2. Bericht aus Jarra Soma / The Gambia Der Zauber des Anfangs verfliegt und nach gut drei Monaten bin ich langsam aber sicher im Alltag angekommen. Was nicht heißen soll, dass das Erfahren des Alltags weniger spannend für mich ist. Ich meine damit viel mehr, dass ich mich doch recht schnell an mein “neues Leben” hier gewöhnt habe. Was anfangs komisch und ungewohnt war, ist mitlerweile normal. Das Eintreten des Alltags hilft mir aber auch zu erkennen, wo ich noch weitere Aufgaben für mich entdecke und wie bzw. mit welchen Mitteln ich die Kinder und Jugendlichen hier in Soma noch gezielter unterstützen kann. Gleichzeitig musste ich aber auch lernen hinzunehmen, dass man nicht überall helfen kann und manche Dinge einfach lassen muss, wie sie sind. Seit einigen Wochen gehe ich nach der Schule von 16 - 18 Uhr in die Childrenhall, welche sich auf unserem Gelände befindet, und unterstütze die Kinder bei Ihren Hausaufgaben, übe mit Ihnen Lesen, Schreiben und Rechnen. Ab und zu packen wir auch die Blockflöten aus und ich versuche ihnen ein wenig Flötenunterricht zu geben. Meist gestaltet sich das jedoch eher schwierig, wenn zehn Kinder wild durcheinander pfeifen und fast nicht zu bremsen sind. Die Hauptsache für mich ist, dass sie Spass dabei haben. Die kleineren Kinder freuen sich über Legobausteine, Malbücher oder Puzzles. Ich empfinde es genauso wichtig, mich um sie zu kümmern. Ich habe das Gefühl, dass sie ab dem Moment wo sie laufen können auf sich allein gestellt sind. Niemand versucht sie zu fördern, oder ihnen die einfachsten Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens beizubringen. Oft bin ich schockiert, wenn Kinder, die schätzungsweise 2 – 4 Jahre alt sind von zu Hause aus alleine zu unserem Gelände kommen. Niemand wundert sich darüber, geschweige denn es würde irgendwer nach ihnen suchen. Mittlerweile ist es mir auch schon öfter passiert, dass mich jemand gefragt hat, ob ich dieses oder jenes Kind nicht haben wolle, da es ja nur stört. In diesen Augenblicken muss ich mich sehr zusammenreißen, die Tränen in meinen Augen unter Kontrolle zu halten. Man findet jedoch auch viele Menschen, für die es großen Reichtum bedeutet, viele Kinder zu haben. Sie legen weniger Wert auf ein schönes Haus oder sonstige Dinge. Im November hatten wir eine Woche Schulferien. Die Schwestern entschieden, dass wir ein paar Tage wegfahren. So hatte ich die Möglichkeit ein wenig mehr von Gambia kennen zu lernen. Wir besuchten die Insel James Island, die im River Gambia liegt. Mit einem Boot brachte uns ein Reiseleiter auf die Insel und erzählte uns von der traurigen Geschichte, wie an diesem Ort viele Jahre Sklaven unter grausamen Bedingnungen festgehalten wurden. James Island Am Tag darauf besuchten wir einen Park, in dem ca. 100 Krokodile leben. Ich wollte das erst nicht glauben, aber die Krokodile leben dort frei und man spaziert zwischen ihnen hindurch und einige kann man sogar streicheln. Nachdem ich andere Besucher lange beobachtet habe, traute auch ich mich und streichelte ein ca. zwei Meter langes Krokodil. In der Nähe von Banjul besuchten wir Schwestern, die Babys und Kleinkinder aufnehmen, um die sich niemand kümmert. Aber auch junge Mütter, die mit ihrem Baby überfordert sind. Man muss dazu sagen, dass die Mütter eigentlich selber noch Kinder sind. Die Schwestern kümmern sich ebenfalls um Tuberkulosekranke. