Zauberspruch für Verwundete - Poetryslam in

Sonntag, 29. November 2015 (20:05-21:00 Uhr) KW 48
Deutschlandfunk / Abt. Hörspiel/ Hintergrund Kultur
FREISTIL
Zauberspruch für Verwundete
Poetry Slam in Deutschland
Von Kurt Kreiler
Regie: Günter Maurer
Redaktion im DLF: Klaus Pilger
Produktion: SWR 2013
Manuskript
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©
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2
O-TON 1
(Musik, Applaus)
(Team Totale Zerstörung)
Hey, Peoples – wir sind das Team Totale Zerstörung, kurz TTZ,
einer Hack und einer Mett, und wir haben einen Text mitgebracht, er heißt: eja-cool-aht,
äh art – also Kunst, wir lieben Kunst.
Kunst Kunst Kunst
Kunst Kunst
Kunst Kunst Kunst
Kunst Kunst
Rapper RapperRapper RapperRapper etc
Viele Rapper rappen nur von Hass bitches und Krieg
kaum einer mag die Kunst und Klass-ische Musik
dass übertriebne Gewaltdarstellung drastisch überwiegt
liegt daran, dass n großer Fuffi an den Glashaltern zieht.
Obwohl so mancher Maler inhalierte manche Droge
ist Kunst unter Rappern nicht so krass en Woge
Wer sollte da auch meckern: ist doch ein Cabriolet
weiter vorne als Claude Monet.
Voll homo eh –
Thema Gay, beim Rappen gayts oft um die Länge des Schwanzes
und das Tanzen der Ladies, das Thema Kunst ist ein verkanntes.
Eloquenz in Sachen Renaissance gilt nicht als elegant
weshalb ne halbe Stelle als Kunstrapper vakant.
Wir sind Kunstrapper, bitches, und die kennt man doch
wir schneiden tief ins Ohr wie Vincent van Gogh.
Viele halten ein Museum für ein Rentnerloch
doch die Kunst ist eine Kerze und noch brennt der Docht.
(SPRECHER)
Zauberspruch für Verwundete
Poetry Slam in Deutschland
Feature von Kurt Kreiler
O-TON 2
(Slam-Ansage Egge&Chadde, Hamburg)
Wir machen das sehr straff und taff heute - Meine Damen und Herren: Hand hoch, wer
noch nie bei einem Poetry Slam war?
Wow, dann können wir uns das schon mal sparen. – Hand hoch, die das erste Mal bei
diesen Poetry Meisterschaften sind. – Wow. Henning, erklärst du mal ganz ganz kurz? – Ja,
Poetry Slam, meine Damen und Herren, wir erklären das ganz schnell: nichts anderes als
die moderne Form einer handelsüblichen Dichterschlacht, es werden Poeten mit
eigenverfassten Texten auftreten, sie haben fünf Minuten Zeit und 15 Sekunden maximal
Nachlesezeit, dann erschallt der Gong oder der Einspieler, dann müssen sie runter – und
die Jury wird dann zur Tat schreiten, die gut informierte Jury wird dann die Wertungskarten
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1 bis 10 hochhalten und wir werden Endergebnisse sammeln und danach feiern – bis nach
Meppen und so weiter und sofort.
(Nico Semsrott)
Neurologen haben kürzlich herausgefunden, dass das menschliche Gehirn den ersten Satz
eines Vortrags gar nicht verarbeiten kann, ihr Penner.
Hallo, ich bin Nico, 23 Jahre alt, und ich komme aus Versehen.
Ich werd häufiger gefragt, warum ich immer nur über Depressionen rede. Ganz einfach,
weil man sich an dem Thema so gut aufhängen kann.
Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt. Für euch hat die Leistungsgesellschaft gerade zwei
Stunden Pause, während auf der Bühne der künstlerische Überlebenskampf tobt. Und ihr
findet das auch noch toll, Sadisten. Wer heute nicht gewinnt, geht als gebrochener Mensch
nachhause. Ich glaube, Menschen sind so, wir brauchen den Wettbewerb – und wir
brauchen mehr Vergleichbarkeit. Vergleichbarkeit ist wichtig, warum, weiß ich jetzt auch
nicht, aber wir brauchen Vergleichbarkeit. Wenn wir Vergleichbarkeit nicht bräuchten, dann
würde das europaweite Bachelor-System ja gar keinen Sinn machen. Aber man muss
vergleichen, dass alle erfahren, dass sie Scheiße sind. Nur einer wird der Beste sein, bis er
beim nächsten Mal wieder Scheiße ist. Sich Scheiße fühlen: Wirtschaftswissenschaftler
nennen das Wettbewerb.
(Nora Gomringer)
Ich werde etwas mit der Sprache machen. Ich mache jetzt etwas mit der Sprache. Ich
werde jetzt etwas ganz Bestimmtes, Besonderes mit der Sprache machen, da werden Sie
staunen. Ich werde was ganz Erstaunliches machen mit der Sprache. Sie werden Ihren
Partner an der Hand fassen wollen, so ganz und gar erstaunlich wird das sein. Auch wenn
Sie nicht staunen wollen, weil aufgeklärt und abgeklärt und alles, so wird es doch ganz
erstaunlich und unvorhersehbar sein. () Das wird ganz unerhört sein, was ich jetzt mache
mit der Sprache: dieses Etwas. Erstaunlich wird es Ihnen vorkommen, für Ihre Sinne fast
unverständlich, meine Sprache, Ihre Sprache, ihr Effekt, was sie auslösen wird. Ich werde
etwas machen mit Ihrer Sprache, Ihrer durch und durch bekannten Sprache, ihr etwas
abringen, da werden Sie staunen darüber, wie ich ringe damit.
A:
Poeten und Poetinnen in poesiearmer Zeit. Keine Romantiker und Verklärer, sondern
erklärte Zweifler und Desillusionisten, zungengewandte Satiriker und polternde
Neckgeister, Rapper und Reimer, Geschichtenerzähler, Pathetiker und Komödianten: junge
Leute, die auf die Bühne drängen und ihr Publikum mit Witz und Aberwitz, guten und
schlechten Texten verführen und zum Lachen oder um den Verstand bringen.
O-TON 3
(Ansage Egge&Chadde)
Das Publikum darf natürlich mitwerten, indem es ganz viel Lärm
macht, wenn der Text besonders gut ist und nicht so viel Lärm macht, wenn der Text nicht
so richtig gut ist.
(Nora Gomringer)
Schauen Sie doch, wie ich das mache, machen könnte, was ich
machen könnte, wenn Sie mich doch verdammt nochmal ließen.
B:
Nora Gomringer, Parodistin ihrer selbst - geballte Energie, große Zartheit.
4
O-TON 4
(Nora Gomringer)
Wenn Sie mich nur ließen. Warum lassen Sie mich denn nicht? So wird das natürlich
nichts, nichts Außergewöhnliches, Erstaunliches mit der Sprache, so wird das gar nichts.
Sehr bedauerlich, so ganz ohne Zauberei wird das nichts mit der Sprache. Wenn Sie nicht
dabeibleiben an der unerhörten Sprache, der ganz außergewöhnlichen, die durch meine
Arbeit an ihr so veränderten, bekannten, altbekannten Sprache, so wird das natürlich etwas
ganz Anderes, ganz vom Anfangsgedanken abgekehrtes, so wird das nämlich nichts.
(Nico Semsrott)
Wir müssen mehr vergleichen, dass alle erfahren, dass sie Scheiße sind. Einer gewinnt, bis
er das nächstemal wieder versagt. Das ist der Sinn von Wettbewerb: sich schlecht fühlen.
Mehr Druck, mehr Angst vorm nächsten Tag, mehr Alpträume: an diesen Zielen sollten wir
alle festhalten. Für eine menschenunwürdige Scheißgesellschaft.
