Sonntag, 29. November 2015 (20:05-21:00 Uhr) KW 48 Deutschlandfunk / Abt. Hörspiel/ Hintergrund Kultur FREISTIL Zauberspruch für Verwundete Poetry Slam in Deutschland Von Kurt Kreiler Regie: Günter Maurer Redaktion im DLF: Klaus Pilger Produktion: SWR 2013 Manuskript Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - ggf. unkorrigiertes Exemplar - 2 O-TON 1 (Musik, Applaus) (Team Totale Zerstörung) Hey, Peoples – wir sind das Team Totale Zerstörung, kurz TTZ, einer Hack und einer Mett, und wir haben einen Text mitgebracht, er heißt: eja-cool-aht, äh art – also Kunst, wir lieben Kunst. Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Rapper RapperRapper RapperRapper etc Viele Rapper rappen nur von Hass bitches und Krieg kaum einer mag die Kunst und Klass-ische Musik dass übertriebne Gewaltdarstellung drastisch überwiegt liegt daran, dass n großer Fuffi an den Glashaltern zieht. Obwohl so mancher Maler inhalierte manche Droge ist Kunst unter Rappern nicht so krass en Woge Wer sollte da auch meckern: ist doch ein Cabriolet weiter vorne als Claude Monet. Voll homo eh – Thema Gay, beim Rappen gayts oft um die Länge des Schwanzes und das Tanzen der Ladies, das Thema Kunst ist ein verkanntes. Eloquenz in Sachen Renaissance gilt nicht als elegant weshalb ne halbe Stelle als Kunstrapper vakant. Wir sind Kunstrapper, bitches, und die kennt man doch wir schneiden tief ins Ohr wie Vincent van Gogh. Viele halten ein Museum für ein Rentnerloch doch die Kunst ist eine Kerze und noch brennt der Docht. (SPRECHER) Zauberspruch für Verwundete Poetry Slam in Deutschland Feature von Kurt Kreiler O-TON 2 (Slam-Ansage Egge&Chadde, Hamburg) Wir machen das sehr straff und taff heute - Meine Damen und Herren: Hand hoch, wer noch nie bei einem Poetry Slam war? Wow, dann können wir uns das schon mal sparen. – Hand hoch, die das erste Mal bei diesen Poetry Meisterschaften sind. – Wow. Henning, erklärst du mal ganz ganz kurz? – Ja, Poetry Slam, meine Damen und Herren, wir erklären das ganz schnell: nichts anderes als die moderne Form einer handelsüblichen Dichterschlacht, es werden Poeten mit eigenverfassten Texten auftreten, sie haben fünf Minuten Zeit und 15 Sekunden maximal Nachlesezeit, dann erschallt der Gong oder der Einspieler, dann müssen sie runter – und die Jury wird dann zur Tat schreiten, die gut informierte Jury wird dann die Wertungskarten 3 1 bis 10 hochhalten und wir werden Endergebnisse sammeln und danach feiern – bis nach Meppen und so weiter und sofort. (Nico Semsrott) Neurologen haben kürzlich herausgefunden, dass das menschliche Gehirn den ersten Satz eines Vortrags gar nicht verarbeiten kann, ihr Penner. Hallo, ich bin Nico, 23 Jahre alt, und ich komme aus Versehen. Ich werd häufiger gefragt, warum ich immer nur über Depressionen rede. Ganz einfach, weil man sich an dem Thema so gut aufhängen kann. Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt. Für euch hat die Leistungsgesellschaft gerade zwei Stunden Pause, während auf der Bühne der künstlerische Überlebenskampf tobt. Und ihr findet das auch noch toll, Sadisten. Wer heute nicht gewinnt, geht als gebrochener Mensch nachhause. Ich glaube, Menschen sind so, wir brauchen den Wettbewerb – und wir brauchen mehr Vergleichbarkeit. Vergleichbarkeit ist wichtig, warum, weiß ich jetzt auch nicht, aber wir brauchen Vergleichbarkeit. Wenn wir Vergleichbarkeit nicht bräuchten, dann würde das europaweite Bachelor-System ja gar keinen Sinn machen. Aber man muss vergleichen, dass alle erfahren, dass sie Scheiße sind. Nur einer wird der Beste sein, bis er beim nächsten Mal wieder Scheiße ist. Sich Scheiße fühlen: Wirtschaftswissenschaftler nennen das Wettbewerb. (Nora Gomringer) Ich werde etwas mit der Sprache machen. Ich mache jetzt etwas mit der Sprache. Ich werde jetzt etwas ganz Bestimmtes, Besonderes mit der Sprache machen, da werden Sie staunen. Ich werde was ganz Erstaunliches machen mit der Sprache. Sie werden Ihren Partner an der Hand fassen wollen, so ganz und gar erstaunlich wird das sein. Auch wenn Sie nicht staunen wollen, weil aufgeklärt und abgeklärt und alles, so wird es doch ganz erstaunlich und unvorhersehbar sein. () Das wird ganz unerhört sein, was ich jetzt mache mit der Sprache: dieses Etwas. Erstaunlich wird es Ihnen vorkommen, für Ihre Sinne fast unverständlich, meine Sprache, Ihre Sprache, ihr Effekt, was sie auslösen wird. Ich werde etwas machen mit Ihrer Sprache, Ihrer durch und durch bekannten Sprache, ihr etwas abringen, da werden Sie staunen darüber, wie ich ringe damit. A: Poeten und Poetinnen in poesiearmer Zeit. Keine Romantiker und Verklärer, sondern erklärte Zweifler und Desillusionisten, zungengewandte Satiriker und polternde Neckgeister, Rapper und Reimer, Geschichtenerzähler, Pathetiker und Komödianten: junge Leute, die auf die Bühne drängen und ihr Publikum mit Witz und Aberwitz, guten und schlechten Texten verführen und zum Lachen oder um den Verstand bringen. O-TON 3 (Ansage Egge&Chadde) Das Publikum darf natürlich mitwerten, indem es ganz viel Lärm macht, wenn der Text besonders gut ist und nicht so viel Lärm macht, wenn der Text nicht so richtig gut ist. (Nora Gomringer) Schauen Sie doch, wie ich das mache, machen könnte, was ich machen könnte, wenn Sie mich doch verdammt nochmal ließen. B: Nora Gomringer, Parodistin ihrer selbst - geballte Energie, große Zartheit. 4 O-TON 4 (Nora Gomringer) Wenn Sie mich nur ließen. Warum lassen Sie mich denn nicht? So wird das natürlich nichts, nichts Außergewöhnliches, Erstaunliches mit der Sprache, so wird das gar nichts. Sehr bedauerlich, so ganz ohne Zauberei wird das nichts mit der Sprache. Wenn Sie nicht dabeibleiben an der unerhörten Sprache, der ganz außergewöhnlichen, die durch meine Arbeit an ihr so veränderten, bekannten, altbekannten Sprache, so wird das natürlich etwas ganz Anderes, ganz vom Anfangsgedanken abgekehrtes, so wird das nämlich nichts. (Nico Semsrott) Wir müssen mehr vergleichen, dass alle erfahren, dass sie Scheiße sind. Einer gewinnt, bis er das nächstemal wieder versagt. Das ist der Sinn von Wettbewerb: sich schlecht fühlen. Mehr Druck, mehr Angst vorm nächsten Tag, mehr Alpträume: an diesen Zielen sollten wir alle festhalten. Für eine menschenunwürdige Scheißgesellschaft. B: Nico Semsrott in schwarzem Kapuzenoverall, schmales Gesicht, Brille. Der