(pdf/1380 KB)Compliance-Systeme und ihre

Compliance-Systeme und ihre Auswirkungen auf die
Verfolgung und Verhütung von Straftaten der
Wirtschaftskriminalität und Korruption
(Hauptstudie)
Managementfassung
Hamta Hedayati
Heike Bruhn
Stand: Juni 2015
Das Kriminalistische Institut des Bundeskriminalamts ist zertifiziert nach DIN EN ISO 9001 (TÜV Nord CERT, Zertifikat-Registrier-Nr. 44 100 081125)
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ......................................................................................................................... 1
2
Methodisches Konzept .................................................................................................... 2
3
Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse ............................................................... 4
3.1
Polizeibefragung..................................................................................................................... 4
3.2
Staatsanwaltschaftsbefragung .............................................................................................. 4
3.3
Bewertung der Fachdezernate und Fachabteilungen ......................................................... 4
3.4
Unternehmensbefragung ....................................................................................................... 5
3.4.1
Unternehmen ohne Compliance-System ......................................................................... 6
3.4.2
Unternehmen mit Compliance-System ........................................................................... 6
3.5
Einfluss des Compliance-Systems auf die Zusammenarbeit mit Behörden...................... 7
3.6
Strafverfolgungsbehörden – Erfahrungen in der Zusammenarbeit ............................... 10
3.7
Unternehmen – Anzeigeverhalten und Erfahrungen in der Zusammenarbeit .............. 12
3.8
Beiderseitige Erwartungen an die Zusammenarbeit ........................................................ 18
3.9
Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit........................................................... 19
3.9.1
Benennung fester Ansprechpersonen ............................................................................ 19
3.9.2
Prävention von Wirtschaftskriminalität und Korruption .......................................... 20
3.10 Rechtliche Rahmenbedingungen ........................................................................................ 21
4
Handlungsempfehlungen.............................................................................................. 25
1
Einleitung
Kriminalität im Kontext des Wirtschaftslebens gewinnt verstärkt an politischer, medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Insbesondere die mediale Berichterstattung hat in den letzten Jahren
wesentlich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Themen Ethik und Moral in der Wirtschaft
beigetragen, was zu einer verstärkten sozialen Ächtung kriminellen Verhaltens von und gegen Unternehmen sowie zu gesetzgeberischen Maßnahmen geführt hat.1
Diese Entwicklungen spiegeln sich mittlerweile in den Organisationsstrukturen deutscher Großunternehmen wider, welche verstärkt sogenannte „Compliance-Programme“, „Compliance-Richtlinien“
oder „Compliance-Abteilungen“ implementieren, um den ethischen und rechtlichen Anforderungen
gerecht zu werden. Prävention und Repression von Wirtschaftskriminalität und Korruption obliegen
nicht allein staatlichen Organen, sondern werden vermehrt auch als Unternehmensaufgabe wahrgenommen.
Die vorliegende Zusammenfassung stellt die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung dar, in der
der Frage nachgegangen wurde, inwieweit Compliance-Systeme Auswirkungen auf die Aufgabenerledigung der Strafverfolgungsbehörden in Fällen von Wirtschaftskriminalität und Korruption und die
Kommunikation zwischen Unternehmen und den Strafverfolgungsbehörden haben.
Compliance wird in dieser Untersuchung als eine im Unternehmen verankerte Funktion zur Sicherstellung der Einhaltung rechtlicher und unternehmensinterner Ge- und Verbote verstanden.2 Diese weit
gefasste Definition ergibt sich daraus, dass in Deutschland keine allgemein gültige und einheitliche
Definition von Compliance existiert.3 Phänomenologisch beschränkt sich das Untersuchungsfeld auf
die Delikte der Wirtschaftskriminalität im weiteren Sinne und Korruption. Im Fokus der Untersuchung
stehen Straftaten, die nicht nur Unternehmen, sondern auch das Wirtschaftssystem oder die Allgemeinheit schädigen können. Darunter fallen Untreue, Betrug, Wirtschafts- und Industriespionage, Insiderdelikte, Produkt- und Markenpiraterie, Geldwäsche und Korruption.
Um den Einfluss von Compliance-Systemen auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in Fällen
von Wirtschaftskriminalität näher bestimmen zu können, wurden die Einstellungen und Erfahrungen
von Unternehmensangehörigen und Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden untersucht. So konnte
ein umfassendes, aber gleichzeitig aggregiertes Bild zum Themenkomplex generiert werden.
Dieser Bericht stellt die Kurzversion des Projektberichtes dar und fasst die wichtigsten Ergebnisse und
Schlussfolgerungen der empirischen Untersuchung zusammen.
1
So beispielsweise der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).
In den folgenden Ausführungen werden die Begriffe „Compliance“, „Compliance-System“ und „Compliance-Abteilung“
synonym verwendet und werden im Sinne der hier dargelegten Definition verstanden.
3
Vgl.: Engelhart, Marc: Sanktionierung von Unternehmen und Compliance. Eine rechtsvergleichende Analyse des Straf- und
Ordnungswidrigkeitsrechts in Deutschland und den USA. Duncker & Humblot. Berlin 2010: 41ff.
2
1
2
Methodisches Konzept
Für die Datenerhebung wurden quantitative und qualitative Erhebungsinstrumente verwendet. Aufbauend auf einer zuvor durchgeführten Machbarkeitsstudie, Literaturanalyse sowie Gruppendiskussion
mit Expertinnen/Experten aus den Bereichen Unternehmen, Strafverfolgung und Wissenschaft wurden
standardisierte Fragebögen für vier Untersuchungsgruppen (Polizei, Staatsanwaltschaft, Unternehmen
mit Compliance-System, Unternehmen ohne Compliance-System) entwickelt.
Im Detail wurden personelle und institutionelle Daten sowie Einschätzungen der Akteure zu folgenden
Themenblöcken erfasst:
•
Wahrgenommene Veränderungen durch Compliance
•
Anzeigeverhalten
•
Erfahrungen in der Zusammenarbeit
•
Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit
In der Untersuchungsgruppe Polizei wurden 161 Fachdezernate für Wirtschaftskriminalität und Korruption kontaktiert. Im Ergebnis nahmen an der Polizeibefragung insgesamt 238 Polizeivollzugsbeamtinnen/Polizeivollzugsbeamte teil.
Zur Durchführung der Staatsanwaltschaftserhebung wurden alle deutsche Staatsanwaltschaften (ohne Zweigstellen), Generalstaatsanwaltschaften und die Bundesanwaltschaft angeschrieben (144 versendete E-Mails). Es konnte ein Rücklauf von 145 Fragebögen erzielt werden.4
Für die Unternehmensbefragung wurde auf Grundlage einer Unternehmensdatenbank eine Zufallsauswahl von deutschen Großunternehmen getroffen. Gegenstand der Untersuchung sind Unternehmen,
die in Deutschland mindestens 500 Mitarbeiter/innen beschäftigen, was in dieser Untersuchung auch
die Definition für Großunternehmen darstellt. Die Grundgesamtheit der gezogenen Stichprobe lag zum
Zeitpunkt der Auswahl bei 4 997 Unternehmen (Abbildung 1).
Damit in die Stichprobe eine aussagekräftige Anzahl von Unternehmen mit Compliance-System gelangen konnte, wurden von den 4 997 Unternehmen all diejenigen bei der Auswahl berücksichtigt, die
mehr als 4 999 sozialversicherungspflichtig Beschäftige aufweisen. Somit gelangten 467 Unternehmen
in die Vollerhebung. Von den übrigen Unternehmen mit 500 bis 4 999 Beschäftigten wurde eine Zufallsauswahl von 1 000 Unternehmen getroffen.
Insgesamt wurden 1 467 Großunternehmen mit der Bitte angeschrieben, den Fragebogen an die zuständige Person bzw. Abteilung weiterzuleiten, die sich mit Fällen von Wirtschaftskriminalität und
Korruption beschäftigt (Geschäftsführung, Interne Revision, Compliance, Risikomanagement etc.).
4
Dass die Anzahl der angeschriebenen Staatsanwaltschaften (144) und die der zurückgesendeten Fragebögen (n = 145) nahezu deckungsgleich sind, ist zufällig entstanden und bedeutet nicht, dass die angeschriebenen Justizbehörden jeweils einen
Fragebogen zurückgesendet haben.
2
371 Unternehmen beantworteten den Fragebogen. Die Rücklaufquote beträgt demnach 25,3 Prozent.
Von den insgesamt 371 Unternehmen gaben 65 Prozent (n = 242) an, über ein Compliance-System zu
verfügen. So lag der Anteil der Unternehmen ohne Compliance-System bei 35 Prozent (n = 129).
Abbildung 1: Auswahl der Unternehmen für die Unternehmensbefragung
Unternehmensdatenbank
< 30000 registrierte Unternehmen
Auswahl Unternehmen nach Größe, Branche, E-MailAdresse:
4997 Unternehmen
Auswahl Unternehmen ab 5000 MA:
467 Unternehmen (Vollerhebung)
Auswahl Unternehmen mit 500 bis 4999 MA:
1000 Unternehmen (Zufallsstichprobe)
Rücklauf:
371 Unternehmen
Unternehmen mit einem Compliance-System:
242 Unternehmen
Unternehmen ohne ein Compliance-System:
129 Unternehmen
Im Anschluss an die quantitative Datenerhebung und Auswertung des Datenmaterials wurde zur
Überprüfung der erhobenen Ergebnisse und zur Erweiterung des Erkenntnisrahmens eine zweite
Gruppendiskussion mit Expertinnen/Experten aus den Bereichen Strafverfolgung, Unternehmen und
Wissenschaft durchgeführt.5
5
Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse beziehen sich sowohl auf die Erkenntnisse aus den standardisierten Fragebögen
als auch auf die Auswertungen der Gruppendiskussionen. Zur Wahrung der Anonymität der beteiligten Expertinnen und
Experten aus den Workshops wird im Folgenden beim Zitieren lediglich die männliche Form, z.B.: „Experte“ genutzt, auch,
wenn die Aussage durch eine Expertin getroffen wurde.