B:
Nico Semsrott in schwarzem Kapuzenoverall, schmales Gesicht, Brille. Der Buster Keaton
der Slam-Bühne.
O-TON 5
(Nico Semsrott)
Wir müssen den Wettbewerb jedenfalls zuende denken. Ich fordere ultimative
Lebensabschlussnoten. Dann steht auf dem Grabstein auch alles, was man über einen
Menschen wissen muss. Karl: 5 minus. Ja reicht doch.
(Nora Gomrinmger)
Poetry Slam ist ein Format, das in Mitte der 80er-Jahre festgesetzt wurde – das sicher auch
relativ spontan, aber es hat sich eben auch als Begriff festgelegt –, und wir folgen diesem
schönen halbliterarischen Plan, Laiendichter nacheinander auftreten zu lassen und im
Wettbewerb miteinander zu stehen und dabei einem gewissen Reglement zu unterliegen.
Es gibt ja schöne Pläne für die Eindeutschung – Sprachkrach und Dichterwettstreit und so
–, aber es ist alles Behelf. Das Ganze heißt Poetry Slam.
A:
Juli 2006: erste Zufallsbegegnung mit Slam - in Frankreich, Saint-Denis, dem ältesten
Vorort von Paris. Star des Abends ist Grand Corps Malade, einer der fulminantesten
jungen Dichter Frankreichs.
B:
Mit einer Krücke auf der Bühne stehend, erinnert er an den
jungen Jaques Brel. Aber er singt nicht.
O-TON 6
(Grand Corps Malade, Saint-Denis)
J’voudrais faire un slam pour une grande dame que j’connais depuis tout petit
J’voudrais faire un slam pour celle qui voit ma vieille canne du lundi au samedi
J’voudrais faire un slam pour une vieille femme dans laquelle j’ai grandi
J’voudrais faire un slam pour cette banlieue nord de Paname qu’on appelle Saint-Denis.
(SPRECHER, im Rhythmus!)
5
Ich fabrizier einen slam für ne große Madam, die ich ich kenn von klein an
Ich fabrizier einen slam für sie, die mich humpeln sehn kann von früh an
Ich fabrizier einen slam für die alte Madam, die mich nahm auf die Knie
Ich fabrizier einen slam für die Stadt-vor-Panam, genannt Saint Denis.
Nimm die Linie D der RER und irr im Straßengewirr einer Stadt mit Flair
Nimm die Linie 13 der Métro und kehr ein bei MacDo oder im Bistro einer Stadt voll Gogo
O-TON 6
... ou dans les bistrots d’une ville pleine de bonnes gos et de gros clandos
(Francoise Douzenel)
Et puis il y a Grand Corps Malade. Il fait du Slam.
B:
Francoise Douzenel, Saint Denis, fünfundsiebzig Jahre alt.
O-TON 7
(VoiceOver : Francoise Douzenel)
Und da ist Grand Corps Malade. Er macht Slam. Er hat eine wunderbare Stimme. Ein
junger Mann, der einen Unfall hatte im Schwimmbad. Wäre um ein Haar
querschnittgelähmt gewesen. Er macht Slam, und die Leute des Viertels beteiligen sich
daran. Slam, das ist gehämmerte Poesie, nicht gesungen, sondern rezitiert.
Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das höre.
Et moi, j’ai le poil qui se dresse sur le bras quand je l’entends.
(Grand Corps Malade, Saint-Denis)
Et à 2 pas de New-Deli et de Karashi (t’as vu j’ai révisé ma géographie),
j’t’emmènerai...
(SPRECHER, im Rhythmus!)
Zwei Schritte von Neu-Dehlí und von Karatschí (du siehst, ich bin ein Crack in
Geographie), bekommst du Maffé und Kaffee in Bamako und Yamoussoukro
Oder dir ist lieber, wir gehn hinüber und essen Crèpe, wo es riecht wie in Quimper, mit
einem Hauch Finistère,
durchqueren Tizi-Ouzou und landen auf den Antillen, dort bei den Schwarten, die zischen
„Pschit! du nich darf mit mein Tochter spillen“.
O-TON 7
... Pschit, toi aussi kaou ka fé là ma fille !
A:
Ein paar Monate nach diesem Auftritt in Saint-Denis startete Grand Corps Malade sein
Album Midi 20 (Zwanzig nach zwölf), das sich innerhalb von drei Wochen 100.000 Mal
verkaufte.
O-TON 8
(Florian Cieslik)
Was ich von Frankreich gehört habe, was vielleicht auch hier sein kann, dass sehr
erfolgreiche Leute, die auch sehr sehr viel CDs verkaufen, auch bei nem Label sind, dass
das den Off-Charakter und Untergrundcharakter sehr spaltet, und dass es dann doch so
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ein bisschen die the-winner-takes-it-all- Mentalität bekommt – und da haben wir so bei so
European Veranstaltungen mitbekommen, dass sie sich teilweise spinnefeind sind. Ich
denke, das kommt durch solche sehr sehr erfolgreichen Leute, die eventuell auch zu Recht
erfolgreich sind, natürlich.
(Nora Gomrinmger)
Da merkt man dann, dass der Poetry Slam als Format natürlich gut funktioniert, solange
sich ein gewisser Gleichheitslevel hält. Er kippt dann ein bisschen, wenn es darum geht,
dass eben einer aus der Masse rausgenommen wird und auf ein Extrapodest gestellt wird.
Und dann ist eigentlich die Verhandlung dieser Person der normalen Verhandlung eines
Autors sehr ähnlich. Weil man kann ein Held sein für fünf Minuten, und das kann man
wirklich gut sein – es hat ja jeder mal im Leben seine fünf Minuten of Glory, aber ob es
dann eben für die Literatur reicht, das zeichnet sich auf anderen Bühnen ab.
(Florian Cieslik)
Die Diskussion Kunst hin und her, eh schwierig. Ich glaube, dass Poetry Slam die Bühne
für Kunst bietet.
A:
Unterwegs mit Florian Cieslik in Hamburg während des Hamburger
„National“. Florian Cieslik organisiert den Kölner Poetry Slam „Reim in Flammen“, ist
Organisator der NRW Slam-Meisterschaften und Gastgeber auf dem Köln Comedy Festival.
O-TON 9
(Florian Cieslik)
Und es liegt an jedem selbst, wie das eben sonst auch so ist, wie du’s füllst, was auch für
Mittel du hast, es zu füllen, aber: du darfst dich an der Kunst probieren. Und wann es
Kunst ist, geht im Zuschauer auf, sozusagen, und das ist eigentlich die Sache: es bietet
eine enorme Chance für Kunst, so möcht ich’s mal nennen. Es ist nicht per se Kunst, wenn
du auf die Bühne gehst, das wär ja Wahnsinn.
(Musik - Florian Cieslik auf der Bühne)
Ich saß in einem Dortmunder Döner-Laden und ein junger Herr ohne
Migrationshintergrund, das ist wichtig, mit seiner Freundin im Schlepptau, in Ballonseide
gekleidet, kam in diesen Döner-Laden und bestellte folgendes: Ne Schnepopi und für
Lutsche ne Frico. Das ist nicht Comedy, das ist sprachlich sehr interessant: Frico heißt
Fritten-Cola - Lutsche: seine Lebensabschnittsgefährtin - das müßt ihr euch mal vorstellen:
Lutsche – und Schnepopi heißt: Schnitzel, Pommes, Pils. Also Essen-Getränk zusammen huiit - Bestellung.
Denn was kam am Morgen danach? www. die without-word-world.
Für das, was zwischen euch übrigbleibt, reicht dieses Zeichensystem aus icons,
Piktogrammen, Wortfetzen und Lauten. Schne-po-pi.
