Am Himmel gibt es keine Entschuldigungen“

lounge-gespräch
Carsten Spohr
Am Himmel gibt es
keine Entschuldigungen“
Seit dem 1. Mai ist Carsten Spohr neuer Lufthansa Konzernchef.
Im Interview spricht er über feuchte Hände als Pilotenschüler,
über seine Jugend im Ruhrgebiet und fehlenden Humor in vielen
deutschen Unternehmen
Ein Gespräch über
das Fliegen.
Interview Tim Cappelmann und Adrian Pickshaus
Fotos Florian Jaenicke
Carsten Spohr
Unser Lounge-Gesprächspartner,
geboren 1966 in Wanne-Eickel,
studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Karlsruhe, danach bestand
er den harten Lufthansa Pilotentest.
Bis 1993 wurde er an der Verkehrsfliegerschule in Bremen und
Phoenix, Arizona, zum Flugzeugführer ausgebildet. Im Anschluss
absolvierte Spohr das TraineeProgramm der Deutschen
Aerospace AG in München, die
später im Airbus-Konzern aufging.
1994 stieg er bei Lufthansa ein,
arbeitete im Personalmarketing und
als Referent des damaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Weber
(1998). Spohr wurde 2004 in den
Bereichsvorstand der Lufthansa
Passage berufen, drei Jahre später
Chef der Lufthansa Cargo. 2011
rückte er in den Lufthansa Vorstand
auf und übernahm das Kerngeschäft Passagierluftfahrt. Am 1. Mai
trat er die Nachfolge von Christoph
Franz als Vorstandsvorsitzender an.
28
Lufthansa exclusive 6/2014
Herr Spohr, seit rund 20 Jahren haben
Sie eine Pilotenlizenz für Passagierjets. Wie war Ihr erster Alleinflug bei
der Lufthansa Verkehrsfliegerschule in
Phoenix in Arizona?
Daran erinnert sich jeder Pilot! Wenn man
das erste Mal allein in der Beechcraft Bonanza sitzt und weiß: Am Himmel gibt es
keine Entschuldigungen, jetzt ist man voll
verantwortlich. Aber auch da galt wie für
jeden anderen Lufthansa Flug: Ich habe
mich immer gut vorbereitet gefühlt.
Waren Sie stolz, erleichtert, hatten Sie
feuchte Hände?
Alles drei! In der Reihenfolge: vor dem
Flug feuchte Hände, stolz während des
Flugs, dann erleichtert, dass alles gut geklappt hat! Ich war mit 24 Jahren relativ
alt, weil ich das Studium schon hinter mir
hatte, aber die Ausbildung hat mir ein genauso gutes Gefühl gegeben, wie es ein
erfahrener Pilot in einem Jumbo hat. Wenn
man zwei Jahre in einer Klasse mit 25
Schülern Fliegen lernt, ist das ein fast mythisches Erlebnis. Davon zehrt man noch
Jahrzehnte später. Auf diesen Pilotengeist
sind wir stolz!
Was macht für Sie die Faszination des
Fliegens aus?
Ich wollte schon während meiner Jugend
immer Ingenieur und Pilot werden, das waren meine großen Träume. Der Kopf sagte Ingenieur, das Herz Pilot. Beide Berufe
dann erlernen zu dürfen war ein Privileg.
Auch nach Tausenden von Flügen hat die
Faszination für mich nie nachgelassen.
Woran liegt das?
Fliegen wird nie selbstverständlich sein.
Sich in 10 000 Meter Höhe mit 1000 Stundenkilometern zu bewegen wird immer
etwas Besonderes sein und bringt einen
hohen technischen Anspruch mit sich. Wir
dürfen nie nachlässig werden. Jeden Tag
auf mehr als 2000 Flügen unsere Passagiere sicher ans Ziel zu bringen ist und
bleibt eine große Aufgabe. Wenn man dabei zudem Gewinn machen muss, wird es
noch härter. Die fliegerische Welt in Einklang zu bringen mit der Unternehmensführung, das ist für mich Faszination pur.
Gibt es einen Anflug, den Sie gern noch
einmal gemacht hätten?
Verpasst habe ich es leider in meiner Zeit
als A340-Pilot, den berühmten Airport Kai
Tak in Hongkong anzufliegen. Ansonsten
habe ich mich fliegerisch ausleben dürfen,
und ich bedaure, dass es meine Zeit heute nicht mehr zulässt. Aber es sind viele
schöne und bleibende Erinnerungen damit
verbunden. Meine Lizenz erhalte ich mir im
Simulator.
