Wien 19. August 2015 Sehr geehrte Damen und Herren, die Entwicklung am Nordbahnhof Wien schreitet seit mehreren Jahren intensiv voran. Wir Bürgerinnen und Bürger versuchen unser kreatives Potenzial – soweit es unser ehrenamtliches Engagement erlaubt – in diesen Prozess einzubringen. Leider müssen wir die dafür erforderlichen Informationen in teilweise äußerst mühsamer Recherchearbeit zusammentragen und mitunter feststellen, dass sich daraus kein einheitliches Bild ergibt. Aus diesem Grund möchten wir in diesem Schreiben einige dieser Unklarheiten anführen und Sie bitten, unserem Wunsch nach einer Darstellung des aktuellen Entwicklungstandes nachzukommen und unsere Fragen in einer transparenten und klar verständlichen Art und Weise zu beantworten. Wir beziehen uns zum einen auf den Feststellungsbescheid Prz 01315-2012/0001-GGU für die Unicredit Bank Austria. Zum Zweiten geht es uns um das gesamte Stadtentwicklungsprojekt Nordbahnhof Wien. 1 AUSTRIA CAMPUS Das Projekt wurde bekanntlich im Herbst 2014 an die Firma Signa verkauft und wird nun von dieser entwickelt und modifiziert umgesetzt. 1.1 GEPLANTE BRUTTOGESCHOSSFLÄCHE (BGF) DES AUSTRIA CAMPUS Wir entnehmen den aktuellen Unterlagen des Austria Campus Signa 1, dass nunmehr beim Vorhaben Austria Campus eine Bruttogeschoßfläche (BGF) von 303.000 m2 umgesetzt werden soll. Das dem Feststellungsbescheid zugrunde liegende Vorhaben ist aber mit einer Größe von 196.000 m 2 angeführt. Liegen wir richtig in der Annahme, dass Signa gegenüber dem im Feststellungsbescheid genannten Vorhaben um mehr als 100.000 m² zusätzliche BGF errichten wird? Lt. gültiger Flächenwidmung sind max. 164.000 m² oberirdische BGF gestattet. 1.2 In welchem Verhältnis stehen dazu die 303.000 m² Gesamt BGF? Liegen wir richtig in der Annahme, dass nunmehr 139.000 m² unterirdische BGF geplant sind? MULITFUNKTIONALITÄT DES VORHABENS Laut Projektunterlagen der Signa sind umfangreiche Flächen für Retail vorgesehen und zwar in nunmehr allen Baufeldern, insgesamt mit einer Größe von rund 5.000 m 2. Diese Retailflächen sollen lt. Signa zur Belebung beitragen. Im Feststellungsbescheid werden nur Versorgungseinrichtungen von 600 m 2 genannt, die als Hilfseinrichtungen mit dem überwiegenden Teil ihrer Fläche den Mitarbeitern eines einzigen Unternehmens, nämlich der Bank 1vgl. http://austriacampus.signa.at und Informationsbroschüre Austria Campus, Stand Juni 2015 Seite 1 von 5 Austria, und nicht jedermann zur Verfügung stehen. Die UniCredit Bank Austria wird im aktuellen Vorhaben gemäß Unterlagen der Signa nur mehr auf zwei von fünf Baufeldern Büroflächen beziehen (Baufelder 5 und 8). Es wurde auch der Projektname von Bank Austria Campus auf Austria Campus abgeändert. Im Feststellungsbescheid wurde hingegen davon ausgegangen, dass es sich um die Errichtung eines Bürokomplexes handelt, der zum überwiegenden Teil von Mitarbeitern der Bank Austria genutzt wird. Auf dem Baufeld 6.3. ist ein Konferenzzentrum geplant, dessen Nutzung vom künftigen Betreiber bestimmt wird. Im Feststellungsbescheid wird von einer Hilfseinrichtung bzw. einem internen Veranstaltungszentrum der Bank Austria, ausgegangen. Weiters ist ein HealthCenter/Ärztezentrum geplant. Im Feststellungsbescheid wird jediglich von Betriebsärzten ausgegangen. Dazu folgendes Zitat aus dem Feststellungsbescheid: „Ein integratives Gesamtkonzept [..] liegt im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor, [...]da im Wesentlichen Bürogebäude mit zugehörigen „Hilfseinrichtungen“ errichtet werden sollen, die mit dem überwiegenden Teil ihrer Flächen den MitarbeiterInnen eines einzigen Unternehmens, nämlich der Bank Austria, und nicht jedermann, was für einen Stadtteil im vorigen Sinn charakteristisch wäre, zur Verfügung stehen werden.