Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Der Oberkirchenrat im Kirchenkreis Augsburg Regionalbischof Michael Grabow elkb Pfingsten 2016 Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Weggefährten und –gefährtinnen aus Gesellschaft und Politik, liebe Schwestern und Brüder, bei der Vorbereitung auf einen Vortrag über Versöhnung zwischen den Kirchen fiel es mir auf: Die allermeisten von uns sind in einem beispiellosen Zeitalter der Versöhnung aufgewachsen. Keiner hätte nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges damit rechnen können, dass nach so viel Tod, Grausamkeit und Leid die von Deutschland mit Krieg und Gewalt überzogenen Staaten, ja sogar die Kinder der Opfer auf die Täter zugehen und ihnen die Hand reichen würden. Keiner – und wir Deutschen schon gar nicht. Natürlich gab es auch weiterhin Kriege und Grausamkeit. Es gab den „Eisernen Vorhang“ und die Ausbeutung der Länder des Südens. Es gab Terror und Anschläge. Aber was uns alle geprägt hat, das sind die ausgestreckten Hände der Versöhnung. Das sind die Gründung der Vereinten Nationen, die Versöhnung der ehemaligen „Erbfeinde“ Frankreich und Deutschland, das aufeinander Zugehen von Israel und Deutschland, Juden und Christen, die Ostdenkschrift und die f olgende Ostpolitik, Abrüstungsverhandlungen und schließlich das Fallen des Eisernen V orhangs quer durch Europa, um nur einiges zu nennen. Der christlich-jüdische Dialog und das Wiedererstarken jüdischer Gemeinden und jüdischen Lebens in Deutschland wäre nie geschehen, wenn nicht die Söhne und Töchter der Opfer die Hand gereicht hätten hin zu unserem Land, das sich, nicht immer nur freiwillig und manchmal sehr zögerlich, seiner Schuld gestellt hat. Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit haben die Kirchen eine wesentliche Rolle gespielt. Sie haben sich selbst, wenn auch anfangs nur mit Mühe, zu ihrer Mitschuld bekannt und damit erste Türen geöffnet hin zu Kirchenvertretern und Politikern anderer Staaten. Sie haben die Hand zu einer Versöhnungsarbeit mit dem Judentum und in der Folge mit Israel gereicht bekommen und diese Chance aus ehrlichem Herzen genutzt und weitergegeben. Sie haben ihre spezifisch christlichen Instrumentarien zum Umgang mit Schuld, Umkehr und Vergebung eingebracht und so staatliche Versöhnungs prozesse begleitet. Für die evangelische Kirche stehen dabei drei Daten im Mittelpunkt: 1945 das Stuttgarter Schuldbekenntnis, 1965 die Ostdenkschrift und 1985 die Demokratiedenkschrift. In ihrer Demokratiedenkschrift hat die EKD sich grundlegend zur Demokratie als einer Staatsform bekannt, die mit evangelischem Staatsverständnis kompatibel sei. „Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als Grundlage anerkennt und achtet.“ Es ist für mich faszinierend, dass gerade die ersten beiden Texte, das Schuld bekenntnis von 1945 und die Ostdenkschrift von 1965, die beide zunächst in Deutschland zu vielen empörten Reaktionen geführt hatten, die entscheidenden politischen W eichen hin zur Versöhnung gestellt haben. Das Schuldbekenntnis kam nur zum Teil aus innerer Einsicht und war eine mühsam durchrungene und wenig konkrete Antwort auf den dringenden Wunsch von Vertretern ausländischer Kirchen. Aber ohne dieses Bekenntnis hätte Deutschland sich sehr viel schwerer getan, wieder zurück in den Kreis der geachteten Nationen zu finden. Und die Ostdenkschrift hat jene Entspannungspolitik angestoßen, die letztendlich zur Versöhnung mit Polen und zum Ende des Eisernen Vorhangs wesentlich beigetragen hat. Und auch im Verhältnis der Konfessionen und Religionen zueinander sind in den letzten 60 Jahren Türen geöffnet worden, die vorher über viele Jahrhunderte gerade zu hermetisch verschlossen schienen. Die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die