Buster Keaton der Slam-Bühne. O-TON 5 (Nico Semsrott) Wir müssen den Wettbewerb jedenfalls zuende denken. Ich fordere ultimative Lebensabschlussnoten. Dann steht auf dem Grabstein auch alles, was man über einen Menschen wissen muss. Karl: 5 minus. Ja reicht doch. (Nora Gomrinmger) Poetry Slam ist ein Format, das in Mitte der 80er-Jahre festgesetzt wurde – das sicher auch relativ spontan, aber es hat sich eben auch als Begriff festgelegt –, und wir folgen diesem schönen halbliterarischen Plan, Laiendichter nacheinander auftreten zu lassen und im Wettbewerb miteinander zu stehen und dabei einem gewissen Reglement zu unterliegen. Es gibt ja schöne Pläne für die Eindeutschung – Sprachkrach und Dichterwettstreit und so –, aber es ist alles Behelf. Das Ganze heißt Poetry Slam. A: Juli 2006: erste Zufallsbegegnung mit Slam - in Frankreich, Saint-Denis, dem ältesten Vorort von Paris. Star des Abends ist Grand Corps Malade, einer der fulminantesten jungen Dichter Frankreichs. B: Mit einer Krücke auf der Bühne stehend, erinnert er an den jungen Jaques Brel. Aber er singt nicht. O-TON 6 (Grand Corps Malade, Saint-Denis) J’voudrais faire un slam pour une grande dame que j’connais depuis tout petit J’voudrais faire un slam pour celle qui voit ma vieille canne du lundi au samedi J’voudrais faire un slam pour une vieille femme dans laquelle j’ai grandi J’voudrais faire un slam pour cette banlieue nord de Paname qu’on appelle Saint-Denis. (SPRECHER, im Rhythmus!) 5 Ich fabrizier einen slam für ne große Madam, die ich ich kenn von klein an Ich fabrizier einen slam für sie, die mich humpeln sehn kann von früh an Ich fabrizier einen slam für die alte Madam, die mich nahm auf die Knie Ich fabrizier einen slam für die Stadt-vor-Panam, genannt Saint Denis. Nimm die Linie D der RER und irr im Straßengewirr einer Stadt mit Flair Nimm die Linie 13 der Métro und kehr ein bei MacDo oder im Bistro einer Stadt voll Gogo O-TON 6 ... ou dans les bistrots d’une ville pleine de bonnes gos et de gros clandos (Francoise Douzenel) Et puis il y a Grand Corps Malade. Il fait du Slam. B: Francoise Douzenel, Saint Denis, fünfundsiebzig Jahre alt. O-TON 7 (VoiceOver : Francoise Douzenel) Und da ist Grand Corps Malade. Er macht Slam. Er hat eine wunderbare Stimme. Ein junger Mann, der einen Unfall hatte im Schwimmbad. Wäre um ein Haar querschnittgelähmt gewesen. Er macht Slam, und die Leute des Viertels beteiligen sich daran. Slam, das ist gehämmerte Poesie, nicht gesungen, sondern rezitiert. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das höre. Et moi, j’ai le poil qui se dresse sur le bras quand je l’entends. (Grand Corps Malade, Saint-Denis) Et à 2 pas de New-Deli et de Karashi (t’as vu j’ai révisé ma géographie), j’t’emmènerai... (SPRECHER, im Rhythmus!) Zwei Schritte von Neu-Dehlí und von Karatschí (du siehst, ich bin ein Crack in Geographie), bekommst du Maffé und Kaffee in Bamako und Yamoussoukro Oder dir ist lieber, wir gehn hinüber und essen Crèpe, wo es riecht wie in Quimper, mit einem Hauch Finistère, durchqueren Tizi-Ouzou und landen auf den Antillen, dort bei den Schwarten, die zischen „Pschit! du nich darf mit mein Tochter spillen“. O-TON 7 ... Pschit, toi aussi kaou ka fé là ma fille ! A: Ein paar Monate nach diesem Auftritt in Saint-Denis startete Grand Corps Malade sein Album Midi 20 (Zwanzig nach zwölf), das sich innerhalb von drei Wochen 100.000 Mal verkaufte. O-TON 8 (Florian Cieslik) Was ich von Frankreich gehört habe, was vielleicht auch hier sein kann, dass sehr erfolgreiche Leute, die auch sehr sehr viel CDs verkaufen, auch bei nem Label sind, dass das den Off-Charakter und Untergrundcharakter sehr spaltet, und dass es dann doch so 6 ein bisschen die the-winner-takes-it-all- Mentalität bekommt – und da haben wir so bei so European Veranstaltungen mitbekommen, dass sie sich teilweise spinnefeind sind. Ich denke, das kommt durch solche sehr sehr erfolgreichen Leute, die eventuell auch zu Recht erfolgreich sind, natürlich. (Nora Gomrinmger) Da merkt man dann, dass der Poetry Slam als Format natürlich gut funktioniert, solange sich ein gewisser Gleichheitslevel hält. Er kippt dann ein bisschen, wenn es darum geht, dass eben einer aus der Masse rausgenommen wird und auf ein Extrapodest gestellt wird. Und dann ist eigentlich die Verhandlung dieser Person der normalen Verhandlung eines Autors sehr ähnlich. Weil man kann ein Held sein für fünf Minuten, und das kann man wirklich gut sein – es hat ja jeder mal im Leben seine fünf Minuten of Glory, aber ob es dann eben für die Literatur reicht, das zeichnet sich auf anderen Bühnen ab. (Florian Cieslik) Die Diskussion Kunst hin und her, eh schwierig. Ich glaube, dass Poetry Slam die Bühne für Kunst bietet. A: Unterwegs mit Florian Cieslik in Hamburg während des Hamburger „National“. Florian Cieslik organisiert den Kölner Poetry Slam „Reim in Flammen“, ist Organisator der NRW Slam-Meisterschaften und Gastgeber auf dem Köln Comedy Festival. O-TON 9 (Florian Cieslik) Und es liegt an jedem selbst, wie das eben sonst auch so ist, wie du’s füllst, was auch für Mittel du hast, es zu füllen, aber: du darfst dich an der Kunst probieren. Und wann es Kunst ist, geht im Zuschauer auf, sozusagen, und das ist eigentlich die Sache: es bietet eine enorme Chance für Kunst, so möcht ich’s mal nennen. Es ist nicht per se Kunst, wenn du auf die Bühne gehst, das wär ja Wahnsinn. (Musik - Florian Cieslik auf der Bühne) Ich saß in einem Dortmunder Döner-Laden und ein junger Herr ohne Migrationshintergrund, das ist wichtig, mit seiner Freundin im Schlepptau, in Ballonseide gekleidet, kam in diesen Döner-Laden und bestellte folgendes: Ne Schnepopi und für Lutsche ne Frico. Das ist nicht Comedy, das ist sprachlich sehr interessant: Frico heißt Fritten-Cola - Lutsche: seine Lebensabschnittsgefährtin - das müßt ihr euch mal vorstellen: Lutsche – und Schnepopi heißt: Schnitzel, Pommes, Pils. Also Essen-Getränk zusammen huiit - Bestellung. Denn was kam am Morgen danach? www. die without-word-world. Für das, was zwischen euch übrigbleibt, reicht dieses Zeichensystem aus icons, Piktogrammen, Wortfetzen und Lauten. Schne-po-pi. A: Eher selten, dass ein Slammer – wörtlich: Türenzuschlager oder Gewinner aller Stiche – von eignen Gefühlen spricht. In dieser Hinsicht riskieren die Frauen mehr, nicht selten zu ihrem Nachteil. Manchmal aber geschieht ein Wunder. 