NRW-Forum: Alain Biebers Ego Updates Erika Kiffls Atelier-Besuche Kunst oder Klimbim: Danh Võ in Köln Terminkalender: Ausstellungen und Messen im Herbst VERLAGSBEILAGE Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 5. — 10. Mai 2016 www.kurzfilmtage.de inhalt 4 Kunstspecial 09 / 2015 Schutz oder Haft? Die Politik plant ein neues Kulturgutschutzgesetz. Das bedeutet das Ende des Kunsthandels – sagen Sammler und Galeristen. 10 SEITE 14 KAUFEN ODER NUR GUCKEN ? »Dann steht plötzlich die Ampel auf Grün« Uecker, Beuys, Ai Weiwei – Erika Kiffl hatte sie alle. Nun zeigt das Museum Kunstpalast ihre Künstler- und Atelierfotografien. 14 Kaufen und Gucken Kunstmessen im Herbst – eine Auswahl Marina Abramovic: Artist Portrait with a Rose, 2013. Copyright Marina Abramovic, Courtesy Marina Abramovic Archives, Galerie Krinzinger Vienna. 18 Der Spaßmacher Im Gespräch mit Alain Bieber: Düsseldorfs jüngster Museumsdirektor verrät, was er mit dem NRW-Forum Düsseldorf vorhat. 22 Wer ist hier der Nächste? Caritas früher und heute – eine Ausstellung über Nächstenliebe im Diözesanmuseum Paderborn 24 Versierter Arrangeur Danh Võ ist schwer zu fassen: Macht er Kunst oder Klimbim? Eine Suche nach Antworten. 29 Schau dich um! Was der Herbst beim Nachbarn bringt: Die besten Ausstellungen in Belgien und den Niederlanden Sentimentale Eichen Voltaire schmähte, Heine bewunderte sie: Wahrheiten über Westfalen im MKK Dortmund 26 32 36 Hingeschaut! Was steht denn da? Eine Webseite dokumentiert die Kunst im öffentlichen Raum in ganz NRW. Der Herbst und seine Ausstellungen und Messen Eine internationale Auswahl 30 Runter vom Sofa Viele Werke aus NRW-Museen sind auch online zu finden. Nun erweitert nrwmuseum.de sein Angebot. K.WEST 09/ 15 KUNSTSPECIAL 3 Schutz oder Haft? TEXT ULRICH DEUTER Von C. D. Friedrich sind sechs eher weniger bedeutende Werke im »Verzeichnis national wertvollen Kulturguts« eingetragen, der »Mönch am Meer« von 1810 (Berlin, Schloss Charlottenburg) aber nicht. Beltracchi fälscht, WDR und Westspiel verhökern – Kunst ist Ware und der Kunstmarkt einer der ungeregeltsten. Doch nun tut sich was: NRWKulturministerin Schäfer kündigt einen »Kodex zum Umgang mit Kunst« an, ihre Bundeskollegin Grütters legt ein neues Kulturgutschutzgesetz vor. Um dieses aber ist ein heftiger Streit entbrannt: Sammler und Galeristen beschwören das Ende des deutschen Kunsthandels herauf. 4 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Das klassische Tableau sieht den Geist wider zwei Kontrahenten fechten: die Macht und das Geld. Idealerweise vielleicht richtig, doch in der unidealen Wirklichkeit sind die Rollen manchmal überraschend verwischt – wie jetzt in der Auseinandersetzung um das neue Kulturgutschutzgesetz. Künstler wie Baselitz, Gerhard Richter oder Uecker fürchten um ihre Milliönchen, während eine Staatsministerin antritt, um das Geistige in der Kunst vor dem Markt zu retten. Was ist da los? Fakt ist, EU und UNESCO fordern seit längerem von Deutschland, den Kulturgutschutz zu verbessern; auch die Bundesländer wünschen sich von Berlin eine Verbesserung des Abwanderungsschutzes. Zwar ist Kultur Ländersache, doch verpflichtet das Grundgesetz in Artikel 73 »ausschließlich« den Bund zur »Gesetzgebung über den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland«. Schon seit 1955 besteht daher ein Bundes-»Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes« (KultgSchG), das all das benennt, worüber jetzt – als sei es völlig neu – heftigst gestritten wird: ein »Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes«, in das »Kunstwerke und anderes Kulturgut (…), deren Abwanderung (…) einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde«, eingetragen werden. Sowie das staatliche Recht, die Ausfuhr eingetragenen Kulturgutes »zu versagen, wenn bei Abwägung der Umstände des Einzelfalles wesentliche Belange des deutschen Kulturbesitzes überwiegen.« vom 16.-18.Okt. 2015 in Hamm / Westf. Veranstaltungsort Alfred Fischer Halle Sachsenweg 10 - 59073 Hamm www.artexpo.nrw internationale Kunstmesse auf 1.500 m 2 und internationale Fachhandelsmesse auf 3.000 m 2 Diese Liste »national wertvollen Kulturgutes« wird von den Bundesländern geführt, sie haben hierzu einen Sachverständigen-Ausschuss zu bilden und zu hören, in dem neben Hochschullehrern unter andrem auch private Sammler und Kunsthändler vertreten sein müssen. Womit das Spektrum derer, die mit Kunst zu tun haben und die mit Kunst handeln, vorbildlich abgedeckt ist. Weswegen auch in den 60 Jahren seither kaum Klagen zu hören waren. (Höchstens, dass diese Liste schlecht geführt sei, was man am nicht zu verhindernden Verkauf der Warhols aus dem Besitz der Westspiel in NRW sehen konnte.) Seit Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters (CDU) aber die in ihrem Haus erarbeitete Novelle des KultgSchG vorgelegt hat – bzw. eine erste Fassung an die Presse durchgestochen wurde –, seit Mai also schreien zwar nicht die Museumsdirektoren und Kunsthistoriker, wohl aber die Sammler und Händler Mordio. Sowie auch bemerkenswerterweise manche Künstler. Vergleiche mit DDR und Nazizeit werden gezogen. Von Enteignung ist die Rede. Erkennbar ist: Den Protestlern geht’s ums Geld. Sie fürchten nicht den Wert-, sondern den Preisverfall ihrer Kunst. Sie haben, wie Baselitz, geschickt durch Verleih an öffentliche Museen den Wert ihrer Werke erhöht und fürchten nun das Verkaufsverbot. Denn nach dem Willen des neugefassten Gesetzes muss künftig für jedes Kulturgut oberhalb der Schwelle von 70 Jahren und 300.000 Euro (Erstfassung: 50 Jahre und 150.000 Euro) bei dessen Ausfuhr, auch ins EU-Ausland, eine staatliche Genehmigung eingeholt werden. Im Zuge dieses Verfahrens prüfen die Landesbehörden, ob das Objekt bereits nationales Kulturgut ist oder in die Liste aufgenommen wird. Wenn ja, darf das Werk nur noch in Deutschland verkauft werden. Die gewaltigen Summen etwa des New Yorker Marktes sind dann für den, der seinen Picasso oder Holbein an Oligarchen verkaufen will, nicht mehr drin. Schon hat der adlige Privatbesitzer eines Goldpokals aus dem 17. Jahrhundert das Objekt (Schätzwert zehn Millionen Euro) noch vor der Prüfung durch die zuständige Mainzer Landesregierung husch-husch nach London verbracht, was bislang nicht verboten ist. Und von dort vermutlich nach New York. So dass das Trinkgefäß Kaiser Rudolfs II. wohl demnächst einem Scheich zum Wohle dient. Wofür alle deutschen Kunsthändler gemeinsam fast ein ganzes Jahr lang schuften, 700 Millionen Dollar, das setzt Christie’s in New York an einem Tag um. Also warnt der heimische Kunstmarkt: Vom deutschen Handel allein können wir nicht leben. Wir haben ohnehin mit 19-prozentiger Mehrwertsteuer zu kämpfen (eine EU-Richtlinie), mit den Abgaben für Künstlersozialkasse und dem »Folgerecht« (das Künstler und deren Erben ein Scherflein vom Wiederverkauf ihrer Werke abgibt). Diese Tränenflut stammt jedoch zum Gutteil vom Krokodil. Erwirtschaftet doch der deutsche Kunsthandel 80 Prozent seines Umsatzes mit dem Verkauf zeitgenössischer Kunst. Und die wird weder derzeit von der Nationalkulturgutschutzliste erfasst, noch wird sie es künftig sein. Laut Auskunft der Staatsministerin befindet sich auf dem 2700 Positionen umfassenden Verzeichnis nur ein einziges zeitgenössisches Werk, von Uecker. Warum also das Geschrei? Neben der Ausfuhr will Grütters’ Gesetz auch die Einfuhr stärker regeln, zum Schutz gegen den illegalen Handel mit Kulturgut etwa aus Kriegsgebieten; das findet auch der Kunsthandel prima. Aufregung hingegen verursacht dito die Absicht, nicht nur öffentliche Sammlungen generell unter Verkaufs-Schutz zu stellen, sondern auch die dort gezeigten Leihgaben. Was Georg Baselitz zum sofortigen Abzug der Seinen aus Museen in Dresden, München und Chemnitz bewog. Hätten ihm doch die Dollarzeichen im Auge nicht die Sicht getrübt! Denn die geplante Regelung dient dem Schutz der Leihgaben (etwa bei Diebstahl) und erlischt beim Ende der Leihe. Man kann auch missverstehen wollen. Im Herbst soll das Gesetz im Bundestag beraten werden, 2016 in Kraft treten. Viel wird darauf ankommen, wie der Begriff »national bedeutendes Kulturgut« definiert wird. Die Praxis der Kulturstiftung der Länder, die mit genau diesem Begriff seit Jahren operiert, lässt allerdings kaum Raum für Befürchtungen: In die »Schutzhaft« des nationalen Ranges gerät nur sehr Weniges. ZWEI STATEMENTS AUS DEM MARTA IN HERFORD UND DER ART COLOGNE 6 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Der junge Trier Hann Trier zum 100. Geburtstag 31.7. – 1.11.15 Gutes Gesetz Schlechtes Gesetz Roland Nachtigäller, wären die Warhols aus dem Besitz der Westspiel letztes Jahr nicht versteigert worden, wenn es das neue Kulturgutschutzgesetz schon gegeben hätte? – Eine Frage, die der Direktor des Museums Marta Herford verneint: »Da die Altersgrenze auf 70 Jahre angehoben wurde, hätte es wohl nichts genutzt. Allerdings hätte es wahrscheinlich eine ganze andere Debatte über Kunst im öffentlichen Besitz gegeben. Das ist das Gute an der Gesetzesnovelle: Wir reden engagiert über Kultur und ihren Schutz. Panik ist völlig unangebracht. Ebenso die teils ausufernde Begriffswahl. Das wird auch Frau Grütters nicht gerecht, die eine kluge Akteurin ist.« Den Begriff des national Wertvollen im Gesetz erstmals definieren zu wollen, begrüßt Nachtigäller, auch wenn er keine Formulierungsvorschläge machen möchte. »Dafür bin ich als Marta-Direktor auch zu wenig davon betroffen. Wir sind ja ein Haus der zeitgenössischen Kunst. Aus der Museumsperspektive liegt mir aber die Frage am Herzen, was Sammeln grundsätzlich bedeutet. Wie entsteht so etwas wie Geschichtsschreibung im Museum, was sollen wir bewahren, darf es Verkäufe geben? Der Direktor der Art Cologne, Daniel Hug, hingegen verbindet mit dem neuen Gesetz die schlimmsten Befürchtungen: »Das Problem ist, dass der Staat, dass Bürokraten künftig festlegen wollen, was von nationalem Wert ist und was nicht.« Gut ist: Wir debattieren über Kunst im öffentlichen Besitz. Wie kann man den internationalen Leihverkehr von Kulturgütern sinnvoll gestalten, ohne ausstellungsverhindernde Hürden und Auflagen? Und: Zu welchen finanziellen Bedingungen ist das überhaupt noch möglich usw.?