3
3
3.1
Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
Polizeibefragung
Fast alle teilnehmenden Polizeibeamtinnen/Polizeibeamte waren zum Zeitpunkt der Befragung in einem Fachdezernat für Wirtschaftskriminalität und/oder Korruption tätig. 46 Prozent der Befragten arbeiten schon länger als 10 Jahre in diesen Deliktsfeldern – die durchschnittliche Beschäftigungsdauer im Fachdezernat beträgt 9,4 Jahre.
Die Hälfte der Befragten hat bisher mehr als fünfmal an Fortbildungen zum Thema Wirtschaftskriminalität und/oder Korruption teilgenommen. Der überwiegende Teil (86 %) ist mit der Qualität
der Fortbildungen (eher) zufrieden. Hinsichtlich des Themas Compliance ist die Mehrheit (81 %) der
Auffassung, dass Kenntnisse und Informationen zum Thema Compliance für die polizeiliche Aufgabenerledigung von Vorteil sind. Entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten sind jedoch wenigen
bekannt.
3.2
Staatsanwaltschaftsbefragung
80 Prozent aller teilnehmenden Staatsanwältinnen/Staatsanwälte waren zum Befragungszeitpunkt in
einer Fachabteilung für Wirtschaftskriminalität und/oder Korruption tätig. Im Vergleich zur Polizeibefragung arbeiten nur 19 Prozent schon länger als 10 Jahre in diesem Phänomenbereich. Sie sind
im Durchschnitt seit 5,4 Jahren in der Fachabteilung tätig.
Die Hälfte der Befragten hat bisher zwei- bis fünfmal an Fortbildungen zum Thema Wirtschaftskriminalität und/oder Korruption teilgenommen. 28 Prozent haben noch gar keine oder erst einmal
eine justizinterne Fortbildung besucht. Dieser hohe Anteil geht auch damit einher, dass die meisten
noch nicht sehr lange in ihrer Fachabteilung tätig sind. Unter denen, die mindestens einmal an einer
Fortbildung teilgenommen haben, waren fast alle (94 %) mit der Qualität der Fortbildungen (eher)
zufrieden. Im Vergleich zu den befragten Polizistinnen/Polizisten geben weniger Staatsanwältinnen/Staatsanwälte, aber mehr als die Hälfte (65 %) an, dass Kenntnisse und Informationen zum
Thema Compliance für die staatsanwaltliche Aufgabenerledigung von Vorteil sind. Auch hier sind
entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten nur wenigen bekannt.
3.3
Bewertung der Fachdezernate und Fachabteilungen
Das Fachwissen des Personals im eigenen Dezernat bzw. in der eigenen Abteilung bewerten sowohl
die Angehörigen der Polizeibehörden als auch der Staatsanwaltschaften durchschnittlich mit der Note
Gut (Polizei: 2,4; StA: 2,3). Ein gezielter Einsatz von Wirtschaftskriminalisten bzw. Wirtschaftsreferenten und eine Spezialisierung des Personals werden von beiden Untersuchungsgruppen als entscheidende Erfolgsfaktoren bewertet.
4
Die personelle Ausstattung des Dezernats bzw. der Fachabteilung wird im Durchschnitt mit der Note
Befriedigend (Polizei: 3,5; Staatsanwaltschaft: 3,2) bewertet. Hierbei wird von den befragten Strafverfolgerinnen/Strafverfolgern insbesondere auf die zunehmende Komplexität der Ermittlungsverfahren
hingewiesen, die einen hohen personellen Einsatz erfordert. Die Erläuterungen der befragten Staatsanwältinnen/Staatsanwälte verdeutlichen aber auch, dass insbesondere die Polizeibehörden von personellen Engpässen betroffen sind.
Die Schnelligkeit der Ermittlungen wird von beiden Gruppen als befriedigend (Polizei: 3,3; Staatsanwaltschaft: 3,4) bewertet. Hierbei beurteilen insbesondere Befragte, die die personelle und technische Ausstattung als vergleichsweise schlecht eingestuft haben, auch die Schnelligkeit der Ermittlungen vergleichsweise schlechter.
Auch die technische Ausstattung der Dezernate bzw. Fachabteilungen erhält von beiden Untersuchungsgruppen die Note Befriedigend (Polizei: 3,1; Staatsanwaltschaft: 3,0). Die Bewertungen beziehen sich nicht allein auf die technische Ausstattung der Fachdezernate und -abteilungen, sondern auch
auf die vorhandenen Möglichkeiten zur Auswertung sichergestellter Datenträger.
3.4
Unternehmensbefragung
An der Unternehmensbefragung nahmen überwiegend leitende bzw. geschäftsführende Mitarbeiter/innen aus Großunternehmen teil. Über die Hälfte war zum Zeitpunkt der Befragung in der Compliance-Abteilung tätig.
Unternehmen mit 1 001 bis 4 999 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (MA) sind mit einem Anteil von
39 Prozent am stärksten in der Untersuchung vertreten und damit, aufgrund der bewusst gewählten
Auswahlkriterien, überrepräsentiert. Feststellbar ist, dass mit zunehmender Beschäftigtenanzahl die
Verbreitung von Compliance-Systemen zunimmt. Ab einer Beschäftigtenzahl von 5 000 verfügen
rund 80 Prozent der Unternehmen über ein Compliance-System.
Unternehmen mit Compliance-System gehören häufiger einer ausländischen Muttergesellschaft an
und weisen häufiger eine Börsennotierung (mit und ohne US-Börse) auf als Unternehmen, die kein
Compliance-System implementiert haben. Hinsichtlich der Niederlassungen im Ausland unterscheiden sich Unternehmen mit (64 %) und ohne (59 %) Compliance-System dagegen nicht signifikant
voneinander.
An der Befragung haben Unternehmen aus allen Branchen teilgenommen. Die Verbreitung von Compliance ist weitestgehend branchenunabhängig. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben verfügen im Bereich des Versicherungswesens und des Finanzsektors alle Unternehmen über ein Compliance-System.
5
3.4.1
Unternehmen ohne Compliance-System
Von den 129 Unternehmen ohne Compliance-System geben 36 Prozent an, dass die Implementierung
eines Compliance-Systems für die nächsten Monate geplant sei. Als Grund für die NichtImplementierung eines Compliance-Systems gibt die Hälfte (50 %) der Unternehmen an, dass mit
den derzeitigen Strukturen alle Compliance-Maßnahmen erfüllt werden und sich daher die (formale)
Einführung eines solchen Systems erübrigt. 44 Prozent dieser Unternehmen sind weiterhin der Ansicht, dass der organisatorische Aufwand zu groß sei. Nur 18 Prozent der Unternehmen geben gezielt
an, dass bei dieser Entscheidung finanzielle Aspekte eine Rolle spielen.
Sensibilisierungsschulungen und die Erstellung eines Verhaltenskodexes sind Maßnahmen, die auch
vom überwiegenden Teil der Unternehmen ohne Compliance-System bereits umgesetzt werden oder
unmittelbar geplant sind.
3.4.2
Unternehmen mit Compliance-System
Die meisten von den 242 Unternehmen, die über ein Compliance-System verfügen, haben ihr Compliance-System im Jahr 2008 und 2010 eingeführt. Compliance-Systeme waren zum Zeitpunkt der Befragung (Oktober 2013 bis Januar 2014) im Durchschnitt 5,4 Jahre implementiert. Die Einführung
relevanter Regularien, öffentlich diskutierte Skandale und Schadensfälle scheinen einen positiven Einfluss auf die deutsche Compliance-Entwicklung gehabt zu haben (Abbildung 2).
Abbildung 2: Jahr der Einführung des Compliance-Systems
33
35
33
30
Anzahl der Nennungen
30
2002: Einführung
der SOX & des
DCGK
25
2006: „SiemensSkandal“
21
20
20
17
19
14
15
10
5
6
3
0
0
1993
2
1995
1
0
1997
1
2
1999
1
3
2001
8
3
2
2003
2005
2007
2009
2011
2013
n = 220, Maximum = 20 Jahre, Minimum = 3 Monate, Mittelwert = 5,4 Jahre; Modi = 5 Jahre (2008) und 3 Jahre (2010)
Ein starkes Argument für die Implementierung von Compliance-Strukturen ist der Schutz des Unternehmens vor möglichen Haftungsrisiken. Fast alle Unternehmen erkennen Compliance-Strukturen
auch als Teil einer modernen Unternehmensführung an. Es zeigt sich, dass nicht nur regulatorische
Maßnahmen den Druck zur Einführung von Compliance-Systemen erhöhen, sondern auch die Unter-
6
nehmen selbst diesen Druck an andere Unternehmen (Partnerunternehmen in der Lieferkette, Konkurrenzunternehmen) weitergeben.
39 Prozent der Unternehmen und hierunter insbesondere sehr große Unternehmen (> 10 000 MA)
verfügen über eigenständige und separate Compliance-Abteilungen. Bei den meisten Unternehmen
werden Compliance-Aufgaben aber zusammen bzw. parallel mit denen der Rechtsabteilung wahrgenommen.
Die personelle Ausstattung der Compliance-Bereiche variiert sehr stark (0,25-150 MA). Die meisten
Unternehmen stellen eine volle Beschäftigtenstelle für ihr Compliance-System zur Verfügung. In der
Tendenz steigen mit zunehmender Unternehmensgröße auch die Anzahl der vollen Stellen für den
Bereich Compliance sowie der Anteil der Beschäftigten, die ausschließlich Compliance-Aufgaben
wahrnehmen. Bei der Frage nach der Zufriedenheit mit der personellen Ausstattung des Compliance-Systems ist eine Tendenz zur Mitte im Antwortverhalten der Unternehmensangehörigen erkennbar (35 % „weder noch-Antworten“). Nur gut die Hälfte der befragten Unternehmensangehörigen
(55 %) ist (vollkommen) zufrieden mit der personellen Ausstattung des Compliance-Systems.