A:
Eher selten, dass ein Slammer – wörtlich: Türenzuschlager
oder Gewinner aller Stiche – von eignen Gefühlen spricht. In dieser Hinsicht riskieren die
Frauen mehr, nicht selten zu ihrem Nachteil. Manchmal aber geschieht ein Wunder.
7
O-TON 10
(Pauline Füg)
Zauberspruch für Verwundete.
Eins. Wir fahren nach Norden. Wir fahren von dort fort, wo die Seehunde am Strand liegen.
Ich sehe dich an, du bist ein bisschen weit entfernt. Wir fahren, ich will nicht mehr
anhalten, wir fahren davon und dahin. In deinen Augen ist etwas zu viel Beton. Deine
Schultern sind etwas zu schmal. Ich sehe dich immer etwas zulange an. Deswegen sage
ich einen Zauberspruch für Verwundete. Das ist ein Zauberspruch für Verwundete. Das ist
eine Wunde für Verzauberte. Denn Weltfallsucht hat mir die Knie aufgeschlagen. Und
Fenster ist auch nur ein Blick in die Welt. Und Welt hat sich zu weit aus dem Fenster
gelehnt. Tag ist auch nur das Gegenteil von Nacht und Nacht ist eine Frage der Zeit.
B:
Pauline Füg, Eichstätt. Groß, schlank.
O-TON 11
(Pauline Füg)
Ich sag, wir atmen allein und hören alleine damit auf.
Drei. Uns ruft niemand an. Nicht auf dieser Fahrt, nicht auf diesem road trip. Manchmal
sag ich zu dir: halt, halt an. Hier riecht es so, wie es sein muss, nach gehaltenen Händen
und Versprechen. Ja, ich weiß, der Bremsweg wäre zu lang. Das ist ein Zauberspruch für
Verwundete. Denn meine Knie sind aufgeschlagen, es ist kalt geworden gerade und wird so
schnell nicht mehr warm. Die Felder sind leer und weit, und es ist auch nur irgendeine
Jahreszeit - ohne Erdbeeren. Wolken sind auch nur ein Filter für Sonne und die Menschen
sagen Schrift ist ein begrenzter Zeichenvorrat, und was wichtig ist, ist nicht da. Ich will,
dass ihr meine Wörter seid, aber ihr seid auch nur Sprache ins Nichts.
Vier - Ich bleib am Straßenrand stehn und warte, bis du mich verloren hast. Denn jeder
Morgen ist auch nur ein Warten auf später. Und Leben ist eine Frage der Geburt.
(Florian Cieslik)
Kunst wird da auch neu entdeckt. Die öffnet sich erst im Zuhören - wo wirklich nachher klar
ist: wow, das war hier wie in Stein gemeißelt, das war der Wahnsinn, da muss man auch
nicht lange drüber nachdenken.
(Beifall, Klacken ins Mikrophon)
B (unter den Geräuschen):
Zur versammelten Kunst aber gehört auch der Aufmarsch der Witzbolde, Gallefabrikanten
und Comedians. Dabei könnten die neuen Neopathetiker und alten Ekelpakete, die Barden
der Defloration, die Holzhacker, Schlepper und Schleimer des-Reims-und-der-Prosa ein
gutes Thema abgeben für einen guten Slam.
O-TON 12
(1) Das verstehen die Frauen nicht. Für Frauen gibt es nur einen Unterschied zwischen
Schokolade und Sex. Schokolade hinterlässt braune Flecken auf dem Bettlaken.
(2) Wenn man soviel Zeit hat, wie ich sie habe, dann ist es nie die Langeweile, sondern
die Zeit selbst, die einen quält. Ich wache morgens auf, stelle meinen Wecker nie, guck
aber als erstes darauf, um zu sehn, wie viele Stunden ich noch vor mir hab, um wieder
zu Bett gehen zu können. Der Mensch ritualisiert sich, egal, wie viel oder wie wenig
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Zeit er hat. Selbst der Kaffe, die Zigarette, der Toast, Duschen, Zeitunglesen oder
Ficken.
(3) Ich brauch Stillstand. Nur ein Jahr müsste die Zeit stillstehn und ich könnte das
erledigen, was ich brauche. Wie verrückt ist es, die Zeit zu fragen, ob sie für dich
anhält? Wie verrückt ist es, das größte Mysterium unserer Welt zu fragen, ob es sich
selbst die Bedeutung nimmt? Wie verrückt ist es, eine Zeitspane zu nennen, in der Zeit
still stehen soll? Die Zeit bleibt nicht stehen. Sie wartet nicht auf dich. Immer muss
man Schritt halten oder sie besser noch überholen, aber sich ja nicht zurückfallen
lassen, wenn wer zurückfällt, fällt aus.
(4) Du sagst, wir werden anders sein, uns irgendwie auch Unsterblichkeit verleihn
durch unsre Einigkeit vielleicht. Und ja, wer weiß, vielleicht sind wir ja schon dazu
bereit, alles aufzugeben für ein völlig andres Leben. Und ich läute ein neues Zeitalter
ein, denn mein holpriges Zweifeln vergeht ohnehin ungehört. Und wir würfeln
stattdessen um unser Glück, betört durch diese Leichtigkeit, die mich ein Stück von
meiner Last befreit, und wie weit ist’s noch, bis uns ein Ziel vor Augen steht.
(5) Oder ich würde inhaltlich sehr leicht, sehr seicht, das Ziel, das hätt ich längst
erreicht, es ging fortan nur um Krafterhaltung, Machtverwaltung nicht, aber um
Meinungsspaltung, ich würde keine Reime schütteln nach Schema des nichtexistenten
Scheins vom Schüttelreim und dabei innerlich pleite gehn so wie Opel in Rüsselsheim
...
(6) Aber jetzt mal ehrlich: wer wird sich schon beschweren? Die Welt geht ihren
gewohnten Gang an einem Tag wie heute, nur ich habe irgendwie einen Schaden. Auf
dem Weg in die Stadt nehme ich mindestens vier Autos, zwei Fußgängern und einem
Dackel die Vorfahrt. Keine Ahnung, wie mein Fahrrad und ich diesen Höllenritt
überlebe.
(7)...
(8) Ich mag keine Schokolade. Mir wird schon beim Schlucken schlecht. Lieber geh ich
an die Tankstelle und schnüffle am Benzinhahn.
Macht richtig Lärm für Frau ... Beifall, Klatschen.
B:
Nora Gomringer, Slammerin seit zehn Jahren, Gewinnerin des
Jacob-Grimm-Preises, Direktorin der Villa Concordia Bamberg, sieht keinen Grund zur
Aufregung.
O-TON 13
(Nora Gomringer)
Ich muss dazu sagen: Wer sich fünf Minuten auf der Bühne nur aufhalten darf, den kann
man mitunter ja auch ertragen. Das war auch die Idee von Marc Smith, dass er gesagt hat:
Fünf Minuten schlechte Dichtung, das kann man gerade noch ertragen.
A:
Der Suhrkamp-Dichter Rainald Goetz, der vor Jahren in Klagenfurt mit der Rasierklinge
publikumswirksam hervorgetreten ist, hat sich erlaubt, seiner Abscheu Ausdruck zu geben.
Er schreibt: „Bei den Poetry Slams, da kommt zur Idiotie des Prätentiösen die Illusion,
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dass ein Bier in der Hand genügen würde, um alle grundsätzlichen Fragen zwischen Schrift
und Rede mit einem Schluck aus der Welt zu schaffen. Und obendrein sind 90 Prozent der
da vorgelesenen Texte bodenlos bieder.“
O-TON 14
(Nora Gomringer)
Das ist interessant. Ja, bieder – vielen jungen Menschen, die sich zum ersten Mal auf die
Bühne stellen, fällt ja gar nicht auf, wie bieder und konservativ sie sind, aber ich finde das
unglaublich menschlich. Es ist eine sehr menschliche Bühne, es menschelt da überall. Und
dann finde ich eben aber auch klar erkennbar, wenn jemand nicht menschelt und Humor
hat und vor allem ein bisschen Selbstironie, dann fällt man auf, und das sind die, die auch
immer weiterkommen. Es ist ein ganz einfaches natürliches selektives Prinzip. Wer auffällt
dadurch, dass er nicht wegen bestimmten Dingen geliebt werden will, sondern gerade
wegen des Gegenteils, der kommt dann auch immer weiter.