« Nicht ganz geklärt ist bislang, ob im neuen Gesetz öffentliche Sammlungen generell unter Kulturgutschutz gestellt werden (wie der erste Entwurf es vorsieht) oder erst auf Antrag. Letzteres würde Nachtigäller sehr begrüßen: »Das großartige Documenta-Archiv in Kassel wäre beispielswiese für mich eine Sammlung, die es wert wäre, als Ganzes geschützt zu werden. Damit nicht eines Tages begehrte Einzelstücke herausgelöst und veräußert werden.« Generell erhofft er sich Positives vom Gesetz: »Ich bin optimistisch und stelle mir vor, dass es immer wieder, nämlich bei Beratungen über eine Aufnahme in die Liste, zu produktiven Diskussionen in der Öffentlichkeit kommt. Über unser kulturelles Gedächtnis, über die Kunst- und Kulturproduktion in diesem Land. Das ist eine Frage, die gerade in Zeiten neoliberaler Öffnung der Märkte all zu oft untergeht.« 8 KUNSTSPECIAL Der Staat will Kunst definieren? Hug sieht nicht ein, warum Deutschland dem schlechten Beispiel Italien folgen müsse, dessen Kulturgutschutzgesetz zur Folge hatte, dass Händler italienische Nachkriegskunst vor Erreichen der Altersgrenze von 50 Jahren (wonach sie nicht mehr ins Ausland verkauft werden dürfte) nach London exportierten und so den heimischen Markt lahmlegten: »Frau Grütters will Kulturgut schützen, aber ihr Gesetz bewirkt das Gegenteil. Ich befürchte, dass die meisten deutschen Sammler ihre Sammlungen vor Inkrafttreten des Gesetzes ins Ausland verfrachten, in Zollfreilager nach Luxemburg und in die Schweiz. Am Ende haben wir weniger Kunst. Am Ende hat Deutschland weniger Kunst als jetzt.« Und die Zahl gefälschter Provenienzen werde zunehmen. Wenn schon eine Altersgrenze gezogen werden müsse, dann auf jeden Fall deutlich mehr als 70 Jahre: »Alles vor dem 20. Jahrhundert ginge. Die erste Gutenberg-Bibel, klar, nationales Kulturgut. Aber 70 Jahre, das bedeutet 1945. Alles davor wäre blockiert. Die NS-Zeit ist ein Minenfeld, da muss die kleinste Möglichkeit, Werke zurückund zusammenzuführen, offengehalten werden. Wir sollten es wie in England regeln, wo der Staat ein Zeitfenster von sechs Monaten hat, um ein Kunstwerk, das ins Ausland gehen soll, selbst zu kaufen. Das ist genug Zeit, um das Geld dafür aufzutreiben.« K.WEST 09/ 15 ARCHÄOLOGISCHE LANDESAUSSTELLUNG NRW www.revolution-jungsteinzeit.de Rheinisches Landesmuseum für Archäologie, Kunst- und Kulturgeschichte Colmantstraße 14-16, 53115 Bonn Telefon 0228 2070-351 www.landesmuseum-bonn.lvr.de Anmeldung/Buchung von Führungen [email protected] Telefon 02234 9921-555 Öffnungszeiten Di-Fr und So 11-18 Uhr Sa 13-18 Uhr Mo geschlossen Tickets im Vorverkauf inkl. VRS-Fahrausweis www.bonnticket.de bzw. www.koelnticket.de Ticket-Hotline 0228 502010 kleinundneumann.de jung S T E I N Z E I T REVOLUTION LVR-LandesMuseum Bonn 5. September 2015 – 3. April 2016 »Dann steht plötzlich die Ampel auf Grün« TEXT KATJA BEHRENS Wie anders sähe die Geschichtsschreibung der rheinischen Kunstszene aus, hätten nicht in den letzten 50 Jahren die Fotografen aus der zweiten Reihe unsere Aufmerksamkeit auf die Ereignisse und ihre Köpfe gelenkt? Erika Kiffl ist einer dieser Chronisten. Sie hat mit ihren Künstler- und Atelierbildern ein Stück Kunstgeschichte bewahrt, die jetzt in einer Ausstellung im Museum Kunstpalast noch einmal lebendig wird. Besen statt Pinsel: 1977 fotografiert Erika Kiffl Gotthard Graubner bei der Arbeit an seinem Documenta-Beitrag. Das Atelier war zu klein, deshalb hatte der Künstler sein Quartier im Museum Kunstpalast verlegt. Museum Kunstpalast, AFORK, Düsseldorf. © Erika Kiffl, 2015. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2015. 10 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Gotthard Graubner steht mit langem Besen in der Hand vor ein paar großen, an einen Pfeiler gelehnten Leinwänden. Auf dem Boden ausgebreitet: Papierbögen, Lappen, Farbdosen, eine Flasche – Terpentin vielleicht. Zur Vorbereitung seines Documenta-Beitrags war der Maler 1977 in die Halle A5 umgezogen, den Ausstellungsraum des alten Düsseldorfer Kunstpalastes. »Ein wunderbarer Ort«, erinnert sich Erika Kiffl. Beim Gespräch in einem Café in der Düsseldorfer Innenstadt möchte sie mit dem Blick zum Raum Platz nehmen – »sonst bin ich abgelenkt, weil ich dauernd schaue, wer vorbeikommt.« Sie fängt sofort an zu erzählen, von ihrem Aufwachsen »im böhmischen Wald«, ihrem Ankommen im Rheinland, von ihren Begegnungen mit den Künstlern in Düsseldorf oder den Problemen und der Unterstützung, die sie als Fotografin erfuhr. Sie hat den Katalog zu ihrer aktuellen Ausstellung mitgebracht – Erinnerungen steigen hoch. Damals hatte die Stadt dem Maler Graubner die Halle A5 des Kunstpalastes zeitweise überlassen, denn »sein Atelier war ja viel zu klein für die Formate. Als ich das sah, das war die Initialzündung für mich«. Kiffl hat Graubner seinerzeit mit ihrer Kamera begleitet. Künstlerporträts hatte sie schon vorher gemacht, nun aber erkannte sie die Bedeutung des Arbeitsumfelds für die Entstehung von Kunst. Ein Motiv im Übrigen, das Künstler selbst schon seit Jahrhunderten immer wieder beschäftigt: In ihren Selbstbildnissen zeigen sie sich gerne bei der Arbeit im Atelier, umgeben von Staffelei, Pinsel- und Farbbehältern, von Objekten, die Bildrequisiten oder Inspirationsquelle sind, mitunter ist auch eine schöne Muse zugegen. Kiffl jedenfalls ist begeistert von Graubner, seinem Besenpinsel und dem großen Raum. Noch im selben Jahr ist sie bei Gerhard Richter zu Besuch, darf auch ihm bei der Arbeit zuschauen und dabei fotografieren. Schon 1967 hatte sie den Maler bei der Ausführung seiner Serie »Diana« fotografieren können. Entstanden sind Fotos, die wohl eine so starke Präsenz und Authentizität besitzen, weil die Fotografin tatsächlich im Hintergrund blieb – sozusagen aus dem Hinterhalt geschossen hat. Ohne großen Aufwand: kein Kunstlicht, keine Inszenierung, noch nicht einmal unbedingt ein Gespräch – »einfach so«, sagt sie. In Richters Fall arbeitete sie ausnahmsweise in Farbe. Sonst sind Kiffls Fotografien allermeist schwarz-weiß, immer analog, nie bearbeitet. »Ich bin keine Künstlerin, ich bin Fotografin«, stellt sie klar. Und, »ich mache auch keine Künstlerporträts. Ich will schließlich keine Hofberichterstattung machen. Mich interessiert das »work in process«, der Arbeits- und Entstehungsprozess, deshalb meine Serien, deshalb der Blick ins Atelier. Oft sagt ja auch der Raum selbst genug aus über die Menschen, die hier arbeiten.« und auf über 1.000 qm in Köln-Lövenich! AUKTION 77 - am 21. November 2015. Wir freuen uns auf Ihre Einlieferung. 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Gemeinsam mit den Kollegen Benjamin Katz, Manfred Leve und dem Kurator Stephan von Wiese war Kiffl damals eine treibende Kraft hinter der Archivgründung. Und, »sie ist auch heute noch eine der Säulenheiligend des AFORK«, sagt Museumsdirektor Beat Wismer. Die Ausstellung zeigt etwa hundert von insgesamt tausend Kiffl-Bildern des Archivs, beginnend mit der ersten Serie 1964 im Bahnhof Rolandseck. Die Präsentation folgt mehr oder weniger chronologisch den verschiedenen Kapiteln ihres Werdegangs, sortiert nach Künstlern, nach Orten, nach Ereignissen. Kiffl wurde 1939 im böhmischen Karlsbad geboren, ist in Österreich aufgewachsen, großbürgerlich mit der entsprechenden kulturellen Prägung. Mit elf Jahren ist sie mit Mutter und Stiefvater nach Düsseldorf gekommen. Nach Studien an der Werkkunstschule Krefeld geht sie an die Kunstakademie Düsseldorf, sitzt mit Hilla und Bernd Becher zusammen in einer Klasse, bricht jedoch bald ihr Studium ab, um als Layouterin für die Modezeitschrift »Elegante Welt« zu arbeiten. Sie arrangiert Fotos, arbeitet selbst als Modell, pflegt die Kontakte und Freundschaften der Akademiezeit: Anna und Bernhard Blume, Dorothee und Konrad Fischer, Günther Uecker, Konrad Klapheck, Graubner ... 1963, so erinnert sie sich gern, »bin ich dann zusammen mit meiner Cousine mit geliehenen 2000 Mark nach New York geflogen. Für 800 habe ich mir einen Fotoapparat gekauft, der Rest ging für den Flug drauf. Alle waren sie an Bord, Künstler und Galeristen, wenn die Maschine abgestürzt wäre, hätte die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wohl anders ausgesehen. Kricke hat die ganze Zeit getrunken und randaliert, Szeemann war da, Arnold Rüttlinger, in den hatte ich mich sofort verliebt.« In New York gelingt ihr dann ein Glückstreffer: Riesige Dinosaurierfiguren für die Weltausstellung im folgenden Jahr in New York wurden den Hudson River hinaufbefördert, es sah so aus als würden sie schwimmen. »Der ›Stern‹ hat mir gleich die Bilder abgekauft, da hatte ich die Reisekosten wieder raus.« Nach der Arbeit für das Modemagazin, vor der Kamera und im Layout, ist sie einige Zeit in einer Werbeagentur, später im Kunsthandel tätig. »Damals habe ich schon Künstler und Kunst fotografiert, das K.WEST 09/ 15 war ja auch naheliegend.« Dann das Schlüsselerlebnis mit Graubner und seither immer wieder Künstler bei der Arbeit, beim Ausstellungsaufbau, im Atelier: Günther Uecker, Joseph Beuys, Jan J. Schoonhoven, Arnulf Rainer, Lothar Baumgarten, Karl Prantl, Joannis Avramidis, Miroslaw Balka, Bogomir Ecker, Ai Weiwei ... Kiffl ist unermüdlich, sie nutzt ihre Kontakte aus Akademiezeiten, bittet die Künstler selbst, sie weiterzureichen. Oft sei es aber auch Zufall gewesen, wenn etwas klappte: »Du versuchst etwas und versuchst, und dann steht plötzlich die Ampel auf Grün.« Beim Durchblättern des Katalogs fällt auf, dass ihre Bilder häufig besonders gut als Paare funktionieren. Joseph Beuys in persona oder vertreten durch Gehstock, Filz, Rucksack, ganz egal. Ulrike Rosenbachs verrückte Performance »Meine Macht ist meine Ohnmacht« von 1978 in einem hängenden Netz im Museum Kunstpalast ist ein bekanntes und viel reproduziertes Bild. 1985 wird es noch einmal aufgerufen, wenn Martin Honert zum Akademierundgang im zentralen Treppenhaus seine Schwimmer im luftigen Netz umherpaddeln lässt. Kiffl hat beide Arbeiten fotografiert und überlässt alles Weitere dem Betrachter. Im Laufe der Jahre hat sie immer wieder in umfangreichen Serien fotografiert, hat zehn Jahre lang, von 1979 bis 1989, die Akademierundgänge fotografiert oder die Treibhaus-Ausstellungen im Kunstmuseum Jahr für Jahr begleitet. 