrigen Arbeit am
Webstuhl bleibt Zeit genug, gemeinsam Kartoffeln, Zwiebelsoße
und Forellen aus dem in Sichtweite gelegenen Titicacasee zu essen.
Und obwohl die Mehrzahl der
Dorfbewohner Adventisten sind,
die „heidnische Bräuche“ lange
bekämpft haben, wird nach dem
christlichen Gebet ein Koka-Ritual
durchgeführt: Mutter Erde soll
beim Lernen behilflich sein.
Gilma Mamani Gutiérrez hat
den Kurs in Umuchi organisiert.
9-2014 |
43
peru welt-blicke
Sie ist ehrenamtliche Mitarbeiterin der nichtstaatlichen Organisation Chuyma Aru. In Puno, der
Hauptstadt der gleichnamigen
Region, hat sie eine Fortbildung
darüber besucht, wie die andine
Agrarkultur wiederbelebt werden
soll. Für Gilma ist das nicht unbedingt neu: Ihr Vater hat ihr viel
über traditionelle Landwirtschaft,
Rituale und die Zeichen der Natur
beigebracht – etwa, dass die Blüte
der Tunas, der Kaktusfrüchte, die
Menschen, die neidisch sind“,
mehr will sie dazu nicht sagen.
Die Besucher sollen in ihre
mit Wellblech gedeckte Lehmhütte nicht hineinschauen. Dort bewahrt sie ihr Saatgut auf, und Blicke von Männern gelten als Gefahr für die Fruchtbarkeit. Die
kleinen Gemüsefelder im Vorgarten sind von Steinwällen gesäumt,
die bunten Blumen und kleinen
Aprikosenbäumen Schutz geben.
Sie stehen in sattem Grün, ver-
men, deren Blüten Auskunft über
das Wetter oder die Bodenbeschaffenheit geben, auch der
Muña-Strauch, ein Heilmittel.
„Hier gibt es eine Menge zu
tun“, bemerkt Walter Chambi trocken. Gilma lächelt nur. Sie hat
das bereits in die Wege geleitet. 25
Familien haben sich bereit erklärt,
die Terrasse wiederherzustellen.
Künftig soll dort unter der strahlenden Sonne wieder eine Vielfalt
von Kartoffel- und Quinoasorten
KOLUMBIEN
Titicacasee
ECUADOR
KOLUMBIEN
Manaus
A
Cusco
n
A
BRASILIEN
PERU
n
BRASILIEN
Lima
PERU
Lima
d d
PERU
Rio
Apurimac
Manaus
ECUADOR
Pazifik
Pazifik
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Cusco
Cusco
n n
BOLIVIEN
BOLIVIEN
TiticacaTiticacaseesee La Paz
La Paz
CHILE
CHILE
A
n
Arequipa
d
e
Juliaca
n
Moho
TiticacaPuno
Desaguadero
©
Beim Webkurs in Umuchi:
Die farbigen Tücher halten warm
und sind zugleich ein Ausdruck der
kulturellen Identität.
vor ihrem Haus wachsen, Auskunft darüber gibt, wie die Kartoffelernte ausfallen wird. „Viele lange Stunden hat er mir erzählt“, erinnert sich Gilma, und ihrer Stimme ist noch immer die Trauer
über den Tod des Vaters vor mehr
als drei Jahren anzumerken. „Und
er hat mich gelehrt, meine Pflicht
zu erfüllen und zu den Versammlungen der Gemeinde zu gehen.“
Männliche Blicke sind eine
Gefahr für das Saatgut
Walter Chambi und die anderen
Kollegen von Chuyma Aru haben
Gilma motiviert, den Weg ihres
Vaters weiterzugehen und selbst
eine Führungsrolle in der Gemeinde zu übernehmen. Vor kurzem
brannte ihr Haus aus. „Es gibt
| 9-2014
50 km
sorgt mit Wasser aus einem einfachen Erdkanal. Den habe es schon
früher gegeben, berichtet Gilma,
aber man habe ihn nicht mehr
gepflegt. Vor ein paar Wochen
setzten ihn die Nachbarn gemeinsam wieder instand. Am Kanal
entlang führt Gilma auf die Bergkuppe, unter der sich die Weite
des Titicacasees zeigt, des höchst
gelegenen schiffbaren Binnensees der Welt.
Früher habe man aus dem Totora-Schilf am Ufer noch Boote
gefertigt, erzählt sie. Damals gab
es bis zum See hinab Terrassen.
Doch davon ist kaum mehr als ein
Abhang voller Geröll zu erkennen.
Die Erde ist weggeschwemmt.
Zwischen den Steinen der zerfallenen Mauern wächst neben Blu-
BOLIVIEN
see
La Paz
wachsen, die auch bei schwierigen
Wetterbedingungen eine sichere
Mindesternte garantieren soll.
Der Himmel ist nur leicht bewölkt und der See unter dem Hügel liegt in tiefem dunklen Blau.
Bei diesem Anblick gerät leicht in
Vergessenheit, dass das Wasser auf
Quecksilber aus Goldbergwerken
untersucht wurde. Es ist davon
auszugehen, dass die Forellen, die
in den künstlichen Gehegen in
dem paradiesisch erscheinenden
See heranwachsen, mit Schwermetallen belastet sind. Langzeitschäden des Immun-, des HerzKreislauf- und des Nervensystems,
die vor allem die Entwicklung der
Hirnfunktion bei Kindern beeinträchtigen, sind nicht auszuschließen.
44
welt-blicke peru
Die bolivianisch-peruanische
Seebehörde hat zudem versucht,
das Sinken des Wasserspiegels infolge der Klimawandels durch
eine Staumauer am Abfluss des
Sees auszugleichen. Die Folge: Die
Fäkalien aus der Stadt Puno verfaulen jetzt im Wasser, erklärt Agraringenieur Walter Chambi, statt
in der Trockenzeit am Flussufer
getrocknet und von der Sonne
desinfiziert zu werden. Auch können die Bauern während der Tro-
wird der Regen, der zunehmend
sturzbachartig vom Himmel fällt,
in Teichen gesammelt. Er sickert
in den Boden und tritt weiter unten, wo die Äcker liegen, in Form
von neu entstehenden Quellen
wieder zu Tage. Sie füllen kleine
Tümpel, mit denen das Vieh getränkt und die umliegenden Weiden oder Äcker bewässert werden
können. In den Tümpeln können
Fische – ohne Quecksilber – aufgezogen werden. Mit der Zeit siedeln
sich Frösche an, die auch in den
Anden Wetterhinweise geben.
Wild lebende Vögel bekommen
eine Heimstatt und können im
Schutz kleiner Sträucher oder der
Heilkräuter, mit denen die Ränder
der Tümpel bepflanzt werden,
brüten.
Natürlich nur, wenn alles gut
geht – und das heißt auch: wenn
die Bergbauunternehmen halt
vor den kleinbäuerlichen Gemeinden machen. Walter Chambi führt
uns in entgegengesetzter Richtung zum See ein kurzes Stück
weiter, hoch auf einen Berggipfel.
Ein Unternehmen soll Hinweise
auf Erdölvorkommen in der Region gefunden haben, berichtet er.
In der sauerstoffarmen Höhe ist er
etwas kurzatmig geworden. Als
der Bürgermeister von Moho mit
der argentinischen Delegation
verhandeln wollte, hätten sich die
Bauern auf dem Hauptplatz der
Provinzstadt zum Protest versammelt. Das Ölunternehmen sei danach erst einmal nicht mehr gesehen worden.
Die Bauern wissen, welche Tage
gut für die Ernte sind
Oben: Das Koka-Ritual soll Mutter
Erde gewogen stimmen.
Rechts: Gilma Mamani Gutiérrez hat
große Pläne – am Titicaca-See will
sie Kartoffeln und Quinoa anbauen.
ckenzeit, wenn die Erntevorräte
knapp werden, keine anderen Produkte mehr auf diesen Flächen
anbauen, die dann unter Wasser
stehen. Da ist es umso wichtiger,
dass die Familien mit Gilma durch
die Terrassierung neues Ackerland gewinnen.
Erfolgversprechender als den
See zu stauen ist das, was die Mitarbeiter von Chuyma Aru „Wasser­
ernte“ nennen. Das Prinzip ist einfach: In den Hochlagen der Anden
Die Organisation Chuyma Aru
und die Bauern haben anderes vor.
Chambi zeigt auf einen zerfallenen Steinwall und eine sparsam
fließende Quelle. Hier soll das
Rückhaltebecken wieder hergerichtet und erweitert werden, in
dem früher schon das kostbare
Nass zur Bewässerung gesammelt
worden war. Die Methoden, die
Chuyma Aru lehrt, sind nicht neu,
und es ist etwas kurios, dass ein
Agraringenieur aus Puno den Bauern das Wissen vermittelt, das aus
ihrer eigenen Tradition kommt –
selbst wenn er an den Ufern des
Titicacasees in der Nachbarpro-
vinz Conima aufgewachsen ist.
Chambi erzählt, wie er vor vielen
Jahrzehnten als staatlicher Mitarbeiter damit beauftragt war, den
Bauerngemeinden am Titicacasee
Entwicklung zu bringen. Große
Eukalyptuswälder wurden aufgeforstet, der Boden trocknete aus,
Ackerland verschwand.
Doch etwas anderes machte
Chambi, inzwischen im Pensionsalter, stutzig. Mit Kooperativen
und technischem Fortschritt sollte die kleinbäuerliche Landwirtschaft produktiver gemacht werden. Doch nach anfänglichen Erfolgen mit neuen Hochertragssorten musste Chambi feststellen,
dass die Erträge auf den von ihm
nach dem neuesten agrarwissenschaftlichen Stand betreuten Gemeinschaftsfeldern geringer waren als auf den Parzellen der Kleinbauern.
Zum einen waren den Bauern
der Dünger und die chemischen
Pflanzenschutzmittel zu teuer, sobald die staatlichen Subventionen
wegfielen. Zum anderen kamen
sie nur an bestimmten Tagen bereitwillig zur Arbeit auf das Land
der Kooperativen, an anderen bestellten sie nur ihre eigenen Felder. Und diese Tage waren laut
den natürlichen Wetterindikatoren und den Regeln über den Astralzyklus am günstigsten für die
Aussaat, die Pflege und die Ernte.
Nur die schlechten Tage widmeten sie der Kooperative, wie sie
Chambi bereitwillig erzählten.
Seit dieser Zeit lässt er sein akademisches Wissen ein wenig ruhen
und interessiert sich sehr für die
Kenntnisse der Kleinbauern, die,
auch aufgrund solcher Projekte
wie seinen eigenen in Vergessenheit zu geraten drohten.
„Die Leute von Chuyma Aru
haben uns an all das wieder erinnert“, heißt es eine gute Autostunde entfernt vom Titicacasee in
Suyu, nachdem das übliche Ritual
mit Kokablättern, Schnaps und einem billigen Wein das Gespräch
mit einer Gruppe vor allem älterer
Männer und vieler Frauen eröffnet hat. Anfangs seien sie sehr
skeptisch gewesen. Aber nun seien sie zufrieden. Sie hätten andere Sorten Kartoffeln angepflanzt,
die sie von Chuyma Aru erhielten,
9-2014 |
peru welt-blicke
Solche Rituale fördern nicht nur
die Rücksicht auf die Natur und
ihre komplexen Mechanismen,
sondern auch den Zusammenhalt
der Gemeinde. Der ist nötig, damit
nicht einer das kaputt macht, was
die anderen schützen möchten.
Und Geld für ihre Arbeit zu fordern, wie in manchen Gemeinden,
in denen Chuyma Aru deshalb erst
einmal die Arbeit ruhen lässt – auf
ne Zeit. Fische wollen sie keine
aussetzen. Da kämen sofort die
Vögel und würden alles auffressen, heißt es. So ganz vertraut sind
sie in Suyu noch nicht wieder mit
der traditionellen Agrarkultur, die
darauf setzt, dass alle genug zu essen haben und deshalb eine Furche des Ackers für die wilden Tiere
reserviert. Aber dass die Natur ein
Geschenk ist, das es zu schützen
gilt, und keine Ressource, um sie
auszubeuten, wissen sie auch hier.
Von oben über dem Dorf, wo es
Goldvorkommen geben soll, führt
ein Erdkanal ein paar Kilometer
weiter in die Nachbargemeinde.
Ob sie eine Entschädigung dafür
bekommen, dass Nachbarn sich
aus ihren Wasserquellen bedienen? „Wieso? Wasser ist Leben. Das
diese Idee kämen sie hier nicht
mehr, sagen sie. Was sie bekommen haben, sind guter Rat, Spitzhacken, Schaufeln und Schubkarren. Mit deren Hilfe haben die
Bauern und Bäuerinnen schon
zehn kleine Felder mit Steinwällen
eingefriedet; 40 sollen es werden.
Auch zehn kleine Tümpel zeigen die Bauern an den Hängen
über dem Dorf. Heilpflanzen sind
dort noch ebenso wenig zu sehen
wie Frösche, aber das braucht sei-
kann man nicht verkaufen.“ Noch
ist nicht entschieden, was mit
dem Gold geschehen soll. Einige
der Jugendlichen möchten lieber
in der Stadt leben als auf dem
Land als Bauern. Sie hoffen auf einen Arbeitsplatz, falls der Bergbau
in Suyu aufgenommen wird. „Gold
kann man nicht essen“, sagen dagegen die anderen. Zwar bringe es
heute ein Einkommen – aber den
künftigen Generationen möglicherweise nicht. und gute Erfahrungen damit gemacht. Und sie hätten sich entschieden, ganz auf biologischen
Anbau umzustellen. Vor jeder Gemeinschaftsaktion werde Mutter
Erde um Erlaubnis und Unterstützung gebeten.
Wasser ist Leben – das kann
man nicht verkaufen
| 9-2014
Der See und der Müll
Drei große Gefahren bedrohen die Natur und die
Lebensgrundlagen der Bauernfamilien an den
Ufern und in den Bergen rund um den knapp
4000 Meter hoch gelegenen Titicacasee im bolivianisch-peruanischen Grenzgebiet.
Bergbau: Beim Abbau von Gold wird Quecksilber eingesetzt, das Flüsse und See vergiftet. Die
wachsende Nachfrage nach Rohstoffen hat außerdem dazu geführt, dass ganze Berge abgetragen
werden, um Vorkommen auszubeuten, die früher
aufgrund zu geringer Erzanteile uninteressant
waren. Die Bergbau-Betriebe schaffen nur wenige
Arbeitsplätze für die Einheimischen. Sie benötigen große Mengen Wasser, das in den Hochanden
knapp ist. Flüsse werden umgeleitet und verschmutzt. Acker- oder Weideflächen gehen verloren. Auch die Prostitution von Jugendlichen im
Umfeld der Bergleute haben Bauerngemeinden
dazu gebracht, gegen die Erteilung neuer Konzessionen im Süden Perus zu protestieren.
Verstädterung und Tourismus: Die Abwanderung vieler Menschen aus den Dörfern und das
Bevölkerungswachstum überfordern die Entwicklung von Städten wie Puno. Sie produzieren immer mehr Müll und leiten Abwässer ungeklärt in
den Titicacasee ein. In Ufernähe werden Hotels
gebaut. Sie bieten den Dorfbewohnern nur wenige
Arbeitsmöglichkeiten, nehmen aber Ackerland in
Anspruch und verschmutzen die Umwelt.
Klimawandel: Die Erderwärmung führt dazu,
dass die Gletscher der Hochanden langfristig abschmelzen. Sie bilden das Wasserreservoir für
Städte und Dörfer in der Trockenzeit. Die weniger
als 5100 Meter hohen Gletscher in Peru sind bereits alle verschwunden, die zwischen 5100 und
5400 Meter gelegenen sind seit 1970 jährlich im
Durchschnitt um 1,35 Zentimeter abgeschmolzen,
bei den höhergelegenen geht es etwas langsamer.
Wassermangel gefährdet die Artenvielfalt. Eine
weitere Folge des Klimawandels sind längere Trockenphasen, vermehrter Hagel und sturzbachartige Regenfälle, die sich immer weniger an die gewohnten jahreszeitlichen Rhythmen halten. (ps)
Peter Strack
ist Koordinator des Südamerika-Büros
von terre des hommes Deutschland.
45
46
welt-blicke brasilien
Die Stadt
der Mädchen
Die Prostituierten im größten Rotlichtviertel von Rio de Janeiro sind schon
häufig vertrieben worden. Zuletzt sollten sie einem neuen Schnellzug
weichen. Doch ein junger Architekt hat das Viertel entdeckt und schmiedet
mit den Frauen neue Pläne.
Text und Fotos: Hanna Silbermayr
A
m Nachmittag ist die Sotero dos Reis-Straße noch
feucht vom Regen der
Nacht. Der beißende Geruch nach
Alkohol und Urin liegt in der Luft.
Auf den Gehsteigen sammeln sich
Müllberge, dröhnende Musik beschallt die Umgebung. In den Bars
sitzen die Frauen leicht bekleidet
auf den Terrassen und warten auf
Kunden. Vila Mimosa ist das größte und älteste Prostituiertenviertel von Rio de Janeiro. 1500 Frauen
arbeiten hier in Schichten und
bieten mindestens doppelt so vielen Männern täglich ihre Dienste
an.
