POLITIK der niedergelassene arzt 5/2015 Mehr ist nicht genug Zunahme an Ärzten löst das Problem des Mangels nicht Deutschland hat mehr Ärzte denn je. Nach der jetzt veröffentlichten amtlichen Statistik der Bundesärztekammer waren 2014 bei den Landesärztekammern 365.247 Ärztinnen und Ärzte gemeldet. Das klingt viel, reicht aber nicht aus, den Mangel an Medizinern in unterversorgten Gebieten zu beheben. rofessor Frank Ulrich Montgomery konnte eine Entlastung aber keine Entwarnung vermelden. In der Mitte April vorgelegten Ärztestatistik 2014 zeigte sich zwar eine Zunahme bei den Ärztinnen und Ärzten um 2,2 Prozent; diese wird aber die Probleme des Ärztemangels nicht lösen. „Etwas mehr und doch zu wenig“, kommentierte der Präsident der Bundesärztekammer das Ergebnis. Das leichte Plus reiche bei weitem nicht aus, um die Lücken in der medizinischen Versorgung zu schließen, die sich aus einer Reihe von gesellschaftlichen Entwicklungen ergäben, so Montgomery. Gesellschaft und Ärzte haben ein Generationsproblem Die Fakten sind seit langem bekannt. Bis zum Jahr 2020 planen nach Umfragen 23 Prozent der niedergelassenen Ärzte, ihre Praxen aufzugeben. Der demographische Prozess der Überalterung hat nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Mediziner erreicht. 2014 waren nur noch 18,3 Prozent der Ärzte unter 35 Jahre alt. 1993 lag dieser Wert noch bei 26,6 Prozent. Im Abwärtstrend war auch der Anteil der 40- bis 49-Jährigen. Er sank im gleichen Zeitraum von ebenfalls 26,6 auf 25,2 Prozent. Dagegen stieg der Anteil der Ärzte im Alter zwischen 50 und 59 von 28,3 auf 28,5 Prozent an. Die Ärzteschaft hat also immer noch ein massives Generationsproblem. Denn nicht nur die große Zahl der Mediziner, die aus Altersgründen aus der Patien- © contrastwerkstatt / Fotolia P tenversorgung ausscheiden, ist kaum zu kompensieren. Es bräuchte eigentlich noch viel mehr Ärztinnen und Ärzte. Einen personellen Mehrbedarf sieht die Bundesärztekammer wegen der Vielzahl an neuen Behandlungsmöglichkeiten, vor allem aber wegen der immer älter werdenden Gesellschaft. Der Anteil der über 79-Jährigen, der heute noch bei fünf Prozent der Bevölkerung liegt, steigt bis 2060 nach Schätzungen auf etwa 13 Prozent an. An dieser prozentualen Betrachtung würde zwar ein deutlicher Migrationsschub etwas ändern, nicht aber an den dahinterstehenden absoluten Zahlen. Dass diese älteren Menschen natürlich auch kränker werden, ist eine Binsenweisheit. Das Problem gilt zwar vom Grundsatz her für alle Industrienationen, ist aber hierzulande besonders groß. Denn im EUSchnitt hat Deutschland die älteste, weltweit nach Japan die zweitälteste Bevölkerung. Und deren künftige Behandlung wirft nicht nur im ambulanten Bereich Fragen auf. Auch die Krankenhäuser leiden unter einem erheblichen Ärztemangel. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat allein im Kliniksektor bis 2030 einen Fehl- bedarf von 111.000 Ärztinnen und Ärzten prognostiziert. Verschobene Prioritäten Dass hier der leichte Zuwachs an berufstätigen Ärzten keinen Grund zur Entwarnung gibt, liegt unter anderem an den Prioritäten der Jungmediziner, die sich nach Montgomerys Angaben in den letzten Jahren deutlich verschoben haben. „Wie haben es mit einer nachwachsenden Ärztegeneration zu tun, die berechtigte Anforderungen an ihren Arbeitsplatz stellt“, so der BÄK-Präsident. „Wie zahlreiche Umfragen zeigen, legen diese jungen Ärzte großen Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Freizeit, auf feste Arbeitszeiten und flexible Arbeitszeitmodelle.“ Auch deswegen entscheiden sich immer mehr Nachwuchsmediziner für eine Anstellung und gegen die Niederlassung. Das zeigt die Statistik der Beschäftigungsverhältnisse im niedergelassenen Bereich. Waren dort noch 1993 nur 5.397 angestellte Ärztinnen und Ärzte tätig, betrug deren Zahl 2014 schon 26.307. 