Wie oft trainieren Sie dafür?
Alle drei Monate absolviere ich Checkflüge
im Simulator. Da zählt nur die Performance
und die Einhaltung der Abläufe, nicht der
Titel auf der Visitenkarte.
Was kann denn der Konzernchef vom
Piloten lernen?
Weil Zeit im Cockpit limitiert ist, müssen
Piloten zeitgerecht Entscheidungen
29
lounge-gespräch
Carsten Spohr
fällen. Das ist auch in der Unternehmensführung ein klarer Anspruch: Irgendwann
muss eine Entscheidung getroffen und
umgesetzt werden. Sich zu viel Zeit lassen
ist oft eine Schwäche im Management. Ein
weiterer Punkt ist Zielorientierung: Sicher,
pünktlich und mit hohem Komfort Passagiere an ein klar definiertes Ziel zu bringen
– solch eine stringente Struktur ist auch in
der Unternehmensführung hilfreich.
Was raten Sie heute jungen Menschen,
die Pilot werden wollen?
Ich würde sagen, der Beruf ist dann der
richtige für dich, wenn du belastbar und
ein stabiler Charakter bist, zur Teamarbeit
fähig, und zwar in immer wechselnden
Teams. Man muss klar im Kopf sein und
entscheiden können, was wann gemacht
werden muss. Dann kommen physische
Voraussetzungen hinzu wie Gesundheit
und räumliches Vorstellungsvermögen,
das man nur begrenzt trainieren kann.
Apropos stabile Charaktere. Sie stammen aus Wanne-Eickel, sind mitten im
Ruhrgebiet aufgewachsen. Wie hat Sie
diese Herkunft geprägt?
Die Region zeichnet aus, dass unterschiedliche Charaktere und soziale Gruppen auf engem Raum zusammenleben –
für mich ist das kein schlechtes Abbild für
ein Unternehmen. Ein Konzern funktioniert
nur dann, wenn alle in ihren unterschiedlichen Funktionen optimal zusammenarbeiten. Die Aufgabe des Chefs ist es, dafür
zu sorgen, dass das geschieht. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet in seiner soziologischen Mischung ein Umfeld ist, in dem
man den Umgang mit unterschiedlichen
Menschen von der Pike auf lernt.
Zudem hat die Region einen Strukturwandel erfahren …
… ja, wobei der Strukturwandel bei
Lufthansa deutlich schneller gelingen
muss, als er sich im Ruhrgebiet vollzieht.
Aber das Beispiel zeigt auch, wie schwierig Strukturwandel in selbstbewussten
Kulturen ist. Unser Anspruch muss es sein,
uns so schnell zu verändern, wie es das
Umfeld von uns verlangt. Dabei geht es für
mich vor allem um ein Ziel: die Zukunftsfähigkeit der Lufthansa mindestens zu erhalten und, besser noch, weiterzuentwickeln.
30
Lufthansa exclusive 6/2014
Sie waren früher auch Leistungsruderer.
Haben Sie dabei etwas gelernt, das Ihnen bis heute hilft?
Abgesehen davon, dass ich im Vierer und
Achter in meiner Jugend viel Freude hatte, ist Rudern ein Sport, bei dem man bis
an die Leistungsgrenze gehen muss. Am
Ende geht es um die Substanz und nicht
um die hübsche Verpackung. Und: Erfolgreich ist das Team, das optimal im gleichen Rhythmus taktet und sich auf seine
gemeinsamen Stärken besinnt.
Sie betonen die Zukunftsfähigkeit der
Lufthansa. Aber was fasziniert Sie an
der Geschichte der Kranich-Linie?
Lufthansa ist es stets gelungen, Tradition
und gewachsene Werte mit Modernität
und Fortschritt zu verbinden. Das Unternehmen hat es geschafft, nach einer Neugründung 1955 wieder an die Weltspitze
vorzustoßen. Weil es sich immer modern
an Entwicklungen angepasst hat, ohne auf
Tradition und Werte zu verzichten.
Was sind denn Werte, die Lufthansa
ausmachen?