7 O-TON 10 (Pauline Füg) Zauberspruch für Verwundete. Eins. Wir fahren nach Norden. Wir fahren von dort fort, wo die Seehunde am Strand liegen. Ich sehe dich an, du bist ein bisschen weit entfernt. Wir fahren, ich will nicht mehr anhalten, wir fahren davon und dahin. In deinen Augen ist etwas zu viel Beton. Deine Schultern sind etwas zu schmal. Ich sehe dich immer etwas zulange an. Deswegen sage ich einen Zauberspruch für Verwundete. Das ist ein Zauberspruch für Verwundete. Das ist eine Wunde für Verzauberte. Denn Weltfallsucht hat mir die Knie aufgeschlagen. Und Fenster ist auch nur ein Blick in die Welt. Und Welt hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Tag ist auch nur das Gegenteil von Nacht und Nacht ist eine Frage der Zeit. B: Pauline Füg, Eichstätt. Groß, schlank. O-TON 11 (Pauline Füg) Ich sag, wir atmen allein und hören alleine damit auf. Drei. Uns ruft niemand an. Nicht auf dieser Fahrt, nicht auf diesem road trip. Manchmal sag ich zu dir: halt, halt an. Hier riecht es so, wie es sein muss, nach gehaltenen Händen und Versprechen. Ja, ich weiß, der Bremsweg wäre zu lang. Das ist ein Zauberspruch für Verwundete. Denn meine Knie sind aufgeschlagen, es ist kalt geworden gerade und wird so schnell nicht mehr warm. Die Felder sind leer und weit, und es ist auch nur irgendeine Jahreszeit - ohne Erdbeeren. Wolken sind auch nur ein Filter für Sonne und die Menschen sagen Schrift ist ein begrenzter Zeichenvorrat, und was wichtig ist, ist nicht da. Ich will, dass ihr meine Wörter seid, aber ihr seid auch nur Sprache ins Nichts. Vier - Ich bleib am Straßenrand stehn und warte, bis du mich verloren hast. Denn jeder Morgen ist auch nur ein Warten auf später. Und Leben ist eine Frage der Geburt. (Florian Cieslik) Kunst wird da auch neu entdeckt. Die öffnet sich erst im Zuhören - wo wirklich nachher klar ist: wow, das war hier wie in Stein gemeißelt, das war der Wahnsinn, da muss man auch nicht lange drüber nachdenken. (Beifall, Klacken ins Mikrophon) B (unter den Geräuschen): Zur versammelten Kunst aber gehört auch der Aufmarsch der Witzbolde, Gallefabrikanten und Comedians. Dabei könnten die neuen Neopathetiker und alten Ekelpakete, die Barden der Defloration, die Holzhacker, Schlepper und Schleimer des-Reims-und-der-Prosa ein gutes Thema abgeben für einen guten Slam. O-TON 12 (1) Das verstehen die Frauen nicht. Für Frauen gibt es nur einen Unterschied zwischen Schokolade und Sex. Schokolade hinterlässt braune Flecken auf dem Bettlaken. (2) Wenn man soviel Zeit hat, wie ich sie habe, dann ist es nie die Langeweile, sondern die Zeit selbst, die einen quält. Ich wache morgens auf, stelle meinen Wecker nie, guck aber als erstes darauf, um zu sehn, wie viele Stunden ich noch vor mir hab, um wieder zu Bett gehen zu können. Der Mensch ritualisiert sich, egal, wie viel oder wie wenig 8 Zeit er hat. Selbst der Kaffe, die Zigarette, der Toast, Duschen, Zeitunglesen oder Ficken. (3) Ich brauch Stillstand. Nur ein Jahr müsste die Zeit stillstehn und ich könnte das erledigen, was ich brauche. Wie verrückt ist es, die Zeit zu fragen, ob sie für dich anhält? Wie verrückt ist es, das größte Mysterium unserer Welt zu fragen, ob es sich selbst die Bedeutung nimmt? Wie verrückt ist es, eine Zeitspane zu nennen, in der Zeit still stehen soll? Die Zeit bleibt nicht stehen. Sie wartet nicht auf dich. Immer muss man Schritt halten oder sie besser noch überholen, aber sich ja nicht zurückfallen lassen, wenn wer zurückfällt, fällt aus. (4) Du sagst, wir werden anders sein, uns irgendwie auch Unsterblichkeit verleihn durch unsre Einigkeit vielleicht. Und ja, wer weiß, vielleicht sind wir ja schon dazu bereit, alles aufzugeben für ein völlig andres Leben. Und ich läute ein neues Zeitalter ein, denn mein holpriges Zweifeln vergeht ohnehin ungehört. Und wir würfeln stattdessen um unser Glück, betört durch diese Leichtigkeit, die mich ein Stück von meiner Last befreit, und wie weit ist’s noch, bis uns ein Ziel vor Augen steht. (5) Oder ich würde inhaltlich sehr leicht, sehr seicht, das Ziel, das hätt ich längst erreicht, es ging fortan nur um Krafterhaltung, Machtverwaltung nicht, aber um Meinungsspaltung, ich würde keine Reime schütteln nach Schema des nichtexistenten Scheins vom Schüttelreim und dabei innerlich pleite gehn so wie Opel in Rüsselsheim ... (6) Aber jetzt mal ehrlich: wer wird sich schon beschweren? Die Welt geht ihren gewohnten Gang an einem Tag wie heute, nur ich habe irgendwie einen Schaden. Auf dem Weg in die Stadt nehme ich mindestens vier Autos, zwei Fußgängern und einem Dackel die Vorfahrt. Keine Ahnung, wie mein Fahrrad und ich diesen Höllenritt überlebe. (7)... (8) Ich mag keine Schokolade. Mir wird schon beim Schlucken schlecht. Lieber geh ich an die Tankstelle und schnüffle am Benzinhahn. Macht richtig Lärm für Frau ... Beifall, Klatschen. B: Nora Gomringer, Slammerin seit zehn Jahren, Gewinnerin des Jacob-Grimm-Preises, Direktorin der Villa Concordia Bamberg, sieht keinen Grund zur Aufregung. O-TON 13 (Nora Gomringer) Ich muss dazu sagen: Wer sich fünf Minuten auf der Bühne nur aufhalten darf, den kann man mitunter ja auch ertragen. Das war auch die Idee von Marc Smith, dass er gesagt hat: Fünf Minuten schlechte Dichtung, das kann man gerade noch ertragen. A: Der Suhrkamp-Dichter Rainald Goetz, der vor Jahren in Klagenfurt mit der Rasierklinge publikumswirksam hervorgetreten ist, hat sich erlaubt, seiner Abscheu Ausdruck zu geben. Er schreibt: „Bei den Poetry Slams, da kommt zur Idiotie des Prätentiösen die Illusion, 9 dass ein Bier in der Hand genügen würde, um alle grundsätzlichen Fragen zwischen Schrift und Rede mit einem Schluck aus der Welt zu schaffen. Und obendrein sind 90 Prozent der da vorgelesenen Texte bodenlos bieder.