“ 1.3 Liegen wir richtig in der Annahme, dass die Bank Austria somit nur mehr einen untergeordneten Anteil am Gesamtprojekt haben wird und die verschiedenen Einrichtungen für jedermann zur Verfügung stehen? GEPLANTE STELLPLÄTZE AM AUSTRIA CAMPUS Wir entnehmen den Projektunterlagen von SIGNA, dass nun zwei zentrale Tiefgaragen mit über 1.000 Stellplätzen geplant sind. Im Feststellungsbescheid ist von insgesamt 804 Stellplätzen die Rede. 1.4 Liegen wir richtig in der Annahme, dass es sich in Hinblick auf den oben genannten Feststellungsbescheid um eine starke Erhöhung der vorgesehenen Stellplätze handelt? GEPLANTE STELLPLÄTZE IN UNMITTELBARER NACHBARSCHAFT ZUM AUSTRIA CAMPUS In unmittelbarer Nachbarschaft zu den geplanten Tiefgaragen am Austria Campus werden in der Nordbahnstraße weitere 583 neue Stellplätze der Fa. List-Group errichtet (für Bewohner 390 Parkplätze zum Wohnsammelgaragen-Sondertarif, weitere 193 Parkplätze für Mitarbeiter der umliegenden Bürogebäude). Inwiefern wurden hier oder mit anderen Vorhaben Kumulationswirkungen geprüft? Inwiefern besteht bei diesen Vorhaben ein räumlicher und sachlicher Zusammenhang? Seite 2 von 5 1.5 ZUR FESTSTELLUNG, DASS ES SICH BEIM GEGENSTÄNDLICHEN VORHABEN AUSTRIA CAMPUS NICHT UM EIN STÄDTEBAUVORHABEN IM SINNE DES UVP-G HANDELT Der eingangs zitierte Feststellungsbescheid kommt zum Ergebnis, dass für das Vorhaben „Bank Austria Campus“ keine UVP durchzuführen ist. In Hinblick auf die unter Punkt 1.1 bis 1.4 angeführten Punkte ersuchen wir zu folgenden daraus resultierenden Fragen um Auskunft: Wie ist das modifizierte Vorhaben der Signa im Hinblick auf die oben genannten Punkte dahingehend zu beurteilen, ob ein Städtebauvorhaben im Sinne der Z 18 lit. b des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 vorliegt? Ist im Hinblick auf die oben genannten Punkte die Beurteilung des Feststellungsbescheides, dass es sich beim gegenständlichen Vorhaben nicht um ein Städtebauvorhaben im Sinne Z 18 lit. b des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 vorliegt, noch aufrecht? Hat die nunmehrige Projektwerberin Signa um Beurteilung des modifizierten Vorhabens im Hinblick auf eine allfällige UVP-Pflicht ersucht und wenn ja mit welchem Ergebnis? Falls nicht, wäre sie dazu verpflichtet? Wird die Behörde in Kenntnis der Änderungen ein neues Feststellungsverfahren einleiten? Wenn nein, warum nicht? 1.6. IM HINBLICK AUF DAS VORHABEN ALS TEIL EINES STADTENTWICKLUNGSGEBIETES Die Signa schreibt auf ihrer Website zum Vorhaben Austria Campus: „In einem der interessantesten Geschäftsstandorte Wiens kann SIGNA ein wichtiges zentrales Stadtentwicklungsgebiet entscheidend mitprägen.“ 2 Auch lt. Stadt Wien ist der Austria Campus ein Bauvorhaben innerhalb des Stadtentwicklungsgebietes Nordbahnhof. Karlheinz Hora, Bezirksvorsteher der Leopoldstadt 3: „Der Austria Campus mit seinen 9.000 Arbeitsplätzen ist ein zentraler Bestandteil dieses Gesamtprojekts...“ „Bis 2025 entsteht um den Nordbahnhof auf einer Gesamtfläche von 85 Hektar ein neuer Stadtteil. Der AUSTRIA CAMPUS ist ein wesentlicher Teil dieses zentralen Stadtentwicklungsgebietes...“ „Mit der Errichtung vieler weiterer Wohnbauten und des AUSTRIA CAMPUS geht das Viertel in die nächste große Entwicklungsphase.“ Inwieweit wurde beim gegenständlichen Vorhaben ein räumlicher bzw. sachlicher Zusammenhang mit anderen Vorhaben des Stadtentwicklungsgebiets Nordbahnhof geprüft (lt. damals gültigen Masterplan 1994) und wurden diese hinsichtlich Kumulationswirkungen geprüft? 2vgl. http://www.signa.at/aktuelle-news-detailansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=95&cHash=efca8ce01e274602cfdfc649cc17af69 3vgl. Unser Wien. Unsere Stadt. Ausgabe 4/15., S. 3 Seite 3 von 5 2 Inwieweit ist das Vorhaben Austria Campus in Hinblick auf die nun fortgeschrittene Bebauung und Planung des Städtebaulichen Entwicklungsgebiets Nordbahnhof 4 im Sinne eines Städtebauvorhabens zu beurteilen? Inwieweit, wäre der Austria Campus damit als Teil eines großen Stadterweiterungsprojektes zu beurteilen, das etwa mit dem Wiener Projekt „Monte Laa“ vergleichbar wäre? Ergibt sich daraus eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G? STÄDTEBAULICHE UVP FÜR DAS STADTENTWICKLUNGSPROJEKT NORDBAHNHOF Im Hinblick auf das oben genannte Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof ersuchen wir zudem um Antwort auf