1980 rief sie das Internationale Fotosymposium ins Leben, das viele Jahre auf Schloss Mickeln stattfand. Sie fotografierte in Polen und Österreich und in China. »Das ist der Videokünstler Zhang Peih«, Kiffl zeigt auf einen Mann auf einem Foto. »Er hat mich einst gefragt, ob ich wohl wisse, wie er reich und berühmt werden könne. Ich habe ihm den Tipp gegeben, Kontakt zu Sony aufzunehmen – die waren die Sponsoren von Nam June Paik. Heute ist Peih einer der berühmtesten chinesischen Videokünstler, er ist gerade in Marl zu sehen«, bemerkt sie zufrieden. Und so reiht sich Geschichte an Geschichte. Jedes Bild steht für eine Erinnerung. Auf die Frage nach Künstlerinnen und deren Ateliers allerdings antwortet die Fotografin etwas zerknirscht: »Das ist ein kritischer Punkt. Meine ersten Künstlerkontakte waren alles Männer. Richter, Klapheck, Graubner, Uecker... Später dann habe ich selbstverständlich auch Künstlerinnen getroffen und fotografiert, Katharina Sieverding, Isolde Wawrin, Ulrike Rosenbach ...« Sehr viele Frauen lassen sich allerdings nicht finden, doch das könnte ja durchaus auch die damalige Wirklichkeit abbilden. »Künstlerinnen waren einfach nicht so sichtbar.« K.WEST 09/ 15 Sie ist die älteste Kunst-Messe Deutschlands und findet unter der ideellen Trägerschaft des KD (Kunsthändlerverband Deutschland) statt. Die renommierten Aussteller der 60. Kunst-Messe München präsentieren ein erstklassiges Angebot aller klassischen Sammelgebiete von der Antike bis zur Kunst der Gegenwart. Ein Besuch dieser internationalen Messe ist für den kundigen Sammler musealer Kunst ebenso lohnend wie für Neueinsteiger. 25. Oktober bis 1. November 2015 täglich 11 – 19 Uhr Wredestraße 10 an der Hackerbrücke www.kunstmesse-muenchen.com Julian Opie: Architect. © DavisKlemmGallery. Auf der C.A.R. präsentiert von DavisKlemmGallery, Wiesbaden. Gucken und kaufen in NRW 14 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Kunstmessen im Herbst – eine Auswahl TEXT Anzeige_Schein_1/2 hoch_K.WEST_Layout 1 24.08.15 20:32 Seite 1 ALEXANDRA WACH ÜBERALL IM BUCHHANDEL ERHÄLTLICH Art.Fair 24. bis 27. Sept. 2015 koelnmesse, Halle 1 und 2, Köln Mit der letzten Ausgabe rückte die Messe für moderne und aktuelle Kunst der Art Cologne auf die Pelle, in die legendären Hallen 1 und 2 der Kölnmesse. Den 13. Auftritt der Art.Fair zieht man nun vom Oktober in den September vor. Zu den Highlights der »Kunstmesse für Einsteiger«, die ihr Angebot mit Malerei, Skulptur und Medienkunst, aber auch gehobenem Nippes und Kinkerlitzchen bestreitet, gehört die Taiwan Contemporary Art Show. Neun Galerien gewähren einen Einblick in das Kunstgeschehen des Landes, das gerne auf poppigen Geschmackspfaden zwischen Manga und Horror wandelt. Interesse für die dänische Kunst möchte die Galleri Franz Pedersen wecken, etwa mit Michael Kvium, der sich in seinen Aquarellen der skurrilen Seite der menschlichen Spezies widmet. Die Nachkriegs-Moderne deckt die Galerie & Kunsthandel Draheim mit Papierarbeiten von Karl Otto Götz, Sigmar Polke und Günther Förg ab. Die Amsterdamer Rademakers Gallery setzt ebenfalls auf Bewährtes und bringt mit Henrik Kerstens einen Fotografen mit, der mit seinen dramatisch ausgeleuchteten Porträts nahtlos an alte holländische Meister anschließt. K.WEST 09/ 15 DOINA TALMANN (HG.) ONISIM COLTA Onisim Coltas Kunst ist ein kontinuierlicher und strukturierter Diskurs über Erinnerung, Sinn, Zentrum, Epiphanie. Marcel Tolcea EXPERIENCE & EMERGENCE heißt die dreisprachige Serie von Kunstbü chern ü ber die zeitgenössische rumänische Kunst, die vom Klartext Verlag herausgegeben wird. In der Reihe erscheinen jährlich zwei Monografien, jeweils ein Band ü ber eine arrivierte Kü nstlerpersönlichkeit und ein Band zu einem jungen Kü nstler. So wird die kulturelle Brü cke, die mit dem ersten im Jahr 2012 erschienenen Band begann, erweitert. ➜ EDITION EXPERIENCE BAND 03, 160 Seiten, zahlr. farb. Abb., Festeinband, Großformat, 19,95 €, ISBN 978-3-8375-1385-1 BIS JETZT ERSCHIENEN: CIPRIAN CIUCLEA EDITION EMERGENCE BAND 00, ISBN: 978-3-8375-0713-3 MAURICE MIRCEA NOVAC EDITION EXPERIENCE BAND 01, ISBN: 978-3-8375-0831-4 CIPRIAN PALEOLOGU EDITION EMERGENCE BAND 02, ISBN: 978-3-8375-1199-4 www.klartext-verlag.de KUNSTSPECIAL 15 2x2 Seit Biennale-Kurator Massimiliano Gioni 2013 in Venedig den Schwerpunkt auf die Kunst von Außenseitern legte, drängen Laien anscheinend zunehmend in den Kunstbetrieb. Kasper König widmet sich gemeinsam mit Falk Wolf etwa dem Thema im Folkwang Museum. Er zeigt ab Oktober in der Schau »Der Schatten der Avantgarde« Werke von Autodidakten wie Henri Rousseau oder Bill Traylor. Zeitgleich nimmt sich die Kunsthalle in Düsseldorf des Themas »Avatar und Atavismus« an. Da kommt die Outsider-Messe in Münster, die seit 2009 stattfindet, gerade zur richtigen Zeit. 22 Kunstprojekte, Galerien, Hochschulen und Museen aus Europa werden im Kunsthaus Kannen erwartet, um ihre Konzepte zu zeigen und Werke zum Verkauf anzubieten, die vor allem im Kontext der Psychiatrie entstanden sind. Das Kunsthaus befindet sich auf dem Klinikgelände der Alexianer und beherbergt ein Outsider-Archiv, das neben der »Sammlung Prinzhorn« in Heidelberg als eines der umfangreichsten gilt. Artexpo.nrw 16. bis 18. Okt. 2015 Alfred Fischer Halles, Hamm Als eine Kombination aus Fachhandelsund Kunstmesse versteht sich die artexpo. nrw. Das Stelldichein der 90 Aussteller aus Ländern wie Brasilien, Korea oder Monaco findet in der Alfred Fischer Halle zum ersten Mal statt. »No Limits«, nach diesem Motto sind die Organisatoren bei der Zulassung von Ausstellern und Ausstellungsstücken vorgegangen. Das Fachpublikum findet Unternehmen aus unterschiedlichsten Bereichen des Kunsthandels mit Produkten wie Passepartout-Schneider, Glas, Leisten oder Vergolderrahmen. Wer Kunst kaufen will, kann sich im qualitativ recht gemischten Angebot der Galeristen, Verleger, Produzenten und Kunsthändler umsehen. Da räkeln sich Sirenen am Strand, Blumen-Arrangements strahlen in Regenbogenfarben, und selbst für Lokalpatrioten ist gesorgt – mit quadratischen Tintendrucken, die das Dortmunder U oder den Drachenfels vor knallbuntem Hintergrund inszenieren. 16 KUNSTSPECIAL Ana Ștefania Andronic (Buzu): Rublev, Pomegranate, Religion, 2015. Auf der Art.Fair präsentiert von SENSO Art Gallery, Bukarest/ Rumänien. Forum For Outsider Art 1. bis 4. Oktober 2015 Kunsthaus Kannen, Münster C.A.R. Cologne Fine Art Zum neunten Mal wendet sich die contemporary art ruhr auf der Essener Welterbe-Zeche Zollverein vor allem an ein junges Publikum, das internationale Aussteller und luftige Stellwände zu schätzen weiß. Das Angebot reicht von Malerei und Skulptur bis zu Video und Performance. Gleich mehrfach ist Rumänien vertreten, etwa mit der SENSO Art Gallery aus Bukarest. Mit Ana Andronic Rublev präsentiert man eine Position an der Grenze zur Illustration, die in ein von Gewalt heimgesuchtes Märchenland entführt. Nicht zu übersehen ist auch der Fokus auf Südkorea. Die Galerie White Birch reist bereits zum dritten Mal an, im Gepäck die Acrylmalerei von Young Jea Kim, die zwischen Computer-Ästhetik und psychedelischem Farbrausch oszilliert. In der Sektion C.A.R. Talente überrascht Gerd Paulicke mit einem Totentanz ganz in weiß. Jede Menge Kontraste also und vielleicht auch hier und da eine Entdeckung. Diejenigen, die selbst mal entdeckt werden wollen, können sich bei »folkwang inside«, einer Beratungsplattform der Folkwang Universität, über den Weg zum Ruhm informieren. Auch an der traditionsreichen Kunst- und Antiquitätenmesse in Köln geht der Boom der zeitgenössischen Kunst nicht vorbei. Erst 2011 integrierte die Cologne Fine Art das Feld der Papierarbeiten in ihr breites Spektrum, das gerne mit einem unorthodoxen Crossover aus Epochen und Stilen in unmittelbarer Nachbarschaft lockt: von alter und außereuropäischer Kunst über Antiquitäten, Kunsthandwerk und Design bis zur Kunst der Klassischen Moderne und der Nachkriegszeit. Nach nur wenigen Jahren kam zwar das Aus für »Kunst auf Papier«. Dafür versucht man es jetzt mit COFA Contemporary, repräsentiert durch dreißig Galerien und Projekträume aus dem Rheinland. Dass man nach Alten Meistern zuletzt konzentrierter Ausschau halten musste, änderte nichts daran, dass der eine oder andere Händler trotzdem gut bestückt war. Ob die Teilnehmer des neuen Bereichs mit dem Niveau der Konkurrenz auf der Art Cologne mithalten können, wird sich zeigen. Die Neuerung des »Young Collectors Room«, ein Gemeinschaftsstand der Aussteller, die sich ganz auf die nachwachsende Klientel konzentrieren, bleibt indes erhalten. Die Preisgrenze liegt hier bei maximal 5000 Euro. 30. Okt. bis 1. Nov. 2015 Welterbe Zollverein, Essen 18. bis 22. November 2015 koelnmesse, Halle 11, Köln K.WEST 09/ 15 Der rote Faden Rebecca Horn Berlin Earthbound 1994 © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Ordnungen des Erzählens KOLUMB A Kunstmuseum des Erzbistums Köln | 15. September 2015 bis 22. August 2016 | www.kolumba.de K.WEST 09/ 15 KUNSTSPECIAL 17 Der Spaßmacher STEFANIE STADEL MC Fitti © M ASLAN INTERVIEW Er will das NRW-Forum Düsseldorf nicht neu erfinden – er will es auf heute bringen. Dafür holt sich Alain Bieber demnächst Verstärkung bei Cyborgs, Fakes und Avataren. Im Gespräch mit k.west gibt der neue Chef im Forum Auskunft über seine Themen und Rezepte. Über schwere Kost in leichter Verpackung. NRW-FORUM, DÜSSELDORF »EGO UPDATE. DIE ZUKUNFT DER DIGITALEN IDENTITÄT« 18. SEPTEMBER BIS 17. JANUAR 2016 TEL.: 0211.8926690 18 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 k.west: Fühlen Sie sich wohl hier unten? Bieber: Wir haben Fenster, ich bin oft unterwegs. Und zwischendurch ist das hier zum konzentrierten Arbeiten okay. Man macht den Job ja auch nicht wegen der Räumlichkeiten. Früher habe ich mal bei Gruner + Jahr gearbeitet und in einem super Büro – komplett verglast, mit Blick auf den Hamburger Hafen. Trotzdem