“ O-TON 14 (Nora Gomringer) Das ist interessant. Ja, bieder – vielen jungen Menschen, die sich zum ersten Mal auf die Bühne stellen, fällt ja gar nicht auf, wie bieder und konservativ sie sind, aber ich finde das unglaublich menschlich. Es ist eine sehr menschliche Bühne, es menschelt da überall. Und dann finde ich eben aber auch klar erkennbar, wenn jemand nicht menschelt und Humor hat und vor allem ein bisschen Selbstironie, dann fällt man auf, und das sind die, die auch immer weiterkommen. Es ist ein ganz einfaches natürliches selektives Prinzip. Wer auffällt dadurch, dass er nicht wegen bestimmten Dingen geliebt werden will, sondern gerade wegen des Gegenteils, der kommt dann auch immer weiter. (Julian Heun) Und all die inhaltsleeren Phrasen, der Münder in den heutgen Tagen: wollen reden, doch nichts sagen, wollen reden reden reden und nichts sagen. Und blasen blasen große Phrasen blasen Seifenblasen-Phrasen über alle Maßen - groß. Manchmal, da muss man auf den Putz hauen, nicht nur so, töda töda, man hat doch auch ne Stimme, is doch nich nur – reden und nichts sagen – ich sage mal, wenn man det Ganze betrachtet, wird es, nich wie irgendwer sagt: mach dieses mach jenes, mach sonstwat, dann wird det ne richtig harte Chose – dann ist das reden und nichts sagen – Where you’re from? O Berlin. I love it. - Where you’re from? O Berlin. I love it. - Where you’re from? O Berlin. I love it. – Reden und nichts sagen. – Und immer wieder diese Köche, nichts als Köche! – reden und nichts sagen - Hör mal, dat Leben, dat is keine Schlemmerei. A: Julian Heun, Berlin, Student der vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik. Slammer in den Zeiten des Bachelor-Diktats. O-TON 15 (Julian Heun) Also das einzige, was ich bei Poetry Slam an Rebellion sehe, das ist ne Rebellion gegen die tradierten Form der Lesungen in Deutschland, die eben teilweise auf Performance oder teilweise auf Aussprache gar nicht viel setzen und die von der Atmosphäre sehr kraftlos und undynamisch ausfallen können dafür, wieviel Kraft Sprache eigentlich hat und wieviel da drinsteckt und dass Sprache eigentlich wirklich begeistern kann. (Nora Gomringer) Also ich weiß, dass ich auf dieser Bühne da im „substanz“ 2001 als 21-jährige Person stand und gedacht hab, das kann doch nicht sein. Hier stehen jetzt wirklich fünfhundert eng zusammengepackte Menschen, im Winter, schwitzend in so ‛nem Club und hören jetzt da zwölf Leuten zu, die nacheinander auftreten, und die Hälfte von denen fand ich nicht gut, die andere Hälfte, das waren die Stars der Szene, was mir damals ja gar nicht bewusst war, 10 weil ich die noch nicht kannte. Und da habe ich noch oft im Nachhinein geschmunzelt, was ich da für einen ersten Abend hatte, meine erste Erfahrung. (ZAKK, >Trommel-Musik<, Pause&Granderath) [davon so viel verwenden, wie nötig] (Andy Strauß) Ich glaube, ich komme halt überhaupt nicht aus der Hochkultur, so menschlich. Meine Eltern sind halt ganz normale, ich sag mal Arbeiter. [O-Ton 15a fehlt! entbehrlich] (Markim Pause) Der Andy Strauß ist auf der Bühne sehr - also der überrascht das Publikum und sich selber, glaube ich, auch immer wieder auf der Bühne. Der hat zwar Texte, die er mitbringt, die er liest, aber man weiß nie so ganz genau, was passiert. O-TON 16 [mit O-TON 15 verbinden] (Andy Strauß) Ich bin relativ empathisch, möchte ich mal so sagen, und nehme aber auch viel mit von dem Publikum. Es ist nicht einfach so, die gucken mich an, sondern ich merke, dass die mich gerade angucken, und ich merke, wenn die sich freuen. Also ich hör das nicht nur, man hört so, okay, sie lachen, sondern ich mach manchmal auch ernste Dinge und dann merke ich auch, dass sie da konzentriert sind und dem folgen und so. (Ansage Markim Pause und Pamela Granderath; Andy Srauß) Jetzt kommt ein Mann auf die Bühne, der seit zwei Tagen ein rotes Auto besitzt, aber er sitzt auch draußen – Er sitzt eigentlich immer in seinem Auto und wenn das mit der Schalte klappt, dann ist es das erste Mal, dass nicht der Slammer auf die Bühne kommt, sondern wir rausschalten; wir wollen jetzt keine Werbung machen, aber ich glaube, die Menschen, die dieses Auto herstellen, die machen auch Waffen - Das muss man so sagen, wahrscheinlich ist das Auto auch ne Waffe, könnt ich mir vorstellen – Gib dem Mann ein Mikrofon und er ist auch eine Waffe – Das stimmt – Rufen wir ihn auf die Bühne, macht einen Riesenapplaus, hier kommt für euch: Andi Strauß! – Sechs Minuten für dich, lieber Andi. B: Große dunkle Augen, langes ins Gesicht fallendes Haar, die Bewegungen schlacksig federnd. Kapuzenkluft. O-TON 17 (Andy Strauß) Ich muss das mit dem Auto rechtfertigen, also das ist tatsächlich ein Mercedes, er ist aber schon volljährig, also schon unglaublich alt. Ich hab ihn auch nur, weil ich grad meinen Führerschein wiederbekommen hab und da dacht ich: yeah, ich brauch ein Auto, und da hat mein Onkel gesagt, ich hab ein Auto – so, gib mir das Auto! Er: ja, ich geb dir das Auto, gib mir Geld! Ich sag: wie Geld? Familie, Alter! Familie, Alter! Ja, dann hat er gesagt: Heirate meine Tochter, dann kriegst du den Wagen als Mitgift. Und dann war ich heute – zwischen Mettmann und hier gibts nen Ort, Neandertal, da hab ich sie verscharrt – so hab ich ein Auto und keine Ehefrau mehr, hab den Ring auch direkt, egal. (liest) Als meine Freundin Frieda in meiner Anwesenheit einen etwa 80 Meter tiefen Abhang hinunterstürzte, konnte ich nichts anderes machen als die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, entsetzt zu gucken und zu rufen jooooaaaaaaaaaa-ptt. Nachdem sie am Boden zerschellt war, setzte ich mich in den Schneidersitz und dachte darüber 11 nach, warum ich sie eigentlich geschubst hatte. Ich bin ja nicht so der Mörder eigentlich, sondern ein ganz netter Zeitgenosse, spiele gerne Schach, fahre einen Mittelklassewagen mit Umweltplakette und zahle monatlich meine Rechnungen - und plötzlich schubst einer wie ich seine Freundin einen steilen Abhang hinunter, das passt genau so wenig wie eine junge Frau in den Swingerclub – und trotzdem hab ich es getan, denn es gab gute Gründe dafür: dass es eigentlich Frieda war, die mich umbringen wollte, obwohl sie so einen friedlichen Namen hatte. Ihr Motiv bestand aus den typischen drei Faktoren, die ich hier der Reihe nach nennen möchte. Erstens war sie ziemlich verliebt in meine weiß-roten Nike Sneakers von 1993, die noch top in Ordnung und auf dem Markt nicht mehr erhältlich waren. Es machte sie unglaublich sauer, dass ich sie ihr nicht mal ausleihen wollte. Habgier. Zweitens erfüllte es sie mit Zorn, dass ich diese Schuhe stets etwas lieber hatte als sie und häufiger mit ihnen schlief als mit ihr. Eifersucht. Drittens vermute ich, dass sie davon ausging, das feine Leder meines Torsos und meiner Gliedmaßen nach meinem Tod als schicken Mantel vernähen zu