Das Viertel hat Tradition, doch
Politik und Gesellschaft würden
seine Existenz am liebsten leugnen. In der Vergangenheit wurden
die Sexarbeiterinnen immer wieder von ihren angestammten
Plätzen vertrieben. 1996 mussten
die Bordelle in der Nähe des Zentrums von Rio de Janeiro einem
hochmodernen Telekommunikationszentrum weichen.
Damals fanden die Frauen in
einem alten Industrieviertel zwischen zwei Eisenbahnstrecken einen neuen Ort für ihre Arbeit. Vier
Straßen umfasst die Vila Mimosa
heute, inzwischen hat sie sich zu
einem Mikrokosmos aus Bordellen, Bars, Verkaufsständen und
kleinen Wohnhäusern entwickelt.
Zuletzt drohte ein großes Verkehrsprojekt: Ein Schnellzug zwi-
schen Rio de Janeiro und São Paulo sollte direkt durch das Viertel
führen. Doch die Frauen der Vila
Mimosa haben andere Pläne.
In der Ceará-Straße, nur wenige Meter von den Bars entfernt,
steht zwischen Motorradwerkstätten und Rockclubs ein unscheinbares Gebäude. Seit 20 Jahren arbeitet Cleide Almeida hier, ihre
Gäste empfängt sie in einem der
provisorisch eingerichteten Unterrichtsräume. Die 50-Jährige ist
Sozialarbeiterin bei AMOCAVIM,
der Interessenvertretung der Sexarbeiterinnen der Vila Mimosa.
Die energiegeladene Frau mit rot
gefärbtem Haar und blau lackierten Fingernägeln kennt die Vila
Mimosa wie ihre eigene Westentasche.
Viele bleiben im Viertel hängen
Der Name des Viertels steht für
24-Stunden-Betrieb und billigen
Sex. Umgerechnet zehn Euro kostet eine halbe Stunde Programm.
Viel weniger als an der zehn Kilometer weit entfernten Copacabana. Vor allem Frauen aus armen
Vororten kommen zum Arbeiten
in die Vila Mimosa. Viele hätten
sich von ihren Partnern getrennt
und müssten plötzlich das Geld
für die Kinder alleine aufbringen,
sagt Almeida. „Sie kommen mit
der Idee, vorübergehend hier zu
arbeiten. Ein Großteil aber bleibt
in der Vila Mimosa hängen.“
Cleide Almeida ist in dem Rotlichtviertel groß geworden. Der
Vater war Alkoholiker, schlug die
Mutter immer wieder. Als Cleide
sieben Jahre alt war, verließ die
Mutter mit den zehn Kindern den
gewalttätigen Mann und begann
zuerst als Schneiderin, später als
Köchin in der Vila Mimosa zu arbeiten. „Mit 18 habe ich den Verkaufsstand übernommen“, sagt
Cleide Almeida. In der Prostitution gearbeitet hat sie nie. Doch sie
kennt die Frauen des Viertels, ihre
Schicksale und Sorgen.
Als die Sexarbeiterinnen 1996
umziehen mussten, ging sie mit
und begann, für AMOCAVIM zu
9-2014 |
brasilien welt-blicke
Ursprünglich wollte Guilherme
die Ceará- Straße neu gestalten. Je
länger er sich aber mit deren Umgebung beschäftigte, umso deutlicher wurde ihm, dass in dem Viertel etwas anderes gebraucht wird.
„Ich habe mich damals mit vielen Prostituierten unterhalten“,
sagt er. Der heute 36-Jährige wollte herausfinden, welche Bedürfnisse diese Frauen, die von Politik
und Gesellschaft verachtet werden, wirklich hatten. „Ich wollte
etwas erschaffen, das ihnen das
Überleben in der Vila Mimosa erleichtert und sie näher an die Gesellschaft rückt.“ Es war der Beginn der „Cidade das Meninas“,
der Stadt der Mädchen.
Platz zum Lernen und Wachsen
Die Sozialarbeiterin Cleide
Almeida (links)
und Guilherme
Ripardo (rechts),
ein Architekt,
wollen das
Leben der Sexarbeiterinnen in
der Vila Mimosa
schöner und
leichter machen
– ein Modell
dafür gibt es
schon (oben).
Hanna Silbermayr
ist freie Journalistin aus Österreich.
Sie berichtet für deutschsprachige
Zeitungen und Magazine über und aus
Lateinamerika
| 9-2014
arbeiten. Cleide Almeida koordiniert die Sozial- und Gesundheitsprojekte der Organisation. Viele
der Frauen wollten aus der Prostitution aussteigen, sagt sie. Dazu
gebe es nur einen Weg: Bildung.
Genau darauf setzt AMOCAVIM
und steht dabei vor allem für eines: Selbstermächtigung.
Das erkannte auch Guilherme
Ripardo, als er 2005 ein Thema für
seine Abschlussarbeit suchte. Der
Architekturstudent schlug sich
die Wochenenden in den Rockbars der Ceará-Straße um die Ohren. „Dass sich gleich nebenan ein
Prostituiertenviertel befindet, war
mir lange nicht bewusst“, sagt er.
Ripardo klappt sein Notebook auf
und zeigt auf eine Zeichnung, auf
der zwei Frauenkörper abgebildet
sind. Einer ausgestreckt, die Arme
über dem Kopf, die Beine gespreizt.
Der andere zusammengerollt, in
Embryonalstellung. „Die meisten
Prostituierten sind zugleich Mutter und Sexarbeiterin“, sagt er. Dieser doppelten Rolle will er gerecht
werden. Er will die Gebäude, in denen sie sich aufhalten und arbeiten, freundlicher und einladender
machen. Unzählige Stunden verbrachte er mit Cleide Almeida. „Es
ging vor allem um eines: Wie soll
die Zukunft aussehen?“, sagt sie.
Das Ergebnis der gemeinsamen
Arbeit überzeugt sie.
Die Gebäude in Anordnung
der beiden Frauenkörper, die Ripardo entworfen hat, bieten Platz
für eine Vielzahl an Aktivitäten
außerhalb der Prostitution. „Hüfte und Beine der sich hingebenden Frau können für Präsentationen und Veranstaltungen verwendet werden“, erklärt er. Aus hellem
und transparentem Material soll
dieser Teil sein, nicht abgeschottet vom Rest der Welt. Die Frauen
der Vila Mimosa wollen ihn für
eine Ausstellung über die Geschichte der Prostitution in Brasilien und ihrem Viertel nutzen.
Kopf und Arme könnten das Weiterbildungszentrum beherbergen.
Die andere Figur, die für die
Rolle der Mutter steht, hat einen
intimeren Charakter. Viele Prostituierte nehmen ihre Kinder zur
Arbeit mit und geben sie in einer
Art Kinderkrippe ab. Die soll nun
im Schoß des zusammengerollten
Frauenkörpers unterkommen. „Es
muss einen organisierten, geschützten Raum für diese Kinder
geben“, erklärt Ripardo. Der Bereich des Kopfes widmet sich dem
Wohlergehen der Frauen selbst:
ihrer Gesundheit. Hier soll der
Arzt, der schon heute ehrenamtlich Untersuchungen anbietet,
seinen Platz haben.
Bis jetzt ist das Projekt nur ein
Traum. Cleide Almeida hat eine
Zeit lang gemeinsam mit Guilherme Ripardo nach Geldgebern gesucht. Doch keine politische Institution zeigte Interesse. Nur wenige Politiker engagieren sich für
eine ausgegrenzte Gruppe wie die
Prostituierten. „Das würde für sie
das Ende ihrer Karriere bedeuten“,
räumt Cleide Almeida ein, die ein
großes Netz von Kontakten hat.
Inzwischen scheint es zumindest, als hätte sich die Regierung
von dem Schnellzug zwischen Rio
de Janeiro und São Paulo verabschiedet. Der Baubeginn wurde
mehrfach verschoben, zuerst auf
das Jahr 2016, wenn in Rio de
Janeiro die Olympischen Spiele
ausgetragen werden, dann auf
2020. Konkrete Informationen,
wie es damit weitergeht, gibt es
nicht. Cleide Almeida ist aber zuversichtlich, dass sie nicht um das
Weiterbestehen der Vila Mimosa
am jetzigen Ort kämpfen muss.
Noch vor der Fußball-Weltmeisterschaft hat sich außerdem
eine Firma mit Sitz in London bei
ihr gemeldet, die Projekte im Bereich Museen und Ausstellungen
entwickelt und umsetzt. Sie wollte
mehr über die „Stadt der Mädchen“ erfahren und lässt – wie sie
auf eine schriftliche Anfrage bekannt gibt – derzeit Finanzierungsmöglichkeiten prüfen. Für
die Sozialarbeiterin Cleide Almeida und den Architekten Guilherme Ripardo ist das ein erster Erfolg. Und wenn die „Stadt der
Mädchen“ Wirklichkeit wird, hätte
Cleide Almeida endlich Zeit, sich
voll und ganz auf Weiterbildungsprogramme zu konzentrieren –
damit die Prostituierten die Chance haben, aus ihrem Leben noch
mehr zu machen. 47
journal
südsudan
„Kiir und Machar sollten einer neuen Regierung nicht angehören“
Im Südsudan bemüht sich die Zivilgesellschaft um friedliche Konfliktlösungen
Seit dem vergangenen Dezember
tobt im Südsudan ein Bürgerkrieg.
Rebellen unter dem früheren Vizepräsidenten Riek Machar kämpfen
gegen Machthaber Salva Kiir. Rund
1,5 Millionen Menschen wurden
vertrieben, es droht eine Hungersnot. Moses Monday John, Direktor
der Friedensorganisation ONAD,
erklärt, warum er auf Dialog und
Versöhnung setzt.
Worin sehen Sie die Ursachen des
Konflikts?
Das Land hat eine lange und
bittere Geschichte der Marginalisierung hinter sich, und die Menschen wollen nicht von anderen
beherrscht werden. In der Auseinandersetzung zwischen Präsident
Salva Kiir und Vizepräsident Riek
Machar geht es um die Macht
und die Kontrolle der Ressourcen.
Der Konflikt erhielt eine ethnische Dimension, weil Kiir Dinka
ist, während Machar den Nuer angehört. Das aus der Guerilla SPLA
entstandene
südsudanesische
Militär besteht zu zwei Dritteln
aus Nuer, von denen nun viele für
Machar Partei ergriffen haben.
Wie hat die Zivilgesellschaft auf
die Kämpfe reagiert?
ONAD ist Teil des Netzwerks
„Bürger für Frieden und Gerechtigkeit“. Das Netzwerk hat eine Erklärung verabschiedet, in der es
seine Neutralität verkündete, einen Waffenstillstand, den freien
Zugang für humanitäre Hilfe sowie eine Beteiligung an dem Friedensprozess forderte. Kiir und
Machar haben sich beide bei einem Treffen Anfang Juni zu einem Friedensabkommen bereit
erklärt, das innerhalb von 60 Tagen zu einer Regierung der nationalen Einheit führen sollte. Seit
Anfang August wird erneut verhandelt. Das Netzwerk ist der Ansicht, Kiir und Machar sollten einer solchen Regierung nicht angehören. Stattdessen sollten sich
Technokraten und Akademiker
Moses Monday John ist Direktor der
Friedensorganisation Organisation
for Nonviolence and Development
(ONAD) in Juba, Südsudan.
Stephan Brües
daran beteiligen sowie Mitglieder
der inzwischen 20 Parteien im
Land.
Ihre Organisation wurde bereits
1994 in der sudanesischen Hauptstadt Khartum gegründet. Aus
welchem Anlass?
Viele Südsudanesen hatten
wegen des Bürgerkriegs ihre Heimat verlassen und wurden am
Rande von Khartum unter le-
bensfeindlichen
Bedingungen
angesiedelt. Viele von ihnen waren jung und fühlten sich an den
Rand gedrängt. Ihre Kultur, ihre
Sehnsüchte und Bedürfnisse wurden missachtet. Sie litten unter
den gewaltsamen Konflikten zwischen den Ethnien und Religionen. Die Gründer, junge Studenten, erkannten vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit, diese Konflikte anzugehen und für
einen gewaltfreien, friedlichen
und demokratischen Sudan einzutreten. Unsere Organisation
lehnt alle Formen der Gewalt ab
und wünscht sich ein Land, in
dem
soziale
Gerechtigkeit
herrscht. Nach der Unabhängigkeit des Südsudan verlegte ein
Teil der Organisation ihren Sitz
nach Juba, während die Arbeit im
Sudan weiter von Khartum aus
koordiniert wird.
Welche Wurzeln hat Ihre Arbeit?
Viele Gründer waren Christen,
und ihre Idee der Gewaltfreiheit
ist christlich geprägt. Dennoch ist
ONAD keine christliche Organisation, in ihr arbeiten auch Muslime und Menschen anderer Glaubensrichtungen. Wir richten uns
besonders an Jugendliche und
Frauen sowie an religiöse Führer
und die Führer der Gemeinschaften.
Wie arbeiten Sie?
Wir veranstalten einen dreitägigen Grundlagenkurs in Gewaltfreiheit und ein zehntägiges Training für Trainer. Auf diese Weise
erhalten wir einen Pool von Trainern, mit denen wir das Wissen
über gewaltfreie Konfliktbearbeitung weiter verbreiten können –
zum Beispiel, um Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und Bauern zu schlichten,
die oft in Gewalt umschlagen. Außerdem initiieren wir Treffen zwischen der Verwaltung und Bürgermeistern mit Vertretern der
Religionen, der Jugend, der Frauen und den traditionellen Führern, um Aktionspläne für eine
nachhaltige Entwicklung voranzubringen. In unserem Jugendprojekt bilden wir junge Leute in
Methoden der Gewaltfreiheit und
der Versöhnung aus. Die Jugendlichen kämpfen in Kriegen, für
die sie nicht verantwortlich sind.
Mit unser „Schule für Demokratie“ sollen sie in die Lage versetzt
werden, gewaltsame Konflikte in
Zukunft zu verhindern.
Wie kann die internationale Gemeinschaft helfen?
Mit ihren Schutzcamps für
Vertriebene macht die UN-Mission für Südsudan (UNMISS) eine
wichtige Arbeit. Das gilt auch für
ihre humanitäre, logistische und
technische Hilfe. Aber ich habe
starke Vorbehalte gegen militärische Interventionen. Denn die Erfahrung zeigt, dass das Militär
nicht mit den Menschen vor Ort
zusammenarbeitet. Genau das ist
aber notwendig, um einen Konflikt langfristig zu lösen.
Wolfgang Ammer
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Das Gespräch führte Stephan Brües.
Die Publikation wurde ermöglicht
durch Mittel von Brot für die Welt –
Evangelischer Entwicklungsdienst.
9-2014 |
journal
49
brics-entwicklungsbank
Eine neue Bank für den Süden
BRICS-Länder wollen eine Alternative zu Weltbank und IWF schaffen
Brasilien, Russland, Indien, China
und Südafrika (BRICS) haben auf
ihrem Gipfeltreffen im brasilianischen Fortaleza im Juli eine neue
Entwicklungsbank und eine Währungsreserve für Länder mit Zahlungsschwierigkeiten aus der Taufe gehoben. Fachleute orakeln nun,
ob diese Institutionen eine andere
Politik machen werden als Weltbank und Internationaler Währungsfonds.
Kaum war die Fußball-Weltmeisterschaft vorbei, hatte Brasiliens
Präsidentin Dilma Rousseff den
nächsten großen Auftritt auf der
internationalen Bühne. Beim
Gipfel der BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) in Fortaleza ging es jedoch
um ernstere Themen. Die aufstrebenden Schwellenländer machen
keinen Hehl daraus, dass die beschlossene
Entwicklungsbank
und die Währungsreserve eine
Reaktion auf die aus ihrer Sicht
unzureichende Reform von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) sind, in denen
sie gern mehr Mitsprache hätten.
Mit eigenen Institutionen wollen
die BRICS-Staaten nun ihren Einfluss auf die internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen
vergrößern.
Kritiker sehen keinen
­Unterschied zur Weltbank
Kritiker fürchten indes, dass die
BRICS-Bank und die geplante
Währungsreserve die gleiche Finanz- und Entwicklungspolitik
betreiben werden wie die von den
Industriestaaten dominierten IWF
und Weltbank – mit ähnlichen
oder sogar noch größeren schädlichen Folgen für Mensch und Umwelt. Vom parallel zum BRICS-Gipfel tagenden Gewerkschaftsforum
hieß es etwa, man fürchte ein Unterlaufen von Arbeitnehmerrechten.
Der Ökonom und Aktivist Patrick Bond aus Durban, der sich
für „BRICS von unten“ einsetzt,
kritisiert, die fünf Staaten befeuerten mit ihrem Handeln den
westlichen Kapitalismus mit all
seinen Auswüchsen. Als Beleg dafür wertet Bond die Tatsache, dass
die geplante Währungsreserve
krisengeschüttelte Länder ausgerechnet mit US-Dollar stabilisieren solle und die Kreditvergabe an
zum Teil identische Bedingungen
wie bei der Weltbank und dem
IWF geknüpft sein wird. Bond
fürchtet, dass die neue Entwicklungsbank vor allem Großprojekte von Konzernen der BRICS-Länder finanzieren wird.