folgende Fragen betreffend der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung: Lt. Projektseite der ÖBB5 werden für das Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof folgende Angaben betreffend Kenngrößen gemacht: Entwicklungsfläche gesamt: 650.000 m² BGF gesamt: 1,2 Mio. m² Nutzung: Wohnungen, Büros, Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Schule, Kindergarten Insgesamt entstehen bis 2025 rund 10.000 Wohnungen für 20.000 Bewohner sowie Büros für rund 10.000 Arbeitsplätze Nach unserer Ansicht handelt es sich demnach um ein großes Stadterweiterungsprojekt, bei dem zweifellos ein planerischer Gesamtwille zur Realisierung eines multifunktionalen Stadtteils mittels eines integrativen Gesamtkonzepts verfolgt wird. Sowohl das Gesamtentwicklungsgebiet, als auch die einzelnen Bauphasen überschreiten zum Teil entscheidende Schwellenwerte bzw. stehen die Bauphasen (z.b. „Wohnallee mit Campus“, „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ und auch schon realisierte Abschnitte) in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang. Liegt zum Städtebaulichen Vorhaben „Nordbahnhof“ ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP vor bzw. wurde dieser Antrag von der Behörde geprüft und mit welchen Ergebnis? Uns liegen Informationen vor, dass ein entsprechender Antrag seitens der Grundstückseignerin gestellt und wieder zurückgezogen wurde. Wird die MA 22 als zuständige UVP-Behörde entsprechende Schritte zur Prüfung der UVP-Pflicht des städtebaulichen Vorhabens Nordbahnhof setzen und ein Feststellungsverfahren einleiten? Wenn nein, warum nicht? 4vgl. https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/nordbahnhof/ 5http://www.oebb-immobilien.at/de/Projektentwicklung/Wien_Nordbahnhof/index.jsp Seite 4 von 5 Hat es Bestrebungen der Wiener Umweltanwaltschaft gegeben ein Feststellungsverfahren einzuleiten? In wie weit ist in nachfolgenden Genehmigungsverfahren (Bauordnung, Gewerbeordnung, Naturschutzrecht u.dgl.) mit Schwierigkeiten zu rechnen, wenn eine UVP unterbleibt, diese aber von Parteien im Verfahren geltend gemacht wird? Wie beurteilt die Behörde die Stückelung des Vorhabens, um damit eine eventuelle UVP-Pflicht zu umgehen? Wir ersuchen um dahingehende Auskunft nach dem Wiener Auskunftsplichtgesetz und Akteneinsicht gemäß Umweltinformationsgesetz. Abschließend wollen wir unterstreichen, dass uns an einer städtebaulich höchstwertigen Entwicklung des Nordbahnhof Wien gelegen ist. Ein durchmischter und multifunktionaler Stadtteil ist ein wesentliches Kriterium um dies ermöglichen und wird mit einem klar erkennbaren gestalterischen Gesamtwillen vom Masterplan bis zur Bauausführung und entsprechenden partizipativen Gestaltungsspielräumen, wie sie auch im Step 2025 vorgesehen sind, umzusetzen sein. Zugleich wird in behördlichen Dokumenten, z.B. im o.g. Feststellungsbescheid, der Eindruck erweckt, dass wesentliche Teile des Nordbahnhof Wien keineswegs diesen Kriterien entsprechen sollen. Die zu beobachtende Entwicklung des Nordbahnhofs zeigt, dass eine derartige Argumentation, die darauf abzielt eine mögliche UVP Pflicht abzuwenden, an der Realität vorbeigeht. Wir sind der Ansicht, dass der einzigartige Standort Nordbahnhof Wien im Zentrum der Stadt zusammen mit der Entwicklung des Nordwestbahnhofs nicht der Logik einer profitorientierten Stadtentwicklung geopfert werden darf und möchten die bekannten und einsichtigen Benefits von städtebaulichen UVPs in Erinnerung rufen: Beteiligung der Öffentlichkeit, verbesserte Planung durch integrale Gesamtsicht (Naturschutz, Verkehr, Lärm, ressourcenschonde Baustellenabwicklung, Wasser etc.), Sicherstellung eines Rahmens für die folgenden Detailprozesse, Rechtliche Bindung von Kenngrößen als Obergrenzen (BGF, Stellplätze, Gebäudehöhen etc.), Rechtliche Verankerung von Planungsvorgaben (z.B. Energieeffizienz und Energieversorgung), Projektverbesserung in der Abwicklung in Bezug auf Kosten. Planungssicherheit für Bauträger z.B. Bodenbeschaffenheit. Seite 5 von 5
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