ist mir dieses Büro lieber, weil das hier mein Traumjob ist. .west: Traumjob? Redakteur beim Kunstmagazin k »Art« und »Arte« sind doch auch nicht schlecht. Bieber: Ich wollte eigentlich das, was ich jetzt tue, immer machen. Ich wollte kuratieren und Ausstellungsprojekte realisieren. Ich empfinde es als Luxus, dass ich mich drei, vier Monate in ein Thema vertiefen kann. Nicht von einem Artikel zum nächsten wechseln muss wie im Magazin-Journalismus. Hinzu kommt, dass man als Journalist kaum Feedback bekommt. Ganz anders jetzt im NRW-Forum Düsseldorf, wo ich mit den Menschen direkt in Kontakt komme. Den intellektuellen Diskurs finde ich sehr gut und wichtig. HAnne DArBoven Zeitgeschichten bis 17. Januar 2016 in Bonn Hanne Darboven, Kinder dieser Welt (Ausschnitt), 1990–1996 © Hanne Darboven Stiftung, Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: Simon Vogel .west: Konnten Sie trotzdem etwas mitnehmen ins NRW-Fok rum Düsseldorf aus Ihrer journalistischen Vergangenheit? Bieber: Ja, da gibt es einige Gemeinsamkeiten – nicht umsonst werden Journalisten heute gelegentlich als »Newskuratoren« bezeichnet. Man behandelt ein Thema. Man erzählt Geschichten – als Journalist und auch als Ausstellungsmacher. Beide informieren und unterhalten das Publikum. k.west: Neben dem journalistischen Hauptberuf haben Sie sich einige kleine, oft kuriose Projekte einfallen lassen: Einen Online-Kiosk für ausgefallene Kleinstmagazine, einen internationalen Sticker-Award oder die Ausstellungsreihe »Parasites« an neuen Kunstorten – ein Baumarkt war auch dabei. Was reizt Sie daran, und wollen Sie solche Nebenbeschäftigungen als Leiter des NRW-Forums fortführen? Bieber: Jetzt in meinem neuen Job mache ich alles hauptberuflich, was ich vorher versucht habe, nebenher hinzukriegen: Veranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen, ein Magazin... k.west: Als Sie angefangen haben in Düsseldorf, hörte man Sie wiederholt von »Spaßkultur« sprechen. Sie wollen Spaß haben und Spaß bringen, so Ihr Credo. Es klingt ganz so, als hätten Ihnen die ersten vier Monate als Leiter des NRW-Forums Düsseldorf Spaß gebracht. Bieber: Klar, klar, klar. Aber zu dem Begriff »Spaßkultur« möchte ich noch etwas anmerken. Der klingt immer ein bisschen negativ. Aber ich meine das gar nicht im Sinne einer hedonistischen Spaßkultur. Ich will sagen, dass Kultur auch Spaß machen kann. Eine gute Ausstellung ist wie ein guter Film oder ein gutes Musikalbum – die müssen mich auch unterhalten, emotional berühren. Ich finde, dass ein Museumsbesuch nicht in Arbeit ausarten muss. JApAns LieBe zum impressionismus Von Monet bis Renoir 8. Oktober 2015 – 21. Februar 2016 in Bonn Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn, T +49 228 9171-200 www.bundeskunsthalle.de Claude Monet, Im Boot (Ausschnitt), 1887, Öl auf Leinwand © The National Museum of Western Art, Tokio. Matsukata Collection Mit dem neuen Herrn des Hauses geht es erst einmal einige Stufen hinab. Denn Alain Biebers Büro steckt halb in der Erde. Durch die Souterrain-Fenster schaut man direkt auf den Gehsteig, hört das Rauschen der vierspurigen Straße. Es hallt im Raum, sobald man spricht. k.west: Sie wollen also eher in die Richtung Entertainment gehen? Bieber: Ich würde sagen: Edutainment. Inhalte sind und bleiben immer das wichtigste, aber die Verpackung muss auch stimmen. Deshalb arbeite ich an einer leichten, poppigen Vermittlung. Dabei ist auch das Ausstellungsdesign super wichtig – und immer wichtiger geworden in den letzten paar Jahren. k.west: Ein weiteres Ihrer Schlagwörter lautet »Ideenfabrik«. Sie wollen das NRW-Forum in eine »Ideenfabrik« verwandeln. Zur Zeit läuft hier noch die Ausstellung »China 8«, ein eher konventionelles Produkt. Macht Ihnen das Spaß? Bieber: Mit »China 8« habe ich nichts zu tun, diese Ausstellung habe ich geerbt. – das wissen Sie schon? Um auf die »Ideenfabrik« zurück zu kommen – im Laufe meines Werdeganges habe ich immer mehr hingefunden zur zeitgenössischen Kunst, weil mich die Ideen begeistern. Ich denke, dass Kunst, Kultur, Subkultur der wichtigste Nährboden für unsere Gesellschaft sind. Mich persönlich bereichert jeder Ausstellungsbesuch, weil ich Sachen sehe, die ich noch nicht kannte – das gilt auch für »China 8«. k.west: Demnächst nun werden Sie Ihr erstes eigenes Fabrikat präsentieren. In der Schau »EGO UPDATE« geht es um Selfies und um digitale Identität – das Thema zeugt von mehr Einfallsreichtum. Wie sind Sie darauf gekommen? Bieber: Ich habe mir vorgenommen, in meinen Ausstellungen aktuelle gesellschaftliche Phänomene aufzugreifen. Das Phänomen Selfie ist eines der momentan wichtigsten überhaupt, und Düsseldorf ist die deutsche »Selfie-Hauptstadt«. Das »Time Magazine« hat das Ranking gemacht und dafür Sefies auf sozialen Netzwerken gezählt. Dabei landete Düsseldorf weit vor Berlin oder Hamburg. Es ist also für die Stadt wie auch für die Fotografie interessant. Und auch im Digitalen ist es natürlich ein großes Thema. k.west: Sie zeigen also Beispiele dieser in sozialen Netzwerken so verbreiteten Form des fotografischen Selbstporträts. Bieber: Ja, aber Selfie allein wäre mir zu wenig. Ich fasse es etwas breiter – es geht mir um die digitale Identität, um die Frage, wie sich das Selbstverständnis unter dem Einfluss digitaler Medien ausprägt und verändert. Erscheinungen wie Cyborgs, Avatare und Fakes spielen da auch hinein. Da ist zum Beispiel LaTurbo Avedon, eine virtuelle Künstlerin, die nur im Netz existiert. Oder Kurt Caviezel, der seit 15 Jahren Webcams anzapft von Leuten, die vergessen haben, die Dinger auszuschalten. Herausgekommen sind ungeheuer intime Blicke in das Heim dieser Menschen. Amalia Ulman ist dabei. Sie hat vier Monate lang im Netz eine scripted reality gelebt. Es war eine Instagram-Performance, bei der selbst ihre Freunde nicht mehr wussten, ob das real ist. Sehr spannend auch Heather Dewey-Hagborg, eine Bio-Hackerin, die eigentlich in einem Forschungsinstitut arbeitet. Sie hat Haare, Zigarettenstummel und so weiter gesammelt. Anhand der DNA konnte sie Physiognomien rekonstruiert und Masken bauen. Eine sehr unheimliche Arbeit. k.west: All das spricht dafür, dass Sie bei Ihrer Ausstellung eine recht junge, Computer-affine Zielgruppe ins Auge fassen. Befürchten Sie nicht, konservativere Besucher zu vergraulen? 20 KUNSTSPECIAL Alain Bieber, Foto: Ondro Ovesny Alain Bieber ist 1978 in Wesel geboren. Der Sohn einer Französin und eines Deutschen studierte in Tübingen und Paris Rhetorik, Kommunikations- und Politikwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Soziologie. Bei der Zeitschrift »Max« hat er volontiert, beim Kunstmagazin »Art« und beim Sender »Arte« als Redakteur gearbeitet. Seit April 2015 leitet Bieber das NRW-Forum Düsseldorf als jüngster Museumsdirektor in der Stadt. Mit seiner Frau und dem kleinen Sohn lebt er in Düsseldorf. Bieber: Nein, kulturell interessierte Menschen sind meiner Erfahrung nach generell offen. Und das ist auch keine Frage des Alters, es kommt darauf an, wie jung man im Kopf ist. Mir ist natürlich auch klar, dass man mit Namen wie LaTurbo Avedon keine Massen ins Museum lockt. Deshalb haben wir bewusst auch ein paar prominentere Künstler berücksichtig – Martin Parr etwa, mit einer Fotoserie, für die er sich in unterschiedlichen Fotostudios mit irgendwelchen trashigen Dingen hat ablichten lassen. k.west: Sie wollen in der Schau ja untersuchen, wie sich das Selbstbild unter dem Einfluss der digitalen Medien verändert? Sehen Sie da vielleicht schon Ergebnisse? Bieber: Ein Fazit habe ich noch nicht. Für mich ist es eine Art Forschungsprojekt, das jetzt anrollt. Wir arbeiten dabei mit den Goethe-Instituten in Südwesteuropa und dem Slow-Media Institut aus Bonn zusammen, das zur Finissage im NRW-Forum einen großen Kongress organisieren. k.west: Werner Lippert und Petra Wenzel, Ihre Vorgänger, haben in Düsseldorf sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. Wollen Sie dem Haus mit Projekten wie »EGO UPDATE« ein neues Profil geben? Bieber: Nein gar nicht. Sie haben das Ding aufgebaut und groß gemacht. Ich versuche, ihre Arbeit nun weiterzuführen und auf heute zu bringen. Es ist wahrscheinlich genau das, was Lippert machen würde, wenn er hier wäre und vielleicht zehn Jahre jünger. K.WEST 09/ 15 Stoßen Sie mit uns auf die neue K.WEST an! 10 Mal K.WEST frei Haus lesen und Wunschgeschenk sichern 1 2 3 Hugo ist sein Name Wein und Schokolade Brotzeit auf Französisch Eine Flasche Prosecco aus Treviso und feinster Holunderblütensirup für den Aperitiv-Klassiker. Eine Flasche Carignan Vieilles Vignes – vollmundig, beerig und rund. Kombiniert mit einem Paket französischer Schokoladentrüffel Eine Flasche Merlot aus Frankreichs sonnigem Süden. Dazu zwei Wildterrinen für einen Abend Savoir-vivre. Tel. 0201/86206-33 | Fax: 0201/86206-22 | [email protected] | K.WEST Verlag GmbH | Heßlerstr. 37 | 45329 Essen Weitere K.WEST-ABO-Prämien unter www.kulturwest.de/abo Wer ist hier der Nächste? TEXT MARTIN KUHNA Weiße Madonna: Vanessa Beecroft, Weiße Madonna mit Zwillingen, aus der Sudan-Serie 2006, Courtesy Galleria Lia Rumma 22 KUNSTSPECIAL Caritas – heute kennt man sie als institutionalisierte katholische Wohlfahrt. Eine Ausstellung im Paderborner Diözesanmuseum erinnert auf nahezu beschämende Weise daran, welch zentrale Rolle die Caritas bei den frühen Christen spielte und wie allumfassend damals die Nächstenliebe gedacht und gepredigt wurde. Brennende Flüchtlingsheime, Hassausbrüche im Internet – um die Nächstenliebe ist es derzeit nicht so gut bestellt in Deutschland. Die freundlichste Erklärung wäre noch, dass die christlich-jüdisch-abendländisch bewegten Fremdenfeinde das Wort einfach missverstanden haben: als ob man nur die Menschen lieben sollte, die einem besonders nahe stehen. Wären diese pegiden Mitbürger lernfähig, müsste man ihnen dringend den Besuch der Paderborner Ausstellung empfehlen. Dann würde ihnen Matthäus 25 in den Ohren dröhnen, Jesu Rede vom Weltgericht: »Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen . . . Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. . . « Die Bibelworte zum elementaren christlichen Doppelgebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe, caritas dei und caritas proximi, treffen den Besucher am Eingang der Ausstellung mit vielleicht lang nicht empfundener Wucht. Paulus’ erster Brief an die Korinther etwa, in der ältesten bekannten Abschrift in griechischer Sprache auf einem oberägyptischen Papyrus von etwa 200 n. Chr.: ». . . und hätte ich die Liebe nicht . . . Die Liebe hört niemals auf . . . Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.« Das »Hohelied der Liebe«, bei vielen Hochzeiten Anlass zu »widerwärtigsten Sentimentalitäten«, wie schon 1920 ein Kirchenhistoriker schrieb. Dabei geht es in dem Text nicht um die romantische Liebe, sondern um die »tätige Liebe« – modern: das soziale Engagement – aller Menschen für alle Menschen, ausnahmslos, als Pendant der Liebe zu Gott, dessen Kinder alle Menschen sind, die folglich alle Geschwister sind. K.WEST 09/ 15 Eine allgemein verpflichtende, demütige Hinwendung zu allen Schwachen und Armen, das war trotz vergleichbarer Ideen beim Judentum in der damaligen Welt ziemlich unerhört; was etwa die Römer unter Wohltätigkeit verstanden, hatte mit dem allumfassenden Konzept der christlichen Caritas wenig zu tun. Die, so lernt man in der Ausstellung, war entscheidender Faktor beim Erfolg der neuen Religion: Charisma durch Caritas. Die Ausstellung verschweigt nicht, dass die konsequente, fast naive Idee der Liebe aller für alle bald nagenden Zweifeln ausgesetzt war. Nicht anders als zuvor die jüdischen Rabbiner fragten sich Christen, ob mit dem »Nächsten« denn wirklich jeder gemeint sein könne oder nicht doch nur »Wir«. So weiß man bei mittelalterlichen Texten oft nicht, ob von »Fremden« die Rede ist oder aber von »Pilgern«, die bei aller Fremdheit denn doch in vertrauter Sache unterwegs waren. Dass Feindesliebe ein heikles Thema war, versteht sich fast von selbst. Die neue Wertschätzung der Armen kam unter Druck von gleich mehreren Seiten: Als Objekt tätiger Nächstenliebe konnten Arme als Gegengabe für das Seelenheil des Wohltäters beten – eine damals lebenswichtige Sache. Doch damit war die geforderte Selbstlosigkeit der Nächstenliebe in Frage gestellt. Ohne diese respektable Gegenleistung wurden Arme jedoch stärker daraufhin beäugt, ob sie wirklich bedürftig waren – oder bloß faul. Daraus entwickelte sich vielerorts schon früh der so spießbürgerlich klingende Grundsatz: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« – mit Ausnahme derer, die nicht arbeiten konnten und auf die sich tätige Nächstenliebe denn auch zunehmend fokussierte: Kranke, Gebrechliche, Alte, Witwen, Kinder. Noch grundsätzlicher war der innere Widerspruch, dass man mit Befolgung des Nächstenliebe-Gebots die eigenen Chancen auf ewige Glückseligkeit verbesserte, wodurch wiederum leicht das Gebot der Selbstlosigkeit ausgehebelt war und eine Art religiösen Kurzschluss provozierte. Ein Dilemma, das später nur für einen Teil der Christenheit aufgelöst wurde: weil nach Luther gute Werke keinen Einfluss auf das Seelenheil haben. Trotz derlei Anfechtungen blieb die Caritas als größte Tugend über viele Jahrhunderte im Christentum präsent, das zeigt die Ausstellung eindrucksvoll. Man sieht, wie im Mittelalter praktizierte Nächstenliebe gleichsam zur Stellenbeschreibung der Bischöfe und Päpste gehörte, Beispiel: Gregor der Große, und wie sich dies dann auf die christlichen Herrscher übertrug, Beispiel: Karl der Große. Vorbilder wie Martin von Tours oder Elisabeth von Thüringen werden in Bild und Text lebendig. Die Wirkmächtigkeit einschlägiger Bibeltexte über das Mittelalter hinaus zeigt die Ausstellung leitmotivisch mit Darstellungen des »Barmherzigen Samariters«, vom Holzschnitt aus dem späten 15. Jahrhundert bis zu Arbeiten von Barlach, Kirchner, Liebermann. Ähnlich breit angelegt die Präsentation von Caritas-Allegorien als nährende Mutter. Ein dritter Erzählstrang berichtet von der institutionalisierten christlichen Nächstenliebe. Sie wird schon in der Apostelgeschichte beschrieben: Da wählen die Zwölf sieben aus ihrer Mitte, denen die Armenfürsorge in Jerusalem übertragen wird. Daraus entstand das frühchristliche Amt des Diakons, dessen karitative Befugnisse dann auf den Bischof übergingen. Man begegnet dem karitativen Engagement der Klöster, »Xenodochien« (Fremdenheimen), »Hospitales«, Krankenhäusern und Heimen aller Art und verfolgt, wie die neuzeitliche Entwicklung immer rascher in diese Richtung verläuft, so dass heute die einschlägigen Begriffe K.WEST 09/ 15 »Caritas«, »Diakonie« und »Samariter« primär für etablierte Institutionen des modernen Wohlfahrtssystems stehen und ihr religiöser Hintergrund stark verblasst ist. An ihrem zeitgeschichtlichen Ende leistet sich die Ausstellung ihre einzige offensichtliche Schwäche: Aus der Zeit des NS, dessen Führer Hitler »unbarmherzig« so gern im Munde führte, berichtet die Schau nur über die Euthanasie an Behinderten, der Klientel christlicher Wohlfahrtsorganisationen. Sie schweigt vollständig über den millionenfachen Mord an Juden und anderen Mitmenschen – und darüber, dass sie allzu vielen Christen und Kirchenführern damals nicht »Nächste« genug waren, sich ihrer zu erbarmen. Was übrigens zündelnde Fremdenhasser angeht, endet Matthäus 25 so: »Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten.« BIS 13. DEZEMBER CARITAS. NÄCHSTENLIEBE VON DEN FRÜHEN CHRISTEN BIS ZUR GEGENWART. ERZBISCHÖFLICHES DIÖZESANMUSEUM UND DOMSCHATZKAMMER PADERBORN WWW.CARITAS-AUSSTELLUNG.DE Thomas Virnich Helter Skelter 24.10.2015 – 21.2.2016 Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120 skulpturenpark-waldfrieden.de KUNSTSPECIAL 23 Sentimentale Eichen TEXT VOLKER K. BELGHAUS Das Land hinter dem Bindestrich wird 200 Jahre alt – das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt Westfalen als ein Land zwischen Tradition und Moderne. Heimatkunde mit alten Bekannten und neuen Entdeckungen. 200 JAHRE WESTFALEN. JETZT! MUSEUM FÜR KUNST UND KULTURGESCHICHTE, DORTMUND BIS 28. FEBRUAR 2016 WWW.200JAHREWESTFALEN.JETZT Stur, herzlich, wortkarg, fleißig, humorlos, zupackend – diese vermeintlich westfälischen Charakterzüge hat man vorsichtshalber direkt auf die Rückseite des Kataloges gedruckt. Affirmativ-ironisch, damit keiner auf falsche Gedanken kommt; jedes Wort versehen mit einem Hashtag, was beim Ausprobieren aber lediglich die Erkenntnis bringt, dass es in Großbritannien Energydrinks namens »Stur« gibt, die aussehen wie Shampooflaschen. Natürlich ist man schnell bei den Klischees von karger Provinz mit ebenso kargen Menschen, die in typografisch reizvollen Städten wie Höxter, Ochtrup, Vlotho, Netphen oder Anröchte wohnen. Typen wie Franz Müntefering, der Tommy Lee Jones aus Arnsberg – kantig und sympathisch sprachfaul. Der Westfale als solcher funktionierte schon immer gut als einfach gestrickte Witzvorlage – nicht nur bei Kabarettisten mit Rentnerbrille und Bauernkittel. Schon Voltaire ätzte in einem Brief an Friedrich den Großen äußerst menschen- und pumpernickelfeindlich: »Majestät, in großen Hütten, die man Häuser nennt, sieht man Tiere, die man Menschen nennt. Die leben auf einträchtige Weise mit den anderen Haustieren durcheinander. Ein gewisser trockener, schwarzer und klebriger Stein, bestehend, wie man sagt, aus einer Art Roggen, ist die Nahrung.« Heinrich Heine hingegen charakterisierte die Westfalen in seinem Wintermärchen liebevoller: »Sie fechten gut, sie trinken gut, / Und wenn sie die Hand dir reichen / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sind sentimentale Eichen.« Aus feierfreudig-rheinischer Sicht ist dieses Westfalen immer noch ein merkwürdiges Anhängsel hinter dem Bindestrich, es besteht aber selbst aus mutwillig zusammengeklumpten Bevölkerungsgruppen und Mentalitäten, aus Sauer- und Siegerländern, 24 KUNSTSPECIAL Ostwestfalen, Münsterländern (nicht die Hunde, Herr Voltaire!) und den Menschen am östlichen Ruhrgebietsrand. Vor 200 Jahren, ab dem Jahr 1815, wurden diese Landstriche zur preußischen Provinz Westfalen vereinigt und dem preußischen Königreich zugeschlagen. Westfalen war eines der Ergebnisse des Wiener Kongresses und kam nur durch zähes Ringen zustande. Männer wie der Reformer Freiherr Karl von Stein und Ludwig von Vincke als 1. Oberpräsident schufen damals die grundlegenden Strukturen des heutigen Westfalen. Das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte inszeniert die vergangenen Jahrhunderte unter dem Titel »200 Jahre Westfalen. Jetzt!« als »performative Ausstellung«, die in sechs Bereiche aufgeteilt ist – Prolog, Gewächshaus, Siedlung, Straße, Horizont und Territorium. Letzteres versteht sich als wandlungsfähiger Ort und wird während der Laufzeit mehrfach umgebaut, um Platz für neue Themen zu schaffen. Das Ausstellungskonzept will mit Geschichten Geschichte erzählen und anhand von historischen Gegenständen, Bildern und Dokumenten der Kultur Westfalens nachspüren. Die Kuratoren haben darauf verzichtet, die Historie des Landes zu einem eindeutigen Bild zusammenzufassen – stattdessen ergänzen sich die unterschiedlichen regionalen Lebenswelten und Besonderheiten zu 200 Jahren Kulturgeschichte. Im Gewächshaus wächst westfälisches Grünzeug, daneben wird ein Bentheimer Landschwein musealisiert – Grundlagen für die rustikale Esskultur aus westfälischem Schinken, Schwerter Senf, Pfefferpotthast, Dortmunder Salzkuchen, Pumpernickel und flüssigem Getreide in Form von Bier und Korn zum Runterspülen. Besonders deutlich wird der radikale Wandel vom Bauern- zum K.WEST 09/ 15 Backparadies für Voltaire: Die Traditions-Bäckerei Fischer am Dortmunder Rathaus gibt es seit 1848. Foto: Stefan Grey Industrieland. Das Aquarell »Wiege des Bergbaus« zeigt den Blick ins grün-idyllische Wittener Ruhrtal, wo bereits die ersten Schlote rauchen; ein weiteres Bild die teilweise geschleifte Burg Wetter, die der Unternehmer Harkort dem Grafen von Mark abkaufte, um seine Fabrik direkt auf die alte Burgruine zu setzen. In Rekordzeit wurden die Köln-Mindener Eisenbahn gebaut, Flüsse und Kanäle schiffbar gemacht und zur Energiesicherung die Möhnetalsperre errichtet. Neue Technologien schufen Wachstum, das erste Drei-Liter-Auto wurde in den 1950er Jahren in Arnsberg produziert – der »Kleinschnittger Typ F-125« hatte Sechs PS, keinen Rückwärtsgang und eine Karosserie aus einer Leichtmetalllegierung. Der Motor musste wie bei einem Rasenmäher mit einem Seilzug gestartet werden, was eine schwere Batterie unnötig machte. Von 1950 bis 1957 liefen 3000 Autos vom Band. Ohne den sauerländischen Unternehmer Carl Berg und seinen Zeppelin hätte es kein flugfähiges Luftschiff gegeben. Aluminiumknöpfe wurden bis nach China geliefert. Westfalen globalisierte sich. Stur, herzlich, wortkarg, fleißig, humorlos, zupackend – vielleicht brauchte es gerade diese unpopulären Eigenschaften, um das Land wirtschaftlich und kulturell nach vorne zu bringen. Während der Westfale sich zum Weltmarktführer tüftelte, saß der Rheinländer schon beim Kölsch. Avantgardistisch gereimtes Liedgut hat auch der Westfale, wie das »Sauerlandlied« von Reiner Hänsch und seiner Band »Zoff«. Darin heißt es: »Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland, / begrabt mich mal am Lennestrand. / Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen.« Nein, Palmen bestimmt nicht. Aber sentimentale Eichen. K.WEST 09/ 15 Dortmund, 1. – 4. Oktober 2015 1. Oktober 2015, 20 Uhr St. Marien, Dortmund 2. Oktober 2015, 22 Uhr St. Reinoldi, Dortmund Vokalakademie Berlin Ltg. Frank Markowitsch Alessandro Scarlatti: Marienvesper Audi Jugendchorakademie, Die Singphoniker, Ensemble Mixtura Ltg. Martin Steidler Aus der Tiefe der Zeit – Chorinstallation für 85 Stimmen und zwei Instrumente 2. Oktober 2015, 20 Uhr St. Marien, Dortmund SWR Vokalensemble Stuttgart Ltg. Rupert Huber Frisch komponiert: Neue Chormusik 3. Oktober, 22 Uhr Jazzclub domicil Quan Họ Chor, Klapa Berlin, La Caravane du Maghreb u.a. Moderation: Jochen Kühling Heimatlieder aus Deutschland Karten unter www.reservix.de und an der Abendkasse, Reservierung unter [email protected] Das gesamte Konzertprogramm der chor.com finden Sie auf: www.chor.com KUNSTSPECIAL 25 Versierter Arrangeur TEXT STEFANIE STADEL Danh Võ: We The People, Armpit, 2011–13. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Britta Schlier. © Danh Võ. 26 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Er hat’s raus. Museen hofieren ihn, in Venedig bespielt er den dänischen Biennale-Pavillon. Und auf dem Kunstmarkt räumt er ab wie kaum ein anderer. Dabei scheint Danh Võ durchaus nicht allseits geliebt. Während die einen vom Tiefgang seiner Kunst schwärmen, sehen andere darin den reinsten Klimbim. Was macht dieses Werk so speziell – und so streitbar? Auf der Suche nach Antworten hat k.west sich umgesehen. In Võs Vita, im Werk und in seiner aktuellen Einzelausstellung im Museum Ludwig. Schwer fallende Gewandfalten über einem vielfach verschraubten Stahlrohrgerüst. Über zwei Tonnen wiegt der Koloss – und das ist nur ein Teil des Ganzen. Danh Võ hat die amerikanische Freiheitsstaue in Shanghai komplett, aber stückchenweise nachbauen lassen, um die 250 Einzelteile in alle Welt zu verkaufen. Was nun im extrahohen Heldensaal des Museum Ludwig überwältigt, ist bloß eine Schulter. Innen hohl, macht sie es dem Besucher leicht, allerlei Bedeutung hineinzuladen. Es etwa als Sinnbild zu identifizieren für die Brüchigkeit der Freiheit oder für die Zerbrechlichkeit von Hoffnungen. www.colognefi neart.de Koelnmesse GmbH, Tel. +49 1806 018 550* * 0,20 Euro/Anruf aus dem dt. Festnetz; max. 0,60 Euro/Anruf aus dem Mobilfunknetz Gut möglich, dass es zeigen soll, wie schwer der Begriff von Freiheit doch zu fassen ist, und dass er wahrscheinlich für jeden, der ein Stückchen Statue gekauft hat, etwas anderes meint. Aber ist Freiheit überhaupt käuflich? Ist sie einfach zu haben, oder muss sie in anstrengender Gemeinschaftsarbeit zusammengeschweißt werden? Hier im Heldensaal gelingt mühelos, was sonst oft nur mit Hilfe unflätiger Werktitel und ausufernder Zusatzinformationen ins Rollen gebracht wird. Etwa wenn Võ dem mittelalterlichen Torso eines Gekreuzigten ein sehr langes, extrem anstößiges Zitat aus dem Gruselklassiker »Der Exorzist« als Titel beigibt. Unter den Arbeiten ist die Schulter der Freiheitstatue das größte und wohl auch stärkste Stück in Võs Kölner Schau, mit der Yilmaz Dziewior seinen Einstand als neuer Direktor im Museum Ludwig gibt. Er kennt Võ gut, hat einige Projekte mit ihm unternommen, bevor der Künstler so groß wurde. Ohne dies wäre es Dziewior wohl kaum gelungen, den Star mit nur einem Jahr Vorlauf zur deutschlandweit ersten musealen Einzelausstellung nach Köln zu lotsen - so superbeschäftigt wie Võ zu sein scheint. Zweifellos ist er der Künstler der Stunde. Bei der Biennale in Venedig repräsentiert der gebürtige Vietnamese seine dänische Heimat und kuratiert gleichzeitig im Museum der Punta della Dogana für den sammelnden Milliardär François Pinault eine Ausstellung mit fremden und eigenen Werken. Das kann Võ. Das intelligente Arrangieren liegt ihm. Er beweist es auch in Köln, wo der Künstler die eigenen Arbeiten mit ruhigen Schwarzweiß-Fotos des 1987 verstorbenen, zu Unrecht wenig bekannten US-Fotografen Peter Hujar kombiniert. Neben den Freiheits-Koloss hängt er etwa das kleine Foto des Transgender-Stars Candy Darling auf dem Totenbett an die weite Wand. Ihr Gesicht ist schneeweiß geschminkt wie eine Maske. Allein und umgeben von Blumengrüßen zeigt sich Darling – gefeiert, doch verlassen. Verletzt wie die zerlegte Skulptur und enttäuscht wie alle, deren Traum von Freiheit zerbrochen ist. Für die Vieldeutigkeit seiner Arbeit wird Võ hochgelobt und hochgeschätzt von Sammlern wie Spekulanten. So sehr, dass sie bereit sind, vor Gericht zu ziehen, um an ein Werk von ihm zu kommen. Wie jüngst der niederländische Geschäftsmann Bert Kreuk, dem Võ ein Stück versprochen, aber nicht geliefert haben soll. Als Verlierer im Prozess muss sich der Künstler nun notgedrungen an die Arbeit machen. Sein Vorschlag: ein Schriftzug an der Wand in Kreuks Wohnung. »Shove it up your ass, you faggot« – in etwa zu übersetzen mit »Schieb es dir in den Arsch, du Schwuchtel« – wollte Võ dort anbringen lassen. So etwas sorgt natürlich für viel Wind. Doch bei Danh Võ darf man dahinter mehr vermuten als bloß einen geschickten Publicity-Schachzug. Das gewitzte Spiel mit Markt und Medien ist Teil seines Konzepts. Er lässt es auch 28 KUNSTSPECIAL durchblicken im Popo einer antiken Statue, die der Künstler zersägt hat, um besagtes Hinterteil in eine hölzerne Milchkiste zu packen. Dank Võs ungemein wertsteigernder Wirkung würde dieses Ensemble auf dem Markt garantiert ein Vielfaches von dem einbringen, was die unversehrte Statue ohne Võs Dazutun gekostet hat. So etwas sieht ihm ähnlich. Nicht groß, schlank, fast schmächtig wirkt Võ. Gerade mal 40 Jahre ist er jung und blickt zurück auf eine Vita, die ihm jede Menge interessanter, ja brisanter Referenzpunkte beschert: Er war noch ein Kleinkind, als seine Familie sich in einem vom Vater gezimmerten Boot auf die Flucht aus Vietnam in die Vereinigten Staaten begab. Es ging schief, doch glücklicherweise fand ein dänischer Frachter die verzweifelten Flüchtlinge und nahm sie an Bord. So wuchs Võ in Kopenhagen auf. Als homosexueller Migrant und Sohn einer Mutter, die Horrorfilme liebte und schon den Siebenjährigen mitschauen ließ, weil es ihr allein zu unheimlich war. Bleibende Erinnerungen, die jetzt in Köln immer wieder hochkommen. Auch im Ausstellungstitel »Ydob eht ni mraw si ti«, der rückwärts gelesen einen Satz aus dem Film zitiert: »It is warm in the body«. Der Körper, seine Verletzlichkeit, die Vergänglichkeit sind wiederkehrende Themen in der Ausstellung, die zwar nicht rückwärts, aber immer wieder in Rätseln spricht. Und die sind selten leicht zu lösen. Wer allein die Kunst betrachtet, kommt hier kaum weiter. Denn ohne erklärende Worte können die wenigsten Werke bestehen. Võ schafft einnehmende Arrangements, er kombiniert gekonnt und legt intelligente Fährten. Allein verzaubern kann er nicht – dazu braucht er schon die Hilfe von Kollegen wie Peter Hujar. MUSEUM LUDWIG, KÖLN »DANH VÕ. YDOB EHT NI MRAW SI TI« BIS 25. OKTOBER 2015 TEL.: 0221 22126165 K.WEST 09/ 15 Andy Warhol: Single Dollar, 1982. Bei Gerald Hartinger Fine Arts, Wien. Internationale Kunstmessen im Herbst – Eine Auswahl A M S T E R D A M M Ü N C H E N Kunst-Messe München Pan Amsterdam 22. bis 29. Nov. 2015 Kunst-Messe München 25. Okt. bis 1. Nov. 2015 Amsterdam RAI Europaplein 8 pan.nl Postpalast Wredestraße 10 kunstmesse-muenchen.com Ein rundes Jubiläum steht an: Zum 60sten Mal geht die Kunst-Messe München dieses Jahr an den Start, damit ist sie Deutschlands wohl traditionsreichste Kunst- und Antiquitätenmesse. Zum Geburtstag kommen gut 30 Aussteller nach München in den Postpalast. Ihr Angebot reicht vom antiken Teppich aus dem Kaukasus über die Biedermeierkommode bis zu Andy Warhols signiertem Siebdruck. Richtig alte Kunstwerke, aber mittlerweile auch nicht ganz so alte Klassiker der Moderne sind zu haben. Doch selbst, wenn man nicht kaufen will oder kann, ist die Messe einen Besuch wert. B A S E L Basel Ancient Art 13. bis 18. Nov. 2015 Wenkenhof baaf.ch B E R L I N Berliner Liste fair for contemporary art 17. bis 20. Sep. 2015 Kraftwerk Berlin Köpenicker Straße 70 berliner-liste.org Highlights Internationale Kunstmesse München 7. bis 15. Nov. 2015 Residenz München Residenzstraße 1 munichhighlights.com P A R csm_Rolfing-k.west _92,5x127_92x 128 20.08.15 12:40 Seite 1 I S FIAC 22. bis 25. Okt.2015 Grand Palais & Hors Les Murs Avenue Winston Churchill fiac.com H A M B U R G Paris Photo 12. bis 15. Nov. 2015 Messe Hamburg Messeplatz 1 affordableartfair.com Grand Palais, Paris Avenue Winston Churchill parisphoto.com L O N D O N T U R I Frieze Art Fair 14. bis 1w7. Okt. 2015 Artissima 6. bis 8. Nov. 2015 Regent’s Park friezelondon.com Oval – Lingotto Fiere Via Nizza, 294 artissima.it W I E Rita Rohlfing Das Virtuelle im Konkreten 13.9.2015 –10.1.2016 Affordable Art Fair 19. bis 22. Nov. 2015 N N viennacontemporary 24. bis 27. Sep.2015 Marx Halle Karl-Farkas-Gasse 19 viennacontemporary.at K.WEST 09/ 15 www.clemens-sels-museum-neuss.de Gefördert von KUNSTSPECIAL 