Für die befragten Unternehmen hat ihr Compliance-System einen überwiegend präventiven Charakter. Die Hälfte der Unternehmen lässt auch Kontrollen und Untersuchungen von Verdachtsfällen von
der Compliance-Abteilung durchführen. Circa drei Viertel der Probandinnen/Probanden (74 %) geben
an, dass ihr Compliance-System für die Nachverfolgung der Compliance-Verstöße zuständig ist. Nur
wenigen (34 %) Compliance-Bereichen obliegt die Bestimmung der Konsequenzen bei konkreten
Compliance-Verstößen.
3.5
Einfluss des Compliance-Systems auf die Zusammenarbeit mit Behörden
Untersuchungsfrage:
• Hat die Einrichtung von Compliance-Systemen Auswirkungen auf die Arbeit der Polizei im
präventiven und repressiven Bereich?
Die Analysen zeigen, dass das Thema Compliance in erster Linie interne Unternehmensprozesse
betrifft und weniger äußere Wirkungsbereiche berührt. So wird von den Unternehmen durchaus wahrgenommen, dass die Beschäftigten in den Unternehmen auf allen Ebenen stärker als zuvor für die
Themen Wirtschaftskriminalität und Korruption sensibilisiert sind und sich insgesamt das Fachwissen
für die Prävention und Repression von Wirtschaftskriminalität und Korruption verbessert hat. Die
unternehmensinterne Bedeutung von Compliance-Systemen ist stärker ausgeprägt als ihre Außenwirkung.
7
Die Zusammenarbeit mit Behörden hat sich aus Sicht der Unternehmen durch die Einführung ihres
Compliance-Systems nicht wesentlich verändert. Nur wenige geben an, dass die Zusammenarbeit mit
der Polizei (15 %) und Staatsanwaltschaft (10 %) zugenommen bzw. sich intensiviert hat. Eine Veränderung der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden wird dagegen stärker bei Ermittlungen
wahrgenommen: Rund ein Viertel der Unternehmensangehörigen geben an, dass durch den Einfluss
des eigenen Compliance-Systems die Zusammenarbeit bei Ermittlungen mit der Polizei (25 %) und
der Staatsanwaltschaft (22 %) zugenommen und/oder sich intensiviert hat.
Der Einfluss des Compliance-Systems wirkt vielmehr auf die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern: Aus Sicht der meisten befragten Unternehmen hat die Zusammenarbeit mit externen Beraterinnen/Beratern, insbesondere bei der Präventionsarbeit, zugenommen bzw. sich intensiviert. Dies
wird auch bei Betrachtung der vorhandenen Erfahrungswerte in der Zusammenarbeit mit externen
Dienstleistern deutlich: Lediglich 13 Prozent der Unternehmen mit Compliance-System haben bisher
noch nie mit externen Beraterinnen/Beratern im Bereich der Prävention zusammengearbeitet. Bei Unternehmen ohne Compliance-System ist dieser Wert mit 42 Prozent deutlich höher. Eine Professionalisierung der Unternehmen bei der Vorbeugung und Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität durch
den Einfluss ihres Compliance-Systems ist demnach erkennbar. Es wird deutlich, dass ComplianceSysteme bei deutschen Großunternehmen eine stark präventive Ausrichtung haben und die Unternehmen in der Regel professionellen Rat bei externen Beratungsunternehmen einholen.
Aber auch bei der Untersuchung von Verdachtsmeldungen wird in der Folge der Einrichtung von
Compliance-Systemen vermehrt externe Beratung hinzugezogen. Neben der Gewinnung spezialisierten Wissens hat die Beauftragung dieser Dienstleistung das Ziel, Transparenz und Unabhängigkeit der
getroffenen Maßnahmen zu gewährleisten sowie Verdachtsfälle zu konkretisieren. Verstärkt wird diese Entwicklung der unabhängigen Verdachtsuntersuchungen (Internal Investigations) durch USamerikanischen Regelungen. Die US-Börsenaufsichts- und Sanktionsbehörden berücksichtigen die
eigenständigen Aufklärungsbemühungen von Unternehmen sowohl bei der Entscheidung über eine
Anklageerhebung als auch bei der Frage des Strafmaßes positiv. So „ist also festzuhalten, dass die
staatliche Initiative [der US-amerikanischen Sanktionsbehörden; A.d.V.] den maßgeblichen Grund für
die Durchführung der Internal Investigations“ 6 liefert.
Diese US-amerikanischen Regelungen haben zwangsläufig auch Einfluss auf die Entscheidungen und
Handlungen international agierender deutscher Unternehmen im Falle eines Compliance-Verstoßes.
Jedoch unterscheidet sich das deutsche Recht maßgeblich von den US-amerikanischen Regelungen.
Aus dem Wortlaut der deutschen Bestimmungen lässt sich ableiten, dass Compliance in erster Linie
als präventives Instrument klassifiziert wird, was sich auch in den Ergebnissen der Untersuchung hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Compliance-Systeme widerspiegelt. Konkrete Vorgaben,
6
Reeb, Philipp: Internal Investigations. Neue Tendenzen privater Ermittlungen. Verlag Duncker & Humblot. Berlin 2011:
24.
8
wie ein Unternehmen mit einem Compliance-Verstoß umgehen muss bzw. sollte, ob und wann die
Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden müssen, können dem deutschen Recht nicht entnommen werden. Die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden bleibt demnach eine unternehmerische
Führungsentscheidung, obwohl die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden auch hierzulande
als strafmildernd anerkannt werden kann.7
Diese Unterschiede der Rechtssysteme führen folglich dazu, dass die jeweiligen Akteure unterschiedliche Erwartungen an die Zusammenarbeit im konkreten Verdachtsfall knüpfen. Während in den
USA interne Aufklärungsmaßnahmen von den Unternehmen erwartet und strafmildernd gewertet werden, zeigen sich deutsche Strafverfolger/innen häufig kritisch hinsichtlich der Objektivität und der
gerichtlichen Verwertbarkeit der von Unternehmen gelieferten Ermittlungsergebnisse (Abbildung 3).
Bei der internen Aufklärungsarbeit in Verdachtsfällen ist bei global tätigen deutschen Unternehmen
eine „Angloamerikanisierung“ der Prozesse festzustellen. In Deutschland sind jedoch die rechtlichen
Grundlagen für Zusammenarbeitsformen wie in den USA zwischen den Unternehmen und den Strafverfolgungsbehörden nicht vorhanden. Damit prallen unterschiedliche Erwartungen an die Zusammenarbeit aufeinander, die Spannungen erzeugen und die Kooperation zwischen Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen erschweren können.
Unternehmen mit Compliance-System arbeiten wesentlich häufiger mit den Strafverfolgungsbehörden
zusammen als Unternehmen ohne Compliance-System. Bei der Ermittlungszusammenarbeit ist die
Anzahl der Unternehmen mit Compliance-System, die bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität
bisher mit der Polizei und/oder der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet haben, fast doppelt so
hoch wie die der den Unternehmen ohne Compliance-System. So zeigen die Analysen, dass Unternehmen mit Compliance-System mehr Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Polizei, der
Staatsanwaltschaft und insbesondere externen Dienstleistern haben als Unternehmen ohne Compliance-System – die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden beschränkt sich jedoch auf
konkrete Ermittlungsverfahren. Dies stimmt mit dem Ergebnis überein, dass Unternehmen mit Compliance-System, die in Regel auch die höchsten Beschäftigtenzahlen aufweisen, von deutlich mehr
bekannt gewordenen Verdachtsfällen im Unternehmen berichten und somit automatisch mehr Fälle zur
Anzeige bringen als Unternehmen ohne Compliance-System. Bei der Prävention von Wirtschaftskriminalität und Korruption besitzen fast alle Unternehmen wenige bis gar keine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden.
Die Antworten der PVB und StA deuten darauf hin, dass Auswirkungen von Compliance-Systemen
nur vereinzelt wahrgenommen werden und dann eher im Rahmen der Ermittlungsarbeit. Innerhalb der
Untersuchungsgruppen Polizei und Staatsanwaltschaft besteht eine uneinheitliche Wahrnehmung darüber, ob die Einrichtung von Compliance Systemen zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen
Unternehmen und Strafverfolgung geführt hat. Die Gruppe derer, die eine verstärkte Zusammenarbeit
7
Vgl. Reeb 2011: 25ff.
9
wahrgenommen hat, ist ebenso groß wie die Gruppen, die eine gegensätzliche Position vertreten oder
sich hinsichtlich der Beantwortung der Frage unschlüssig sind. Die unterschiedliche Wahrnehmung
der Gruppen der PVB und der StA unterstreicht die Annahme, dass konträre Erfahrungen gemacht
wurden. Neben den eigenen Vorkenntnissen zum Thema Compliance spielt sicherlich auch eine Rolle,
in welcher Region die Strafverfolger/innen tätig und inwieweit in der Praxis Berührungspunkte zu
Unternehmen mit Compliance-Systemen vorhanden sind.
3.6
Strafverfolgungsbehörden – Erfahrungen in der Zusammenarbeit
Untersuchungsfrage:
• Wer sind die richtigen Ansprechpersonen in den Unternehmen (Compliance-Abteilung, Interne Revision, Rechtsabteilung) für die Strafverfolgungsbehörden?
• Welche Probleme haben die Strafverfolgungsbehörden mit den Unternehmen im Hinblick
auf die Zusammenarbeit?
• Welche Chancen und Risiken liegen in den internen Vorermittlungen durch die Compliance-Bereiche?