können. Blödheit! – Ihre gegen mich gerichteten Mordversuche waren immer gut kaschiert und perfide ausgeführt. Einmal zum Beispiel, beim Angeln. Wir saßen gemeinsam im Boot und Frieda wollte gerade einen Regenwurm an die Angel pappen, griff aber nach meinem Handyladekabel, spießte es auf und warf die Angel aus, natürlich war das Ladegerät danach hinüber und Teil eins ihres Planes war im Kasten. Zum Ausgleich bestellte sie mir dann bei Ebay ein neues Ladegerät, dieses Ladegerät aber war kein Original, sondern ein billiger Asia-Import, der direkt bei der ersten Benutzung hart explodierte!! Weitere Indizien für Mordversuche sind a) dass sie im Bett immer an der Seite schlafen wollte, an der die Wand ist, obwohl jeder weiß, dass wenn Buhmänner im Haus sind, diese immer die Person essen, die auf der Außenseite des Bettes schläft - b) dass sie mir zu meinem Geburtstag einen Nusskuchen machte, wahrscheinlich, weil sie davon ausging, dass ich eine Nussallergie habe, womit sie sich aber geschnitten hatte, die Schlampe, haha – c) dass sie versucht hat, mich bekloppt zu machen, indem sie immer wieder fragte, was ich denn denken würde, was ich denn denken würde – was denkst du grade? was denkst du grade? ja ja ja was denkst du denn grade? – oh, was denkst du gerade? – obwohl sie genau wissen müsste, dass ich ganz selten etwas denke!! – d) dass sie beim Schnick-schnack-schnuck-Spielen immer die Schere nahm und dabei meinem Hals gefährlich nahekam – was blöd von ihr war, weil ich motorisch nur Stein und Papier kann und Papier nicht mache, weil das ein halber Hitlergruß ist. Als wir nun zusammen in den Bergen wandern waren, sagte sie, sie wolle meine Schönheit mit der aufgehenden Morgensonne im Hintergrund als Foto festhalten und bat mich, mich an den Abhang zu stellen. Was sie vorhatte, war natürlich klar, aber ich bin ihr zum Glück zuvorgekommen – und sprang einfach selbst. Kurz bevor ich den Boden erreichte, öffnete ich im Fallen meine Hose, kramte meinen Penis hervor, ließ ihn wie den Rotor eines Helikopters rotieren – bvvuuuhuuubvvuuuuhu - flog den Abhang wieder hinauf, landete hinter ihr und versetzte ihr einen Tritt, auf dass sie stürzte. Da sie keinen Penis hat – (Lachen, Beifall) (Granderath:) Andi bleib hier, Andi bleib da! (Markim Pause) Das Faszinierende für mich, dass es ein sehr offenes Format ist. Das heißt, dass man viele verschiedene Textgattungen nebeneinander auf der Bühne hat, die alle ihre Berechtigung haben und mit denen alle Slammer unterschiedlich erfolgreich, aber es funktioniert halt tatsächlich, wenn es wohl vorgetragen wird, alles. Also sperrige Lyrik, witzige Geschichten, Rap-Poesie – ich hab schon viele Dinge gesehen und auch oft neue Ideen auf der Bühne gesehen, die von Leuten entwickelt wurden, und das finde ich halt da gerade das Interessante beim Slam: Es passiert wirklich sehr viel, es wird sehr viel Sprachentwicklung unter den Slammern, bei den Slammern, von den Slammern betrieben. 12 (Pamela Granderath) Wir haben schon mal irgendwelche verrückten Ideen, die wir dann auch umsetzen und umsetzen können hier mit dem ZAKK, das ist ja auch das Wunderbare, dass die so Generationen-Slams mitmachen oder Dead-or-Alive-Slam oder Singer-Songwriter-Slam, dass wir mal ein Team Special machen. Wir versuchen schon auch, Abwechslung reinzubringen. (Markim Pause) Ich hab, als ich 2001 hier angefangen habe, mit der Pamela diesen Slam zu moderieren, auch gedacht nach einem Jahr, das ist Wahnsinn, wie schnell sich das entwickelt, wie toll die Veranstaltung ist, was da passiert, und ich hab aber irgendwo so im Hinterkopf gehabt: Hm, irgendwann wird das vorbei sein. (Pamela Granderath) Irgendwann muss es doch mal langweilig werden. - Aber nein, es kommen immer wieder neue Leute, immer wieder frische Texte, und es ist wirklich jeden Abend aufs Neue eine Überraschung, wer kommt, und man kann nie voraussehen, wer gewinnt, und dass es so unberechenbar ist und ein unkalkulierbares Risiko, wie viel Slammer, wie viel Publikum kommt. (Markim Pause) Und wir haben 2009 zum zweiten Mal die deutschsprachigen Meisterschaften in Düsseldorf gemacht, da hab ich mich dann nachher noch mal mit Pamela zusammengesetzt und da haben wir uns beide dumm angeguckt und gesagt: tja, haben wir uns wohl geirrt. (Pamela Granderath) Es ist so spannend, dass es nicht langweilig zu werden scheint. (Nora Gomringer) Jeder Veranstalter hat eigentlich in Deutschland seine eigene Note, und das ist das Faszinierende und Schöne daran. Wir haben vom System her ein Franchise, also Poetry Slam als Konzeptform lebt an 85 Orten in Deutschland, denn jeder Veranstalter hat sich ja Gedanken gemacht darüber, wie sein eigenes spezifisches Publikum vor Ort vielleicht so drauf ist, und hat sich eigene Dinge ausgedacht – für die Jurybewertung, für die Begrüßungszeremonie am Anfang, für die Preisverleihung und die Ehrung usw., und das ist charmant. Pamela Granderath und Markim Pause, die waren da schon immer führend. (Pamela Granderath) Zwei Jahre im Voraus entscheiden, sag ich jetzt mal, die Köpfe aller bedeutenden SlamVeranstaltungen gemeinsam und diskutieren, wer denn in der Lage wäre und wo es denn mal schön wäre, eine Meisterschaft abzuhalten. Und dann wird das zwei Jahre im Voraus festgelegt, denn zwei Jahre braucht es schon zur Vorbereitung. Das ist ein ganz schöner Apparat, der da dranhängt, man glaubt es kaum. Man denkt, man lädt ein paar Dichter ein, aber dass es mittlerweile über 250 Teilnehmer sind in allen Sparten, ist doch ein ordentliches Ding. (Pfeifen, Beifall – Moderator Michel Abdollahi) Auch die ganzen Idioten, die jetzt am Anfang nicht geklatscht haben: ich hoffe, wenigstens für die Poeten wird nachher geklatscht. O-TON 18 (zum Unterlegen der nächsten Sprecher: Musik) 13 A: Vom 18. bis 22. Oktober 2011 lädt Hamburg ein zu den fünfzehnten deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften. Die Veranstaltung mit über dreihundert Teilnehmern ist die weltweit größte seit der Ausrufung des Poetry Slam durch Mark Kelly Smith in Chicago, 1986. B: Fünf Tage lang stehen die einzeln und im Team auftretenden Slammer miteinander im Wettstreit. Für die Singulär-Poeten gibt es zehn Vorrunden und vier Halbfinale im Kulturhaus 73, im Molotow, in der Kulturfabrik und in Uebel&Gefährlich, dem alten Bunker auf dem Gelände des Hamburger Dom. A: Zweites Halbfinale. Ort: Uebel&Gefährlich, im vierten Stock des Bunkers. Zeit: 21.30 Uhr. Ein großer, schwarz ausgemalter Saal, wenig mehr Inventar als eine Bühne und eine Theke, die Reihen, Gänge, Ecken, Treppen voll besetzt, kein dummes Publikum, keine dumme Jury: ein erstaunlicher Abend. Moderation: Jan Egge und Henning Chadde. O-TON 19 (Ansage Egge&Chadde) Ja, wir kommen zu Mieze Medusa aus Wien – und zwar vom, das musst ich mir aufschreiben: Wos-host-gsogt?