(Julian Heun)
Und all die inhaltsleeren Phrasen,
der Münder in den heutgen Tagen:
wollen reden, doch nichts sagen,
wollen reden reden reden und nichts sagen.
Und blasen blasen große Phrasen
blasen Seifenblasen-Phrasen
über alle Maßen - groß.
Manchmal, da muss man auf den Putz hauen, nicht nur so, töda töda, man hat doch
auch ne Stimme, is doch nich nur – reden und nichts sagen – ich sage mal, wenn man
det Ganze betrachtet, wird es, nich wie irgendwer sagt: mach dieses mach jenes, mach
sonstwat, dann wird det ne richtig harte Chose – dann ist das reden und nichts sagen –
Where you’re from? O Berlin. I love it. - Where you’re from? O Berlin. I love it. - Where
you’re from? O Berlin. I love it. – Reden und nichts sagen. – Und immer wieder diese
Köche, nichts als Köche! – reden und nichts sagen - Hör mal, dat Leben, dat is keine
Schlemmerei.
A:
Julian Heun, Berlin, Student der vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik.
Slammer in den Zeiten des Bachelor-Diktats.
O-TON 15
(Julian Heun)
Also das einzige, was ich bei Poetry Slam an Rebellion sehe, das ist ne Rebellion gegen die
tradierten Form der Lesungen in Deutschland, die eben teilweise auf Performance oder
teilweise auf Aussprache gar nicht viel setzen und die von der Atmosphäre sehr kraftlos
und undynamisch ausfallen können dafür, wieviel Kraft Sprache eigentlich hat und wieviel
da drinsteckt und dass Sprache eigentlich wirklich begeistern kann.
(Nora Gomringer)
Also ich weiß, dass ich auf dieser Bühne da im „substanz“ 2001 als 21-jährige Person stand
und gedacht hab, das kann doch nicht sein. Hier stehen jetzt wirklich fünfhundert eng
zusammengepackte Menschen, im Winter, schwitzend in so ‛nem Club und hören jetzt da
zwölf Leuten zu, die nacheinander auftreten, und die Hälfte von denen fand ich nicht gut,
die andere Hälfte, das waren die Stars der Szene, was mir damals ja gar nicht bewusst war,
10
weil ich die noch nicht kannte. Und da habe ich noch oft im Nachhinein geschmunzelt,
was ich da für einen ersten Abend hatte, meine erste Erfahrung.
(ZAKK, >Trommel-Musik<, Pause&Granderath) [davon so viel verwenden, wie nötig]
(Andy Strauß)
Ich glaube, ich komme halt überhaupt nicht aus der Hochkultur, so menschlich. Meine
Eltern sind halt ganz normale, ich sag mal Arbeiter.
[O-Ton 15a fehlt! entbehrlich] (Markim Pause)
Der Andy Strauß ist auf der Bühne sehr - also der überrascht das Publikum und sich selber,
glaube ich, auch immer wieder auf der Bühne. Der hat zwar Texte, die er mitbringt, die er
liest, aber man weiß nie so ganz genau, was passiert.
O-TON 16 [mit O-TON 15 verbinden]
(Andy Strauß)
Ich bin relativ empathisch, möchte ich mal so sagen, und nehme
aber auch viel mit von dem Publikum. Es ist nicht einfach so, die gucken mich an, sondern
ich merke, dass die mich gerade angucken, und ich merke, wenn die sich freuen. Also ich
hör das nicht nur, man hört so, okay, sie lachen, sondern ich mach manchmal auch ernste
Dinge und dann merke ich auch, dass sie da konzentriert sind und dem folgen und so.
(Ansage Markim Pause und Pamela Granderath; Andy Srauß)
Jetzt kommt ein Mann auf die Bühne, der seit zwei Tagen ein rotes Auto besitzt, aber er
sitzt auch draußen – Er sitzt eigentlich immer in seinem Auto und wenn das mit der
Schalte klappt, dann ist es das erste Mal, dass nicht der Slammer auf die Bühne kommt,
sondern wir rausschalten; wir wollen jetzt keine Werbung machen, aber ich glaube, die
Menschen, die dieses Auto herstellen, die machen auch Waffen - Das muss man so sagen,
wahrscheinlich ist das Auto auch ne Waffe, könnt ich mir vorstellen – Gib dem Mann ein
Mikrofon und er ist auch eine Waffe – Das stimmt – Rufen wir ihn auf die Bühne, macht
einen Riesenapplaus, hier kommt für euch: Andi Strauß! – Sechs Minuten für dich, lieber
Andi.
B:
Große dunkle Augen, langes ins Gesicht fallendes Haar, die Bewegungen schlacksig
federnd. Kapuzenkluft.
O-TON 17
(Andy Strauß)
Ich muss das mit dem Auto rechtfertigen, also das ist tatsächlich ein Mercedes, er ist aber
schon volljährig, also schon unglaublich alt. Ich hab ihn auch nur, weil ich grad meinen
Führerschein wiederbekommen hab und da dacht ich: yeah, ich brauch ein Auto, und da
hat mein Onkel gesagt, ich hab ein Auto – so, gib mir das Auto! Er: ja, ich geb dir das Auto,
gib mir Geld! Ich sag: wie Geld? Familie, Alter! Familie, Alter! Ja, dann hat er gesagt:
Heirate meine Tochter, dann kriegst du den Wagen als Mitgift. Und dann war ich heute –
zwischen Mettmann und hier gibts nen Ort, Neandertal, da hab ich sie verscharrt – so hab
ich ein Auto und keine Ehefrau mehr, hab den Ring auch direkt, egal.
(liest) Als meine Freundin Frieda in meiner Anwesenheit einen etwa 80 Meter tiefen
Abhang hinunterstürzte, konnte ich nichts anderes machen als die Hände über dem Kopf
zusammenzuschlagen, entsetzt zu gucken und zu rufen jooooaaaaaaaaaa-ptt. Nachdem
sie am Boden zerschellt war, setzte ich mich in den Schneidersitz und dachte darüber
11
nach, warum ich sie eigentlich geschubst hatte. Ich bin ja nicht so der Mörder eigentlich,
sondern ein ganz netter Zeitgenosse, spiele gerne Schach, fahre einen Mittelklassewagen
mit Umweltplakette und zahle monatlich meine Rechnungen - und plötzlich schubst einer
wie ich seine Freundin einen steilen Abhang hinunter, das passt genau so wenig wie eine
junge Frau in den Swingerclub – und trotzdem hab ich es getan, denn es gab gute Gründe
dafür: dass es eigentlich Frieda war, die mich umbringen wollte, obwohl sie so einen
friedlichen Namen hatte. Ihr Motiv bestand aus den typischen drei Faktoren, die ich hier
der Reihe nach nennen möchte. Erstens war sie ziemlich verliebt in meine weiß-roten Nike
Sneakers von 1993, die noch top in Ordnung und auf dem Markt nicht mehr erhältlich
waren. Es machte sie unglaublich sauer, dass ich sie ihr nicht mal ausleihen wollte.