Die Kommunikation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem betroffenen Unternehmen verläuft häufig über einen Beschäftigten, der als Schnittstelle fungiert. Dieser ist bei Unternehmen mit Compliance-System am häufigsten in der Rechtsabteilung und/oder in der ComplianceAbteilung des Unternehmens tätig. In Unternehmen ohne Compliance-System obliegt diese Aufgabe
am häufigsten der Unternehmensleitung.
Drei Viertel der Polizeibeamtinnen/Polizeibeamten (75 %) und die Hälfte der Staatsanwältinnen/Staatsanwälte (52 %) verfügen über Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit internen Ermittlerinnen und Ermittlern in konkreten Strafverfahren. Deutlich mehr als die Hälfte dieser Strafverfolger/innen empfand die Zusammenarbeit mit internen Ermittlerinnen/Ermittlern als angemessen und
zufriedenstellend, so dass sich hier ein insgesamt positives Bild abzeichnet. Gleichwohl geben ähnlich viele Angehörige der Strafverfolgungsbehörden an, dass die Art und Richtung der Kooperation
von der Weisung der Unternehmensführung beeinflusst wird und daher je nach Fall unterschiedlich
verläuft. Entsprechend divergieren aus Sicht der Strafverfolger/innen die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit je nach Fall. Die am häufigsten genannten Probleme in der Zusammenarbeit wurden
zusammengefasst und in Bezug zueinander dargestellt (Abbildung 3).
10
Abbildung 3: Probleme in der Zusammenarbeit aus Sicht der Strafverfolger/innen
Die fehlende Unabhängigkeit der internen Ermittler/innen wird von der Strafverfolgung häufig als
Problem in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Wie bereits andere Untersuchungen gezeigt haben,
ist die Position und Stellung der internen Expertinnen/Experten im Unternehmen entscheidend dafür,
wie ein Unternehmen auf einen Verdachtsfall von Wirtschaftskriminalität und Korruption reagiert.
Aktive und mächtige interne Expertinnen/Experten setzten häufiger eine Strafanzeige durch.8
In der Folge berichten viele Strafverfolger/innen von einer interessengeleiteten Filterung von Informationen, die Zweifel an der Aussagekraft des von dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Datenmaterials aufkommen lassen. Solche Selektionsmaßnahmen der Unternehmen werden aus Sicht der
Strafverfolger/innen insbesondere dann beobachtet, wenn ranghöhere Beschäftigte des Unternehmens
verdächtigt werden oder von einer Mitverantwortung des Unternehmens zum Beispiel durch eine Verletzung der Organisationspflichten auszugehen ist.
Hinsichtlich der Qualität des Datenmaterials kommt für die Strafverfolgungsbehörden erschwerend
hinzu, dass die bei internen Ermittlungen erhobenen Informationen, z.B. in Interviews, oftmals nicht
gerichtsverwertbar sind, da sie die an Vernehmungen gestellten rechtsstaatlichen Erfordernisse nicht
erfüllen. Zum einen liegt dies daran, dass die Informationen von den internen Ermittlerinnen/Ermittlern zunächst für einen anderen Zweck und mit einem anderen Ziel erhoben wurden und die
8
Vgl.: Ziegleder, Diana: Wirtschaftskriminalität im Geschäftsleben. Eine empirische Untersuchung formeller und informeller
Handlungsstrategien von Unternehmen am Beispiel Deutschlands. Nomos Verlag. Baden Baden 2010: 195.
11
internen Untersuchungen eben nicht den strafprozessualen Formerfordernissen unterliegen. Zum anderen kann es auch dem Umstand geschuldet sein, dass den Beschäftigten die kriminalistischen Kenntnisse fehlen, um einordnen zu können, wie das Datenmaterial für die Strafverfolgung aufbereitet sein
muss.
Das fehlende kriminalistische Wissen hat häufig auch zur Folge, dass das polizeiliche und staatsanwaltliche Vorgehen oftmals nicht nachvollziehbar erscheint (Bsp.: interne Kommunikationsstrukturen,
Beweissicherung), als Folge dessen das Handeln der Strafverfolger/innen „fehlbewertet“ wird und
dadurch die Kommunikation und Zusammenarbeit erschwert wird. Viele Strafverfolger/innen berichten davon, dass den Unternehmen das Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden fehle.
Dabei dominiere insbesondere die Befürchtung, dass sensible Informationen an die Presse weitergegeben würden.
Hemmend auf eine Zusammenarbeit wirkt sich zudem das Problem der Normenkollision. So können
beispielsweise arbeitsrechtliche Schritte den Erfolg strafrechtlicher Ermittlungen gefährden. Zudem
nehmen die Polizeibeamtinnen/Polizeibeamten sowie die Staatsanwältinnen/Staatsanwälte zunehmend
wahr, dass die Strafverfolgung den Unternehmen allein zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
dient und eine Anzeigeerstattung nur zu diesem Zweck erfolgt.
3.7
Unternehmen – Anzeigeverhalten und Erfahrungen in der Zusammenarbeit
Untersuchungsfragen:
• Hat die Einrichtung von Compliance-Systemen Auswirkungen auf die Anzeigebereitschaft
von Unternehmen?
• Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung in Unternehmen, in Fällen von Wirtschaftskriminalität und Korruption Anzeige zu erstatten? Wo liegen ggf. Schwellenwerte?
Gibt es Kriterienkataloge?
• Welche Probleme haben die Compliance-Verantwortlichen mit den Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf die Zusammenarbeit?
Betrachtet man die Größe der Unternehmen nach der Anzahl der Beschäftigten, unabhängig von dem
Vorhandensein eines Compliance-Systems, ist festzustellen, dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Anzahl der Verdachtsfälle steigt, aber die durchschnittliche Anzeigequote sinkt.
12
Abbildung 4: Mittlere Anzeigequote (in Prozent) im Verhältnis zur Unternehmensgröße
61,1%
53,0%
40,5%
31,9%
500 bis 1000 MA
1001 bis 5000 MA
5001 bis 10000 MA
über 10000 MA
n = 171
Da mit zunehmender Unternehmensgröße auch die Verbreitung von Compliance-Systemen zunimmt,
berichten diese im Vergleich zu Unternehmen ohne Compliance-Strukturen ebenfalls von deutlich
mehr Verdachtsfällen. Unternehmen mit Compliance-System sind im Durchschnitt von 11,7 bekannt
gewordenen Verdachtsfällen und Unternehmen ohne Compliance-System von durchschnittlich 1,8
Fällen betroffen. Hinzu kommt, dass diese Unternehmen möglicherweise stärkere Kontrollen zur Aufdeckung von Verstößen durchführen. Unternehmen mit Compliance-System weisen allerdings keine
höhere Anzeigebereitschaft als Unternehmen ohne Compliance-System auf. Die Anzeigequote beträgt jeweils circa 50 Prozent. Durch die deutlich höhere Anzahl an Verdachtsfällen, die bei Unternehmen mit Compliance-System und sehr großen Unternehmen bekannt werden, bringen diese aber
zwangsläufig mehr Fälle zur Anzeige.
Über klare, niedergeschriebene Kriterienkataloge zur Entscheidungsfindung über die Mitteilung eines Falls an die Strafverfolgungsbehörden verfügen nur wenige Unternehmen (n = 16). Die Entscheidung zur Anzeigenerstattung ist aus Sicht der Unternehmen in erster Linie einzelfallabhängig und
deliktsunabhängig. Eine hohe Schadensumme und die erwartete Überführung der/des Tatverdächtigen
mit Hilfe der staatlichen Ermittlungskompetenzen fördern die Entscheidung der Unternehmen zur
Anzeigenerstattung. Eine Schadenswiedergutmachung und Kooperation der Täterin/des Täters
führen dagegen eher dazu, von einer Strafanzeige abzusehen.
Die Strafverfolgungsbehörden vermuten deutlich mehr Faktoren, die die Unternehmen davon abhalten,
Anzeige zu erstatten. So werden beispielsweise eine hohe Position und lange Beschäftigungsdauer
der/des Tatverdächtigen im Unternehmen, ein drohender Imageschaden und eine rechtliche Selbstbelastung des Unternehmens genannt. Nach Angaben der meisten Unternehmen spielen diese Faktoren
13
für die Entscheidung keine Rolle. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die jeweiligen Untersuchungsgruppen unterschiedliche Einschätzungen zum Anzeigeverhalten haben.
Mit Hilfe der freitextlichen Angaben der Unternehmen konnten die wesentlichen Gründe skizziert
werden, die aus Sicht der Unternehmen das Absehen von einer Strafanzeige begründen. Gleichzeitig
werden damit die aus Sicht der Unternehmen bestehenden Probleme in der Zusammenarbeit mit den
Strafverfolgungsbehörden beschrieben (Abbildung 5).
Abbildung 5: Gründe gegen eine Strafanzeige aus Sicht der Unternehmen
Der Nutzen einer Strafanzeige ist für Unternehmen häufig nicht ersichtlich. Insbesondere Erfahrungen
mit Verfahrenseinstellungen führen dazu, dass Verdachtsfälle nicht angezeigt werden. Als weiterer
Grund wurde geäußert, dass die Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden nicht ausreichen, um
eine effektive Sachverhaltsaufklärung bei den häufig sehr aufwändigen Wirtschaftskriminalitätsverfahren durchzuführen.
Viele Unternehmen berichten zudem von Unsicherheit bei der Bewertung der strafrechtlichen Relevanz der einzelnen Sachverhalte und dem „richtigen“ Zeitpunkt der Meldung eines Verdachtsfalls, so
dass gerade hier externe Dienstleister zur Beratung herangezogen werden. Dies ist auch dem Umstand
geschuldet, dass den Unternehmen oft keine Ansprechpersonen bei den Strafverfolgungsbehörden
bekannt sind.