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Arbeit. Was mich sehr schockiert hat, war zu sehen, wie emotionslos die Kinder waren, die keine Familien mehr haben, die nicht das Geschenk der Liebe der Eltern erfahren dürfen. Sie hatten kein Leben in sich, sie lachten nicht, sie reagierten nicht, wenn man sie ansprach. Zurück nach Soma: Im Notre Dame Vocational Training Center befinden wir uns nun am Ende des ersten Semesters. Ich war für die Examen in Typing und OPS (Handarbeit) zuständig, also jene Fächer, die ich auch unterrichte. Ich bin meistens sehr zufrieden mit meinen Mädchen. In den letzten Wochen haben wir in OPS eine Handytasche und eine Tischserviette gehäkelt. Die OPS-Stunden sind ziemlich anstrengend für mich, da ich von einer Schülerin zur nächsten springe und meist hinter mir schon wieder weitere drei Schülerinnen “Miss Mary” schreien und meine Hilfe brauchen. In Typing wechsle ich gewöhnlich wöchentlich zwischen Schreibmaschine und Computer, doch oft macht mir der nicht regelmäßig vorhandene Strom einen Strich durch die Rechnung. Auch die Unterrichtsstunden am Computer würde ich als durchaus interessant bezeichen. Die erste Stunde am PC habe ich nur damit verbracht, den Mädchen zu zeigen, wie man den Computer hoch- bzw. herunterfährt. In der zweiten Unterrichtsstunde haben wir versucht ein Worddokument zu öffnen, doch einige der Mädchen haben es nicht ohne meine Hilfe geschafft die Maus an den richtigen Ort zu bringen. Lehrer an einer afrikanischen Schule zu sein ist weiß Gott nicht einfach und wer keine Geduld und starke Nerven mitbringt, sollte das Klassenzimmer besser gar nicht erst betreten! Aber ich möchte nicht vergessen auch die vielen Momente zu erwähnen, in denen mein Herz höher schlägt, wenn ich sehe, dass meine Mädels Fortschritte machen und die Zeiten, in denen der Spass auch nicht zu kurz kommt und man uns über den ganzen Hof lachen hört. Von unseren Schülerinnen könnten unsere Schüler in Deutschland übrigens noch einiges lernen! Wenn es in der Nacht geregnet hat oder “kalt” war, dann darf es einen nicht wundern, wenn man in den ersten Schulstunden alleine im Klassenzimmer steht. Fast alle Mädchen kommen dann 1-2 Stunden später zur Schule oder auch gleich den ganzen Tag nicht. Nach den Ferien kommen auch weit nicht alle gleich am ersten Tag und wenn ein Tag in der Woche Feiertag ist, dann kommt man vorsichtshalber gleich drei Tage oder die ganze Woche nicht zur Schule. Mit der Missionary Childhood starten wir zur Zeit ein Theaterstück nach dem anderen. Das erste führten wir in der Nähe von Banjul auf, wo sich die Missionary Childhoods von ganz Gambia zum Cantata trafen. Ich konnte erst nicht glauben, wie wir 20 Kinder und vier Erwachsene in einem Auto dort hin bringen sollten, doch es funktionierte tatsächlich. Cantata war dafür da, dass Geld für die zukünftigen Unternehmungen der Kinder hereinkommt. Die Kinder führten mit Tänzen, Liedern und kurzen Theaterstücken durch ein buntes Programm und die Besucher unterstützten mit dem Bezahlen des Eintritts die Kinder. Missionary Childhood Soma bei ihrem Auftritt Wir verbrachten ein ganzes Wochenende dort und die ca. 500 Kinder schliefen in den Klassenzimmern einer Schule. Für das leibliche Wohl der Kinder sorgten die Veranstalter. Jeder Missionary Childhood standen 6 große Schalen Reis für eine Mahlzeit zu. Woraus ca. vier bis fünf Kinder aßen. Kinder warten geduldig an der Essensausgabe Da ich natürlich kein Besteck bei mir hatte, musste auch ich lernen mit den Händen zu essen. Ich gebe zu, dass ich mich mit Sicherheit nicht geschickt angestellt habe und konnte das Lächeln in den Gesichtern um mich herum deutlich feststellen. Reis mit Erdnusssuppe… gar nicht so einfach! Da außer dem Auftritt der Kinder an diesem Cantata-Wochenende kein Programm geplant war, entschieden