Aufhebung der Lehrverurteilungen zwischen Rom und den orthodoxen Kirchen, die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die V ersöhnung zwischen Mennoniten und Lutheranern, die Runden Tische der R eligionen – all das sind Fakten des aufeinander Z ugehens und einer Versöhnungsbereitschaft, die zu einer nie gekannten Solidarität und Geschwisterlichkeit geführt hat. Eine direkte Folge der gelebten Geschwisterlichkeit sind die ungezählten Partnerschaften zwischen Staaten, Kommunen und Kirchen in der ganzen Welt. Im Kirchenkreis, in den Dekanatsbezirken und Gemeinden pflegen wir viele Partnerschaften: zu den USA, zu Brasilien, zu Papua-Neuguinea, zu Tansania, z u Ungarn und anderen Ländern und Kirchen. Auch innerhalb Deutschlands pflegen wir die Partnerschaft zur Kirche in Mecklenburg. Das alles sind Beispiele für eine Zeit, die auf Verständigung und Dialog setzte, die Versöhnung und Frieden mit Leben gefüllt hat. Das war nicht immer einfach. Oft standen am Anfang sehr gegensätzliche und manchmal verhärtete Positionen. Mühsame Verhandlungen schufen langsam wachsendes Vertrauen in die Gegenpartei – und so wurden Verhandlungsgegner ganz allmählich zu Verhandlungspartnern. Was ich hier beschreibe, zugegebenermaßen verkürzt, hat die letzten 70 Jahre geprägt. Es hat eine Atmosphäre entstehen lassen – die manchen Fortschritt zu einem friedlicheren Miteinander der Völker und Religionen überhaupt erst ermöglichte. Es war eine Versöhnungsarbeit „um Gottes Willen“ – um eines Gottes Willen, der für Liebe und Menschenwürde stand, für Gerechtigkeit und Frieden. Jetzt stehen wir an einer Zeitenwende. Wir erleben, dass plötzlich wieder Menschen „um Gottes Willen“ nicht Versöhnung predigen, sondern Hass und Ausgrenzung. Wir sehen Bilder, in denen Menschen mit dem Namen ihres Gottes auf den Lippen anderen Menschen den Kopf abschlagen, wir sehen, wie sie Christen, Jesiden und Muslime verfolgen, vertreiben und töten. Wir haben die Bilder aus Paris noch vor Augen, wo Journalisten „im Namen Gottes“ hingerichtet, am selben Tag ein jüdischer Supermarkt überfallen und am 13. November 2015 viele unschuldige Menschen erschossen wurden. Und jetzt, vor wenigen Wochen, die schrecklichen Anschläge in Brüssel. In Frankreich verlassen immer mehr Juden das Land, weil sie sich als Juden dort nicht mehr sicher fühlen. Gotteskrieger des IS verbreiten weltweit Furcht und Schrecken im Namen ihres Gottes und der Erfüllung seines Willens. Die Spur von Gewalt, die „im Namen Gottes“ christliche und muslimische Krieger und vorgeblich Fromme unterschiedlichster Couleur in der Geschichte hinterlassen haben, muss uns verstören, irritieren und herausfordern. Wie stellen wir uns der Herausforderung des Fundamentalismus – in unserer Zivilgesellschaft ebenso wie in den Religionen, im Christentum, im Judentum, im Islam? Wir würden den Herausforderungen ja nicht gerecht, wenn wir nur auf den IS, Al Shabab oder auf Boko Haram schauten. Auch in Deutschland und Europa fordert uns ein neuer und alter Fundamentalismus heraus, der im Gesicht eines hässlichen Nationalismus daherkommt, und dessen mögliche Folgen uns an eine schreckliche Vergangenheit erinnern, die nie wieder Wirklichkeit werden darf. Stuttgarter Schuldbekenntnis Brandt in Polen 1970 Noko und Kasper bei der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung Wenn hier von manchen das sogenannte christliche Abendland ins Spiel gebracht wird, das es gegen einen bösen Islam zu verteidigen gelte, dann kommt das gerade nicht aus einer christlichen Haltung heraus, sondern aus einer sehr säkularen, gänzlich widerchristlichen Haltung eines fremdenfeindlichen und blinden Nationalismus. Wer sich heute auf das sogenannte „christliche Abendland“ beruft und das mit Fremdenfeindlichkeit oder gar Fremdenhass verbindet, wie das leider von bestimmten Gruppen geschieht, kann sich dafür nicht auf die Bibel und auch nicht auf sein Christsein berufen. In der Bibel ist der Flüchtling ein Mensch, der ganz besonders zu schützen ist: „Schütze die Gejagten, verbirg die Flüchtlinge! Breite deinen Schatten über sie, mach für sie den hellen Tag zur schützenden Nacht. Gib den Flüchtlingen Gastrecht bei dir, versteck sie vor ihren Verfolgern!