-Slam dort. Bitte ein Applaus für Mieze Medusa! Hier auf der Bühne - (Mieze Medusa) Es schreit, es schreit, es schreit, es schreit – es lächelt. Es lacht, es krabbelt, es scheißt, es schmeißt Mamas Lippenstift auf den Boden, es gurgelt, es schmeißt Papas Weinglas um, es gurrt, es gackt, es greint, es gluckst. Es sagt: Mama. Das Kind fragt: Mama, was ist das? Das ist die Sonne. Mama, was ist das? Das ist ein Hund. Mama, was ist das? Das ist ein Auto. Mama, was ist das? Das ist ein Vater. Mama, was ist das? Das ist ein Pfui. Das Kind fragt nicht: Mama, was was ist Mama? Das Kind weiß, denkt, was Mama ist. A: Eine solide Komödiantin. O-TON 20 (Ansage Egge&Chadde) Und die niedrigste und die höchste Wertungszahl wird wieder gestrichen, und wir schauen, was rauskommt: Wir kommen insgesamt auf eine Punktzahl von 44,4 Zählern. Für Mieze Medusa. Und einen Applaus bitte nochmal für die Poetin und ihren Text. A: Danach Bibercap, Erlangen, mit einer Pennälerszene. 14 O-TON 21 (Bibercap) Der Andi und der Manu, richtig geil, in der Südsee in dem Kanu, richtig geil, chillen an der Brandung, richtig geil, dann wie Robinson die Strandung, richtig geil, korrekt, korrekt, gefällt mir, geht ab, korrekt, korrekt, das geht ab, gefällt mir, korrekt – So schönen guten Morgen. Wenn ihr bitte mal Hefte und Bücher zumacht und wegtut und etwas auseinanderrückt, ja genau so, okay, wo sind jetzt die Angaben – In der Schule ohne Ahnung, richtig geil, und dann ne Prüfung ohne Warnung, richtig geil, und der Schmidi ohne Planung, richtig geil, und jetzt ne Strafe ohne Mahnung, richtig geil – Ja Andi, was sind das für schlaue Sprüch, kannst dir gleich mal einen Verweis abholen. Ja wie geil ist das denn, hab ich dir nicht gesagt, Manu, der geht voll ab. Alter, es ist fünf nach acht und mitten drin in der Scheiße, ich hab bis halb fünf in der Früh gezockt, Alter, bin ich fertig. – Du Opfer, du Wichser, dei Mutter glaubt – Andi und Manu, hört ihr jetzt endlich auf zu schwätzen? Ich hab doch gar nichts gesagt, Herr Schmid, der Manu war’s. – Stimmt nicht, Petze, Petze, Petze, fang an zu heulen, Schwuchtel. Andi und Manu! (Ansage Egge&Chadde) Wir kommen zum nächsten Dichter, der tritt an für den Siegener Poetry Slam – es ist der Schriftstehler, der kommt jetzt da aus der Ecke oder sollte kommen – A: Armin Sengbusch alias Schriftstehler, vierzig Jahre alt, begegnet am Straßenrand dem Mann GOTT. Im Angesicht des Allwissenden dreht der Materialist durch, entsichert seine Pistole und schießt. Der Mann vor ihm stürzt mit einem Loch im Kopf nieder. O-TON 22 (Schriftstehler) Es gab keinen Zweifel: Gott war endlich tot. Und plötzlich fühlt ich mich schuldig, so vielen Menschen Hoffnung geraubt zu haben, nur weil ich davon überzeugt war, an etwas geglaubt zu haben, was faktisch zu belegen ist – und es überirdisch nicht gibt. Aber dann war alles wie immer. Er stand plötzlich milde lächelnd im Zimmer und sah mir tief in die Gedanken, eh er sich zum Gehen wandte. Und seine Worte trafen mich härter als Kugeln aus meinem Lauf, als er sagte: Du kannst nur das Töten. Was das für dich ist: Geld, Worte, dein eigener Plan – ist letztlich egal. Nur, dass du an irgendwas glaubst, ist dir jetzt hoffentlich klar. 15 B: Die Jury punktet: 44,7. Damit liegt Schriftstehler hinter Bibercap, vor Mieze Medusa. A: Klaus Urban, Hamburg, 67 Jahre alt, emeritierter Professor, Gewinner verschiedener Slams, der graue Tiger der Szene, schildert eine Tour mit seiner Frau – der Frau, die er liebt. O-TON 23 (Klaus Urban) Mein Text hat den schlichten Titel: Sie. Ein Klingelzeichen ertönt, beim zweiten Mal wache ich richtig auf, recke mich ein bisschen, schau auf die Uhr: zwei Uhr vierzehn. Ich richte mich auf und schlüpfe in meine Schlappen. Ich mache kein Licht an, denn der Schein aus dem Nachbarzimmer beleuchtet mir durch die offenen Zimmer meinen Weg. Im Nachbarschlafzimmer sagt eine leise Stimme Hallo und Ich muss aufs Klo. Ich nicke und gehe um das Bett herum zur anderen Seite, denn sie muss immer zu ihrer rechten Seite hin aufgerichtet werden, nach links klappt das nicht mehr. Ich drücke den Knopf des Bedienungsgerätes und lasse Kopf- und Fußteil des Bettes in die Waagrechte herunterfahren, schlage die Bettdecke zurück und schiebe ihren Körper vorsichtig in eine Schräglage, so dass die Füße über die Bettkante herausragen. Mit leicht gespreizten Beinen, ihre Füße dazwischen, stelle ich mich vor sie hin und greife ihre Hände, die sie mir entgegenstreckt. B: Er beschreibt die Folge der Schritte und Handgriffe bis zur Toilette, die Erschöpfung der Kranken. Das Gehen zurück zum Bett. O-TON 24 (Klaus Urban) Mit einem Schwung rückwärts bring ich sie in die Seitenlage. Indem ich unter Nacken und Oberschenkel fasse, hebe und drehe ich sie in einer Schaukelbewegung in die Rückenlage, so dass sie nicht zu nah am Rand liegt, schiebe ihr das Kissen unter den Nacken und decke sie mit dem leichten Oberbett zu. Kopf- und Fußteil des Bettes lasse ich wieder etwas nach oben fahren. Sie lächelt erschöpft, ich streiche ihr übers Gesicht, mache die Stehlampe aus. Im Dunkeln tappe ich den Weg zu meinem Bett zurück. In zwei oder drei Stunden wird sie wieder klingeln. Sie. Die Frau, die ich liebe. (Beifall) (Ansage Egge&Chadde) Die Jury überlegt noch ein bisschen – wir zählen gemeinsam runter: fünf – vier – drei – zwei – eins - eure Wertung. Hoch bitteschön, jetzt! Uhh. Wir haben hier vorne eine 8,8 - gefolgt von einer 9,1 – eine 8,8 in der Mitte – eine 8,6 – eine 9,5 hier vorne – aber es kommt noch besser, wir haben eine 9,6 daneben – und eine 9,9 in der Ecke. (Beifall) Wir haben für Klaus Urban fünfundvierzig Komma acht Punkte!! - So vielfältig kann Poetry Slam sein, wir sind gespannt, wen wir jetzt auf der Starnummer sieben haben. – Mit einem großen Applaus: Nektarios Vlachopoulos. (Zwischenmusik) 16 (Nektarios Vlachopoulos) Vielen Dank. – Vor ich anfange, muss ich ein bisschen was zur Entstehungsgeschichte dieses Textes erzählen. Und zwar ist das ein Text, der aus einer Notsituation heraus entstanden ist. Ich bin nämlich Mitglied einer Lesebühne in Heidelberg. Das bedeutet, dass man in regelmäßigen Zeitabständen zuverlässig neues Material produzieren muss – da hab ich ein bisschen hart dran zu kauen. Neulich, zwei Wochen vor dem Auftritt, bekomm ich einen Anruf von meinem Kollegen: Nekatarios, hast du schon neue Sachen? Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen halben und einen viertel Text – zwei Wochen später hatte ich einen halben und einen viertel Text – und da hab ich mir gedacht: hey! wenn du die zwei Texte zusammen nimmst Früher war ich mehr so der passive Typ. Statt irgendwas zu tun ließ ich alles passieren. Ich wurde geboren, ließ mich großziehen, wurde in die Schule geschickt, ließ mich bilden, wurde immatrikuliert, ließ mich prüfen, wurde rausgeschmissen und ließ mich gehen. Heute ist alles anders. Aus meinen Fehlern hab ich gelernt, dass alles, was geschieht, nichts weiter als eine kausalverkettete Reflexion des eigenen Tuns ist. Das Tun steht am Anfang jeder Handlung. Ohne Tun keine Tat. Täten wir nichts, würde keine Aktion passieren, der Aktiv würde zum Passiv und jeder Akt verpasst. Statt mich also den müßigen Verlockungen des Nichtsstuns zu unterwerfen, lenke ich nunmehr eigenhändig meine untätigen Geschicke und tue selbst nichts. – Das iPad ist das Fenster zu einer neuen Dimension! Dinge, die ich früher nicht getan habe, kann ich nun bequem mit dem iPad nicht tun. Neulich im Starbucks z.B., als ich bei einer Tasse Spicer Makadama mit Holunderlebkuchenfrappuchino mit Bärlauchtopping meiner selbstgefälligen Dekadenz frönte und mit der Spitze meines rechten Zeigefingers die edlen Kurven meiner kleinen Lena entlangfuhr, ganz recht, ich nenne mein iPad Lena, da fragte sie, die ebenfalls Lena hieß, die ich aber liebevoll Bibi nannte, was das Gerät denn so könne. – Alles! erwiderte ich sogleich, es gibt für alles ein App. Ich kann immer und überall meine Emails vernachlässigen, mich sozialen Netzwerken anschließen, lustige Tiervideos bewerten, Pornos uploaden, Musik downloaden, und mit Pfeil und Bogen auf dubiose Zielscheiben vorbeihuschender Pop-ups schießen, Zahlungsaufforderungen ignorieren, Facebook aktualisieren, Flüge buchen, Google suchen, skripten, bloggen, screenen, tekken, simsen, leggen, posten, twittern, skypen, chatten, faxen, basen und ich kann nochmal soviel von meinen digitalen Welten haben, wenn ich das Gerät zur Seite neige. Es gibt für alles ein App. Und ich kann immer und überall den Anschein reger Beschäftigung erwecken. Ich kann mir sogar den ganzen Tag lang den größten Stress aufhalsen, mich stundenlang vereinnahmen lassen, ja geradezu arbeiten, ohne am Ende des Tages auch nur das Geringste getan zu haben. B: Durch die Berührung des roten Kreuzchens auf der linken Schläfe seiner Freundin Bibi lässt er Bibi in Lenas Menuleiste verschwinden. O-TON 25 (Nektarios Vlachopoulos) Anschließend verfuhr ich ebenso mit dem Frappuchino, meinem Tisch, den Angestellten und schließlich dem Café, woraufhin nur ein kahler Raum mit einer Pritsche nebst eines kleinen Beistelltischchens übrigblieb. Erfreut von einer tiefen inneren Gelassenheit, bettete ich die kleine Lena in mein Kissen, legte mich auf mein Tischchen und dachte mir: wie schön, dass es für alles eine App gibt. – Vielen Dank 17 (Ansage Egge&Chadde) Das dürfte ziemlich weit vorne liegen ... Wir kommen zur letzten Starnummer des heutigen Abends – das heißt ihr müsst nochmal alles geben – meine Damen und Herren! Er ist für die Landesmeisterschaften Berlin hier: macht Applaus, rastet aus für Till Reiners! (Pfeifen, Johlen) (Till Reiners) Das gibt es ja: die Liebe. Das gibt es ja: Leidenschaft, Sehnsucht – das gibt es ja. Aber es gibt auch Alltag. Und den gibt’s häufiger, sag ich mal. Man sagt gar nicht so häufig: „Ich war zu feige, dir die Wahrheit zu sagen. Ich war zu feige, dich zu belügen. Also dosierte ich meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad deiner Empörung.“ Sagt man selten. Weil der Satz von Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht handelt, da redet man nicht so oft von. Leider handeln nicht alle Sätze, die selten sind, von Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht – ich brauch n Adapterkabel von Coaxial auf ne 3,5er Miniklinke. Das ist nämlich auch ein seltener Satz. Das ist ja auch gar nicht schlimm. Was soll man denn machen, wenn man grad dies Adapterkabel braucht, aber nicht Liebe, Leidenschaft oder Sehnsucht? Aber warum sagt man häufig, ganz ohne Not: Paris. Da könnt man bei Gelegenheit ja auch mal hinfahren. Oder: Ich gehe heute auf einen Poetry Slam. Vielleicht wird es trotzdem ein schöner Abend. Karl Kraus hat mal gesagt: „Es reicht nicht, nur keine Gedanken zu haben. Man muss auch noch unfähig sein, sie formulieren zu können.“ Es reicht aber nicht, Gedankenloses zu formulieren, man muss sich auch noch darauf verlassen können, dass der andere genau das Gleiche sagt: Komm, wir denken zu zweit nicht nach. – Warum fragt man nicht direkt: Ist es okay, wie ich bin? Gefällt euch mein Text oder soll ich mehr lebensnahe Beispiele anführen? Findest du meine Kleidung angemessen oder bin ich jetzt zu modisch gekleidet? Wirkt das affektiert oder ist das underdressed? Sagt man underdressed noch oder klingt das so aufgesetzt englisch? Oder ist gerade das cool? Hast du eine ähnliche Perspektive auf das Leben wie ich? Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag – ist das nicht auch dein Credo? Findet eigentlich jeder gut, jetzt sag doch mal. Und dann könnte der andere eben so direkt antworten. B: Ein leichter, federnder, wacher Slam. Kein Türenschlagen. Kein Selbstmitleid, kein fader Zynismus. O-TON 26 (Till Reiners) Das vierbeinige Ding, lass es uns Tisch nennen, da können wir uns einigen drauf, mein Freund. Aber jetzt sag frei heraus, wie du diesen Tisch findest. Ist er majestätisch, ist er bieder, ist er kafkaesk? Ja, mein lieber Freund, sag es frei heraus. Kafkaesk wäre okay. Beleg ihn mit einem Wort deiner Wahl. Wie fühlst du dich dem Tisch gegenüber? Auch wenn du dafür nichts fühlst, ist das okay, aber bitte sag, wie du dich fühlst und bitte. Wir müssen uns nicht auf ein Gefühl einigen. „Ich war zu feige, dir die Wahrheit zu sagen. Ich war zu feige, dich zu belügen. Also dosierte ich meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad deiner Empörung.