Habgier. Zweitens erfüllte es sie mit Zorn, dass ich diese Schuhe stets etwas lieber hatte
als sie und häufiger mit ihnen schlief als mit ihr. Eifersucht. Drittens vermute ich, dass sie
davon ausging, das feine Leder meines Torsos und meiner Gliedmaßen nach meinem Tod
als schicken Mantel vernähen zu können. Blödheit! – Ihre gegen mich gerichteten
Mordversuche waren immer gut kaschiert und perfide ausgeführt. Einmal zum Beispiel,
beim Angeln. Wir saßen gemeinsam im Boot und Frieda wollte gerade einen Regenwurm
an die Angel pappen, griff aber nach meinem Handyladekabel, spießte es auf und warf die
Angel aus, natürlich war das Ladegerät danach hinüber und Teil eins ihres Planes war im
Kasten. Zum Ausgleich bestellte sie mir dann bei Ebay ein neues Ladegerät, dieses
Ladegerät aber war kein Original, sondern ein billiger Asia-Import, der direkt bei der ersten
Benutzung hart explodierte!! Weitere Indizien für Mordversuche sind a) dass sie im Bett
immer an der Seite schlafen wollte, an der die Wand ist, obwohl jeder weiß, dass wenn
Buhmänner im Haus sind, diese immer die Person essen, die auf der Außenseite des
Bettes schläft - b) dass sie mir zu meinem Geburtstag einen Nusskuchen machte,
wahrscheinlich, weil sie davon ausging, dass ich eine Nussallergie habe, womit sie sich
aber geschnitten hatte, die Schlampe, haha – c) dass sie versucht hat, mich bekloppt zu
machen, indem sie immer wieder fragte, was ich denn denken würde, was ich denn denken
würde – was denkst du grade? was denkst du grade? ja ja ja was denkst du denn grade? –
oh, was denkst du gerade? – obwohl sie genau wissen müsste, dass ich ganz selten etwas
denke!! – d) dass sie beim Schnick-schnack-schnuck-Spielen immer die Schere nahm und
dabei meinem Hals gefährlich nahekam – was blöd von ihr war, weil ich motorisch nur
Stein und Papier kann und Papier nicht mache, weil das ein halber Hitlergruß ist. Als wir
nun zusammen in den Bergen wandern waren, sagte sie, sie wolle meine Schönheit mit der
aufgehenden Morgensonne im Hintergrund als Foto festhalten und bat mich, mich an den
Abhang zu stellen. Was sie vorhatte, war natürlich klar, aber ich bin ihr zum Glück
zuvorgekommen – und sprang einfach selbst. Kurz bevor ich den Boden erreichte, öffnete
ich im Fallen meine Hose, kramte meinen Penis hervor, ließ ihn wie den Rotor eines
Helikopters rotieren – bvvuuuhuuubvvuuuuhu - flog den Abhang wieder hinauf, landete
hinter ihr und versetzte ihr einen Tritt, auf dass sie stürzte. Da sie keinen Penis hat –
(Lachen, Beifall)
(Granderath:) Andi bleib hier, Andi bleib da!
(Markim Pause)
Das Faszinierende für mich, dass es ein sehr offenes Format ist. Das heißt, dass man viele
verschiedene Textgattungen nebeneinander auf der Bühne hat, die alle ihre Berechtigung
haben und mit denen alle Slammer unterschiedlich erfolgreich, aber es funktioniert halt
tatsächlich, wenn es wohl vorgetragen wird, alles. Also sperrige Lyrik, witzige Geschichten,
Rap-Poesie – ich hab schon viele Dinge gesehen und auch oft neue Ideen auf der Bühne
gesehen, die von Leuten entwickelt wurden, und das finde ich halt da gerade das
Interessante beim Slam: Es passiert wirklich sehr viel, es wird sehr viel Sprachentwicklung
unter den Slammern, bei den Slammern, von den Slammern betrieben.
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(Pamela Granderath)
Wir haben schon mal irgendwelche verrückten Ideen, die wir dann auch umsetzen und
umsetzen können hier mit dem ZAKK, das ist ja auch das Wunderbare, dass die so
Generationen-Slams mitmachen oder Dead-or-Alive-Slam oder Singer-Songwriter-Slam,
dass wir mal ein Team Special machen. Wir versuchen schon auch, Abwechslung
reinzubringen.
(Markim Pause)
Ich hab, als ich 2001 hier angefangen habe, mit der Pamela diesen Slam zu moderieren,
auch gedacht nach einem Jahr, das ist Wahnsinn, wie schnell sich das entwickelt, wie toll
die Veranstaltung ist, was da passiert, und ich hab aber irgendwo so im Hinterkopf gehabt:
Hm, irgendwann wird das vorbei sein.
(Pamela Granderath)
Irgendwann muss es doch mal langweilig werden. - Aber nein, es kommen immer wieder
neue Leute, immer wieder frische Texte, und es ist wirklich jeden Abend aufs Neue eine
Überraschung, wer kommt, und man kann nie voraussehen, wer gewinnt, und dass es so
unberechenbar ist und ein unkalkulierbares Risiko, wie viel Slammer, wie viel Publikum
kommt.
(Markim Pause)
Und wir haben 2009 zum zweiten Mal die deutschsprachigen Meisterschaften in
Düsseldorf gemacht, da hab ich mich dann nachher noch mal mit Pamela
zusammengesetzt und da haben wir uns beide dumm angeguckt und gesagt: tja, haben wir
uns wohl geirrt.
(Pamela Granderath)
Es ist so spannend, dass es nicht langweilig zu werden scheint.
(Nora Gomringer)
Jeder Veranstalter hat eigentlich in Deutschland seine eigene Note, und das ist das
Faszinierende und Schöne daran. Wir haben vom System her ein Franchise, also Poetry
Slam als Konzeptform lebt an 85 Orten in Deutschland, denn jeder Veranstalter hat sich ja
Gedanken gemacht darüber, wie sein eigenes spezifisches Publikum vor Ort vielleicht so
drauf ist, und hat sich eigene Dinge ausgedacht – für die Jurybewertung, für die
Begrüßungszeremonie am Anfang, für die Preisverleihung und die Ehrung usw., und das
ist charmant. Pamela Granderath und Markim Pause, die waren da schon immer führend.
(Pamela Granderath)
Zwei Jahre im Voraus entscheiden, sag ich jetzt mal, die Köpfe aller bedeutenden SlamVeranstaltungen gemeinsam und diskutieren, wer denn in der Lage wäre und wo es denn
mal schön wäre, eine Meisterschaft abzuhalten. Und dann wird das zwei Jahre im Voraus
festgelegt, denn zwei Jahre braucht es schon zur Vorbereitung. Das ist ein ganz schöner
Apparat, der da dranhängt, man glaubt es kaum. Man denkt, man lädt ein paar Dichter ein,
aber dass es mittlerweile über 250 Teilnehmer sind in allen Sparten, ist doch ein
ordentliches Ding.
(Pfeifen, Beifall – Moderator Michel Abdollahi)
Auch die ganzen Idioten, die jetzt am Anfang nicht geklatscht haben: ich hoffe, wenigstens
für die Poeten wird nachher geklatscht.
O-TON 18
(zum Unterlegen der nächsten Sprecher: Musik)
13
A:
Vom 18. bis 22. Oktober 2011 lädt Hamburg ein zu den fünfzehnten deutschsprachigen
Poetry Slam Meisterschaften. Die Veranstaltung mit über dreihundert Teilnehmern ist die
weltweit größte seit der Ausrufung des Poetry Slam durch Mark Kelly Smith in Chicago,
1986.
B:
Fünf Tage lang stehen die einzeln und im Team auftretenden Slammer miteinander im
Wettstreit. Für die Singulär-Poeten gibt es zehn Vorrunden und vier Halbfinale im
Kulturhaus 73, im Molotow, in der Kulturfabrik und in Uebel&Gefährlich, dem alten Bunker
auf dem Gelände des Hamburger Dom.