Ganz vorweg: Sicherheit durch technische
und fliegerische Kompetenz. Diese Punkte sind durch nichts zu ersetzen. Dann
kommt Verlässlichkeit, und dass man sich
bei Lufthansa zu Hause fühlt. Aber ich
glaube auch, dass wir bei Innovationen
immer Akzente gesetzt haben und auch
zukünftig verstärkt setzen müssen. Denn
Innovation sorgt dafür, verlässliche Werte
erhalten zu können.
Die Globalisierung schreitet voran, auch
innerhalb der Konzerne. Ist Lufthansa
noch eine deutsche Fluggesellschaft?
Für mich gilt: Unsere Herkunft ist Deutschland, unser Heimatmarkt ist Europa. Aber
der Markt der Zukunft ist die Welt. Wir sind
ein internationales Unternehmen, nur noch
60 000 unserer 120 000 Mitarbeiter kommen aus Deutschland.
Was verbinden Sie mit dem Standort
Deutschland?
Eine enorme Wirtschaftskraft. Die Exportstärke des Landes ist für die Lufthansa ein
riesiger Vorteil. Ich könnte mir deshalb keinen idealeren Heimatmarkt für eine Airline
vorstellen. Allerdings heißt Deutschland
auch Restriktionen und Wettbewerbsbe-
„Ohne uns bekäme
die deutsche
Exportwirtschaft
ein Problem“
schränkungen, die unsere Konkurrenten
nicht haben: die Luftverkehrssteuer, eine
zunehmende Streikkultur, Nachtflugverbote. Oder auch der Emissionshandel,
bei dem Europa einen teuren Weg geht,
der im Rest der Welt nicht so verfolgt wird.
Aber in der Abwägung der Vor- und Nachteile hat noch nie jemand bei Lufthansa
ernsthaft überlegt umzuziehen.
Fühlen Sie sich von Politik und Gesellschaft ausreichend gewürdigt?
Der Deutschlandbezug in unserem Namen
ist Anspruch und Verpflichtung zugleich.
Wir stellen uns seit Jahrzehnten der Herausforderung, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Landes und zu
dessen Wirtschaftsstärke zu leisten. Umgekehrt glaube ich aber auch, dass die
deutsche Industrie sich bewusst machen
muss, wie wichtig es ist, eine derart gute
Airline zu haben. Schließlich stellen wir mit
unseren Verbindungen Internationalität her,
wir bieten 250 Ziele an. Wären es erheblich weniger, bekäme die exportorientierte
Wirtschaft ein Problem. Von daher wünsche ich mir manchmal schon, dass die
Bedeutung der Lufthansa von der deutschen Politik noch mehr gewürdigt würde.
Man sagt, Sie seien ein begabter und
passionierter Spötter – müssen Sie sich
in Ihrer neuen Rolle nun zurückhalten?
Ich hoffe, nicht. Ich habe viel Zeit in angelsächsischen Kulturen verbracht, vor allem
in den USA. Dort habe ich gelernt, dass
Humor eine Eigenschaft ist, die man sich
erhalten sollte. Natürlich auch an der Konzernspitze! Denn wenn jemand Leistung
bringen muss, dann darf und soll es ihm
Spaß machen. Generell finde ich, dass
uns mehr Humor guttun würde. Aber es
gibt natürlich Regeln: Nie hinter dessen
Rücken über jemanden lachen, das
31
lounge-gespräch
Carsten Spohr
THE NOBLE
REVOLUTION
IN JEWELRY.
Visier immer offen tragen. Das versuche
ich schon meinen Kindern mitzugeben.
Welche – außer Humor – sind Ihre persönlichen Stärken?
Das müssen andere beurteilen. Aber wenn
die Kunden gern mit uns fliegen, wenn sie
sich bei uns wohl und gar zu Hause fühlen,
unser Unternehmen dabei zukunftsfähig
bleibt – dann kann ich für mich sagen: Ich
habe meinen Job gemacht.
Halten Sie sich dafür körperlich fit?
Ich versuche, zweimal die Woche Sport zu
machen, gehe Laufen und ins Schwimmbad. Das gehört für mich zur inneren Balance. Gut in einer Sache sind viele. Aber
das wahre Ziel ist es, den Beruf, Familie,
gesellschaftliches Engagement und körperliche Fitness unter einen Hut zu bringen.
Stichwort Work-Life-Balance: Was hilft
Ihnen, wenn Sie abschalten wollen?