14
Unternehmen selektieren demnach nicht nur nach Opportunitätsgründen, sondern sind häufig auch
unsicher, ob ein Fall überhaupt relevant für die Strafverfolgungsbehörden ist. Nachfolgend beschreibt
der Leiter einer Compliance-Abteilung, warum sich eine konsequente Meldung der im Unternehmen
bekannt gewordenen Fälle schwierig gestaltet:
„Ich weiß nicht, ob sie glücklich sind mit den […] Fällen. Die wollen sie nicht sehen. Sie wollen
die […] sehen, die interessant sind. Aber von denen, sage ich Ihnen, werden sie mit vielen nicht
klarkommen, weil die sehr unternehmensspezifisch sind. […] Verletzung von Regeln, die letztlich ein Betrug sind, die aber kaum ein deutscher Kriminaler wird aufklären können, […]. Aber
da sind ja auch wieder 50 Prozent dabei, die nach interner Analyse […] sich als unbegründet
herausstellen.[…]. Wenn Sie wollen, dass wir anzeigen, müssen Sie uns sagen, in welchem Stadium wollen Sie die Fälle haben, welche wollen Sie haben, womit können Sie überhaupt was anfangen? Wollen Sie nur deutsche Fälle haben oder interessiert es Sie, wenn ein deutscher Mitarbeiter in China irgendwas anstellt? Fragen über Fragen. Und deshalb, […] die Bitte an das
Unternehmen, möglichst viel anzuzeigen, ich sage es mal provokant, das müssen Sie sich genau
überlegen.“9
Dabei wird sowohl die Quantität als auch die Qualität der im Unternehmen bekannt gewordenen Fälle
als problematisch bewertet. Neben der Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ab wann und in welchem
Zustand ein Verdachtsfall an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden sollte, bestehen
auch Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden, wie nachfolgend ein
weiterer Unternehmensvertreter beschreibt:
„Ich glaube, es ist wichtig […], dass man Transparenz schafft, […] und ein größeres Maß an
Einheitlichkeit hinbekommt. Wie sind die Reaktionen der Strafverfolgungsorgane, wie reagiert
eine Staatsanwaltschaft, wie reagiert eine Kriminalpolizei? Wir haben auf der einen Seite einmal eine Hundertschaft Bewaffneter durch Wohnhäuser gehen sehen und auf der anderen Seite
ein wirklich koordiniertes Verfahren, bei dem man gemeinsam versucht hat, den Sachverhalt
aufzuklären. Da haben wir alles erlebt.“10
Negative Erfahrungen der Unternehmen in der Zusammenarbeit führen auch zu einem Vertrauensverlust, der die Angst der Unternehmen vor der Unkontrollierbarkeit der Situation und möglichen
Imageschäden schürt. In einem solchen Fall erfolgt die Risikoabwägung zu Lasten der Erstattung
einer Strafanzeige. Dabei steht der Schutz des Unternehmens im Vordergrund und die Strafanzeige
wird vielmehr als Ultima Ratio gewertet.
Der Schutz der/des Beschäftigten kann ein weiterer Grund für ein Absehen von einer Strafanzeige
sein. Unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung und möglicher persönlicher Folgen einer Strafanzeige für die/den betroffene/n Beschäftigte/n wird auch auf dieser Ebene das Ultima-Ratio-Prinzip
9
Gruppendiskussion I:Wörtliche Zitierung von Experte 3 (Perspektive Unternehmen).
Gruppendiskussion I:Wörtliche Zitierung von Experte 4 (Perspektive Unternehmen).
10
15
angewendet. Strafrechtliche Sanktionsmechanismen werden aber auch als Druckmittel im Sinne einer
negativen Generalprävention eingesetzt.11
Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass für die Unternehmen ausreichend alternative und effektive
Reaktionsmöglichkeiten vorhanden sind, die ein Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden abdingbar
machen:
„Den meisten Unternehmen geht es nicht hauptsächlich darum, Straftaten aufzuklären, sondern
denen geht es darum, ggf. sich von unredlichen Mitarbeitern zu trennen […]. Denen geht es
auch darum, dazu sind sie im Zweifel auch verpflichtet, Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Und dann ist das zum Teil auch eine ganz schlichte Kalkulation zu sagen, die Strafanzeige
[…] als Ultima Ratio, die behalten wir uns vor. Und das ist vielleicht auch die Verhandlungsmasse, die wir mit in die Diskussion bringen und sagen, wir werden uns jetzt hier trennen zum
nächsten Monatsende oder sofort. Wir wollen unser Geld wiederhaben und damit du noch irgendeine Perspektive hast und nicht nur als Verlierer raus gehst, sehen wir dann von einer
Strafanzeige ab. Das ist, das muss man ganz klar sagen, auch ein Teil Rechtswirklichkeit in
Deutschland“12
Den beschriebenen Gründen gegen eine Strafanzeige stehen nur wenige Gründe für eine Anzeigeerstattung entgegen. Ein hoher Schaden und die Erwartung, dass der/die Tatverdächtige mit Hilfe staatlicher Ermittlungskompetenzen überführt wird, sind aus Sicht der Unternehmen relevante Faktoren,
die eine Anzeige begünstigen. Der monetäre Nutzen einer Strafanzeige steht jedoch im Vordergrund
der Entscheidung. Eine Selektion der relevanten Verdachtsfälle erfolgt durch die Unternehmen selbst.
Neben der Kosten-Nutzen-Entscheidung ist für die Meldung von Wirtschaftskriminalität und Korruption ebenfalls von Bedeutung, ob und welche Kontrollmechanismen innerhalb des Unternehmens vorhanden sind. Die Quantität der im Unternehmen entdeckten Verdachtsfälle kann durch höhere Investitionen in und den stärkeren Einsatz von Kontrollmechanismen gesteigert werden. Dies beschreibt ein
Experte aus dem Compliance-Bereich folgendermaßen:
„Hinweisgeber nutzen unsere, überwiegend auch anonym möglichen Hinweisgebersysteme über
den Ombudsmann, über ein elektronisches Kommunikationssystem […]. Und die Zahl dieser
Fälle, die reinkommt, ermöglicht es uns, in sehr viel größerem Maße rein quantitativ an die Behörden auch etwas zu geben. Und ich glaube nicht, dass die vergleichbaren Fälle früher in ähnlicher Zahl an die Behörden herangetragen wurden.“13
Einen Hinweis auf diesen vermehrten Anstieg geben auch die polizeilichen Daten. So wird im Korruptionslagebild 2011 erstmals darauf verwiesen, dass der Anstieg der polizeilich registrierten Korruptionsfälle im Bereich der Wirtschaft vermutlich auf eine erhöhte Sensibilität der Wirtschaftsunterneh-
11
Vgl. KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Compliance Benchmark Studie 2011. Aktuelle Trends der Organisation
und Ausgestaltung von Compliance Management Systemen bei deutschen DAX30plus-Unternehmen. 2011: 26.
12
Gruppendiskussion I:Wörtliche Zitierung von Experte 10 (Perspektive Wissenschaft).
13
Gruppendiskussion I: Wörtliche Zitierung von Experte 3 (Perspektive Unternehmen).
16
men in Folge der Verbreitung von Compliance-Systemen zurückzuführen ist.14 Interne Hinweise gelten hierbei als wichtige Quellen für das Entdecken von Wirtschaftskriminalität und Korruption.15
In diesen Zusammenhang wird insbesondere aus Unternehmensperspektive auf den Nutzen elektronischer Hinweisgebersysteme hingewiesen. Die Befürchtung, dass überwiegend gehaltlose Hinweise
eingehen bzw. das System von Denunziantinnen/Denunzianten missbraucht wird, hat sich aus den
Erfahrungen der hier befragten Expertinnen/Experten aus dem Bereich der Wirtschaft nicht bestätigt.
Fehlerhafte Hinweise können schnell erkannt und entsprechend herausgefiltert werden. Der Nutzen
eines solchen Hinweisgebersystems würde in der Gesamtheit den Aufwand übertreffen.16 Eine stärkere
Verbreitung solcher Hinweisgebersysteme könnte zur Aufdeckung weiterer Straftaten beitragen. In
Folge der Verbreitung von Compliance-Systemen setzen sich deutsche Unternehmen vermehrt mit der
Frage der Einführung eines Hinweisgebersystems auseinander und die politische Forderung des verbesserten Schutzes von Hinweisgeberinnen und -gebern wird diese Entwicklung noch weiter antreiben. 17 Unternehmen, die Systeme etabliert haben, können eine Beratungsfunktion für interessierte
Unternehmen einnehmen und neben bisherigen Erfahrungswerten auch Einschätzungen über entstehende Kosten geben. Auch die Strafverfolgungsbehörden können durch eine nach außen kommunizierte Befürwortung von Hinweisgebersystemen diese Entwicklung noch weiter antreiben und eine
Vorreiterrolle für die Unternehmen einnehmen, indem solche Hinweisgebersysteme auch vermehrt bei
den Strafverfolgungsbehörden eingeführt werden. Bis auf wenige Ausnahmen wie Niedersachsen,
Brandenburg und Baden-Württemberg sowie neuerdings auch Berlin, verzichten die meisten Bundesländer auf ein internetbasiertes Hinweisgebersystem. Negative Beispiele im Umgang mit internen
Hinweisgeberinnen/Hinweisgebern in Großkonzernen (Beeinflussung durch den Vorgesetzten, Kündigung) verdeutlichen zudem die Notwendigkeit externer anonymer Meldesysteme für Arbeitnehmer/innen.18 Der Einsatz elektronischer Hinweisgebersysteme bei der Polizei wird in einigen Bundesländern kritisch gesehen, da eine elektronische Kommunikation einen persönlichen Eindruck von
dem/der Hinweisgeber/in kaum ermöglicht.19 Die bisherigen Erfahrungen der Polizeibehörden bestätigen aber, dass vermehrt Hinweise bei der Polizei eingehen und allein in Niedersachsen in der Folge im
Jahresdurchschnitt 93 neue Korruptions- bzw. Wirtschaftsstrafverfahren eingeleitet wurden und sich
damit das Fallaufkommen erhöht hat.20 Um negative Folgen (kein Nutzen, Mehraufwand, Missbrauch)
eines erweiterten oder gar flächendeckenden Einsatzes von elektronischen Hinweisgebersystemen
14
Vgl.: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Bundeslagebild Korruption 2011. Wiesbaden 2012: 20.