A:
Zweites Halbfinale. Ort: Uebel&Gefährlich, im vierten Stock des Bunkers. Zeit: 21.30 Uhr.
Ein großer, schwarz ausgemalter Saal, wenig mehr Inventar als eine Bühne und eine Theke,
die Reihen, Gänge, Ecken, Treppen voll besetzt, kein dummes Publikum, keine dumme
Jury: ein erstaunlicher Abend.
Moderation: Jan Egge und Henning Chadde.
O-TON 19
(Ansage Egge&Chadde)
Ja, wir kommen zu Mieze Medusa aus Wien – und zwar vom, das musst ich mir
aufschreiben: Wos-host-gsogt?-Slam dort. Bitte ein Applaus für Mieze Medusa! Hier auf
der Bühne -
(Mieze Medusa)
Es schreit, es schreit, es schreit, es schreit – es lächelt. Es lacht, es krabbelt, es scheißt, es
schmeißt Mamas Lippenstift auf den Boden, es gurgelt, es schmeißt Papas Weinglas um,
es gurrt, es gackt, es greint, es gluckst. Es sagt: Mama. Das Kind fragt: Mama, was ist das?
Das ist die Sonne. Mama, was ist das? Das ist ein Hund. Mama, was ist das? Das ist ein
Auto. Mama, was ist das? Das ist ein Vater. Mama, was ist das? Das ist ein Pfui. Das Kind
fragt nicht: Mama, was was ist Mama? Das Kind weiß, denkt, was Mama ist.
A:
Eine solide Komödiantin.
O-TON 20
(Ansage Egge&Chadde)
Und die niedrigste und die höchste Wertungszahl wird wieder gestrichen, und wir schauen,
was rauskommt: Wir kommen insgesamt auf eine Punktzahl von 44,4 Zählern. Für Mieze
Medusa. Und einen Applaus bitte nochmal für die Poetin und ihren Text.
A:
Danach Bibercap, Erlangen, mit einer Pennälerszene.
14
O-TON 21
(Bibercap)
Der Andi und der Manu, richtig geil,
in der Südsee in dem Kanu, richtig geil,
chillen an der Brandung, richtig geil,
dann wie Robinson die Strandung, richtig geil,
korrekt, korrekt, gefällt mir, geht ab,
korrekt, korrekt, das geht ab, gefällt mir,
korrekt –
So schönen guten Morgen. Wenn ihr bitte mal Hefte und Bücher zumacht und wegtut und
etwas auseinanderrückt, ja genau so, okay, wo sind jetzt die Angaben –
In der Schule ohne Ahnung, richtig geil,
und dann ne Prüfung ohne Warnung, richtig geil,
und der Schmidi ohne Planung, richtig geil,
und jetzt ne Strafe ohne Mahnung, richtig geil –
Ja Andi, was sind das für schlaue Sprüch, kannst dir gleich mal einen Verweis abholen.
Ja wie geil ist das denn, hab ich dir nicht gesagt, Manu, der geht voll ab. Alter, es ist fünf
nach acht und mitten drin in der Scheiße, ich hab bis halb fünf in der Früh gezockt, Alter,
bin ich fertig. – Du Opfer, du Wichser, dei Mutter glaubt –
Andi und Manu, hört ihr jetzt endlich auf zu schwätzen?
Ich hab doch gar nichts gesagt, Herr Schmid, der Manu war’s. – Stimmt nicht, Petze,
Petze, Petze, fang an zu heulen, Schwuchtel.
Andi und Manu!
(Ansage Egge&Chadde)
Wir kommen zum nächsten Dichter, der tritt an für den Siegener Poetry Slam – es ist der
Schriftstehler, der kommt jetzt da aus der Ecke oder sollte kommen –
A:
Armin Sengbusch alias Schriftstehler, vierzig Jahre alt, begegnet am Straßenrand dem
Mann GOTT. Im Angesicht des Allwissenden dreht der Materialist durch, entsichert seine
Pistole und schießt. Der Mann vor ihm stürzt mit einem Loch im Kopf nieder.
O-TON 22
(Schriftstehler)
Es gab keinen Zweifel: Gott war endlich tot.
Und plötzlich fühlt ich mich schuldig,
so vielen Menschen Hoffnung geraubt zu haben,
nur weil ich davon überzeugt war, an etwas geglaubt zu haben,
was faktisch zu belegen ist – und es überirdisch nicht gibt.
Aber dann war alles wie immer.
Er stand plötzlich milde lächelnd im Zimmer
und sah mir tief in die Gedanken, eh er sich zum Gehen wandte.
Und seine Worte trafen mich härter
als Kugeln aus meinem Lauf, als er sagte:
Du kannst nur das Töten.
Was das für dich ist: Geld, Worte, dein eigener Plan –
ist letztlich egal.
Nur, dass du an irgendwas glaubst,
ist dir jetzt hoffentlich klar.
15
B:
Die Jury punktet: 44,7. Damit liegt Schriftstehler hinter Bibercap, vor Mieze Medusa.
A:
Klaus Urban, Hamburg, 67 Jahre alt, emeritierter Professor, Gewinner verschiedener
Slams, der graue Tiger der Szene, schildert eine Tour mit seiner Frau – der Frau, die er
liebt.
O-TON 23
(Klaus Urban)
Mein Text hat den schlichten Titel: Sie.
Ein Klingelzeichen ertönt, beim zweiten Mal wache ich richtig auf, recke mich ein bisschen,
schau auf die Uhr: zwei Uhr vierzehn. Ich richte mich auf und schlüpfe in meine
Schlappen. Ich mache kein Licht an, denn der Schein aus dem Nachbarzimmer beleuchtet
mir durch die offenen Zimmer meinen Weg. Im Nachbarschlafzimmer sagt eine leise
Stimme Hallo und Ich muss aufs Klo. Ich nicke und gehe um das Bett herum zur anderen
Seite, denn sie muss immer zu ihrer rechten Seite hin aufgerichtet werden, nach links
klappt das nicht mehr. Ich drücke den Knopf des Bedienungsgerätes und lasse Kopf- und
Fußteil des Bettes in die Waagrechte herunterfahren, schlage die Bettdecke zurück und
schiebe ihren Körper vorsichtig in eine Schräglage, so dass die Füße über die Bettkante
herausragen. Mit leicht gespreizten Beinen, ihre Füße dazwischen, stelle ich mich vor sie
hin und greife ihre Hände, die sie mir entgegenstreckt.
B:
Er beschreibt die Folge der Schritte und Handgriffe bis zur Toilette, die Erschöpfung der
Kranken. Das Gehen zurück zum Bett.
O-TON 24
(Klaus Urban)
Mit einem Schwung rückwärts bring ich sie in die Seitenlage. Indem ich unter Nacken und
Oberschenkel fasse, hebe und drehe ich sie in einer Schaukelbewegung in die Rückenlage,
so dass sie nicht zu nah am Rand liegt, schiebe ihr das Kissen unter den Nacken und decke
sie mit dem leichten Oberbett zu. Kopf- und Fußteil des Bettes lasse ich wieder etwas nach
oben fahren. Sie lächelt erschöpft, ich streiche ihr übers Gesicht, mache die Stehlampe
aus. Im Dunkeln tappe ich den Weg zu meinem Bett zurück. In zwei oder drei Stunden
wird sie wieder klingeln. Sie. Die Frau, die ich liebe.
(Beifall)
(Ansage Egge&Chadde)
Die Jury überlegt noch ein bisschen – wir zählen gemeinsam runter: fünf – vier – drei –
zwei – eins - eure Wertung.
Hoch bitteschön, jetzt! Uhh. Wir haben hier vorne eine 8,8 - gefolgt von einer 9,1 – eine 8,8
in der Mitte – eine 8,6 – eine 9,5 hier vorne – aber es kommt noch besser, wir haben eine
9,6 daneben – und eine 9,9 in der Ecke. (Beifall)
Wir haben für Klaus Urban fünfundvierzig Komma acht Punkte!!