Der ideale Weg zum Abschalten sind kleine Kinder. Meine beiden Töchter verlangen dann volle Aufmerksamkeit. Sooft es
geht, verbringe ich mit ihnen Zeit zu Hause. Für mich sind sie das perfekte Programm, um abgelenkt zu werden. Denn für
das, was Papa im Büro macht, interessieren sie sich wenig.
Sind Sie ein Skype-Daddy? Halten Sie
ständig Kontakt zur Familie mit Smartphone oder Tablet?
Nein. Ich bin eher ein Kalender-Freak, ich
liebe es, genau zu planen. Das treibt meine Assistentin manchmal in den Wahnsinn. Für meine Familie heißt das aber: Ich
bin verlässlich. Wenn Papa sagt, er kommt
nach Hause, dann kommt er auch. Von
daher habe ich an der Pünktlichkeit der
32
Lufthansa ein sehr großes Eigeninteresse!
Als Lufthansa Chef sind Sie ständig unterwegs. Wohin verreisen Sie privat?
Mit der Familie gern nach Italien. Aber seit
meinem Schüleraustausch 1984 sind die
USA für mich ein Sehnsuchtsort.
Weshalb?
Ich habe die USA immer als ein Land
empfunden, in dem ich positive Energie
aufnehme. Einige Länder machen mich
eher müde, in Amerika tanke ich auf. Besonders die Westküste, von Kalifornien
hoch bis nach Kanada, hat es mir angetan. San Francisco ist für mich die schönste Stadt der Welt. Die Lufthansa Flugnummer LH454, die mich als 17-Jährigen
erstmals dorthin brachte, hat einen besonderen Platz in meinem Herzen.
Gehen Sie auf Flügen auch ins Cockpit,
zum Austausch mit dem Kapitän?
Immer, das gehört für mich dazu. Das ist
für mich eine Frage der Höflichkeit: Als
Chef des Unternehmens will ich den Chef
des jeweiligen Fluges begrüßen.
Steht die Crew dann stramm, oder
spricht man auf Augenhöhe?
Ach, das ist unterschiedlich. Grundsätzlich
freue ich mich über jedes Gespräch. Die
Möglichkeit, seinen Mitarbeitern so regelmäßig zu begegnen und mit ihnen zu sprechen, haben heute nicht mehr viele Konzernchefs. Das möchte ich nicht missen.
Kritiker sagen, Ihre lange Zeit bei
Lufthansa könnte Ihren Blick trüben, Sie
weich werden lassen, wenn es um unangenehme Entscheidungen geht. Was
entgegnen Sie?
Die Lufthansa wäre über Jahrzehnte hinweg
nicht so erfolgreich, wenn sie nicht immer
wieder notwendige Veränderungen durchlaufen hätte. Meistens angestoßen von
Führungskräften, die aus dem Unternehmen selbst kamen. Wie viel Veränderung
braucht, wie viel verträgt die Lufthansa?
Das gilt es abzuwägen.
Und wie ist derzeit der Stand?
Wir befinden uns in einer Phase, in der
sich die gesamte Branche rasant verändert. Also müssen wir uns jetzt schneller
verändern als zu anderen Zeiten. Wir sind
die Nummer eins in Europa, das wollen wir
auch bleiben. Es gilt, jeden Tag 200 000
Menschen davon zu überzeugen, dass wir
die beste Wahl sind.
Wo sehen Sie die Zukunft der Luftfahrt,
etwa im Jahr 2025?
Manche Werte bleiben konstant, etwa Sicherheit und Zuverlässigkeit. Der Faktor
Mensch bleibt wichtig, unsere Maschinen
werden auch in Zukunft von zwei beziehungsweise drei Piloten im Cockpit geflogen. Im Kundendialog geht der Trend zur
Individualisierung: Unsere Gäste wollen
direkt angesprochen werden, die Wünsche des Einzelnen müssen erfüllt werden.
Da wollen wir als Lufthansa ganz vorn dabei sein.
Glauben Sie, dass Ihr neues Amt Sie
verändern wird?
Da müssen Sie in fünf Jahren meine Frau
fragen!
Machen wir. Und was trinken Sie gern,
wenn Sie als Gast an Bord sind?
Den berühmten Tomatensaft, ohne Salz
und Pfeffer. Auf Langstrecke gern unseren
ausgezeichneten Chardonnay.
Lufthansa exclusive 6/2014