31 POLITIK der niedergelassene arzt 5/2015 zent aus den USA. Die größten Gruppen bilden die Rumänien (3.857), Griechen (3.011), Österreicher (2.695) und Polen (1.936). Prof. Montgomery betonte, dass sie gerade in ländlichen Regionen einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung leisteten. In vielen Kliniken gäbe es ohne ihren Einsatz bereits „erhebliche personelle Engpässe“. Zudem wird der Beruf immer weiblicher. Der Frauenanteil unter den Ärzten stieg von 33,6 Prozent in 1991 auf 45,5 Prozent im vergangenen Jahr – Tendenz weiter wachsend. Was einerseits gut sei, habe anderseits schon allein wegen des Kinderwunsches Konsequenzen. Die Zahl der nicht berufstätigen Ärztinnen und Ärzte betrug im vergangenen Jahr 2.757. In den zehn Jahren von 2001 bis 2011 stieg die Zahl der Ärzte mit Teilzeitbeschäftigungen von 31.000 auf 54.000. Immer weniger junge Mediziner sind offenbar dazu bereit, sich selbst für ihren Beruf auszubeuten. BÄK fordert mehr Studienplätze Der Bundesärztekammer-Präsident for derteein Umdenken bei den politisch Verantwortlichen. „Abwehren lässt sich der Ärztemangel nur, wenn es gelingt, mehr Ärztinnen und Ärzte auszubilden. Derzeit Migration lindert aber löst nicht An der prekären Lage kann auch die Migrationnur wenig helfen. Denn es kommen nicht nur Ärzte nach Deutschland. Die Bundesrepublik ist gerade auch für Mediziner zum Auswanderungsland geworden. Allein 2014 kehrten 2.364 Ärztinnen und Ärzte Deutschland den Rücken. Die beliebtesten Einwanderungsländer waren die Schweiz (754 Ärzte), Österreich (285 Ärzte) sowie die USA (131 Ärzte). Immerhin lag die Zahl der zugewanderten Mediziner mit 3.768 doch etwas höher. Zurzeit sind in Deutschland 39.661 Ärztinnen und Ärzte mit Migrationshintergrund tätig. Die meisten davon (72,3 %) kommen aus Europa. Ihre Zahl stieg 2014 um 2.361 neue Ärzte an. 18,4 Prozent kommen aus Asien, 5,7 Prozent aus Afrika und 2,9 Pro- gibt es an unseren Universitäten knapp 10.000 Medizinstudienplätze. Mindestens zehn Prozent mehr wären notwendig.“ Leider wären aber weder Bund noch Länder dazu bereit, sich hier finanziell zu engagieren. Besonders dringend würden Hausärzte gesucht, deren Zahl sich nach KBV-Statistik bis 2020 um circa 7.000 verringern werde. Ein leichter Hoffnungsschimmer sei allerdings zu erkennen, sagte Montgomery. So sei die Zahl der Anerkennungen in den Fächern Allgemeinmedizin gegenüber dem Vorjahr von 1.112 auf 1.218 gestiegen. Insgesamt seien im letzten Jahr 11.149 Facharztbezeichnungen ausgesprochen worden. Letztlich sind aber auch das nur Tropfen auf dem heißen Stein. Elmar Esser Kommentar Auch eine Frage der Wertschätzung Es scheint eine unlösbare Aufgabe zu sein. Obwohl Politik und Ärzteorganisationen die Behebung des Ärztemangels als vordringliche Aufgabe erkannt haben, ändert sich wenig – zu wenig, um die Probleme auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Zahlreiche Versuche wurden bereits unternommen. Die Honorare wurden angehoben, Kommissionen zur Entbürokratisierung eingerichtet und medienwirksame Kampagnen gestartet. Nun soll es bald Regulierungen geben, indem Praxen in überversorgten Gebieten auf- und damit weggekauft werden, damit sich die jungen Berufsanfänger eher in den ländlichen Raum bewegen. All das zeigt ohne Frage erste Wirkungen, ist aber letztlich auch nur das Kurieren am Symptom. Natürlich ist es wichtig, die finanziellen Anreize so zu setzen, dass einige Ärztinnen und Ärzte nicht mehr als hochqualifizierte Wirtschaftsmigranten motiviert sind, eine Berufstätigkeit im Ausland aufzunehmen. Aber ist das der einzige Grund für die Auswanderung? Was ist mit denen, die nach dem Studium möglicherweise auch nach der Facharztausbildung erst gar nicht den Weg in die Kuration suchen? Ärzte haben vielfältige Berufschancen – auch in Deutschland selbst. Aufgrund ihrer breiten und fundierten Ausbildung sind sie gesuchte Mitarbeiter. Nicht nur die pharmazeutische Industrie lockt mit attraktiven Angeboten. Auch Behörden, Krankenkassen und nicht zuletzt Verlage bieten sich als Arbeitgeber an. Überall dort sind die Mediziner willkommen und werden hoch geschätzt. © Andres Rodriguez / Fotolia 32 Dieses Gefühl haben sie in ihrem eigentlichen Beruf immer weniger. Über lange Jahre wurden Ärzte in Deutschland zwar teilweise finanziell vor allem aber mit ihrer Arbeitsleistung regelrecht ausgebeutet. Bürokratie und Dokumentation nahmen immer mehr Zeit und fehlten für die Therapie. Stets aufs Neue auftretende Fälle von Ärzte-Bashing trugen das ihrige dazu bei, die Freude an der Patientenbehandlung gründlich zu verleiden. Die Politik tut gut daran, neue Wege zu suchen. Diese müssen aber auch beinhalten, einen deutlich veränderten Umgang mit den deutschen Ärztinnen und Ärzten zu pflegen. Den nachfolgenden Generationen muss klar gemacht werden, dass man sie nicht nur braucht, sondern sich auch regelgerecht auf sie freut. Letztlich ist das Ganze auch und vor allem eine Frage der Wertschätzung. Elmar Esser
© Copyright 2024 ExpyDoc