Peter Wolff vom Deutschen
Institut für Entwicklungspolitik
(DIE) wertet es hingegen als erfreulich, dass es künftig neben
der Weltbank sowie den regionalen und nationalen Entwicklungsbanken ein weiteres internationales Finanzinstitut geben
wird. Das beschere den Nehmerländern zusätzliche Wahlmöglichkeiten – zum Beispiel in Bezug auf die Kreditbedingungen.
Inwieweit sich die Politik der
BRICS-Institutionen von der der
Weltbank und des IWF unterscheiden werde, sei noch nicht
absehbar, sagt Wolff.
Die BRICS sprechen in ihrer Erklärung von Fortaleza von „Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen“. Das klingt wie aus dem chinesischen Weißbuch zur Entwicklungshilfe, das nur wenige Tage
vor dem Gipfel herausgegeben
wurde. Soziale Entwicklung, der
Kampf gegen Armut und Ungleichheit sollen laut der BRICSErklärung eine wichtige Rolle
spielen.
Die Erklärung von Fortaleza
spricht zwar durchweg vom Ziel
einer „nachhaltigen und inklusiven Entwicklung“. Auf der anderen Seite ließen die fünf Staaten
keinen Zweifel an ihren entwicklungspolitischen Prioritäten: „Fossile Brennstoffe bleiben eine
Hauptquelle der Energieversor-
gung“, heißt es etwa in der Erklärung. Mit Blick auf den Klimaschutz sprechen sie weiter von
„gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortung“ zwischen
Industrie- und Entwicklungsländern. Unklar ist, an welche Umweltstandards die Finanzierung
von Projekten geknüpft wird. Über
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
haben die BRICS-Länder bislang
überhaupt nicht gesprochen.
Die neue Entwicklungsbank wird
ihre ersten Kredite voraussichtlich erst in mehreren Jahren auszahlen. Nach Ansicht von Peter
Wolff liegt der Fokus in der Debatte aber ohnehin zu stark auf den
Finanzen. Es gebe derzeit nicht zu
wenig Geld, sondern schlicht zu
wenig gute Projekte, die finanziert
werden könnten. Die Standards
der etablierten multilateralen
Entwicklungsbanken seien hoch.
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journal studien | berlin
Wolff glaubt nicht, dass die BRICSBank diese unterlaufen werde.
Während in der von Argentinien und Venezuela weiter propagierten Regionalbank für Südamerika (Banco del Sur) jedes Mitgliedsland die gleichen Rechte haben soll, ist die Dominanz der
BRICS in den Fortaleza-Institutio-
nen programmiert. Obwohl die
Entwicklungsbank allen Staaten
offen stehen soll, beanspruchen
die Gründer eine Mehrheit in den
Entscheidungsgremien.
Die Währungsreserve indes
steht zunächst nur den BRICSStaaten offen. China hält hier bereits jetzt mit Abstand den größ-
ten Anteil und wird beide Institutionen aufgrund seiner Finanzkraft mittelfristig ähnlich dominieren wie die USA den IWF und
die Weltbank; die neue Bank hat
ihren Hauptsitz folgerichtig in
Schanghai.
Die Parlamente aller BRICSStaaten müssen der Einrichtung
von Entwicklungsbank und Währungsreserve noch zustimmen.
Dann werden die Einzahlungen
fällig. Der Bank sollen die fünf
Staaten bis 2021 je 10 Milliarden
US-Dollar Eigenkapital bereitstellen. Die Währungsreserve soll 100
Milliarden erhalten, davon 41 Prozent von China.
Christoph Süß
gramm verteilt elektronische
Gutscheine an Flüchtlinge, mit
denen sie anstelle von Hilfspaketen selbst Lebensmittel und Hygieneartikel einkaufen können.
Es gehe nicht darum, dass der
Privatsektor die traditionelle humanitäre Hilfe ersetzt, betont Steven Zyck. Sie könnten sich jedoch
bestens ergänzen. Die Unternehmen stellten ihre technische Expertise und ihre Ressourcen bereit, die Hilfsorganisationen
wüssten, welche Form der Hilfe
gebraucht wird und wie man
Menschen in entlegenen Gebieten erreicht.
Auf dem Weg zu einer besseren Zusammenarbeit müssten allerdings einige Hindernisse überwunden werden, so die ODI-Wissenschaftler. Bislang tauschen
Unternehmen und Hilfsorganisationen sich kaum aus – was wohl
zum Teil daran liegt, dass beide
Seiten ein spezielles Vokabular
benutzen, das nicht von allen verstanden wird.
(gka)
studie
Geld verdienen mit der Not
In Krisen und Katastrophen Gewinne machen? Humanitären
Helfern dürften sich bei diesem
Gedanken die Nackenhaare sträuben. Zu Unrecht, sagt das britische Overseas Development Institute (ODI). Wenn private Firmen
Katastrophen und Konflikte als
Geschäftschance begreifen, helfen sie den Opfern mehr, als wenn
sie spenden, zeigt ein neuer Bericht der Denkfabrik und belegt
das unter anderem mit Beispielen aus Jordanien und Indonesien. „Die meisten Leute denken,
Philanthropie oder Formen der
verantwortungsvollen Unternehmensführung seien die besten
Wege, zu helfen. Aber das ist nicht
der Fall“, sagt der Autor des Berichts, Steven Zyck.
Unternehmen könnten in Krisen Dienstleistungen anbieten,
die stark nachgefragt werden,
und damit die Lage der Notleidenden erleichtern. Dazu zählten
Logistik,
Telekommunikation
und Systeme für Geldüberweisungen. Versicherungsunternehmen mildern die Folgen von Dürren und Wirbelstürmen in Afrika
und Asien, Banken sorgen dafür,
dass Katastrophenopfer schnell
an Bargeld kommen, heißt es in
dem Bericht. Nach den heftigen
Überschwemmungen in Indonesien Anfang 2013 hätten private
Firmen Nothilfe geleistet, indem
sie Güter und Personen transportierten.
Regionale Banken in Jordanien haben Zahlungssysteme eingerichtet, die es syrischen Flüchtlingen ermöglichen, finanzielle
Hilfen an Geldautomaten abzuheben – auf solche Hilfen setzt
etwa der Jordanische Rote Halbmond. Das Welternährungspro-
Steven A. Zyck, Randolph Kent
Humanitarian crises, emergency
preparedness and response: the role of
business and the private sector
Overseas Development Institute,
London 2014, 37 Seiten
www.odi.org
berlin
Keine Techno-Lösung für versteckten Hunger
Hilfswerke: Selbstversorgung in den betroffenen Ländern stärken
Zwei Milliarden Menschen weltweit sind mangelernährt, das
heißt es fehlt ihnen an wichtigen
Nährstoffen. Angereicherte Lebensmittel können in der Not helfen, lösen das Problem aber nicht,
erklärt eine Studie der beiden
Hilfsorganisationen terre des
hommes und Welthungerhilfe.
Die Zahl unterernährter Menschen schrumpft. Die Welternäh-
rungsorganisation FAO schätzt sie
auf 842 Millionen weltweit. Aber
diese Zahl täuscht darüber hinweg, dass etwa zwei Milliarden
Menschen unter so genanntem
verstecktem Hunger leiden: dem
Mangel an Mikronährstoffen, also
lebensnotwendigen Vitaminen,
Mineralstoffen und Spurenelementen. Die möglichen Folgen
sind schwere Erkrankungen und
ein geschwächtes Immunsystem.
Vor allem in Afrika, Süd- und
Zentralasien sei die Ernährung oft
einseitig. So essen die Menschen
in Teilen Afrikas oft nur Maisbrei.
Sie werden dadurch zwar satt,
aber es fehlt an lebenswichtigen
Vitaminen. Viele können sich Obst
und Gemüse sowie hin und wieder Eier, Milch, Fisch und Fleisch
nicht leisten – Lebensmittel, die
notwendig wären, um den Nährstoffmangel auszugleichen.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sterben jedes
Jahr zwischen 300.000 und
700.000 Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, die zum Beispiel auf den Mangel an VitaminA und Zink zurückgehen. Weitere
300.000 Kinder erblinden. Daher
empfiehlt etwa das medizinische
Wissenschaftsmagazin „Lancet“,
gezielt Mütter und Kinder mit
Mikronährstoffen zu versorgen.
9-2014 |
berlin journal
bensphasen wie der Schwangerschaft notwendig, angereicherte
Lebensmittel zur Verfügung zu
stellen. Das allein sei aber keine
dauerhafte Lösung. Mangelernährung bleibe Ausdruck des Versagens von Ernährungssystemen.
Der „Goldene Reis“ hat weniger
Erträge erbracht
UN-Hilfsorganisationen verteilen nach dem Erdbeben
2010 im haitianischen Port-au-Prince angereicherte
Lebensmittel für Schwangere und Kleinkinder.
Sophia Paris/Un Photo
Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, hält
die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln prinzipiell für einen
praktikablen Behelf – jedoch mit
Einschränkungen. Sie sollte je
nach Bedürfnis der einzelnen Länder gesetzlich reguliert werden. In
Sambia etwa werde Mais per Gesetz mit Vitamin A und D angereichert. Auch sei es in Nothilfesituationen und in bestimmten Le-
„Durch die Nahrungsmittelanreicherung wird nur an den Symptomen des Hungers herumgedoktert“, kritisiert auch die Vorstandsvorsitzende von terre des hommes,
Danuta Sacher. Deshalb warnen
die beiden Organisationen in ihrer
Studie, die Anreicherung von Lebensmitteln dürften nicht einseitig zulasten von Maßnahmen gegen strukturelle Ursachen von
Mangelernährung gefördert werden. Mit Mitteln der Entwicklungszuammenarbeit
sollten
nicht industrielle Produkte, sondern die Selbstversorgung und die
Landwirtschaft in Ländern mit
chronischer Mangelernährung gefördert werden. So werde im indischen Kalkutta ein Rezept aus Reis,
Weizen und Gemüse getestet, das
bei Kindern erfolgreich eine Gewichtszunahme bewirkt habe.
Zudem bezweifeln die Welthungerhilfe und terre des
hommes teilweise den Nutzen angereicherter oder technisch veränderter Lebensmittel. So wies Jamann darauf hin, dass der gentechnisch mit Betacarotin angereicherte „Goldene Reis“ gegen
Vitamin-A-Mangel bei Feldversuchen niedrigere Erträge als herkömmliche Sorten erbracht habe.
Fraglich sei auch, ob mangelernährte Körper das Betacarotin
überhaupt wie vorgesehen umwandeln könnten. Auch eine mit
Geldern der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung entwickelte gentechnisch veränderte Banane, die einen erhöhten Vitamin-A-Gehalt
aufweist, steht erst kurz vor dem
entscheidenden Test. Marina Zapf
berlin
Mehr Freiheit, weniger Fairness?
Vertreter des fairen Handels kritisieren die Pläne für neue Freihandelsverträge
Vertreter des Fairen Handels in
Deutschland fürchten, dass Fortschritte zu gerechteren Produktionsbedingungen von dem geplanten Freihandelsabkommen (TTIP)
zwischen der Europäischen Union
und den USA torpediert werden
könnten.
Eine wachsende Zahl von Kleinbauern und Arbeitern in armen
Ländern profitiere vom zunehmenden Vertrauen der Verbraucher in fair gehandelte Produkte,
hieß es am 5. August in Berlin bei
der Jahrespressekonferenz des Forums Fairer Handel. Ihre Lebensund Arbeitsbedingungen hätten
sich stark verbessert. TTIP werde
sich jedoch „negativ auf die Handelsbeziehungen zu den Ländern
des Globalen Südens auswirken
und Kleinproduzenten unter
Druck setzen“. Die Deutschen haben laut dem Forum im vergange-
| 9-2014
nen Jahr fair gehandelte Produkte
für insgesamt 784 Millionen Euro
gekauft, 21 Prozent mehr als im
Vorjahr. In vier Jahren habe sich
der Umsatz mit fairen Waren verdoppelt. Über den Anteil fairer
Produkte am Gesamtkonsum
kann die Dachorganisation keine
Angaben machen. Das lasse sich
lediglich für Kaffee sagen, hier
greifen rund drei Prozent der Konsumenten in Deutschland zu fair
gehandelten Bohnen.
Der wachsende Markt zeige,
dass Menschen sich zunehmend
über Produktionsbedingungen Gedanken machen. „Die Konsumentscheidung einzelner hat Auswirkungen“, sagte der Geschäftsführer
des Forums Fairer Handel, Manuel
Blendin. Gleichzeitig brauche es
bessere politische Rahmenbedingungen, um den Welthandel gerechter zu machen. Durch den Abschluss von immer mehr bilatera-
len Freihandelsabkommen drohten jedoch soziale und ökologische
Mindeststandards zu verwässern.
Solche Abkommen förderten zudem die Industrialisierung der
Landwirtschaft.
Fairer Kaffee ist bei den
­Deutschen besonders beliebt
TTIP gefährde vor allem Agrarproduzenten in Entwicklungsländern,
fürchten die Vertreter des fairen
Handels. Darauf deuteten bereits
Prognosen der EU-Kommission
hin. So könnten etwa billige Baumwolle aus den USA oder Zucker aus
der EU die Existenz von Kleinbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika bedrohen. Laut Informationen könnten gerade die Umbruchländer Nordafrikas durch
TTIP fünf Prozent ihres Außenhandels mit der EU einbüßen. „Ein
präferenzieller Marktzugang zur
EU wird gegenstandslos, wenn
große Handelsteilnehmer in den
USA auf einmal dieselben Präferenzen bekommen“, kritisierte der
Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung, Jürgen Maier.
Insgesamt 57 anerkannte FairHandels-Importeure des Forums
beziehen Produkte von mehr als
780 Handelspartnern; mehr als
ein Drittel davon kommt aus Asien. Lebensmittel machen mit drei
Vierteln weiter den größten Anteil
am Absatz aus, zwei Drittel davon
sind biozertifiziert. Neben Kaffee
mit 36 Prozent sind die absatzstärksten Produktkategorien Klassiker wie das Kunsthandwerk (18,5
Prozent) sowie Kakao und Schokolade (13 Prozent). Textilien haben
mit fünf Prozent dagegen noch
immer einen kleinen Anteil. Mengenmäßig sind Südfrüchte die
Spitzenreiter mit 35.000 Tonnen
im vergangenen Jahr und einem
51
52
journal berlin
Zuwachs von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Wichtigster Vertriebsweg im
Einzelhandel sind nach wie vor die
Weltläden. Zugleich nimmt die
Gastronomie inzwischen ein Drittel mehr Produkte ab als 2012. Der
Umsatz im Online-Handel habe
sich sogar verdoppelt, sagte Geschäftsführer Blendin. Vertrauen
schaffe auch das neue Zeichen der
World Fair Trade Organisation
(WFTO). Mit mehr als 400 Organisationen in über 70 Ländern, die
sich ausschließlich dem Fairen
Handel verschrieben haben, sorge
es seit dem vergangenen Jahr mit
einem Monitoringsystem für
mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit.
Marina Zapf
berlin
Die Krisenanfälligkeit verringern
Die Vereinten Nationen fordern mehr und bessere soziale Sicherung
In den vergangenen Jahrzehnten
sind weltweit die Lebenserwartung und die Einkommen gestiegen, der Zugang zu Bildung wurde
verbessert. Doch solche Fortschritte sind bedroht, stellt der diesjährige UN-Bericht über die menschliche Entwicklung fest.
Naturkatastrophen, Konflikte als
Folge politischen Scheiterns,
Flüchtlingsströme und zunehmende Ungleichheit sorgen dafür,
dass sich das Wohlergehen der
Menschen in fast allen Weltregionen seit 2008 langsamer verbessert als früher. Ein Fünftel der
Weltbevölkerung lebt in von Konflikten betroffenen Ländern, 1,2
Milliarden Menschen müssen mit
1,25 US-Dollar oder weniger am
Tag auskommen.
Doch das ist nicht das ganze
Bild: Laut dem Index für mehrdimensionale Armut (Multidimensional Poverty Index, MPI), der
neben dem Einkommen Indikatoren wie Zugang zu Nahrung, medizinischer Vorsorge und Bildung
abbildet, sind fast 1,5 Milliarden
Menschen in 91 erfassten Ländern
arm. Und für 800 Millionen Menschen, die der Armut entkommen
seien, bestehe die Gefahr, aufgrund von Rückschlägen wie stark
schwankenden Nahrungsmittelpreisen wieder zu verarmen.
Die Widerstandskraft verletzlicher Bevölkerungsgruppen gegen Finanz- und Wirtschaftskrisen, Bürgerkriege sowie Extremwetter wie Dürren und Fluten
müsse gestärkt werden. So hätten
vier von fünf der älteren Menschen auf der Welt keine soziale
Sicherung. Besondere Phasen der
Verwundbarkeit identifizieren die
Autoren des UN-Berichts in den
ersten drei Lebensjahren und
beim Übergang von der Schule in
den Beruf sowie vom Beruf in den
Ruhestand.