Vgl. KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Analyse des aktuellen Stands der Ausgestaltung von Compliance Management-Systemen in deutschen Unternehmen. 2013: 16 ; Bundeskriminalamt (Hrsg.): Bundeslagebild Korruption 2012.
Wiesbaden 2013: 12.
16
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung der Experten 3 und 5 (Perspektive Unternehmen).
17
Vgl. Antrag der Koalition SPD „Wirtschaftskriminalität effektiv bekämpfen“ (17/13087). Abrufbar unter:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713087.pdf (Stand 27.06.2013).
18
Vgl. Presseartikel „Regime der Angst“ von Martin Hesse und Marcel Rosenbach in DER SPIEGEL 4/2015. Abrufbar
unter: https://magazin.spiegel.de/digital/?utm_source=spon&utm_campaign=inhaltsverzeichnis#SP/2015/4/131355102
(Stand 19.01.2015).
19
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 14 (Perspektive Polizei).
20
Vgl. Dubs, Stefan: Whistleblowing zur Entdeckung schwerer Kriminalität? Einsatz internetbasierter Hinweisgebersysteme
zwecks Gewinnung von Ermittlungsansätzen. In: Kriminalistik, 6/2014: 406f.
15
17
besser einschätzen zu können, wäre eine gezielte Evaluation der Wirksamkeit der Systeme ratsam.
Damit solche Maßnahmen nicht wirkungslos bleiben und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, sind ebenfalls Investitionen in eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit notwendig.
3.8
Beiderseitige Erwartungen an die Zusammenarbeit
Untersuchungsfrage:
• Was erwarten beide Seiten voneinander im Rahmen einer erfolgversprechenden Zusammenarbeit?
• Inwieweit können die jeweiligen Erwartungen miteinander in Einklang gebracht werden?
• Wie kann die Zusammenarbeit konkret verbessert werden?
Der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen, unabhängig von einem Strafverfahren, ist bei der Polizei und den Unternehmen mit Compliance-System stärker ausgeprägt als bei den Unternehmen ohne Compliance-System und den Staatsanwaltschaften. Über ein Drittel der Staatsanwältinnen/Staatsanwälte lehnen eine generell engere Zusammenarbeit mit den Unternehmen ausdrücklich ab, da es für präventive Aufgaben der Staatsanwaltschaft keine gesetzliche Grundlage gibt.
Transparentes und kooperatives Handeln, eine offene und regelmäßige Kommunikation sowie Vertraulichkeit und Verbindlichkeit bei Absprachen sind aus Sicht beider Akteure Grundlagen für eine
erfolgreiche Zusammenarbeit im Ermittlungsverfahren. Die Strafverfolgungsbehörden betonen darüber hinaus die Wichtigkeit einer frühzeitigen Anzeige oder Kontaktaufnahme und die gemeinsame
Sichtung und Aufarbeitung verfahrensrelevanter Unterlagen. Unternehmen wünschen sich dagegen
einen sensiblen Umgang mit unternehmensinternen Daten. Sie fordern speziell fundierte wirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse auf Seiten der Ansprechpersonen bei den Strafverfolgungsbehörden ein. Neben der Fachkompetenz wird die Erfahrung der Strafverfolger/innen in der
Bearbeitung von Großverfahren als maßgeblich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit angesehen, da
sich kompetente und erfahrene Strafverfolger/innen häufig offener für eine Kooperation mit den Unternehmen zeigen.21
21
Gruppendiskussion I: Indirekte Zitierung von Experte 4 (Perspektive Unternehmen).
18
3.9
Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit
Präventive Maßnahmen wie beispielsweise die Bildung gemeinsamer Netzwerke, gemeinsame Tagungen/Workshops und die Herausgabe von Newslettern für die Unternehmen finden auf Strafverfolgungsseite lediglich Zustimmungswerte unter 50 Prozent, während die Unternehmen diese Maßnahmen mit höheren Zustimmungswerten belegen und in stärkerem Maße als zweckmäßig und zielführend einstufen.
Die Festlegung fester Ansprechpersonen bei der Polizei und/oder Staatsanwaltschaft für die Unternehmen wird von allen Befragten übereinstimmend als die sinnvollste Maßnahme zur Förderung der
Zusammenarbeit bewertet. Ebenfalls wird von den Strafverfolgerinnen/Strafverfolgern als hilfreich
empfunden, wenn auf der Unternehmenshomepage eine entsprechende Kontaktperson leicht ausfindig
gemacht werden kann. Insgesamt wird deutlich, dass beide Seiten Maßnahmen, die einen unmittelbaren Austausch auf persönlicher Ebene ermöglichen, am sinnvollsten erachten.
3.9.1
Benennung fester Ansprechpersonen
Die meisten Unternehmen, die an dieser Untersuchung teilgenommen haben, kennen weder Ansprechpartner/innen bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass Unternehmen mit Compliance-System (38 %) häufiger Ansprechpersonen bei der Staatsanwaltschaft kennen als Unternehmen ohne Compliance-System (13 %). Der Grund ist unter anderem, dass die von den
Unternehmen beauftragten externen Berater/innen häufig über entsprechende Kontakte verfügen. Vereinzelt wird jedoch beobachtet, dass in der Compliance Beschäftigte unabhängig vom Ermittlungsverfahren aktiv auf die zuständige Staatsanwaltschaft zugehen.22 Erfahrungen aus bestehenden Netzwerktätigkeiten zeigen ebenfalls, dass die Kontakte zu den Strafverfolgungsbehörden auch dahingehend
genutzt werden, um sich über Sachverhalte auszutauschen und eine Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden einzuholen. Solche Kommunikationsplattformen stehen jedoch nur einer begrenzten
Anzahl von Unternehmen zur Verfügung.23 Die Benennung von spezialisierten Ansprechpersonen bei
den Strafverfolgungsbehörden könnte entsprechend dazu beitragen, eine größere Gruppe von Unternehmen zu erreichen. Damit könnten Strukturen geschaffen werden, die den Unternehmen die Möglichkeit bieten, auf abstrakter Ebene Sachverhalte zu diskutieren, um eine Einschätzung der strafrechtlichen Relevanz und förderliche Informationen für eine Vorgehensweise im Verdachtsfall zu erhalten.
Der Erfolg solcher Gespräche ist in erster Linie von den agierenden Personen abhängig, so dass von
den Unternehmen auch sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden gemacht wurden.24 Eine Festlegung von Ansprechpersonen bietet die Chance, Strukturen für eine verlässliche Kommunikation zu schaffen und würde entsprechend zu einer Erwartungsund Handlungssicherheit auf beiden Seiten beitragen, die das gegenseitige Vertrauen stärken und die
22
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 16 (Perspektive Staatsanwaltschaft).
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 2 (Perspektive Wissenschaft).
24
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 12 (Perspektive Unternehmen).
23
19
Angst vor einem Kontrollverlust minimieren kann.25 Die Möglichkeit für das Unternehmen, einen Fall
abstrakt darzustellen, könnte insbesondere bei Unternehmen ohne etablierte Compliance-Strukturen
oder klein- und mittelständischen Unternehmen die Hemmschwelle vor einer Strafanzeige senken.
3.9.2
Prävention von Wirtschaftskriminalität und Korruption
Der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit unabhängig von einem Strafverfahren ist insgesamt
bei Polizei und Unternehmen mit Compliance-System stärker ausgeprägt als bei Unternehmen ohne
Compliance-System und Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft sieht sich aufgrund ihrer rechtlichen Aufgabenzuweisung für die Präventionsarbeit überwiegend nicht zuständig und ist aufgrund einer möglichen Gefährdung des Objektivitätsverlustes sehr kritisch hinsichtlich einer Zusammenarbeit
mit den Unternehmen.
Unternehmen mit Compliance-System zeigen sich offener in der Kooperationsbereitschaft mit den
Strafverfolgungsbehörden und messen einer positiven Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden eine höhere Bedeutung für das zukünftige Anzeigeverhalten zu. Hier bietet sich gerade für die
Strafverfolgungsbehörden die Chance, durch enge Kooperationsformen eine effektive Präventionsarbeit zu leisten. Die Präventionsarbeit hinsichtlich Wirtschaftskriminalität und Korruption wird weitestgehend durch Compliance-Maßnahmen von den Unternehmen selbst abgedeckt. Es wird allerdings
deutlich, dass im Bereich der Prävention seitens der Unternehmen ein starkes Bedürfnis an externer
Expertise, Rat und Unterstützung besteht. Hier bestünde ein großes Aktionsfeld für die Polizeiarbeit.
Insbesondere dann, wenn sich die Maßnahmen nicht nur auf Großunternehmen beschränken, wie
nachfolgend ein Polizeibeamter ausgeführt:
„Prävention ist nun mal ein ganz klarer politischer Auftrag an die Polizei. […] man muss sich
schon ehrlich fragen, ob man da alles tut, was möglich ist. Und damit meine ich jetzt gar nicht
mal die Präventionsarbeit in Kooperation mit Großunternehmen. […] Da können wir maximal
unterstützen. Das geht aber natürlich nur dann, wenn man sich kennt, wenn man Kontakte vorher geknüpft hat, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. […] Und das ist schon der erste
Schritt auch im Bereich der Präventionsarbeit. Wenn man weiß, wer sind die Ansprechpartner
etc. […] Aber dass da mehr gemacht werden muss, davon bin ich fest überzeugt. Insbesondere
bei den kleinen Unternehmen. Die, die es sich halt nicht erlauben oder leisten können, ein Wirtschaftsberatungsunternehmen oder eine externe Anwaltskanzlei anzustellen. Und für die, da
müssen wir uns schon auch fragen, bieten wir für die auch wirklich was an? Wo wir sagen,
wenn wir die überzeugen, wir wollen im Bereich der Korruptionsbekämpfung nachhaltig was
tun, geben wir denen auch entsprechende Instrumente, entsprechende Hinweise, wie sie mit uns
kooperieren können? Und da glaube ich, da ist noch wahnsinnig viel Nachholbedarf.“26
Als problematisch erweist sich im Hinblick auf die Präventionsarbeit, dass Best-Practice-Modelle
nicht bekannt sind und möglicherweise aufgrund der individuellen Bedürfnisse und Profile eines Unternehmens kaum allgemein übertragbar sein können. Durch Zusammenarbeitsformen wie beispiels25
26
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 15 (Perspektive Wissenschaft).