“ Versuchen wir doch mal, nicht feige zu sein. Es muss ja nicht gerade Liebe sein. Hallo, ich bin Till, manchmal fühl ich mich einsam, wollen wir küssen? (Beifall) (Nora Gomringer) Man kann ja ein Liebling der Kritiker sein, aber einer, der beim Publikum durchfällt. Und es ist relativ offensichtlich, dass jemand, der im Poetry Slam erfolgreich ist, beides ist: ein 18 Kritikerliebling und auch ein Publikumsliebling. Und da merkt man dann eben, da wird der Kritiker auch zum begeisterungsfähigen Publikum. (Ansage Egge&Chadde) Meine Damen und Herren, wir kommen zur letzten Abstimmung der Jury. Eure Wertung jetzt: nach oben. Oha. Wir haben eine 9,5 - eine 9,8 – eine 9,8 – eine 9,5 – eine 9,6 – eine 9,9 und tatsächlich die erste 10! – Wir kommen auf eine Punktezahl von insgesamt 48,6 Zählern für Till! – Moment Moment: SCHNITT! (Michel Abdollahi) Ich begrüße Sie anläßlich des Finales der fünfzehnten deutschsprachen Meisterschaften im Poetry Slam heute in der O-Two-World im schönen Hamburg, ich begrüße auch die Millionen und Abermillionen, die uns über arte heute live zugeschaltet sind – wir freuen uns, dass Sie mit uns sind, Guten Abend und Bonsoir. So, wir haben ein enges Programm. Wir haben ein sehr enges Programm. In den letzten Tagen haben wir die besten Slammerinnen und Slammer Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bei uns gehabt, acht davon haben sich heute für das Finale im Einzel qualifiziert, sechs weitere Teams für das Team-Finale, das anschließend ebenfalls an gleicher Stelle stattfinden wird – dazwischen eine kleine Pause. A: Im Finale der Hamburger Meisterschaften stehen sich die Satiriker Till Reiners und Nektarios Vlachopoulos nochmals gegenüber. O-TON 27 (Nektarios Vlachopoulos) Ein Text für die Romantiker unter euch. Und zwar geht es in diesem Text um eine ganz bestimmte Person, um eine Person, die mir sehr am Herzen liegt, die ich über alles auf dieser Welt schätze und liebe, diese Person ist jetzt in diesem Augenblick hier: die Liebe meines Lebens. – Schon als Kind haben sich meine Eltern Sorgen um meine sexuelle Orientierung gemacht. Anders als andere Jungen meines Alters konnte ich Stunden vor dem Schminkspiegel meines Vaters verbringen. Als Jugendlicher ging ich nie mit anderen Jugendlichen aus. Das einzige Mädchen zu dem ich regelmäßigen Kontakt pflegte, war Minka, die Katze des Nachbarn. Ich wusste schon immer, dass ich etwas anders als die anderen war, nur nicht anders als die gewöhnlichen Anderen, zu gut deutsch die Einen, ich unterschied mich vielmehr von den anderen Anderen, die sich selbst gern als die Anderen bezeichnen, womit ich weder das eine noch das andere war, und an meiner Andersartigkeit zu ersticken drohte. Eines Tages aber lieferte mir der Schminkspiegel meines Vaters die Antwort. Nie hätte ich geglaubt, dass sich wahre Liebe in so greifbarer Nähe befand. Es fiel mir zunächst nicht ganz leicht, mir meine Gefühle einzugestehen, ich meine es schon etwas unnatürlich, wenn man sich als Kerl zu einem Kerl hingezogen fühlt, aber als mir nach und nach klar wurde, den Mann fürs Leben gefunden zu haben, musste ich es einfach in die Welt rufen: Ich liebe mich. Am Anfang reagierte ich auf dieses plötzliche Outing natürlich etwas konfus, aber warum sollte ich nicht mit mir glücklich werden können? Ich teilte immerhin dieselben Interessen, denselben Geschmack, denselben Humor, ich war doch wie für mich geschaffen. Langsam freundete ich mich mit dem Gedanken an eine feste Bindung an. – Ich gab mir eine Chance und fing an, mit mir auszugehen, erst ging ich ins Kino, dann überraschte ich mich mit einem romantischen Brunch, ich ging sogar mit mir ins Ballett, obwohl ich das eigentlich hasse. Aber das war es wert. Es funkte einfach zwischen mir. Mein Herz schlug nur für mich. Ich war das Erste, woran ich nach dem Aufstehen dachte und das Letzte, bevor ich einschlief. Der Sex war einfach phantastisch. Es 19 war, als könnte ich meine Gedanken lesen! Immer und überall hatte ich Sex, im Schlafzimmer, in der Küche, im Bad, meistens auch vorm PC. Ich wagte den Sprung ins kalte Wasser: und stellte mich meinen Eltern vor. (Lachen und Geraun im Publikum) B: Die Ein-Ehe führt ins Chaos. O-TON 28 (Nektarios Vlachopoulos) Ich ließ mich scheiden und verlor das Haus, das Auto und die Kinder an mich. Ja, aus irgendeinem Grund hatte ich Kinder. Inzwischen habe ich die Trennung allerdings bewältigt, ich habe neue Kraft geschöpft, neue Arbeit gefunden und bin sogar eine neue feste Bindung eingegangen: mit meiner Nachbarskatze. – Vielen Dank. (Michel Abdollahi) Bitte spuck es aus. – Komm, komm, komm, jetzt, der Sieger ist – (Johlen) mit Ihrem Applaus: Nektarios Vlachopoulos! – Kommt beide mit nach vorne, kommt beide mit nach vorne! (Beifall) A: Teamsieger wird TTZ - das „Team Totale Zerstörung“ - mit Julius Fischer und André Hermann. O-TON 29 (Team Totale Zerstörung) Alle Farben dieser Welt, vermischt mit unsrer Spucke, wir machen nicht nur Druck, wir machen auch Drucke. Wir sind KunstRapper, bitches, und die kennt man doch, unsre Ryans gehen tiefer als das Sommerloch, und wenn du denkst du könntest uns mit deinem Fachwissen bedrängen, wir können dich gern als action-painting an ner Staffelei aufhängen: Deine Fresse sieht dann aus wie ’n abstraktes Gemälde, total blutig, ohne Form und ohne Backenzähne, eine Leinwand voller scratches und itches, signiert von TTZ. Wir sind KunstRapper Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst. Ihr merkt, irgendwie dreht sich alles soch im Kreis und irgendwie ist auch immer was andres der heißeste Scheiß, in der Kunst wie auch in jedem anderen Gebiet drückt halt alle paar Jahre jemand anders auf repeat anders auf repeat anders auf repeat anders auf repeat ananananaana dödödödödödö Kunst Kunst Kunst KunstRapper, bitches, sind wir. (Beifall, Tumult – Überhang MUSIK) 20 (SPRECHER) Zauberspruch für Verwundete Poetry Slam in Deutschland Feature von Kurt Kreiler Sprecher: Marcus Michalski, Schirin Brendel und Katja Schmidt-Oehm Ton und Technik: Rolf Knapp und Anke Schlipf Regie: Günter Maurer Redaktion: Gerwig Epkes ENDE
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