Die UN machen praktische
Vorschläge, wie die Krisenanfälligkeit verringert werden kann,
etwa mittels einer sozialen
Grundversorgung wie Renten-,
Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Sie plädieren außerdem
dafür, Vollbeschäftigung als übergeordnetes Ziel der Wirtschaftspolitik festzuschreiben – so wie in
den 1950er und 1960er Jahren.
Soziale Stabilität und gesellschaftlicher Zusammenhalt seien
im Interesse aller Regierungen. In
Entwicklungsländern müsse es
vorrangig darum gehen, Jobs im
informellen Sektor aus dieser
Schattenwirtschaft herauszuholen. Langfristiges Ziel müsse der
Übergang von der Landwirtschaft
zu Industrie und Dienstleistungen sein.
Eine Grundsicherung für die
Armen würde weltweit nicht mehr
als zwei Prozent der globalen
Wirtschaftsleistung kosten, argu-
Weiße Männer erklären die Welt
Wenn in Fachzeitschriften für Entwicklungsfragen politische Lösungen für die Probleme armer
Länder diskutiert werden, kommen dabei nur selten Wissenschaftler aus diesen Ländern zu Wort.
Das ergab eine Auswertung von zehn führenden
Zeitschriften für Entwicklungszusammenarbeit,
darunter „World Development“, „The Journal of
Development Studies“ und „Third World Quarterly“ über drei Jahre. Nur bei knapp jedem siebten
der 1894 erfassten Artikel (14,5 Prozent) waren Experten aus Entwicklungsländern als Autoren oder
Co-Autoren beteiligt, schreibt die Wissensmanagerin Sarah Cumming in ihrer Studie. Von rund
2500 Autoren kamen mehr als 1000 aus England
und den USA (43,4 Prozent), aus Deutschland 99.
Noch geringer ist der Anteil der Untersuchung
zufolge unter den wissenschaftlichen Beiräten,
die für die Auswahl und Bearbeitung der Artikel
zuständig sind. Nur sieben Prozent der Herausgeber stammen demnach von Institutionen in Entwicklungsländern. Auch bei der Geschlechterverteilung ist es mit der oft geforderten Gleichberechtigung nicht weit her: Im Schnitt sind nur
knapp ein Drittel der Herausgeber Frauen, in einem Fall sogar nur acht Prozent. Den eigenen Ansprüchen werden die Zeitschriften damit wohl
kaum gerecht. Wie sich die einseitige Autorenschaft jedoch auf die entwicklungspolitische Praxis auswirkt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
(sdr)
mentieren die UN-Fachleute. Sie
sei nicht nur für reiche Länder erschwinglich: So hätten Länder wie
Korea oder Costa Rica mit dem
Aufbau einer Sozialsicherung begonnen, als ihre Wirtschaftskraft
pro Kopf noch niedriger war als
derzeit in Indien und Pakistan.
Kostenschätzungen für zwölf afrikanische und asiatische Länder
zeigten, dass etwa in Burkina Faso
weniger als vier Prozent der Wirtschaftsleistung in eine Grundsicherung investiert werden müssten.
Anlass zu Optimismus gibt
dem Bericht zufolge, dass der Abstand zwischen den Ländergruppen mit höherer und niedriger
menschlicher Entwicklung kleiner
wird, obwohl die Annäherung seit
2008 langsamer vorangeht. Den
Index für menschliche Entwicklung führen weiterhin Norwegen,
Australien, die Schweiz, die Niederlande, die USA sowie Deutschland auf Platz 6 an. Schlusslichter
sind unverändert Sierra Leone,
der Tschad, die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische
Republik Kongo und der Niger.
Besorgniserregend sei, dass
sich das Einkommensgefälle in
mehreren Regionen verschärft
habe, darunter Lateinamerika
und die Karibik. Die Ungleichheit
wächst aber auch in Industrieländern. In Bezug auf Ungleichheiten beim Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung sowie beim Einkommen fallen drei reiche Länder
aus den Top 20 heraus: die USA
von Rang 5 auf 28, Südkorea von 15
auf 35, Japan von Rang 17 auf 23.
Deutschlands Position hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht geändert.
Marina Zapf
9-2014 |
brüssel journal
brüssel
Streit um Saatgut
Die EU-Kommission will den Handel neu regeln – mit Folgen für die ganze Welt
Noch in diesem Jahr will die EUKommission den Handel mit Pflanzen und Saatgut neu regeln. Im
März hatte das EU-Parlament einen ersten Entwurf nach Protesten
von Bauern-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Mehr als 70 EU-Vorschriften regeln den Handel mit Saatgut in
Europa, dazu kommen noch mehr
verschiedene nationale Bestimmungen. Gewachsen ist das über
Jahrzehnte zu einem Filz, auf dem
die Marktherrschaft einer Handvoll Großfirmen prächtig gedeiht.
In der EU kontrollieren fünf Konzerne fast 95 Prozent des kommerziellen Saatguts. Nachdem der
Europäische Gerichtshof 2012 der
Klage eines französischen Saatgutherstellers wegen Widersprüchen in diesem Regeldickicht
stattgegeben hatte, geriet die
Kommission in Zugzwang, eine
sich schon Jahre hinschleppende
Reform voranzubringen.
Die Klage des französischen
Großhändlers richtete sich gegen
eine kleine franko-belgische Biobauern-Kooperative, die traditionelle, nicht registrierte und somit
in der EU illegale Saaten kostenlos
an Kleinbauern in Senegal und
Burkina Faso verteilt hatte. Die
Kommission legte daraufhin im
Mai des vorigen Jahres dem Ministerrat und dem EU-Parlament den
Entwurf einer Regelung vor, die
dergleichen nicht registrierten
Saatenaustausch
unterbinden
sollte – und zugleich die restlichen
fünf Prozent der nicht von Großkonzernen kontrollierten Saatguthersteller aus dem Markt zu drängen drohte. Denn die Vorlage der
Kommission hätte die unzähligen
Varianten lokaler und regionaler
Saaten den teuren Verfahren von
jährlich neuer Registrierung, mikrobiologischer Begutachtung und
Zertifizierung unterworfen.
Bauern-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen
aus
| 9-2014
ganz Europa protestierten gegen
den Entwurf. Ende 2013 unterstützten mehr als eine Viertelmillion Menschen einen ersten Aufruf für eine Eingabe an das EUParlament; weitere solcher Aufrufe folgten. Der Agrarausschuss im
Parlament, der der Kommission
gewöhnlich recht freundlich gesonnen ist, sprach sich daraufhin
im Januar dieses Jahres gegen die
Vorlage aus und versuchte mit
Änderungsanträgen einige der
ärgsten Mängel zu korrigieren.
Als Agrarkommissar Dacian Ciolos in der Plenardebatte Anfang
März alle Änderungen ablehnte,
stimmte das Parlament mit 650
zu 15 Stimmen – und damit so
deutlich wie fast nie – gegen den
Entwurf der Kommission.
Inzwischen ist das Parlament
neu gewählt, die amtierende Kommission wird im Oktober abtreten.
Die Neuregelung des Saatguthandels ist damit allerdings nicht
vom Tisch. Die lückenlose Erfassung des Saatguts ist notwendig
für das Geschäft mit dem geistigen Eigentum, etwa an Hybridsorten und an genveränderten Organismen, das immer mehr zum
Kern der Handels- und Entwicklungspolitik der EU wird. Der Ausgang des Verfahrens wird auch für
die übrige Welt Folgen haben: 60
Prozent des weltweit gehandelten
Saatguts kommen aus der Europäischen Union.
Heimo Claasen
brüssel
Endloser EPA-Endspurt
Brüssel schließt Abkommen mit Afrikas wichtigsten Regionen
Die EU-Kommission bemüht sich, vor Jahresende wenigsten zwei sogenannte wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (EPA) mit Afrika zu schließen. Beide Seiten mussten dafür Zugeständnisse machen.
Am 10. Juli erklärten sich die Chefs der 15 Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS sowie
Mauretanien bereit, das in fast zehn Jahren mit der EUKommission ausgehandelte Wirtschaftsabkommen zu
unterzeichnen. Allerdings ist der Text offenbar noch nicht
ganz fertig; die Juristen und Übersetzer in den Kommissionen von EU und ECOWAS feilen noch an den Feinheiten.
Zudem ist es noch nicht das „umfassende“ Abkommen,
Wein aus Südafrika ist in Europa beliebt und darf bald in
größeren Mengen zollfrei eingeführt werden.
Alexander Joe/Afp/Getty Images
das die EU-Kommission tags darauf feierte: Geregelt ist vorerst nur
der Warenhandel, inklusive einer
Verpflichtung, binnen sechs Monaten nach dem Inkrafttreten
über weitere Bereiche zu verhandeln, darunter Dienstleistungen
und Zugang zum Finanzmarkt, öffentliche Beschaffungen, Schutz
von geistigem Eigentum und von
Investitionen.
Es war Eile geboten und sicherheitshalber hatte die ECOWASKommission schon Ende Juni bei
der
Welthandelsorganisation
(WTO) das Abkommen angemeldet: Mindestens zwei der westafrikanischen Staaten, Ghana und die
Elfenbeinküste, die nicht mehr zu
den ärmsten Ländern zählen, würden ab Oktober ihre Vorzugstarife
beim Export nach Europa verlieren, weil dann die Ausnahmeregeln der WTO enden.
In zwei Verhandlungsrunden
Anfang des Jahres hatten die Westafrikaner erreicht, dass die EU ihre
Forderung auf Marktöffnung von
85 Prozent auf 75 Prozent des Warenhandels senkte. Brüssel willigte zudem ein, dass Westafrika für
einige sensible Agrargüter weiter
53
54
journal brüssel | schweiz
Schutzzölle erheben darf. Auch die
Zusage der EU über Handelshilfen
in Höhe von 6,5 Milliarden Euro
für die Jahre 2015 bis 2020 war sicher hilfreich, wenngleich das Abkommen dieses Geld nicht ausdrücklich als „zusätzlich“ zu den
Mitteln für Westafrika aus dem
Europäischen Entwicklungsfonds
(EEF) festschreibt, wie das die ECOWAS ursprünglich wollte. Die UNWirtschaftskommission für Afrika
hatte berechnet, dass das Abkommen die ECOWAS-Länder durch
den Wegfall von Zolleinnahmen
im selben Zeitraum acht Milliarden Euro kosten wird. Entscheidend für die Zustimmung der
ECOWAS-Chefs war schließlich
auch die Zusicherung Brüssels, die
Militäreinsätze der ECOWAS in
Mali und Niger zu finanzieren.
Zivilgesellschaftliche Organisationen der Region, von Kirchen
über Gewerkschafts-, Bauern- bis
sogar zu Handelsverbänden, sind
indes empört über die Zustimmung ihrer Regierungen zu dem
EPA. Das Economic Justice Network in Ghana befürchtet, dass
dem Abkommen der industrielle
Sektor in Westafrika geopfert werde: Die für Importe aus der EU
freigegebenen Bereiche wie Textil,
Aluminium, Zement oder Metallverarbeitung seien „entscheidend
für die industrielle Entwicklung“,
und die ECOWAS-Verhandler hätten mit der Freigabe „alle Aussichten auf die industrielle Transformation der westafrikanischen
Wirtschaft aufgegeben“.
Ähnlich das Bild im südlichen
Afrika: Dort haben sechs der 14
Mitgliedsländer der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen
Afrika (SADC), nämlich Botswana,
Lesotho, Mosambik, Namibia,
Swasiland und Südafrika, ein
Wirtschaftsabkommen mit Brüssel geschlossen, wie die Kommission Ende Juli mitteilte. Wie von
der ECOWAS verlangt die EU von
den SADC-Ländern, dass sie die sogenannte
Meistbegünstigungsklausel akzeptieren: Günstige
Handelsbedingungen, die sie anderen Ländern einräumen, müssen demnach automatisch auch
der EU zugestanden werden. Für
das südliche Afrika ist das eine besonders bittere Pille, da sie die in
der SADC angestrebte Süd-SüdZusammenarbeit vor allem mit
Indien und Brasilien berührt. Im
Gegenzug erreichten die SADC-
Verhandler Zugeständnisse seitens der EU. Für 22 Agrarprodukte,
darunter Wein, Zucker und Rindfleisch, akzeptierte die EU bedeutend größere Mengen für die zollfreie Einfuhr in Europa. Zudem
gesteht Brüssel den SADC-Ländern nun „Flexibilität“ bei der Regulierung von Rohstoffexporten
zu, etwa durch Steuern oder gar
Verbote. Ursprünglich wollte die
EU solche Handelsbeschränkungen für unzulässig erklären.
Die zwei Wirtschaftsabkommen mit dem westlichen und südlichen Afrika binden nun die wirtschaftlich wichtigsten Regionen
an den EU-Markt, während die
Verhandlungen etwa mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft oder
mit Zentralafrika nicht vorankommen.
Heimo Claasen
schweiz
Dunkle Geschäfte mit schwarzem Gold
NGOs fordern mehr Transparenz im Ölhandel der Schweiz mit Afrika
Schweizer Rohstoffhändler haben
staatlichen Erdölkonzernen in Afrika in den vergangenen drei Jahren
Öl im Wert von rund 55 Milliarden
US-Dollar abgekauft. Die Geschäfte laufen weitgehend im Verborgenen ab.
Ein Viertel des aus Afrika exportierten Öls fließt über Schweizer
Handelsfirmen. Das entspricht
rund zwölf Prozent der Gesamtbudgets der zehn größten ölexportierenden Staaten in Afrika. Zu
diesem Ergebnis kommen die Erklärung von Bern (EvB) und Swissaid in einem neuen Bericht (siehe
Kasten). Er erfasst die von Schweizer Rohstoffhändlern zwischen
2011 und 2013 getätigten Ölgeschäfte mit den Regierungen der
untersuchten Länder. In Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun, Nigeria und Tschad waren Schweizer
Handelsfirmen gar die größten
Abnehmer von staatlichem Öl.
Die Milliardenzahlungen trügen „maßgeblich zum Staatshaushalt einiger der ärmsten Länder
der Welt bei“, heißt es in dem Be-
richt weiter. Die Institutionen dieser Staaten seien aber oft schwach
und für Korruption anfällig. Diese
Kombination bezeichnen die Studienverfasser als „äußerst brisant“: Oft versickern die wichtigen
Einnahmen, ohne dass die Bevölkerung etwas davon hat.
Aufgrund der „existenziellen
Bedeutung und der notorischen
Intransparenz dieser Geschäfte“
fordern sie, Licht in die Zahlungen
zu bringen. Die Schweiz müsse
ihre Verantwortung als größter
Rohstoffhandelsplatz der Welt
wahrnehmen und ihre Handelsfirmen gesetzlich zur Offenlegung
aller Zahlungen an Regierungen
und staatliche Firmen verpflichten. Bürgerinnen und Bürger der
betroffenen Länder hätten so die
Möglichkeit, ihre Regierungen für
das Management der wichtigsten
Einnahmequelle ihres Landes zur
Verantwortung zu ziehen.
Doch diese Forderung hat in
der Schweizer Politik keinen leichten Stand. Erst Ende Juni empfahl
der Bundesrat, vorläufig auf neue
Regeln für den Rohstoffhandel zu
verzichten. Nach Ansicht der Bürgerlichen würden solche Regeln
die Schweiz im internationalen
Vergleich benachteiligen. Handelsplätze wie London würden
das Geschäft übernehmen, wenn
die Schweiz sich in Sache Transparenz „als Musterknabe der Welt“
aufspiele. Die Rohstoffhändler
setzen auf Selbstregulierung. Man
befolge die Gesetze und halte frei-
willige Standards ein, erklären sie.
Aus dem linken Lager hingegen
kommt Unterstützung für die Forderung nach mehr Transparenz.
Politiker verweisen auf die Gefahr,
dass der Schweiz beim Rohstoffhandel das gleiche Szenario drohe
wie im Bankensektor: Erst wachsender internationaler Druck werde sie schließlich zu strengeren
Regeln zwingen. Kathrin Ammann
Öl für 250 Milliarden US-Dollar
Die Erklärung von Bern, Swissaid und die US-Partnerorganisation Natural Ressource Governance
Institute haben den Fokus ihrer Untersuchungen
auf die zehn größten ölexportierenden Länder Afrikas gerichtet: Nigeria, Tschad, Guinea, Gabun, Kamerun, Kongo-Brazzaville, Angola, Südsudan, Elfenbeinküste und Ghana. Sie werteten Daten über
1500 individuelle Ölverkäufe durch staatliche afrikanische Ölfirmen zwischen 2011 und 2013 aus.
Demnach haben diese Staaten insgesamt 2,3 Milliarden Barrel Öl verkauft und dafür über 250 Milliarden US-Dollar eingenommen. Das entspricht 56
Prozent ihrer gesamten Staatseinnahmen. (kam)
9-2014 |
schweiz journal
schweiz
Wenig humanitär
Die Militärjustiz untersucht die Rückführung einer hochschwangeren Syrerin nach Italien
Die Schweizer Justiz muss sich mit
dem Fall einer Syrerin auseinandersetzen, die bei der Rückführung
durch Grenzwächter nach Italien
eine Fehlgeburt erlitten hat. Der
Zwischenfall wirft ein Schlaglicht
auf die hochpolitisierte Debatte
über die humanitäre Tradition der
Schweiz.