“ (Jesaja 16, 3–4) „Bringt dem Durstigen Wasser entgegen, ihr Bewohner des Landes! Geht dem Flüchtling entgegen mit Brot für ihn!“ (Jesaja 21, 14). Klarer kann man es nicht sagen, als Jesaja es tut. Pegida und wie sie alle heißen, rechtsextreme Gruppen und Parteien, sind mit ihrem Hass und ihrer Hetze das klare Gegenteil von christlicher Gesinnung und christlichem Handeln. Ich mache mir große Sorgen über das, was nicht nur in Deutschland geschieht, sondern überall in Europa: das Salonfähig-Werden rechtsextremen Gedankengutes, das Erstarken rechtsextremer Parteien, Hass, Hetze und Gewalt gegen Fremde, ein Erstarken des alten und eines neuen Antisemitismus. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“, sagte Bertolt Brecht schon vor vielen Jahren. Es stimmt heute leider mehr denn je. Wie anders soll man es verstehen als rechtsradikal und menschenverachtend rassistisch, wenn Häuser für Flüchtlinge in Brand gesetzt, wenn Politiker und engagierte Bürger terrorisiert und harmlose Flüchtlinge mit fremdenfeindlichen Parolen attackiert werden. Wir dürfen nicht wegsehen und hoffen, dass das irgendwie schon wieder aufhören wird. Das ging schon einmal schrecklich schief. Ich kann verstehen, dass Menschen sich Sorgen machen, wie wir die vor uns liegenden Aufgaben bewältigen sollen, und wenn sie sich Antworten und Lösungen erhoffen. Das muss man ernst nehmen. Hier sind unsere Politiker gefragt, Antworten zu geben und Lösungen aufzuzeigen. Ich kann aber nicht verstehen, dass Menschen sich diese Sorgen zunutze machen für ihre eigenen trüben politischen Süppchen, mit denen sie andere Menschen vereinnahmen für ihre extremistischen und intoleranten Ziele. Immer wenn Menschen ihr Denken, ihren Glauben, ihre Prinzipien als absolut und allein gültig erklären, zu „Der Wahrheit“ oder zum unumstößlichen Willen Gottes, dann entsteht ein Klima der Intoleranz und Härte, dann ist Gewalt nicht mehr fern. Immer wenn Menschen die Eckpfeiler unseres Zusammenlebens „um Gottes Willen“ oder aus einer Ideologie des dumpfen Nationalismus bestreiten und bekämpfen, dann sind wir gefordert, dem entgegenzutreten mit einem aktiven Bekenntnis zu unseren Grundwerten von Demokratie, Menschlichkeit, Würde und Achtung des Anderen, auch in seiner Andersartigkeit. Dann müssen wir als Christen selbst „Um Gottes Willen“ Rechenschaft ablegen, was für ein Bild von Gott unser Denken bestimmt. Dann müssen wir uns fragen lassen, wie wir selbst von Gott sprechen. Wir können es doch nur so, dass wir von Gott reden als einem Gott der Liebe und der Menschenfreundlichkeit, der uns zu Schwestern und Brüdern macht, über die Grenzen aller Weltanschauungen und Religionen hinaus. Ich meine nicht einen süßlich „lieben Gott“, mit dem man alles zukleistern könnte. Ich meine einen Gott der Liebe, dem nachzufolgen etwas fordert. Ich meine einen Gott, der uns in die Pflicht und Verantwortung ruft, wachsam zu sein und einzutreten für das Recht jedes Menschen auf Würde, Achtung und Leben. Setzen wir Zeichen für unseren Glauben an einen Gott der Liebe. Setzen wir Zeichen, indem wir unseren Mund aufmachen für unsere Überzeugung überall da, wo uns dumpfe Stammtischparolen entgegenschallen oder die Hetze der rechten Horden. Es liegt auch an uns, dass sie wieder dort