wir, mit den Kindern zum Atlantischen Ozean zu fahren. Es war ein richtig schöner Ausflug. Die Kinder spielten am Sandstrand unter den Palmen und waagten sich schliesslich auch in die Nähe des Ozeans. Selten sah ich sie so glücklich, wie an diesem Tag. Ich ließ sie keine Sekunde aus den Augen, weil ich weiß, dass keines der Kinder schwimmen kann und der Atlantische Ozean wirklich gefährlich und unberechenbar sein kann. Am Atlantischen Ozean in der Nähe von Banjul Ich war froh, als wir am Sonntagabend alle totmüde von der Rückfahrt, zu Hause in Soma waren. Ein anstrengendes Wochenende für unsere Kleinen! Noch nie war mir so bewusst, wie wichtig die Kommunikation zwischen den Menschen ist. Solange jeder seine Muttersprache spricht und seine eigene Kultur lebt, ist alles ziemlich einfach und klar. Letztens war ich zu einem Abendessen eingeladen. Die Zusammensetzung der Gäste war mehr als interessant für mich: Vier Schwestern aus den Ländern Kenia, Nigeria, Polen und den USA und ein Priester aus Gambia. Zusammen mit mir ergibt das drei unterschiedliche Kontinente, sechs verschiedene Kulturen und sechs verschiedene Muttersprachen. Ich denke es war für mich nicht nur eine einfache Einladung zum Abendessen, sondern auch eine Einladung weit über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Und irgendwie hatte ich, obwohl alle sechs Personen doch so unterschiedlich waren das Gefühl, wir sind alle gleich. In den letzten zwei Wochen hatten wir drei Besucher aus England zu Gast. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance habe, so viele Menschen kennenlernen zu dürfen und internationale Freundschaften zu schließen. Zum Schluss möchte ich noch auf zwei Fragen antworten, die mir in den Emails so häufig gestellt werden: Wann kommt den jetzt bei euch der Winter? Und: Wie feiert ihr den Advent? Der Winter kommt in Gambia überhaupt nicht. Seit Ende November kühlen lediglich die Nächte auf ca. 15 Grad herunter, doch am Tag haben wir in der Sonne sicherlich zwischen 25 und 30 Grad. Der Dezember ist hier normalerweisse der kälteste Monat. Es regnet seit Ende Oktober nicht mehr und das wird wohl auch bis nächstes Jahr im Juni so bleiben. Man kann jetzt an der starken Veränderung der Natur deutlich den Unterschied zwischen Regen- und Trockenzeit erkennen. Die Luft ist voll von Staub und Sand. Und der heisstrockene Wind trocknet die Haut aus. Was Advent und Weihnachten betrifft, würde ich niemals auf die Idee kommen, dass wir uns mitten in der Adventszeit befinden, wenn ich nicht den “Adventskranz” in der Kirche sehen würde. Ich schreibe darum “Adventskranz”, weil ich wirklich lachen musste, als ich ihn zum ersten Mal sah. Ein Teller mit vier Kerzen mit Wachs am Teller befestigt und aussen herum ein grüner Plastikblätterkranz. Das ist wirklich weit und breit das einzige Anzeichen von Advent und Weihnachten, dass ich hier bis jetzt gefunden habe. Das liegt wohl auch daran, dass in Gambia nur sehr wenige Christen leben und die meisten Menschen hier kein Weihnachten feiern. Doch das Plätzchenbacken für die Weihnachtsfeier der Jugendgruppe brachte mich schliesslich doch noch in Weihnachtsstimmung. Mit für uns eher ungewöhnlichen Hilfsmitteln (wie das nächste Bild zeigt), hatten wir am Ende doch schöne Plätzchen! Zahnbürsten sind vielseitig verwendbar! Plätzchen glasieren funktioniert bestens! An dieser Stelle möchte ich nun allen ein fröhliches, gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen! Danke für jede Art der Unterstützung! Herzliche Grüße aus Soma / the Gambia Eure Maria
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