Das Drama der schwangeren Syrerin ereignete sich im Juli. Die
Frau und ihre Familie gehörten
zu einer Gruppe von 36 Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und
Äthiopien, die im Zug von Mailand nach Paris aufgegriffen
wurde. Schweizer Grenzwächter
nahmen die Flüchtlinge in Vallorbe an der Grenze zu Frankreich in Empfang und fuhren sie
mit Kleinbussen nach Brig im
Süden der Schweiz, wo die Gruppe in einen Zug zurück nach Italien gesetzt wurde.
Die syrische Familie wirft den
Grenzwächtern vor, der Schwangeren während der Rückführung
medizinische Hilfe verweigert zu
haben. Erst bei der Ankunft in Domodossola wurde die Frau in ein
Krankenhaus gebracht, wo ihr
Kind tot zur Welt kam. Nun prüft
die Militärjustiz, die für das
Grenzwachtkorps zuständig ist,
den Fall. Ein Urteil dürfte erst in
einigen Monaten vorliegen.
Relativ zur Einwohnerzahl hat
die Schweiz viele Asylsuchende
Menschenrechtsorganisationen
kritisierten das technokratische
Vorgehen bei der Rückführung
heftig. Auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zeigte sich „sehr beunruhigt“
und erinnerte daran, dass Flüchtlingen in einem kritischen medizinischen Gesundheitszustand
unverzüglich Hilfe geleistet werden müsse. Zudem forderte das
UNHCR mehr legale Einreisemöglichkeiten vor allem für Syrien-Flüchtlinge. Die Schweiz hat
im vergangenen Herbst rund
| 9-2014
Schweizer Grenzwächtern wird vorgeworfen, einer
schwangeren Syrerin medizinische Hilfe verweigert zu
haben. Sie erlitt eine Fehlgeburt.
Peter Schneider/Keystone
3000 Flüchtlingen aus Syrien die
erleichterte Einreise gewährt. Zudem nimmt das Land bis Herbst
2016 weitere 500 Kontingentflüchtlinge auf. Gemessen an den
Forderungen des UNHCR, wonach
Europa in den nächsten zwei Jahren mindestens 100.000 Syrerinnen und Syrer aufnehmen soll, ist
das ein Tropfen auf den heißen
Stein.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk
räumt zwar ein, dass die Schweiz
im Vergleich zur Bevölkerungszahl eine hohe Zahl von Asylsuchenden aufweise. Vergleiche
man aber das Pro-Kopf-Einkommen mit der Anzahl der Flüchtlinge, hinke das Land im Vergleich mit anderen Ländern „sehr
hinterher“, erklärte Susin Park,
die Leiterin der Schweizer Vertretung des UNCHR in einem Radiointerview.
Bei der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga sto-
ßen diese Forderungen auf offene
Ohren. Nur sieht sich die sozialdemokratische Justizministerin
einer bürgerlichen Mehrheit in
Regierung und Parlament gegenüber, die stark unter rechtspopulistischem Druck steht. Die
Schweizerische Volkspartei (SVP)
will mit einer Initiative die
Schraube sogar noch weiter anziehen. So sollen Flüchtlinge konsequent nur noch im ersten Ankunftsland ein Asylgesuch stellen
können. Bei Syrien-Flüchtlingen
würde dies bedeuten, dass sie nur
bei einer Einreise mit dem Flugzeug eine Chance hätten, in der
Schweiz aufgenommen zu werden.
Bei der Schweizer Flüchtlingshilfe hofft man, dass eine solche
Volksinitiative gar nicht erst zur
Abstimmung kommt: Sie sollte
vom Parlament als verfassungswidrig und ungültig erklärt werden. Bundesrätin Sommaruga ihrerseits bezeichnet die Forderung,
das Asylrecht in der Schweiz faktisch abzuschaffen, als „beschämend“. Vor allem verstoße sie gegen die humanitäre Tradition, die
genauso wie die vielbeschworene
Neutralität zur Schweiz gehöre,
betonte die Sozialdemokratin in
einer Rede zum Nationalfeiertag
am 1. August.
Theodora Peter
schweiz – kurz notiert
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
(GsSA) hat die Regierung aufgefordert, alle
Waffenlieferungen in den Nahen Osten zu
stoppen. Bern solle zudem die militärische
Zusammenarbeit mit Israel einstellen, solange die Zivilbevölkerung in Gaza unter Beschuss stehe, forderte die GSoA Ende Juli
während der Kämpfe in dem Küstenstreifen.
Die Gruppe hat dazu im Internet eine Petition lanciert. Die Schweiz solle auf den geplanten Kauf von Drohnen aus Israel verzichten.
Ausgerechnet der Nahe Osten sei zum stärksten Wachstumsgebiet der Schweizer Rüstungsindustrie geworden, kritisieren die Verfasser der Petition.
(tp)
Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter hat beim Internationalen Filmfestival
von Locarno im August die Initiative „Demokratie ohne Grenzen“ gestartet. Ziel ist die
Stärkung der Demokratie, des Friedens und
der Menschenrechte in Partnerländern der
Entwicklungszusammenarbeit. Geschehen
soll dies mit Hilfe von sogenannten Projektbotschaftern – bekannten Vertreterinnen
und Vertretern von Politik und Gesellschaft.
Im Rahmen der Initiative soll unter anderem
der demokratische Transformationsprozess
in Tunesien durch den Austausch mit Parlamentariern und Parteivertretern unterstützt
werden. (tp)
55
56
journal österreich
österreich
Entwicklungspolitische Mängelliste
Die OECD nimmt die österreichische Entwicklungszusammenarbeit unter die Lupe
Im Dezember legt der Entwicklungsausschuss (DAC) der Industrieländer-Organisation OECD seinen nächsten Prüfbericht über die
österreichische
Entwicklungszusammenarbeit vor. Der letzte Bericht stammt aus dem Jahr 2009.
Ein Zwischenbericht zeigt, was
seitdem erreicht worden ist.
In dem im Juni der österreichischen Bundesregierung zuge-
stellten Papier zeigt sich die OECD
zufrieden damit, dass Wien die
Zahl der Schwerpunktländer reduziert hat. Nicaragua wurde abgenabelt, das Koordinationsbüro
2012 geschlossen. Damit konzentriert sich die österreichische Entwicklungszusammenarbeit jetzt
auf eine Handvoll afrikanische
Länder und das Himalaya-Königreich Bhutan. Gewürdigt wird
auch das neue Dreijahrespro-
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Common aims and shared responsibility
Bremerhaven, november 18-19, 2014
gramm, das alle Ministerien einbezieht, die entwicklungspolitisch tätig sind. Gegenüber früheren Programmen des Außenministeriums (BMeiA) wird es als
„strategischer und ergebnisorientierter“ beurteilt wird. Auch die
neue Strategie für entwicklungspolitische Bildung und Kommunikation wird gewürdigt. Die Österreichische Entwicklungsbank
sei eine kleine, aber wachsende
Institution, die mit Erfolg die Privatwirtschaft in die Entwicklungspolitik einbezogen habe.
Die Aufzählung der Defizite
beginnt damit, dass sich Österreich – trotz gegenteiliger Beteuerungen – dem Ziel, 0,7 Prozent der
Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit zu geben,
nicht genähert hat und auch keinen Stufenplan vorgelegt habe,
wie das gelingen soll. Obwohl die
Leistungen seit 2009 bereits
schrittweise reduziert worden seien, seien ab 2015 weitere Einschnitte geplant. Das werfe die
Frage auf, ob der institutionelle
Rahmen „angemessen und kosteneffizient“ sei. Im Klartext: Der
Apparat der Austrian Development Agency (ADA), die die staatliche bilaterale Hilfe abwickelt, ist
für das ständig schrumpfende
Budget viel zu groß.
Ein großer Teil der Hilfe sind
erlassene Schulden
the speakers will include:
• artur runge-metzger of the European Commission
• prof Dr Walter Kaelin of the Nansen Initiative, Switzerland
• Jan Kowalzig of Oxfam, Germany
• Dr Debra roberts from Durban, Republic of South Africa
www.klimahaus-bremerhaven.de/climatejustice
In cooperation
with:
Supported by:
Dazu kommt, dass ein hoher Anteil der ausgewiesenen Entwicklungshilfe gar nicht aus frischem
Geld für Projekte besteht, sondern
aus dem Erlass uneinbringlicher
Schulden. Das ist nach den Regeln
der OECD zwar erlaubt, doch schade das der Glaubwürdigkeit Österreichs und mache künftige Leistungen schwerer vorhersehbar.
Bemängelt wird auch, dass
der Anteil der Hilfe, die nicht an
die Lieferung von Waren und
Dienstleistungen aus Österreich
gebunden sei, von 95 Prozent seit
2010 auf 77 Prozent gesunken sei.
Das liegt unter dem OECD-Durchschnitt. Der Entwicklungsausschuss der OECD hat das Ziel, diese Art liefergebundene Hilfe
möglichst abzuschaffen, weil sie
weniger effizient ist als ungebundene Hilfe.
Die ständigen Budgetkürzungen verschlechtern nach Ansicht
der OECD-Experten auch die Fortbildung von Personal und schaden der technischen Expertise in
der ADA. Die österreichische Entwicklungspolitik solle die Armutsreduzierung nicht aus den Augen
verlieren, zudem müsse die Koordination zwischen den beteiligten
Ministerien verbessert werden.
Entwicklungspolitische Kohärenz
werde zwar ständig betont, aber
von anderen Ministerien, namentlich dem Finanzministerium,
nicht beachtet. Auch die statistische Berichterstattung habe sich
verschlechtert, was die Leistungen
schwerer überprüfbar mache.
Besonders lang ist die Liste
von Aufgaben, die zwar angegangen, aber noch nicht zur Zufriedenheit der OECD erfüllt worden
sind. Die Evaluierung etwa habe
Fortschritte gemacht, Evaluierungsergebnisse würden aber
nicht ausreichend umgesetzt. Die
Maßnahmen der sogenannten
Busan-Agenda für eine wirksamere Entwicklungszusammenarbeit
müsse Wien konsequenter befolgen und sich in die in Busan zu
diesem Zweck geschaffene globale
Partnerschaft aus Regierungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft
stärker einbringen. Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz
seien zwar auf dem Papier als
Querschnittsthemen anerkannt,
doch müsse sich auch das Personal dahinter stellen und ein ausreichendes Budget dafür bereitgestellt werden. Österreich tue auch
zu wenig, um seine Stärken wie Zivilschutz bei Katastrophen zu einem echten Schwerpunkt der Auslandshilfe zu machen.
Ralf Leonhard
9-2014 |
kirche und ökumene journal
kirche und ökumene
Freikirchlicher Wildwuchs
Burundi will die Gründung neuer Kirchen regulieren
In Burundi sind in den letzten Jahren Hunderte von Freikirchen entstanden. Jetzt will der Staat mit einem Gesetz die Neugründung erschweren – auch aus politischen
Gründen.
Vor 20 Jahren gab es in Burundi 45
Konfessionen. Heute existieren in
dem kleinen zentralafrikanischen
Land von der Größe Brandenburgs
mehr als 550 verschiedene Kirchen. Das Land ist keine Ausnahme in Afrika. Überall auf dem Kontinent mischen neue Freikirchen
die religiöse Landschaft auf. Neu
ist allerdings, dass ein Parlament
mit einem Gesetz den willkürlichen Kirchengründungen einen
Riegel vorschieben will.
Einstimmig haben die Abgeordneten Anfang Juli eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die von
Priestern oder Pfarrern einen gewissen Bildungsgrad verlangt.
Auch sollen neue Freikirchen erst
nach einem Jahr Probezeit offiziell
anerkannt werden und müssen
mindestens 500 Mitglieder haben.
Diese letzte Hürde verstößt nach
Auffassung des Senats allerdings
gegen die Religionsfreiheit, weswegen das Gesetz noch einmal im
Parlament beraten werden muss.
Dass das Parlament ein Gesetz
zur Regelung von Kirchengründungen für nötig hält, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist
es in der Vergangenheit immer
wieder zu teilweise gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen
den verschiedenen Konfessionen
oder mit Anwohnern gekommen.
Viele der neuen Freikirchen, die oft
selbst weder Ordnung noch Satzung kennen, praktizieren ihren
Glauben in Wohnvierteln und das
zum Teil sehr lautstark. Die burundische Zeitung „Iwacu“ berichtet
beispielsweise von zahlreichen
nächtlichen Ruhestörungen durch
lang andauernde und laute Gottesdienste. Nach der Gesetzesvorlage müssen Kirchen künftig ein
eigenes Gebäude vorweisen, in
| 9-2014
dem die Gottesdienste stattfinden
können. „Das hat auch einen Sicherheitsaspekt“, sagt Réginas
Ndayiragije, der in Burundis
Hauptstadt Bujumbura für die
deutsche katholische Entwicklungshilfe-Organisation AGEH arbeitet. Es sei schwerer, eine Veranstaltung unter freiem Himmel zu
kontrollieren als in einem geschlossenen Raum. Ndayiragije
sieht bei vielen Kirchengründun-
gen aber auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Die selbsternannten Priester oder Pfarrer verlangten von ihren Anhängern oft
hohe Beiträge.
„Eine Kirche zu gründen ist
mittlerweile eine gute Möglichkeit, um schnell an viel Geld zu
kommen“, sagt Ndayiragije. Sonst
gebe es in Burundi nicht viele
Möglichkeiten zum Geldverdienen. Die Regierung wolle mit dem
neuen Gesetz aber nicht nur den
religiösen Sektor regulieren, sondern auch mehr Kontrolle über
die Bevölkerung haben, vermutet
Ndayiragije. Burundi sei nach wie
vor ein Land mit sehr begrenzter
politischer Freiheit. Der Staat habe
die Sorge, dass aus den kleinen
Hauskirchen Orte werden, an denen politische Ideen diskutiert
werden, die nicht mehr kontrollierbar seien. Katja Dorothea Buck
kirche und ökumene
Joint Venture der Tropenmedizin
Akademie für Gesundheit und Entwicklung weitet Kursprogramm aus
Wer als Arzt, Pfleger oder Pharmakologe in die Entwicklungshilfe gehen will, muss über Tropenkrankheiten und
die Arbeitsbedingungen vor Ort Bescheid wissen. Die Akademie für Globale Gesundheit und Entwicklung (AGGE)
bietet seit anderthalb Jahren Fortbildungen dazu an, neben Grundlagenkursen neuerdings auch „maßgeschneiderte“ Kurse.
Ende 2012 haben das Missionsärztliche Institut Würzburg, das Deutsche Institut für Ärztliche Mission in Tübingen und das Institute of Public Health der Universität
Heidelberg die Akademie offiziell gegründet. Auf ihrem
gemeinsamen Internetportal lassen sich alle tropenmedizinischen Kurse der drei Institutionen auf einen Blick
finden. Das Spektrum der AGGE umfasst momentan sowohl mehrwöchige Fortbildungen in Tropenmedizin, Labordiagnostik und im Management von Gesundheitsprojekten als auch vertiefende Wochenendseminare zu
HIV/Aids oder Mutter-Kind-Gesundheit.
Neben den Kenntnissen über Tropenkrankheiten erfahren die Ärzte, Pflegefachkräfte, Labortechniker und
Public-Health-Experten, wie Patienten unter einfachen
Bedingungen versorgt werden und ein funktionsfähiges
Gesundheitssystem aufgebaut werden kann. 2013 wurden unter dem Dach der AGGE mehr als 30 verschiedene
Kurse in Würzburg, Tübingen, Heidelberg oder direkt bei
den jeweiligen Entsendeorganisationen durchgeführt.
Die AGGE verfügt mittlerweile über eine Datenbank
mit mehr als 50 Referentinnen und Referenten, die
mehrjährige Praxiserfahrung in der Entwicklungshilfe
haben und ein breites tropenmedizinisches Themenspektrum abdecken. Auch Fortbildungen zu weniger geläufigen Themen wie Augenheilkunde in den Tropen
oder vernachlässigte Krankheiten
wie Dengue-Fieber oder Schlafkrankheit können damit angeboten werden.
Bei akuten Krisen wie jetzt bei
der Ebola-Epidemie in Westafrika
zeigen sich die Vorteile des tropenmedizinischen Joint Ventures
deutlich. Bereits Anfang August
veranstaltete die AGGE in Würzburg das erste Tagesseminar zu
Ebola, weitere Termine seien für
Herbst geplant, sagt Silvia Golembiewski, Koordinatorin bei der
Akademie. Die Einschätzung eines
Tropenmediziners aus Würzburg,
der vor kurzem in Sierra Leone
war, habe man gleich auf die
Homepage der AGGE gestellt.