29 Runter vom Sofa TEXT KATRIN PINETZKI Ein Freitagabend mit einigen Freunden und viel Wein. Die Rede kommt auf Industriekultur, auf zeitgenössische Fotografie, und plötzlich ist man sich einig: Man muss unbedingt mal wieder die Werke von Bernd und Hilla Becher sehen – und all derer, die von ihnen beeinflusst wurden: Candida Höfer, Andreas Gursky, Thomas Ruff... Aber eine solche Ausstellung läuft gerade in keinem Museum. Da zückt jemand sein Smartphone. Kurze Zeit später steht die Tour für den nächsten Tag. Möglich macht’s die »museumsplattform nrw«, eine Art digitaler Führer durch die Sammlungen der Kunst der Moderne im Land. Fotografien der Bechers, die Industriekultur fotografierten wie Insektenforscher ihre Gliederfüßler abbilden, finden sich in Siegen, Bochum und Düsseldorf, wie die Abfrage unter nrw-museum.de ergibt. Gursky, erfährt man, gibt es in Bonn, Krefeld, Bochum und Düsseldorf. Candida Höfer ist in Bochum und Düsseldorf vertreten. Thomas Ruff in Bochum, Düsseldorf und Krefeld, Thomas Struth in Bochum. Die größte Schnittmenge also: Bochum und Düsseldorf. So könnte man vorgehen, wenn man sich eine Tour zusammenstellen möchte, und es ist noch ein wenig umständlich. Vollständig ist der Überblick auch nicht: Keines der Kölner Museen dabei, nicht das Marta in Herford. Doch im neunten Jahr seines Bestehens soll der virtuelle Sammlungsüberblick immerhin interaktiver werden – und realer. Demnächst wird es möglich sein, die selbst zusammengestellte Tour zu den Bechers & Co. auf der Plattform anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen, sie also zu teilen. Zudem gibt es Gelegenheit, diese anderen Nutzer im realen Leben zu treffen: bei der ersten Bustour der museumsplattform nrw. Schon heute bietet die Museumsplattform Kunstfreunden neben Neuigkeiten zu Ausstellungen und Veranstaltungen auch kuratierte Touren, allerdings rein virtuell: 15 Themen sind inzwischen zu finden, die immer wieder Lust machen, neue Häuser 30 KUNSTSPECIAL Seit 2006 macht die Webseite nrw-museum.de Lust auf Werke aus den hiesigen Sammlungen, Hintergrund- und Künstlerinfos inklusive. 2013 gab’s den Grimme Online Award für das Angebot des Kultursekretariats NRW. Nun wird die digitale Plattform analog. und Werke entlang eines Oberbegriffs zu entdecken. Das Thema »Licht und Bewegung« etwa überrascht mit der Erkenntnis, dass die Ruhr-Universität Bochum eine veritable Kunstsammlung hat und dass man am Kunstmuseum Gelsenkirchen in punkto kinetischer Kunst kaum vorbei kommt. Das Thema »Stadt und Raum« hat auch die Skulpturen und Installationen im öffentlichen Raum im Blick, und wer sich für künstlerischen Auseinandersetzungen mit Geschlechterrollen interessiert, kann sich in die Positionen von Valie Export, Marina Abramovic und anderen zum Thema »Sex und Gender« vertiefen. Allein, der Mensch ist träge und bleibt trotz bester, in Weinlaune gefasster Vorsätze am Morgen nach dem virtuellen Stöbern womöglich doch daheim. Daher erweitert die Museumsplattform ihren Service nun in die reale Welt und bietet eine organisierte Bustour zu Arbeiten aus den 1960er Jahren ins Kunstmuseum Bochum und das Museum Ostwall im Dortmunder U. Und auch am Aufbau der virtuellen Sammlung mit seinen derzeit etwa 700 Arbeiten von fast 400 Künstlern aus 26 Museen wird weiter gearbeitet, verspricht das Kultursekretariat. TIPP SONNTAG, 27. SEPTEMBER: BUSTOUR AB WUPPERTAL INS KUNSTMUSEUM BOCHUM UND INS MUSEUM OSTWALL IM DORTMUNDER U. START: 10 UHR AM P+R-PARKPLATZ AM BAHNHOF WUPPERTAL-VOHWINKEL. KOSTEN: 40 EURO/PERSON, ERMÄSSIGT 30 EURO. ANMELDUNG BIS 13. SEPTEMBER UNTER: [email protected] K.WEST 09/ 15 Drei Fragen an Dr. Christian Esch, Direktor des NRW-Kultursekretariats Dr. Christian Esch. Foto: Sven Pacher Vor zwei Jahren erhielten Sie den Grimme Online Award für die virtuelle Museumsplattform NRW. Woher kam die Idee? Sie entstand im Gespräch mit Kunsthistorikerinnen. Ein Grund war, dass die Museen noch großes Entwicklungspotential im Digitalen haben. Wir wollten und wollen auch den zunehmend wichtigen Teil des Publikums gewinnen, der sich ganz selbstverständlich in den digitalen Medien bewegt. Für wen ist die Museumsplattform denn gedacht – für Museumsgänger oder gerade für Nicht-Gänger? Für beide. Sie hat einen wissensbasierten Anteil, der sich überwiegend an Kunstinteressierte mit Vorkenntnissen wendet, aber auch viele kreative und spielerische Elemente, die wir noch ausbauen. Damit wollen wir Menschen erreichen, die auf Social Media anspringen und Lust haben, ihre eigenen Touren zu den Werken ihrer Wahl zu gestalten. Als nächstes wird man dann »seine« Kunstsammlung mit anderen Nutzern teilen können. So entsteht eine kunstaffine Online-Community, die sich demnächst auch in der realen Welt treffen kann – zum Beispiel bei unseren Bus-Touren. be ne lu x Die gab es, das spürte man. Und die gibt es jetzt kaum mehr. Heute ist allen klar: Wenn man den Umgang mit Kunst auch im Netz gestaltet, wird es umso interessanter, die Arbeiten real zu sehen. Es braucht aber dafür auch den Einsatz der beteiligten Museen. K.WEST 09/ 15 8 part Gab es Bedenken, dass ein virtuelles Museum weitere Besucher abziehen könnte? 18. 09. – 24.10. 2015 www.muensterlandfestival.com MusiK Kunst DialoGe Üb er 50 Ve ra nsta lt un Ge n – au ch in ih re r nä he – pop Jazz Kl as Gr ap hi Kp ro siK je Au sste ll un Kt ge n ex Kursione n Veranstalter KUNSTSPECIAL 31 Schau dich um! TEXT A M S T Was der Herbst beim Nachbarn bringt: Die besten Ausstellungen in Belgien und den Niederlanden KATJA BEHRENS E R D A M Rijksmuseum »Asia in Amsterdam« 17. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016 ISA GENZKEN IST ZU SEHEN IN AMSTERDAM. Amsterdam im Asien-Fieber. Weil die niederländische Ostindien-Kompanie ihre Handels- und Streifzüge im Fernen Osten immer weiter ausgedehnt hatte, waren im 17. Jahrhundert die niederländischen Städte mit exotischen Luxusgütern gut eingedeckt. Die Ausstellung zeigt neben Gemälden rund 170 Objekte, Lackarbeiten, Elfenbein, Seide, Ebenholz, Juwelen und Porzellan. Dinge, mit denen die zunehmend wohlhabenden Bürger ihre Wohn- und Esszimmer schmückten. Auf den Gemälden dieser Zeit hat man solche Preziosen schon oft gesehen, jetzt sind sie auch live zu entdecken. Das Stedelijk Museum lockt im Herbst mit einer umfassenden Werkschau der 1948 in Schleswig-Holstein geborenen Bildhauerin Isa Genzken. Es ist die größte Retrospektive, die je in den Niederlanden gezeigt wurde. Zu sehen gibt es das ganze Paket: frühe Filme, Zeichnungen, Ellipsoide und Beton-Skulpturen, Collagen und Assemblagen aus Alltagsobjekten. Arbeiten aus jüngerer Zeit sowie die am Computer entworfenen Minimal-Skulpturen aus den 70ern. Werke, die immer auch Kommentare zu den Themen Moderne, Körper, urbane Kultur und Architektur sind – Betrachtungen der Welt, in der wir leben. Van Gogh Museum »Munch: Van Gogh« Bis 17. Januar 2016 In der wohl einzigartigen Ausstellung werden die Parallelen im Werk von Vincent van Gogh (1853-1890) und Edvard Munch (1863-1946) untersucht. In der Konfrontation soll es nicht nur um die Gemeinsamkeiten, sondern auch um die Spezifika der jeweiligen Arbeitsweise oder den Einfluss der Pariser Avantgarde gehen. Es ist die erste Schau, die den beiden Künstlern gemeinsam gewidmet ist. 32 KUNSTSPECIAL R O T T E R D A Isa Genzken: Schauspieler, 2013. Syz Collection, Genève. © Photo courtesy the artist and Galerie Buchholz, Cologne/Berlin/New York. Stedelijk Museum »Isa Genzken: Mach Dich hübsch!« 29. November 2015 bis 6. März 2016 M Kunsthal »Keith Haring. The Political Line« Bis 7. Februar 2016 Eine große Schau zu Leben und Werk des amerikanischen Künstlers und Aktivisten Keith Haring (1958-1990). »The Political Line« – wie ihr Titel schon sagt, befasst sich die Ausstellung vornehmlich mit den sozialen und politischen Themen in Harings Werk. 120 Arbeiten gewähren Einblick in diesen Aspekt seines Schaffens. Die klaren Standpunkte und die klare Sprache seiner von der Street Culture, von Graffiti, Comics, Musik und Popkultur inspirierten Arbeiten machen immer noch Spaß. Kunsthal »Red Prosperity. Soviet Designs 1950-1980« Bis 14. Februar 2016 Die Schau zeichnet die Geschichte des sowjetischen Designs nach und startet 1959, als eine Moskauer Schau den verdutzten Genossen erstmals den »American Way of Living« vorstellte. Retro-Design-Fans und Nostalgiker werden dabei sicher auf ihre Kosten kommen. K.WEST 09/ 15 T I L B U R G Keith Haring: Untitled, 1985. © Keith Haring Foundation. Museum DePont »Charlotte Dumas. Work Horse« 10. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016 Ihre Motive sind Arbeitstiere: Polizeihunde und -pferde, Armeepferde in Rom, Tempeltiger, Wölfe. In der Serie »Anima« porträtierte Dumas Begräbnispferde in Arlington, Virginia, während ihrer Ruhezeit. »Mich interessiert vor allem die Verbindung zwischen Mensch und Tier und die umfangreiche Geschichte, die diese begleitet. Und Delacroix und Géricault sind meine Vorbilder«, erklärt die 1977 in Amsterdam geborene Fotografin. Ihr eigenwilliges, ernsthaftes Werk macht voller Empathie die Verletzlichkeit, aber auch die Stärke der Kreatur zum Thema. Wundervolle Bilder intimer Begegnungen. K E I T H H A R I N G S I E H T M A N I N R OT T E R D A M . V E N L O Museum van Bommel van Dam »Herman de Vries 1960 – 1995« Bis 10. Januar 2016 Mit Künstlerbüchern, Collagen, Textbildern und Videos ehrt das Museum den niederländischen Künstler Herman de Vries zu seinem 85. Geburtstag. Ursprünglich Gärtner, hatte de Vries Mitte der 1950er Jahre erst informelle Bilder gemalt, ging bald aber zu gänzlich weißen Collagen über. Die Nähe zur ZERO-Gruppe ist unverkennbar. Auch aus dem öffentlichen Raum ist der Künstler bekannt – er war unter anderem in Arnheim, Düsseldorf, Amsterdam, New York und bei den Skulptur Projekten in Münster aktiv. ¡DARK! BELGIEN 26.09.2015 – 03.04.2016 ZENTRUM FÜR INTERNATIONALE LICHTKUNST UNNA CENTRE FOR INTERNATIONAL LIGHT ART UNNA Anthony McCall - UK Diana Ramaekers - NL Lucinda Devlin - US Regine Schumann - DE Vera Röhm - DE WWW.LICHTKUNST-UNNA.DE LINDENPLATZ 1 – 59423 UNNA B R Ü G G E M O N S Verschiedene Orte – Indoor und in der Altstadt »Triennale Brugge 2015« Bis 18. Oktober 2015 Mons – Kulturhauptstadt Europa 2015 Museum Mons + WIELS »Atopolis« Bis 18. Oktober 2015 Was würde geschehen, wenn alle fünf Millionen Touristen, die jährlich Brügge besuchen, sich auf einmal entscheiden würden, dort zu bleiben – und die idyllische Kleinstadt zu einer Megapolis würde? Mit diesem Szenario konfrontiert, suchen Künstler, Architekten und Stadtplaner gemeinsam mit Brügger Schülern nach Konzepten, wie mit der Herausforderung umgegangen werden könnte. Das Kulturhauptstadt-Programm geht natürlich auch in der zweiten Jahreshälfte weiter. Zum Beispiel mit der Ausstellung »Atopolis«. Präsentiert werden Werke, die sich mit dem Phänomen der Zirkulation befassen – mit Diaspora und kulturellen Verschiebungen. Mons und die Borinage waren ein Epizentrum der frühen Industrialisierung und der damit einhergehenden Arbeitsmigration. Kulturelle und soziale Vermischungen waren eine Option auf dem Weg der Globalisierung – fließende Identitäten, Austausch und kosmopolitische Offenheit. 