- So vielfältig kann Poetry Slam sein, wir sind gespannt, wen wir jetzt auf der Starnummer
sieben haben. – Mit einem großen Applaus: Nektarios Vlachopoulos. (Zwischenmusik)
16
(Nektarios Vlachopoulos)
Vielen Dank. – Vor ich anfange, muss ich ein bisschen was zur
Entstehungsgeschichte dieses Textes erzählen. Und zwar ist das ein Text, der aus einer
Notsituation heraus entstanden ist.
Ich bin nämlich Mitglied einer Lesebühne in Heidelberg. Das bedeutet, dass man in
regelmäßigen Zeitabständen zuverlässig neues Material produzieren muss – da hab ich ein
bisschen hart dran zu kauen. Neulich, zwei Wochen vor dem Auftritt, bekomm ich einen
Anruf von meinem Kollegen: Nekatarios, hast du schon neue Sachen? Zu dem Zeitpunkt
hatte ich einen halben und einen viertel Text – zwei Wochen später hatte ich einen halben
und einen viertel Text – und da hab ich mir gedacht: hey! wenn du die zwei Texte
zusammen nimmst Früher war ich mehr so der passive Typ. Statt irgendwas zu tun ließ ich alles passieren. Ich
wurde geboren, ließ mich großziehen, wurde in die Schule geschickt, ließ mich bilden,
wurde immatrikuliert, ließ mich prüfen, wurde rausgeschmissen und ließ mich gehen.
Heute ist alles anders. Aus meinen Fehlern hab ich gelernt, dass alles, was geschieht,
nichts weiter als eine kausalverkettete Reflexion des eigenen Tuns ist. Das Tun steht am
Anfang jeder Handlung. Ohne Tun keine Tat. Täten wir nichts, würde keine Aktion
passieren, der Aktiv würde zum Passiv und jeder Akt verpasst. Statt mich also den
müßigen Verlockungen des Nichtsstuns zu unterwerfen, lenke ich nunmehr eigenhändig
meine untätigen Geschicke und tue selbst nichts. – Das iPad ist das Fenster zu einer
neuen Dimension! Dinge, die ich früher nicht getan habe, kann ich nun bequem mit dem
iPad nicht tun.
Neulich im Starbucks z.B., als ich bei einer Tasse Spicer Makadama mit
Holunderlebkuchenfrappuchino mit Bärlauchtopping meiner selbstgefälligen Dekadenz
frönte und mit der Spitze meines rechten Zeigefingers die edlen Kurven meiner kleinen
Lena entlangfuhr, ganz recht, ich nenne mein iPad Lena, da fragte sie, die ebenfalls Lena
hieß, die ich aber liebevoll Bibi nannte, was das Gerät denn so könne. – Alles! erwiderte ich
sogleich, es gibt für alles ein App.
Ich kann immer und überall meine Emails vernachlässigen, mich sozialen Netzwerken
anschließen, lustige Tiervideos bewerten, Pornos uploaden, Musik downloaden, und mit
Pfeil und Bogen auf dubiose Zielscheiben vorbeihuschender Pop-ups schießen,
Zahlungsaufforderungen ignorieren, Facebook aktualisieren, Flüge buchen, Google
suchen, skripten, bloggen, screenen, tekken, simsen, leggen, posten, twittern, skypen,
chatten, faxen, basen und ich kann nochmal soviel von meinen digitalen Welten haben,
wenn ich das Gerät zur Seite neige. Es gibt für alles ein App. Und ich kann immer und
überall den Anschein reger Beschäftigung erwecken. Ich kann mir sogar den ganzen Tag
lang den größten Stress aufhalsen, mich stundenlang vereinnahmen lassen, ja geradezu
arbeiten, ohne am Ende des Tages auch nur das Geringste getan zu haben.
B:
Durch die Berührung des roten Kreuzchens auf der linken Schläfe seiner Freundin Bibi
lässt er Bibi in Lenas Menuleiste verschwinden.
O-TON 25
(Nektarios Vlachopoulos)
Anschließend verfuhr ich ebenso mit dem Frappuchino, meinem Tisch, den Angestellten
und schließlich dem Café, woraufhin nur ein kahler Raum mit einer Pritsche nebst eines
kleinen Beistelltischchens übrigblieb. Erfreut von einer tiefen inneren Gelassenheit, bettete
ich die kleine Lena in mein Kissen, legte mich auf mein Tischchen und dachte mir: wie
schön, dass es für alles eine App gibt. – Vielen Dank
17
(Ansage Egge&Chadde)
Das dürfte ziemlich weit vorne liegen ...
Wir kommen zur letzten Starnummer des heutigen Abends – das heißt ihr müsst nochmal
alles geben – meine Damen und Herren! Er ist für die Landesmeisterschaften Berlin hier:
macht Applaus, rastet aus für Till Reiners! (Pfeifen, Johlen)
(Till Reiners)
Das gibt es ja: die Liebe. Das gibt es ja: Leidenschaft, Sehnsucht – das gibt es ja. Aber es
gibt auch Alltag. Und den gibt’s häufiger, sag ich mal. Man sagt gar nicht so häufig: „Ich
war zu feige, dir die Wahrheit zu sagen. Ich war zu feige, dich zu belügen. Also dosierte ich
meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad deiner Empörung.“ Sagt man selten. Weil der Satz
von Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht handelt, da redet man nicht so oft von. Leider
handeln nicht alle Sätze, die selten sind, von Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht – ich
brauch n Adapterkabel von Coaxial auf ne 3,5er Miniklinke. Das ist nämlich auch ein
seltener Satz. Das ist ja auch gar nicht schlimm. Was soll man denn machen, wenn man
grad dies Adapterkabel braucht, aber nicht Liebe, Leidenschaft oder Sehnsucht? Aber
warum sagt man häufig, ganz ohne Not: Paris. Da könnt man bei Gelegenheit ja auch mal
hinfahren. Oder: Ich gehe heute auf einen Poetry Slam. Vielleicht wird es trotzdem ein
schöner Abend. Karl Kraus hat mal gesagt: „Es reicht nicht, nur keine Gedanken zu haben.
Man muss auch noch unfähig sein, sie formulieren zu können.“ Es reicht aber nicht,
Gedankenloses zu formulieren, man muss sich auch noch darauf verlassen können, dass
der andere genau das Gleiche sagt: Komm, wir denken zu zweit nicht nach. – Warum fragt
man nicht direkt: Ist es okay, wie ich bin? Gefällt euch mein Text oder soll ich mehr
lebensnahe Beispiele anführen? Findest du meine Kleidung angemessen oder bin ich jetzt
zu modisch gekleidet? Wirkt das affektiert oder ist das underdressed? Sagt man
underdressed noch oder klingt das so aufgesetzt englisch? Oder ist gerade das cool? Hast
du eine ähnliche Perspektive auf das Leben wie ich? Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist
ein verlorener Tag – ist das nicht auch dein Credo? Findet eigentlich jeder gut, jetzt sag
doch mal. Und dann könnte der andere eben so direkt antworten.
B:
Ein leichter, federnder, wacher Slam. Kein Türenschlagen. Kein Selbstmitleid, kein fader
Zynismus.