Gruppendiskussion II: Wörtliche Zitierung von Experte 13 (Perspektive Polizei).
20
weise eine lokale Netzwerkbildung kann diesen Problemen möglicherweise Rechnung getragen werden. Lokale Netzwerke bieten den Vorteil, dass die verschiedenen Parteien sich kennenlernen und
gegenseitige Berührungsängste und Vorbehalte abgebaut werden. Darüber hinaus bietet sich für Unternehmen auch die Möglichkeit, bei Präventionsvorhaben die Strafverfolgungsbehörden einzubeziehen und gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.27 Durch den individuellen Austausch
können auch, unabhängig von einem konkreten Schadensfall, die gegenseitigen Erwartungen an die
Zusammenarbeit diskutiert und formuliert werden. Eine erfolgreiche Kommunikation besteht jedoch
auch darin, klar und realistisch zu formulieren, wann die Grenzen der Kooperation zugunsten der
eigenen Interessenwahrung und gesetzlicher Vorgaben erreicht sind. So könnten solche Kommunikationsstrukturen auch dahingehend genutzt werden, mit Hilfe von Fallbeispielen die Möglichkeiten und
Grenzen einer erfolgreichen Zusammenarbeit im Ermittlungsverfahren zu illustrieren.28
3.10 Rechtliche Rahmenbedingungen
Untersuchungsfrage:
• Gibt es rechtliche Defizite, die eine Zusammenarbeit behindern?
Die meisten Strafverfolger/innen sehen keine rechtlichen Hürden, die eine Kommunikation mit den
Unternehmen außerhalb eines Strafverfahrens behindern könnten. Einige wenige Nennungen beziehen
sich auf das Legalitätsprinzip und als zu einengend wahrgenommene Datenschutzbestimmungen.
Die von den Strafverfolgerinnen/Strafverfolgern genannten rechtlichen Schwachstellen beziehen sich
zumeist auf die Repression. Dabei werden insbesondere folgende Aspekte wiederholt hinderlich für
die Strafverfolgungspraxis beschrieben: die ungenaue Definition und rechtliche Einordnung der Phänomene Korruption und Untreue, ein fehlendes Unternehmensstrafrecht, Teile des Zeugnisverweigerungsrechtes für Berufsgeheimnisträger, mangelnde Möglichkeiten für verdeckte Maßnahmen, Defizite in der Anwendung der Vermögensabschöpfung, Verzögerungen bei Ermittlungen durch das sogenannte „Bank“- und Steuergeheimnis, einengende datenschutzrechtliche Bestimmungen, fehlende
Vorratsdatenspeicherung sowie Zuständigkeitsprobleme bei der Strafverfolgung durch die föderale
Struktur in Deutschland. Auf internationaler Ebene beziehen sich die genannten Probleme in der Kriminalitätsbekämpfung hauptsächlich auf die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Hierbei werden
hauptsächlich die Dauer und Komplexität der Anfragemodalitäten sowie das defizitäre Antwortverhalten einiger Länder als hinderlich für die Strafverfolgung bewertet.
Viele der hier genannten Probleme und rechtlichen Hürden bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption sind weder neu bzw. unbekannt, noch ausschließlich auf dieses Phänomen
begrenzt. Aufgrund der Komplexität der einzelnen rechtlichen Fragestellungen kann dieser Problema27
28
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 13 (Perspektive Polizei).
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 13 (Perspektive Polizei).
21
tik nur Rechnung getragen werden, indem die jeweiligen Aspekte einzeln und intensiv behandelt und
die ihre Möglichkeiten der rechtlichen Reformierung aufgezeigt werden (Bsp. gesonderte Untersuchungen, Rechtsgutachten).
In diesem Zusammenhang ist die kontrovers geführte Diskussion über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts erwähnenswert und die damit verbundene strafrechtliche Verantwortlichkeit von
Unternehmen. Im Gesetzesentwurf für ein deutsches Verbandsstrafgesetzbuch werden erstmals klare
Anreize für die Einführung von Compliance-Strukturen geschaffen.29 30 Das würde auch der Forderung
der Unternehmen nach einer Klärung der Rolle von Compliance im Ermittlungsverfahren Rechnung
tragen. Eine vom Gesetzgeber vorgesehene stärkere Berücksichtigung von Compliance werte auch die
Bedeutung von Compliance-Systemen innerhalb der Unternehmen und damit auch die Stellung
der/des Compliance-Beauftragten auf. Der Gesetzgeber trüge damit dazu bei, dass Unternehmen verstärkt in Präventions- und Kontrollmechanismen investieren. Ebenfalls würde dies auch einen klaren
rechtlichen Rahmen für die Rechtspraxis schaffen, da das bisher geltende Opportunitätsprinzip (§ 47
OWiG) vom Legalitätsprinzip (§ 14 VerbStrG-E) abgelöst werden würde. Die bisher ermittelten Zahlen aus der Rechtspraxis zeigen, dass obgleich die Voraussetzungen des § 130 OWiG gegeben sind,
bisher nur selten Geldbußen verhängt werden.31 Dies unterstreicht ebenfalls, dass das Thema Compliance in der Rechtspraxis bisher kaum berücksichtigt wurde und hier entsprechend ein „Vollzugsdefizit“32 besteht.
26 Prozent der befragten Staatsanwältinnen/Staatsanwälte antworteten mit „Weiß nicht“ auf die Frage,
ob Kenntnisse und Informationen zum Themenkomplex Compliance für die justizielle Aufgabenerledigung von Vorteil sind. Dass viele sich bei dieser Frage nicht klar positionieren konnten bzw. wollten, lässt sich vermutlich damit begründen, dass der Gesetzgeber für die meisten Unternehmen nicht
die Forderung stellt, Compliance-Strukturen zur Einhaltung der Organisationspflichten umzusetzen.33
Investitionen in Schulungen für Staatsanwältinnen/Staatsanwälte hinsichtlich der Anwendung des
OWiG und eine Erhöhung des Bußgeldkatalogs könnten möglicherweise auch den geeigneten Rahmen
schaffen, um dem Thema Compliance und damit auch der Prävention von Wirtschaftskriminalität und
Korruption ein höheres Gewicht beizumessen.34 Die Schaffung einer verlässlichen Datenbasis über die
29
Vgl. § 5 VerbStrG-E. Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen und sonstigen Verbänden. 2013: 9. Abrufbar unter:
https://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbstkonferenz13/zw3/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf
(Stand: 10.12.2014).
30
Mit der Erweiterung des § 299 StGB im Referentenentwurf zur Korruptionsbekämpfung vom Juni 2014 würden auch
Pflichtverletzungen gegenüber dem Unternehmen (Non-Compliance) strafrechtlich erfasst werden. Vgl. Referentenentwurf
des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption.
2014: 22. Abrufbar unter:
http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RefE_KorrBekG.pdf?__blob=publicationFile (Stand
22.12.2014); Vgl.: Kneisel, Julia: Still und heimlich – der neuste Referentenentwurf des BMJV zur Korruptionsbekämpfung,
seine Kernpunkte und Konsequenzen. In: Neue Kriminalpolitik, 04/2014: 324ff.
31
Vgl.: Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen 2013: 23.
32
Gruppendiskussion II: Wörtliche Zitierung von Experte 13 (Perspektive Polizei).
33
Vgl. Engelhart 2010: 511f.
34
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 16 (Perspektive Staatsanwaltschaft).
22
Vollstreckung von Bußgeldverfahren bei Aufsichtspflichtverletzungen von Unternehmen könnte zudem Auskunft über die Anwendung des OWiG und die Delinquenzentwicklung von und in Unternehmen liefern.35
Auch in diesem Kontext muss berücksichtigt werden, dass die Strafverfolgungsbehörden nur von einem Ausschnitt aus der Gesamtheit der im Unternehmen bekannt gewordenen Fälle Kenntnis erhalten.
Die Einführung eines Verbandsstrafgesetzes und der damit verbundene Wechsel zum Legalitätsprinzip
können auch dazu führen, dass Unternehmen in der Befürchtung, dass sie eventuell nicht alle Organisationspflichten erfüllen bzw. ihre Präventions- und Kontrollkonzepte als unzureichend bewertet werden, zunehmend weniger Verdachtsfälle an die Strafverfolgungsbehörden herantragen.36 Ein Musterbeispiel für ein Compliance-System bzw. eine musterhafte Vorgabe, wie die Organisationspflichten
erfüllt werden müssten, kann es wegen der Individualität des Unternehmensprofils kaum geben. Der
Gesetzgeber müsste aber in der Folge durchaus benennen können, wie ein Compliance-System ausgestaltet sein muss, damit dem Unternehmen kein Bußgeld droht.37 So könnten beispielsweise Mindeststandards für die Ausgestaltung von Compliance-Systemen formuliert werden.