Künftig will die Akademie stärker in die Betreuung von medizinischem Fachpersonal während
des Einsatzes einsteigen und
Rückkehrende bei der Auswertung
unterstützen. „Wir gehen davon
aus, dass in Zukunft mehr Kurzseminare insbesondere für Mediziner und Pharmakologen angefragt
werden, die entweder bereits im
Pensionsalter oder kurz davor sind
und noch einmal etwas Neues machen wollen“, sagt Golembiewski.
Katja Dorothea Buck
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58
journal kirche und ökumene | global lokal
kirche und ökumene
Die Menschenrechte als Richtschnur
Kirchliche Hilfswerke legen ihre Bilanzen vor
Brot für die Welt hat 2013 im Vergleich zum Vorjahr sein Spendeneinkommen auf 55,8 Millionen
Euro leicht erhöht. Misereor musste leichte Einbußen hinnehmen
und kam auf Spenden in Höhe von
54,3 Millionen Euro.
Die Präsidentin von Brot für die
Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, kritisierte bei der Vorstellung des Jahresberichtes in Berlin das geplante
Freihandelsabkommen zwischen
den USA und der Europäischen
Union (TTIP). Es könne die Existenz
von Kleinbauern gefährden, sagte
sie. Mit TTIP regelten EU und USA
nicht nur den Handel untereinander, sondern indirekt auch ihren
Handel mit Drittstaaten. Sie könnten damit verstärkt Druck auf Staaten außerhalb des Abkommens
ausüben, ihren Schutz und ihre
Förderung für die eigenen Märkte
aufzugeben. Alle künftigen internationalen
Handelsabkommen
sollten eine Menschenrechtsklausel enthalten, um Vertragsbestimmungen auszusetzen oder zu ändern, die die Menschenrechte gefährden.
Brot für die Welt hat laut eigenen Angaben im vergangenen
Jahr seine Spendeneinnahmen
gegenüber dem Vorjahr um rund
600.000 Euro auf 55,8 Millionen
Euro erhöht. Insgesamt standen
263,4 Millionen Euro für Projekte
in Afrika, Asien, Lateinamerika
und Osteuropa zur Verfügung.
Neben Spenden und Kollekten
(21,2 Prozent) stammt das Geld
unter anderem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
(46,6 Prozent) und dem Kirchlichen Entwicklungsdienst (24,9
Prozent). 2013 wurden weltweit
598 neue Projekte mit insgesamt
196,7 Millionen Euro bewilligt.
Europa muss Flüchtlinge besser
unterstützen
Bei der Jahrespressekonferenz
von Misereor forderte Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel in
Bonn die EU und Deutschland
dazu auf, mehr für Menschen zu
tun, die vor Krieg und Gewalt aus
ihrer Heimat fliehen müssen. „Wir
sind davon überzeugt, dass
Deutschland 100.000 Flüchtlinge
aufnehmen kann“, betonte er. Angesichts der Gewalt in Syrien, in
Gaza und im Irak rief Spiegel zu
Spenden für die Notleidenden auf.
Insgesamt habe Misereor seit
2012 drei Millionen Euro für die
Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Zu den Programmen zählen
unter anderem Unterricht für
Flüchtlingskinder und die Betreuung traumatisierter Menschen.
Das katholische Hilfswerk hat
im vergangenen Jahr Einnahmen
in Höhe von 179,3 Millionen Euro
verzeichnet, im Vergleich zum
Vorjahr ein Rückgang um 3,4 Millionen Euro. Die Spenden und Kollekten haben sich gegenüber 2012
um 3,9 Millionen Euro auf 54,3
Millionen verringert, die öffentlichen Mittel hingegen stiegen um
1,3 Millionen Euro auf 115,1 Millionen Euro. Misereor hat 2013 insgesamt 1342 Projekte in Afrika, Asien
und Lateinamerika neu bewilligt.
(gka)
global lokal
Ein Zeichen gegen Antisemitismus
In Mannheim fordern Juden, Christen und Muslime gemeinsam Frieden in Nahost
Die israelische Militäroffensive
diesen Sommer im Gazastreifen
hat in Deutschland zu Übergriffen
auf Juden und zu antisemitischen
Parolen bei Anti-Israel-Demonstrationen geführt. Mannheim zeigt,
wie Städte ihre internationalen
Kooperationen für ein Klima der
Toleranz nutzen können.
Mannheim hatte vor einer geplanten „Free Palestine“-Demonstration am 19. Juli in der Stadt mit
einem Friedensappell ein Signal
gegen Gewalt und Antisemitismus gesetzt. Die Stadt will auf
beiden Seiten die Stimmen unterstützen, die sich für einen Dialog
und eine friedliche Lösung aussprechen.
Neben Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) und den Fraktionen von CDU, SPD und Grünen
im Stadtrat haben die Jüdische
Gemeinde sowie alle großen Moscheegemeinden und die christli-
chen Kirchen in Mannheim den
Aufruf unterzeichnet. Es sei nicht
akzeptabel, wenn in Mannheim
die eine oder andere Seite herabgewürdigt oder diffamiert werde,
heißt es in dem Appell: „Hetzparolen oder rassistische Provokationen gegen einzelne Gruppen –
gleich ob Juden oder Muslime,
Palästinenser oder Israelis – treffen auf unseren schärfsten Widerspruch – erst recht jeder Aufruf
zu Gewalt.“
Es ist schwierig, Verständnis
aufzubringen
Flagge zeigen: Ein junger Demonstrant lässt sich in Berlin
die palästinensische Fahne auf das Gesicht pinseln.
Jörg Carstensen/picture alliance/dPa
Mannheim ist schon lange in der
interkulturellen und interreligiösen Zusammenarbeit engagiert;
das hat die Beteiligung jüdischer
und muslimischer Vertreter an
dem Friedensappell möglich gemacht. „Toleranz bewahren, zusammen leben“ ist eines von sieben strategischen Zielen, die die
Stadtspitze zur Modernisierung
9-2014 |
global lokal | personalia journal
Mannheims ausgerufen hat. Dennoch war es nicht einfach, angesichts der Eskalation im Nahen
Osten die verschiedenen Parteien
von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Signals zu überzeugen, sagt David Linse, der Leiter
des Fachbereichs Internationales,
Integration und Protokoll in
Mannheim. „Wir haben mit dem
Friedensappell einen Grundkonsens erzielt, obwohl es angesichts
der Umstände schwer ist, für die
jeweils andere Seite Verständnis
aufzubringen.“
Unter den Muslimen in
Mannheim sei die Bestürzung
über die vielen zivilen Opfer in
Gaza groß. Aber die Imame riefen
beim Freitagsgebet vor der „FreePalestine“-Demonstration in den
Mannheimer Moscheen dazu auf,
friedlich zu demonstrieren. In der
Jüdischen Gemeinde habe es hef-
Mannheim kann auf Kontakte
nach Israel und in die palästinensischen Gebiete zurückgreifen.
Die Stadt hat seit 2009 eine Partnerschaft mit Haifa und seit dem
vergangenen Jahr eine Kooperationsvereinbarung mit Hebron, der
größten Stadt in den palästinensischen Gebieten. Im März war
Oberbürgermeister Peter Kurz in
der Region und hat die Partnerkommunen besucht, beide jeweils für genau zwei Tage.
In Haifa wird nicht gerne gesehen, dass Mannheim auch eine
palästinensische Partnerstadt hat.
Umgekehrt sind auch die Vertre-
ter von Hebron alles andere als
begeistert über die Verbindung
der deutschen Partner mit der israelischen Hafenstadt. Jetzt haben die Ereignisse Mannheim
auch direkt getroffen: Ein für
Ende Juni geplanter Besuch palästinensischer Wirtschaftsfachleute in Deutschland musste verschoben werden, weil die israelische Militärverwaltung nach dem
Mord an drei israelischen Talmud-Schülern eine 14-tägige Ausreisesperre für den gesamten
Großraum Hebron verhängt hatte. Der Besuch soll im Herbst
nachgeholt werden.
Die Demonstration am 19. Juli
in Mannheim indes verlief friedlich. Rund 3000 Bürger protestierten gegen die israelische Offensive in Gaza. Die überwiegend
türkischen Organisatoren des
Protestes hatten zu Beginn der
Demonstration nochmals gebeten, auf Beleidigungen und Gewalt zu verzichten. Ob es antisemitische Parolen gab oder nicht,
wird in den sozialen Netzwerken
kontrovers diskutiert.
David Linse ist aber mehr
denn je davon überzeugt, dass die
Beziehungen zu beiden Seiten
des Dauerkonflikts Sinn machen.
Es schärft die Sensibilität für die
jeweiligen Sichtweisen der Konfliktparteien und dient so dem
friedlichen Zusammenleben in
einer multikulturellen Stadt. Außerdem wolle Mannheim die gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten stärken, sagt Linse. „Jetzt dominieren die Scharfmacher die
Diskussion. Für Kräfte, die den
Frieden wollen, ist es schwierig.“
Aber genau diese Kräfte werden
dringend gebraucht.
kam 2003 zur KAS als Leiter der
Arbeitsgruppe Innenpolitik in
der Hauptabteilung „Politik und
Beratung“. Von Dezember 2003
bis Mitte 2014 war Borchard
Leiter dieser Hauptabteilung.
na. Der bisherige Regionalleiter,
Ronald Meinardus, ist in gleicher
Funktion an das Regionalbüro
„Südostasien“ in Neu-Delhi, Indien, gewechselt. René Klaff war
zuvor dreieinhalb Jahre Leiter
des Büros in Sofia, Bulgarien.
Interimsleiter des Regionalbüros
„Zentral-, Ost- und Südosteuropa,
Südkaukasus und Zentralasien“
(CESE) in Sofia ist bis auf weiteres
Charles du Vinage.
tige Diskussionen gegeben, aber
am Ende habe sich niemand dem
Ansinnen der Stadt entzogen, sagt
Linse.
Wirtschaftsfachleute aus
Hebron werden erwartet
Claudia Mende
personalia
Menschen für Menschen
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)
Die von dem kürzlich verstorbenen Schauspieler Karlheinz
Böhm vor mehr als 30 Jahren
gegründete Hilfsorganisation
für Äthiopien hat die beiden
bisherigen Geschäftsführer, Peter
Renner und Peter Schaumberger, in den Vorstand berufen.
KfW-Entwicklungsbank
Zum 1. August hat die KfW
mehrere Büroleiterposten neu
besetzt: In Ouagadougou, Burkina Faso, ist Rebekka Edelmann die
neue Vertreterin. Birte Schorlemmer leitet jetzt das Büro in Accra,
Ghana. In Lusaka, Sambia, ist
Stephan Albrecht der neue Repräsentant der Entwicklungsbank.
Konrad-Adenauer-Stiftung
(KAS)
Seit August leitet Michael
Borchard das Büro der Stiftung
in Jerusalem. Der Politologe
| 9-2014
Das Büro in Douala, Kamerun,
leitet seit Juli Susanne Stollreiter. Ihr Vorgänger Denis Tull
verlässt die FES und kehrt zur
Stiftung Wissenschaft und Politik
nach Berlin zurück. In Kolumbien wurde Lothar Witte neuer
Repräsentant der FES. Er löst
Hans Matthieu ab, der demnächst nach Mexiko wechselt.
Das regionale Medienprojekt in
Namibia wird jetzt von Sarah
Natalie Brombart geleitet. Ihre
Vorgängerin Mareike Le Pelley
wird nach Uganda versetzt.
Friedrich-Naumann-Stiftung
für die Freiheit
René Klaff ist seit Anfang August
neuer Leiter des Regionalbüros
„Mittelmeerländer“ der Stiftung
in Kairo, Ägypten. Das Büro ist
zuständig für Ägypten, Tunesien,
Marokko, Algerien, Jordanien, die
Türkei sowie Israel und Palästi-
Mani Stenner ist tot
Der langjährige Geschäftsführer
des Netzwerkes Friedenskooperative, Mani Stenner, erlag Ende
Juli im Alter von 60 Jahren einem Herzinfarkt. Er war über 25
Jahre der zentrale Koordinator
der
Friedensbewegung
in
Deutschland. In Bonn hat er mit dem „Bonner Forum für BürgerInnen und Polizei“ eine deeskalierende Strategie für problematische Demonstrationen entwickelt. Sie wurde als „Bonner Modell“ bundesweit bekannt.
Stenner setzte sich stets für die Nutzung ziviler statt militärischer Mittel ein und kämpfte unter anderem für die Rechte von Flüchtlingen sowie
gegen Rechtsextremismus, Rüstungsexporte und
Atomwaffen. „Mani war ein Realist, der jedoch unermüdlich für seine Ideale eintrat. Wir haben einen wichtigen, absolut verlässlichen Bündnispartner und klugen Mitstreiter verloren“, sagte Werner
Rätz von Attac Deutschland in einem Nachruf. 59
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service filmkritik
filmkritik
Kein Entkommen
Der kurdische Regisseur Hisham Zaman widmet seinen ersten langen Spielfilm dem Thema Ehrenmord:
Eine Verfolgungsjagd quer durch Europa.
Der Junge Syiar
Norwegen/ Deutschland/ Irak, 2013
105 Minuten, Kinostart: 11. September
2014
Er wird in Plastikfolie eingewickelt, von Kopf bis Fuß.
Atmen kann er nur durch einen schmalen Riss über
dem Mund. Im Bauch eines Tanklasters gelangt Siyar
über die irakisch-türkische Grenze. Dann schlägt er
sich nach Istanbul durch, wo er in einer schäbigen
Pension unterkommt. In der Rückblende wird der
Grund für seinen Aufbruch aus dem Dorf im kurdischen Norden des Irak erzählt: Seine ältere Schwester
hat sich geweigert, einen einflussreichen Mann aus
dem Nachbardorf zu heiraten. Sie ist mit ihrem
Liebsten geflohen. Der 16-jährige Siyar, seit dem Tod
seines Vaters das Familienoberhaupt, muss sie töten,
um die Familienehre wiederherzustellen.
Der Clan des enttäuschten Bräutigams hilft ihm
dabei – und sein Einfluss reicht weit: von Istanbul
über die türkisch-griechische Grenze bis in die norwegische Hauptstadt Oslo. Der Film begleitet Siyar
auf seiner Odyssee. Bereits in Istanbul hätte sie zu
Ende sein können, dort trifft er seine Schwester, ent-
schlossen, sie umzubringen, doch sie kann ihm entwischen. So muss er weiter – der enorme soziale
Druck, seine Pflicht zu tun, lastet schwer auf ihm
und treibt ihn gleichzeitig an.
Dann lernt er das Straßenmädchen Evin kennen
und ganz allmählich vollzieht sich ein Wandel. Siyars finstere Miene hellt sich auf, sie freunden sich
vorsichtig an. Gemeinsam begeben sie sich auf den
gefährlichen Weg nach Europa – auf dem Siyar einen
folgenschweren Fehler macht, um Evin zu retten.
Der Filmemacher Hisham Zaman, der im Irak geboren wurde und in Norwegen lebt, erzählt Siyars
Geschichte in eindrucksvollen Bildern. Die Dialoge
sind knapp, oft schroff, vieles spielt sich zwischen
den Zeilen ab. Vor allem die beiden jungen Hauptdarsteller überzeugen: Ihr Spiel macht den Film anrührend und erschütternd, aber nie rührselig oder
banal. Der Film hält seine Spannung bis zum Schluss.
Hisham Zaman zeichnet ein differenziertes Bild von
todbringenden Traditionen, sozialen Regeln und
Clan-Bindungen, denen der Einzelne kaum etwas
entgegensetzen kann. Das ist der düstere Befund
dieses sehenswerten Films. Gesine Kauffmann
Spannende Geschichtsstunde
Die Grenzen, die die Kolonialmächte oft willkürlich
durch Afrika zogen, haben sich lange auf das politische Gefüge des Kontinents ausgewirkt. Der schwedische Filmemacher Göran Hugo Osson blickt zurück
auf den Kampf der Befreiungsbewegungen.
Concerning Violence.
Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence
Schweden/USA/Dänemark/Finnland
2014, 91 Minuten, Kinostart: 18. September 2014
Sein mosaikartiger Dokumentarfilm befasst sich mit
der Geschichte der afrikanischen Befreiungsbewegungen und der Nationen-Bildung in den 1960er
und 1970er Jahren. Wie in seinem aufsehenerregenden Vorgängerfilm „The Black Power Mixtape 19671975“ (2011) hat der erfahrene Dokumentarist TV-Reportagen, Interviews und Dokumentarfilme aus
dem Archiv des schwedischen Fernsehens für eine
detailreiche historische Rückschau zusammengetragen. Das Besondere: Olsson kombiniert die teils unbekannten Fundstücke mit Auszügen aus dem Buch
„Die Verdammten der Erde“ des französischen Psychiaters, Schriftstellers und Politikers Frantz Fanon, der
1925 in Fort-de-France auf Martinique geboren wurde und als Vordenker der Entkolonialisierung gilt.
Fanon starb 1961 mit 36 Jahren in den USA an
Leukämie. In derselben Woche erschien sein Hauptwerk „Die Verdammten der Erde“, das in Frankreich
sofort verboten und beschlagnahmt wurde. Darin
rechtfertigt er in klaren Worten die Gewalt der Unterdrückten gegen die Gewalt der Kolonialherren.