O-TON 26
(Till Reiners)
Das vierbeinige Ding, lass es uns Tisch nennen, da können wir uns einigen drauf, mein
Freund. Aber jetzt sag frei heraus, wie du diesen Tisch findest. Ist er majestätisch, ist er
bieder, ist er kafkaesk? Ja, mein lieber Freund, sag es frei heraus. Kafkaesk wäre okay. Beleg
ihn mit einem Wort deiner Wahl. Wie fühlst du dich dem Tisch gegenüber? Auch wenn du
dafür nichts fühlst, ist das okay, aber bitte sag, wie du dich fühlst und bitte. Wir müssen
uns nicht auf ein Gefühl einigen. „Ich war zu feige, dir die Wahrheit zu sagen. Ich war zu
feige, dich zu belügen. Also dosierte ich meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad deiner
Empörung.“ Versuchen wir doch mal, nicht feige zu sein. Es muss ja nicht gerade Liebe
sein. Hallo, ich bin Till, manchmal fühl ich mich einsam, wollen wir küssen?
(Beifall)
(Nora Gomringer)
Man kann ja ein Liebling der Kritiker sein, aber einer, der beim Publikum durchfällt. Und es
ist relativ offensichtlich, dass jemand, der im Poetry Slam erfolgreich ist, beides ist: ein
18
Kritikerliebling und auch ein Publikumsliebling. Und da merkt man dann eben, da wird der
Kritiker auch zum begeisterungsfähigen Publikum.
(Ansage Egge&Chadde)
Meine Damen und Herren, wir kommen zur letzten Abstimmung der Jury. Eure Wertung
jetzt: nach oben. Oha. Wir haben eine 9,5 - eine 9,8 – eine 9,8 – eine 9,5 – eine 9,6 – eine
9,9 und tatsächlich die erste 10! – Wir kommen auf eine Punktezahl von insgesamt 48,6
Zählern für Till! – Moment Moment: SCHNITT!
(Michel Abdollahi)
Ich begrüße Sie anläßlich des Finales der fünfzehnten deutschsprachen Meisterschaften
im Poetry Slam heute in der O-Two-World im schönen Hamburg, ich begrüße auch die
Millionen und Abermillionen, die uns über arte heute live zugeschaltet sind – wir freuen
uns, dass Sie mit uns sind, Guten Abend und Bonsoir. So, wir haben ein enges Programm.
Wir haben ein sehr enges Programm. In den letzten Tagen haben wir die besten
Slammerinnen und Slammer Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bei uns gehabt,
acht davon haben sich heute für das Finale im Einzel qualifiziert, sechs weitere Teams für
das Team-Finale, das anschließend ebenfalls an gleicher Stelle stattfinden wird –
dazwischen eine kleine Pause.
A:
Im Finale der Hamburger Meisterschaften stehen sich die Satiriker Till Reiners und
Nektarios Vlachopoulos nochmals gegenüber.
O-TON 27
(Nektarios Vlachopoulos)
Ein Text für die Romantiker unter euch. Und zwar geht es in diesem Text um eine ganz
bestimmte Person, um eine Person, die mir sehr am Herzen liegt, die ich über alles auf
dieser Welt schätze und liebe, diese Person ist jetzt in diesem Augenblick hier: die Liebe
meines Lebens. – Schon als Kind haben sich meine Eltern Sorgen um meine sexuelle
Orientierung gemacht. Anders als andere Jungen meines Alters konnte ich Stunden vor
dem Schminkspiegel meines Vaters verbringen. Als Jugendlicher ging ich nie mit anderen
Jugendlichen aus. Das einzige Mädchen zu dem ich regelmäßigen Kontakt pflegte, war
Minka, die Katze des Nachbarn. Ich wusste schon immer, dass ich etwas anders als die
anderen war, nur nicht anders als die gewöhnlichen Anderen, zu gut deutsch die Einen, ich
unterschied mich vielmehr von den anderen Anderen, die sich selbst gern als die Anderen
bezeichnen, womit ich weder das eine noch das andere war, und an meiner Andersartigkeit
zu ersticken drohte. Eines Tages aber lieferte mir der Schminkspiegel meines Vaters die
Antwort. Nie hätte ich geglaubt, dass sich wahre Liebe in so greifbarer Nähe befand. Es fiel
mir zunächst nicht ganz leicht, mir meine Gefühle einzugestehen, ich meine es schon
etwas unnatürlich, wenn man sich als Kerl zu einem Kerl hingezogen fühlt, aber als mir
nach und nach klar wurde, den Mann fürs Leben gefunden zu haben, musste ich es einfach
in die Welt rufen: Ich liebe mich. Am Anfang reagierte ich auf dieses plötzliche Outing
natürlich etwas konfus, aber warum sollte ich nicht mit mir glücklich werden können? Ich
teilte immerhin dieselben Interessen, denselben Geschmack, denselben Humor, ich war
doch wie für mich geschaffen. Langsam freundete ich mich mit dem Gedanken an eine
feste Bindung an. – Ich gab mir eine Chance und fing an, mit mir auszugehen, erst ging ich
ins Kino, dann überraschte ich mich mit einem romantischen Brunch, ich ging sogar mit
mir ins Ballett, obwohl ich das eigentlich hasse. Aber das war es wert. Es funkte einfach
zwischen mir. Mein Herz schlug nur für mich. Ich war das Erste, woran ich nach dem
Aufstehen dachte und das Letzte, bevor ich einschlief. Der Sex war einfach phantastisch. Es
19
war, als könnte ich meine Gedanken lesen! Immer und überall hatte ich Sex, im
Schlafzimmer, in der Küche, im Bad, meistens auch vorm PC. Ich wagte den Sprung ins
kalte Wasser: und stellte mich meinen Eltern vor. (Lachen und Geraun im Publikum)
B:
Die Ein-Ehe führt ins Chaos.
O-TON 28
(Nektarios Vlachopoulos)
Ich ließ mich scheiden und verlor das Haus, das Auto und die Kinder an mich. Ja, aus
irgendeinem Grund hatte ich Kinder. Inzwischen habe ich die Trennung allerdings
bewältigt, ich habe neue Kraft geschöpft, neue Arbeit gefunden und bin sogar eine neue
feste Bindung eingegangen: mit meiner Nachbarskatze. – Vielen Dank.
(Michel Abdollahi)
Bitte spuck es aus. – Komm, komm, komm, jetzt, der Sieger ist – (Johlen) mit Ihrem
Applaus: Nektarios Vlachopoulos! – Kommt beide mit nach vorne, kommt beide mit nach
vorne! (Beifall)
A:
Teamsieger wird TTZ - das „Team Totale Zerstörung“ - mit Julius Fischer und André
Hermann.
O-TON 29
(Team Totale Zerstörung)
Alle Farben dieser Welt, vermischt mit unsrer Spucke,
wir machen nicht nur Druck, wir machen auch Drucke.
Wir sind KunstRapper, bitches, und die kennt man doch,
unsre Ryans gehen tiefer als das Sommerloch,
und wenn du denkst du könntest uns mit deinem Fachwissen bedrängen,
wir können dich gern als action-painting an ner Staffelei aufhängen:
Deine Fresse sieht dann aus wie ’n abstraktes Gemälde,
total blutig, ohne Form und ohne Backenzähne,
eine Leinwand voller scratches und itches,
signiert von TTZ.
Wir sind KunstRapper
Kunst Kunst Kunst
Kunst Kunst.
Ihr merkt, irgendwie dreht sich alles soch im Kreis
und irgendwie ist auch immer was andres der heißeste Scheiß,
in der Kunst wie auch in jedem anderen Gebiet
drückt halt alle paar Jahre jemand anders auf repeat
anders auf repeat
anders auf repeat
anders auf repeat
ananananaana dödödödödödö
Kunst Kunst Kunst
KunstRapper, bitches, sind wir.
(Beifall, Tumult – Überhang MUSIK)
20
(SPRECHER)
Zauberspruch für Verwundete
Poetry Slam in Deutschland
Feature von Kurt Kreiler
Sprecher: Marcus Michalski, Schirin Brendel und Katja Schmidt-Oehm
Ton und Technik: Rolf Knapp und Anke Schlipf
Regie: Günter Maurer
Redaktion: Gerwig Epkes
ENDE