Wie bereits frühere Studien gezeigt haben, wird auch in dieser Untersuchung deutlich, dass die meisten Unternehmen mit mehr als 5 000 Beschäftigten über ein Compliance-System verfügen. Ungeachtet
der gesetzlichen Regelungen für den Finanzsektor und den vorhandenen Haftungsrisiken in Fällen von
Non-Compliance deutet die starke Verbreitung in diesem Unternehmenssektor darauf hin, dass Compliance auch zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit und auf Druck anderer Unternehmen umgesetzt
wird. Großunternehmen übertragen diesen Druck auf der nationalen Ebene zwangläufig auf Zulieferer
sowie Subunternehmen und damit auch auf den Mittelstand.38 Gleichwohl zeigen die Ergebnisse, dass
noch Spielraum für eine zunehmende Verbreitung gegeben ist: Rund ein Drittel der Unternehmen
ohne Compliance-System geben in dieser Untersuchung an, dass sie sich derzeit in der Planungsphase
zur Implementierung eines Compliance-Systems befinden. Auch wenn diese Entwicklung grundsätzlich zu begrüßen ist, birgt sie zwangsläufig auch die Gefahr, dass durch die konkurrierenden Verhältnisse und die Selbstverständlichkeit des Vorhandenseins eines solchen Systems die Freiwilligkeit der
Einführung von Compliance eingeschränkt wird.39 Eine „erzwungene“ Verbreitung von Compliance
kann unter Umständen auf Kosten der Effektivität und Sinnhaftigkeit solcher selbstregulierenden
Maßnahmen gehen. In Zukunft stellt sich daher nicht mehr allein die Frage, ob ein ComplianceSystem vorhanden ist, sondern wie es organisatorisch verankert und ausgestaltet ist, welche Compliance-Instrumente vorhanden sind und ob diese auch wirksam eingesetzt werden. Eine von außen
35
Vgl. Engelhart 2010:486f.
Gruppendiskussion I: Indirekte Zitierung von Experte 4 (Perspektive Wissenschaft).
37
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 12 (Perspektive Unternehmen).
38
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 9 (Perspektive Wissenschaft).
39
Vgl. Thesenpapier und Vortrag von Dr. Heiko Willems (BDI) zum Thema „Aktuelle Compliance-Entwicklung in Deutschland: Zwischen Selbstregulierung und Unternehmensstrafrecht“ auf dem 2. Viadrina Compliance Congress am 25.03.2014 in
Frankfurt (Oder).
36
23
durchzuführende Beurteilung der Wirksamkeit der Maßnahmen gestaltet sich jedoch sehr schwierig.40
Hier müsste ein Gleichgewicht zwischen Standardisierungsmodellen, die eine externe Kontrolle ermöglichen, und der notwendigen Flexibilität gesucht werden. Bisher entscheidet ein Unternehmen je
nach Verdachtsfall für sich, ob die getroffenen Compliance-Maßnahmen den rechtlichen Anforderungen gerecht werden. Es steht zu befürchten, dass ein Verbandstrafgesetz das Anzeigeverhalten verschlechtern würde, wie nachfolgend ein Experte aus dem Unternehmenssektor beschreibt:
„Und wenn, was ja richtig ist, die Strafverfolgungsbehörden sagen, das ist ja interessant, dass
bei euch ein Korruptionsfall vorgekommen ist, jetzt schauen wir uns mal an, ob ihr als Unternehmenslenker in dem Zusammenhang eigentlich eure Organisationspflichten erfüllt habt, dann
hat das natürlich auch einen Einfluss auf die Anzeigebereitschaft der Beteiligten, insbesondere
wenn man zu dem Ergebnis kommt, da haben wir noch eine Lücke, die wir jetzt schließen werden.“41
Dabei muss beachtet werden, dass Unternehmen inzwischen zunehmend eigene Ermittlungsabteilungen aufbauen und eine stärkere Professionalisierung im Bereich der Internal Investigations zu erwarten
ist. Dies hat möglicherweise zur Folge, dass sich für die Unternehmen die Notwendigkeit der Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden verringert.42 Um diesem Effekt entgegenzutreten, sollten daher
parallel Bemühungen stattfinden, die Hemmschwellen in der Kommunikation zwischen Strafverfolgung und Unternehmen zu senken, das Entdeckungsrisiko für Straftaten zu erhöhen und rechtliche
Hürden bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität und Korruption abzubauen.
40
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 4 (Perspektive Wissenschaft).
Gruppendiskussion I: Wörtliche Zitierung von Experte 10 (Perspektive Unternehmen).
42
Gruppendiskussion II: Indirekte Zitierung von Experte 4 (Perspektive Wissenschaft).
41
24
4
Handlungsempfehlungen
• Benennung fester und spezialisierter Ansprechpersonen (Kontaktstellen) auf Seiten der Strafverfolgung (insbesondere auf Seiten der Polizei) und Unternehmen
o Veröffentlichung und Verbreitung der Kontaktdaten (z.B. Suchmaschinenoptimierung und
-platzierung, Platzierung auf der jeweiligen Homepage)
o Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit, um den Bekanntheitsgrad der Ansprechperson/Kontaktstelle zu erhöhen unter Einbeziehung von Verbänden und Kammern, um
klein- und mittelständische Unternehmen zu erreichen (Vortragstätigkeiten in Unternehmen und Behörden, Fachtagungen etc.)
• Schaffung einer zentralen Website der Sicherheitsbehörden für Unternehmen
o Bündelung der Informationen zu lokalen Ansprechpersonen, Meldesystemen, behördliche
Zuständigkeiten, Präventionsangebote (Bsp.: „SICHERES UNTERNEHMEN“ vom LKA
Sachsen43), Ankündigungen von Tagungen, Warnmeldungen etc.
• Einrichtung lokaler Netzwerke
o Plattform zum Austausch über Möglichkeiten einer gemeinsamen Präventionsarbeit zwischen Unternehmen und Polizei
o Entwicklung und Veröffentlichung von Best-Practice-Modellen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Prävention und in Ermittlungsverfahren (Rolle von Compliance,
Festlegung von Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit, Darlegung erfolgreicher
Kommunikationsstrukturen wie z.B. Jours fixes etc.)
• Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, Tagungen
o Kooperation mit Hochschulen als Vermittler des aktuellen wissenschaftlichen Wissensund Forschungsstandes
o Kooperation mit Verbänden und Kammern als Sprachrohre für Unternehmen
o Fallstudien und Fallanalysen (z.B. positive und negative Beispiele der Kooperation, Ausarbeitung von Erfolgsfaktoren)
o Rolle und Verständnis von Compliance aus den unterschiedlichen Perspektiven (Wissenschaft, Wirtschaft, Strafverfolgung)
o Verdeutlichung der rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit
o Diskussion über aktuelle phänomenologische, rechtliche und internationale Entwicklungen
• Verbesserung der Verfahrenseffizienz durch Erhöhung und Professionalisierung des Personals bei
Polizei und Staatsanwaltschaft sowie Optimierung des Verfahrensmanagements bei der Bearbeitung
von Wirtschaftsstrafsachen
o Verstärkte Nutzung externer Fortbildungsangebote und gezielte Schulung compliancerelevanter Themen (Bsp.: Anwendungsmöglichkeiten OWiG, Internal Investigations)
43
Siehe hierzu: https://www.polizei.sachsen.de/de/24175.htm (Stand 09.07.2015)
25
o Förderung berufsbegleitender Studiengänge mit entsprechender Beförderungsmöglichkeit
o Gezielte Karriereförderung als Anreiz für eine längere Verweildauer im Fachdezernat
bzw. in der Fachabteilung (insbesondere bei der Staatsanwaltschaft)
o Verbesserte Koordination des personellen Ressourceneinsatzes bei Staatsanwaltschaften
und Fachdezernaten der Polizei
• Einführung elektronischer Hinweisgebersysteme sowohl bei Polizei als auch in Unternehmen
(Erhöhung der Kontrollmaßnahmen)
o Begleitende Evaluation der Kontrollmaßnahmen
o Investition in die Öffentlichkeitsarbeit zur Erhöhung des Bekanntheitsgrads der Hinweisgebersysteme (Suchmaschinenoptimierung und -platzierung, Platzierung auf der jeweiligen Homepage, Vortragstätigkeiten innerhalb der Unternehmen)
o Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für den Schutz von Hinweisgebern
• Schaffung einer Datenbank zur Meldung von Verdachtsfällen
o Freiwillige und anonyme Meldewege für Unternehmen über die im Unternehmen auftretenden Verdachtsfälle
o Gewinnung neuer Erkenntnisse zu Tatbegehungsformen, Verbreitung von Verdachtsfällen,
Anzeigeverhalten etc.
o Regelmäßige Auswertung der anonymisierten Daten
• Regelmäßige Opferbefragung im Bereich der Wirtschaftskriminalität und/oder Korruption durch die
polizeiliche Forschung (Trendstudie)
o Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Fragestellungen für Behörden mit phänomenologischer Schwerpunktsetzung
o Qualitätssicherung durch eigene methodische Konzeption, transparente Darstellung der
methodischen Vorgehensweise sowie definitorischer Eingrenzung regelmäßig verwendeter
Begriffe (Bsp.: Schadensbegriff)
o Messung von Opferraten, Anzeigeraten, Schadenshöhen etc.
• Überprüfung der Notwendigkeit zur Reform einzelner rechtlicher Rahmenbedingungen für die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität und Korruption (z.B. Konkretisierung von Definition und rechtlicher Einordnung der Phänomene Korruption und Untreue, Möglichkeiten für verdeckte Maßnahmen, Unternehmensstrafrecht)
o Sofern Compliance-Systeme zur Exkulpation bzw. Bußgeldmilderung führen, sollte genauer definiert werden, was unter einem „effektiven“ Compliance-System zu verstehen ist
und welche Präventions- und Kontrollmaßnahmen darunter fallen können
o Im Rahmen der Überarbeitung von internationaler Rechtshilfe und Vermögensabschöpfung sollte mit Hilfe von Expertenwissen geprüft werden, ob für die Bereiche Wirtschaftskriminalität und Korruption besondere Aspekte berücksichtigt werden müssen
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