Olssen lässt zentrale Passagen der umstrittenen
Schrift von der Musikerin Lauryn Hill einlesen, die
als Lead-Sängerin der Popband „Fugees“ bekannt
wurde. Die 1975 geborene Amerikanerin und erste
fünffache Grammy-Gewinnerin bildet die Brücke zu
einem jüngeren Publikum, das den Kolonialismus
nur noch aus dem Geschichtsunterricht kennt. Zusätzlich zu ihrer engagierten Präsentation auf Englisch werden einige der provokanten Postulate Fanons eingeblendet, was dem Filmessay streckenweise den Charakter eines Thesenfilms verleiht.
Olssen präsentiert in neun Kapiteln Filmdokumente aus den Jahren 1966 bis 1984, die den Befreiungskampf unter anderem in Angola, Mosambik,
Rhodesien und Guinea-Bissau beschreiben. Dazu
kommt eine scharfsinnige Reportage über einen
niedergeschlagenen Streik in einer schwedischen
Mine in Liberia und ein Interview mit einem schwedischen Missionarspaar in Tansania, das durch kluge Fragen mehrfach ins Schlingern gerät. Der Film
liefert leider keine historischen Hintergründe mit.
Für den Einsatz in der Bildungsarbeit empfiehlt sich
deshalb eine Einführung in die Thematik. Olssen
verzichtet auch auf einen Off-Kommentar zu den
Thesen Fanons, so dass sich die Zuschauer eine eigene Meinung bilden müssen.
Lohnenswert sind seine Fundstücke allemal:
Etwa wenn der junge Robert Mugabe Propagandasprüche deklamiert oder Thomas Sankara, der rhe-
9-2014 |
rezensionen service
torisch hochbegabte sozialistische Offizier und Präsident Burkina Fasos, die Schattenseiten der westlichen Entwicklungshilfe analysiert. Die emotional
stärkste Szene enthält der Bericht über den Krieg der
Befreiungsbewegung Frelimo gegen die Kolonialherrschaft in Mosambik 1972: Eine junge Mutter, der
man einen Arm abgehackt hat, stillt ihr Baby.
Der Film hat den Preis „CINEMA fairbindet“ erhalten, den das Bundesentwicklungsministerium
seit 2011 im Rahmen der Berlinale vergibt. Die Auszeichnung beinhaltet den Verleih und die bundesweite Roadshow des Films. Geplant sind Veranstaltungen in mehr als 20 deutschen Städten.
Reinhard Kleber
rezensionen
Das Böse siegt
Der beninische Autor Ryad Assani-Razaki schickt zwei
Jungen auf die Reise durch ein hartes Leben. Das liest
sich spannend, steuert aber auf ein allzu düsteres
Ende zu.
Ryad Assani-Razaki
Iman
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014,
320 Seiten, 22,90 Euro
Zu den reizvollsten Charakteren in Büchern und Filmen gehören die, die Gutes und Schlechtes in sich
vereinen. Sie beschützen andere, helfen, zeigen Empathie. Und sie setzen trotzdem rücksichtslos ihren
Willen durch. Der beninische Schriftsteller Ryad Assani-Razaki verleiht seinen Protagonisten eine solche Ambivalenz.
Der Autor erzählt von Toumani, der als Kind von
seinen Eltern verkauft und als Haussklave misshandelt wird. Mehr tot als lebendig ist er, als Iman ihn
findet und ihm von da an ein guter Freund ist in einem harten Leben einer namenlosen afrikanischen
Großstadt. Nun sind die beiden unterwegs als Kleinkriminelle ohne Perspektive. Iman, der einen unbekannten französischen Vater hat, sieht schließlich
nur noch die Flucht in die Festung Europa als Ausweg. Der Roman hat in den vergangenen Monaten
positive und teilweise begeisterte Kritiken bekom-
men. Spannend sind die anfänglichen Kapitel, in denen sich der Autor seinen Protagonisten über den
Umweg der Eltern und ihrer nicht weniger verzweifelten Biografien nähert. Hier beeindruckt etwa, wie
unterschiedlich eine streng gläubige muslimische
Mutter und ihre Tochter das Leben der Mutter bewerten.
Dabei ist „Iman“ von Anfang an eine Geschichte
der Gewalt: Schläge, Tritte, unappetitliche Wunden,
Beleidigungen, Demütigungen und Hass schüttet
der Autor über seinen Figuren aus. Und er macht
eindringlich auf die Lage der Millionen Armen in Afrikas Slums aufmerksam, auf Unfreiheit, fehlende
Perspektiven, Leben im Elend. Zum Ende hin mag
man den Protagonisten allerdings einige Gedanken
und Handlungen nicht mehr so recht abnehmen. Es
scheint, als wiege für den Autor ein unausweichlich
düsteres Ende schwerer als die einzelne Figur.
Hoffnung gibt es am Ende keine mehr, bei Toumani und Iman siegen Egoismus und Misstrauen.
Das macht ein wenig traurig, denn die Freundschaft
der beiden war bis dahin das einzige, das in diesem
Buch Mut gemacht hat. Felix Ehring
Nur Langeweile ist verboten
Autorinnen und Autoren aus Lateinamerika erzählen
wahre Geschichten aus ihren Ländern. Ihre Reportagen liefern ein erfrischend vielfältiges Bild des Kontinents.
Carmen Pinilla, Frank Wegner (Hg.)
Verdammter Süden
Das andere Amerika
Suhrkamp-Verlag, Berlin 2014
315 Seiten, 20 Euro
| 9-2014
Anthropologische Forensiker suchen nach verschwundenen Opfern der argentinischen Militärdiktatur, Migranten aus Zentralamerika versuchen verzweifelt, in die USA zu gelangen, ein Grundschullehrer in der kolumbianischen Provinz betreibt eine
mobile Leihbibliothek auf Eselsrücken und versorgt
seine ABC-Schützen mit Literatur. Diese und ein Dutzend weiterer wahrer Geschichten liefert der vorliegende Reportage-Band, in dem eine junge Generation lateinamerikanischer Autorinnen und Autoren
überraschende Einblicke in die Gesellschaften ihrer
Länder gewährt. Die literarischen Reportagen, in Lateinamerika „crónicas“ genannt, sind unterhaltsam,
investigativ, kritisch und hochpolitisch. Die crónica
ist wie das cuento (Erzählung) eine spezielle Gattung
der hispanischen Literatur. Ihre Historie reicht von
den Chroniken der spanischen Eroberer über die Sittengemälde des späten 19. Jahrhunderts bis zu den
literarischen Reportagen der modernen lateinamerikanischen Klassiker Gabriel García Márquez, Elena
Poniatowski und Eloy Martínez.
Die Chronik ist „eine Erzählung, die wahr ist“, erklärte ihr Altmeister García Márquez, „eine literarische Rekonstruktion von Ereignissen oder Personen,
bei der die Form die Information dominiert“, sagt
der mexikanische Journalist Carlos Monsiváis. Alle
Themen sind erlaubt, die Leserinnen und Leser werden sie konsumieren – vorausgesetzt, sie werden
kurzweilig präsentiert. Um das zu gewährleisten, setzen Autorinnen wie die Argentinierin Leila Guerriero und die Mexikanerin Marcela Turati auf außer-
61
62
service rezensionen
ßergewöhnliche Blickwinkel, um mit ihren Reportagen über die Vergangenheitsbewältigung in Argentinien oder das Stranden junger Mittelamerikaner in
der Wüste Arizonas die Leserinnen und Leser zu ködern.
„Verdammter Süden“ liefert ein umfassendes
Bild der literarisch-journalistischen Produktion der
vergangenen Jahre. 13 Autorinnen und Autoren berichten von erstaunlichen Begebenheiten, seltsamen Zuständen, extremen Situationen und Landschaften oder überraschenden Personen. Sie schreiben meist für Zeitschriften, die auf Chroniken spezialisiert sind, etwa „SoHo“ und „Malpensante“ in
Kolumbien, „Gatopardo“ in Mexiko oder „Orsái“ in
Argentinien. Vor allem in diesen drei Ländern boomt
die crónica, von dort stammen die meisten Beiträge.
Oft geht es um Gewalt, Migration, das Bandenwesen
und die Jugendkriminalität.
Aber die positiven Geschichten kommen nicht
zu kurz: Reportagen über außergewöhnliche Menschen, das Überleben bewährter Traditionen oder
erfrischenden Erfindungsreichtum machen den
Charme des Buches aus. Die Auswahl der Herausgeber spiegelt die Vielfalt des Subkontinentes wider
und korrigiert unser oft etwas zu negatives Lateinamerikabild. Klaus Jetz
Mit Macht für die Menschenrechte?
Menschenrechtsschutz gehört zu den Kernaufgaben
der Vereinten Nationen. Doch deren aufwendiges System bewirke wenig, schreibt die Politikwissenschaftlerin Emilie Hafner-Burton.
Emilie M. Hafner-Burton
Making Human Rights a Reality
Princeton University Press, Princeton
und Oxford 2013, 276 Seiten,
ca. 19,85 Euro
Der UN-Menschenrechtsrat und zahlreiche Komitees,
die sich zum Beispiel mit Folter, Kinder- oder Frauenrechten befassen, lassen sich von den Mitgliedstaaten berichten, was sie für den Schutz der jeweiligen
Rechte tun. Sonderberichterstatter werden entsandt,
nichtstaatliche Organisationen (NGOs) angehört.
Hafner-Burton hält den internationalen Menschenrechtsschutz für eine wichtige Errungenschaft, diagnostiziert aber eine Art Lähmung durch Überdehnung.
So würden immer mehr detaillierte Normen festgeschrieben wie Rechte auf Nahrung oder Wohnraum
– verbunden mit zusätzlichen Überwachungsgremien,
denen die Staaten Berichte vorlegen sollen. Das überfordere auch gutwillige Regierungen und verschlimmere den Mangel an Geld und Personal im System.
Zugleich sollen sich möglichst viele Staaten an allen
Menschenrechtspakten und Gremien beteiligen.
Dieser universale Ansatz führt laut Hafner-Burton dazu, dass die größten Übeltäter in den Kontrollgremien sitzen und sich gegenseitig vor Kritik schützen. Gerade Staaten, die am stärksten die Menschenrechte verletzen, stünden in den UN daher am seltensten am Pranger. Das alles untergrabe die
Legitimität des Systems.
Die Beachtung der Menschenrechte lasse sich selten international erzwingen, schreibt Hafner-Burton,
Gesellschaften müssten vom Wert dieser Rechte
überzeugt werden. Da helfe es nicht, wenn immer
neue Normen verkündet, aber viele nicht eingehalten werden. Statt das System auszuweiten, solle man
sich darauf konzentrieren, mit den verfügbaren Mitteln besonders wichtige Rechte besser zu schützen.
Doch auch ein reformiertes UN-System hätte nur
begrenzte Wirkung. Hafner-Burton zeigt, dass internationale Normen vor allem Staaten beeinflussen, in
denen Demokratisierungsprozesse begonnen haben.
Die schlimmsten Rechtsverletzungen finden aber
nicht dort statt, sondern in Kriegen, Diktaturen und
sehr armen Ländern. Dort sei der UN-Menschenrechtsschutz am nötigsten – und helfe wenig.
Hafner-Burton hält deshalb „steward states“ für
entscheidend. Darunter versteht sie Staaten wie europäische Länder und die USA, die ihre Macht außenpolitisch zur Förderung der Menschenrechte einsetzen. Sie fordert, dass sie dies künftig stärker, besser
abgestimmt und auf der Basis von langfristigen Strategien tun. Dabei sollten sie mit örtlichen NGOs zusammenarbeiten, die die Menschenrechte in den lokalen Kontext übersetzen und die „stewards“ anleiten, diesen Kontext zu berücksichtigen.
In der Zusammenarbeit von NGOs und Staaten
für die Menschenrechte liegt in der Tat eine Chance.
Auf manche Gefahren dieser Allianzen weist HafnerBurton selbst hin – etwa dass Menschenrechtsgruppen, statt die Geldgeber im Ausland anzuleiten, sich
umgekehrt an deren Interessen ausrichten und
Glaubwürdigkeit verlieren. Ihr ist auch klar, dass „steward states“ nur da für Menschenrechte eintreten,
wo es ihrem nationalen Interesse entspricht; NGOs
sollten das wissen und nutzen.
Nur können stattdessen große Staaten die NGOs
benutzen und sie diskreditieren – umso mehr, als
Staaten wie die USA im „Krieg gegen den Terror“ zum
Beispiel das Verbot der Folter selbst aufgeweicht haben. Es überrascht, dass Hafner-Burton sie dennoch
wie selbstverständlich für Anwälte der Menschenrechte hält. Gerade da, wo Großmächte starke eigene
Interessen verfolgen, werden Menschenrechte oft sekundär.
Hafner-Burton führt Ergebnisse aus mehreren
Fächern zusammen. Ihr Buch ist verständlich und
lesbar, aber unnötig lang – ständig werden frühere
Argumente zusammengefasst und der Fortgang skizziert. Statt eines Literaturverzeichnisses gibt es nur
Endnoten, so dass man sich in den zahlreichen Nachweisen schwer zurechtfindet. Das wichtige Buch arbeitet jedoch schwierige Fragen heraus, denen sich
Menschenrechts-Aktivisten stellen müssen – auch
wenn die Empfehlungen der Autorin nicht restlos
überzeugen. Bernd Ludermann
9-2014 |
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M. Moustapha Diallo (Hg.)
Visionäre Afrikas. Der Kontinent in
ungewöhnlichen Porträts
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2014
366 Seiten, 29,90 Euro
Der Herausgeber Moustapha Diallo ist ein Publizist
und Wissenschaftler aus dem Senegal, der in Deutschland lebt. Alle Autoren und Autorinnen des Bandes
haben sich als Schriftsteller bereits einen Namen gemacht. Das Besondere an dem Konzept des Buches –
die Autoren haben die Protagonisten ihrer Porträts
selbst gewählt – führt zu einer zufälligen Auswahl, die
aber gewollt ist. Auf diese Weise werden Menschen in
den Vordergrund gestellt, die aus afrikanischer Sicht
Bemerkenswertes geleistet haben. Das verleiht der
Auswahl eine selten erreichte Authentizität.
Die Abfolge der Texte macht den Leser mit Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen
Tätigkeitsfeldern bekannt: Musik, Kunst, Literatur,
Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Frauenrechte, Umweltschutz, antikolonialer Widerstand, aber auch Auflehnung gegen nachkoloniale staatliche Willkür. Es ist
ein Lesebuch im besten Sinn des Wortes, das man immer wieder aufschlagen kann, um Einblicke in neue
spannende Facetten der Lebenswelt Afrikas zu gewinnen. Für alle an Afrika Interessierte wird es eine Quel-
le vielfältiger Neuentdeckungen sein – und Afrikakenner werden Personen kennenlernen, die ihnen bis
dahin unbekannt waren.
Neben international bekannten Afrikanerinnen
und Afrikanern stehen „Helden des Alltags“. Zu Ersteren zählen etwa Fela Kuti, Musiker, Erfinder des Afrobeat und politischer Rebell in Nigeria sowie Wangari
Maathai aus Kenia, die gegen Widerstände für Frauenrechte und den Schutz der Umwelt eintrat und mit
dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Zu
Letzteren gehören Youssouf Tchatchédré aus Togo, der
nach Abschluss seines Studiums in sein Dorf zurückkehrt und mit seinen Projekten Kinder und Jugendliche fördert, sowie Sophia Kawawa, Mutter und in der
tansanischen Frauenbewegung aktiv, die über Jahre
für bessere Bildungschancen für Frauen eintrat.
Auch an historische Personen wird erinnert, etwa
an Yennenga, Königstochter und Amazone, deren Leben im frühen Mittelalter zum Gründungsmythos
des Mossi-Volkes in Burkina Faso gehört. Es ist unmöglich, allen Beiträgen hier gerecht zu werden. Jedes
Porträt eröffnet ein neues Fenster zu einem weiteren
Aspekt der vielfältigen gesellschaftlichen Realitäten
Afrikas. Nur die eigene Lektüre kann die Vielfalt in ihrer Gesamtheit erschließen. Diesem informativen
und lehrreichen Band sind viele Leserinnen und Leser
zu wünschen.
Peter Meyns
kurzrezensionen
Mensch und Umwelt
Ende November stimmen die
Schweizer über eine Volksinitiative des Vereins Ecopop ab. Er will
die Umwelt durch eine Verringerung der Bevölkerungszahl schützen – die Schweiz soll eine strenge
Zuwanderungsbeschränkung erlassen und sich außerdem dazu
verpflichten, zehn Prozent der
staatlichen Entwicklungshilfe für
die Geburtenkontrolle einzusetzen. Die Initiative hat eine Reihe
von Kritikern auf den Plan gerufen.
Zu ihnen gehört Balthasar Glättli,
Nationalrat und Fraktionspräsident der Grünen. Gemeinsam mit
seinem Co-Autor Pierre-Alain Niklaus nutzt er die aktuelle Debatte
für eine Auseinandersetzung mit
der Umweltbewegung und ihren
ideologischen
Ausprägungen.