ankommen, wo sie hingehören – in der Bedeutungslosigkeit. Jeder, der wegschaut oder verharmlost, macht sich mitschuldig. Hier ist unsere Zivilcourage gefragt. Hier sind wir gefragt als Christen, die nicht nur am Sonntag von Gott reden, sondern an jedem Tag ihren Glauben leben, einen Glauben, der im anderen den Nächsten sieht, einen von Gott geliebten Menschen. Ich bin unendlich dankbar für all die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die, zum Teil seit vielen Monaten, sich der Menschen annehmen, die zu uns kommen. Ich bin unendlich dankbar für die Unzähligen, die den Geist der Menschlichkeit und der Versöhnung leben. Und ein weiteres: Natürlich sind der christliche Gott und der Gott des Islam nicht identisch. Es wäre falsch, hier allzu oberflächlich zu sagen: letztlich glaubten wir ja doch alle an denselben Gott. Und dennoch – und ohne alle Gleichmacherei, sondern in Anerkennung aller Unterschiede, finden wir im Judentum, im Christentum und auch in bestimmten Ausprägungen des Islam Züge eines menschenfreundlichen Gottesbildes. Ich will das Trennende, das manchmal auch sehr Schwierige in manchen Ausprägungen des Islam nicht wegdiskutieren. Ich weiß, dass es im Koran auch Abschnitte gibt, die zur Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen. Aber auch in der Bibel gibt es Passagen, wo zur Gewalt aufgerufen wird. Wir haben gelernt, sie in ihrem historischen Zusammenhang zu verstehen und entsprechend einzuordnen. Wenn wir weiterkommen wollen in unserem Bemühen, unsere westlichen Grundwerte und unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung auch denen nahezubringen, die aus anderen Kulturkreisen und mit einer ganz anders geprägten Religion zu uns kommen, dann dürfen wir nicht beim Trennenden stehenbleiben, sondern sind in die Pflicht gerufen, im Dialog der Religionen dort anzusetzen, wo wir gemeinsame Anknüpfungspunkte sehen. Ich meine, dass hier dem westlich geprägten, liberalen Islam, den es in manchen europäischen Ländern schon seit Jahrhunderten gibt, eine wichtige Aufgabe der Vermittlung zukommt. Pfingsten, das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, mahnt uns, gerade in diesen schwierigen Zeiten den Geist der Versöhnung zu leben – und so ein deutliches, klares und entschiedenes Zeichen zu setzen für eine Gesellschaft, die sich Menschenwürde, Gleichheit, Geschwisterlichkeit auf die Fahnen schreibt. Es ist Zeit, „Nein“ zu sagen zu Hass und Ausgrenzung – und ein „Ja“ nicht nur zu sagen, sondern es zu leben – ein „Ja“ der Versöhnung und der Geschwisterlichkeit – um Gottes und der Menschen Willen. Das ist der Geist von Pfingsten. Das ist der Geist, der vor zweitausend Jahren in Jerusalem Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen und Sprachen dazu brachte, einander zu verstehen und einander zuzuhören: „Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.“ (Apostelgeschichte 2) Das ist der pfingstliche Geist, der auch heute Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen und Sprachen dazu verhelfen kann, einander zu verstehen und einander zuzuhören. Das ist der Geist, den Gott uns auch heute sendet – wir müssen ihn nur einlassen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest Michael Grabow Kinderbetreuung in einer Asyl-Unterkunft Kundgebung in Augsburg gegen den Terror des IS Fotos: Stuttgarter Schuldbekenntnis (epd), Brandt kniend (Süddeutsche Zeitung), Kasper und Noko (Zöpf), Augsburg ist bunt (Grabow) Kinderbetreuung in einer Asyl-Unterkunft (Riske) Kundgebung in Augsburg gegen den Terror des IS (Mesopotamienverein) Evangelisch-Lutherischer Regionalbischof Fuggerstraße 11 86150 Augsburg Tel. 0821 59 70 30 [email protected] www.schwaben-evangelisch.de
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