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Maizeitung 2013
Stimmen der Arbeit • 150 Jahre Drucker
Hans-Jürgen Sitt ver.di BR-Vorsitzender
der Oberhessischen Presse in Marburg:
Arbeitskämpfe
haben uns das Rückgrat gestärkt
D
er gelernte Schriftsetzer ist heute 62 Jahre alt und
blickt auf eine lange Geschichte als Gewerkschafter zurück. Politisiert durch das Elternhaus stand
für ihn außer Frage, mit Ausbildungsbeginn Gewerkschaftsmitglied zu werden. „Wie viele andere war
auch ich beeindruckt von Wehner und Brandt, aber viel
Ahnung von Politik hatte ich nicht“. Die Studentenbewegung der 60er Jahre ermutigte ihn, auf die Straße zu
gehen und sich für seine Rechte stark zu machen. Entscheidend aber waren die Auseinandersetzungen im Betrieb. „Erst da wurde mir klar, dass es unverzichtbar ist,
Gewerkschaftsmitglied zu sein.“
Besonders prägend war der Arbeitskampf 1976. Die Beschäftigten wollten einen hohen Abschluss mit einer sechs vor dem
Komma. Über sechs Wochen hat
ihr Streik gedauert, bis die Arbeitgeber einwilligten. »Bei Streiks
war die Arbeitssituation für kurze Zeit auf den Kopf gestellt. Alles fiel aus seinem gewohnten
Rahmen. Wir versuchten unseren
Standpunkt durchzusetzen. In diesen Momenten haben wir gemerkt,
wie die Kollegen im Betrieb zusammenrückten. Dem Arbeitgeber
Respekt einzuflößen hat uns spüren lassen, dass wir gar nicht so
schwach sind, wie wir uns oft fühlen. Letztlich hat uns diese Erfahrung das Rückgrat gestärkt«.
Bettina Böttcher (ver.di), Betriebsratsvorsitzende am UKGM: »Privatisierungsprojekte
haben ein Negativimage bekommen. Schon allein dafür war unser Protest richtig und
wichtig.«
Bettina Böttcher ver.di Betriebsratsvorsitzende UKGM:
Die Solidarität
zurück. Neben den Tarifkonflikten
sind der Kampf für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen
und für die 35-Stunden-Woche
Meilensteine in ihrer Geschichte.
Sie wären ohne die Entschlossenheit der Kollegen und ihre Bereitschaft, mitzumischen nicht mögDen meisten Marburgern ist Bettina Böttcher bekannt.
lich gewesen.
der Region war beispielhaft
»Tausende sind dafür eingetreten,
dass
das Klinikum in öffentliche
Seit 2006 kämpft die inzwischen 52jährige gegen die
Hand
gehört. Das hat uns den Rü»Die Forderung nach der 35-Stun- Auswirkungen der Privatisierung am Uniklinikum. Eiden-Woche war aber damals nicht gentlich ist sie Schriftsetzerin, doch dann verschlug es cken gestärkt«.
nur eine tarifpolitische Forderung, sie ans Uniklinikum. 1986 kandidierte sie das erste Mal
sondern vor allem eine sozialpoli- für den Personalrat. »Ich komme aus einer politischen Für Bettina Böttcher ist klar:
tische. Sie war für die ganze Ge- Familie, in der es selbstverständlich war, sich zu enga- Wenn man möchte, dass sich etwas
ändert, dann muss man aufstehen.
sellschaft wichtig, weil sie eine
gieren«. Seit der Privatisierung 2006 ist sie BetriebsDiskussion um ArbeitszeitverkürZwar hat der Protest die Privatisieratsvorsitzende am Standort Marburg.
zung nach sich zog«. Deshalb dürrung nicht verhindert. Aber ohne
fen sich Gewerkschaften nicht auf Mit Sorge blickt die Gewerkschaf- Fabriken, in denen es um die Pro- den Druck hätten sich weder Getarifpolitische Themen beschrän- terin auf das Uniklinikum. »Die duktion von Stückzahlen geht. Ver- schäftsführung noch Landesregieken, sondern müssen auch als ge- Stationen sind so dünn besetzt, gessen wird dabei, dass Betreuung rung an irgendeinen Tisch gesetzt.
Die IG Druck und Papier blickt auf sellschaftspolitischer Akteur eine dass das Personal nicht mehr und Pflege von Menschen indivi»Außerdem ist etwas passiert in
eine lange kämpferische Tradition relevante Rolle spielen.
zum Durchatmen kommt. Das er- duell ist und sich nicht in Zeitscha- der Region. Privatisierungsprohöht die psychische Belastung und blonen pressen lässt.
jekte haben ein Negativimage bemacht die Kollegen krank.« Die Diese Erkenntnis hat sich mittler- kommen. Die Menschen nehmen
Ökonomisierung der Gesundheits- weile auch außerhalb des Klini- die Folgen der Privatisierung wahr
versorgung ist Patienten und Be- kums durchgesetzt. Dafür spricht und lehnen diese ab. 2006 war das
schäftigten gegenüber verantwor- die Solidaritätswelle, die den Be- anders. Schon allein deshalb war
unser Protest richtig und wichtig«.
tungslos. Die Kliniken werden zu schäftigten entgegenschwappte.
150 Jahre Drucker
Jubiläumsfest am 22. Juni im Marburger Afföllerhaus
Hans-Jürgen Sitt (Ver.di), Betriebsratsvorsitzender bei der
Oberhessischen Presse: »Im Arbeitskampf haben wir gespürt, dass wir gar nicht so schwach sind, wie wir uns oft
fühlen.«
Vor 150 Jahren haben sich die ersten Drucker zusammengeschlossen. Vorausgegangen war dem der
Dreigroschenstreik der Leipziger
Buchdrucker. Er war ein wichtiger
Schritt auf dem Weg zur Gründung des Deutschen Buchdruckerverbandes. Gleichzeitig verbreitete sich die Ansicht vom Streik als
Mittel zur Interessendurchsetzung.
Ziel des Streiks waren höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Die
Drucker wollten für 1.000 gesetzte »N« drei Groschen Lohn haben
und legten ihre Arbeit nieder. Obwohl die Arbeitgeber Streikbrecher einsetzten, erzielten die Buchdrucker eine Lohnerhöhung auf 28
Pfennig.
deutschlandweiten Organisation
der Buchdrucker deutlich.
Dieser Gedanke ist bis heute aktuell
geblieben. Deshalb veranstaltet der
Marburger Ortsverein des Fachbereichs 08 bei ver.di am 22. Juni im
Afföllerhaus ein Jubiläumsfest. Mit
einem Sketch sollen die Motive für
den Zusammenschluss der Drucker
Der Verlauf des Streiks machte nachgezeichnet und wach gehalten
die Notwendigkeit einer zentralen werden.