Umweltpolitik müsse die Emanzipation und Selbstbestimmung des
Menschen fördern, betonen Glätt-
li und Niklaus. Sie analysieren die
„menschenfeindlichen Denktraditionen“ bevölkerungspolitisch orientierter Ökologen und verfolgen
deren Wurzeln bis zu Thomas R.
Malthus und Paul Ehrlich. Sie zeigen mit Hilfe von Gastautorinnen
und –autoren, warum die Strategien der Bevölkerungspolitiker die
Welt nicht umweltfreundlicher
gemacht haben. Zum Schluss plädieren sie für technische Innovationen, eine gerechte Nutzung globaler Güter und Suffizienz als eine
andere Art von Wohlstand, um die
Zukunft nachhaltig zu gestalten.
Das ist nicht neu – aber die kritische Reflexion der Vermischung
von Umwelt- und Bevölkerungspolitik ist lesenswert. Nicht nur für
die Schweizer. (gka)
Balthasar Glättli, Pierre-Alain Niklaus
Die unheimlichen Ökologen
Rotpunktverlag, Zürich 2014, 176
Seiten, 19,90 Euro
Anleitung zum
Ungehorsam
Die jüngere Geschichte der gewaltfreien Demokratiebewegungen erzählt die Dokumentation „Everyday Rebellion“. Zu Wort kommen
Protagonisten aus aller Welt: Die
hippen Großstadtkrieger der Occupy-Bewegung, die wütenden Indignados in Spanien, die Oben-Ohne-Aktivistinnen von Femen, die
liberalen Protestsprayer des ägyptischen Frühlings. Das verbindende Element sind die kreativen Taktiken des Widerstands und die Entstehung neuer kollektiver Bewegungen – an ihnen ist der Film
ganz nah dran. Auch das Schicksal
der Oppositionellen in ihrer iranischen Heimat verfolgen die beiden Filmemacher Arash und Arman T. Riahi und zeigen, wie der
Widerstand nach den blutigen Protesten 2009 im Untergrund leise
aber beharrlich fortbesteht. Die
zentrale Botschaft des Films lautet:
Der gewaltfreie Widerstand ist
nicht nur ethisch überlegen sondern auch wirksamer. Das klingt
gut, aber die Entwicklungen in
Ägypten oder noch mehr in Syrien
zeigen, wie schwer oder unmöglich das in der Praxis sein kann.
Wann schlägt der friedliche Protest
in Gewalt um? Und welche Verantwortung tragen die Protestler dafür? Für die Ursachenforschung
und die kritische Distanz zu den
Protagonisten ist im Film wenig
Raum. Es bleibt ein bildstarker und
geschickt montierter Lehrfilm
über den gewaltfreien Protest zu
Beginn des 21. Jahrhunderts. Weiteres Material liefert das ständig aktualisierte Portal www.everydayrebellion.net. (sdr)
Everyday Rebellion
Schweiz, Österreich, 2013
111 Minuten
Kinostart: 11. September 2014
9-2014 |
termine service
tv-tipps
termine – veranstaltungen
19. bis 21. September 2014
Doch zu kurz gesprungen?
Ökumenische Sozialinitiative der
Kirchen auf dem Prüfstand
Evangelische Akademie Baden
Kontakt: Tel. 0721-9175-361
www.ev-akademie-baden.de
Bonn
26. bis 27. September 2014
Abhören, überwachen, spionieren
Haben Daten- und Persönlichkeitsschutz im digitalen Zeitalter
noch eine Chance?
Evangelische Akademie im Rheinland
Kontakt: Tel. 0228-9523204
www.ev-akademie-rheinland.de
Frankfurt am Main
26. bis 27. September 2014
Afrika-Konferenz
Afrika neu denken
Bilder – Macht – Interessen
Trägerkreis Afrika-Konferenz
Kontakt: Tel. 06221-4333617
www.afrika-im-zentrum.de
Kochel am See
15. bis 19. September 2014
Afrika südlich der Sahara
Verantwortung Europas angesichts von Staatsversagen und
Demokratisierungsversuchen
19. bis 21. September 2014
Für Frauenrechte, Brot und Frieden
Zur Geschichte der Frauenbewegung von ihren Anfängen bis
heute
Georg-von-Vollmar-Akademie
Kontakt: Tel. 08851-780
www.vollmar-akademie.de
Münster
29. bis 30. September 2014
Migration nach Deutschland
gerecht gestalten
Akademie Franz Hitze Haus
Kontakt: Tel. 0251-98180
www.franz-hitze-haus.de
Tutzing
18. bis 19. September 2014
Resilienz und Verwundbarkeit
10. bis 11. Oktober 2014
Reif für die Wachstumswende?
Evangelische Akademie Tutzing
| 9-2014
Kontakt: Tel. 08158-251146
www.ev-akademie-tutzing.de
Wittenberg
29. September bis 1. Oktober 2014
Gerechter Frieden in Ostasien
Pilgerschritte auf dem Weg der
Gerechtigkeit und des Friedens
Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt
Kontakt: Tel. 03491-49880
www.ev-akademie-wittenberg.de
Würzburg
17. bis 19. September 2014
Über die Arabellion hin zu funktionierenden Demokratien?
Dienstag, 16. September
17:15-17:45, Phoenix
Die Propagandaschlacht um
die Gentechnik. Wie Politik
und Verbraucher manipuliert werden. Die Reportage
gewährt einen Einblick in
umstrittene Lobbykampagnen. Die Reporter untersuchen in Deutschland, Europa,
USA und Südamerika, ob die
Versprechen der Gentechnik
gehalten werden – oder nicht.
Freitag, 26. September
22:50-23:45, ARTE
Irbo, der Imker.
6. bis 10. Oktober 2014
Lebensquelle und Menschenrecht
Wasser
Akademie Frankenwarte
Kontakt: Tel. 0931-80464-0
www.frankenwarte.de
Schweiz
Engelberg
15. bis 17. Oktober 2014
13. Wissenschaftsdialog
Nahrungssicherheit/Food Security
Academia Engelberg
Kontakt: Tel. 0041(0)41-6017520
www.academia-engelberg.ch
© Frame-Film
Bad Herrenalb
Die Dokumentation erzählt
das berührende Schicksal des
Bienenzüchters Ibrahim Gezer.
Die Wirren des türkisch-kurdischen Krieges haben ihm alles
genommen: seine Frau und
seine Kinder, seine Heimat
Impressum
Redaktion:
Bernd Ludermann (bl, verantw.),
Tillmann Elliesen (ell), Gesine Kauffmann (gka),
Sebastian Drescher (sdr, Volontär)
Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main;
Postfach/POB 50 05 50, 60394 Frankfurt/Main
Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162
E-Mail: [email protected]
Ständige Mitarbeitende:
Kathrin Ammann (kam), Bern; Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Heimo Claasen (hc), Brüssel; Ralf Leonhard (rld), Wien;
Claudia Mende (cm), München; Theodora Peter (tp), Bern;
Rebecca Vermot (ver), Bern; Marina Zapf (maz), Berlin
und mit über 500 Bienenvölkern auch die Lebensgrundlage. Geblieben ist ihm nur seine
Liebe zu den Bienen und das
unerschütterliche Vertrauen
in den einzelnen Menschen,
egal welcher Herkunft.
radio-tipps
Freitag, 12. September
23:05-23:30, hr2
ARD Radiofestival 2014.
Der Schriftsteller Ilija Trojanow
im Gespräch mit Frank Meyer.
Trojanow hat sich über die
schöne Literatur hinaus
immer wieder eingeschaltet
in Debatten: über Sicherheitswahn und Überwachungsstaat, über Sozialstaat und
Teilhabe. Und er schreibt
über die Schattenseite des
materiellen Überflusses:
überflüssige Menschen.
Sonntag, 28. September
20:05-21:00, DLF
Freistil. Höher, breiter, schneller, weiter? Vom Wachstum
auf Gedeih und Verderb.
Weitere TV- und Hörfunk-Tipps
unter www.welt-sichten.org
www.welt-sichten.org
Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der
Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement
Global gGmbH.
Anzeigenleitung: Yvonne Christoph,
m-public Medien Services GmbH,
Zimmerstraße 90, 10117 Berlin,
Telefon: 030-325321-433, www.m-public.de
Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick
Druck: Strube Druck&Medien OHG,
Stimmerswiesen 3
34587 Felsberg
Ansprechpartner in Österreich:
Gottfried Mernyi, Kindernot­hilfe Österreich, 1010 Wien,
Dorotheergasse 18
Verlegerischer Dienstleister:
Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH,
Frankfurt am Main
Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (VFEP), Hans Spitzeck (Vorsitzender), Brot
für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, CarolineMichaelis-Straße 1, 10115 Berlin
Preis der Einzel-Nr.: 5,20 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten
Preis im Jahresabonnement: 47,40 Euro, ermäßigt 35,55 Euro.
Preisänderungen vorbehalten.
Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt
– Evangelischer Entwicklungsdienst (Berlin), Christoffel-Blindenmission (Bensheim), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe
(Duisburg), Misereor (Aachen)
ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“
und „eins Entwicklungspolitik“.
ISSN 1865-7966 „welt-sichten“
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service termine
termine – kulturtipps
Faszinierende Naturgewalten
Spektakuläres Schauspiel: Reisende beobachten den Ausbruch des
Vesuvs. Gemälde von Pierre-Jaques
Volaire von 1771.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis oder Stürme: Die zerstörerische Gewalt der Natur hat die
Menschen schon immer fasziniert.
Die Mannheimer Reiss-Engelhorn-
Freiburg
Museen widmen den Katastrophen der Weltgeschichte eine Sonderausstellung. Sie schildert Auslöser, Folgen und Reaktionen. Ausgangspunkt der Schau ist das
Hamburg
Inselreich Atlantis, von dessen
Untergang der griechische Philosoph Platon berichtet. Zudem geht
es um Vulkanausbrüche in Europa
und Asien, Bergstürze, die Erdbeben in Lissabon, San Francisco
und Kanton sowie die Überschwemmungen der 1960er Jahre
in Florenz und Hamburg.
Die Präsentation vereint rund
200 Exponate, das Spektrum
reicht von historischen Gemälden,
römischen Büsten und japanischen Holzschnitten über Alltagsgegenstände, Naturalien und wissenschaftliche Messinstrumente
Köln
bis hin zu Originalberichten und
Fotos. Panoramen, Filme, Hörbeispiele und interaktive Stationen
ergänzen den Rundgang. Dass Katastrophen globale Auswirkungen
haben, zeigt der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im
Jahr 1815. Riesige Aschewolken
führten zu einer weltweiten Klimaveränderung: 1816 ging in Europa
und Nordamerika als „Jahr ohne
Sommer“ in die Geschichte ein. Es
kam zu Missernten, Hungersnöten
und die Sterblichkeitsrate stieg.
Mannheim
7. September 2014 bis 1. März 2015
Von Atlantis bis heute
Mensch.Natur.Katastrophe
Reiss-Engelhorn-Museen
Kontakt: Tel. 0621-2933150
www.rem-mannheim.de
Leipzig
13. September bis
11. Oktober 2014
Ömie Artists
Zeitgenössische Tapa-Kunst aus
Papua-Neuguinea
Die Künstlerinnen der ÖmieKooperative aus der Provinz Oro
erorbern mit ihren unregelmäßigen geometrischen Werken die
globale Kunstwelt. Die Arbeiten
greifen auf Stammesmythen und
lokale Traditionen zurück und
bewahren zugleich alte TattooMotive. Die Frauen präparieren
den Rindenstoff, indem sie die
innere Schicht der Rinde von
Regenwaldbäumen ernten,
abspülen, falten und schließlich
mit schwarzen Palmklopfern
bearbeiten, bis ein fester, faseriger Stoff entsteht. Er wird in der
Sonne zum Trocknen ausgebreitet. Eine ergiebige, erdige Palette
natürlicher Buschfarbstoffe
mit roten, gelben, grünen und
schwarzen Pigmenten wird aus
Früchten, Farnen, Blättern und
Kohle angerührt.
bis 23. November 2014
Tibet – Nomaden in Not
Nahezu die Hälfte aller Tibeter
waren einmal Nomaden. Nun
will die chinesische Regierung
alle tibetischen Nomaden bis
zum Jahr 2015 in „sozialistischen
Dörfern“ zwangsansiedeln. Damit steht eine jahrhundertealte
Tradition vor dem Aus. Das Leben
der Nomaden ist geprägt vom
starken Familienzusammenhalt
und einer engen Beziehung zu
ihren Tieren und zu Umwelt.
Nachhaltigkeit ist für sie ein
lebensnotwendiges und in ihrer
Religion verankertes Prinzip. Sie
achten darauf, dass das Grasland nicht überweidet wird und
ziehen weiter, wenn es an der
Zeit ist. Eine Zwangsumsiedlung
verdrängt die über Jahrhunderte
bewährte Lebensform. Die Ausstellung zeigt das Leben, die Traditionen und die Bedrohung der
tibetischen Nomaden mit Fotos
und Alltagsgegenständen aus der
Tibet-Sammlung des Museums.
18. bis 29. September 2014
13. Afrika-Film-Festival
Das Festival präsentiert in
diesem Jahr 85 Filme aus 27
afrikanischen Ländern. Im Fokus
„Queer Africa“ sind Filme gegen
die Verfolgung von Homosexuellen aus Ländern wie Malawi,
Südafrika, Kenia, Kamerun,
Marokko und Tunesien zu sehen.
Regisseure und Aktivisten sind
zu Filmgesprächen zu Gast. Im
Länderschwerpunkt werden
neue Spiel- und Dokumentarfilme aus Madagaskar und
preisgekrönte Abschlussfilme
aus der ghanaischen Filmschule
„Nafti“ gezeigt. Eine „Night oft the
Shorts“ lädt zu einer filmischen
Erkundung durch elf Länder des
afrikanischen Kontinents ein.
Im Begleitprogramm sind zwei
Ausstellungen zu sehen: Fotos
von afrikanischen Filmstars und
Cartoons zum Thema „Afrikanische Einheit“. Außerdem sind
während des Festivals Lesungen und Workshops geplant.
bis 5. Oktober 2014
Schneemann im Quadrat
Moderne Kunst aus Ostafrika
Farbenfrohe Werke der sogenannten Quadratmalerei, filigrane Makonde-Schnitzereien sowie
Skulpturen, Malerei und Grafik:
gezeigt wird die Vielschichtigkeit
der zeitgenössischen Kunst in
Ostafrika. Die Arbeit „African
Tales“ des Leipziger Künstlers
Maix Mayer schafft eine Verbindung zur europäischen Kunst. Zu
sehen sind rund 60 Bilder der
Tingatinga-Schule aus Tansania
mit Tieren, Alltagsszenen und
magisch-religiösen Handlungen. Hinzu kommen Masken
und Skulpturen der Makonde,
einem Volk, das in Mosambik
und Tansania lebt. In Mayers
Präsentation steht der DDRKinderfilm „Ein Schneemann für
Afrika“ (1977) im Zentrum, der in
einem kleinen Videokino in Dar
es Salaam von dem tansanischen
Kinoerzähler Captain Mukandala
übersetzt und performt wird.
Galerie ARTKELCH
Kontakt: Tel. 0761-704327
www.artkelch.de
Museum für Völkerkunde
Kontakt: Tel. 040-4288790
www.voelkerkundemuseum.com
FilmInitiativ Köln e.V.
Kontakt: Tel. 0221-4696243
www.filme-aus-afrika.de
Grassi Museum für Völkerkunde
Kontakt: Tel. 0341-9731-900
www.mvl-grassimuseum.de
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die Wahl: Lesen Sie den preisgekrönten
Bestseller „Die Donnerstagswitwen“ aus Argentinien oder den spannenden Krimi „Der
Schwanz der Schlange“ aus Kuba, in dem ein
Detektiv in der geheimnisvollen Welt von
Havannas Chinatown ermittelt.
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Im nächsten Heft
MITTELSCHICHT
Immer mehr Menschen in
Entwicklungs- und Schwellenländern erarbeiten sich einen – oft
noch bescheidenen – Wohlstand.
Entsteht so etwas wie eine „globale
Mittelschicht“? Welche Bedeutung
hat das für Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft? Und welche Verantwortung übernimmt die Mittelschicht in ärmeren Ländern für
die Armutsbekämpfung?
ARGENTINIEN
Das Land kämpft mit der Staatspleite – ein Problem, das auf die
Wirtschaftskrise von 1998 bis 2002
zurückgeht. Damals besetzten
Arbeiter Fabriken und begannen,
sie selbst zu verwalten. Wie stehen
diese Betriebe heute da?
Sie schenken Denkanstöße:
analysiert, hinterfragt, erklärt
und macht neugierig. Die Zeitschrift bietet
Reportagen, Interviews und Berichte über
die Länder des Südens und globale Fragen.
Jeden Monat direkt ins Haus.
Claudia Piñeiro
Die Donnerstagswitwen
Unionsverlag, 2012
320 Seiten
Leonardo Padura
Der Schwanz der Schlange
Unionsverlag, 2013
180 Seiten
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Fax: 069/58098-162
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Ausgabe 11-2014
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