23 Künstler installieren ihre Vorschläge für eine ideale Stadt, offen, verbunden und radikal egalitär. B R Ü S S E L Koninklijke Musea voor Schone Kunsten van Belgie »2050. A Brief History of the future« Bis 24. Januar 2016 Zusammen mit dem Louvre wurde ein einzigartiges Projekt realisiert, bei dem über 70 zeitgenössische Künstler unsere Zukunft befragen. Soziale Themen kommen dabei ebenso zur Sprache wie Konsum, globale Konflikte, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, ökonomische Ungleichheit oder die Veränderung unseres Menschseins. Eine eindrucksvolle Künstlerliste lässt aufhorchen! Die komplementäre Ausstellung im Louvre (bis 4. Januar 2016) antizipiert die Zukunft aus der Vergangenheit. Beide Ausstellung sind inspiriert von Jacques Attalis Buch »A Brief History of the Future«. WIELS. Contemporary Art Centre »Stan Douglas: Interregnum« 9. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016 Yang Yongliang: A Cloud on the Horizon, 2008. Die Film-Installationen des kanadischen Künstlers Stan Douglas (Jg. 1960) sind elaborierte Inszenierungen und Montagen, die vom Zufall handeln und von den verlorenen Utopien des 20. Jahrhunderts. Im WIELS hat seine Video-Installation »The Secret Agent« Premiere. Ein bemerkenswertes Werk und sicher eine sehenswerte Schau, in der auch der kürzlich entstandene Film »Luanda-Kinshasa« zu sehen ist. YANG YONGLIANG IST ZU SEHEN IN BRÜSSEL 34 KUNSTSPECIAL K.WEST 09/ 15 Hingeschaut! TEXT STEFANIE STADEL Die Website lenkt den Blick auf die oft übersehenen Kunststücke im öffentlichen Raum. WWW.NRW-SKULPTUR.DE 26. SEPTEMBER 2015 –– 3. APRIL 2016. ZENTRUM FÜR INTERNATIONALE LICHTKUNST, UNNA. WWW.LICHTKUNST-UNNA.DE 36 KUNSTSPECIAL Lichtstreifzüge Das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna hellt das Dunkel auf Es geht um Lichtkunst. Doch der Ausstellungstitel verheißt Dunkelheit: »Dark« nennt sich die neue Schau im Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna. In den alten Gewölben der ehemaligen Lindenbrauerei bringt sie vier Künstler zusammen, deren Werke erst in der Finsternis lebendig werden. Allen voran Anthony McCall – längst ein Star, der mit seinen überaus einnehmenden Lichtskulpturen große Museen und wichtige Messen bestückt hat. Immer wieder arbeitet der 1946 geborene Brite mit Projektionen: Im Stockfinsteren zieht gleißendes Licht seine bewegten Bahnen durch den Raum. Dabei sorgt Nebel aus der Maschine dafür, dass sich das Licht bricht und sichtbar wird auf seinem Weg von der Quelle zur Projektionsfläche. So erscheint es gleichsam als fließende Wand, durch die man sich überall hindurch bewegen und dabei den Boden unter den Füßen verlieren kann. In Unna sollen Besucher nicht nur gucken. Sie können jede der vier Installationen betreten, durchwandern. Regine Schumanns labyrinthische Installation aus wellenförmigen Acrylglasplatten in phosphoreszierenden Farbtönen. Oder jenen Wald aus rund 20 durch leuchtende Schriftzüge erhellten Kuben, den Vera Röhm im Säulenkeller angelegt hat. Auch Diana Ramaeker bezieht uns ein. Die 1970 geborene Niederländerin baut ihr Lichtkunstwerk aus drei großen Theaterscheinwerfern und zwei beweglichen Spiegeln. Das wie bei McCall durch Nebel materialisierte Licht tastet sich langsam durch den Raum, an den Wänden, dem Boden und der Decke entlang. Es verändert seine Form, wenn es hier und da den Betrachter streift – der damit selbst zum Lichtbildner wird. K.WEST 09/ 15 Regine Schumann: Jump! (2012 / 2014). © Flo Fetzer. NRW steckt voll davon. Doch oft schaut man vorbei an der Kunst auf Plätzen, in Parks, am Straßenrand. Weil man es eilig hat, weil sie einem nicht auffällt. Und sicher nicht zuletzt, weil so schwer Informationen zu finden sind über die großen und kleinen Skulpturen, Objekte, Wand- und Platzgestaltungen, Klang-, Licht- oder Videoinstallationen. Wie kommt die neue Insel in den Fluss, wer hat die roten Kästen oben an die Laternenmaste montiert, und was soll die rote Stange an der Autobahnauffahrt? Die schöne, gut sortierte Website des Kultursekretariats NRW Gütersloh gibt in Text und Bild Antwort auf solche Fragen. Kurz und informativ macht sie bekannt mit den vielen, allzu oft übersehenen Schätzen in Stadt und Land. Ein kompetent besetztes Team hat die Auswahl der Arbeiten in 86 NRW-Städten von Aachen bis Wuppertal übernommen. Und nur die lohnendsten herausgepickt – immerhin 600 Kunststücke, die meisten stammen aus den vergangenen rund 70 Jahren. Von der »Diskokugel«, die Sandra Silbernagel in Everswinkel an den Straßenrand setzte, bis zu Heimo Zobernigs Wandgestaltung aus Aluminium in einem Kölner U-Bahnhof. Tempel mit Ohren Als Preisträgerin des Sparda-Kunstpreises NRW schuf Leiko Ikemura einen »Hasentempel« für Recklinghausen Eine eigenartige Erscheinung. Mitten im Verkehrstrubel, nahe dem Bahnhof in Recklinghausen soll sie sich bald zeigen. Fast vier Meter hoch wird das Wesen aus dem Teich dort ragen und wohl wirken wie aus einer fernen Welt. Es hat die Gestalt einer Frau mit weitem Glockenrock. Doch aus ihrem Kopf wachsen imposante Ohren, die denen eines aufhorchenden Hasen gleichen. »Hasentempel« so lautet auch der Titel, den Leiko Ikemura ihrer zwischen Rätsel, Magie und Komik schwankenden Figur gab. Sie konnte sich durchsetzten: Aus dem Wettbewerb mit Kollegen wie Markus Karstieß, Gereon Krebber, Alicja Kwade und Vera Lossau ging Ikemura als Siegerin des Sparda-Kunstpreises NRW hervor und wird am 20. September zugegen sein, wenn die Sparda Stiftung ihr Werk als Geschenk an die Stadt übergibt. Der »Hasentempel« fügt sich recht gut ins Œuvre der1951 in Japan geborenen Künstlerin. Ikemura hatte ihre Heimat früh verlassen, um in Spanien zu studieren. Sie ist in Europa geblieben, lebt heute in Köln und Berlin, wo sie auch als Professorin an der Universität der Künste lehrt. Unverkennbar ist über die Jahrzehnte hinweg ihre Verbindung zu japanischen Traditionen geblieben, die sich in ihren Arbeiten – Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen – auf eigentümliche Weise mit westlichen Einflüssen vermischen. Immer wieder lässt sie dabei die Grenzen zwischen Mensch, Tier, Pflanze verschwimmen. In Recklinghausen kommt nun noch ein weiterer Aspekt hinzu. Das menschliche Wesen mit den tierischen Ohren kann, wie der Titel schon sagt, auch als Tempel gesehen werden. Ein weit geöffneter Schlitz im Rock der teilweise hohlen Hasenfrau macht die Figur begehbar. Was in Recklinghausen allerdings einigen Umstand mit sich brächte – denn vor dem Tempelgang läge dort das Bad im Bahnhofsteich. K.WEST 09/ 15 Fotomontage »Hasentempel«. Copyright: Leiko Ikemura, 2014. VG Bild-Kunst Bonn, 2015. EINWEIHUNG 20. SEPTEMBER 2015, 12 UHR EUROPAPLATZ, RECKLINGHAUSEN KUNSTSPECIAL 37 Bewegte Bilder auf Schwarzdornwänden In Bad Rothenfeld startet im September die fünfte Ausgabe der »lichtsicht«-Biennale Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt das Schauspiel. Abend für Abend gehen gut fünfzig lichtstarke Beamer an und werfen bewegte Bilder an die alten Gradierwälle in Bad Rothenfelde. Einst gehörten diese Bauwerke aus aufgesteckten Schwarzdornzweigen zu den Salzfabriken des niedersächsischen Ortes. Heute bieten sie der »lichtsicht«-Biennale eine beeindruckende Projektionsfläche – rund elf Meter hoch und einen laufenden Kilometer lang. Nun schon zum fünften Mal werden sie genutzt für diese in ihrer Art einzige Open-Air-Ausstellung. Zu den Stars der 2015 erstmals von Peter Weibel kuratierten Schau zählt Robert Wilson. Zeigen will der US-amerikanische Allroundkünstler und Regisseur in Bad Rothenfelde einige seiner »Video Porträts«, für die er Prominenz von Lady Gaga bis Brad Pitt ins Visier genommen hat. Ebenfalls dabei ist William Kentridge mit einer Art Schattenriss-Prozession, die an Massenprotest oder Totentanz erinnern könnte. Spannung verspricht auch Holger Förterers interaktiver »Feuerwall«. Mit einer App kann sich jedermann visuell einbringen – kann Fotos vom eigenen Smart-Phone auf die »brennende« Schwarzdornwand projizieren. In der Inszenierung fangen sie Feuer, verbrennen und werden gleichzeitig aus dem Handy-Speicher gelöscht. »Diese Arbeit hat mit Abschied und Loslassen zu tun«, so der Künstler. Er möchte damit die Lust am digitalen Vergessen und am persönlichen Erinnern anregen. 18. SEPTEMBER 2015 –– 2. FEBRUAR 2016, BAD ROTHENFELDE WWW.LICHTSICHT-BIENNALE.DE © Foto Franz Wamhof Projektion William Kentridge »More Sweetly Play the Dance« 2015 lichtsicht_k_west_125x95mm_20150818-1.indd 1 38 KUNSTSPECIAL 18.08.15 16:51 K.WEST 09/ 15 URBANE KÜNSTE RUHR 2015 7 / 7 OKTOBER URBAN LIGHTS RUHR URBANEKUENSTERUHR.DE HAGEN MEHR LICHT Regionalverband Ruhr 09 / 10 BIS / 25 10 7 / URBAN LIGHTS RUHR BELEUCHTET HAGEN. FÜR EINEN MOMENT LENKEN KÜNSTLERISCHE EINGRIFFE UNSEREN BLICK AUF LICHT UND STADT UND BIETEN NEUE PERSPEKTIVEN AUF DAS VERTRAUTE. DIE INTERVENTIONEN BILDEN EINEN LICHTPARCOURS, DER ZUM FLANIEREN, ENTDECKEN UND ZUM AKTIVEN MITGESTALTEN EINER VIELSCHICHTIGEN STADT EINLÄDT. K.WEST 09/ 15 FOTO ROMAN MENSING KUNSTSPECIAL 39
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